NACHLESE I
Verlagslogo
Gesammelte Prosa und Gedichte aus
Zeitschriften
KOBER'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
BASEL
Copyright by
Kober'sche Verlagsbuchhandlung Basel 1953 u. 1990
Druck: Conzett & Huber, Zürich
Anmerkung: Die 2. Auflage der „Nachlese” (1990) ist in zwei Bänden erschienen, wobei der erste Band der „alten” Nachlese entspricht, in welcher die Kapitel „Jedem Antwort” und „Selbstverständliches” etwas verändert und vier neue Kapitel eingefügt wurden, während das Kapitel „Dank” in den zweiten Band wechselte. Die Seitennummern im Inh.Vz. unten entsprechen keiner Auflage, sondern beziehen sich auf die hier gegebene Seitenanordnung und Scans der Buchseiten von der „alten” Nachlese wurden übernommen.
Die geringfügigen Veränderungen:
nicht farblich unterlegter Text ist in beiden Auflagen gleich, hell unterlegter Text entspricht der 2.Auflage, dunkel unterlegter Text ist nur in der 1.Auflage zu finden und wurde in der 2.Auflage weggelassen. Diese Unterscheidung findet sich im Kapitel „Jedem Antwort” und „Selbstverständliches”, sowie dem „Inhaltsverzeichnis”, welches in seiner ANORDNUNG bereits der zweiten Auflage entspricht (zwei Farben bei der Kapitelanzeige im Inh.Vz. bedeutet eine Titelverschiedenheit zwischen den beiden Auflagen bei gleichem Inhalt).
INHALT Seite
NACHLESE I
Vorwort zur 2.Auflage 4
Vorwort zur 1.Auflage 5
Über meine Schriften
    (Flugschrift d. Koberverlags, 1930)
Hauptverz.
Warum ich meinen Namen führe
    (Flugschrift d. Koberverlags, 1927)
Hauptverz.
Wer ist Bô Yin Râ? (Magische Blätter, 1924) 150
Das Haus der Seele (Magische Blätter, 1920) 6
Vorbemerkung zu den «Funken»
    Deutsche Mantra (Mag.Blätter, 1920)
7
Optimistisches Denken (Magische Blätter, 1922) 11
Politik als Kunst (Der Türmer, 1922) 17
Magie der Zeichen (Magische Blätter, 1924) 21
Feilspäne (Magische Blätter, 1925) 29
Pro Domo! (Magische Blätter, 1925) 30
Dank (Die Säule, 1927) 42
Zanoni (Magische Blätter, 1925) 154
«Wie sie ihn sahen» (Die Säule, 1930) 165
Optimismus (Die Säule, 1932) 46
Résumé Antwort auf eine Anfrage
    (Die Säule, 1932)
55
«Im Spiegel» Eine notwendige Aufklärung
    (Die Säule, 1933)
172
Der oppositionelle Mensch (Die Säule, 1933) 58
Jedem Antwort erw. Fassung (Die Säule, 1933) 68
Selbstverständliches erw. Fassung (Die Säule, 1933) 86
Buchstäbliches Denen, die es angeht
    (Die Säule, 1934)
88
Brief an meine geistigen Schüler (Die Säule, 1934) 90
Brief an meine geistigen Schüler (Die Säule, 1934) 102
Brief an meine geistigen Schüler (Die Säule, 1934) 113
Gefahr der Nacht (Die Säule, 1934) 122
Selbsterziehung (Die Säule, 1935) 125
IN GEBUNDENER REDE 127
Rat (Magische Blätter, 1921) 128
Heimkehr (Magische Blätter, 1922) 129
Unsterblichkeit (Magische Blätter, 1923) 130
Stimmen aus dem Geisterreich
Die uns verlassen mußten (Der Türmer, 1924)
131
Wille zur Wahrheit (Die Säule, 1931) 132
Das Bleibende (Die Säule, 1933) 134
Ewigkeitsbestimmtes Finden (Die Säule, 1933) 135
Besorgter Freundesliebe zugeeignet (Die Säule, 1933) 136
Irdische Behinderung (Die Säule, 1933) 138
Geistige Verbundenheit (Die Säule, 1933) 139
Orient und Okzident (Die Säule, 1933) 140
Erkennungszeichen (Die Säule, 1933) 141
Steine (Die Säule, 1934) 142
Verborgener Quell (Die Säule, 1934) 143
Höchste Herkunft (Die Säule, 1935) 144
Notwendiges Irrenkönnen (Die Säule, 1935) 145
Trost ist nicht draußen (Die Säule, 1935) 146
Friede (Die Säule, 1935) 147
Augenwanderungen (Die Säule, 1936) 148
An die Säulen des Parthenon (Die Säule, 1936) 149
Originalscan1  Originalscan2
NACHLESE I
VORWORT
zur 2.Auflage
.Der Verlag freut sich, den Lesern des Werkes
von Bô Yin Râ die Textsammlung der «Nachlese»
neu und stark erweitert in zwei Bänden vorzule‐
gen.
.Dem Wunsch von Bô Yin Râ entsprechend be‐
rücksichtigen beide Bücher nur Texte, die in ir‐
gendeiner Form schon einmal im Druck erschie‐
nen sind. Dieser erste neue Band unterscheidet
sich von der bisherigen Ausgabe vor allem durch
vier hinzugefügte Kapitel. Auch werden die Ab‐
handlungen «Jedem Antwort» und «Selbstver‐
ständliches» nun in erweiterten Fassungen publi‐
ziert, während der «Dank» zum 50. Geburtstag in
einer Sammlung von drei Dankesadressen im
zweiten Band seinen Platz gefunden hat. Im
selbstverfassten Text «Wer ist Bô Yin Râ?» stellt
der Autor Missverständnisse und Fehlbeurteilun‐
gen über seine Person richtig.
.Der zweite Band der somit neuen «Nachlese»
enthält neben einer Anzahl von Texten über
4 Nachlese
Kunst aus den Jahren 1913 bis 1920 zahlreiche
zeit- und situationsbedingte Aufsätze sowie einige
Buchbesprechungen und persönliche Erinne‐
rungen.
.Bern,.1990                                 Der.Verlag
4a
VORWORT
zur 1.Auflage
.In dieser «Nachlese» wurden neben den bei‐
den einleitenden Flugschriften* (Kober'sche Ver‐
lagsbuchhandlung Basel) Aufsätze und Gedichte
Bô Yin Râs vereinigt, die von 1920 bis 1936 in
den Zeitschriften «Der Türmer» (Verlag Greiner
& Pfeiffer, Stuttgart) und «Magische Blätter» (ab
1937 die «Säule», Richard Hummel Verlag, Leip‐
zig) erschienen sind. Bô Yin Râ hat alle diese
Arbeiten nicht in das geschlossene Werk seiner
Lehre, den «Hortus Conclusus», eingefügt, aber
in jedem Wort und in jedem Satz ist die innigste
Verbindung mit dem Lehrwerk fühlbar. In aller
Welt werden die alten Freunde und Schüler von
Bô Yin Râ, denen die wirren Zeitläufte die lang
bewahrten Hefte zerworfen haben, diese Sammlung
der Aufsätze und Gedichte als lang Erwünschtes
begrüßen, die Jungen und neu Herzutretenden
aber, denen ihr Geschick das Buch in die Hände
bringt, werden manchen heiligen Pfad darin ent‐
decken, der sie sicher nach Innen leitet.
.Basel.1953.                Der.Verlag
* Anmerkung: diese beiden Flugschriften, „Warum ich meinen OO
Namen führe” u. „Über meine Schriften”, sind im Haupt- OO
inhaltsverzeichnis (Nr.42/43) gelistet.
5 Nachlese
DAS HAUS DER SEELE
SIEHE, o Suchender, das Land der ewigen Ge‐
staltung steht Dir jederzeit offen!
.Du mußt nur wählen, wo Du in ihm Dein Haus
erbauen willst. ‒ Wohl Dir, wenn Du zu wählen
weißt mit weiser Wahl!
.In Deinem Hause wirst Du dann ruhig werden,
denn Du wohnst allda in guter Sicherheit. ‒
.In Deinem Hause, wenn Du recht zu wählen
wußtest, ist Gott kein Fremder mehr. ‒
.Wie einen machtvollen Freund wirst Du ihn
bei Dir haben. ‒ Viele haben Gott gesucht
und fanden Götzen, denn sie wußten nicht, daß
Gott nur dann erscheint, wenn ihm im Lande
der Seele ein Haus errichtet wurde. ‒
6 Nachlese
VORBEMERKUNG ZU DEN
«FUNKEN»
(Deutsche Mantra)
SEIT ältester Zeit im alten Indien bekannt,
dem modernen Europäer aber fremd gewor‐
den, obwohl auch hier einst Runen und
«Zaubersprüche» von solcher Weisheit wuß‐
ten, ist die magische Einwirkung gewisser
Laut- und Wortfolgen auf die Seele.
.In jeder, besonders in jeder vokalreichen
Sprache, lassen sich solche Mantra schaffen, und
wenn sie wirklich nach okkulten Lautgesetzen ge‐
formt wurden, sind sie unübersetzbar, da die
okkulte Wirkung lediglich der, wenn auch nur
innerlich «gehörten» Lautfolge entspringt,
während der Sinn der Worte, erst in sekun
därem Betracht, auch als Meditations-Stoff
in Wirkung treten kann, gleichsam als Stim
mungsmittel der Seele.
.Die altgermanische Literatur ist erfüllt mit an‐
gewandter Laut-Magie, und die Liturgie der
7 Nachlese
griechischen und römischen Kirche stellt zum
größten Teil nichts anderes als Mantra
Sammlungen dar, geschaffen von weisen Ken‐
nern der okkulten Lautgesetze. ‒
.Wenn heute die Kirche Roms sich weigert, ihre
liturgischen Formeln aus dem Lateinischen in
lebende Sprachen zu übersetzen, so motiviert sie
zwar diese Weigerung mit der durch Uebersetzun‐
gen gegebenen Gefahr einer zwiespältigen Aus‐
legung, allein in Wirklichkeit folgt man hier ‒
bewußt oder nur dunkel ahnend ‒ rein okkul
ten Gesetzen, weil alle okkulte Wirkung
der in lateinischer Sprache geformten Mantra bei
solcher Übersetzung verloren gehen müßte. ‒
.Es ist aber für die okkulte Wirkung solcher
Lautfolgen auf den geistigen Organismus des Men‐
schen völlig gleichgültig, ob er den Sinn der
gegebenen Worte «versteht», den «Sinn», der ja
auch, in gänzlich anderer Lautfolge ausgedrückt
werden könnte. ‒ Die okkulte Wirkung solcher
Lautfolgen tritt erst ein, bei kontinuierlich fort‐
gesetzter Wiederholung, was manchem ein
Fingerzeig sein mag, der das «tägliche Ableiern» (!)
gewisser liturgischer Formeln, wie er es vielleicht
beim Chorgebet der Mönche irgendwo zu beob‐
8 Nachlese
achten Gelegenheit fand, nur als «unsinnige» und
«geisttötende» Übung aufzufassen vermag....
.Hier ist mehr Weisheit in einer traditio‐
nell erhaltenen Gepflogenheit als die Anhänger
der hier in Rede stehenden Religionsform heute
selber noch ahnen. ‒ ‒ ‒
.Nach diesen kurzen Hinweisen wird man viel‐
leicht verstehen, was in den «Funken» gegeben
ist. ‒
.Möge sich jeder einzelne prüfen, welche der
hier gegebenen Lautfolgen in deutscher Sprache
‒ auch abgesehen von ihrem «Sinn» ‒ am stärk‐
sten zu seiner Seele spricht. Eine okkulte Ein
wirkung auf seinen geistigen Organismus darf
er allerdings erst dann erwarten, wenn er län‐
gere Zeit hindurch, Tag für Tag, sich unter
die innere Einwirkung der innerlich gefühl
ten Lautfolgen stellt. Die gleichzeitige Meditation
über den zu erfühlenden «Sinn» der Worte mag
ihm deren stete Wiederholung dabei erleich‐
tern.
.Es kann noch gesagt werden, daß bereits viele,
und darunter sehr urteilsfähige und in kritischer
9 Nachlese
Selbstbeobachtung geschulte Menschen durch
direkte handschriftliche Weitergabe des Autors
diese «deutsche Mantra» kennen und seit eini‐
gen Jahren hinlänglich ihre okkulten Wirkungen
zu erproben vermochten. (Auch von anderer Seite
erfolgte, mit ausdrücklicher Erlaubnis, handschrift‐
liche Weiterverbreitung, nur ist die hier gegebene
endgültige Form noch an manchen Stellen weiter
bearbeitet.)
10 Nachlese
OPTIMISTISCHES DENKEN
ES gibt heute besonders viel Menschen,  die ihre
geistige Überlegenheit nicht besser beweisen zu
können glauben, als dadurch, daß sie allen Scharf‐
sinn aufbieten, um nur ja in jeder Sache irgend
etwas «Bedenkliches» zu entdecken: Menschen,
die aus innerstem Bedürfen heraus jeden har‐
monischen Zusammenklang durch ihre Unkenrufe
stören.
.Was auch immer geschehen mag, ist ihnen An‐
laß, Unglück zu prophezeien; und ist wirklich
ein Unglück hereingebrochen, dann können sie
sich nicht genug tun, um ihren Nebenmenschen
auch «recht klar» zu machen, wie entsetzlich das
Unheil sei, das sie betroffen hat. Richtig wütend
aber werden solche Unglücksmenschen, wenn sie
einem begegnen, der gar im Unglück noch der
Hoffnung das Wort spricht, einem, der Gutes aus
Bösem keimen sieht, wie die Lotosblüte aus dem
11 Nachlese
Schlamme uralter Teiche; und wenn sie dem Spre‐
cher dann ihre volle Verachtung entgegenschleu‐
dern, lautet ihr letztes Wort unfehlbar dahin aus:
er sei ein «Optimist» und nicht «ernst» zu
nehmen.
.Ach, daß wir doch nur recht viel solcher «Opti‐
misten» hätten! Sie fehlen unter uns, gerade in
einer Zeit, in der wir sie so bitter nötig brauchen
könnten.
.Die traurigen «ernsten» Leute, die nicht trübe
genug in die Zukunft blicken können, ahnen ja
nicht im Traume, daß gerade sie es sind, die immer
aufs neue Sand in das Räderwerk der Maschine
streuen, dorthin, wo wir nichts anderes brauchen
können, als das wohltuend glättende Öl optimi
stischen Denkens.
.Es liegt eine seltsame Kraft in dem geheimnis‐
vollen Vorgang, den wir «Denken» nennen; und
nur die allerwenigsten Menschen sind geneigt, auch
nur das Vorhandensein dieser Kraft als möglich
anzunehmen. Die Natur läßt aber ihrer nicht spot‐
ten; und ihre Kräfte wissen zu wirken, einerlei,
ob der Mensch in stolzer Selbstgefälligkeit dieses
12 Nachlese
Wirken als «naturgesetzlich» begründet anerkennt,
oder ob er es mit gleicher Selbstgefälligkeit noch
leugnet, bis er einmal dran glauben muß. Schon
daß aller Tat das «Denken» als Vorspann dient,
sollte ‒ «zu denken» geben. Aber hier ist nicht
nur vom Denken als Voraussetzung für jedes Tun
die Rede, sondern ‒ ich möchte hier das Den
ken selbst als Tat gewertet sehen.
.Der Mensch ist mehr als er ahnt: ein Produkt
dieser Tat, ein Produkt seines eigenen Denkens.
Mehr als er ahnt, ist er aber auch im Banne der
Gedanken seiner Nebenmenschen, mag er nun
willig oder wider seinen Willen diesem unsicht‐
baren Antrieb folgen.
.Wer hat es noch nicht erlebt, daß er in nieder‐
gedrückter Stimmung plötzlich in die Gesellschaft
heiterer, hoffnungsfroher Menschen geriet und von
ihnen derart mitgerissen wurde, daß er schließlich
allen eigenen Kummer vergaß?
.Wer ist noch niemals in heiterster Stimmung in
einen Kreis Bedrückter und Hoffnungsloser ge‐
raten und ging von ihnen schließlich weg mit be‐
drücktem Mut, und aller seiner vorherigen Spann‐
kraft wenigstens für Stunden hin verlustig?
13 Nachlese
.Es ist aber gar nicht nötig, daß Menschen ihre
Gedanken aussprechen. Es genügt, besonders
für sensible Naturen, längere Zeit in der Gesell‐
schaft irgendwelcher Menschen zu sein, um von
ihren Gedanken beeinflußt zu werden. Unmerklich
stecken Gedanken an, und man bringt die «An‐
steckung» mit nach Hause wie einen Schnupfen
aus der Straßenbahn.
.In neuerer Zeit gibt es eine bereits gewaltig an‐
gewachsene Literatur amerikanischer «Erfolgs‐
Mystiker», die mit mehr oder weniger Moralität,
mit mehr oder weniger ethischem Pathos, ihre
Lehren vorträgt, deren oberstes Axiom heißt:
«Gedanken sind Dinge!» Nein, Gedanken sind un‐
endlich viel wichtiger als «Dinge», sind leben
dige Kräfte und wirken dem Impuls gemäß,
der sie formte; denn all unser Denken ist ja nichts
anderes als ein Formen. Wir schaffen keine Ge‐
danken aus dem Nichts, sondern wir formen
nur, mittels des Gehirns, gewisse fluidische und von
einem Menschen auf den andern übertragbare
Kräfte des spirituellen Ozeans, in dem wir leben
und eingeschlossen sind, wie die Fische im Meer.
.Aller geheimnisvolle «Einfluß», den gewisse
Menschen auf ihre Umgebung auszuüben fähig
14 Nachlese
sind, erklärt sich daraus, daß diese Menschen be‐
sonders begabte Former der Gedanken
kraft sind, daß sie ihre Gedankenformen mit
einem weit stärkeren Impuls zu laden vermögen,
als die übrigen Menschen um sie her. Gerate in
die Nähe eines solchen Gedanken-Formers: und
du wirst, wenn er ein Mensch des geruhigen Lebens
ist, unwillkürlich selbst ruhig werden, wie groß
auch die Unruhe war, die dich vorher bewegte.
Umgekehrt, wirst du, ohne es zu wollen, in eine
nervöse Hast und Unruhe geraten, wenn dieser
Former, dem du begegnest, ein Mensch der Hast
und steten Unrast ist. ‒
.Wie können wir nun diese Kräfte, die uns Ur‐
natur in unsere Hand gegeben hat, für uns und
unsere Umwelt nutzbar machen?
.Die Frage fand schon ihre Antwort in dem, was
ich vorher sagte.
.Indem wir mutig und vertrauensvoll zu ‒
denken suchen. Indem wir bestrebt sind, uns
zu hoffnungssicherer Heiterkeit in unserem Den‐
ken ‒ wenn es sein muß ‒ zu zwingen. In‐
dem wir jeden Gedanken von uns scheuchen, der
15 Nachlese
uns sagen will, unsere Hoffnung sei eitel Torheit,
sei durch reale Gegebenheiten schon als Hirn‐
gespinst gebrandmarkt und verdammt. «Es ist der
Geist, der sich den Körper baut» ‒ und es ist
der Gedanke, der unser Wollen und Vollbrin‐
gen schafft!
.Wollte ich dies «erklären», dann müßte ich
tiefste Weisheit der Veden sorgsam zu enthüllen
suchen, doch hier ist dazu nicht der Raum ge‐
geben. Es ist auch nicht nötig: denn die heiligen
Bücher der Christenheit wissen in anderer
Form auf jeder Seite von der gleichen Wahr‐
heit zu erzählen; und wer in ihnen suchen will,
der wird für meine Worte hundertfache Belege
finden.
.In einer Zeit, die alle Früchte irren Denkens
reifen läßt, mag man mir wohl verstatten, auch die
Heilungskraft des rechten Denkens aufzu‐
zeigen. Es wird nichts gewonnen mit Trübsalblasen
und öder Hoffnungslosigkeit! Wer nur die Nacht
betrachtet, die über uns hereingebrochen ist, ver‐
sinkt in Schlaf und Traum... Wir müssen alles tun,
uns wach und wacher zu erhalten, wenn wir
einen neuen Tag erleben wollen.
16 Nachlese
POLITIK ALS KUNST
WER den politischen Tageskampf betrachtet,
der vermißt am allermeisten die Rhythmik
dieses Kampfes. Statt dem Willen zur Einordnung
in das allgemeine Ganze, statt dem Willen zur
Selbstbehauptung innerhalb der gegebenen Gren‐
zen, findet er allenthalben nur den Willen, den
Gegner aus dem Wege zu räumen. Betrachtet man
aber Politik als die Kunst der Gestaltung eines
lebendigen Gesellschaftsorganismus, dann ist jeder
«Gegner» eigentlich nur ein Gegenspieler, der
ebenso wie sein Partner daran beteiligt ist, das
Kräftegewoge des Ganzen lebendig zu erhalten.
Ich glaube, von allen Parteien und in allen Staats‐
gebilden sind in dieser Hinsicht stets die folgen‐
schwersten Fehler begangen worden, am wenigsten
noch vielleicht in England, dessen parlamentari‐
sches Gefüge stets vor Katastrophen gesicherter
war, weil es ‒ weniger «Kitsch» ist als ander‐
wärts: weil es künstlerischer organisiert ist.
17 Nachlese
.Wenn «politisch Lied» wirklich so ein «garstig
Lied» geworden ist, dann dürfte das nicht zum
kleinsten Teil daran seine Ursache haben, daß man
in der Kunst der Politik unfruchtbare, mecha‐
nisch wirkende Gepflogenheiten an Stelle des
Gehorsams gegen die ewigen Gesetze alles harmo‐
nischen Gestaltens setzte.
.Ursprünglichkeit ist erstes Erfordernis in jeder
Kunst, und auch die Kunst, die aus der unge‐
ordneten «Masse» die «Gesellschaft» bilden will,
kann ihrer nicht entraten. Wo aber findet man im
Leben der Parteien noch Ursprünglichkeit?? All‐
überall trat an ihre Stelle das «Parteiprogramm»
als künstlich kombinierter Ersatz. Man weiß im
voraus, was man sagen wird, was man sagen darf
und was man sagen kann, bevor der Gegenspieler
noch das erste Wort gesprochen hat. Und regt sich
wirklich einmal, gegen alle harte Zucht parteiischer
Gebundenheit, in der Debatte doch der unter‐
drückte Trieb der Urnatur, dann darf der Mann
der Politik gewärtig sein, daß er aus eigener
Gefolgschaft ätzende Kritik erhält. Wie aber soll
bei einer solchen Mechanisierung der gestaltenden
Kräfte jemals Leben in die Gestaltung über‐
strömen?! Wie soll man jemals zum Gefüge kom‐
18 Nachlese
men, wenn sich die Teile stets in sich allein zu
runden streben und niemals willens sind, die Gren‐
zen flüssig zu erhalten, so daß sie bei gegebener
Gelegenheit sich ineinanderfügen könnten?! Wie
soll das Ganze in organischer Gestaltung keimen,
wachsen, blühen und zum Früchtetragen kommen,
wenn die Kanäle seiner Lebenskraft sich niemals
aneinanderschließen?!
.Die menschliche «Gesellschaft» ist nur möglich
als ein Organismus gleich dem Körper eines Men‐
schen. Gleich wie der Menschenkörper nur ge‐
deihen kann, wenn stetig Blut zum Herzen fließt
und sich von ihm entfernt, so kann auch der Gesell‐
schaftsorganismus nur gedeihen, wenn zentripetale
und zentrifugale Kräfte sich in einem Kreislauf
zu erneuern streben. Kein Punkt dieses Kreislaufs
ist zu missen. Sobald man einen Teil daraus ent‐
fernen will, muß das organische Leben des Ganzen
der Vernichtung entgegengehen. In diesem Sinne
betrachtet, sind alle politischen Parteien einer Zeit
stets aufeinander angewiesen. Wer sie immer wei‐
ter zu trennen sucht, weiter als es sein müßte, treibt
frevelhaftes Spiel.
.Wir sind zu sehr gewohnt, den analytischen Pro‐
zeß des Denkens auch im Leben anzuwenden, und
19 Nachlese
so zersplittern wir das Leben, statt es zu erweitern.
Ich bin aber der felsenfesten Überzeugung, daß
wir niemals zur «Gesundung» kommen können,
bevor nicht das Bestreben zur Synthese an die
Stelle analytischer Praxis tritt, im Leben der Par‐
teien. Es ist durchaus nicht nötig, daß deshalb die
einzelne Partei ihren klar umrissenen Charakter
etwa verliert!
.Nur so kann Politik zur Kunst der Gesellschafts
bildung werden; und nur als Kunst betrachtet, die
das edelste Gebilde zu gestalten hat, kann sie die
Menschen derart ineinanderfügen, daß alle sich
zu einem krafterfüllten Ganzen «formen».
20 Nachlese
MAGIE DER ZEICHEN
WIE ist doch der heutigen Welt so gar vieles
wieder dicht verschleiert worden, was einst
den Menschen früherer Tage offenbar war! ‒
.Wie vieles gilt heute nur noch als «leerer For
melkram», was ehedem hehres Mittel magischen
Wirkens bildete!
.Wahrlich, die wenigen sind zu zählen, die da
heute auch nur ahnen, welche magische Macht dem
Menschen gegeben ist! ‒ ‒ In mancherlei Weise
wußten die Alten solche Macht zu nützen.
.Wohl waren auch sie gewiß nicht von allem
Aberglauben frei, allein ihr Aberglaube rankte
sich nur um ein Wissen, das der Nachwelt wie‐
der verloren ging und das die Späteren nun allzu‐
klug als «Aberglaube» entwerten möchten.
.Hier gilt es sorglichst zu sondern, will man der
Wahrheit nahekommen!
21 Nachlese
ES sei hier die Rede von der Magie der Zei
chen, deren die Alten ebenso kundig waren, wie
die Menschen dieser Tage die Kraft des Blitzes zu
nützen wissen.
.So sehr ist jenes Wissen der Alten gelästert wor‐
den, daß man Gefahr läuft, in den Verdacht der
kritiklosen Schwärmerei zu geraten, redet man von
diesen Dingen, ohne sie dem Aberglauben zuzu‐
rechnen! ‒
.Und doch ist hier vieles verborgen, das einst wie‐
der offenbar werden wird, so sehr man auch heute
derlei mißachten mag! Vergessenes Wissen wurde
noch immer verlacht!...
.Wer aber ‒ außer den wenigen, die hier kaum
zählen ‒ weiß heute noch davon, daß gewisse
geschriebene, graphisch gestaltete oder auch pla‐
stische Zeichen magische Kräfte in Wirksam‐
keit setzen können, sobald sie «geladen» wurden
mit Impulsen, die solche Kräfte zu ent
fesseln vermögen!? ‒
.Doch nicht nur Zeichen, die aus irgend
einem Material der Kundige zu formen weiß,
üben solche Wirkung aus.
22 Nachlese
.Der eigene Körper des Menschen kann durch
bewußte, entsprechende Haltung zu einem magi‐
schen Zeichen werden: ‒ die Gebärde kann
solcher Zeichen Formung sein. ‒ ‒
.Während jedoch das aus fremdem Stoffe ge‐
formte magische Zeichen stets in seiner Starre bei
einmal gegebener Wirkung verharrt, verbindet sich
den Zeichen, die der menschliche Körper formt,
zugleich die Bewegung, ja es ist möglich, ein
Zeichen in ein anderes kontinuierlich überzuleiten
und so die Wirkungsweise mannigfach zu vari‐
ieren. ‒
.Zugleich aber wird alle Wirkung ganz erheblich
gesteigert durch des Wirkenden Konzen
tration auf die geforderte Haltung.
.Nicht unwillkürlich darf sich Bewegung
an Bewegung, Zeichen an Zeichen reihen!
.Nicht Neigung persönlicher Gefühle
darf die Gebärde bestimmen!
.In wohlgeordnetem Rhythmus, bedingt durch
eherne Gesetze jener Sphäre, von der aus die Wir‐
23 Nachlese
kung erfolgen soll, muß alle Darstellung magischer
Zeichen durch den Körper, wie ihre Überleitung
erfolgen, sollen die unsichtbaren Kräfte tatsäch‐
lichen Anstoß erhalten.
.So wie ein chemisches Präparat nur dann in ge‐
wünschter Weise herzustellen ist, wenn jede Be‐
dingung, die gefordert wird, durch physikalische
Gesetze peinlichste Erfüllung findet, so kommt
auch magische Wirkung nur zustande, wenn
der Wirkende sich streng an die Erfordernisse
seines Wirkens hält, möge er nun die magischen
Zeichen aus starren Stoffen, oder durch seines
eigenen Körpers Gebärde und Bewegung for‐
men. ‒
Die Weisen der alten Religionen kannten sehr
genau die Gesetze magischen Wirkens.
.Sie wußten, weshalb sie ihre Liturgien an be‐
stimmte Formen knüpften, die strenge eingehalten
werden mußten.
.Hier ist die Kraft verborgen, die selbst Reste
jener alten Kulte heute noch im Dasein hält. ‒
24 Nachlese
.Alle Kultgebärde, alle hieratische Haltung bei
der Ausübung der Riten ist nichts anderes als
Zeichenmagie! ‒
.Die Wirkung erfolgt auch dann noch, wenn
die Wirkenden längst nicht mehr wissen,
was sie tun, solange sie durch alte Vorschrift sich
davor bewahren lassen, die Gesetze zu mißachten,
die allhier in Frage kommen. ‒
.Die Deutung, die man solchem Tun zu geben
sucht, mag sich im Lauf der Zeiten oft genug ge‐
wandelt haben, allein die Wirkung bleibt und
ist von jeder Deutung unabhängig. ‒
.Gar manche kultische Gebärde, die man heute
nur symbolisch deuten möchte, stellt ein
magisches Zeichen dar von wohlerprobter
Wirksamkeit. ‒
.So ist es denn auch töricht, Liturgien neu zu
formen, die durch symbolische Geste die
Magie der Zeichen ersetzen möchten.
.Die alten Liturgien hatten sehr erheblich an
deres zu geben, und es wird noch jetzt ver‐
mittelt, soweit sie in Fragmenten noch erhalten
sind. ‒ ‒
25 Nachlese
Weit mehr, als alles ausmacht, was sich heute noch
erhalten hat an magischen Zeichen, die der Wir‐
kende durch die Gebärde formt, ist aus der Vor‐
zeit überkommen in Gestalt der starren Zeichen,
die man graphisch, in der Farbe oder
plastisch formte.
.Auch hier zeigt sich gar deutlich jenes Wissen,
das die Weisen alter Religionen einst ihr eigen
nannten.
.Die Deutung, die den Zeichen dieser Art je‐
weils aus Glaubenslehren wurde, führt hier
freilich in die Irre. ‒
.Nicht was sie «bedeuten» sollten, ist hier zu er‐
fragen, sondern was sie ‒ wirkten...
.Nur eigenes Erfühlen dieser Wirkung
kann hier zur Erkenntnis führen, denn noch ist
diese Wirkung nicht erloschen.
.Soweit die Darstellung der menschlichen
Gestalt im Kunstwerk hier beachtet werden
muß, kommt auch die Zeichenbildung durch
Gebärde sehr wichtig in Betracht.
26 Nachlese
.Die religiöse Kunst des Altertums
bleibt ohne diesen Schlüssel uner
schlossen.
.Was aber, außer solcher Darstellung des Men‐
schen, noch an Formen, die einst alten Liturgien
dienten, uns erhalten ist, wird wiederum so man‐
ches Werk sakraler Kunst entschleiern helfen, das
der Magie der Zeichen einst sein Dasein
dankte. ‒
Es sollen diese Darlegungen nur den Blick auf die
erwähnten Dinge lenken und Ehrfurcht lehren
vor der Weisheit jener Alten, die weit weniger
dem Aberglauben ausgeliefert waren, als das heu‐
tige Geschlecht vermuten möchte.
.Die Zeichen magischen Charakters, die sich heute
noch in alten Tempeln, Kirchen und Museen fin‐
den, sollen hier wahrlich nicht etwa «gedeutet»
werden!
.Wer sie gedeutet wissen möchte, zeigt da‐
mit, daß er sie für Symbole hält, und weiß noch
nicht, daß sie nur im Erleben sich enthüllen,
27 Nachlese
durch die Wirkung auf die Seele, die auch
heute noch von ihnen ausgeht, gibt man sich
dieser Wirkung willig hin und läßt die Glaubens‐
lehren ruhig unbeachtet, die sich seit alter
Zeit schon um ihr Dasein ranken.
.Wer nur ein weniges von dem erlebt, was
hier erlebbar ist, der wird durch die Erfahrung
in sich selbst verlernen, lächelnd nur und
überheblich auf das Wissen jener Alten tief herab‐
zusehen, das sie Magie benannten. ‒
28 Nachlese
FEILSPÄNE
IST dir eine Pforte verschlossen, so darfst du noch
lange nicht glauben, es sei niemand im Hause!
Durch Brillen muß man sehen, auf Stühle sich
setzen, wenn man ihre Güte prüfen will, ‒ aber
man darf es nicht umgekehrt machen wollen...
Wenn Rauch aus dem Schornstein steigt, so
schließe nicht immer daraus, daß man im Hause
Kuchen backe!
Aus mancher Tasche klingt es wie Klang harter
Taler; dreht man sie aber um, so fallen nur
Schlüssel heraus...
Bäume, die sich im Sturme biegen, können sehr
gerade gewachsen sein.
29 Nachlese
PRO DOMO!
DROHENDE Wetterwolken umragen hochauf‐
geschichtet allenthalben das Leben der Völker
in diesen Tagen.
.Erhebliche Fragen harren der Antwort, die be‐
stimmend sein wird, weit über unsere Zeit hinaus,
lebenformend für kommende Generationen.
.Wahrlich: das äußere Leben scheint nicht mehr
Zeit zu lassen zu stiller Einkehr und Versenkung!
.Allzusehr lasten die Nöte des Tages auf diesem
Geschlecht. Und dennoch reichen die Lasten des
materiellen Lebens keineswegs aus, die Seelen die
innere Not vergessen zu lassen, die weit herbere
Qual verursacht als alle irdische Daseinssorge. ‒
.Oft scheint man zu fühlen, daß hier Wechsel
wirkung besteht, so daß die äußere Not
30 Nachlese
längst behoben wäre, wüßte man sich der
inneren endlich zu erwehren... Wohl denen,
die noch in alten, engen Gehegen sich geborgen
fühlen, ausreichend getröstet durch ihrer Seelen‐
hirten tröstendes Wort!
.Unzählige aber sind Pferch und Hirtenhut ent‐
ronnen.
.Es trieb sie hinaus auf freie Weide und jeder
suchte eine Tränke die ihm kein anderer trüben
könne.
.Wie sehr sie alle noch der Hürde bedurften,
wußten sie nicht. ‒
.Man sucht in tollem Taumel zu vergessen, was
man nicht vergessen kann, um stets aufs neue,
wenn auch nur für Augenblicke aus dem Rausch
erwacht, zu fühlen, daß die Sehnsucht nach Er‐
lösung aus der Seele irrer Angst sich nicht ersticken
läßt.
.Daß man sich selber helfen könne, ahnt man
nicht. ‒
31 Nachlese
.So sucht man, einstmals seiner wilden Freiheit
allzufroh, nun allenthalben wieder nach einer
sicheren Hut, nach Führung und Geleit.
.Weit mächtiger, als sich so mancher Prediger
vor leeren Bänken träumen läßt, ist heute ein
heißes Verlangen nach dem Seel-Sorger in
den Seelen! ‒
.Wenn irgend einem Menschen unserer Tage sich
die Not der Seelen bis in ihre dichteste Verborgen‐
heit enthüllte, so wurde dies mir durch mein
Schicksal bestimmt, die Lehre verkünden zu müs‐
sen, die allein solche Not aus dieser Welt schaffen
kann!
.Unsagbares seelisches Elend wurde
mir vertraut und ich lernte wahrhaftig durch die
Erfahrung, daß es kein größeres Glück auf Erden
gibt, als anderen helfen zu können...
.Nichts anderes möchte ich lieber tun, als Tag
und Nacht allen denen persönlich Hilfe brin‐
gen, die ihrer bedürfen!
.Kein irdischer Lebensberuf erscheint mir be‐
neidenswerter, als der des Sorgers um das Heil der
Seelen; und wie der Seelensorger denen fehlt,
32 Nachlese
die ihn nicht mehr in einer Religions
gemeinde suchen können, da ihre Seele Zwang
und Nötigung in Glaubensdingen nicht erträgt, das
wurde mir in jahrelanger Hilfsbereitschaft Tag für
Tag bestätigt.
.Aber jeglichem menschlichen Wirken sind be
stimmte Grenzen gezogen, soll es sich nicht
im Uferlosen verlieren, und so sah auch ich mich
denn gezwungen, von aller persönlichen
Hilfeleistung abzustehen, um weiter auf jene
Weise helfen zu können, die mir allein obliegt.
.Mehr als alle, deren Briefe ich nicht mehr
beantworten, deren Besuche ich nicht mehr an‐
nehmen kann, leide ich selbst darunter, daß ich
durch Pflicht und selbstauferlegten Gehorsam gei‐
stig hoher Weisung gegenüber, in harter Zwangs
lage bin, mich auf Anderes konzentrieren zu
müssen und den Wünschen nicht willfahren
darf, die mein persönliches Eingehen auf die
Not des Einzelnen noch täglich von mir for‐
dern. ‒ ‒ ‒
.Was mir zu geben obliegt, ist freilich trotz
dem jedem Einzelnen gegeben, ‒ nur möge er
33 Nachlese
sich genügen lassen an der Form in der ich es
geben muß, ‒ durch den Buchdruck allen zu‐
gänglich, ‒ nicht anders als wenn es für einen
Einzelnen allein geschrieben wäre!
.Mit gutem Willen und einiger Selbstversenkung
ist es wahrlich jedem Einzelnen möglich, aus dem
was ich der Welt gegeben habe, die Folgerungen
zu ziehen, die seinen Einzelfall jeweils klären,
und ihn zur Selbsthilfe leiten.
.Und bleibt er nicht nur «Leser» dieser Bü‐
cher, sondern sucht sein ganzes Leben den in
ihnen aufgestellten Maximen anzupassen, dann
wird er erst recht persönlicher Nachhilfe nicht
mehr bedürfen. ‒ ‒
.Es wird in unseren Tagen viel zu viel Wert auf
«persönlichen Einfluß» gelegt und das
«gesprochene Wort» wird weit überwertet.
.Man übersieht geflissentlich, daß durch das Ohr
vernommene Rede und der persönliche Einfluß
zugleich Verführungsmittel sind, die ihrer‐
seits gar oft auch dann bestimmen können,
wenn das Mitgeteilte allein keineswegs genügt
haben würde, Zustimmung zu erwirken. ‒
34 Nachlese
.Weder meine eigene Neigung noch irgend eine
verstandesmäßige Erwägung haben mich veran‐
laßt, den Buchdruck als das Verbreitungs‐
mittel der Lehre zu wählen, die ich zu verkünden
habe.
.Ich gehorche auch hier nur einer geistigen Wei‐
sung die für mich verpflichtend ist und weiß
die hohe Weisheit voll Ehrfurcht zu würdigen,
die mir in dieser Weisung kund ward...
.Sollen wahre Seel-Sorger kommen um
das, was mir zu geben obliegt, persönlich und
durch das gesprochene Wort gleichsam in
kleiner Münze weiterzugeben, so werden sie er‐
stehen ohne mein Zutun.
.Noch aber sehe ich im Ratschluß der geistigen
Welt solchen Plan nicht erwogen, und warne
jeden, etwa einer Stimme zu vertrauen, die ihm
zuraunen möchte, er sei für solches Seelsorgeramt
berufen!
.Die wirklich Berufenen, wenn sie einst
gesandt werden sollten, werden weise, im
ganzen Ausmaß des Wissens ihrer Zeit
erfahrene Männer und Frauen sein, die selbst
35 Nachlese
das Leben in allen Verflechtungen
kennenlernten, und denen kein Irrweg un
bekannt sein wird, dem jemals die Seele bei
ihrem Suchen nach dem höchsten Lebensziele Ver‐
trauen schenkte um an seinem Ende sich enttäuscht
in einer Wüste zu finden. ‒
.Es werden Menschen sein, die selbst die
letzte Gewißheit erlangten, an Hand der
Lehre die ich zu verkünden habe, und ihre Wei‐
sung werden sie von gleicher Stelle empfangen,
von der die durch mich nur verkündete Lehre
ihren Ausgang nimmt! ‒ ‒
.Doch, wenn ich auch wahrlich mit aller Be‐
stimmtheit solcher «Seel-Sorger» Art bezeichnen
kann, so ist es mir dennoch versagt, zu bestimmen,
daß sie erscheinen möchten.
.Ich kann zur Zeit nur auf die Bücher verwei‐
sen, in denen ich alles niederlegte, was gegeben
werden soll, und deren Zahl ich noch vermehren
muß, ‒ nicht um etwas Unerwähntes noch
zu sagen, sondern um die Lehre so vollkommen
wie nur irgend möglich, von allen Seiten
her zu beleuchten.
36 Nachlese
.Es ist zwar gesagt worden: «Wer dem Altare
dient, soll auch vom Altare essen», aber
wer etwa wähnen sollte, ich hätte meinen Lebens‐
unterhalt aus diesen Büchern, der wäre wahrlich
übel beraten und meine Verleger könnten ihn eines
Besseren belehren!
.Nur zu gerne möchte ich es ermöglichen können,
daß jeder, dem es schwer fällt, auch nur das
Wenige aufzubringen, was zum Erwerb der Bücher
nötig ist, sie umsonst erhalten würde.
.Da ich aber selbst der Sorge um des Lebens Not‐
durft keineswegs enthoben bin, kann ich mir eben‐
sowenig diesen Wunsch erfüllen, wie den, alle an‐
deren Menschen solcher Sorge zu entheben.
.Man hat in früheren Zeiten wahrlich oft mehr
geopfert um seiner Seele willen! ‒
.Hier aber handelt es sich um eine Lehre, die
wahrhaft Erlösung bringt, und jedes dieser
Bücher wurde einzig und allein aus der Pflicht her‐
aus niedergeschrieben, die Lehre des Lich
tes, die Kunde von der geistigen Wirklich
keit, allen Suchenden nahezubringen.
37 Nachlese
.Darüber hinaus aber lasten wahrlich noch an
dere Pflichten auf mir, ‒ solche geistiger,
und solche irdischer Art, ‒ deren jede genü‐
gen könnte, die Kraft eines Menschen allein zu
absorbieren. ‒
.Die mir im äußeren Leben nahestehen, wissen
darum und sind bemüht, soweit es ihnen möglich
ist, mir meine Bürde zu erleichtern.
.Ich darf aber wohl auch erwarten, daß die Leser
meiner Schriften, denen ich nur geistig nahe‐
kommen kann, einiges Verständnis dafür haben
werden, daß alle Menschenkraft ihre Grenzen fin‐
det, und daß ein Mensch der ihnen alles was er zu
geben hat, durch das gedruckte Wort er
reichbar macht, nicht überdies noch jedem
Einzelnen persönlich zur Verfügung stehen
kann! ‒
.Daß ich aber Mensch bin, und in allen Din‐
gen irdischen Lebens anderen Menschen
gleich, könnte aus allen meinen Schriften wahr‐
haftig auch jenen klar geworden sein, die da,
verwirrt durch phantastische okkultistische Bücher,
nur allzu geneigt sind, in einem Menschen meiner
38 Nachlese
Art einen mysteriösen Zauberer zu sehen,
dem es ein Leichtes sein müsse, alles Geschehen
nach seinem Wohlgefallen zu lenken.
.Wer da von mir erwartet, daß ich, als ein rech‐
ter Wundermann, im Handumdrehen alle Folgen
seines törichten, verkehrten Strebens aus der Welt
zu schaffen wüßte, ‒ der erwartet zu viel von
mir und darf sich nicht wundern, wenn die Wirk‐
lichkeit ihn ernüchtern muß. ‒
.In etwas abgeschwächter Form hegen aber Alle
solche Erwartung, die sich in ihren besonderen
Seelennöten an mich wenden, oder gar erhoffen,
eine persönliche Begegnung mit mir müsse alle
Nebel ihres Inneren zerreißen und sie mit einem
Schlage zu «Wissenden» werden lassen. ‒
.Wer immer mir persönlich begegnet ist, der wird
bezeugen können, daß keiner derer, die geheimnis‐
volle Schauer um mich her erwarten, auf seine
Rechnung käme...
.Ich halte es vielmehr für meine Pflicht, auch
den leisesten Anschein zu vermeiden, der so
gedeutet werden könnte, als benötige wirkliche
geistige Würde irgend einer irdischen Drapierung.
39 Nachlese
.So mag sich denn mancher getrösten, der meine
persönliche Nähe nur suchte, weil er in mir einen
Menschen zu finden glaubte, der verlernt hätte:
Mensch zu sein!
.Ich würde unwahr, wollte ich nicht verstehen,
daß man die Menschen beneidet, die mir auch in
meinem äußeren Leben nahestehen, ‒ die mir
als persönliche Freunde teuer sind.
.Aber mag auch alles Schicksal das mein Erden‐
leben formt, die Elemente irdischen, alltäglichsten
Geschehens in sich bergen, so wird man doch dem,
was man «Zufall» nennt, in meinem ganzen
Dasein, von Geburt an bis zu meinem Tode hier
auf Erden nicht begegnen.
.Nichts war hier Willkür überlassen,
nichts wird jemals nur durch meine Wünsche
zu bestimmen sein. ‒
.So aber konnte ich auch nicht bestimmen, wer
mir Freund werden sollte und wer nicht, und wo
ich es in früheren Tagen, meiner Menschenliebe
nicht genugsam Herr, doch zu bestimmen suchte,
dort ward mir in der Folge nur zu klar gezeigt, daß
40 Nachlese
ich vermessentlich in den Bereich der Regionen
die mich geistig tragen, eingegriffen hatte...
.Wie weit aber auch der Kreis derer, die mir
persönlich nahestehen, sich erweitern las‐
sen möchte: ‒ niemals könnte er alle um‐
fassen, die meine Bücher lesen und durch
sie erfahren von der Lehre die ich zu künden kam.
.Sie alle aber ‒ soweit sie wirklich nach der
Lehre leben ‒ bilden eine geschlossene Kette,
deren sämtliche Glieder mir in gleicher Weise nahe‐
stehen, mögen sie mir nun persönlich bekannt
sein oder nicht. ‒ ‒
.Jeder, der neu hinzukommt, schmiedet sich
selbst dieser Kette ein und wird von dem
Kraftstrom durchdrungen, der durch die ge‐
schlossene Kette fließt...
.Diesen allen aber gehört das Werk meines
Erdenwirkens, und nicht nur ihnen allein, son‐
dern in gleicher Weise allen, die nach ihnen
kommen! ‒ ‒
41 Nachlese
DANK
ES sind mir zu meinem fünfzigsten Geburtstag
(25. Nov. 1926) fast unzählige Glück‐
wunschbriefe und Telegramme ins Haus geflogen,
so daß meine anfängliche Absicht, jedem einzelnen
Gratulanten persönlich zu danken, sich leider als
unausführbar erweist, und ich mich in der
Zwangslage sehe, wenigstens von den Lesern dieser
Zeitschrift («Die Säule») die Erleichterung erbit‐
ten zu müssen, daß sie mir gütig erlauben, ihnen
auf diese Weise von Herzen Dank zu sagen. ‒
.Wenn auch der so überreich gefeierte, mit Blu‐
mengrüßen und Geschenken bedachte Tag für mich
nur insofern von besonderer Bedeutung war, als
noch vor kurzer Zeit nicht allzu sicher stand, daß
ich ihn in dieser Sichtbarkeit erleben würde, so
waren mir doch diese unerwartet zahlreichen Zei‐
chen der Liebe und Verehrung, die mir aus aller
Welt zugesandt wurden, Anlaß gerührter Freude
42 Nachlese
und Dankbarkeit genug, um ihn in frohem Fest‐
empfinden und mit heißen Segenswünschen für
Alle, die mich liebend zu ehren suchten, als rech‐
ten «Feiertag» zu begehen. ‒ ‒
.Freilich nehme ich die mir entgegengebrachte
Liebe und Ehrung auch gewiß nicht für mich
persönlich in Anspruch, sondern sehe in dem
allen nur die freudige Dankbarkeit der Seelen, die
an Hand der durch meine Bücher der Welt wieder‐
geschenkten Lehren, beglückt zu sich selber fan‐
den, und in sich selbst zu ihrem lebendigen
Gott.
.Daß ich noch weiterhin allen zum Lichte Stre‐
benden auf den Weg helfen darf, ist für mich das
schönste Geschenk des Himmels, denn ich weiß
nur zu gut, welche Aufgaben noch darauf warten
von mir getan zu werden...
.In Zeiten hoher religiöser Kultur ist es verhält‐
nismäßig ein Leichtes, den Weg zum Lichte zu
zeigen, da im Vorstellungsleben Aller die grund‐
legenden Voraussetzungen gegeben sind, die zu‐
nächst einmal da sein müssen, soll einige Hoffnung
bestehen daß es gelinge, die Augen der ernstlich
Suchenden zu öffnen.
43 Nachlese
.Heute aber gilt es vor allem, erst einmal diese
Voraussetzungen wieder zu schaffen und
der Weg der gezeigt werden soll, ist überdies der‐
art von dürrem und grünem Gestrüpp überwuchert,
daß es vonnöten ist, ihn erst wieder zu bahnen
und allenthalben neue Wegmarken zu setzen, da‐
mit der Suchende vor den verderblichsten Irr‐
gängen bewahrt werde. ‒
.So sehe ich denn bis heute noch kaum das
Allernötigste getan, wenn meine Lebensauf‐
gabe wirklich erfüllt werden soll, und mehr denn
je bin ich mir heute der Tatsache bewußt, daß mein
Wirken durchaus nicht außerhalb der Gesetze
steht, die jegliches menschliche Schaffen bestim‐
men, so daß auch in meinem Verkündigungswerke
ohne Zweifel die Linie einer allmählichen Entfal‐
tung einst feststellbar sein wird, sei es auch nur im
Hinblick auf die Fähigkeit, das oft fast Unsagbare
in Worten menschlicher Sprache zum Ausdruck zu
bringen...
.Aus innerster Gewißheit kann ich sagen, daß
ich wohl auch nach weiteren fünfzig Jahren, wenn
solches im Bereich der mir bestimmten irdischen
Lebensbahn gegeben wäre, mich noch in gleicher
44 Nachlese
Weise erst am Beginn meines Wirkens fühlen
würde, denn keine Kunst der Sprache ist jemals
vollendet genug, um dessen wahrhaft würdig zu
werden, was ich meinen Mitmenschen hier auf
Erden zu Bewußtsein bringen soll! ‒ ‒
.In solcher Erkenntnis weiterwirkend, danke ich
allen die den «Weg» betreten haben, daß sie nicht
Anstoß nahmen an dem was etwa Mangel mensch‐
lichen Ausdrucksvermögens nicht zu faßlichster
Verständlichkeit kommen ließ, und sich an das
unmißdeutbar Gegebene hielten, das in
ihrem eigenen Herzen Widerhall fand, um so zur
Gewißheit auch dessen zu gelangen, was meine
Worte noch im Dunkel lassen mußten!
.Möge es mir beschieden sein, den Pfad immer
mehr erhellen zu dürfen, zum Besten derer, die ihn
bereits betreten haben, wie nicht minder aller
jener, die ihn, durch meine Worte bewegt, zu‐
künftig in sich suchen wollen! ‒
45 Nachlese
OPTIMISMUS
WER diese Überschrift liest, der wird kaum ver‐
muten, daß ich hier in allererster Linie vor
allzu überschwenglichem Optimismus warnen
will.
.Die Zeit scheint eher zu fordern, daß man un‐
bedingten Optimismus dringlichst anempfehle, da
die gegenteilige: also pessimistische Auf‐
fassung des Lebens beinahe zur Norm geworden
ist.
.Aber ich will ja auch ganz gewiß nicht als
Anwalt des Pessimismus sprechen, obwohl ich
gut begreife, daß er nicht nur den ängstlichen
Leuten, sondern sogar recht resoluten Naturen
heute beinahe als die einzige, durch den Gesamt‐
zustand einer ermüdeten und verquälten Welt auf‐
gedrungene, mögliche Gemütshaltung erscheint.
.Ich will vielmehr vor den vielen Äußerungsfor‐
men unberechtigten optimistischen Hoffens
warnen, die immer dann ihre weiteste Verbrei‐
46 Nachlese
tung erreichen, wenn sich die Bedingungen des
äußeren Lebens nicht mehr im Einklang finden
mit den persönlichen Anforderungen der Lebens‐
Erhaltung und der Freude am Dasein. ‒ ‒
.Die zuversichtliche Auffassung aller Ge‐
schehnisse, aus dem Vertrauen heraus, daß zu guter
Letzt alles Wirre sich entwirren, alles Unharmo‐
nische harmonisch ausklingen müsse, und alles
Ungute nur die Vorstufe für ein kommendes Gute
darstelle, ‒ ist gewiß von großer Bedeutung, und
ihre fördernde, steigernde Wirkung auf das Leben
läßt sich kaum hoch genug werten.
.Es darf aber nicht vergessen werden, daß ein
solcher Lebenswert nur dann vorliegt, wenn
die optimistische Auffassung des Geschehens in
sich begründet ist.
.Der Optimismus um jeden Preis, ‒ auch
wenn ein vernünftiges Abwägen der gegebenen
Umstände klar zeigt, daß die Vorbedingungen
zu einem guten Ausgang des Geschehens fehlen, ‒
ist entweder Folge bequemen Leichtsinns, oder
eines Denkfehlers.
.Manchen Menschen fehlt einfach «das Talent»
zum Optimismus, und wenn sie sich dann einmal
47 Nachlese
aufraffen, um es mit dem optimistischen Denken zu
versuchen, machen sie die Sache sicher so unge‐
schickt wie möglich und versuchen gerade dort
Zuversicht in sich zu erkrampfen, wo der geborene
Optimist ‒ recht pessimistisch urteilen würde.
.Es ist, ‒ nebenbei gesagt, ‒ ja auch zweifel‐
los viel leichter, eine pessimistische Lebens‐
auffassung zu pflegen, weil es eben leichter ist,
vorsichtig und ängstlich zu sein, als zuver
sichtlich, wagemutig und lebensver
trauend! ‒ ‒
.Richtiger Optimismus ist eine durchaus aktive
Haltung, und selbst der «geborene» Optimist (der
übrigens viel seltener ist, als gemeinhin angenom‐
men wird) kann seinen Optimismus nur erhalten
durch bestimmte, aktive Willensrichtung. Der in
sich gesunde, verantwortbare Optimismus
beruht nicht auf einer angeborenen Neigung,
oder erstrebten Hinwendung zum optimisti‐
schen Denken, sondern ruht zutiefst begründet in
erdenmenschlicher Lebenserfahrung, ‒ sei
es die eigene, die durch Andere vermittelte,
oder die an Anderen wahrnehmend erwor
bene Erfahrung.
48 Nachlese
.Es ist Erfahrungstatsache, daß die opti‐
mistische Einstellung dem uns angehenden Ge‐
schehen gegenüber, nicht nur das eigene Leben
froher und tatkräftiger erhält, sondern auch in
gutem Sinne «ansteckend» auf unsere Mit
menschen einwirkt, so daß durch vereinte, er‐
höhte Tatfreudigkeit Umwandlungen des Ge‐
schehens zu unseren Gunsten eintreten können,
die bei einer weniger vertrauenserfüllten Haltung
unmöglich gewesen wären.
.Es ist auch durchaus keine bloße Behauptung,
daß wir durch unser Denken, ‒ auch wenn es
niemals durch gesprochene oder geschriebene Mit‐
teilung weitergegeben wird, ‒ in einem verhält‐
nismäßig recht bedeutsamen Grade äußeres
Geschehen beeinflussen können, was sich
dann solcherart auswirkt, daß der pessimi
stisch Denkende ebenso das Eintreffen des von
ihm Erwarteten durch die Kraft seiner Gedanken
begünstigt, wie der Optimistische das Ein‐
treffen seiner Erwartungen.
.So gibt es zum Beispiel nur zu viele Menschen,
die sich «vom Unglück verfolgt» glauben, und
nicht ahnen, daß sie sich selbst mit Unglück
49 Nachlese
aller Art verfolgen, indem sie sich alles nur er‐
denkliche Unheil in einem fort zu-denken,
nur weil ihnen ehedem wirklich einmal ein Un‐
glück zugestoßen war, dem noch ein zweites und
drittes folgte.
.Man wird aber auch Menschen begegnen, die
durch ein paar Glücksfälle derartig glücks
gläubig wurden, daß sie sich fortan nur noch
Glückliches zu-zudenken wissen, und daher,
bestaunenswerterweise, einen «Glücksfall» nach
dem andern erleben. ‒ ‒
.Das ist alles durchaus nichts Mysteriöses, auch
wenn die Zusammenhänge solchen Geschehens
nicht für Jeden offen zu Tage liegen.
.Nur muß man sich, wenn man solche Dinge ver‐
stehen lernen will, von der landläufigen Betrach‐
tungsart freimachen, als sei dabei irgendwo Will
kür im Spiel!
.Wenn ein reifer Apfel vom Baum fällt, so sieht
das ja auch recht «willkürlich» aus, und doch hat
es seine genauen Gründe, warum sich der Stiel
gerade zu dieser Sekunde vom Zweig lösen mußte.
50 Nachlese
.Ebenso braucht das, was als Wirkung unserer
Gedanken sich ereignet, die vorherige Erfüllung
bestimmter Voraussetzungen.
.So ist denn auch optimistisches Denken
nur dann sinngerecht, wenn Vorausset
zungen gegeben sind, die zum guten Ausgang
eines Geschehens berechtigen.
.Vernünftiger Optimismus ist immer das Ergebnis
sachlich richtiger Beurteilung der je‐
weiligen Gegebenheiten und erwartet nur das
Beste, was sich auf Grund der wirklich efüll
ten Voraussetzungen ereignen kann.
.So ist der wahre Optimist zu Zeiten geradezu
gezwungen, die Dinge «pessimistisch»
beurteilen zu müssen, ‒ dann nämlich, wenn keine
erfüllten Voraussetzungen für das Zustandekom‐
men des Erfreulichen vorliegen. ‒ ‒
.Es ist eine ganz unverantwortliche Kräftever‐
geudung, seine Glaubenskräfte für die Erreichung
eines erwünschten Guten anzuschirren, zu dessen
Erlangung die Voraussetzungen fehlen.
51 Nachlese
.Optimismus, der nicht enttäuscht werden will,
muß nüchterner, unvoreingenommener Prüfung
standhalten!
.Die bloße Illusionsfähigkeit, sich jeden er‐
wünschten Zustand, jedes gute Ergebnis, jede Ziel‐
Erreichung lebhaft vorstellen zu können, be‐
rechtigt gewiß noch nicht zum Optimismus!
.Es genügt auch durchaus nicht, daß wir ein uns
wünschbares Geschehen für gut halten.
.Immer bleibt die Art der wirklich erfüll
ten Voraussetzungen dafür bestimmend, was in
gesunder optimistischer Denkweise «herangedacht»
werden darf.
.Alles Andere darf vorerst noch nicht er‐
wartet werden, und wäre es auch nicht nur ein
«wünschenswertes», sondern selbst ein
dringlich nötiges: ‒ ein heiß herbeigesehntes
notbehebendes Gutes.
.Hier muß sich aller Wille vielmehr darauf rich‐
ten, zuerst die Voraussetzungen zu schaffen,
die vernünftigem Optimismus Begründung bieten
52 Nachlese
können, das erwarten zu dürfen, was er als so
überaus not-wendig erkennt. ‒ ‒
.Man wird aber niemals erkennen lernen, wel
cher Art diese Voraussetzungen sind, solange
man immer wieder seine Kräfte an Illusionen ver‐
zettelt, die jedes, noch unermeßlich weit entfernte,
erwünschte Geschehen schon in nächster Erreich‐
barkeit zeigen.
.Ein solcher Fernrohroptimismus, wie
ich diese verfehlte optimistische Denkweise nennen
möchte, betört nur durch ein Erwarten, das sich
immer aufs neue enttäuscht finden muß, und bringt
das erwartete Gute um nichts näher. Das alles
gilt sowohl für den Einzelnen, wie auch für
Gruppen von Einzelnen, und für ganze
Völker.
.Es ist ‒ trotz allem bitterem Pessimismus ‒
keineswegs zu wenig Optimismus in der Welt, aber
leider viel zu viel falscher, weil unbe
rechtigter Optimismus, vor dem man gar nicht
eindringlich genug warnen kann!
.Dieses sehend-besorgte Warnen ist besonders am
Platz in einer Zeit, die ihre Kräfte selbst über
53 Nachlese
bürdet hat, so daß es wahrhaftig dringlichste
Pflicht ist, nicht an einer der lebensföder
lichsten Kräfte Raubbau zu treiben.
.Und eine solche Kraft ist der nüchtern-sachliche,
durch tatsächlich Gegebenes berechtigte
Optimismus!

54 Nachlese
RÉSUMÉ
(Antwort auf eine Anfrage)
ALLES, was ich je geschrieben habe, ist künst‐
lerisch getragene Gestaltung meiner lebendigen
Erfahrung. Zum größeren Teil verdanke ich
diese Erfahrung Lebensgebieten, die in Europa
keinem meiner Mitmenschen offenstehen. Aber das
ist nur als «Quellenangabe» in Betracht zu ziehen,
um den Impuls zu kennen, der mich antreibt, mich
in meinen Büchern mitzuteilen.
.«Résumé» meiner Erfahrung? ‒ Daß alles Er‐
kennen, Glauben und Hypothesensetzen wertlos
bleibt, solange es die Lebensführung nicht
bis ins kleinste bestimmt! Was nicht zur Tat,
zum Handeln und Gestalten führt, ist nur
fruchtloses Spiel mit Gedanken und Gemütsan‐
wandlungen. Alles Verschwommene, nur «Unge‐
fähre» muß man auf sich beruhen lassen, und darf
nichts mehr in sich dulden, was nicht lebens
bestimmend werden will.
55 Nachlese
.Nur in dem, was als Lebens-Äußerung von
uns Zeugnis gibt: ‒ nur in unserem Verhalten
uns selbst und der Mitwelt gegenüber ‒ können
wir uns selbst erkennen! Alles andere ist Selbst‐
betrug!
.So gewiß es in aller Ewigkeit keinen «Himmel
auf Erden» geben wird, so gewiß kann aber das
meiste Unheil, das heute noch die Menschen quält,
aus der Welt geschafft werden.
.Voraussetzung dafür ist: die immer mehr Men‐
schen erhellende Einsicht, daß nicht die zu
allem willige Vorstellungsfähigkeit die
Gemeinsamkeit, und damit uns selbst, bestimmt,
sondern nur die Tatwertigkeit eines jeden
einzelnen.
.Die Welt, die man sich selber schafft, fügt sich
nur zu gerne allen Launen ihres Schöpfers.
.Aber nur selten und nur in Seltenen entspricht
die selbstgeschaffene Welt auch wirklich
der Tatsachenwelt, die uns draußen umgibt
und unseren Wünschen ihren Willen ent‐
gegensetzt.
56 Nachlese
.Hier alle Ideologien durchschauen lernen ‒
hier seiner inneren Welt die äußere Aufgabe
setzen ‒ hier den Mitmenschen lieben lernen,
wie sich selbst: ‒ das allein führt zur Er
lösung!
57 Nachlese
DER OPPOSITIONELLE MENSCH
DIE Zeiten der Glaubenseinheit in Europa haben
den starrköpfig oppositionellen Menschen nur
als zeitweilige Ausnahme gekannt, die wohl da
und dort gelegentlich allerhand Unruhe verbrei‐
tete, aber dann immer nach kurz bemessener Aktion
wieder im Gleichklang allgemeiner Meinung ver‐
schwinden mußte.
Seit der im Herzen Europas die früheren Bin‐
dungen allgemach lockernden und lösenden Zeit
der konfessionalen Reformationen des Gemein‐
schaftsglaubens aber, ist der triebhaft in sich selbst
zu irgendwelcher Opposition gedrängte Störer sei‐
ner Zeitgemeinsamkeit zu einer sich dauernd und
zähe am Leben haltenden Spezies vervielfältigt
worden. Man kann ihr in allen Lebensgebieten be‐
gegnen. Durchaus nicht nur im religiösen, im poli‐
tischen, im wissenschaftlichen und künstlerischen,
sondern ebenso auch im rein privaten Leben.
58 Nachlese
.Und diese Spezies hat sich auch keineswegs auf
die Länder der Reformation beschränkt, sondern
sich allmählich geradezu über die ganze, in irgend
einem Grade zivilisierte Menschheit verbreitet.
.Die letzten Jahrhunderte boten solcher Ver‐
breitung allen Vorschub.
.An wie vielem Elend die Allgemeinverbreitung
dieser Spezies im Kampfe dieser Jahrhunderte
schuldig oder mitschuldig wurde, läßt sich kaum
beschreiben.
.Aber es ist charakteristisch für die der Spe‐
zies Zugehörigen, daß ihnen jegliches Schuld‐
Bewußtsein fehlt, und jede Erkenntnis
der Gefahr, sich mit Schuld zu behaften.
.Der oppositionelle Mensch glaubt durchaus nicht
verantwortungslos zu handeln. Er fühlt sich stets
nur in Ausübung seines «guten Rechtes».
.Dieser allzusicheren Haltung gegenüber ist aber
nur leider folgendes zu sagen: ‒
.Der Oppositionstrieb ist einer der gefäh
lichsten aller eigensüchtigen Triebe des
irdischen Menschen!
59 Nachlese
.Nichts unterhöhlt den Boden, auf dem die
Menschen sich selber zur Gemeinsamkeit aufer‐
bauen sollen, tiefer, weitverzweigter und verhäng‐
nisvoller, als diese Lust am steten «Nein»-sagen
um des Neinsagens willen!
.Man muß sich ganz klar darüber werden, daß
in diesem unter-tierischen, aber die höchsten
über-tierischen Kräfte lustgierig zerfressenden,
wuchersüchtigen Triebe, allem nicht selbstgesetz‐
ten Bestreben primär opponierend zu be‐
gegnen, das reale satanische Prinzip des Chaos:
‒ der Selbstzerstörungsdrang, das zu‐
Nichts-werden-wollen, sich auswirkt. ‒
.Der oppositionslüsterne Mensch wütet unbewußt
gegen sich selbst, indem er sich ins Äußere
projiziert ‒ in die Willensäußerung der Anderen,
gegen die er opponiert! Er würde sich selbst zu‐
grundeopponieren: ‒ seinem eigenen Dasein bis
zur Auflösung Widerpart halten, wenn ihm der
Selbsterhaltungstrieb seines irdischen Körpers
nicht doch noch gewachsen wäre.
.Jede andere Deutung ist Beschönigung und
bringt den Deutenden in Gefahr, sein eigenes, und
60 Nachlese
das Menschentum seines Mitmenschen unerahnt
schwer zu schädigen.
.Um diese, alles Erdenmenschliche aus dumpfen
Chaostiefen heraus bedrängende Bedrohung wuß‐
ten zu allen Zeiten die im ewigen Geiste Wissen‐
den, und darum suchten sie Schutz zu schaffen
durch priesterliche und despotische Satzung, so‐
lange ihnen äußerer Einfluß auf irdischmensch‐
liche Lebensordnung offengehalten war.
.Sehr vieles, was eine jüngere, vermeintlich
erreichbarer «grenzenloser» Freiheit süchtig ent‐
gegenfiebernde Menschheit für Ausgeburten will‐
kürlicher Herrscherlaunen hielt, war nur Schutz
verbauung gegen den Wühldrang menschheits‐
zerstörenden Verneinungstriebes, ‒ war geistig
geforderte Freiheits-Begrenzung, um dessen wil‐
len, was voreinst zur Entwicklung kommen sollte
und infolge solchen Schutzes dann auch zur Ent‐
wicklung kam.
.Auch Gegenwart und Zukunft werden auf
keinem Gebiet die geistige Gestaltung dessen,
was heutiger oder zukünftiger Zeit obliegt, er‐
stehen sehen, ohne wirklich sichernde Bändi
gung des zerstörungslüsternen Triebes zur Oppo‐
61 Nachlese
sition um des Opponierens willen, der alles Wer‐
dende unterwühlt und schon an den Wurzeln zer‐
nagt, um dem ihm hörigen Menschen die manisch
gesuchte, gehirnliche Wollust unbewußter, nach
außen gedrängter Selbstvernichtung zu verschaffen,
ohne ihn doch an Leib und Seele zu bedrohen.
.Dieser «Geist des Widerspruchs» darf aller‐
dings nicht in argwohngezüchteter Urteils-Leicht‐
fertigkeit gleich überall vermutet werden, wo viel‐
leicht nichts anderes vorliegt, als eine gewisse
Schwerblütigkeit, die nicht weiß, wie sie aus dem
Banne langgehegter Vorstellungen herauskommen
soll, und die um so heftiger sich im Widerspruch
austobt, je mehr sie sich ihrer Behinderung bewußt
ist.
.Fast jeder Mensch kennt diese Schwierigkeit des
Aufgebenmüssens liebgewordener Vorstellungen
von seiner eigenen Kinderzeit her. Es brauchte da
zuweilen unendliche Geduld von seiten der Er‐
zieher, bis der dann schon selbst fast Erwachsene
durch Selbsterziehung doch zum Herrn wurde
über die ihm angeborene scheinbare Unfähigkeit,
sich, wenn es sein müsse, einer liebgewordenen
Vorstellung entwinden zu können.
62 Nachlese
.In den jüngsten Lebensjahren tritt diese Unfähig‐
keit schon zutage im Kinde, dem die Mutter ein
gefährliches Spielzeug oder das unreife Obst fort‐
nehmen muß, wonach dann die bekannten Äuße‐
rungen kindlichen Unmuts einsetzen, die gar oft
auch die langmütigste Geduld der Erwachsenen auf
sehr harte Proben stellen.
.Später werden dann andere Bekundungen
des Unmuts laut, ‒ oft nur allzulaut in des
Wortes wörtlichster Bedeutung, ‒ wenn etwa ein
Ausflug auf den sich das Kind schon seit langem
freute, nicht ausgeführt werden kann, oder wenn
elterliches Verbot einer Freundschaft im Wege
steht, die dem Kinde glühend erwünscht erscheint,
weil es ja die ihm schädlichen daraus erwachsen‐
den Folgen noch nicht einsehen kann, ‒ und
schwerste seelische Konflikte entstehen endlich,
sobald Regungen der Liebe aufgegeben werden
sollen, weil ihr Erstarken zu nichts Gutem führen
würde.
.Alle diese Äußerungen innerer Schwierigkeit,
ein bereits die eigene Person bestimmendes Vor‐
stellungsbild plötzlich mit einem noch fremden
anderen zu vertauschen, haben nichts zu tun mit
63 Nachlese
jener Hypertrophie des Eigensinns, die den von
ihr Befallenen nicht mehr seiner selbst froh wer‐
den läßt, wenn er in der Außenwelt nichts findet,
dem er widersprechen könnte. Erst hier
haben wir den Typus des oppositionellen
Menschen vor uns: des Menschen, der sich gleich‐
sam automatisch dazu gedrängt fühlt, jeder Er‐
scheinung des Lebens, die seine Beharrungsliebe
und die Bequemlichkeit ausgeleierten Denkens
stört, ein «Nein» und seinen lauten Wider
spruch entgegenzusetzen.
.Wer kennt ihn nicht, oder wem wäre er noch
nicht begegnet?
.Wo immer individuelle Meinung anderer indi‐
viduellen Meinung sich verbinden will zu
wahrer Einung, dort tritt er bald schleichend,
bald polternd als Widersacher auf. Im Grunde
fehlt ihm jede eigene Überzeugung, auch wenn
er andere scheinbar zu überzeugen sucht. Nicht,
daß sie die von ihm jeweils verfochtene Darstel‐
lung der Dinge zu bejahen vermögen, ist ihm wich‐
tig, sondern daß sein Widerspruch Gefolg
schaft findet. Wahrheit und Trug sind ihm in
gleicher Weise willkommen, wenn sie ihm nur
64 Nachlese
Argumente gewähren für seine unermüdliche
Opposition gegen alles, was Andere schaffen.
.Er selbst aber ist der Unschöpferische:
der seelisch Sterile, mit der hämischen Freude
an Allem, was wahrhaftem Schöpferischen die Ge‐
staltung erschwert. In seiner reinsten, unbeherrsch‐
testen Darstellung ist er der Schrecken aller Pro‐
duktiven innerhalb jeglicher menschlichen Gemein‐
samkeit.
.Aber weiß sich nun jeder, dem diese ausge
prägteste Form des ewigen Krittlers und Nein‐
sagers «auf die Nerven» geht, ganz frei von eige
ner, gelegentlicher Neigung zu zersetzender Oppo‐
sition? Ist nicht gar oft vielmehr schon ein auf‐
reizendes Wort, ja ein bloßes Mißverstehen, ge‐
nügend, um aufzustacheln zu eigensinnigem Wider‐
spruch, obwohl besonnene Überlegung keineswegs
die Gründe gelten lassen könnte, auf die sich solche
versteifte Opposition zu stützen sucht?!
.Jeder Einzelne hat einige Ursache, sich zu fra‐
gen, ob er nicht seinen Oppositionstrieb zuweilen
aus der ihm angemessenen Beherrschung ent‐
läßt und dadurch Einigungen verhindert, deren das
65 Nachlese
irdische Leben auf allen Gebieten dringend
bedarf, soll das Wertvollste am Menschen in
Erscheinung treten.
.Selbst dort, wo Opposition gerechtfertigt
erscheinen könnte, wirkt sie sich nur schädi
gend aus und bringt das mögliche Gute zur
Verkümmerung, während positives, ehrliches
Mitwirken früher oder später ohne Störung
zu korrigieren vermag, was anfänglich wohl‐
berechtigten Grund zur Opposition zu bieten
schien.
.An Tausenden von Beispielen läßt sich das Un‐
heil aufzeigen, das der unbeherrschte Oppo‐
sitionstrieb in unser irdisches Dasein brachte. Laßt
uns endlich auch dafür sorgen, daß am Beispiel
zu sehen sein wird, was geeinigter menschlicher
Wille bei straffer Beherrschung dieses un‐
glückseligen Triebes vermag!
.Jeder einzelne Mensch wird diese Beherrschung
in sich «erlernen» müssen, denn viel zu sehr wurde
die vermeintliche Berechtigung, allem und
jedem eigene Opposition entgegensetzen zu
dürfen, im Lauf der letzten Jahrhunderte ver
66 Nachlese
herrlicht, als daß es äußerem Zwange noch
gelingen könnte, die zehrende Lust zu bändigen,
deren durch alle Sophismen der Beschönigung
gefesselter Sklave der oppositionelle Mensch dieser
Tage geworden ist.
67 Nachlese
JEDEM ANTWORT
Anm.: Unter Berücksichtigung der 2.Auflage von 1990. Normaler Text ist in beiden Auflagen gleich, hell unterlegter Text entspricht der erweiterten Fas‐ sung der 2.Auflage, dunkel unterlegter Text wurde in der 2.Auflage weggelassen.
NICHTS wäre mir erwünschter, als die Möglich‐
keit, jedem Einzelnen, ‒ auch jedem mir bis
dahin äußerlich noch «wildfremden» Menschen, ‒
briefliche Antwort zukommen lassen zu können
auf seinen ganz persönlichen Brief, den gerade
er mir zu schreiben hatte, angeregt durch das in
der vorigen Nummer der «Säule» erschienene
Gedicht: «Geistige Verbundenheit».
.Aber nichts ist auch ferner dem Möglichen!
.Ich gestehe jedoch, daß ich mich lieber heute als
morgen in Lebenszuständen finden möchte, die mir
ein solches persönliches Eingehen auf die inneren
Nöte des Einzelnen erlauben würden, wobei dann
allerdings ein auserwähltes und mit nichts anderem
beschäftigtes Kollegium vertrautester und erprob‐
tester Schüler mir zur Seite stehen müßte.
68 Nachlese
.Eines einzelnen Menschen irdische Kräfte kön‐
nen allenfalls dazu ausreichen, die Einzelberichte
mit allen Waagen und Gewichten abzuwägen,
um dann die rein geistige Verantwortung für
Antwort und Ratschlag zu übernehmen, ‒ unmög‐
lich aber könnte ich zugleich der Formulier
rung des zu Sagenden mich widmen, die ja doch
nicht zu umgehen ist, auch wenn selbst alle Hilfs‐
mittel zur Verfügung stehen würden, mit denen
heutigentags, beispielsweise, etwa die Direktoren
großer wirtschaftlicher Unternehmen zu arbeiten
gewohnt sind.
.So, wie die Dinge liegen, muß ich wohl oder übel
mit meiner eigenen Kraft allein auszukommen
suchen.
.In Anbetracht dessen, daß ich außer aller,
meinen Büchern anvertrauten Lehre, ganz un‐
umgänglichen, rein geistigen Verpflichtungen
nachzukommen habe, die alle psychophysischen
Kräfte bis zur Erschöpfung in Anspruch nehmen,
dürfte es leicht verständlich sein, daß mir weder
Kraft noch Zeit zu brieflicher Unterweisung
bleibt.
.Das sollte selbst denen klar werden, die immer
wieder meinen, bei ihnen handle es sich um einen
69 Nachlese
«Sonderfall» und die mitgeschickten Briefmarken
gäben ein Anrecht auf persönliche Antwort.
.(Vor zwölf Jahren schon habe ich an
gleicher Stelle bekanntgegeben, daß eingesandte
Briefmarken oder Anteilscheine von mir nur mehr
den Armen zugewandt werden... )
.Bedingungslos freuen könnte man sich an der
treuherzigen Hilfsbereitschaft, die aus allen den
Ratschlägen spricht, die irgendein Heilverfah
ren aus dem weiten, aber durchaus nicht gleich
wertigen Gebiet der «Lebensreformer»-Praxis an
preisen. Wenn man nur nicht in allen diesen Brie
fen der doch etwas gar zu naiven Ansicht begeg
nen müßte, mir seien diese Heilmethoden sicherlich
noch unbekannt.
.Ich weiß gewiß, daß die so rettungslos überzeugten
Berater und Beraterinnen, deren Briefe ich vor mir
habe, mir nur Hilfe bringen wollen, und mir das
Allerbeste, dessen sie habhaft wurden, darzubieten
glauben. Darum sei Allen von Herzen gedankt.
.Aber zeugt es nicht auch von einer doch gar zu
engen Begrenzung der Kenntnis irdisch-leiblichen
Lebens, wenn in sonst recht vernünftigen Briefen
anpreisen und in denen immer wieder als
ganz selbstverständlich vorausgesetzt wird, daß
es sich bei den mich so sehr in der Hilfelei‐
stung für Andere behindernden, und darum allein
erwähnten Leiden, doch wohl nur um Störungen
handeln könne, wie sie die täglichen Annoncen
irgendwelcher Heilmittel in das Blickfeld der Be‐
obachtung zu rücken suchen?! ‒ Weiß wirklich
die Mehrzahl der Menschen offenbar nichts von
körperlichen Qualen, die fernab von allen Funk‐
tionsstörungen ihre Ursache haben??! Hier darf
ich ruhig verraten, daß noch niemals ein Sterb‐
licher bei klarem Bewußtsein in das Erleben des
reinen, ewigen Geistes gelangte, ohne dem, was
am Erdenmenschen vergänglicher Tiernatur
70 Nachlese
ist, kaum ertragbares Leid zuzufügen... Die
Alten sagten sogar: «Wer Gott sieht, muß sterben!»
Darum ist es auch keineswegs eines jeden Men‐
schen Aufgabe, hier, während des erdentieri‐
schen Daseins, schon im ewigen Geiste be‐
wußt zu werden.
.Den Allermeisten wird es zum höchsten Segen
gereichen, wenn sie, auch nur ahnend, ihrer
Fähigkeit, dereinst in den ewigen Geist zu ge‐
langen, zuzeiten innewerden.
.Nun aber will ich hier auch antworten auf die
zahlreichen und zum Teil tief ergreifenden Briefe
aus denen mir die Sorge um das nachirdische
Schicksal der Seelen geliebter, oder doch ehedem
im Außenleben nahe verbundener, nun von der
Erde geschiedener Menschen entgegenhallt.
.Es ist für mich wahrhaftig befreiend und be‐
glückend, jedem Einzelnen, den es angeht, sagen
zu können, daß ihm jeglicher Grund fehlt, um das
Schicksal des von ihm bezeichneten, vor ihm
Heimgegangenen besorgt zu sein. Auch nicht aus
einem einzigen der hierher gehörigen Briefe blickte
mir ein nachirdisches Schicksal entgegen, das in
irgend einer Weise zu beklagen wäre!
71 Nachlese
.Das Leben im Zustande «jenseits» der erden‐
körperlichen Wahrnehmungsfähigkeit ist ja nun
freilich nicht so ganz dem übersichtlichen Bilde
des Hauptplatzes einer Kleinstadt am Markttage
zu vergleichen, allwo man dann nur ein paarmal
den Platz zu kreuzen braucht, um lieben alten
Bekannten, oder gesuchten Besuchern des Marktes
zu begegnen.
.Es ist vielmehr auch den überaus wenigen, der
«jenseitig» Wahrnehmbaren und dortselbst
klar Bewußten nur in den allerseltensten
Fällen möglich, eine von der Erde abgeschiedene
geistige Seele zu identifizieren, auch wenn auf
Erden der denkbar präziseste Konnex geschaffen
werden konnte, der ja zu solcher Identifikation
unerläßlich bleibt.
.Und selbst in solchen, überaus seltenen Fällen
fragt es sich sehr, ob der noch dem irdischen
Körper verhaftete Jenseitsbewußte von dem ge‐
suchten und endlich gesichert erkannten Erd‐
befreiten «gesehen» und erkannt zu werden ver‐
mag? ‒ Selbst dann, wenn das sehr nahe zu liegen
scheint, weil der Erdentrückte den ihn Aufsuchen‐
den auf Erden dem Aussehen nach genau kannte,
oder gar in engsten Herzensbeziehungen mit ihm
72 Nachlese
vereinigt war, bleibt solches Erkennen sehr er‐
schwert, weil es nicht nur davon abhängt, ob der
Gesuchte bereits in der Region «sehfähig» wurde,
in der sich der ihn Suchende geistig bewegt, son‐
dern auch davon, ob die «angesprochene» Seele
die rein geistige Gestaltung des sie Anspre
chenden zu identifizieren vermag, die kaum je‐
mals dem in der geistigen Seele verbliebenen, zu‐
erst noch sehr einseitig aufgefaßten Erinnerungs‐
bilde entspricht.
.Erst sehr viel später stellt sich die Fähigkeit
ein, von der ich in meinem «Buch vom Jenseits»
spreche, die dann jederzeit die erwünschte Identi‐
fikation mit aller Gewißheit gewährt. ‒
.Ich kann also den vielen ‒ mir nur allzuver‐
ständlichen ‒ Bitten, Beziehungen zwischen Ab‐
geschiedenen und ihren auf Erden in der äußeren
Sinnenwelt Zurückgebliebenen herzustellen, in
keinem Falle irgendwie nachkommen.
.Da überdies fast jeder, nicht bis zum Bersten
irdisch «verkrustete» Mensch in den Zeiten des
Schlafens für kürzere oder längere Spannen
jenseitsbewußt wird, kann jeder, noch im
Tierkörper Lebende durch seine liebende
73 Nachlese
Einstellung dem irdisch Entzogenen gegen‐
über, ohne jede menschlich-irdische Beihilfe in
solche Beziehung gelangen...
.Mir aber ist es nur ‒ bis auf verschwin
dende, und nicht von meinem Wollen
allein abhängige Ausnahmen ‒ möglich, nach
hergestelltem irdischen Konnex, den jede, nach
menschlich reiner Absicht wahrheitsgetreue brief‐
liche Schilderung des Heimgekehrten herbeizu‐
führen vermag, mit der Gewißheit der durch jen‐
seitiges Bewußtsein bedingten Intuition zu sagen,
ob ein jenseits angelangter Schicksalsablauf zu
Besorgnissen Anlaß geben kann oder nicht.
.In jeglichem Falle kann ich aber das wun‐
dervolle, aus tiefster Erkenntnis geborene Wort
der Bibel kaum eindringlich genug der Beachtung
empfehlen:
.«Es ist ein heiliger und heilsamer Gedanke,
für die Verstorbenen zu beten!» ‒ Das heißt
aber, ‒ richtig verstanden: ‒ an ihrer
Stelle zu beten, da sie es ja nicht mehr ver‐
mögen...
.Eindringlich warnen muß ich nun jedoch vor
der unsagbar törichten Annahme, als könne der
74 Nachlese
irdische Tod geliebter Menschen gleichsam wie
eine «Strafe» von Gott über die Zurückbleibenden
verhängt werden.
.Glücklicherweise ahnen die solches Vermuten‐
den nicht, welche Gotteslästerung sie aussprechen,
und wie sie sich selbst überheben, indem sie sich
für derart bedeutsame Faktoren im Bereich des
seelischen Schicksals eines ihrer Mitmenschen
halten! ‒
.Da ist nichts anderes zu raten, als daß jeder von
solchen Gedanken Bedrängte, noch irdisch
Lebenden die herzensreine Liebe zugutekommen
lasse, die er den ihm nun äußerlich Entrückten
nicht angedeihen ließ, solange sie für ihn noch
sichtbar waren!
.Es handelte sich wahrhaftig nicht nur um
Geldgier der Priester, wenn sie zu allen Zeiten
und in allen Religionen darauf hinzuwirken streb‐
ten, daß durch fromme Vergabungen zugunsten
noch irdisch Lebender ausgeglichen werde, was
bereits Heimgegangenen nicht gewährt worden
war. ‒
.«Machet euch Freunde mittels des
ungerechten Mammons, damit sie,
75 Nachlese
wenn es mit euch zu Ende geht, euch
in die ewigen Heimstätten aufzuneh
men vermögen
.Wenn irgend ein Wort des Evangelisten als
wahres Wort des hohen, liebenden Meisters von
Nazareth, aus sich selbst heraus ge
sichert ist, so dieses!
.Seit den ältesten Zeiten erscheint es dem Men‐
schen als ein Vorzug der Götter oder ihrer Gesalb‐
ten, über zukünftiges Geschehen zum voraus Be‐
scheid zu wissen, und unerhörtester Schwindel
fand in der Menschheit festen Glauben, weil es
als gesicherte Gegebenheit galt, daß die Unsterb‐
lichen alles irdische Schicksal sicher vorauswissen
müßten, ‒ wobei die naive Annahme miteinbe‐
schlossen war, daß sie ihr Wissen auch den von
ihnen Bevorzugten unter den Sterblichen groß‐
mütig mitzuteilen pflegten.
.Eine noch so fromme Gottesvorstellung, ohne
das Attribut der «Allwissenheit», ‒ also auch des
genauen Vorauswissens kommender irdischer Er‐
eignisse ‒ erscheint selbst heute noch auch «auf‐
geklärtester» Theologie, gleichviel welcher Reli‐
76 Nachlese
gion, als abgeschmackte Blasphemie, ja schlechthin
als Absurdität, und aller Diskussion unwürdig.
.Tausend Künste hat sich der Mensch ersonnen
um seine Götter ein wenig zu überlisten, und trotz
aller immer wiederholten Verbote solchen «gott‐
versucherischen» Tuns, blüht es heute wie ehedem
unter den gottgefälligen Gläubigen, ‒ ja leider
auch in manchen heimlichen Gärtlein ihrer wohl‐
meinenden Seelenhirten.
.Sie alle wollen, bald in ernster Seelennot, bald
in recht läppischer Neugier, «ein Zeichen» erhal‐
ten und versuchen nach ihrer Art es ihrem Gott
möglichst bequem zu machen, ein solches «Zei‐
chen» zu geben.
.Darf man es heute den Menschen nun übel‐
nehmen, wenn sie so scharf darauf aus sind, über
ihre und anderer Zukunft etwas vorauszuwissen?
‒ Auch Männer der Macht haben es ja nicht ver‐
schmäht, sich in Zeiten der Ungewißheit von recht
fragwürdigen Sibyllen die Zukunft verkünden zu
lassen. Warum sollten nicht «die Kleinen und Un‐
mündigen» gleichartige Regung verspüren, über
ihre Aussichten in der Zukunft ein Orakel zu ver‐
nehmen?! ‒
77 Nachlese
.So verstehe ich es denn auch nur zu gut, daß so
viele Leute glauben, wenn irgend einer, so
müsse doch ich haarklein wissen, wie sich die
Zukunft in engeren oder auch weiteren Bezirken
dieses kleinen Planeten gestalte.
.Ich muß aber diese armen Übergläubigen arg
enttäuschen, denn sie suchen nicht mich, son‐
dern irgend einen Scharlatan, der ihnen mit großer
Gebärde Dinge erzählt, von denen noch keiner
wirklich wußte oder wissen konnte, auch wenn er
der ihm vertrauenden Menge für einen todsicheren
Propheten galt.
.Himmelhoch über der hier angedeuteten Bauern‐
fängerei stehen natürlich die geschickten Arti
sten, die sich die Rolle des Hellsehers aus‐
erlesen haben, weil sie in ihr am wirkungsvollsten
die gewagtesten Stücklein ihrer Kunst zum besten
geben können.
.Als ich eines Abends mit einem der bewunde‐
rungswürdigsten und geschicktesten Künstler die‐
ser Art nach seiner von mir mit wahrhaft kind‐
licher Begeisterung und Freude genossenen Vor‐
stellung beisammen saß, wollte mir der Gute nun
alle seine «Tricks» aufs deutlichste erklären, und
78 Nachlese
war sehr verwundert, weil ich ihn schon zu Anfang
bat, mich in Unkenntnis zu lassen, da ich die
Freude am Unerklärlichen höher schätze, als das
Wissen darum, «wie es gemacht wird».
.Ich habe allerdings Produktionen indischer,
arabischer, kalmückischer, kirgisischer und india‐
nischer religiöser Zauberer gesehen, die sie
nur für mich allein, und unter allen, von mir ge‐
wünschten, strengen Kontrollen ausführten, wo‐
nach ich sehr ernst geworden war, so daß mir alle
Begeisterung, die ich für artistische Kunststücke
immer übrig habe, in der Kehle stecken blieb...
Alles das war mir zuzeiten unverlangt über den
Weg gelaufen. Ich weiß aber dadurch einiger‐
maßen zu unterscheiden!
.Was nun die Voraussicht zukünftigen Ge‐
schehens anlangt, so ist der Erdenmensch aus seiner
rein tierischen Organisation heraus derart ver‐
anlagt, daß wir allesamt ein sehr weitreichendes,
sicheres Vorgefühl der Zukunft haben könnten,
hätten unsere noch ganz aus der Tierheit leben‐
den, körperlichen Vorahnen vor Hunderttausen‐
den von Jahren, die nötige Übung ihrer Fähig‐
keiten nicht aufgegeben, als sie die ihnen um so
viel gesicherter erscheinende Möglichkeit an sich
79 Nachlese
entdeckten, das Zukünftige durch gedank
liche Folgerungen zu erschließen.
.Hierher gehört der Mythos vom «Paradiese», den
alle frühgeschichtliche Menschheit kennt!
.In einzelnen Menschennaturen, die noch bis zu
hohem Grade unter der Herrschaft der Tier
seele stehen, finden sich aber unter allen Rassen
zuweilen Rudimente ‒ Überbleibsel ‒ der
Organe erhalten, die vormals den Urzeitmenschen
«voraussichtig» gemacht hatten, und so kann es
wohl geschehen, daß irgendeine Großstadtpythia
ebenso gelegentlich Dinge vorausahnen kann, wie
ein weissagender Priester irgendeines exotischen
Kultes, oder auch nur ein gerissener Gaukler, der
seine ‒ keineswegs beherrschte! ‒ Fähigkeit da‐
zu nützt, das Geld Anderer in seine eigene Tasche
überzuleiten.
.Die Eitelkeit, die der Erdenmensch ja be‐
kanntlich mit seinen irdischen Mit-Tieren teilt,
sorgt dafür, daß jede solche Weissagung zu einer
mehr oder minder geschickten Kombination wird,
in der sich das bestenfalls dunkel Erahnte durch‐
flochten findet von allerlei Mutmaßungen, wie sie
das Gehirn des Wahrsagers im gegebenen Fall
80 Nachlese
spontan produziert, und von recht simplen ver‐
standesmäßigen Schlüssen, die ihm von den auf
ihre Zukunft Neugierigen geradezu aufgedrängt
werden.
.Wer sich zum Wahrsager begibt, begibt sich
immer in Gefahr!
.Ich muß raten, diese Gefahr zu meiden,
denn aus ihr geht weder eine Festigung des Cha‐
rakters hervor, noch ist sie Bedingnis menschen‐
fördernder Tat! Wer in jedem Augenblick so han‐
delt, wie es ihm sein von jeder Fremdsuggestion
sorglich gereinigtes Gewissen empfiehlt, der
kann wahrhaftig jeglicher Zukunft unbe
sorgt entgegensehen.
.Zum Schluß will ich aber denn doch auch noch
Denen danken, die weder zu fragen kamen, noch
ihren Sorgen Ausdruck schaffen wollten, sondern
sich nur veranlaßt sahen, mir ein paar herzliche,
liebeerfüllte Worte zu sagen, weil ihnen längst das
Leben in der ewigen geistigen Seele, wie es
meine Schriften lehren, zur klaren Bestätigung der
Lehre Jesu wurde: ‒ daß der Mensch nicht lebt
«vom Brot allein», sondern «von jedem Wort, das
aus dem Munde Gottes kommt».
81 Nachlese
.Der «Mund Gottes» auf dieser Erde aber war
noch immer eines Menschen Mund, so, wie
auch der «Satan», dem der tief symbolische Bericht
das hier herangezogene Weisheitswort durch den
jungen Meister zu hören gibt, zu Erdenmenschen
noch niemals anders zu sprechen wußte, als durch
Menschenmund, ‒ es sei denn, er habe den
Menschen, zu dem er sprechen wollte, bereits
«besessen»...
.Es ist mir natürlich beglückend zu wissen, daß
es in allen Teilen der Welt so viele Menschen gibt,
die meine, in andere Sprachen nur recht schwer
zu übersetzenden Bücher, in der deutschen Ur‐
sprache zu lesen vermögen, auch wenn diese, vielen
Lesern von Hause aus recht fernliegende Sprache
mitunter, ‒ und besonders in meiner Gestaltungs‐
form, ‒ respektable Schwierigkeiten macht.
.Es ist jedoch eine rein verlagstechnische Angele‐
genheit, und ganz von mir unabhängig, ob sich alle
die Wünsche der in fernen Erdteilen lebenden,
durch die gemeinsame Muttersprache mir ver‐
bundenen geistigen Schüler erfüllen lassen wer‐
den, daß ‒ wenigstens bestmögliche ‒ Übersetzun‐
gen meiner geistigen Lehrbücher in zum Teil sehr
entlegene Sprachen erfolgen möchten, weil die
erwähnten Schüler bei den der deutschen Spra‐
che nicht mächtigen Freunden in ihren Gastlän‐
dern Interesse für die von mir dargebotenen Leh‐
ren vermuten, oder bei gesprächsweiser Erörte‐
rung wahrgenommen haben.
.Ich muß der Lenkung ewigen Geistes, der alle
Auswirkung der durch mich geprägten Wortfor‐
mulierungen anvertraut ist, auch darin vertrauen,
daß sie jede nötige Übersetzung herbeiführen wird,
wenn sie den psychologischen Moment dafür ge‐
kommen weiß. Immer wieder aber muß ich dabei
in Erinnerung rufen, daß ein erschöpfendes
82 Nachlese
Eindringen in den Inhalt meiner, den Weg zum
ewigen Geiste weisenden Bücher nur dem möglich
wird, der sie in der Ursprache lesen kann,
auch wenn er das Deutsche dazu erst erlernen
müßte.
.Übersetzungen können nur Behelfe sein, um all‐
mählich auch aus dem Geist einer andern Sprache
heraus verstehen zu lernen, was ich in meiner
Muttersprache geformt habe!
.Allerletzt auch noch ein Wort über «geistige
Hilfe»! ‒
.Es scheinen mir da reichlich phantastische
Begriffe umzugehen, ‒ genährt durch allerlei vor
fünfzig und mehr Jahren in Amerika modern
gewesene okkultistische Vulgärliteratur, die nun
endlich auch im alten Europa (durchaus nicht nur
in Deutschland) sich eingenistet hat.
.Was da alles «geistige Hilfe» genannt wird, hat
allerdings mit der aus dem ewigen Geiste ge‐
sandten über-«irdischen» Stärkung und Be‐
freiung der geistewigen Seele nicht das
allergeringste zu tun, von der allein die
Rede ist, wo immer ich über geistiges Hilfeleisten
zu sprechen habe.
83 Nachlese
.Wirkliche «geistige» Hilfe ist keine zuge‐
sandte «Gedankenkraft», keine mysteriöse Wir‐
kung irgend eines Gebetsmechanismus, keine Fern‐
hypnose, und keine Teufelsvertreibung durch kräf‐
tiglichen Höllenzwang, sondern ein Geschehen in
den Welten der Ursachen: ‒ ein Vor‐
gang, der nur dem verständlich ist, der ihn selber
herbeizuführen vermag.
.Alles was da geschieht, erfolgt ohne jedes äußere
Zutun, ‒ ja selbst ohne jegliche Mithilfe des
Denkens, ‒ in den Regionen des reinen ewigen,
von jeder Gehirnbetätigung absolut unabhängigen
göttlichen Geistes, ‒ verlangt aber von jedem noch
irdisch-tiermenschlicher Erscheinung Eingebore‐
nen, der das hier Nötige zu bewirken vermag, in
jedem Einzelfall äußerst heftige Erschütterungen
der irdischen Lebenskräfte, die zuweilen nur sehr
schwer zu regenerieren sind.
.Das Wissen um die erdverhaftete, geistige
Seele, der solche Hilfe gerade besonders nötig
ist, übt nur die Aufgabe eines Richtungsweisers
aus. Mit einem Vergleichsbild aus einem heute fast
aller Welt vertrauten Spezialgebiet der Elektro‐
technik könnte man auch sagen: ‒ das Wissen
um die hilfsbedürfende Seele dient nur dazu, die
84 Nachlese
richtige, ‒ hier geistige, ‒ «Welle» einzu‐
schalten.
.Der tierhafte Erdenkörper des Helfenden hat
hingegen etwa die Aufgabe einer mit unvorstell‐
baren «Hochspannungen» arbeitenden «Sendesta‐
tion».
.Symbol eines solchen nie versagenden und sich
stets wieder regenerierenden «Senders» ist der
starkbeleibte Buddha Chinas und Japans,
während die indischen Buddha-Darstellungen
fast ausnahmslos nur den auf seine Selbsterlösung
und geistige Erfreuung bedachten Erleuchteten
zeigen. ‒ ‒
.Damit möge nun meine zusammenfassende Ant‐
wort auf die mir zugekommenen Briefe beendet
sein. Ich glaube, daß jede Urheberin und jeder
Urheber den eigenen Brief in der ihm zugedach‐
ten Antwort wiedererkennen dürfte, finde mich
aber daneben zu der Annahme veranlaßt, daß
das, was ich zu antworten habe, auch für manchen
Leser Bedeutung gewinnen kann, der nicht an
mich geschrieben hat.
85 Nachlese
SELBSTVERSTÄNDLICHES
Anm.: Entspricht der 2.Auflage. "+" kennzeichnet e. Link zum Originalscan
WAS ich hier sagen werde, will in gleichem
Sinne verstanden sein, wie der an dieser
Stelle durchgeführte Versuch «Allen Antwort» zu‐
kommen zu lassen, die auf Grund einer vorherge‐
henden Nummer dieser Zeitschrift an mich ge‐
schrieben haben.
.Selbstverständliches sollte man ja nicht erst sa‐
gen müssen, aber die Briefe auf die ich mich hier
beziehen muß, zeigen mir mit bemühender Deut‐
lichkeit, daß doch recht vielen Leuten das an sich
Selbstverständliche leider noch wenig zu Bewußt‐
sein kam, was mir allerdings schon die Erfahrung
von über zwei Jahrzehnten öffentlichen Wirkens
reichlich bestätigt hat.
.Da sind vielleicht in erster Linie jene Allzunai‐
ven zu nennen, die es ihrerseits ohneweiteres für
ganz selbstverständlich halten, daß mir eine Art
«biblischer» Anrede gebühre, wie sie z. B. die eng‐
lische Sprache nur Gott gegenüber kennt, wie sie
aber daneben auch im Deutschen nur unter näch- +
sten Verwandten und Freunden üblich ist, wenn wir
hier von ihrem Gebrauch in bäuerlichen Gegen‐
den oder in Kaserne und Schützengraben abse‐
hen wollen, weil dort örtliche Verbundenheit die
Anrede in der zweiten Person fast zwangsläufig
herbeiführt.
.Gewiß weiß ich, was bei manchen, die mich nicht
auf die bürgerlich allgemein gebräuchliche Weise
anreden zu können glauben, letzte Ursache ihrer
Unsicherheit ist.
.Aber ich sehe gar keinen Grund gegeben, Sitte
und allgemein überkommenen guten Verkehrs‐
ton beiseite zu lassen, nur, weil man mit einem
Menschen spricht, der seiner selbst im lebendigen
ewigen Geiste bewußt ist, und aus seinem ihm zu‐
teilgewordenen Ur-Teil heraus das seinen Mit‐
menschen Heilsame aufzuzeigen sucht. Zur Be‐
ruhigung mancher Überempfindsamen und
leicht Verletzlichen will ich hier die Tatsache er‐
wähnen, daß selbst zwischen den mir auf die gei‐
stig geheimnisvollste Weise vereinten Männern
gleichen geistigen Lebens und mir, niemals eine
Anredeform, die unserem deutschen «Du» ent‐
spräche, angängig wäre. Auch habe ich diese An‐
redeform gerade den mir am allernächsten ste‐
henden Freunden gegenüber ‒ von wenigen frü‐
heren Ausnahmen abgesehen ‒ bis auf den heuti‐
gen Tag vermieden, obwohl es sich da zum Teil
um Jugendfreunde handelt.
.Jenen merkwürdigen Zeitgenossen aber, die
sichtlich ihr «gutes Recht» darin sehen, jede weise
Konvention beiseite zu schieben, wenn sie nicht in
ihre überspannten Vorstellungsreihen paßt, muß
ich zu bedenken geben, daß ich unmöglich im ewi
gen Geiste zu leben vermöchte, wenn mir sein ge‐
setzgebundener Ausdruck in irdischer Form je‐
mals gleichgültig sein könnte.
.Wer die Form geringschätzen zu dürfen glaubt,
ist noch himmelweit von dem Wege entfernt, auf
dem er dereinst ‒ sei es im nachirdischen oder gar
schon im gegenwärtigen Leben ‒ in den Geist ge‐
langen könnte! Auch wenn der vermeintlich über
die Form Erhabene alle meine Schriften Satz für
Satz auswendig weiß und sich gerne meiner
Sprachweise zu bedienen pflegt.
Eine andere Selbstverständlichkeit, die ich nun
nachdrücklichst betonen muß, betrifft mein Ver‐
hältnis zu der hier vorliegenden Zeitschrift.
.Obwohl Herausgeber und Schriftleiter in jeder
Nummer genannt sind, scheint es doch nicht gar
wenige Leser zu geben, die mir eine Verantwor- +
tung für den Inhalt der Hefte aufbürden möch‐
ten.
.Hier habe ich ein für allemal zu sagen, daß mir
nicht der geringste Einfluß auf den Inhalt der
«Säule» zusteht und daß ich weit davon entfernt
bin, solchen Einfluß zu erstreben!
.Was in dieser Zeitschrift je zu lesen war, gegen‐
wärtig zu lesen ist, oder in Zukunft zu lesen sein
wird, ist strengstens abgegrenzt, nur insoweit meine
Meinung, als es sich um von mir mit Namen gezeich
nete Erörterungen handelt. Alles Übrige ‒ auch
wenn mein Name darin genannt werden mag,
auch wenn man sich ausdrücklich auf mich beru‐
fen zu dürfen glaubt oder Stellen aus meinen Bü‐
chern zitiert und sonstwie mitverwendet ‒ er‐
scheint lediglich unter persönlicher Verantwort‐
lichkeit der Verfasser und stellt deren eigene per‐
sönliche Meinung oder Auffassung dar.
.Ich kann da unmöglich das Amt eines Zensors
übernehmen, das mir von manchen Seiten so
dringlich nahegelegt wird, die sich besser und
richtiger an Verlag und Schriftleitung wenden soll‐
ten, wenn sie da und dort mit Beiträgen, die mei‐
ner Berichtigung keinesfalls unterliegen, nicht
einverstanden sind. Weder ist es meine Aufgabe,
noch meine Absicht, die mir zugemutete öffent‐
liche Kritik an den Ausführungen der einzelnen
Verfasser aufzunehmen. Ich bitte vielmehr die
Leser der «Säule», überzeugt zu sein, daß jeder
Mitarbeiter, der hier zu Worte kommt, nur aus
lauterster Gesinnung und ehrlichem Helferwillen
86 Nachlese
spricht, auch wenn zuweilen einer selbst nicht be‐
merken mag, daß seine Auffassung Folgerungen
zuläßt, die den von mir vertretenen Lehren fremd
sind und fremd bleiben müssen. Man sollte in
solchen Fällen zum mindesten doch die Ehrlich‐
keit in der Meinungsäußerung achten, auch wenn
man glaubt, daß ich nicht alles zu billigen ver‐
möge!
.Es wäre aber auch durchaus irrig, ein etwaiges
längeres Ausbleiben von Beiträgen aus meiner Fe‐
der im Sinne einer abfälligen Kritik auszudeuten.
.Was ich in diesen Heften darlege, ist immer
durch besondere, mir in direkter Linie berüh‐
rungsnahe gekommene Anlässe bedingt, und ge‐
langt hier zur Aussprache, weil das, was ich auf
solche Art jeweils zu sagen habe, von vielen hier
gesucht wird. Spreche ich mich über irgendwelche
Dinge, über die man vielleicht gerne meine Mei‐
nung hören möchte, aber nicht aus, so darf man
überzeugt sein, daß ich meine guten Gründe da‐
für habe. Es gibt Dinge über die so viel gespro‐
chen wird, daß es diesen Dingen wohltut, wenn+
auch einmal, von längst genau präzisierter Stelle
her, darüber geschwiegen wird. Es gibt weiterhin
Dinge für die mir heute noch lange nicht die Zeit
gekommen ist, darüber zu reden. Und schließlich
gibt es auch Dinge über die zu sprechen ich mich
in keiner Weise berechtigt sehe, da sie weit außer‐
halb meiner, mir Gewißheit bietenden Erlebnis‐
bezirke liegen und mit dem, was ich dem Erden‐
menschen als ewiges Erleben vorbehalten weiß,
nicht in der mindesten Beziehung stehen.
.Ebenso kann ich aber auch nicht jede Mißdeu
tung meiner Lehrworte aufklären, sondern muß
es denen, die ihre eigene Meinung in meine Texte
hineininterpretieren, in aller Geduld überlassen,
selbst ihrer Irrtümer gewahr zu werden.
.Jeder muß für sich selber einstehen!
.Ich kann keinem seine eigene Verantwortung
abnehmen, und diese Verantwortung wächst ins
Unermeßliche durch jedes Wort, was vor der Öf
fentlichkeit ausgesprochen wird, ‒ mag diese Öf‐
fentlichkeit auch engste Grenzen aufweisen.
.Jedes öffentlich ausgesprochene Wort ist ein
Saatkorn aus dem eine mehr oder minder reiche
Ernte gleicher Art heranreift, und für diese Ernte
hat allein der Mensch vor der Ewigkeit einzuste‐
hen, der das Saatkorn ausgeworfen hatte.
Nachdem ich nunmehr über volle zwanzig Jahre
durch das geschriebene Wort Seelen zum Lichte
der Ewigkeit zu leiten trachte, weiß ich leider
auch aus vieler Erfahrung, wie wenig selbstver‐
ständlich es den meisten Menschen ist, das an sich
Selbstverständliche zu erfassen und danach zu
handeln.
.Was den Einzelnen in meinen Büchern wirklich
angeht, nimmt sich nur recht selten einer zu Her‐
zen. Wohl aber bezieht dieser und jener nur allzu‐
gerne auf sich, was ihm gänzlich unzugänglich ist
und bleiben wird, und was nur durch mich be‐
schrieben werden wollte, damit auch der Außen‐
stehende, dem die Voraussetzungen zu solchem
Erleben fehlen, dennoch begreifen lerne, wie das
ihn selbst zu Tat und Wirken Aufrufende, im ewigen
Geiste verankert ist.
.Und selbst in dem, sie wirklich aufs dringlichste
und nächste Angehenden suchen sich die Wenigen,
die danach fragen, noch immer lieber nur das ih‐
nen besonders Zusagende und Genehme aus,
während sie alles, was ihrer lieben Eitelkeit kleine
Beschwerden macht, nur für «Andere» niederge‐
schrieben glauben.
.Es gibt auch zu denken, daß ich auf meine Auf‐
forderung hin, außer den mir wirklich erwünsch- +
ten Briefen geliebter, mir bekannter Schüler, fast
nur von einer Anzahl schlichter Leute aus dem
Handwerk und der Landwirtschaft verbundenen
Berufen Briefe erhielt, an denen ich mich wirk‐
lich freuen konnte. ‒ Auch fand ich bei einigen die‐
ser sich mir Anvertrauenden bereits ein echtes
geistiges Erleben, wie man es vergeblich bei jenen
suchen würde, die sich möglichst deutlich als gei‐
stig besonders Begnadete einzuführen trachten
und nicht ahnen, daß sie sich mit jeder Silbe selbst
richten, da ihnen jegliches Zeichen des ewigen Gei‐
stes fehlt, der die Seinen allerdings wesentlich an
ders bestätigt, als jene phantastischen, von geist‐
licher Großmannssucht Überwältigten meinen. ‒
.Als durchaus nicht selbstverständlich empfinde
ich jedoch eine gewisse Wehleidigkeit und Selbst
bemitleidung, die manchen der an mich gelangten
Zuschriften ein kurioses Gespräge gibt. Men‐
schen, die meine Lehren kennen, sollten denn
doch wahrhaftig wissen, daß eine wirkliche geistige
Erneuerung ‒ wo immer in der Welt sie erstrebt
werden mag ‒ nur dann erreichbar ist, wenn
vordem das, was im Menschen rein tierisch bedingt
ist, sich selber beherrschen lernte! Das ist Vorausset
zung!
.Ohne diese Selbstverständlichkeit erfüllt zu ha‐
ben, ist noch kein einziger Erdenmensch in Wahr‐
heit seiner ewigen Geistesnatur bewußt geworden,
auch wenn er um alles wußte, was wirklich im ewi‐
gen Gottesgeist Lebendige aus dem geistigen Sein
zu künden hatten!
87 Nachlese
BUCHSTÄBLICHES
(Denen, die es angeht!)
ES kann einem, der etwas von den geheimnis‐
vollen Schwingungen der Lautzeichen im Welt‐
äther weiß, nicht gleichgültig sein, ob in seinem
Namen ein «F» oder ein «Ph» vorkommt, auch
wenn das Doppelzeichen nicht anders ausgespro‐
chen wird, wie das einfache.
.Einiges von diesen Dingen wußte der in den
fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ver‐
storbene Stuttgarter Opernregisseur Krebs, weshalb
er sich denn auch «Kerning» nannte. Allerdings
tritt hier schon zutage, wie verschleiert sein dies‐
bezügliches Wissen war. Andernfalls hätte er nicht,
der Neigung seiner Zeit erliegend, sich den «spre‐
chenden» Namen «Kerning» gegeben, der zwar
eine Lautzeichenverbesserung gegenüber «KR»
und «BS» darstellt, aber zugleich doch besagen
wollte, daß der mystische Autor nicht den «Krebs‐
88 Nachlese
gang» gehe, sondern zum Kern der Dinge vor‐
dringe.
.Kernings leidige Neigung zu einer schrulligen
mystischen Romantik hat schon ihn selbst dazu
verleitet, seine wenigen Ahnungen in bezug auf
den Schwingungswert der Buchstaben zu wirren
Scheinerkenntnissen aufzubauschen.
.Seine freimaurerischen Schüler aber haben aus
dem, was er ihnen hinterlassen hatte, vollends eine
rein phantastische, jeder Wirklichkeitsbegründung
bare Lehre gemacht, deren Behauptungen und
gegebenenfalls zu erzielenden Folgen schon in das
Gebiet der Psychiatrie gehören, weshalb man nicht
genug vor der Lektüre solchen Schrifttums warnen
kann.
89 Nachlese
BRIEF
AN MEINE GEISTIGEN SCHÜLER
IHR hegt, wie aus so mancher, mir teuren Äuße‐
rung hervorgeht, voll Vertrauen den Wunsch,
daß ich noch möglichst lange bei Euch bleiben
möge ‒ hier in dieser uns alle umschließenden
Sichtbarkeit?
.Es ist Euch nicht einerlei, ob ich vollbringe, was
mir nur zu dieser Zeit meines erdenkörper
lichen Lebens geistig zu vollbringen möglich
wird, und Ihr wollt auch noch vernehmen, was ich
Euch in Zukunft noch zu sagen habe?
.Wenn dem so ist, dann muß ich Euch aber auch
darum bitten, mir die Vorbedingung schaffen zu
helfen, die zu alledem für mich unumgänglich
nötig ist.
Wären wir noch Urasiaten, und nicht die von
unserem Ursprungslande weit abgewanderten Be‐
wohner der kleinen, dem Kontinent Asien vor‐
90 Nachlese
geschobenen Halbinsel Europa, dann würde eine
jahrtausendealte und stets heiliggehaltene Tradi‐
tion Euch sagen, wie ein dem ewigen, substantiellen
Geistigen (nicht etwa dem bloß Gedank
lichen!) zugewandter Mann, ‒ als was immer
er örtlich bezeichnet werden mag, ‒ vor äußeren
Störungen geschützt werden muß, um seinen,
allem Irdischen übergeordneten Verpflich‐
tungen leidlich nachkommen zu können.
.Und dabei handelt es sich innerhalb solcher Tra‐
dition nur um quasi «subalterne» Zugelassene
in geistige Lebensbereiche, wenn nicht gar um
bloße Okkultisten, da die wirklich im ewigen
Geiste souveränen Menschen, soweit sie auch
gegenwärtig noch in asiatischen Bezirken leben,
weder persönlich, oder dem Namen nach,
noch indirekt durch ihre Lehre an die Öffent‐
lichkeit treten, weil sie das als abgrundtief
unter ihrer Würde liegend empfinden. Der
europäische Mensch ist ‒ in dieser Hin‐
sicht wenigstens ‒ weitaus bescheidener.
.Ich mache trotzdem keinen Hehl daraus, wie
meine Situation innerhalb des substan
tiellen, ewigkeitsbewußten Geistes
Gottes gelagert ist, aber meiner europäischen
91 Nachlese
menschlichen Erdenhaftigkeit entsprechend wider‐
strebt es mir, eine Rangstufe, wie sie mir zukommt,
zu betonen, weil mir jeder «Anspruch», der
erst «angemeldet» werden muß, von vornherein
lächerlich erscheint.
.Es ist auch nicht zu leugnen, daß in heutigen
Tagen innerhalb Europas weder Gefühl noch In‐
stinkt für die Distanz vorhanden sind, die einem,
dem Geistigen zugeteilten Menschen gegen‐
über in Betracht kommt.
.Der Europäer unserer Zeit ist allzusehr auf
geist-ferne Gesichtspunkte eingestellt, und sein
Suchen vermittelt ihm bestenfalls nur solche
Einsichten, wie sie der Spannweite seines allzu‐
sicheren Blickes gerade noch zur Not sich er‐
öffnen können. Wie dürfte man von ihm mehr
erwarten, als er selbst von sich zu erwarten
vermag!
.Und dennoch weiß ich, daß auch der Europäer
zu der selbstverständlichen Höhe und Weit
räumigkeit asiatischer geistiger Einsicht ‒ wie
sie dort ist, wo sie wirklich besteht ‒ empor‐
wachsen kann, wenn er sich selbst nicht
versäumt, was allerdings die meisten Europäer
92 Nachlese
leider tun, und für die höchste Aufgabe ihres
Lebens zu halten scheinen.
.Man braucht aber niemals sich selbst zu
versäumen, ‒ nicht im denkbar aktivsten Leben,
noch im Ringen zwischen Leben und Tod, noch
im rauschendsten Lebensgenuß!
Es handelt sich also bei mir nicht um das Fern‐
halten äußerer Störungen, wie sie gewiß jeder
Gehirnarbeiter gerne von seiner Arbeitsstätte fern‐
gehalten sieht, damit er unbehindert in seinen
Gedankengängen sich ergehen kann.
.Solche Befreiung von äußerer Störung habe
ich noch niemals gebraucht!
.Auch inmitten einer tumultuösen Menschen‐
menge bin ich bei mir in der vollkommensten Ein‐
samkeit, und ich würde nichts verbessern, wollte
ich mich in eine weltabgeschiedene Einsiedelei
zurückziehen.
.Unerläßliche Vorbedingung für das wirksame
Einsetzen substantiell-geistiger Hilfe zugunsten
seiner Mitmenschen ist für den im ewigen Geiste
93 Nachlese
Lebendigen vielmehr, daß er unbedingt befreit
bleibt von Ansprüchen der äußeren
Konvention seiner Umwelt und seiner
Zeit, soweit diese Ansprüche das gleichzeitige
Verharren in der ununterbrochenen Bewegtheit
innerhalb des substantiellen ewigen Geistes un‐
möglich machen.
.Hierher gehört aller Äußerungszwang, dem nicht
anders entsprochen werden kann als durch zeit‐
weiliges Unterbrechen des dem Geistgeeinten
im ewigen substantiellen Geiste zugeteilten tätigen
Verhaltens.
.Religiöse Bildersprache weiß zu sagen, daß be‐
wußt im Geiste Lebendige ‒ mit welchen Namen
sie auch benannt, und wie immer sie vorgestellt
werden mögen ‒ unablässig «vor Gottes Thron»
ihr «Heilig, Heilig, Heilig» ertönen lassen, was
einigermaßen ästhetisch gerichteten Skeptikern
eher als Höllenstrafe erscheinen wollte, statt als
Bekundung ewiger Seligkeit. Aber in solcher bild‐
haften Lehre steckt nur die Wahrheit, daß das
bewußte Leben im ewigen Geiste ein unablässiges,
rhythmisch akzentuiertes Tun ist, und daß dieses
Tun die höchste Verherrlichung des ewigen Seins
darstellt, aber mit Hilfe irdischer Vergleiche nicht
94 Nachlese
zu umschreiben ist. Daß man dieses Tun als ein
Singen darzustellen suchte, ‒ wohl auch zu‐
weilen als Musizieren, ‒ zeigt immerhin deut‐
lich, daß solche gleichnishafte Rede von Menschen
stammt, die wahrhaftig aus dem ewigen Geiste
sprachen...
.Nun darf man nicht außeracht lassen, daß bei
einem im ewigen, substantiellen Geiste bewußt
Lebendigen der gleichzeitig noch als Mensch der
Erde lebt, eine den Marconi-Wellen vergleichbare
Verbindung beider Lebensbezirke besteht, deren
Aufnahmeapparatur im irdischen Körper der ge
samte Nervenkomplex dieses Körpers ist.
.Infolgedessen ist eine Störung dieser Verbin‐
dung auch dem ganzen irdischen Körper auf das
empfindlichste fühlbar, ja ein unvermute
tes plötzliches Losreißen kann auf der Stelle den
Tod des Körpers bewirken.
Während nun aber selbst der intensivste Gebrauch
aller körperlichen Sinnesorgane keinerlei Stö‐
rung der aufgezeigten schwingungsartigen Verbin‐
dung zu bewirken braucht (unter gewissen Um‐
95 Nachlese
ständen kann er sie jedoch bewirken ‒) wird
diese Verbindung sofort auf das empfindlichste
gestört, wenn sich das Gehirn gezwungen findet,
sprachliche Formulierungen für Ge‐
danken zu gestalten, die nur dem irdischen
Dasein zugehören. Das tritt im stärksten
Maße ein, wenn der im substantiellen Geiste voll‐
bewußt Lebende die irdische Aufgabe übernommen
hat, seinen Mitmenschen Lehre aus dem Leben
des ewigen Geistes zu vermitteln, wozu er sein
Gehirn in strenger Zügelung erziehen mußte, auf
direkte Ansprache aus dem ewigen Geiste sofort
und präzis zu reagieren. ‒ Meine Schüler werden
verstehen, daß ein solcherart auf eine ganz einzig‐
artige Reaktionsweise hin geschultes und abge‐
stimmtes Gehirn anderen Gefahren ausgesetzt ist,
als das Gehirn des Normalmenschen, der nichts
von den Möglichkeiten auch nur ahnt, die hier
in Betracht kommen und stets aktuell sind.
.Wenn in orientalischen Religionen der wirklich
oder auch nur vermeintlich aus dem Geiste Leh‐
rende stets von einem hierarchisch abgestuften
Hofstaat, wie von einem System hintereinander
aufgestellter Palisadenzäune umgeben war, damit
ihm nur ja nichts nahen konnte, was für seine
96 Nachlese
Verbindung mit seinem gleichzeitig bestehenden
wirklichen, ‒ oder auch nur gläubig zugeschrie‐
benen ‒ Leben im ewigen Geiste Störung
hätte bedeuten müssen, so war das nur folgerich‐
tige Auswirkung des allgemeinen Wissens um die
oben geschilderten Zusammenhänge des Geistigen
und Irdischen innerhalb einer entsprechend ge‐
arteten menschlichen Individualität. Was heute
noch an Spuren solcher Umzäunungen eines mit
mystischem Nimbus umglaubten Menschen da und
dort übrigblieb und weiter erhalten wird, ist es
nicht minder.
Nach alledem wird man nun vielleicht doch zu
einigem Verständnis dafür kommen, daß mir, der
ich niemals «ein fauler Briefschreiber» war, heute
jede Nötigung, einen Brief zu schreiben, zur Qual
geworden ist. Mag auch der Adressat mir überaus
nahestehen! Mag auch das, was brieflich zu be‐
handeln ist, mich im Tiefsten ergreifen!
.Das ist für einen verbundenheitsfreudigen Men‐
schen, dem jeder, der ihm jemals seelisch wirklich
nahe kam, nun auch immerdar gegenwärtig bleibt,
recht schwer erträglich, und es fehlt ja auch wahr‐
haftig nicht an immer aufs neue wiederholten Ver‐
97 Nachlese
suchen meinerseits, «wider den Stachel zu löcken»,
und trotz aller geistnaturgegebenen Verbote, oft
lang schon versäumte Korrespondenz wieder auf‐
zunehmen. Zum Teil auch aus ganz egoistischen
Gründen, denn es gibt recht viele, mir geistig
nahestehende Menschen, nach deren Briefen ich
mich geradezu «sehne», so daß mir im irdischen
Leben vieles fehlt, wenn Nachricht von ihnen zu
lange ausbleibt. Ich kann aber niemand zumuten,
mir in kontinuierlicher Aufeinanderfolge zu
schreiben, wenn meine Antwortbriefe, die viel‐
leicht nicht minder erwartet werden, immerfort
ausbleiben, ‒ mögen die Gründe dafür auch gegen
jede Verdächtigung in Hinsicht auf «Schreibfaul‐
heit» vor allen Einsichtigen geschützt sein.
.Ernsthaft beunruhigend aber kann mich das
Ausbleiben von brieflicher Nachricht berühren,
wenn ich aus irgend einem Grunde zu der An‐
nahme berechtigt bin, daß ich vielleicht geistig zu
helfen vermöchte, wäre mir nur die derzeitige
Situation des Freundes offenbar.
.Aus solchen Empfindungen heraus spricht mein
im Heft 4, 1933 der «Säule» dargebrachtes Ge‐
dicht: «Geistige Verbundenheit». Es war an die
Allernächsten, der mir persönlich oder auf eine
98 Nachlese
außergewöhnliche Weise auch nur brieflich be‐
kannten Freunde und geistigen Schüler gerichtet,
weil mir nur deren persönliche seelische und
äußere Verhältnisse vorläufig hinreichend vertraut
sind, daß ich sie, um des Einsatzes geistiger Hilfe
willen, genügend zu beurteilen vermag. Fataler‐
weise hat mir zwar dieses Gedicht eine Flut von
Zuschriften gebracht, die nur in Bewegung gesetzt
wurde durch die irrige Meinung, es mangele mir
an Gelegenheit zur Korrespondenz. ‒ Aber von
diesen wenig erfreulichen Bekundungen anmaß‐
licher, zum Teil schon kaum noch erträglicher, für
alles mögliche, Zauberhilfe heischenden Überheb‐
lichkeit weit abgesehen, haben auch andere bis da‐
hin mir noch nicht bekannte Menschen sich auf‐
gefordert gefühlt, mir zu schreiben, deren brief‐
liche Bekanntschaft gemacht zu haben, ich gewiß
niemals unterschätzen werde. Hochgebildete, gei‐
stig Schaffende, aber auch ganz einfache Leute
sind dabei, und manche wissen mir Wundersames
aus ihrem inneren Leben zu berichten, ohne viel
daraus zu machen, obwohl sie nicht verbergen
können, daß der Atem ewigen Geistes sie berührte,
ohne daß sie es, im kirchlich anerzogenen «Bewußt‐
sein» ihrer vermeintlichen Sündhaftigkeit, für
wahr halten wollten.
99 Nachlese
.Jedem einzelnen, dieser mir mit dem Siegel des
Geistes neu Nahegetretenen möchte ich eine recht
persönliche Antwort schreiben, und sie wurde in
Gedanken schon geschrieben, als ich seinen Brief
las.
.Wenn aber die hier gemeinten ‒ Frauen wie
Männer ‒ mit der ihnen sichtlich gegebenen Ein‐
fühlungsfähigkeit nun die mir wirklich nicht leicht
gefallenen Darstellungen der mein Erdenleben um‐
fangenden Sonderbedingnisse empfindend sich klar
gemacht haben werden, dürften sie gewiß auch ver‐
stehen, daß ihre vertrauend gegebenen Worte gut
bei mir verwahrt bleiben, auch wenn ich nicht
darauf brieflich zu antworten vermag.
.Ich werde auch weiterhin versuchen, auf die mir
zukommenden Briefe auf ähnliche Weise wie hier,
in der «Säule» zu antworten, bedacht darauf,
daß möglichst vielen Lesern, mit solcher Ge‐
meinsamkeitsantwort Aufschluß und Klärung zu‐
kommt.
.In dieser Weise vermag ich zu antworten,
ohne mein Wirken im ewigen Geiste unterbrechen
zu müssen, was bei persönlichen Briefen an
Einzelne ganz unvermeidlich wäre, und zu‐
100 Nachlese
letzt fraglos zur Zerstörung meines irdisch gege‐
benen Daseins führen müßte, das Ihr alle, geliebte
Freunde, noch so lange als erdbedingt möglich, er‐
halten sehen wollt, ‒ zugleich aber dem Wider‐
sprechendes von mir erwartend...
.Mir selbst, der ich mich niemals in meinem
Erdenleben zu «schonen» suchte, vielmehr von
den Tagen meiner Kindheit an die Gefahr verwege‐
nerweise aufsuchte, wo sie am größten war, ist
irgendwelche Besorgnis in bezug auf Erhaltung
meines irdischen Lebens wirklich von Hause aus
fremd, und mein bewußtes, taterfülltes Leben im
ewigen substantiellen Geiste rückte jeden derarti‐
gen Gedanken womöglich noch ferner. Wenn ich
dennoch Euren mir zugedachten Wünschen meine
Mitwirkung zusagen muß, so geschieht dies, weil
ich vom Geiste her weiß, was noch auf Erden für
mich zu tun ist, da es nach meinem Tode in vielen
Jahrhunderten keinen Menschen innerhalb der
Westwelt geben wird, der Eignung in sich zu tragen
vermöchte, es vollbringen zu können, aus den
Kulturkreisen des Morgenlandes aber niemals
mehr einer dem Abendlande erfahrbar werden
wird.
101 Nachlese
BRIEF
AN MEINE GEISTIGEN SCHÜLER
WENN ich die beiden Jahrzehnte meines Leh‐
rens aus der Wirklichkeit ewigen göttlichen
Geistes überblicke, sehe ich eine Auswirkung der
durch mich verkündeten Lehren vor mir, die vom
Blickpunkt des lichten heiligen Geistes Gottes her
als ein leuchtendes Feuer unvergänglicher Freude
erscheint, ‒ in erdenmenschlichem Erfühlen er‐
lebt aber zur umfassendsten Dankbarkeit gegenüber
Denen nötigt, die mir echte geistige Schüler ge‐
worden sind.
.Niemals hätte ich vordem erwartet, daß mein
helfendes Lehren so viel Entgegenstreben aus dem
Innersten, so viel warme, fühlende, wollende Auf‐
nahme bei meinen Mitmenschen vorfinden: ‒ daß
es so vielem lebendig durchglühten seelischen
Suchen begegnen würde.
.Ich kann nur immer wieder danken für die
Bereitwilligkeit, den durch mich empfangenen
102 Nachlese
Anweisungen nachzuleben, und wollend dem ge‐
zeigten Ziele zuzustreben!
.Dennoch aber begegne ich neben allem seelisch
wurzelstarken Wollen immer wieder auch einer
Art Sehnsucht nach zauberhaftem Ge
schehen, die durch mich endlich ihrer Erfül‐
lung gewiß zu werden vermeint, ‒ die ich aber
nur herbster Ent-Täuschung zuführen muß.
Wer dieses Herausreißen aus einer wohligen Täu‐
schung nicht verträgt, der hat in meiner geistigen
Nähe nichts zu suchen!
.Was ich im Nachfolgenden sage, setzt daher eine
wesentlich andere Seelenhaltung voraus. Ich
rede hier nur zu Menschen, die ein inneres Recht
haben, sich als meine geistigen Schüler zu fühlen,
auch wenn sie noch zuweilen erdmenschlichen Nei‐
gungen zu weit nachgeben, oder in Gefahr geraten
können, Irrtümern nachzuhängen, die ganz gewiß
nicht durch mich genährt werden, aber seit alter
Zeit durch törichten Aberglauben heftig in Kraft
sind.
.Allem anderen voraus denke ich hier an die bei‐
nahe nicht auszurottende Sucht, die ewige Wirk‐
lichkeit, wie sie im göttlichen substantiel
103 Nachlese
len Geiste allein durch Vermittlung der
Seele zu empfinden ist, auf irdisch-physische ‒ ja
physikalische ‒ Weise erleben zu wollen.
.Selbst dort, wo man einiger Einsicht wahrlich
gewiß sein sollte, spukt der Wahn, es müsse mög‐
lich sein, das polar Entgegengesetzte in gleichem
Polstand erfahren zu können: ‒ also das absolut
Positive als ein ausgeprägt Negatives wahrzu‐
nehmen.
.Ursache dieser Ahnungslosigkeit gegenüber dem
allein Möglichen ist die Überwucherung des
Vorstellungsbereiches durch Vorstellungen die
lediglich Produkte der physischen Sinne darstellen,
‒ und die solcherweise verlorene Fähigkeit, sub‐
stantiell Göttlich-Geistiges ‒ das niemals phy‐
sisch-sinnlich zu erreichen ist, wenn es auch im
Physisch-Sinnlichen sich darzustellen vermag ‒
als Vorstellung dem bewußten Erleben nahezu‐
bringen.
.Wir können aber weder in der physisch-sinn‐
lichen noch in der substantiellen göttlich geistigen
Welt irgend eine Erfahrung richtig deuten, wenn
wir nicht fähig sind, dem zu Erfahrenden das ihm
gemäße Bild vor-zustellen. ‒
104 Nachlese
.All unser Erkennen ist ein Vergleichen des
schon Erfahrenen, oder noch als Erfahrung
Gesuchten, mit dem von uns vor der Erfah‐
rung vorgestellten Bilde. Nur in diesem Ver
gleich erfahren wir, was an unserer Vorstellung
der Wirklichkeit entsprach und was nicht. Nur
durch solches Erfahren werden wir der Wirk‐
lichkeit endlich gewiß!
.Ist aber unser Vermögen, auch substantielles
Göttlich-Geistiges vorstellen zu können, durch die
Gewohnheit, nur physisch-sinnlich Erweisbares
vorzustellen, allmählich kraftlos geworden, so
werden wir des substantiellen Göttlich-Geistigen,
das uns erlebensnahe kommt, nicht einmal ge
wahr, und unmöglich wird uns seine Erfahrung
und Deutung werden.
.Es handelt sich also darum, die Fähigkeit: das
ewige substantielle Göttlich-Geistige vorstellen zu
können, aus aller Ueberwucherung herauszuholen
und zu neuem Leben zu erwecken. Fast in jedem
meiner Verkündungsbücher nimmt diese Befreiung
und Erweckung darum beinahe mehr Wortgestal‐
tung für sich in Anspruch als die Verkündung der
Wirklichkeit substantiellen ewigen Lebens selbst,
und ich hätte mir mein Werk wesentlich verein‐
105 Nachlese
fachen können, wenn der ewige göttliche Geist
auch ohne vorgängige Vorstellung: ‒ etwa durch
bloße Selbstversenkung oder durch Anbetung des
Unerkennbaren, ‒ der Erfahrung zugänglich wer‐
den könnte. ‒
.Nicht von ungefähr findet der Schüler in meinen
Büchern jede nur mögliche Sonderart der Vor‐
stellungsfähigkeit aufgerufen, denn diese Fähigkeit
gelangt nur dann erneut zum Leben, wenn das ihr
am ehesten Vernehmbare sie erweckt.
.Dieses am ehesten Vernehmbare wird aber für
jede einzelne Seele ein Anderes sein, und man
darf das Erwecken der Fähigkeit, ewiges Göttlich‐
Geistiges wieder vorstellen zu können, wahr‐
haftig nicht mit dem Gebaren sogenannter «Geistes‐
lehrer» verwechseln, die ihre Schüler mit allen
okkultistischen Zwangseinflüssen dahin bringen
wollen, Gesichte zu «schauen», die lediglich das
Produkt verstandesmäßiger Spekulationen des
durch Geltungsbedürfnis und persönliche Selbst‐
übersteigerung vom ewigen Geiste Gottes herme‐
tisch isolierten, ahnungslosen «Geheimlehrers»
sind.
106 Nachlese
.Anderseits aber ist die Erklärung dafür, warum
in den Völkern der Länder des Sonnenaufgangs weit
mehr echte Erfahrungsfähigkeit für das ewige Gei‐
stige gefunden wird als innerhalb der westlichen
Welt, durchaus nur in der traditionsmäßig lebendig
erhaltenen Fähigkeit, Geistig-Göttliches vorstel
len zu können gegeben, und keineswegs etwa in
einer, für das Erfahren des Geistigen besser ge‐
eigneten Veranlagung oder gar in einer besonderen
Eignung der von diesen Völkern bewohnten Land‐
striche zu suchen.
.Man scheut sich zuerst, eine solche Binsenwahr‐
heit niederzuschreiben, ‒ aber leider ist es bitter
notwendig, will man die phantastischen Meinungen
aus der Welt geschafft sehen, die immer noch durch
allzu romantisch-schwärmerische Menschen des
Westens in den ihnen zugänglichen Kreisen ver‐
breitet werden.
.Für die christlichen Mystiker des Mit‐
telalters ‒ und zwar für alle, ohne jede Aus‐
nahme! ‒ trifft die oben auf die Völker des Ostens
bezogene Erklärung jedoch nur zum Teil zu,
denn die noch vorhanden gewesene Fähigkeit, sub‐
stantielles Göttlich-Geistiges vorstellen zu kön‐
107 Nachlese
neu, erfährt in der Mystik (einerlei welcher reli‐
giösen Färbung!) einen ahnungslos getriebenen
Mißbrauch, ‒ und außerdem wurde gerade
in der mittelalterlichen christlichen Mystik
nur zu oft das urwesentlich im ewigen substantiel‐
len Geiste Erfahrene bloß Ausgangspunkt rein ge‐
danklicher «Spekulation», so daß man in vielen
Fällen ‒ besonders bei Meister Eckehard
eher von christlich mystischer Philosophie zu
reden hätte.
.Wer nun aber nach den von mir so reichlich ge‐
gebenen Anweisungen handelt, um auf die für ihn
mögliche Art, die Fähigkeit zum Vorstellen des
ewigen, substantiellen Göttlich-Geistigen wiederzu‐
erlangen, der darf gewiß nicht erwarten, daß sein
erster Erfolg ihm sofort die Bildung von Vorstel‐
lungen ermöglichen würde, wie sie für das Erfah‐
ren höchster, substantiell-geistig gezeugter le‐
bendiger Wirklichkeit unerläßlich sind.
.Ich spreche von dem «Wiedererlangen» der hier
erwähnten Fähigkeit, weil jeder mit gesundem irdi‐
schem Organismus geborene Erdenmensch sie in
den Zeiten seiner frühen, zum Bewußtsein erwach‐
ten Kindheit in mehr oder weniger ausgebildetem
Maße besaß, bis sie ihm dann infolge des immer
108 Nachlese
stärker auf ihn einstürmenden Zwanges, sich durch
die physisch-sinnlich wahrgenommene Außen
welt bedingte Vorstellungen zu bilden, allmählich
abhanden kam.
.Hier ist der tiefste Sinn des geheimnisvollen
Wortes gegeben:
.«So ihr nicht werdet wie die Kinder,
könnt ihr nicht in das Reich Gottes
eingehen
.Den Kindern ist noch das Himmelreich of
fen, und sie erfassen davon, was ihrer Fassungs‐
kraft erlangbar ist, weil sie noch die Fähigkeit be‐
sitzen, von der Außenwelt unbehelligte Vorstel‐
lungen des substantiellen ewigen Geistigen bilden
zu können, frei nach ihrer Art!
.Wer diese Fähigkeit aber wiedererlangen will
und darum die ihm von mir erteilten Anweisungen
nach seiner Eigenart zu befolgen sucht, der wird
sich darüber klar werden müssen, daß dem freien
und dem Willen unterstellten Bilden von Vor‐
stellungen ewiger göttlich-geistiger substantieller
Wirklichkeit, das nicht willkürliche Erwachen
der benötigten Kräfte vorausgeht.
109 Nachlese
.Er wird sich also auf dem besten Wege zu seinem
Ziele sehen dürfen, wenn sich ihm, ‒ sei es etwa
morgens vor dem ersten Augenaufschlag, oder im
Halbschlaf, oder auch in offener Tageswachheit, ‒
Vorstellungen ohne sein bewußtes Zutun bilden,
die von einem Gefühlsinhalt erfüllt sind, wie ihn
keine der bewußt selbstgewollten physisch
sinnlich bedingten Vorstellungen aufweist.
.Jeder, der es erfährt, weiß sofort, daß es sich
um etwas dem irdischen gewohnten Vorstellungs‐
bereich hoch Entrücktes handelt, ‒ auch
wenn er sich selbst, aus Angst vor Selbsttäuschung,
nicht glauben mag.
.Diese Angst, am Ende sehen zu müssen, daß man
einer Selbsttäuschung erlegen sei, wird in vielen
Fällen auch noch genährt durch ein Verstandes‐
bewußtsein, das immer erneut Anstoß nimmt an der
formalen Simplizität der bewußt gewor‐
denen Vorstellung.
.Aber gerade diese Naivität der Form
bildung weist aufs deutlichste der plötzlich und
vom Willen unabhängig entstandenen Vorstellung
ihren hohen Rang zu!
110 Nachlese
.Die ersten, solcherart spontan gebildeten Vor‐
stellungen substantieller geistiger Wirklichkeit kön‐
nen der Form nach unmöglich bedeutsamer und
vielfältiger sein, als es die letzten, längst ver‐
gessenen aus früher Kinderzeit waren!
.So unbedeutend aber auch die formale Ge‐
staltung der Vorstellung sein mag, so reich erfüllt
kann sie sein mit Beziehungen zur ewigen geistigen
Wirklichkeit, und so bedeutungsvoll kann für den
Wahrnehmenden die göttlich-geistige Bekundung
werden, die er vorerst auf so seltsam primitive Art
erhält...
.Aus solcher ersten Vorstellungsform, die unse‐
rem überreizten und an die Kompliziertheit irdisch‐
sinnlicher Vorstellungen gewöhnten Gehirn gar
leicht als allzu simpel erscheinen will, werden dann
später freilich auch überaus reiche Vorstellungs‐
bilder erstehen. Niemals aber werden die Elemente,
aus denen sie sich in all ihrem Formenreichtum
organisch entfalten, gehirnlich-verstandes
mäßig deutbar sein, denn sie entstammen dem
ewigen «Reiche der einfachsten Zeichen»:
‒ dem «Lande der Wirklichkeit».
111 Nachlese
.Ewig unerfüllbar muß aber auch das törichte
Verlangen bleiben, Göttlich-Geistiges gar
in der gleichen, physikalisch bestimmten Art
erfahren zu wollen, in der wir die Dinge der uns
von Geburt an zur verstandesmäßigen Deu‐
tung gegebenen, physischen Sinnen zugänglichen
und physikalisch zerlegbaren, körperlichen Au
ßenwelt erfahren!
112 Nachlese
BRIEF
AN MEINE GEISTIGEN SCHÜLER
IN den letzten Monaten mehren sich wieder recht
auffällig allerlei aus meinem Schülerkreis stam‐
mende Vorschläge: «was zu tun wäre, was man
selbst tun möchte, falls ich die Zustimmung gäbe,
und was von mir getan werden «könnte», um
meine Schriften auch Menschen nahezuhringen, die
sie noch nicht kennen, oder von denen man wenig‐
stens annimmt, daß ihnen diese Lehrbücher gei‐
stigen Lebens noch nicht nahe gekommen seien.
.Daß alle diese Anregungen vom denkbar besten
Wollen getragen werden, bedarf kaum noch der Er‐
wähnung.
.Man weiß, welchen segensreichen Einfluß man
selbst der Begegnung mit den durch mich verkün‐
deten Lehren dankt, und möchte sie darum auch
anderen Menschen zugänglich sehen, von denen
man annimmt, sie müßten diesen Lehren ‒ wenn
113 Nachlese
sie nur Kenntnis davon erhalten würden ‒ mit
glühender Bereitschaft entgegenkommen.
.Es scheint da gegenwärtig ein von vielen meiner
Schüler heiß gefühlter Wunsch sich zu einem al‐
lenthalben durch die Gehirne schweifenden Vor‐
stellungsbild verdichtet zu haben, von dem nun die
schon geradezu beängstigend zahlreichen Impulse
ausgehen, die jeder Einzelne als nur in sich al
lein entstanden empfindet, wodurch er sich als‐
dann verpflichtet fühlt, mich auf die ihm so be‐
deutungsvoll erscheinenden Möglichkeiten drin‐
gend aufmerksam zu machen.
.Mich aber stimmt diese lebhafte und geradezu
freudige Unruhe meiner Schüler recht traurig,
denn ich muß aus ihr ersehen, in wie geringem
Grade so manches haften bleibt, was ich längst ein
für allemal in allen verankert glaubte, die meine
Bücher kennen.
.Nicht nur die zahlreichen Hinweise darauf, daß
ich im Ewigen lebe, und dem Zeitatom, das die
Dauer meines leiblichen Daseins ausmacht, nur die
Beachtung schenken kann, die seiner Einzelbedeu‐
tung in dem mir geistig offenbaren Ganzen zu‐
kommt, scheinen den freudig, aber inkonsequent
114 Nachlese
auf «Unverhofftes» Hoffenden nicht mehr recht
gegenwärtig zu sein, ‒ sondern auch die ausdrück‐
lich ihren Fehlhoffnungen wehrenden Sätze,
die in dem Buche «Der Weg meiner Schü
ler», Seite 19 bis 25, zu finden sind, allwo doch
unter anderem deutlich gesagt ist: «Wer also in
diesen Dingen richtig handeln will,
der überlasse es den geistigen Mäch
ten, in deren Obhut meine Bücher ste
hen, wem sie zugeleitet werden sollen
.Es ist, als hätte ich alles dort Erörterte niemals
niedergeschrieben!
.Aber wenn ich nicht das bereits so ausführlich
Gesagte hier Wort für Wort wiederholen will, so
bleibt mir nichts anderes übrig, als alle so wohl‐
meinenden Schüler und Freunde zu bitten, doch
die eben bezeichnete Stelle des Buches noch ein‐
mal anzusehen.
.Dort steht deutlich zu lesen, warum ich von
ihren, in jeder Hinsicht doch Gutes bezweckenden
Anregungen keinen Gebrauch machen darf,
wenn ich nicht das von mir in der Arbeit eines
Lebensalters Geförderte selbst aus törichter Eil‐
115 Nachlese
sucht unnötig hemmen will, was mir doch niemand
zumuten wollen wird.
.Zu Eile oder Beschleunigung ist aber auch nicht
der mindeste Grund gegeben.
.Was ich in meinen Schriften niedergeschrieben
habe, kann zwar gewiß auch heute von dafür
geeigneten Menschen aufgenommen werden, ‒
wird aber von diesen keinesfalls so erfaßt, wie
von der Menschheit einer zukünftigen Zeit, die
den psychologischen Moment zeitigen
wird, der das Verlangen nach den verkündeten
Lehren allenthalben dann in jedes Bewußtsein
bringt, das sie braucht.
.Was ich bereits geschrieben habe, und noch ge‐
schrieben haben werde, oder hinterlasse, wenn es
mit meinem leiblichen Erdensein zur Rüste geht,
ist ja nicht «für den Tag» sondern für alle
kommenden Zeiten geschrieben.
.Es kann ganz unmöglich seinen, ihm gemäßen
psychologischen Moment mit Dingen zugleich
haben, für die dieser bereits in der Gegenwart
gekommen ist, ‒ und was jetzt von Menschen
der Zeit durchlebt wird, muß ebenso wie alles an‐
116 Nachlese
dere bereits Vergangene, Vergangenheit geworden
sein, bevor das Kommende zu seiner Zeit er‐
scheint.
.Hier ist jede Besorgnis, daß etwas versäumt wer‐
den, oder gar verlorengehen könnte, ganz über‐
flüssig!
.Aber auch jeder Versuch, das Kommende eher
herbeizuziehen, ist überflüssig und wird das geist‐
gesetzte Geschehen um keinen Augenblick zu be‐
schleunigen vermögen.
.Wer heute bereits erfassen kann, was in den von
mir dargebotenen Lehren gegeben ist, den werden
sie mit aller Bestimmtheit an dem für ihn bestimm‐
ten Tage erreichen, ‒ ohne jede absichtliche
Nachhilfe.
.Die Bücher dieser Lehren sind öffentlich erschie‐
nen, allgemein zugänglich, und daher auf die gleiche
Weise erreichbar wie irgend ein Handwerkszeug
des alltäglichen Lebens. Wer sie bereits brauchen
kann, der findet sie. Man braucht wirklich keine
Angst zu haben, daß sie heute noch irgend einem
Menschen, der die Sprache spricht, in der sie ge‐
schrieben sind, entgehen könnten!
117 Nachlese
.Es sind ja daneben auch bereits zahlreiche geistig
Suchende anderer Muttersprache in allen Welt‐
teilen beim Studium meiner Schriften und der Be‐
folgung ihrer Lehren anzutreffen. Einzelne dieser
räumlich so fernen Schüler wußten mir von wahr‐
haft seltsamen «Zu-fällen» zu berichten, denen sie
es zu verdanken hatten, daß die Bücher ihnen zu‐
gefallen waren, ‒ zum Teil in der deutschen Ori‐
ginalausgabe, zum Teil in den bis heute vorliegen‐
den Uebersetzungen.
.Wer reif ist gefunden zu werden, der wird
gefunden, wo immer er zu finden ist.
.Darum bitte ich meine Schüler und Freunde in‐
ständigst, ganz ohne Sorge sein zu wollen hinsicht‐
lich jener Menschen, denen sie das eine oder andere
meiner Bücher, oder gar gleich alle, lieber heute
als morgen nahegebracht sehen möchten! Und ich
bitte in gleicher Weise darum, alle etwa in der Seele
auftauchenden, mir zugedachten Vorschläge zu ir‐
gend einer über die normale, verlagsmäßig usuelle
Ankündigung hinausgehenden Propagierung mei‐
ner Schriften, ‒ wieder ins Unbewußte sinken zu
lassen! Dort sind sie zweifellos am besten aufge‐
hoben.
118 Nachlese
.Es hat mich überdies auch noch kein einzi
ger Vorschlag erreicht, der nicht lange vorher
schon befolgt gewesen wäre, hätte ich ihn befol‐
gen können. Alles was mir da ziemlich spät «nahe‐
gelegt» werden soll, ist ja wahrhaftig ohnehin schon
‒ recht naheliegend...
.Darum ist es aber noch durchaus nicht auch den
geistigen Gesetzen entsprechend, aus denen ich
lebe, und die allein für alle Auswirkung der in
meinen Schriften durch mich formulierten welt‐
zeitalten Lehren das Maß geben.
.Einen anderen Maßstab zur Beurteilung des‐
sen, was mit dem Meinen geschehen darf oder nicht,
kann ich aber unter keinen Umständen gelten las‐
sen, und noch viel weniger gar selbst gebrauchen!
.Ich bin nicht in der bequemen Lage, alles gut‐
heißen zu können, was von Anderen für gut gehal‐
ten wird, weil es ihnen, von ihrem Einsichts‐
punkte her, als «gut» erscheint.
.Es gibt gar manches, was ich gerne gutheißen
würde, wenn mir das aus geistiger Einsicht her nicht
versagt wäre.
119 Nachlese
.Ich bin und bleibe bestimmt durch meine eigene
geistgegebene Einsicht, und darf nichts «gel‐
ten» lassen, was im Reiche des ewigen Geistes die
Gültigkeit, die es sich selber zumißt, ‒ leider ent‐
behrt.
.Man wird also, wenn man Menschen oder Men‐
schengruppen innerhalb des mir geistig zugehören‐
den Bereiches finden möchte, zuerst sich fragen
müssen, ob ich ihnen den Zugang zu diesen Berei‐
chen offen halten kann?
.Man wird sich klar darüber werden müssen, daß
hier nichts von einer erdbedingten Sympathie oder
Antipathie abhängig ist, sondern nur von der ver‐
pflichtenden Gewalt geistiger Gesetze.
.Hat man aber einmal die hier in Betracht kom‐
menden Faktoren von einem, auch nur einiger‐
maßen unverzerrte Perspektive gewährenden Ein‐
sichtspunkte her erfaßt, dann wird man kaum mehr
Unmögliches von dem Einsatz meiner Kräfte er‐
warten.
.Dann wird man aber auch die Hoffnung zu Grabe
getragen haben, als könne sich jemals das von Natur
aus Inkommensurable zusammenfinden, so sehr
120 Nachlese
man auch solches Begegnen als wünschbar betrach‐
ten und herbeisehnen mag.
.Die Menschen eines jeden Zeitalters sind in
ihrem Wollen, Denken, Fühlen und Empfinden zu‐
gleich Erfüller und Vorbereiter.
.Beide Funktionen sind gesetzmäßig naturbe‐
dingt, und es wäre keine geringe Torheit, von einer
Generation die Erfüllung dessen zu erwarten,
was sie vorzubereiten berufen ist, während
sie das erfüllen muß, wozu frühere Zeitphasen die
Vorbereitung hinterlassen hatten!
121 Nachlese
GEFAHR DER NACHT
ALLES irdisch Erlebbare erreicht dort seinen
höchsten Wert, wo es Symbol wird: Formbild
innerer Lebenszustände.
.Nicht nur außen erlebbar gibt es somit Nacht
und Tag!
.«Nacht» und «Tag» sind in jedem Erdenmen‐
schen, und jeder trägt in sich Entscheidungsgewalt
über die Verteilung ihrer Macht.
.Weh' ihm, wenn er dieser Gewalt entsagt, und
es kommen läßt, wie es kommen mag: ‒ wie Nacht
und Tag sich in ihm bekämpfen wollen, ohne sei
nem Willen sich zu fügen!
.«Fügen» meint hier: ‒ der durch den Willen
des Menschen gewählten Ordnung sich einbeziehen
und die Form erfüllen, die durch solche innere
Ordnung dargeboten ist.
122 Nachlese
.Die Nacht muß im Menschen ihren Gebieter
erkennen, wenn sie ihn nicht verwüsten, und zum
Kampfplatz ihrer eigenen, dem Tage entgegen‐
strebenden Willensauswirkungen werden lassen
soll.
.Die Nacht vernichtet Jeden, der sie nicht be
zwingt.
.Des Menschen geistbestimmter, tages‐
wacher Wille aber wirkt in ihm das Wunder der
Wandlung des nächtigen Tieres zum lichtklaren
Gottesgleichnisbild.
.Wen darf es wundern, daß sich das Tier, das den
Menschen dieser Erde ohnehin als Fronvogt emp‐
findet, gegen solche Wandlung wehrt!?
.Wen darf es wundern, wenn die Nacht, als des
Tieres Genossin, erst alle ihre Schrecken zeigt, be‐
vor sie dem Tage sich endlich ergeben muß!
.Wem das Licht zum Formbild ewiger eigener
Seins-Sicherheit geworden ist, der kann die Nacht
nur noch als dienende Macht in sich dulden.
.Ich kenne die Nacht, wie sie wenige kennen! ‒
Wie nur sehr wenige sie kennen lernen, ward sie
mir lebendige Erfahrung.
123 Nachlese
.Ich weiß alle ihre jemals von Menschen erlebten
heiligen Schauder und überwältigenden Beglük‐
kungen, ihre weltenweite Größe und Höhe, ihre
fromm verzehrende Inbrunst und göttlich bacchan‐
tische Brunst, ‒ ich weiß aber auch um ihre Tük‐
ken und Fallen, um ihre gierende Gemeinheit und
niedrige Geducktheit, ihre Besudelungssucht ge‐
genüber allem, was hell und heiter ist, um ihre gif‐
tigen Dünste und ihre schwirrenden schwarzen
Strahlungen, die allem Verderben wollen, was nur
in lichter Klarheit zu sich selber kommen kann.
.Es muß vieles in harter Selbstzucht aus der un‐
geordneten, triebhaften Sehnsucht des irdisch füh‐
lenden, leicht zu verführenden Herzens für die
Dauer ausgerottet werden, wenn das Böse, das Be‐
lügende, das Zersetzende und Zerfressende, ‒
kurz: das Lebensfeindliche der Nacht, bezwungen
werden soll.
.Aber die Nacht bleibt dennoch Bedingnis des
Tages, wie der Tag Bedingnis der Nacht, und das
darf Vielen zu wahrem Troste gereichen, die sich
bedrückt fühlen durch noch währende Nacht...
.Auch die längste Nacht muß dem Tage wei‐
chen, der aus ihr hervorgeht um sie einst zu über‐
lichten!
124 Nachlese
SELBSTERZIEHUNG
GUTE Erziehung» ist in vielen Fällen nichts
anderes als eine eingelernte Technik des Ver‐
haltens zu seinen Nebenmenschen.
.Man sollte Kinder nicht «erziehen» wollen, son‐
dern sie anleiten, sich selbst zu erziehen.
.Erziehung faßt die Aufgabe der Menschenfor‐
mung von außen an. Selbsterziehung formt von
innen heraus.
.Erziehung erreicht nur dann ihr Ziel, wenn sie
zu Selbsterziehung führt.
.Das ganze irdische Menschenleben ist ein un‐
unterbrochener Aufruf zur Selbsterziehung. Wer
diesem Appell nicht entspricht, dem muß der Sinn
seines Lebens notwendigerweise zum Unsinn wer‐
den.
125 Nachlese
.Aeußerungen mangelnder Selbsterziehung sind
ebenso wenig zu «verzeihen», wie Mücken- und
Wespenstiche, die man zwar gewiß als Belästigung
empfindet, aber nicht als Objekte einer möglichen
Verzeihung.
126 Nachlese
IN GEBUNDENER REDE
Anm.: Zwischen den beiden Auflagen gibt es hinsichtlich Hervorvorhebung und Zeilenende manchmal geringe Unterschiede, also zwischen Text (zweite Auflage) und Scan der Buchseite (erste Auflage). Durch Anmerkungen wird darauf hingewiesen.
Rat
Laß eitle Toren sich um Götter zanken
Und um die Wahrheit, die sie ihnen geben! ‒
Wenn aller Götterlehren Götter längst versanken,
Wirst Du in Dir noch aus der Gottheit leben!
128 Nachlese
Heimkehr
Einst war auch ich vom Dunkel noch
                  umgeben,
Da kam zu mir das Licht,
Und ‒ ich ward Licht...
So fand ich in mir selbst der Gottheit Leben.
Vorher ‒ erkannte ich mich selbst
                  noch nicht. ‒ ‒ ‒
129 Nachlese
Unsterblichkeit
Anm.: Entsprechend der 2.Auflage
Im Sternenlicht
Und im Staube der Erde
Regt sich die gleiche
Lebendige Kraft,
Die auch in Dir
Und mir
Und allen,
Sich selber sich
Zum Bilde schafft. ‒
Du bist in Dir
Aus ihr geboren;
Du lebst,
Weil Du sie selber bist!
Dir ist das Leben
Nie verloren,
Weil sie in Dir
Das Leben ist. ‒ ‒
130 Nachlese
Stimmen
aus dem Geisterreich
Anm.: Entsprechend der 2.Auflage
Die uns verlassen mußten
        Sind uns nicht verloren:
Sie wurden nur zu einem neuen Leben
        Neu geboren.
Wir finden sie dereinst,
        So wie wir hier sie fanden;
Ihr «Tod» war nur die Lösung
        Aus des Leibes Banden.
Das enge Haus der Sinne
        Faßt «den Menschen» nicht:
Er ist ein König
        Und sein Reich ist Licht!
131 Nachlese
Wille zur Wahrheit
«Begreifen»
Heißt: mit jenen unsichtbaren
Urorganen
Die sich
Amoebengleich
Das Menschenhirn
Zu schaffen weiß
Bisher noch Unfaßliches
Nunmehr erfassen:
Greifen
Wie man mit Fingern greift, ‒
Umschließend fühlen, ‒
Durch Betasten
Kennenlernen!
Es ist «begreiflich»,
Daß ihr ungern nur
Begreifen werdet,
Was euch,
Wenn es begriffen wäre,
Eure Tagesträume
Stören müßte...
Und dennoch
Werdet ihr begreifen lernen
132 Nachlese
Müssen,
Wollt ihr nicht immerfort
Zu dem, was ist,
Im Zwiespalt stehen, ‒
Immerfort
Nur Traumgespenstern glauben,
Die euch den Blick verstellen
Auf die Wirklichkeit!
Es liegt an euch allein
Ob ihr begreifen könnt,
Denn jene unsichtbaren
Greiforgane der Gehirne
Bilden sich nur dann
Dem zu Begreifenden entgegen
Um es zu erfassen,
Wenn euer Wille Wahrheit wissen
Will!
133 Nachlese
Das Bleibende
Was du warst,
Bist du ‒ gewesen;
Was du bist,
Das bleibst du nicht...
Erst, wenn du von dir genesen,
Blickst du dir ins Angesicht!
134 Nachlese
Ewigkeitsbestimmtes
Finden
Glaubt nicht, geliebte Freunde,
Daß mein Wort die Vielen meine,
Von denen zwölf ein Dutzend sind
Und tausend eine Schar!
Auch wenn ich Euch
Aus allen Völkern eine,
So kommt doch keiner zu mir,
Der nicht ewig bei mir war!
135 Nachlese
Besorgter
Freundesliebe zugeeignet
Anm.: Entsprechend der 2.Auflage
Schwer wird es Euch, geliebte Freunde,
Zu ertragen, was ich leiden muß!
Schwer wird es Euch auch, zu verstehen,
Daß mir hohe Geisteshilfe,
Ohne die mein Erdenkörper,
Längst nicht mehr im Leben wäre,
Doch nicht dienen kann zur Leidbefreiung,
Weil solche Hilfe Hemmung meiner
                  Selbstkraft würde.
Ihr wißt jedoch, daß ich zu sagen kam:
«Alles Leid ist Lüge
Darum, geliebte Freunde,
Muß das Leid von mir «entwertet» werden!
Wohl kenne ich Wege, um geistgesichert
Allem Leide «aus dem Wege» zu gehen, ‒
Aber diese Wege sind die meinen nicht!
Ich muß erfahren,
Was an körperlichem Leid
Für mich erfahrbar ist,
Sonst könnte ich niemals
Im Leid die Lüge bannen,
Die ich niederringen muß,
136 Nachlese
Will ich für Euch und Andere
Das Leid «entwerten»...
Freut Euch, geliebte Freunde!
Freut Euch mit jedem Tage,
Den ich in körperlichen Leiden
Euch gegenwärtig bleibe: ‒
Erdgebunden im Erdenleibe
Wie Ihr!
137 Nachlese
Irdische Behinderung
Aerger als alle leibliche Plage
Ist mir die Häufung hellklarer Tage,
Die meinem Leben verlorengehen,
Weil sie mich ohne die Kräfte sehen,
Das, was der Geist mir gibt, zu gestalten,
Und das Verschwebende festzuhalten,
Das alle geistigen Räume erfüllt
Und sich nur blitzhellem Schauen enthüllt...
Strahlender Wanderer, walle ich weiter, ‒
Ewige sind meine steten Begleiter, ‒
Ewiges ist meines Alltags Erleben, ‒
Doch es läßt sich nicht weitergeben!
Schmerzmüde wehrt sich irdisches Denken,
Mir die Gedankenformen zu schenken,
Denen ich anvertrauen müßte,
Was ich dem Denken zu geben wüßte.
138 Nachlese
Geistige Verbundenheit
Gönnt mir Ruhe der Gedanken,
Liebe Freunde,
Aber ‒ laßt mich nicht zu selten
Von Euch hören!
Ruhe, wie ich sie vonnöten habe,
Gibt mir nur die Nachricht,
Die mich stetig unterrichtet,
Wie es Euch ergeht! ‒
Im Seelischen und Leiblichen! ‒
Was mir mein eigenes Erschauen sagt,
Bleibt streng in jenen Grenzen,
Die der ewigkeitsgezeugte Geist sich zog.
Wenn Ihr mir nichts von Euch berichtet,
Weiß ich Anderes nicht von Euch!
Ich aber möchte alles von Euch wissen,
Was Ihr um Euch selber wißt!
Wahrhaftig nicht aus Gier nach Neuigkeiten,
Sondern nur allein, damit ich weiß,
Wo jeweils Geisteshilfe nötig ist!
Die aber werdet Ihr empfangen,
Auch wenn Ihr ‒ notgedrungen ‒
Keine Zeile meiner Hand,
Und nichts, was ich in Worte formte,
Von mir empfangen werdet!
139 Nachlese
Orient und Okzident
Wenn ich im Morgenlande leben würde,
Wüsste man,
Daß ich zwar alles aufzunehmen willig bin,
Was meine Freunde mir zu senden trachten,
Daß ich jedoch bei aller Anteilnahme
Bleiben muß in dem, was «meines Vaters» ist...
Abendländische Lebensweise
Weiß solches «Bleiben» sehr zu behindern.
Der Mensch des Abendlandes ahnt nicht,
Wo die Grenzen liegen,
Die Irdisches von Ewiglichem scheiden...
Doch auch im Abendlande
Läßt sich nicht umgehen,
Was ewiges Gesetz gebietet,
Wo immer einer derer lebt,
Die Ewiges dem Irdischen vereinen!
140 Nachlese
Erkennungszeichen
Der Mann, der von «Wundern»
.wirklich was weiß,
Geht nur über's Wasser ‒
.auf Brücken und Eis.
Auch auf Schiffsplanken
.mag er sich heiter ergehn,
Doch nie wird er sich
.ein Mirakel erflehn!
141 Nachlese
Steine
Nicht um einen Schatz zu heben,
Den man könnte kunstvoll schleifen,
Wagt' ich oft genug das Leben
Irgend einen Stein zu greifen,
Wenn in südlichem Gefilde
An der Wege Felsenrinnen
Mir sich zeigte Steingebilde,
Nur beschwerlich zu gewinnen.
Liebe ich auch Edelsteine,
Goldgefaßt und wohlgeschliffen,
Hat mich doch auch oft die Reine
Eines Kieselsteins ergriffen.
Gingen Tausende die Straße,
Die den armen Stein verlachten,
Hob ich doch ihn aus dem Grase
Ihn voll Ehrfurcht zu betrachten.
Steine soll man nie verachten!
Liegen sie auch jetzt im Kote
Bleibt doch jeder Gottes Bote:
Hingestreut auf allen Wegen
Bergen sie noch Kraft und Segen.
142 Nachlese
Verborgener Quell
Lasse, o Sucher,
Dem Hindu All-Brahma, ‒
Buddha und Padmasambhâva
dem Lama, ‒
Glaube dem Moslim:
«Allah il Allah», ‒
Ehre das Kreuz
Und das heilige Buch!
Achte bei Allen
Das gläubige Suchen!
Was aber alle
Nicht finden, ‒
Das such'!
143 Nachlese
Höchste Herkunft
Anm.: Entsprechend der 2.Auflage
Du, Mensch der Erde,
Bist nicht «Gott»!
Doch, magst du auch
Der ärgste Frevler sein,
So bist du doch aus Gottes Art: ‒
Aus Gottes Mutterschoß und Samen, ‒
Und birgst in dir verborgen
Gottes Namen.
Wirst du einst dieses Namens wahrhaft inne,
So öffnen sich dir ungeahnte Sinne: ‒
Du lernst dich selbst in Gottes «Namen» nennen.
Und in dir selber deinen Gott erkennen. ‒
Dann bist du allem Nichtigen entwunden,
Und deine Seele hat sich heimgefunden. ‒
144 Nachlese
Notwendiges Irrenkönnen
Anm.: Entsprechend der 2.Auflage
Verachtet euer Irren nicht,
Ihr Wanderer zum Licht!
Ihr würdet niemals euer irdisches Erkennen
In der Wahrheit wissen,
Wäre vordem nicht durch euer Irren
Euch das Maß gewiß geworden,
An dem Wahrheit zu ermessen ist!
Vornehmlich aber darf euch allen
Euer Irrenkönnen gut gegründet gelten,
Weil es aus Gott: ‒
Der un-bedingten Wahrheit ‒ stammt,
Die sich in ihren zeit-bedingten Welten
Selbst die Möglichkeit des Irrens schuf,
Um Irrendes auf wunderbaren Wegen
Immer wieder in sich zu erreichen, ‒
Folgend eigenem myriadenfachen Ruf. ‒ ‒
145 Nachlese
Trost
ist nicht draußen!
Suche der Seele Tröstung
.nicht bei Andern, ‒
Im Wahn befangen:
.Trost sei zu «erwandern»!
Trost ist nicht nahe,
.Trost nicht fern zu finden,
Solang noch Grimm und Groll
.die Seele binden!
Will sie nicht aus sich selbst
.getröstet werden,
Wird ihr gewiß kein Trost
.zuteil auf Erden! ‒ ‒
146 Nachlese
Friede
Das, was die Dichter ‒ müde matter Streite....
.unter sich wohl «Friede» nennen,
Das ist der Friede,
.so wie ich ihn bringe,
.wahrlich nicht!
Wollt ihr auf Erden schon
.zu meinem Frieden kommen,
So suchet in euch selber
.mich ‒ in lauterklarstem Licht ‒ !
Selbst dort, wo wahntoll
.blutbefleckte Leiber
.und verstörte Erdenseelen kämpfen,
Spricht noch mein Friede frei
.vor ewigem Gericht!
147 Nachlese
Augenwanderungen
Ihr heiterfrohen Berge
Wein- und Baum-begrünt,
Die ihr in herben Bogen bald,
Und bald wie Felsenburgen
Meinen See umsiedelt, ‒
Ihr kennt ihn lange schon,
Den Wanderer, der schauend
Euch umschreitet,
Und seines Auges lichte Blicke
Weit im Schauen weitet,
Wenn er euch wiederum und wieder
Ueberwandert,
Damit er eure Gipfel, eure Schrunden
Zärtlich zart betaste,
Nachdem er ‒ fern auf seiner Lagerstatt
Mit seinem Auge euch berührend ‒
Sehnend euch umfaßte!
148 Nachlese
An die Säulen des Parthenon
Anm.: Entsprechend der 2.Auflage
Lange sah ich euch nicht mehr:
Lichte aus Lichtem gewonnen!
Reine aus Reinstem geronnen!
Ihr Säulen des Parthenon! ‒
Lichthelle bergend im Innern,
Von außen her honig-gelb
Patina übersponnen.
Lange schon sah ich nicht nächtlich
Das Mondlicht euch übergießen,
Und euer eigenes Leuchten
In seine Helle zerfließen! ‒
Wann aber wollte wohl einer
Euch, Lichte, jemals vergessen,
Der, euren Klängen ergeben,
Zu euren Füßen gesessen?!
149 Nachlese
WER IST BÔ YIN RÂ?
OBWOHL alles, was nötig sein kann, um ei‐
nen Menschen zu rubrizieren, längst dort
verzeichnet steht, wo man nach derlei Dingen, so‐
weit sie Bücherautoren betreffen, zu suchen
pflegt, dürfte ich doch selbst am besten über mich
Bescheid wissen. Das wäre mir aber noch lange
kein Grund dafür, von mir selbst hier zu reden,
wenn nicht Schweigen zu allem, was als Legende
umläuft, als Billigung ausgelegt werden könnte.
.Daß ich nicht ein «chinesischer Dichter» bin, als
den man mich allen Ernstes in einer Wiener Zei‐
tung feierte ‒ und Gustav Meyrink, der einst ein
Vorwort zu meinem «Buch vom lebendigen Gott»
geschrieben hat, daneben als «Entdecker» dieses
Zeitgenossen aus dem Reiche der Mitte ‒, hätte
dem freundlichen Rezensenten ein Blick in den
«Kürschner»* allerdings sagen können.
* Kürschners Deutscher Literatur-Kalender, Berlin und Leipzig
150 Nachlese
.Bedenklicher wird schon die Lesart, ich sei von
«buddhistischen Mönchen» erzogen und «von Fa‐
kiren ausgebildet» worden.
.Dagegen läßt es sich immerhin verstehen, wenn
Buchrezensenten mit wichtiger Betonung ver‐
künden, daß ihr Wissen um meinen deutschen
Familiennamen: Schneiderfranken ihr günstiges
Urteil weiter nicht behindern könne.
.Dem allem gegenüber glaube ich doch die
Pflicht zu haben, einmal auszusprechen, daß ich
meinen Namen Bô Yin Râ mit mindestens der
gleichen Berechtigung trage, wie ein anderer
etwa sein Adelsprädikat. Es handelt sich hier nicht
um ein frei gewähltes «Pseudonym», sondern um
den Namen, der mir einst von Menschen gegeben
wurde, denen ich enger als allen anderen ‒ ja en‐
ger selbst als meiner Familie ‒ verbunden bin, so
daß er denn auch ohne jeden weiteren Zusatz in
meinen wichtigsten behördlichen Papieren ganz
in gleicher Weise wie der Familienname er‐
scheint.
.Wie jene Menschen in mein Leben traten, habe
ich selbst in meinem Buch der Gespräche mit aller
hier erlaubten Deutlichkeit erzählt. Ich spreche
dort gewiss von asiatischen Ariern und Mongolen,
151 Nachlese
aber weder von «Fakiren» noch von «buddhisti‐
schen Mönchen»!
.Ich sprach in meinen Büchern so oft von der
Art dieser geistigen Vereinigung, daß ich hier
wohl mich damit begnügen darf, zu sagen: ‒ es
handelt sich keineswegs um die Vertreter irgend‐
einer östlichen Religion, Theo- oder Philosophie,
sondern um nichts Geringeres als den seit der Ur‐
zeit stets verborgenen und streng gehüteten gei‐
stigen Tempel, der, von Weisen aller Zeiten stets
vermutet, aber nur von Seltenen gekannt, in Ver‐
bindung mit allen geistigen Strömungen in der
Menschheitsgeschichte stand, soweit sie, über die‐
ses Erdenleben hinaus, die Rätsel der Ewigkeit zu
erforschen suchten.
.Daß ich ein Glied dieses geistigen Kreises
wurde, ist wahrlich nicht mein Verdienst. Ich
hatte nie den sonderbaren Ehrgeiz, ein «Heiliger»
zu sein und wäre auch als ein solcher keinesfalls
diesem Kreise nahegekommen. Mit ihm verbun‐
den aber ward mir die Pflicht, in diesen Tagen al‐
len Suchenden zu künden von dem, was sich mir
auf eine Art enthüllte, die jenseits von allem intel‐
lektuellen Erschließen ist. So entstanden die Bü‐
cher, die meinen Namen tragen und die ich nur
unter diesem Namen geben durfte, da wahrlich
meine bürgerliche Herkunft nichts damit zu tun
152 Nachlese
hat, daß ich sichere Kunde von den Dingen brin‐
gen kann, die in diesen Schriften behandelt wer‐
den.
.Literarischer Ehrgeiz lag mir von Anfang an
fern, und Broterwerb brachte mir seit Jahrzehn‐
ten eine andere Tätigkeit, die sich genugsam auch
heute warmer Anteilnahme erfreut.
.Wenn ich auch dort, wo es nicht unerläßlich ge‐
boten ist, mit dem mir gewordenen Namen
zeichne, so drückt dies nichts anderes aus, als daß
ich mich ihm weit enger als meinem Familienna‐
men verbunden weiß, was wieder Folge innerer
Einheit ist, die in dem nur eigene Geistesart nach
uralten Lautwertgesetzen bezeichnenden Namen
allein sich selbst erkennt.
.Denen, die auch um meine äußere Herkunft
wissen wollen, aber sei gesagt, daß ich vom Vater
wie von der Mutter her aus alter, christlicher Bau‐
ernfamilie Mitteldeutschlands stamme.
.Ich wünschte aber, daß die Tausende, die
meine Bücher lesen, mehr nach dem Inhalt als
nach dem Autor fragten.
153 Nachlese
ZANONI
IM «Talisverlag» (Verlag Magische Blätter) ist
jetzt ein sehr schöner Neudruck des Bulwer‐
schen Romans «Zanoni» herausgekommen, einge‐
leitet und mit einem aufschlußreichen Nachwort
versehen durch den Münchner Dichter Hans
Christoph Ade*, den man wohl heute als besten
Kenner und Deuter des seltsamen Bulwerschen
Romans ansprechen muß.
.Man erwarte nun hier keine Buchrezension!
.Ich wiederhole, was ich vielen Einzelnen, ‒ Ver‐
legern und Autoren, ‒ stets wieder sagen mußte:
daß es im Rahmen der mir gebotenen Zeit völlig
unmöglich ist, Bücher zu lesen und noch weniger,
sie zu rezensieren, daß ich aber auch keineswegs
meine Aufgabe darin sehe, dies zu tun.
So muß ich auch hier nun die Rezension einer an
deren Feder überlassen, so sehr es mich reizen
* szt. Redaktor der «Magischen Blätter», Leipzig.
154 Nachlese
könnte, sie zu schreiben, denn es ist durchaus nur
sehr Erfreuliches über diese Neuausgabe und ihre
Bearbeitung zu sagen; besonders aber muß ich
der Deutung, am Schluß meine freudigste Aner‐
kennung zollen.
.Das Buch war eine äußerst angenehme Überra‐
schung für mich, obwohl ich aus Ankündungen
von seiner Vorbereitung wußte, und wenn ich
nun sein Erscheinen zum Anlaß nehme, einiges
zu sagen, so handelt es sich mir darum, unzählige
Briefe, die ich sicher jetzt wieder erhalten würde,
aber dem Einzelnen nicht beantworten könnte, im
voraus von mir abzuhalten, wobei mich hoffentlich
die Post der verschiedensten Länder nun nicht für
den so entstehenden Ausfall haftbar machen
wird.
Ich gestehe also gleich zum Anfang, daß ich dem
«Schlüssel» den Hans Christoph Ade dem «Za‐
noni» mitgibt, an keiner Stelle etwas zuzufügen
hätte.
.Ich kann auch nur dem Bearbeiter Zustim‐
mung geben, wenn er deutlich darauf hinweist,
daß dieser Roman kein Lehrbuch der Magie und
noch viel weniger etwa die ‒ wenn auch verhüllte
Darstellung einer außerhalb der Phantasie des
155 Nachlese
Dichters von ihm erlebten Wirklichkeit ist, ganz ge‐
wiß auch keine Lehre darbieten will, die zur Erlan
gung geistiger Erkenntnis führen könnte.
Es ist nötig, das ausdrücklich zu betonen, wie es
auch immer wieder nötig ist, daraufhinzuweisen,
daß Bulwer selbst weder ein «Rosenkreuzer» war,
noch zu solchen in Beziehung stand, wie es denn
überhaupt keinen mißbrauchteren Namen gibt
als den der «Rosenkreuzer», die einstmals eine
sehr harmlose Aufklärergesellschaft waren, durch die
Zeitverhältnisse gezwungen, sich im Geheimen nur
zu etablieren, und die da doch gar sehr bedenk‐
lich ihre Häupter schütteln würden, könnten sie
heute hören, was Phantastik und Wundersucht, mit
kategorischer Bestimmtheit, ihnen alles nachzu‐
sagen weiß. ‒ ‒
.So wie aber heute nun sich alle möglichen Ver‐
einigungen «Rosenkreuzer» nennen, oder gar be‐
haupten, deren «Schriften» zu besitzen, wenn sie
im Antiquariatsbuchhandel ein paar wunderlich
okkulte Schmöker, angefüllt mit krausen Wortge‐
bilden und absonderlich gebildeten Emblemen
aufgestöbert haben, ‒ so war es auch ganz im Stile
der Zeit, wenn sich Lord Lytton Bulwer eine Fiction
für seinen Roman erfand, in der die armen «Ro‐
156 Nachlese
senkreuzer» etwas etikettieren mußten, was ohne
solches Namensschild Erklärungen erfordert
hätte, die der Autor niemals geben konnte.
Wie Ade, in klarer Erkenntnis der Zusammen‐
hänge, es sehr deutlich darlegt, war Bulwer zwar
in vielen Dingen gut unterrichtet, von denen freilich
die «Rosenkreuzer» wenig wußten, und die auch
gar zu weit von ihren, heute längst in allgemeiner
Übung stehenden Methoden, die Natur in ihre
Elemente aufzulösen, abgelegen waren, ‒ aber
Bulwers Wissen war ihm erst aus dritter Hand ge‐
worden, und Allzuvieles blieb ihm noch ver‐
schleiert, so daß ihm schließlich all sein Wissen
und Erleben nur noch abrundbar erschien in
künstlerischer Darstellung.
Es verbirgt sich hinter dem so wenig romanhaf‐
ten Roman «Zanoni», wie hinter der «seltsamen Ge
schichte» des «schwarzen Magiers» Margrave, weit
mehr an wahrlich überaus bitterer Resignation, als
der nichtunterrichtete Leser dieser Werke ahnen
mag! ‒ ‒
.Auch Lord Lytton Bulwer hatte, wie so mancher
andere, gesucht, und das Gesuchte nicht gefunden,
157 Nachlese
da er sich nicht genügen hatte lassen an dem, was
ihm gegeben worden war, und so auf falsche Fährte
geriet, auf der ihn seine erste Führung dann verlas
sen mußte...
.Die Tragik eines Menschenlebens erhebt sich ‒ nur
leicht verhüllt ‒ hinter Bulwers zwei so sehr ge
heimnisvollen Dichterwerken, die aus der überrei
chen Produktion dieses genialen Schriftstellers
und Staatsmannes, der übrigens auch des Deut
schen vollendet mächtig war und nie seine Sympa‐
thie für Deutschland verleugnet hat, recht son‐
derbar herausragen. ‒
.Die Originalausgabe seines «Zanoni» zitiert auf
dem Blatt vor der Einleitung ein heute unbe‐
kanntes Wort: «Kurz, ich konnte weder Kopf noch
Schwanz daran anbringen». (Der Graf von Gabalis)
als Motto.
.Dieses Wort aber ist hier mehr als seine scherz‐
haft klingende Form vermuten läßt! ‒
.Hier ist ein Selbstbekenntnis Bulwers ausgespro‐
chen, ‒ das Selbstbekenntnis eines Menschen, der
berechtigt war, die ersten Weihen zu empfangen
und sich dann selbst um dieses Recht betrogen
hatte, so daß ihm von allem, was man ihm bereits
gegeben haben mochte, nur ein Torso übrig blieb,
aus dessen Anblick immer neue Qual erwuchs,
weil er nicht zu vollenden war! ‒ ‒ ‒
158 Nachlese
In kurzen, dürren Worten gesagt: ‒ Bulwer war
indirekt einst, und durch einen Mittelsmann, in den
Führungsbereich der «Leuchtenden des Urlichtes»
gelangt, hatte sich aber später durch andere Ein‐
flüsse irreführen und von Menschen, denen seine
erste Führung fremd war, zur Ausübung experimen
teller, niederer Magie verleiten lassen, so daß seine
erste Führung ihn fallen lassen mußte. ‒
.Wahrlich, kein Einzelfall, ‒ aber dennoch hier be
sonders bedeutungsvoll, da der künstlerische Nieder
schlag dieses Erlebens vorliegt!
.Bedeutungsvoll vor allem, weil hier ein Dichter
nicht nur einen Stoff behandelt, den er von Ande
ren hat, sondern seinem eigenen Erleben künstleri‐
sche Form zu geben sucht, und weil unendlich viel
aus seiner Darstellung zu lernen ist, wenn man sie
recht verstehen will! ‒ ‒
.Und darum ist die durch Ade besorgte und von
manchem allzubehindernden, zeitbedingten Bal‐
last in kluger Weise befreite, leicht lesbare Neu‐
ausgabe des «Zanoni» so sehr zu begrüßen, ganz
abgesehen von der durchaus auf sicherer Fährte
schreitenden Deutung, die Bulwers Werk zum er‐
stenmale so sehen lehrt wie es gesehen werden
muß, soll es nicht zum «Steinbruch» für die wil‐
159 Nachlese
den Groteskbauten irrer Phantasterei erniedrigt wer‐
den! ‒ ‒ ‒
.Allen aber, die nach der Lektüre dieses immer
wieder neuen Buches, das man des öfteren lesen
muß, um seine Winke zu verstehen, nun an mich
schreiben möchten, um Gewißheit zu erhalten, ob
sie auch «die Symbolik recht verstanden» hätten, muß
ich hier sagen, daß mir Anderes zu tun obliegt, als
ihnen einen Kommentar zu geben, so daß sie Ant‐
wort nicht erwarten dürfen.
.Wie Ades Nachwort sie so richtig belehrt,
kommt es bei diesem Buche keineswegs auf die Ent
hüllung der Symbole an!
.Bulwer gebrauchte die Symbolwelt die er sich
geschaffen hatte, viel zu souverain, als daß es nicht
sofort den ärgsten Irrtum fördern würde, wollte
man sie einheitlich zu «deuten» suchen. ‒
.Sie ist ihm auch nicht dazu da, «Bedeutungen»
zu schaffen!
.Als wahrhaft großer Mensch bewahrte er auch
nach der Abirrung von seinem Wege, dem, was er
einst erlebend zu empfinden sich gewürdigt sah, die
höchste Ehrfurcht, so daß es seine stete Sorge blieb,
Erlebtes zu gestalten und dennoch zu verhüten, daß
etwa ein Symbol in klarer Weise deutbar werden
160 Nachlese
könnte, da er aus eigener Erfahrung wußte, daß
nicht jeder für den Weg zur Wahrheit schon berei
tet ist, und außerdem die Grenzen respektierte, die
ihm von früherher gezogen waren. ‒
.So schafft er sich Symbole, die das Sensations
bedürfnis derer zu befriedigen vermögen, die
doch nicht fähig wären, jenen Weg zu gehen, den er
selbst im Irrtumswahn dereinst verlassen hatte...
.Und in der Einleitung läßt er den seltsamen Ge‐
währsmann, den er sich erfand um die Fiktion zu
stützen, daß er nur fremde Handschrift übersetze,
von dem Werke sagen:
«Es ist eine Wahrheit für die, welche es verstehen
können, und ein Unsinn für solche, die es nicht kön‐
nen.» ‒ ‒ ‒
Also hat es auch gar keinen Zweck, bei mir anzufra‐
gen, ob man sich in der «Deutung» der Symbolik
Bulwers irre, oder nicht!
.Entweder, man gehört zu jenen, die aus diesem
Buche Wahrheit schöpfen, oder man wird nur Un
sinn fördern, indem man durch versuchte «Deu
tung» der Symbolik das zu finden hofft, was nur
durch Verstehen der Gestaltung des Erlebens fühl‐
bar werden kann. ‒ ‒ ‒
161 Nachlese
Sehr oft ist überdies im Buche reichlich von Din‐
gen die Rede, die sehr geheimnisvoll erscheinen,
und doch nur um des künstlerischen Spieles willen
eingeflochten wurden, während an anderen Stel‐
len scheinbar völlig unbedeutendes Geschehen tiefe
Weisheit in sich birgt. ‒
.Wer hier belehrt sein will, der lasse sich nicht
von der Neugier plagen, ob dies und jenes sich auf
wirkliches Geschehen gründe, oder was es als Symbol
bedeute!
Er halte fest, daß ‒ wie auch Ade klar erkannte
und in seinem Nachwort darlegt ‒ «Zanoni» und
«Mejnour» zwei Typen, ‒ oder wenn man will, zwei
Auswirkungsformen, ‒ im Symbol, als Handelnde zu
zeigen suchen, die jederzeit und stetig eng verbun
den, in der Vereinung aller «Leuchtenden des Ur
lichts» wirken.
.«Zanoni» repräsentiert den mehr zur Milde nei‐
genden, alles miterfühlenden Pol, «Mejnour» dage‐
gen den Pol des strengen Gesetzes, der sich vom
Erdenmenschlichen isolieren muß, und nur durch
den anderen wirkenden Pol der Milde und des Er
barmens noch mit der Menschheit in Verbindung
bleibt.
162 Nachlese
.Gewiss sind beide Pole im Buche nicht immer ganz
richtig gezeichnet, aber im Wesentlichen bleiben sie
stets gut bestimmt und erkennbar.
.In Glyndon aber ist der Suchende dargestellt, der
sich zuviel vertraut und sich aus eigenem Willen
aus der schützenden Nähe des Poles der Milde in
den überstrengen Bereich des Poles harter Gesetz
lichkeit begibt, allwo er die Probe nicht besteht,
sich vom niederen Magischen anlocken läßt und
schließlich dadurch alle weitere Führung verliert.
Da Bulwer über die wahre Natur Zanonis und
Mejnours, ‒ auch als Einzelgestalten ihrer Art be‐
trachtet, ‒ nicht sprechen durfte, ohne Eidbruch zu
begehen, so sucht er ihre Sonderstellung auf eine
phantastische Weise darzustellen um sie dem Leser
empfindbar zu machen.
.Sehr vieles bleibt daher reine Allegorie, oder
deckt sich nur dann noch, wenn man es quasi «rück
übersetzt», in gewisser veränderter Form mit der
Wirklichkeit.
.Wirklich wichtig aber bleibt dem Autor stets nur
das Erleben, zu dem er seinen Leser durch Er‐
weckung des Mitempfindens zwingt! ‒
163 Nachlese
.Er will nur als Gestalter wirken, nicht als Lehren
der.
.Alles, was er etwa lehrend sagen zu müssen
glaubt, faßt er in kurze Zitate, die er jeweils den
Kapiteln mit auf den Weg zum Leser gibt.
Ich wünschte, daß recht viele dieser Leser nicht eher
ruhen möchten, als bis sie das Buch sich restlos zu
eigen machen konnten!
.Es glaube aber keiner, daß ich die Verpflich‐
tung hätte, oder auch nur gesonnen sei, ihn, über
das hier Gesagte hinaus, noch in Einzelheiten zu
belehren!
.Der Roman «Zanoni» ist ein Buch, das aufrütteln
und erwecken kann, und, wenn es recht verstanden
wird, auch die Gefahren meiden lehrt.
.An Hand des Buches aber letzte Wahrheit aufzu‐
zeigen, hieße die Wahrheit wie das Buch mißbrauchen,
und wäre ein Versuch am untauglichen Objekt! ‒
.Und nun: ‒
.Nimm und lies!
164 Nachlese
«WIE SIE IHN SAHEN»
EIN FUNDBERICHT
(«Jesus, wie sie ihn sahen» von C. A. Bernoulli)
ES geht hier um ein Buch, aber nicht in der Ab‐
sicht, dieses Buch zu rezensieren, denn dazu
müßte ich selbst Religionshistoriker sein, wie sein
Verfasser.
.Es geht um ein Buch, das ich allen Lesern mei‐
ner eigenen Bücher in die Hände wünsche!
.Besonders aber denen, die am «Schriftwort» lei
den, seitdem sie nicht mehr jene Form der «Wahr‐
heit» in den Evangelien gesichert finden, die ih‐
nen heute stenographisch aufgenommene Parla‐
mentsberichte und Gerichtsverhandlungsakten
etwa darzubieten haben...
.Das Buch, dem ich hier Zeugnis geben muß,
weil ich als Schuld empfinden würde, nicht von sei‐
ner Existenz zu sprechen, ist mir selbst vor wenig
Wochen erst bekannt geworden.
.«Jesus, wie sie ihn sahen» nennt Carl Albrecht Ber
noulli, als Autor, dieses lebendige lebenwirkende
Werk!
165 Nachlese
.Als ich zum erstenmal den Titel las, war mir
zwar wohlbewußt, daß eine religionshistorische
Forscherarbeit vorliegen müsse, deren Daten
man vertrauen könne, wie man nur dort vertraut,
wo man bereits Bestätigung empfing.
.Vor vielen Jahren hatte ich solche Bestätigung
bereits erhalten, als eben Bernoullis Darstellung
der Freundschaft zwischen dem ihm selbst nah
befreundeten Franz Overbeck und Friedrich Nietz
sche erschienen war, und mein Vertrauen konnte
sich nur vertiefen durch den Einblick in das drei‐
bändige Werk über J.J. Bachofen, dem vor einigen
Jahren Bernoulli, als genialer Plastiker des Wor‐
tes, ein Denkmal schuf unter dem Titel «Urreligion
und antike Symbole».
.Wer diese Dinge dergestalt zu deuten wußte,
wie Carl Albrecht Bernoulli, der hatte auch gewiß
außerordentliches zu sagen, wenn er über die
drei ersten Evangelien und den Jesus ihrer Schil‐
derung schrieb.
.Jedwede Erwartung aber wurde weit übertrof‐
fen, als mir das neue Werk dann endlich vor Augen
kam...
.Ich wiederhole, daß ich mich nicht berufen
fühle, dieses Buch über «Jesus, wie sie ihn sahen»
vom religionshistorischen Standpunkt aus zu würdi‐
166 Nachlese
gen, auch wenn ich nicht leugnen darf, doch im‐
merhin ziemlich ausreichend beraten zu sein
über den Stand der Textklarstellung des «Neuen
Testamentes» durch unvoreingenommene For‐
scherarbeit.
.Mir ist das Buch des großen Basler Gelehrten
als Werk der Darstellung so überaus bedeutungs‐
voll, daß ich Verpflichtung fühle, eindringlichst
darauf hinzuweisen.
.Ich kenne kein literarisches Bildnis des «größ‐
ten Liebenden», das ihm auch nur entfernt so «ähn
lich» wäre wie die plastische Gestaltung, die Ber‐
noulli aus dem sorglichst gereinigten Bildhauer‐
ton der Synoptikertexte erwachsen ließ!
.Da ich ja hier zu Menschen rede, die bereits aus
meinen Schriften wissen können, welche Weise
des Vergleichens mir eröffnet ist, so brauche ich
wohl nicht aufs neue darzulegen, was mein Urteil
sichert, gilt es ein Bild des Meisters von Nazareth
an der Wirklichkeit zu messen...
.Wohl aber muß ich vor dem Irrtum warnen, als
könne Forscherarbeit und geniale Intuition aus
dem in Evangelientexten eingestreuten, leidlich
sicher auf Bericht Mitlebender hinweisenden Le‐
gendenschatz jemals ein Jesusbild gestalten, das
in allen seinen Zügen sich mit der Gestalt des Man‐
167 Nachlese
nes decken würde, der vormaleinst im alten Palä‐
stina lehrte, litt und als Gemarterter am Kreuze
starb, wonach man ihm dann selber seine Tempel
baute.
.Es ist schon Unschätzbares aufgestellt, vermag
hier Forschung und Gestaltungskraft ein Bild zu
schaffen, das in gewissen psychologisch wichtigen
Zügen Ähnlichkeit erreicht!
.«In die Sphäre des Geheimnisses kann die Forschung
nicht vordringen...» sind Bernoullis eigene, Gren‐
zenklarheit schaffende Worte.
.Es liegen uns nur alte «Lehr»-Kunden, aber kei‐
neswegs wirkliche «Ur»-Kunden vor, so daß es zu‐
erst unsäglicher, mühereicher Kleinarbeit vieler
Forschender bedurfte, um nur das Wenige zu si‐
chern, was vielleicht Anspruch erheben kann, als
Nachhall ursprünglicher Kunde zu gelten.
.Bernoulli prüft nun mit äußerster Vorsicht das
schon von Anderen gesichtete Wortmaterial aufs
neue, immer sorgsam untersuchend, ob nicht da
oder dort ein Satz die ‒ wenn auch reichlich aus‐
gebleichte ‒ Ursprungsfarbe trage.
.So sichert er nicht nur seinem Bildnerstoff die
Dauer, sondern gibt auch dem Leser, der stets sol‐
168 Nachlese
cher Nachprüfung beiwohnt, selbst gewisse Ur‐
teilsmöglichkeiten an die Hand.
.Zudem sind die Stellen der alten Texte stets in
der gesichertsten Übersetzung deutlich im Druck
hervorgehoben und immer zugleich auch die
minder wichtigen Verse vermerkt, für den, der
sie selbst vergleichen will.
.«Jesus, wie sie ihn sahen», ist durchaus das Buch
eines an strengste Wissenschaftlichkeit gewöhnten
Geistes, obwohl es etwas völlig anderes ist als
«trockene Wissenschaft».
.Auch der keineswegs «wissenschaftlich» Gebil‐
dete wird von den Seiten dieses Buches kaum los‐
kommen können, so krafterfüllt und lebenerre‐
gend wird auf ihn eingesprochen, und wenn ihm
schon wirklich da und dort ein Fachwort der Ge‐
lehrsamkeit noch unbekannt ist, dann braucht er
nur weiterzulesen, um es durch den gegebenen
Zusammenhang verstehen zu lernen.
.Aber kein Leser darf vergessen, daß sich der
Forscher nur an das im Schriftwort Gegebene zu hal‐
ten hat, so daß denn auch hier nur gezeigt werden
kann, was der Wissenschaft zugänglich ist und je‐
derzeit nachprüfbar.
169 Nachlese
.Aus diesem Material allein darf der Künstler im
Gelehrten dann das Bild vergangenen Lebens ge‐
stalten, so wie es sich seiner Gestaltungskraft er‐
gibt.
.Carl Albrecht Bernoulli ist nicht nur Historiker
und souveräner Wortgestalter, sondern auch siche‐
rer Psychologe, der in allen Sondergebieten dieser
Spezialwissenschaft die benötigten Schächte und
Stollen genauestens kennt, und so begibt es sich
denn hier, daß der Historiker gleichsam mit der
Wünschelrute sucht, bis er die Goldverstecke auf‐
gefunden hat, die dann der Psychologe sorgsam
auszuwerten weiß, um endlich dem Künstler, der
er gleicherweise ist, vorzulegen, was Material zu
plastischer, rekonstruierender Gestaltung wer‐
den kann.
.Es ist allen notwendig, dieses überaus bedeut‐
same Buch zu lesen, denen bisher noch die
Brücke fehlen mag zwischen dem in der Kindheit
schon vernommenen «Wort der Schrift» und den
Mitteilungen über Jesu Leben, Wirken und Tod,
die ich in meiner Aufhellung des vierten Evange‐
liums («Die Weisheit des Johannes») seinerzeit ge‐
geben habe.
.Carl Albrecht Bernoulli hält sich allein an die
drei ersten Evangelien und an das, was er in den
170 Nachlese
dort als möglichst gesichert geltenden Textworten
intuitiv erkennt.
.Bei mir ist vom vierten Evangelium die Rede,
und ich gebe Mitteilung von dem, was die Schau
ungskraft der Seele mir enthüllt, ohne dafür nach ir‐
gendeinem wissenschaftlich überprüfbaren Beleg
zu suchen, da solcher Nachweis hier naturbedingt
unmöglich ist.
.Dennoch wird der Leser beider Bücher leicht
entdecken, wie nahe das aus der Gelehrten For
scherarbeit genial gestaltete, urtümlich lebensvolle
Jesusbild Bernoullis, dem aller Menschenmeinung
überhobenen Bestand der Wirklichkeit sich an‐
gleicht, der nun einmal der Wissenschaft leider
entzogen bleibt und nur dem schauenden Erle‐
ben Weniger sich offenbart.
.Ich weiß gewiß, daß man mir allerorten danken
wird für diesen Hinweis auf ein Buch, das keiner
wieder missen möchte, dem es Besitz und inneres
Erleben wurde.
Zum empfohlenen Buch (nicht i.d. Nachlese enthalten), mp3: hier oder hier
171 Nachlese
«IM SPIEGEL»
EINE NOTWENDIGE AUFKLÄRUNG
ALS Ende 1917 Gustav Meyrinks phantasti‐
scher Roman «Walpurgisnacht» erschienen
war, wurde ich von allen Seiten mit Briefen be‐
stürmt, in denen man großer Befremdung dar‐
über Ausdruck gab, daß in einem Kapitel des Ro‐
mans, in stark betonter Weise, Äußerungen zu fin‐
den seien, die doch, trotz dem phantastischen
Rahmen, allzudeutlich ihr Herkommen aus mei‐
nen, einige Jahre vorher veröffentlichten Einzel‐
bändchen: «Das Licht vom Himavat» und «Der Wille
zur Freude» verrieten.
.Ähnlicher Unmut scheint sich auch jetzt wieder
einzustellen, nachdem in einem Nachruf für Gu‐
stav Meyrink, im letzten Heft der «Säule», gerade
die hier in Betracht kommenden Textstellen des
erwähnten Romans besonders hervorgehoben
worden waren.
.Da ich aber unmöglich zulassen kann, daß üble
Mutmaßungen, die ich zu entkräften vermag,
dem Namen Gustav Meyrinks zu nahe treten,
172 Nachlese
während ich andererseits mich nicht in der Lage
sehe, in privater Korrespondenz die unberechtigten
Meinungen zu berichtigen, so bleibt mir nichts
anderes übrig, als hier vor den gleichen Lesern,
die durch die Zitate des Nachrufs zu irrtümlichen
Annahmen gelangten, die Zusammenhänge auf‐
zuklären.
Veranlaßt durch die Lektüre meiner oben ge‐
nannten Schriften hatte mich Meyrink im Früh‐
jahr 1917 an meinem damaligen Wohnort, der
etwa zehn Stunden Schnellzugsfahrt von dem sei‐
nen entfernt lag, aufgesucht, und wir waren uns
in mehrtägigen intensiven Gesprächen über den
Inhalt meiner Schriften menschlich freundschaft‐
lich nahegekommen.
.Die Folge war, daß ich ihm, auf seinen Wunsch
hin, gerne das Recht einräumte, alles, was ihm aus
diesen Gesprächen in der Erinnerung haften
bleibe, sowie auch alles, was in meinen Schriften
niedergelegt sei, unbedenklich als literarisches
«Material» zu verwerten, wenn es ihm in seinen da‐
mals beabsichtigten und nur zum Teil später aus‐
geführten neuen Romangestaltungen, von denen
er mir viel erzählte, gerade besonders gelegen
käme.
173 Nachlese
.Sein erster, seit unserem Bekanntwerden, noch
zu Ende des gleichen Jahres, erschienener Ro‐
man war «Walpurgisnacht».
.In dem Kapitel «Im Spiegel» läßt er den unheim‐
lichen Somnambulen «Zrcadlo» auftreten, aus
dem zuerst «das innerste Ich» des Kaiserlichen Leib‐
arztes Flugbeil, diesem, während der Befragung
des in Trance Befangenen, entgegenspricht, und
die in dem kürzlich erschienenen Nachruf zitier‐
ten Gedanken über die Freude äußert, die ja deut‐
lich genug meine Abhandlung «Der Wille zur
Freude» als Anregungsquelle verraten.
.Später spricht dann aus dem Somnambulen
eine andere Stimme, die sich als die eines gleich‐
zeitig lebenden Weisen, eines «Mandschu» zu er‐
kennen gibt, und allerlei Dinge über das «Ich»
sagt, die ebenso deutlich auf meine Schrift: «Das
Licht vom Himavat» bezogen sind, weit mehr noch
aber Reminiszenzen an das im damaligen Früh‐
jahr zwischen Meyrink und mir Gesprochene dar‐
stellen.
.Meyrink war durchaus zur Verwendung des
«Stoffes», um den es sich künstlerisch für ihn han‐
delte, berechtigt, aber die Art der künstlerischen
Verwendung gerade des von mir zu ihm Gespro
chenen erschien mir nachgerade etwas zu sehr «freie
174 Nachlese
Interpretation», so daß ich ihn alsbald bat, doch
lieber zukünftig auf mich als «literarische Stoff‐
quelle» verzichten zu wollen.
.Meines Wissens ist dann auch keine Zeile mehr
in Meyrinks weiterem Schaffen entstanden, deren
Anregung irgendwie auf mich zurückgeführt
werden dürfte, wie ja auch andererseits die Ro‐
mane «Der Golem» und «Das grüne Gesicht» längst
erschienen waren, bevor ich Meyrink zum ersten‐
mal sah.
In späteren Jahren hat sich übrigens Meyrink
mir gegenüber mehrfach sehr entschieden dahin
ausgesprochen, daß er «nicht im Traum» daran
denke, die in seinen okkulten Romanen behan‐
delten Lehren und Erlebnisse selbst als richtig
oder als erlebensmöglich anzusehen, obwohl er
für alles in seiner Bibliothek literarische Belege,
zum Teil sehr seltener Art, besitze. «Als Roman‐
schriftsteller» behalte er sich jedoch vor, das Mate‐
rial zu verarbeiten, das ihn «besonders reize», wo‐
bei er jede eigene Verantwortung für die aus litera‐
rischen Quellen entnommenen und von ihm
künstlerisch dargestellten Lehren ablehne. Seiner
Auffassung nach sei es jedoch «einfach künstlerische
Forderung», daß der Autor eines Romans oder
einer Erzählung den Eindruck erwecken müsse,
175 Nachlese
als sei er selber überzeugt von den Dingen, die
sein Stoffgebiet ausmachen. Ihm falle es leicht,
diese Forderung zu erfüllen, da er ja tatsächlich
von der Existenz einer, dem Menschen normaler‐
weise unzugänglichen, okkulten Welt überzeugt
sei, deren Einflüsse er oft sogar beim Schreiben
seiner Sätze spüre.
.Man wird dem Gesamtwerk des dahingegange‐
nen Dichters nur dann gerecht, wenn man die in
seinen Romanen und Erzählungen stofflich mit‐
verwendeten Lehren nur auf die Gestalten bezieht,
denen er diese Lehren in den Mund legt. Er selbst
aber wollte sich niemals etwa als Lehrer okkulter
oder mystischer Anschauungen, sondern als
freier Künstler beurteilt sehen, dem jede Stoff‐
benützung erlaubt ist, durch die er in künstleri‐
scher Gestaltung sein Werk bereichern kann.
.Die in seinem künstlerischen Schaffen deutlich
erkennbare Tendenz ist bei Meyrink in seinem gan
zen dichterischen Werk die gleiche: ‒ Aufstochern
der Gedankenwelt des «Spießers» aller Schichten,
Klassen und Kasten, den er in den früheren Er‐
zählungen ingrimmig verhöhnt, während in den
okkult-phantastischen Romanen der ganze frag‐
würdige Unterbau einer allzuselbstgewissen dün‐
kelbeladenen Weltanschauung in grellen Blink‐
lichtern bespiegelt wird.
176 Nachlese
.Allen, die Meyrinks dichterische Stärke so we‐
nig erfaßt haben, daß sie ihm, ‒ dem phantasie‐
reichsten Menschen der mir je begegnet ist, ‒ zu‐
trauen können, er sei zu heimlichen Anleihen bei
Anderen genötigt gewesen, kann ich mit jeder
Gewißheit sagen, daß seine stets übererregte
Phantasie wahrlich um Erfindungen niemals ver‐
legen war. Wenn er dennoch immer Ausschau
hielt nach ungewöhnlichem Tatsachenmaterial
und nach Bestätigung seiner Ahnungen im Zeug‐
nis solcher Menschen, bei denen er ein unge‐
wöhnliches Erleben vermuten durfte, so waren es
rein künstlerische Gründe, die ihn dazu bestimm‐
ten, und nur künstlerische Empfindung konnte für
ihn maßgebend sein, wenn er Berichte über nicht
alltägliches Erleben auf seine Art in sein Schaffen
verwob.
.Daß die Beziehungen zwischen Meyrink und
mir, wie bekannt, allmählich in eine gewisse Ent‐
fremdung übergingen, war gleichsam automa‐
tisch eintretende Folge der übergroßen Verschie‐
denheit in der beiderseitigen Auffassung geistiger
Dinge, die ihm nur Gegenstand künstlerischer
Bearbeitung blieben, während ich ihnen nie an‐
ders als unter höchster Ehrfurcht nahen kann, da
sie mir ja erfahrungsgewiß sind.
177 Nachlese
Auszüge aus dem Briefverkehr um 1920 ->hier OO
(nicht i.d. Nachlese enthalten - nicht verifizierbar!) OO
ENDE