WARUM
ICH MEINEN
NAMEN FÜHRE
FLUGSCHRIFT DER
KOBERSCHEN VERLAGSBUCHHANDLUNG 1927
Anmerkung: Diese Flugschrift ist auch im Sammel‐ 00
band „NACHLESE” (1.Auflage 1953, erweiterte Auf‐ 00
lage 1990) enthalten, der vom Verlag NACH dem Tod 00
des Meisters herausgegeben wurde mit der Absicht, 00
VERSCHIEDENSTE Schriftzeugnisse des Meisters vor 00
dem Vergessen zu bewahren.
ICH entstamme einer gänzlich unliterarischen
Familie.
.Bauern, Förster und ländliche Handwerker
waren die Vorahnen meines Blutes. Ich habe nie
von einem vernommen, zu dessen Beruf das
Bücherlesen gehört hätte.
.Von meinem Vater kann ich allerdings be‐
richten, daß er sehr gerne las, obwohl er nur nach
schwerer körperlicher Arbeit die Zeit dazu fand.
.Es war aber eine genau umgrenzte Literatur,
der er seine Aufmerksamkeit schenkte. Er fragte
nicht nach dem Autor (außer bei den Schriften
seines geliebten Alban Stolz, dessen «Weck‐
stimmen» für das katholische Volk er mit Freuden
immer wieder las), sondern sein erster Blick in
ein Buch galt immer dem bischöflichen «Impri‐
matur», das Sicherheit gab, daß der Katholik den
Inhalt vertragen könne ohne Schaden an seinem
Glauben zu nehmen.
.So wurde auch ich über zwanzig Jahre alt und
hatte, außer meinen Schulbüchern und Werken
über Anatomie, Perspektive, Maltechnik oder der‐
gleichen, noch kein Buch ohne kirchliche Zensur
gelesen. Auch dann noch holte ich mir, in pein‐
lichster Befolgung kirchlicher Vorschrift, erst beim
erzbischöflichen Ordinariat in München
Dis‐
pens, um nun mit gutem Gewissen etwas mehr
von deutscher Literatur erfahren zu dürfen, als
was im Schullesebuch stand. ‒
.Von dem allen muß ich hier reden, wenn ich
verständlich machen will, was später in mir vor‐
ging, als ich ‒ meinem geistigen Lehrer verpflich‐
tet und innerlich dazu gedrängt ‒ endlich den
Versuch wagte, mit dem, was ich meinen Mitmen‐
schen bringen konnte, in die Öffentlichkeit zu
gehen. ‒ Das wurde mir keineswegs leicht! Erheb‐
liche Widerstände waren in mir zu bekämpfen, ehe
ich mich schließlich bereitfinden mußte, die Ver‐
antwortung auf mich zu nehmen, die meines Er‐
achtens jeder trägt, der einen von ihm geformten
Satz der Mitwelt durch den Buchdruck über‐
mittelt.
.Nur der
Autorenname, unter dem ich von dem
geistig Erlebten Kunde geben könne, war mir
nie zur Frage geworden. Von allem Anfang
an stand es fest, daß ich von meinen geistigen Er‐
fahrungen unmöglich unter dem Namen sprechen
durfte, der mir stets nur wie das Alleräußerlichste
meines äußeren Lebens erschien: ‒ wie eine zwar
praktisch notwendige «Etikette» für das Einwoh‐
nermeldeamt, aber nichts besagend in Bezug auf
die Charakterisierung des Trägers. ‒
.Meine geistige Schulung hatte mir ganz andere
Begriffe vom Wesen eines wahren «Namens»
beigebracht. Ich hatte erfahren, daß man von
einem «Namen» zum anderen fortschreiten
könne, daß gewisse Buchstaben in einem wirk‐
lichen «Namen» wie geistige Antennen wirken
können, und anderes mehr. Ich hatte selbst als
geistiger Schüler «Namen» getragen, die ich erst
«überwinden» mußte, um meines Namens wür‐
dig zu sein, und ich kannte mich selbst nun nur
in diesem, «meinem» Namen, so daß ich mich
zuweilen, wenn auch nur in Bruchteilen einer
Minute, erst besinnen mußte, wie ich denn
nach dem Adreßbuch genannt werde, und
den äußeren Ruf- und Familiennamen: Joseph
Schneiderfranken, seit dieser Zeit stets nur ohne
jedes innere Verbindungsgefühl niederschreiben
konnte...
.Andererseits aber hing es mir gleichzeitig auch
noch an, daß mir die ganze Jugendzeit hindurch
der Inhalt eines Buches allein wichtig war,
so daß ich den Namen seines Autors meistens
kaum beachtet hatte. Ich kam mir daher als Autor
keineswegs besonders wichtig vor, und solange es
ging, suchte ich mit allen Mitteln zu vermeiden,
daß man mir, über meine Schriften hinaus, per‐
sönliches Interesse zuwende. Nicht anders
suche ich noch heute, solches Interesse abzu‐
lenken.
.Meinen allerersten Äußerungen, die jetzt im
«BUCHE DER KÖNIGLICHEN KUNST»
vereinigt sind, damals aber als kleine Versuche
herauskamen, gab ich nur die Anfangsbuchstaben
B. Y. R. mit, bis ich, beim «BUCH VOM
LEBENDIGEN GOTT», das vor neun Jahren
in seiner ersten Gestalt erschien, mich auf buch‐
händlerischen Rat hin entschloß, statt der Anfangs‐
buchstaben, mit dem ganzen Namen zu zeich‐
nen ‒ trotz seinem orientalischen Klang ‒.
.Ich wußte sehr wohl, daß mir hierdurch manche
Schwierigkeiten erwachsen mußten, und daß ich
‒ gerade bei den Menschen, die in erster
Linie Leser meiner Bücher werden sollten ‒
durch den asiatisch klingenden Namen, der ja nur
als gesuchtes «Pseudonym» aufgefaßt werden
konnte, dem größten Mißtrauen begegnen dürfte.
Auch sah ich die Neugier zu sehr aufgestachelt,
als daß sie mich mit ihren Fragen nach der «Bedeu‐
tung» meines vermeintlichen «Pseudonyms» ver‐
schonen würde.
.Da aber mein buchhändlerischer Berater keines‐
wegs diese Bedenken teilte und auch mit Recht
darauf hinweisen konnte, daß ein Kapitel des
Buches «vom lebendigen Gott» ausführliche
Angaben über die Art geistiger «Namen» bringt,
so faßte ich schließlich genügend Vertrauen in die
Urteilskraft meiner Leser und sagte mir, daß sie
doch wohl aus dem ganzen Buchinhalt
ersehen müßten, wen sie vor sich haben: ‒ daß
sie mir also gewiß nicht zutrauen könnten, ich
fände es für nötig, mich durch ein fremdländisch
scheinendes Pseudonym erst in erwünschte «ben‐
galische» Selbstillumination zu bringen...
.Erfreulicherweise kann ich bestätigen, daß die‐
ses Vertrauen gegenüber den meisten Lesern
meiner Bücher gerechtfertigt war.
.Daneben aber höre ich doch auch zuweilen
von Leuten, die mit begreiflicher Voreingenom‐
menheit an dem «exotischen» Namen Anstoß neh‐
men, und somit Grund zu haben glauben, die
Lektüre meiner Schriften abzulehnen, ohne
auch nur den Inhalt einer Seite zu kennen.
.Andere wieder möchten gar zu gern eine deutsche
und deutliche «Übersetzung» des Namens.
.Ich kann aber hier nicht anders helfen, als daß
ich dem einen sage: «Wenn du Anstoß daran
nimmst, daß ich in dem Namen schreibe, in dem
allein ich mich lauthaft erkenne, und wenn
dir dieser Name zu 'exotisch' klingt, dann nenne
mich meinetwegen wie du willst, aber lies, was
ich auch für dich geschrieben habe!» ‒ und
zu dem andern: «Wenn du dir unbedingt bei
meinem Namen 'etwas denken' mußt, dann übe
einstweilen Geduld, bis du Lautwerte inner‐
lich so erfassen kannst, wie der Musiker
Klangwerte erfaßt, die in Noten dargestellt
sind!»
.Im übrigen könnte wohl auch verstanden wer‐
den, daß ich mich aus reiner Anhänglichkeit
an den geistigen Lehrer, der mir den Namen gab,
BÔ YIN RÂ nennen würde, auch wenn mir
diese drei Silben ebenso «fremd» wären, wie sie
andern vielleicht erscheinen.
.Es sei nur ein für allemal gesagt, daß es sich hier
nicht um drei Worte handelt, aus deren «Sinn»
man irgend etwas herausgeheimnissen könnte,
auch wenn die drei Silben zu Sprachwurzeln einer
alten Sprache gehören, sondern daß sie nur des‐
halb meinen, mir geistmenschlich zugehörigen
«Namen» bilden, weil ihre Lautwerte meiner
Wesensart entsprechen, so wie eine bestimmte
Notengruppe einem bestimmten Akkord ent‐
spricht.
.Mir selbst erscheint das alles so kristallklar
sichtbar, so einfach und selbstverständlich, daß
ich meine, jedes Kind müsse hier begreifen können,
was vorliegt...
.Allerdings weiß ich auch, daß uns das instink‐
tiv-sichere Erfühlen der Lautwerte menschlicher
Sprache als geistig bedingter Werte, so gut wie
ganz verloren gegangen ist, und daß man nicht
fehlgeht, wenn man hier den Grund sucht, wes‐
halb mein geistiger Lehrer meinen «Namen» aus
drei Wurzelsilben einer alten orientalischen
Sprache bildete, obwohl er ihn auch aus Silben
oder Worten meiner Muttersprache hätte fügen
können, was mir auf alle Fälle meine Aufgabe sehr
erleichtert haben würde.
.Man wird mir doch die Einsicht zugestehen, die
nötig ist, um zu wissen, daß nur ein weltfremder
Tor ungeschickt genug sein könnte, sich heute
mit einem fremdländisch klingenden Pseudonym
zu drapieren, aber man sollte auch aus dem In‐
halt meiner Bücher ersehen, daß man mir die
Unehrlichkeit nicht imputieren darf, die in
der Wahl eines «Pseudonyms» gegeben wäre, das
den Anschein erwecken könnte, ich sei ein Mensch
fernen, fremden Stammes.
.Abschließend aber muß ich sagen, daß mir die
Art, in der ich selbst in meiner Jugendzeit gewohnt
war, Bücher zu lesen, indem ich kaum nach dem
Autor, desto mehr aber nach dem Inhalt fragte,
gar nicht so übel gewesen zu sein scheint.
.Ich kann meinen Büchern solche Leser nur von
Herzen wünschen!
.Zuletzt ist sicher der Inhalt eines Buches,
und dieses Inhalts Einwirkung auf die Seele des
Lesers, auch die sicherste Grundlage für das Urteil
über den Verfasser. ‒
ENDE