DAS
GEHEIMNIS
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KOBERSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
BASEL
(Anm.: Erstausgabe 1923)
Um den Forderungen des Urheberrechtes zu entsprechen, sei
hier vermerkt, daß ich im zeitbedingten Leben den Namen
Joseph Anton Schneiderfranken führe, wie ich in meinem ewigen
geistigen Sein urbedingt bin in den drei Silben:
BÔ YIN RÂ
Copyright by
Kobersche Verlagsbuchhandlung Basel 1952
Druck: Adolf Holzhausens Nfg., Wien
INHALT Seite
Beginn 7
Das Gespräch am Strande 43
Santo Spirito 65
Südliche Nacht 117
Die Felseninsel 165
Die Fahrt auf dem Meere 206
Nachwort 271
Originalscan
Allen Suchenden der Welt!
BEGINN
SÜDLICHER Sonne greifbares, lagerndes OO
Licht hatte die Augen der drei Wanderer OO
also der Helle trunken werden lassen, daß sie OO
zuerst wie geblendet standen und in dem OO
dunklen Gastraume der ländlichen Osteria OO
nichts als tiefe Finsternis gewahrten.
.Drinnen aber hatte man die Eintretenden OO
bereits als vornehme Reisende erkannt und OO
so kam es, daß etwas wie jäher Schreck sie OO
durchfuhr, als plötzlich aus der Tiefe des OO
Raumes die polternden Tonkaskaden des OO
landesbeliebten Drehorgelklaviers ihnen in OO
burleskem Pathos entgegenschallten.
.Zugleich auch löste sich aus der Düsternis OO
eine große massige Gestalt, die ihnen beide OO
Hände zum Gruße bot.
.Es war zwar zu bemerken, daß die Gestalt OO
so etwas wie Worte der Begrüßung sprach OO
und nicht wenig stolz zu sein schien auf den OO
lärmenden Empfang, den sie den Reisenden OO
bereiten ließ, allein hier ging jedes Wort der OO
klangreichen Sprache des Landes in einer OO
Sturmflut tollen Geklimpers und bumsender OO
9 Das Geheimnis
Paukenschläge, prasselnder Trommelwirbel OO
unter.
.Durch Zeichen nur konnten die Gäste OO
ihrem fettbäuchigen Gegenüber, in dem sie OO
den aufmerksamen „Padrone”, den Gast‐ OO
wirt, erkannten, allmählich begreiflich ma‐ OO
chen, daß er den wilden Lärm doch endlich OO
beseitigen möge, und nachdem der Verste‐ OO
hende schweren Schrittes wieder in der Fin‐ OO
sternis verschwunden war, riß plötzlich das OO
Tongewirre mitten entzwei.
.In der überraschenden Stille hörte man OO
den Alten Befehle erteilen, auf die eine klare OO
Knabenstimme gehorsame Antwort gab.
.Alsbald gewahrten die nun mehr und OO
mehr an das Dunkel gewohnten Augen der OO
Reisenden denn auch den unschuldigen Ver‐ OO
ursacher so grausamen Lärmens, wie er ‒ OO
ein behender schwarzer Krauskopf der etwa OO
elf oder zwölf Jahre zählen mochte ‒ noch OO
ganz erhitzt von dem eifrigen Drehen des OO
Schwungrads seiner tumultuösen Maschine, OO
bestrebt war, die Krümel der Mahlzeit frü‐ OO
10 Das Geheimnis
herer Gäste von dem grünen Tuche wegzu‐ OO
blasen, das den zunächst stehenden Tisch be‐ OO
deckte.
.Nun erst konnte man auch dem in schwer‐ OO
fälliger Grandezza dienernden Padrone seine OO
Wünsche nach einfacher, landesüblicher Er‐ OO
quickung vermitteln, und es dauerte nicht OO
mehr lange, da saßen die drei Männer auf OO
den strohbeflochtenen primitiven Stühlen OO
um den grünen, mit unzählbaren Spuren ver‐ OO
gossenen Weines und Olivenöles gesprenkel‐ OO
ten Tisch, vor sich die schilfumhüllte lang‐ OO
halsige Flasche, deren vorzüglicher Inhalt: OO
ein tintig dunkler Chianti, bereits die klei‐ OO
nen Wassergläser füllte.
.Käse, Oliven und weißes Brot, jeweils al‐ OO
les zusammen auf drei altersgrauen Stein‐ OO
guttellern, bildeten das ersehnte Mahl.
.Der Padrone und sein kleiner Sohn waren OO
nach der Bereitstellung dieser Genüsse dis‐ OO
kret in unbekannte seitliche Schlupfwinkel OO
verschwunden; man aß und trank und fand OO
sich zuletzt sehr angeregt, das beim Eintritt OO
11 Das Geheimnis
in diesen Gastraum abgebrochene Gespräch OO
nun fortzusetzen.
.Süßlich aromatischer Duft orientalischer OO
Zigaretten erfüllte bereits das niedere Ge‐ OO
wölbe und dünne Streifen bläulich-weißen OO
Rauches umzogen spielend den ragenden, OO
bastumschnürten Hals der Chiantiflasche.
.So war die Atmosphäre zu gewissen träu‐ OO
merischen Betrachtungen recht geeignet.
.Man glaubte alsbald zu fühlen, daß sich OO
hier wohl besser über alle die mysteriösen OO
Dinge reden lassen wollte, über die man vor‐ OO
dem nicht ins Reine gekommen war, als OO
draußen im allzu unbarmherzig klaren Son‐ OO
nenlicht.
*
.„Ich bleibe bei meiner Behauptung”, be‐ OO
gann der älteste der drei Männer, „und wenn OO
mir selbst auch jede diesbezügliche Erfah‐ OO
rung fehlt, da ich nie dergleichen erlebte, so OO
zeugen mir doch namhafte Gelehrte fast aller OO
Kulturnationen genugsam dafür, daß an die‐ OO
sen Erscheinungen, die uns moderne Men‐ OO
12 Das Geheimnis
schen wie Spukszenen aus alten Märchen an‐ OO
muten, irgend etwas Wahres sein muß.
.Unmöglich können diese nüchternen Ex‐ OO
perimentatoren, die oft sogar mit Hilfe fein‐ OO
empfindlichster Instrumente ‒ ganz abge‐ OO
sehen vom photographischen Apparat ‒ OO
solche Phänomene prüften, allesamt einer OO
groben Täuschung erlegen sein!”
.Der Jüngste, ein Mann von etwa dreißig OO
und einigen Jahren, entgegnete mit leichter OO
Unruhe in der Stimme:
.„Gewiß sind Sie im Recht, und ich sagte OO
Ihnen ja schon vorhin, daß alle Zeugnisse OO
der Wissenschaft, so wichtig sie Ihnen auch OO
erscheinen mögen, für mich ganz überflüssig OO
sind, denn es begab sich einst in meinem Le‐ OO
ben, daß ich alles das, wovon Sie uns vorher OO
auf Grund der von Ihnen eingesehenen Be‐ OO
richte erzählten, selbst zu erleben Gelegen‐ OO
heit fand; ‒ ja, ich vermisse in Ihren Be‐ OO
richten noch gar Vieles, das weit staunen‐ OO
erregender sich anhören ließe und das ich OO
dennoch selbst erlebte!”
*
13 Das Geheimnis
.„Wenn ich Sie nicht als einen Menschen OO
kennen würde, der mit beiden Beinen so fest OO
auf unserer geliebten lachenden Erde zu ste‐ OO
hen weiß”, wandte der dritte nun ein, der, OO
von fester, gedrungener Statur, ganz wie ein OO
biederer italienischer Landpfarrer wirkte, OO
„so müßte ich wahrhaftig glauben, mein jun‐ OO
ger Freund, Sie seien da die Beute recht ge‐ OO
fährlicher Halluzinationen geworden!
.Ich begreife es, offen gestanden, nicht, daß OO
ein Mensch wie Sie, der doch gar nichts vom OO
tagfremden Träumer an sich hat, allen Ern‐ OO
stes die spukhaften Phänomene, von denen OO
unser lieber alter Bibliothekar da so viel zu OO
erzählen weiß, für bare Münze nimmt und OO
nun gar noch selbst behauptet, dergleichen OO
sei ihm nicht unbekannt!
.Aus Ihnen wird man überhaupt nicht OO
recht klug!
.Bald geben Sie sich ganz wie ein Mensch OO
des zwanzigsten Jahrhunderts, den man auch OO
den realsten Problemen gegenüber vernünf‐ OO
tig urteilen hört, und dann wieder könnte OO
14 Das Geheimnis
man denken, man hätte irgend einen indi‐ OO
schen Dschungelfakir vor sich, der nichts OO
von der Welt kennt, oder einen wieder‐ OO
gekehrten Mönch aus einer mittelalterlichen OO
Klosterzelle ‒ obwohl Sie doch sonst wirk‐ OO
lich mit der Weltflüchtigkeit solcher Men‐ OO
schen nichts gemeinsam haben!” ‒
*
.Da der Weißbärtige, der sich mittlerweile OO
eine Virginia angezündet hatte, aus der er OO
dicke Rauchwolken sog, augenscheinlich OO
jetzt lieber zuhören als reden mochte, nahm OO
der Jüngere wieder das Wort und sprach:
.„Wohl kann ich es begreifen, daß man‐ OO
ches an mir Ihnen widerspruchsvoll er‐ OO
scheint, aber andererseits finde auch ich kei‐ OO
nen Grund, weshalb ein Mann, der so das OO
Leben kennt wie Sie, gerade vor allem ÜberOO
sinnlichen sich der Klarheit seines Blickes OO
selbst beraubt, nur weil es ihm nun einmal OO
als ausgemachte Tatsache gilt, daß es derlei OO
Dinge nicht geben könne!
.Warum versuchen Sie nicht selbst diesen OO
15 Das Geheimnis
Dingen auf den Grund zu kommen, oder sich OO
wenigstens zu überzeugen, daß Andere ein‐ OO
wandfreie Beweise erhielten?!
.Mir scheint solche voreingenommene Skep‐ OO
sis wieder sehr schlecht zu Ihrem sonstigen OO
Wesen zu passen, nachdem Sie mir doch oft OO
genug erklärten, daß nur Erfahrung Ihnen OO
als ausreichender Grund für jede Erkenntnis OO
gelten könne! ‒”
*
.Und der Andere gab ihm die Antwort:
.„Ja, wenn es hier Erfahrungen zu machen OO
gäbe, die man jederzeit nachprüfen kann!
.So aber braucht man zu alledem, was Ihr OO
hier 'Erfahrung' nennt, die seltsamste Vor‐ OO
bereitung und weiß hinterdrein immer noch OO
nicht, ob man nicht doch genarrt wurde!
.Außerdem aber ist mir dieser ganze Er‐ OO
fahrungskomplex in tiefster Seele zuwider! OO
.Was kommt denn bestenfalls dabei her‐ OO
aus?! ‒
.Angenommen, Sie selbst und die Gewährs‐ OO
männer unseres verehrten Freundes seien OO
16 Das Geheimnis
tatsächlich nicht getäuscht worden, so wer‐ OO
den Sie mir doch zugeben, daß alle die be‐ OO
richteten Phänomene außerordentlich alOO
bern und praktisch wertlos sind!
.Was soll mir zum Beispiel ein tanzender OO
Tisch, der gelegentlich auch nach dem Al‐ OO
phabet ganze Predigten herunterklopft?
.Mir ist ein Tisch, der feststeht, wie dieser OO
hier, entschieden lieber, und es scheint mir OO
mehr der Natur eines Tisches zu entsprechen, OO
festzustehen, statt zu tanzen!
.Will ich aber eine fromme Predigt hören, OO
so gibt es dazu alle Sonntage bessere Ge‐ OO
legenheit; und wenn der Prediger dann OO
nichts taugt, so weiß ich doch wenigstens, mit OO
wem ich es zu tun habe!
.Meinetwegen mag es Kräfte geben, die OO
ihrer selbst bewußt sind und sich herbei‐ OO
lassen, auf Wunsch Tische tanzen zu lassen OO
oder salbadernde Offenbarungen zu klopfen, OO
‒ dann aber verbitte ich mir das Eindringen OO
dieser Herrschaften in meinen wohlgerunde‐ OO
ten Lebenskreis, und wenn es ihnen jemals OO
17 Das Geheimnis
einfallen sollte, ihn stören zu wollen, ohne OO
gerufen zu sein, dann bin ich überzeugt, daß OO
ich ihrer Herr werde!
.Besser mit Kindern 'Blindekuh' spielen, OO
als dieses Gelichter, falls es wirklich existiert, OO
auch noch selbst herbeizurufen!
.Und was ist's mit all den anderen Phäno‐ OO
menen?
.Da sitzt, nach den Erzählungen, so irgend‐ OO
ein armer Kerl, oder ein halbhysterisches OO
Frauenzimmer ‒ Eure sogenannten 'Me‐ OO
dien' ‒ die halbe Nacht, in einem mehr oder OO
weniger seiner Sinne gerade noch mächtigen OO
Zustand, vor Stößen von Schreibpapier und OO
bewundert erstaunt, was seine Hand auto‐ OO
matisch niederschreibt als Kunde aus der OO
'Geisterwelt', oder gar als angebliche 'gött‐ OO
liche Offenbarung'. ‒
.Bei Licht besehen ist dann das ganze Ela‐ OO
borat eine Beispielsammlung von Platti‐ OO
tüden, oder, wenn es hoch kommt, ein Sam‐ OO
melsurium aus allerlei frommen Traktätchen OO
und halbverdauten philosophischen Brocken. OO
18 Das Geheimnis
.Ich muß sagen, daß mir keine Höllen‐ OO
strafe, die sich die Alten ausgedacht haben, OO
so entsetzlich erscheinen kann wie die Vor‐ OO
stellung, ein Mensch, der ein halbwegs an‐ OO
ständiges Leben hinter sich hat und dann für OO
immer die Augen schließt, könne im Jenseits OO
auf diese Weise zur Freibeute irgendwelcher OO
Leute unter den Zurückbleibenden werden, OO
denen an der Erlangung solcher Botschaften OO
gelegen ist.
.Geradezu gotteslästerlich aber wird die OO
Sache, wenn derartiges Zeug, als göttliche OO
Offenbarung ausgegeben, die Gehirne be‐ OO
nebelt!
.Zum Teufel, wo er hingehört, mit einem OO
'Gott', der nichts Besseres zu sagen hat und OO
diese Irrlichtereien braucht um sich mit‐ OO
zuteilen!
.Was Euch aber offenbar am meisten impo‐ OO
niert: diese physikalischen Kunststücke und OO
das Materialisieren menschlicher Formen, so OO
fällt das für mich am allerwenigsten ins Ge‐ OO
19 Das Geheimnis
wicht, denn hier kann ich als Physiker auch OO
noch mitreden, und wenn ich einmal anneh‐ OO
men will, daß keine Beobachtungsfehler vor‐ OO
liegen, daß Ihre 'Medien' auch nicht schwin‐ OO
delten, dann stehe ich hier bestenfalls vor OO
Bekundungen eines noch unentdeckten Tei‐ OO
les der physischen Welt, aber keineswegs OO
habe ich es mit dem 'Geisterreich' zu tun!
.Wenn ich es nicht verstehen kann, daß ein OO
vernünftiger Mensch mit gesunden Sinnen OO
dieses Pseudogeistertheater ernst nimmt, so OO
soll dies durchaus kein Leugnen der beob‐ OO
achteten Erscheinungen sein.
.Ich verwahre mich nur gegen die ErkläOO
rung dieser Manifestationen, als seien es OO
Zeugnisse für die Existenz einer geistigen OO
Welt, und es ist mir unfaßbar, wenn ein OO
Mensch mit einiger Kritikfähigkeit hier nicht OO
merkt, woran er ist!
.Ich bin wirklich keinem religiösen Dogma OO
mehr verpflichtet, aber gegenüber der Be‐ OO
griffsverwirrung, die dieses angeblich 'nach‐ OO
weisbare' Jenseits Ihrer okkulten Phäno‐ OO
20 Das Geheimnis
mene anrichtet, erscheinen mir doch die OO
frommen Geschichten, die meine Kinderzeit OO
mit Poesie und himmlischem Glanz um‐ OO
gaben, voll reinster Weisheit!
.Welcher Wust von Aberglaube wird da OO
heute für den kernhaften frommen Glauben OO
der Alten eingetauscht! ‒ ‒
.Wenn ich mich nicht mit den okkulten OO
Phänomenen beschäftige, mein junger OO
Freund, so geschieht es wahrhaftig nicht aus OO
Ignoranz, sondern weil mir das Zeug zuOO
dumm ist, weil ich Besseres zu tun habe, OO
als die Offenbarungen derartiger 'Geister' OO
zu erforschen!
.Ich trage in mir eine zu hohe Vorstellung OO
vom menschlichen Geiste, als daß ich ihn OO
eines solchen Verkommens für fähig halten OO
könnte, wie es nötig wäre, wenn diese Theo‐ OO
rien stimmen würden, und wir hätten es bei OO
irgendwelchen okkulten Phänomenen mit OO
den Geistern ehemaliger Erdenbewohner zu OO
tun!
.Ich bin kein Theologe und weiß infolge‐ OO
21 Das Geheimnis
dessen auch nichts mit den Formeln anzu‐ OO
fangen, mit Hilfe derer man die Gottheit OO
analysieren zu können glaubt wie ein che‐ OO
misches Präparat, aber: ich glaube 'Gott' OO
in mir zu fühlen, und darum erscheint es OO
mir wie die greulichste Blasphemie, wenn OO
man die Stimmen, die aus diesen ewigen OO
Nachtgefilden der Natur herüberraunen, OO
auch gar noch als 'Gottesoffenbarungen' wer‐ OO
tet, die Bibel und anderer Völker heilige OO
Schriften zum 'Beweis' heranziehen will, OO
oder gar das religiöse Genie, sofern es sich OO
in großen Menschengestalten zeigte, mit 'Me‐ OO
dien' und Somnambulen vergleichen möchte! OO
.Das alles ist mir zu absurd, und da ich OO
keinerlei geistigen Gewinn für die Mensch‐ OO
heit herausschauen sehe, auch wenn in allen OO
Häusern den okkulten Phänomenen nach‐ OO
geforscht würde, ‒ dagegen unermeßlichen OO
Schaden dadurch verursacht wüßte, ‒ so OO
glaube ich, daß es besser wäre, man ließe die OO
Hände von diesen Dingen, zumal es ja noch OO
22 Das Geheimnis
genug in der Natur zu erforschen gibt, und OO
unsere eigene Seele auch den Klügsten noch OO
ein Buch mit sieben Siegeln ist! ‒ ‒
.Vielleicht, liebe Freunde, werden Sie mich OO
jetzt besser verstehen!? ”
*
.Noch während der also Redende sich ver‐ OO
nehmen ließ, konnte man auf dem Antlitz OO
des Jüngeren den immer mehr sich verstär‐ OO
kenden Ausdruck überraschter Freude be‐ OO
merken, während der Ältere öfters bedächtig OO
das Haupt zur Seite neigte und in allem er‐ OO
kennen ließ, daß er während der ganzen Er‐ OO
örterung nach Gegengründen suchte, da‐ OO
mit seine eigene Auffassung nicht aus dem OO
Felde geschlagen werde.
.Kaum war dann das letzte Wort verklun‐ OO
gen, so begann er mit seiner Erwiderung:
.Diese Auffassung der Dinge lasse sich ja OO
begreifen, meinte er, obwohl sich vielleicht OO
doch auch noch allerlei Einwände machen OO
ließen, ‒ aber alles, was da zur Sprache ge‐ OO
kommen sei, betreffe doch lediglich den so‐ OO
23 Das Geheimnis
genannten „Spiritismus”, während ‒ was OO
sein Freund offenbar nicht wisse ‒ der OO
eigentliche wissenschaftliche Okkultist allen OO
diesen Phänomenen nur als BeobachterOO
gegenüberstehe und sich, sofern er ernst zu OO
nehmen sei, vorläufig jeder Hypothese ent‐ OO
schlage, die etwa von anderer Seite zur Er‐ OO
klärung herangezogen werde.
.Es seien doch auch von verschiedenen, OO
sehr bedeutenden Gelehrten Erscheinungen OO
an Somnambulen beobachtet worden, bei de‐ OO
nen selbst die geistergläubigsten „Spiri‐ OO
tisten” keinesfalls an die Mitwirkung von OO
„Geistern” dächten.
.Und er setzte seinen Gedankengang fort OO
indem er sprach:
.„Meinetwegen sollen Sie, was die 'Geister' OO
verstorbener Menschen anlangt, oder die OO
'göttlichen Offenbarungen' die man so zu er‐ OO
halten glaubt, völlig Recht behalten, aber ‒ OO
sollte es nicht doch möglich, ja höchstwahr‐ OO
scheinlich sein, daß der Okkultismus be‐ OO
rufen ist, die Existenz der Seele schon im OO
24 Das Geheimnis
diesseitigen Leben mit Evidenz zu beOO
weisen?!
.Man hat doch zum Beispiel Somnambule OO
im Tiefschlaf ausgefragt und es zeigte sich, OO
daß man so zu immer verborgeneren Regio‐ OO
nen des Innern vordringen konnte, wobei OO
dann eine andere, höherstehende Wesenheit, OO
und später eine noch weit höherstehende OO
aus der Somnambule sprach, so daß man den OO
Eindruck erhält: je mehr das äußere Be‐ OO
wußtsein verdunkelt wird, desto deutlicher OO
offenbart sich etwas anderes, das im ge‐ OO
wöhnlichen Tageserleben nicht wahrnehm‐ OO
bar ist.
.Damit aber wäre doch sozusagen der Be‐ OO
weis für ein das Erdenleben überdauerndes OO
Geistiges voll erbracht!”
*
.Darauf beeilte sich nun der Jüngere zu OO
antworten und sprach:
.„Ich sehe mich in der seltsamen Lage, be‐ OO
züglich der Dinge über die wir hier reden, OO
bei Ihnen Beiden Unterstützung zu finden OO
25 Das Geheimnis
und bemerke dennoch, daß ich mich Ihnen OO
Beiden deutlicher als es bisher geschah, er‐ OO
klären muß, sollen wir nicht dauernd anein‐ OO
ander vorbeireden!
.Zuerst möchte ich die eben erwähnten OO
Versuche mit Somnambulen des Näheren be‐ OO
leuchten, und wenn ich dabei eine gewisse OO
Vertrautheit mit Dingen zeige, die den mei‐ OO
sten Menschen unbeweisbar, unerlebOO
bar und unerklärbar dünken, so bitte ich OO
Sie, dies einstweilen hinzunehmen, bis eine OO
spätere Stunde mir erlaubt, Ihnen von der OO
Quelle meiner Erkenntnisse zu sprechen OO
und Ihnen Beiden dann einiges zu sagen, OO
was Ihnen durchaus unbekannt bleiben OO
müßte, fänden Sie nicht Gelegenheit, es von OO
einem zu hören, der es selbst erfahren hat. ‒ OO
.Bezüglich der Somnambulen muß nun OO
auch ich mich als sachverständig bezeichnen OO
und muß mit allem Nachdruck einer Mei‐ OO
nung entgegentreten, die hier an der PforteOO
zum Geistesmysterium zu stehen glaubt! OO
.Es beweist nur, daß man noch nicht imOO
26 Das Geheimnis
entferntesten ahnt, was der Geist in OO
Wirklichkeit ist, daß man noch über keiner‐ OO
lei wirkliche geistige Erfahrung verfügt, OO
wenn man glaubt, man könne in dem, was OO
aus einer im Tiefschlaf gebundenen Som‐ OO
nambule spricht, dem wesenhaften GeisteOO
begegnen! ‒ ‒
.Ich stimme in allem dem zu, was vorhin OO
über die Unzulänglichkeit okkulter Phäno‐ OO
mene gesagt wurde und es war ein offensicht‐ OO
licher Irrtum, wenn man von mir glaubte, OO
ich sei der Beschäftigung mit solchen Mani‐ OO
festationen ‒ sei es aktiv, oder auch nur als OO
Beobachter ‒ meinerseits zugetan.
.r einen, der die geistige Schulung durch‐ OO
laufen durfte, die mir vergönnt war, habenOO
die Rätsel des Okkultismus allen ReizOO
verloren! Der Nimbus des Verborgenen OO
und Unerklärlichen wurde ihnen im Ver‐ OO
lauf dieser Schulung gründlich genom‐ OO
men! ‒ ‒
.Wenn ich trotzdem einigen Wert darauf OO
lege, daß man die Tatsächlichkeit der OO
27 Das Geheimnis
Phänomene des Okkultismus erkenne, so ge‐ OO
schieht dies deshalb, weil man ohne diese OO
Kenntnis Gefahr laufen kann, eines Tages in OO
verhängnisvollster Weise düpiert zu werden OO
und zwar gerade dort, wo man es am wenig‐ OO
sten erwartet hatte. ‒
.Es ist mir sehr lieb, daß unser Gespräch OO
diese unerwartete Wendung nahm, dadurch, OO
daß vorhin Folgerungen eines nüchternen OO
Denkens ausgesprochen wurden, die sich fast OO
vollständig mit meinen geistigen ErfahrunOO
gen decken, ‒ jedenfalls aber sich ohne OO
Mühe mit den Ergebnissen meiner Erfah‐ OO
rung vereinigen lassen.
.Jetzt kann ich sozusagen bei offenem Vi‐ OO
sier zu Ihnen Beiden sprechen und werde OO
kaum zu befürchten brauchen, daß ich miß‐ OO
verstanden werden könnte...
.Was also die Somnambulen betrifft, OO
durch deren Mund man Genaueres über Seele OO
und Geistigkeit des Menschen zu erfahren OO
hofft, so unterscheiden sich die mit ihnen an‐ OO
gestellten Versuche in nichts Wesentlichem OO
28 Das Geheimnis
von einer 'spiritistischen' Sitzung, es sei OO
denn, man betrachte die wissenschaftliche OO
Aufmachung dabei als wesentlich! ‒
.Es sind die gleichen unsichtbaren phyOO
sischen Wesenheiten und mit Bewußtsein OO
begabten Kräfte, die hier wie dort ihren OO
Unfug treiben, sobald der Erdenmensch die OO
Gelegenheit dazu schafft. ‒ ‒
.Die Somnambule im Tiefschlaf ist nicht OO
anders die zeitweise Beute dieser dunklen OO
Gewalten, die wahrlich 'jenseits von Gut und OO
Böse' handeln, wie das sogenannte 'Medium' OO
in seinem 'Trance'-Zustand! ‒ ‒ ‒
.Nie wird ein Blick in wirkliche Geistes‐ OO
welten getan: bei verdunkeltem irdischem OO
Sinnenbewußtsein des also Schauenden! ‒ OO
.Ekstase, Verzückung, 'Trance' und OO
Somnambulismus sind nichts anderes als OO
Zustände körperlichen Aufruhrs, und OO
je mehr bei solchem Aufruhr die Herrsch‐ OO
gewalt auf körperliche Komplexe übergeht, OO
die ihrer Natur nach nur unter straffer BinOO
dung segensreich zu wirken fähig sind, desto OO
29 Das Geheimnis
tiefer wird der somnambule Zustand, desto OO
dichter wird die Zwischenwand, die das OO
eigentliche Ich-Bewußtsein von den GeOO
hirnfunktionen scheidet, bis schließlich OO
Lemurenwesen der unsichtbaren, aber keiOO
neswegs 'geistigen' Welt den herrenlosen OO
körperlichen Organismus ihrem Willen un‐ OO
terwerfen!
.Man wird dann aus dem Munde der Som‐ OO
nambulen wie des Trance-Redners jeweils OO
das vernehmen, was dazu angetan ist, dem OO
Experimentator interessant zu erscheinen, OO
oder der gläubigen Gemeinde, sei es durch OO
edles Pathos, sei es durch triviale, aber der OO
vorherrschenden Glaubensrichtung ange‐ OO
paßte Phrasen, ja sei es selbst durch Unflätig‐ OO
keit, zu imponieren. ‒ ‒
.Was aus dem armen umnachteten Men‐ OO
schen in solchen Zuständen spricht, hat ja OO
kein anderes Bestreben, als sich selbstOO
möglichst eindrucksvoll bemerkbar zu ma‐ OO
chen und weiß oft mit größter Schlauheit OO
die Maske zu wählen, die ihm das meiste OO
30 Das Geheimnis
menschliche Interesse zu sichern vermag. OO
‒ ‒ ‒
.Auch der Ekstatiker erlebt den gleichen OO
Zustand wie die sogenannten 'Medien', nur OO
mit dem Unterschiede, daß bei ihm das Ich‐ OO
Bewußtsein nicht allen Kontakt mit den OO
Gehirnfunktionen verliert und ihm nur die OO
äußere Leibesempfindung unwahr‐ OO
nehmbar wird.
.Die 'geistigen' Welten, die er zu schauen OO
vermeint, sind nichts anderes als die Gebilde OO
seiner plastischen Phantasie, greifbar OO
und wirklich für ihn geworden durch die Vi‐ OO
brationen krampfdurchtobter Nerven! ‒ ‒ OO
.Es ist darum eine strenge TrennungsOO
linie einzuhalten, zwischen allen solchen OO
Methoden körperliche, abnorme Empfin‐ OO
dungen zu erwecken, die dann als 'geistiOO
ges' Erlebnis gedeutet werden und dem OO
wirklichen Geisteserfahren, das stets nur OO
bei völlig ungetrübtem, ja bei gesteiOO
gertem Körperbewußtsein erfolgt! ‒ ‒
31 Das Geheimnis
.Der sogenannte 'Okkultismus' ist ja OO
wahrhaftig keine Entdeckung der neueren OO
Zeit!
.Bei allen Völkern und zu allen Zeiten hat OO
man okkulte Phänomene gekannt.
.Noch keiner aber hat dieses dunkle Gebiet OO
betreten, es sei denn unter herrschaftsOO
sicherer Leitung, der dort nicht am Nar‐ OO
renseil herumgeführt worden wäre! ‒ ‒ OO
.Für das Erfahren des wesenhaften GeiOO
stes ist ein solcher dann meist dauernd ver‐ OO
loren.
.Was ihn festhält, läßt ihn gutwilligOO
nicht mehr los, und muß es ihn fahren las‐ OO
sen, da er allmählich völlig ausgesogen ward OO
und nun nicht mehr brauchbar ist, so wurde OO
ihm vorher längst alle Kraft genommen, OO
mit deren Hilfe er sich wieder erheben OO
könnte. ‒
.Wenn Sie Beide, liebe Freunde, bis jetzt OO
glaubten, ich huldigte dem 'Okkultismus', OO
der Erforschung all der Phänomene, die in OO
unserem Gespräch bisher genannt wurden OO
32 Das Geheimnis
und mit denen sich zurzeit tatsächlich sehr OO
namhafte Gelehrte in verschiedenen Län‐ OO
dern befassen, so waren Sie sehr im Irrtum! OO
.Ich mußte nur auch dieses Gebiet der OO
menschlichen Lebensäußerungen vor Zeiten OO
kennen lernen, weil es mein Guru so von OO
mir verlangte.”
.„Was ist das: 'mein Guru'? ‒” unter‐ OO
brach der Physiker den Sprechenden, dem OO
das ihm selbst so gewohnte Wort sichtlich un‐ OO
achtsam entglitten war.
.„Ich gestehe”, antwortete der Jüngere, OO
„daß ich nicht im Sanskrit bewandert bin, OO
aber der, den ich 'Guru' nenne, erzählte mir OO
einst, daß in seiner Heimat die Lehrer gei‐ OO
stiger Entfaltung und Erweckung so genannt OO
werden.
.Guru soll etwa geistiger 'Vater' oder 'vä‐ OO
terlicher Lehrer' bedeuten.
.Mich selbst nannte er 'Chela',* und obwohl OO
dies ganz allgemein nichts anderes als 'Schü‐ OO
‒ ‒
* Chela: sprich = Tschela
33 Das Geheimnis
ler' heißen dürfte, erklärte er mir, daß diesen OO
Ehrentitel nur wenige empfingen, und daß OO
man in einer ganz besonderen WeiseOO
Schüler seines Guru sein müsse, um mit Fug OO
und Recht auch bereits als sein angenomme‐ OO
ner 'Chela' zu gelten.
.Er selbst war ein Meister der 'Weißen OO
Loge'.”
*
.„Also Freimaurer?” warf der Alte ein.
.„Nicht doch”, entgegnete der Junge.
.„Die Freimaurerei ‒ wenn man nicht nur OO
am Wort klebt, sondern die Sache selbstOO
meint ‒ könnte einigen Grund haben, sich OO
von der 'Weißen Loge' herzuleiten, aber die OO
geistige Gemeinschaft aus der mein Guru OO
stammte, hat nichts mit der Freimaurerei OO
zu tun. Im übrigen ist 'Weiße Loge' nur eine OO
äußere Bezeichnung dieser Gemeinschaft OO
und ihre Glieder selbst nennen sich 'LeuchOO
tende des Urlichts'. ‒
.Es kann keiner zu ihnen kommen, der OO
nicht vor seiner Geburt dazu bestimmt war. OO
34 Das Geheimnis
Aber die ihnen, ohne selbst zu ihnen zu ge‐ OO
hören, in geistiger Weise am nächsten ste‐ OO
hen, bezeichnen sie als 'angenommene Che‐ OO
las'.
.Es sind solche Menschen, die eine beson‐ OO
ders intensive Schulung im Geistigen durch‐ OO
zumachen haben, weil sie ein psychophysi‐ OO
sches Erbe in sich tragen, das sie zu mancher‐ OO
lei verpflichtet, wozu andere nicht verpflichtet OO
sind.
.Erlassen Sie mir, mehr darüber zu spre‐ OO
chen, denn wie Sie ja bereits hörten, haben OO
Sie einen solchen Chela vor sich. ‒
.Ich denke, es dürfte sich so manches, was OO
Sie zeitweilig an mir befremdete, durch diese OO
Mitteilung nun erklären! ‒”
*
.Der vor den Freunden so seltsame und OO
unerhörte Eröffnungen zu geben hatte, hielt OO
nun inne in seiner Rede und es entstand vor‐ OO
erst eine tiefe Stille, so daß der Padrone ‒ OO
wohl in der Meinung, seine Gäste wollten OO
sich entfernen ‒ aus seinem Versteck wieder OO
35 Das Geheimnis
auftauchte und als er seinen Irrtum sah, mit OO
überflüssiger Geschäftigkeit an den Fässern OO
zu hantieren begann, die im Hintergrunde OO
des Raumes auf einer Balkenunterlage ne‐ OO
beneinander ruhten.
.Man konnte jetzt alles im Gewölbe aufs OO
deutlichste unterscheiden, denn die Augen OO
waren nun an das Dunkel gewöhnt und schon OO
die schmale Lichtritze, die der Vorhang an OO
der Türe ließ, schmerzte sie bereits, obwohl OO
die Sonne schon tief am Himmel stand und OO
sicherlich draußen längst lange Schatten OO
warf...
*
.„Da hört man ja merkwürdige Dinge!” OO
meinte der Untersetzte, den man für einen OO
halten konnte dem es nicht gar zu weit zu OO
den Fünfzig fehlt, und warf so mit seiner so‐ OO
noren Baßstimme das erste Wort wieder in OO
die Stille.
.Sodann fuhr er fort:
.„Freilich wird mir jetzt manches an Ihnen OO
verständlicher, aber es wird doch noch eini‐ OO
36 Das Geheimnis
ger Aufklärung bedürfen, bevor sich mir das OO
alles rundet!
.Sie reden da mit unglaublicher Sicherheit OO
von vielem, das für mich bisher recht unzu‐ OO
gänglich war, doch das Schönste ist: ‒ daß OO
Sie mich eigentlich überzeugen, ohne mir OO
Beweise angeboten zu haben!
.Ich fühle, daß es sich mit alledem so ver‐ OO
halten muß, wie Sie sagen, mögen Sie nun OO
imstande sein, dafür Beweise zu erbringen OO
oder nicht.
.Ihre Worte tragen eine eigentümliche Be‐ OO
weiskraft in sich selbst! ‒ ‒
.Jetzt fängt aber das alles auch erst an, für OO
mich interessant zu werden!
.So etwas gibts also heutzutage inmitten OO
unserer nivellierten Welt?! ‒
.Wissen Sie, junger Freund, davon müssen OO
Sie uns noch mehr erzählen!
.Ich glaube zwar nicht, daß einer von uns OO
dazu bestimmt ist, der 'Chela' eines solchen OO
'Guru' wie Sie Ihren Lehrer nennen, zu wer‐ OO
den, und vielleicht sind wir auch beide schon OO
37 Das Geheimnis
etwas zu alt dazu, aber bevor ich für meinen OO
Teil einmal von diesem, mir eigentlich im‐ OO
mer recht liebenswert erschienenen Planeten OO
Abschied nehme, möchte ich ‒ falls solche OO
Dinge sich hier ereignen können ‒ doch OO
einigermaßen Bescheid darüber wissen, denn OO
alle Phänomene des Okkultismus zusammen‐ OO
genommen interessieren mich nicht einen OO
Augenblick so sehr, wie diese verborgene OO
'Weiße Loge', oder wie sich die Gemein‐ OO
schaft nennen mag, und dann die Tatsache, OO
daß man da also einem ganz normalen OO
Europäer begegnen kann, der in aller Stille OO
Erkenntnismöglichkeiten zu besitzen scheint, OO
von denen die übrige Menschheit ‒ wenig‐ OO
stens heutzutage und bei uns ‒ so gut wie OO
nichts ahnt. ‒”
*
.„Auch ich”, ließ sich der Weißbärtige OO
vernehmen, „bitte sehr darum, uns weitere OO
Aufklärungen zu geben, ‒ besonders weil OO
mir im Lichte der gehörten Darlegungen OO
einige Hinweise, denen ich in der diesbezüg‐ OO
38 Das Geheimnis
lichen Literatur gelegentlich begegnete, des OO
symbolischen Charakters entkleidet er‐ OO
scheinen!
.Unser jüngerer Herr Kollege ist ja jetzt OO
durch die gemeinsamen Reise- und Er‐ OO
holungstage, denen wir hier uns widmen OO
wollen, für einige Zeit mit uns zusammen, OO
so daß sich wohl Gelegenheit finden wird, OO
uns etwas tiefer in die Mysterien einzuwei‐ OO
hen, denen er seine Erkenntnisse dankt!
.Im Augenblick scheint es mir dagegen ge‐ OO
raten, ans Heimgehen zu denken, denn wenn OO
auch die Sonne jetzt nicht mehr brennend OO
auf uns lastet, so haben wir doch immerhin OO
anderthalb Stunden zurück bis zur Stadt. ‒ OO
.Wir dürfen vielleicht unterwegs schon OO
einiges hören, das die uns bereits gewordenen OO
Mitteilungen ergänzen könnte? Ich habe da OO
ein paar ganz bestimmte Fragen auf dem OO
Herzen.”
*
39 Das Geheimnis
.Da die beiden anderen Männer den Vor‐ OO
schlag, alsbald nach der Stadt zurückzukeh‐ OO
ren, gut fanden, bereinigte man seine Zeche OO
und verließ gemeinsam, unter den nicht OO
endenwollenden Bücklingen des Padrone OO
und seinen, mit dem Wunsche eines baldigen OO
Wiedersehens verknüpften Segenssprüchen, OO
die dunkle Osteria.
.Unwillkürlich atmete man auf, als die OO
schon etwas abgekühlte Abendluft die Stir‐ OO
nen bestrich.
.Das ganze Gelände lag wie unter einem OO
opalfarbenen Duft; Pinien und Zypressen OO
prägten ihre Silhouetten kräftig in den blaß‐ OO
goldenen Abendhimmel, und das nahe Meer, OO
wie das Innere einer ungeheuren Perl‐ OO
muschel schimmernd, verschmolz in kaum OO
geahnter Horizontlinie mit fernen milchig OO
bläulichen Lüften.
.Zuerst schritten die Wanderer einer OO
Gruppe von Eukalyptusbäumen zu, dem OO
Kreuzungspunkt zweier Wege, deren einer als OO
Fahrweg durch Felder und kleine Ölhaine, OO
40 Das Geheimnis
zwischen den nie fehlenden Weingirlanden OO
von Ulme zu Ulme, oder von Maulbeerbaum OO
zu Maulbeerbaum, nach der Stadt führte, OO
während der andere, den Fußgängern genuß‐ OO
reichere und zudem kürzere, erst dem Meere OO
zustrebte, um dann dem Strande entlang, OO
bald steingepflastert noch von alten Zeiten OO
her, bald über Sand und Seetang, die ersten, OO
von Zypressen überragten Mauern der Parke OO
städtischer Villen zu erreichen.
.Wie auf Verabredung bog man nach rechts OO
in diesen Fußweg ein und mit steigendem OO
Wohlbehagen witterte jeder der Drei den OO
immer stärker wahrnehmbaren, herbfrischen OO
Meeresduft.
.Am Strande angelangt, hielten die Wan‐ OO
derer unwillkürlich einen Augenblick an, OO
im stetig wieder neuen Erleben der Uner‐ OO
meßlichkeit, vor der atlasglänzenden Was‐ OO
serweite.
.Bisher waren nur vereinzelte Worte ge‐ OO
fallen, deren Ursache das abendlich ver‐ OO
änderte Bild der Umgebung war, oder die OO
41 Das Geheimnis
der Schönheit der ganzen Gegend, der süd‐ OO
lichen Herrlichkeit italischer Landschaft gal‐ OO
ten.
.Als man aber dann den Weg am Strande OO
eingeschlagen hatte, erinnerte sich der Weiß‐ OO
bärtige seiner Fragen zu den merkwürdigen OO
Eröffnungen des Jungen, die diese Nach‐ OO
mittagsstunden in einer ländlichen Osteria OO
ihm fast wertvoller erscheinen lassen woll‐ OO
ten, als ein neuaufgefundenes, längst ver‐ OO
schollenes Buch aus alter Zeit, obwohl er OO
stets nach solchen Schätzen alle ihm nur er‐ OO
reichbaren Bibliotheken durchsuchte, und OO
ganz im geheimen immer noch der Meinung OO
war, es könne gar keine von Menschen je‐ OO
mals gefundene Erkenntnis geben, die nicht OO
in einem Buche aufgezeichnet wäre.
.Heute erst waren ihm dennoch leise Zwei‐ OO
fel gekommen, aber sie vermochten seine OO
Meinung noch nicht zu erschüttern.
.Vielleicht war das Buch, das hier alles OO
klärte, nur bis jetzt noch nicht in seine Hände OO
gelangt...
42 Das Geheimnis
DAS GESPRÄCH AM STRANDE
VERZEIHEN Sie, verehrter Herr Kol‐ OO
lege”, wandte sich nunmehr der Alte OO
an den Jüngsten, „aber über all diese Dinge, OO
von denen Sie uns da heute sprachen, muß OO
es doch gewiß auch so etwas wie eine Spezial‐ OO
literatur geben, die mir nur, trotz emsigsten OO
Suchens, bis zur Stunde noch entgangen OO
ist?!”
.Und als er auf diese Frage einem sehr er‐ OO
staunten Blick des Jungen begegnet war, OO
fuhr er fort:
.„Ich meine nicht gerade, daß es eine moOO
derne Spezialliteratur sein müsse, aber si‐ OO
cherlich war das alles doch auch schon ein‐ OO
mal Menschen bekannt geworden die in früOO
herer Zeit lebten und es muß doch da Bü‐ OO
cher geben, die ausführlicher zu orientieren OO
vermögen?
.Ich würde mich noch auf meine alten Tage OO
an das Studium des Sanskrit heranmachen, OO
das ich leider über allem anderen früher ver‐ OO
absäumt habe, wenn Sie mir, vielleicht durch OO
Andeutungen Ihres orientalischen Lehrers OO
45 Das Geheimnis
darauf hingewiesen, hier bestimmte Anhalts‐ OO
punkte geben könnten! ‒ Die Bücher selbst OO
würde ich mir dann schon zu verschaffen OO
wissen.
.Es ist doch noch alles was jemals den Men‐ OO
schengeist beschäftigte, auch in BüchernOO
niedergelegt worden, und bei allem Glauben, OO
den ich Ihren Ausführungen schenke, wäre OO
es für mich noch von ganz besonderem, ja OO
unschätzbarem Wert, wenn sich das, was Sie OO
uns sagten, durch unangreifbare alte Text‐ OO
stellen belegen ließe und sozusagen autorita‐ OO
tive Bestätigung fände!
.Man mag sagen, was man will, aber die Be‐ OO
hauptung eines einzelnen hängt gewisser‐ OO
maßen immer in der Luft, und erst wenn OO
man weiß, wie man sie quasi geschichtlich OO
einzuordnen hat, kann man sich ein gehöri‐ OO
ges Urteil bilden! ‒”
*
.Das Erstaunen im Gesichtsausdruck des OO
Jüngeren hatte sich während solcher Rede OO
womöglich noch verstärkt, und ehe auch nur OO
46 Das Geheimnis
der Zweite, dem ebenfalls eine Entgegnung OO
auf den Lippen zu liegen schien, zu Worte OO
kommen konnte, begann er mit einem nur OO
schlecht unterdrückten ironischen Lächeln: OO
.„Sie meinen also, wenn ich Sie recht ver‐ OO
stehe, daß man in diesem Erdendasein nichts OO
erleben dürfe, was nicht durch die Stellung‐ OO
nahme irgend eines früheren, zu erleben erOO
laubt würde?!?”
.Und der Alte fiel ihm ins Wort:
.„Nein, mein junger Freund, so dürfen Sie OO
das, was ich sagte, nicht gleich auffassen!
.Sie wissen aber doch selbst, daß in der OO
Welt jede wissenschaftliche Erkenntnis erst OO
dann so recht zur Geltung kommt, wenn sie OO
sich auf die Autorität bewährter Vorgänger OO
zu stützen vermag!”
*
.„Selbst in bezug auf das, was man 'Wissen‐ OO
schaft' nennt”, erwiderte der Jüngere, „wer‐ OO
den Sie diesen Satz, der ja einige Berechti‐ OO
gung hat, nicht verallgemeinern dürfen!
47 Das Geheimnis
.Bei dem, was ich Ihnen aber heute sagte, OO
handelt es sich keineswegs um eine 'Wissen‐ OO
schaft', und ebensowenig um einen 'Glau‐ OO
ben', sondern um etwas, das nun einmal OO
praktisch gegeben ist, und praktischeOO
Durchführung verlangt, will man zu Re‐ OO
sultaten kommen! ‒ ‒
.Ich muß leider Ihre Frage nach einer älte‐ OO
ren diesbezüglichen Spezialliteratur vernei‐ OO
nen! Wohl würden Sie, auch ohne angenom‐ OO
mener Chela eines wirklichen Guru zu sein, OO
auf sehr bemerkenswerte Bestätigungen in so OO
manchem alten Schriftwerk und besonders OO
auch in den heiligen Schriften der großen OO
Weltreligionen stoßen, wenn Sie sich an die OO
Lehren der 'Weißen Loge' halten und unter OO
ihre unsichtbare Leitung stellen wollten, OO
allein Sie würden vergeblich die Welt nach OO
einem Buche durchsuchen, das diese Lehre OO
in früherer Zeit im Zusammenhang auf ge‐ OO
zeichnet hätte!
.Erst in unseren Tagen fand man sich be‐ OO
48 Das Geheimnis
wogen, die hier berührte Lehre der SchriftOO
zu vertrauen für alle kommenden Zeiten, um OO
auf solche Weise zum ersten Male der Welt OO
den Einblick in das Wirken der 'Weißen OO
Loge' zu vermitteln, durch einen Europäer, OO
der selbst zu dieser Gemeinschaft geOO
hört, und dem der ausdrückliche Auftrag OO
wurde, die Lehre in mannigfacher Form zu OO
verkünden. ‒
.Sobald Ihre Denkweise dazu genügend OO
vorbereitet ist, werden Sie diese Lehrschrif‐ OO
ten erkennen und zu nützen wissen. ‒ Es OO
besteht hier wahrlich keine Gefahr der Ver‐ OO
wechslung, besonders wenn Sie das alles OO
aufgenommen haben, was ich Ihnen in der OO
Zeit unseres Zusammenseins noch werde sa‐ OO
gen dürfen! Von dieser SelbstbekundungOO
der 'Leuchtenden' abgesehen, werden Sie je‐ OO
doch nur erschlichener und verzerrterOO
Kunde über die Meister der 'Weißen Loge' OO
begegnen, phantastischem Krimskrams und OO
den Zeugnissen abenteuerlicher Schwärme‐ OO
rei! ‒ ‒
49 Das Geheimnis
.Eben weil in solcher Weise ein total kariOO
kiertes Bild dieser ehrwürdigen Geistesge‐ OO
meinschaft gezeichnet wurde, das besonders OO
die Gehirne der westlichen Welt verwirrt, OO
sie auf falsche Fährte leitet und wüstem OO
Aberglauben ausliefert, hielt es die 'Weiße OO
Loge' an der Zeit, diesem Unfug entgegen‐ OO
zutreten, und da sie niemals etwas Schäd‐ OO
liches bekämpft, auch wenn sie es beim OO
rechten Namen zu nennen pflegt, so steuert OO
sie dem Wahn lediglich dadurch, daß sie OO
durch eines ihrer Glieder, das die nötigen OO
Voraussetzungen besitzt, die Wahrheit vor OO
aller Augen darstellen läßt.”
*
.Nachdem der Jüngere geendet hatte und OO
der Weißbärtige sich offenbar zu keiner Ge‐ OO
genrede bereiten wollte, nahm der Andere OO
das Wort, der gleich dem Alten bisher mit OO
größter Aufmerksamkeit zugehört hatte, und OO
er begann:
.„Demnach gibt es auch in Europa Ange‐ OO
hörige Ihrer 'Weißen Loge' und es wäre doch OO
50 Das Geheimnis
das Einfachste, einen aufzusuchen und sich OO
von ihm belehren zu lassen?!”
.„Abgesehen davon” erwiderte der Jün‐ OO
gere, „daß Ihnen kein Angehöriger der 'Wei‐ OO
ßen Loge' mehr sagen würde, als was Sie OO
nach seiner Beurteilung zur Zeit vertragen, OO
‒ abgesehen auch davon, daß Sie durchaus OO
nicht erst einen Meister der 'Weißen Loge' OO
kennen müssen, um sich unter ihren Einfluß OO
stellen zu können, ja, daß eine solche äußere OO
Bekanntschaft für den, der noch nicht selbst OO
gefestigt genug ist, eher ein Hindernis als OO
eine Förderung bedeuten könnte, ‒ habe OO
ich auch nur von einem einzigen Europäer OO
gesprochen, der ihr zugehört!
.Außer ihm, der ein Mensch ist wie wir OO
und es beinahe ängstlich vermeidet, in sei‐ OO
nem alltäglichen Leben sich irgendwie an‐ OO
ders zu gehaben als andere Menschen seines OO
Standes und Lebenskreises, werden Sie zur‐ OO
zeit keinem anderen Gliede der 'Weißen OO
Loge' außerhalb Asiens, oder allenfalls OO
51 Das Geheimnis
Nordafrikas und Arabiens, begegnen OO
können.”
.„Sie wollen doch damit nicht sagen”, er‐ OO
widerte der Weißbärtige, „daß der Mann OO
etwa in einer Stadt Europas, mitten in der OO
Welt lebt, sich ihren Konvenienzpflichten OO
unterwirft, unseren Lebensgewohnheiten OO
huldigt, die Genußmittel des Lebens liebt, OO
die uns anderen sozusagen fehlen würden, OO
wenn wir sie entbehren müßten, kurzum: OO
daß er sich in seiner Lebensführung in nichts OO
von einem unserer Art unterscheidet?! ‒” OO
.Eben das wollte ich mit meinenOO
Worten betonen”, antwortete der Jüngere, OO
„aber aus Ihrer Zwischenfrage höre ich, daß OO
auch Sie sich diese Meister der 'Weißen Loge' OO
nur als Halbgötter vorstellen können und OO
wohl sehr erstaunt wären, einem davon, der OO
irgendwo in Asien lebt, zu begegnen, wie OO
er gleich einem biblischen Patriarchen in‐ OO
mitten seiner vierzehn Kinder und vieler OO
52 Das Geheimnis
Enkel, noch rüstig und frisch, seinem kunst‐ OO
vollen Gewerbe obliegt, in hohem Wohl‐ OO
stand, den er sich durch seine Kunstfertig‐ OO
keit und durch das Geschick, mit dem er OO
seine Erzeugnisse zu verwerten wußte, er‐ OO
warb. ‒ ‒
.Ebenso, wie ich Ihnen heute schon sagte, OO
daß wirkliche Geisteserfahrung das äußere OO
Sinnenbewußtsein eher schärft, als ver‐ OO
dunkelt, so muß ich Ihnen jetzt auch sagen, OO
daß ein Mensch der höchsten, auf Erden nur OO
unter gewissen Bedingungen überhaupt OO
möglichen, geistigen Erkenntnis, durch‐ OO
aus nicht etwa für das äußere Leben un‐ OO
brauchbar wird, sondern die ihm von Natur OO
her für dieses Leben gewordenen Gaben, erst OO
recht in der intensivsten Art zu nützen weiß! OO
.Es müßte auch eine klägliche 'Geistigkeit' OO
sein, die von dem Menschen, dem sie zuteil OO
wird, verlangen würde, daß er auf die ethisch OO
nicht ausdrücklich verwerflichen Annehm‐ OO
lichkeiten des Erdenlebens verzichte, nur um OO
53 Das Geheimnis
dieser Geistigkeit keine Gefahr zu berei‐ OO
ten! ‒
.Alles, was durch solche Hingaben und OO
Opfer irdischer Annehmlichkeiten erhan‐ OO
delt werden kann, hat mit dem wirklichen OO
Geiste nicht das Allermindeste zu tun!
.Es ist geradezu ein KennzeichenOO
derer, die im Geiste erweckt und leOO
bendig wurden, daß sie sich durchOO
keinerlei Absonderlichkeiten im AufOO
treten und in der Lebensweise vonOO
ihren Zeit- und Landesgenossen unOO
terscheiden, daß sie leben wie jederOO
andere ehrbare Mensch, und allenOO
Weltverbesserungsideen ferne bleiOO
ben, wohl wissend, daß es keine LeOO
bensform des Menschen auf der ErdeOO
gibt, die seine geistige ErweckungOO
hindern könnte, daß sie aber wohlOO
gehindert werden kann, durch dieOO
allzu große Sorge um die Formen irOO
dischen Gemeinschaftslebens, auchOO
54 Das Geheimnis
wenn diese Sorge edelsten MotivenOO
entspringt! ‒”
*
.„Das alles”, warf nun der Physiker ein, OO
„klingt ganz so, wie ich es erwartet hätte, OO
wäre mir vordem etwas von dem Dasein sol‐ OO
cher leibhafter Geistesmenschen bekannt ge‐ OO
worden!
.Wenn mich irgend etwas an den Konven‐ OO
tikeln heutiger Zeit, die da vorgeben, ihre OO
Anhänger zum Geiste zu führen, abstieß, ja OO
anwiderte, so war es die namenlose Furcht OO
dieser Leutchen vor jeder kraftvollen Äuße‐ OO
rung der Lebensbejahung!
.Ich weiß nun einmal mit einem 'Geist' OO
nichts anzufangen, der seine Anhänger zu OO
ängstlichen Furchthasen macht, die sich OO
kaum getrauen einen Bissen zum Munde zu OO
führen, ohne die Sorge, er könne ihrer Ent‐ OO
wicklung schaden, und die in allem mensch‐ OO
lichen Tun versteckte Teufelsfallen vermu‐ OO
ten!
.Dagegen muß ich sagen, daß ich mich mit OO
55 Das Geheimnis
Ihrer 'Weißen Loge' allmählich befreunde! OO
.Es ist mir nichts so Unerhörtes, daß Men‐ OO
schen untereinander durch eine Art Äther‐ OO
schwingungen oder Ähnliches in bewußter OO
Verbindung stehen könnten, und wenn ich OO
auch selbst das noch nicht als Mitbeteiligter OO
erlebte, so bin ich doch nicht borniert genug, OO
die Möglichkeit einfach in Abrede zu stellen, OO
zumal sie mir von einem Menschen bestätigt OO
wird, von dem ich, wie von Ihnen, junger OO
Freund, recht gut weiß, daß er kein Fasel‐ OO
hans ist und genügend Selbstkritik besitzt, OO
um sich nicht irgendeinen Hokuspokus vor‐ OO
machen zu lassen!
.Nehme ich aber die Möglichkeit solcher OO
geistiger Verbindung mit Hilfe irgendeiner OO
hypothetischen Schwingungsunterlage an ‒ OO
ich muß hier unwillkürlich an die Hertz‐ OO
schen Wellen denken ‒ dann kann mir ein OO
derartiger Anschluß an eine Art geistes‐ OO
menschlicher Zentrale auf Erden ebenfalls OO
56 Das Geheimnis
einleuchten, und, falls er herzustellen ist, OO
nur höchst erwünscht sein, wenn er ähn‐ OO
liche Erkenntniserweiterungen bewirkt, wie OO
ich sie heute an Ihnen wahrnehme. ‒
.Vielleicht darf ich Sie jetzt einmal rund‐ OO
heraus fragen, wie Sie selbst diesen An‐ OO
schluß gefunden haben, und ob ihn unser‐ OO
einer auf gleiche Weise finden kann, einerlei OO
ob man zum 'Chela', wie Sie, qualifiziert ist, OO
oder nicht?!
.Sie sagten doch, dem Sinne nach, wenn ich OO
nicht irre, daß sozusagen jeder anständige OO
Mensch in den Stromkreis dieser geistes‐ OO
menschlichen Meister, oder wie man sie nen‐ OO
nen mag, gelangen könne?!?
.Damit wird die Sache praktisch bedeuOO
tungsvoll, und zum wenigsten wäre es mir OO
erwünscht, die Bedingungen zu kennen, OO
unter denen sich so etwas bewerkstelligen OO
läßt.”
.„Die gleiche Bitte möchte auch ich aus‐ OO
sprechen”, ergänzte der Weißbärtige, den OO
man so wie er jetzt in der Dämmerung gegen OO
57 Das Geheimnis
den bereits kupferglänzenden Himmel stand, OO
leicht selbst für einen alten Orientalen hätte OO
halten können, obwohl seine Vorfahren in OO
der Bretagne zu suchen waren.
*
.„Gerne, meine verehrten Freunde, will OO
ich Ihrem Wunsche entsprechen”, meinte der OO
Jüngste der Drei, „aber ich glaube kaum, OO
daß ich Ihnen da heute abend noch Wesent‐ OO
liches sagen könnte, denn wenn ich Sie wirk‐ OO
lich mit alledem vertraut machen will, was OO
Sie zur Unterlage für Ihre eigene Urteilsbil‐ OO
dung schließlich wissen müßten, werden wir OO
noch manche Stunde diesem Thema zu wid‐ OO
men haben, und vielleicht wird es auch gut OO
sein, wenn ich frühere Tagebuchaufzeich‐ OO
nungen zuhilfe nehme, die mir so wertvoll OO
‒ fast möchte ich sagen: so heilig ‒ sind, OO
daß sie mich stets auf allen meinen Reisen OO
begleiten.
.Ich freue mich von ganzem Herzen, daß OO
Ihr Interesse an diesen Dingen erwacht ist OO
und daß ich nun auch in dieser Beziehung OO
58 Das Geheimnis
ganz offen zu Ihnen reden darf, denn es war OO
mir immer ein peinliches Gefühl, daß ich OO
bei aller Herzlichkeit unserer Beziehungen, OO
die ja auch der Ausführung dieser gemein‐ OO
samen Reise zugrunde liegen, stets etwas vor OO
Ihnen zu verbergen hatte. ‒
.Sie werden aber wohl begreifen, daß man OO
über solche Dinge nicht mehr spricht, als OO
unbedingt nötig ist, solange man noch an‐ OO
nehmen muß, jede derartige Äußerung OO
könne in den anderen die Befürchtung aus‐ OO
lösen, man sei geistig nicht mehr ganz zu‐ OO
rechnungsfähig! ‒”
*
.Nach diesen letzten Worten einigte man OO
sich, daß man nun möglichst jeden Tag OO
einige stille Stunden bestimmen wolle, um OO
in südlicher Sonnenklarheit im Freien ver‐ OO
eint, allem zu lauschen, was der 'Chela' über OO
die ihm gewordenen Aufschlüsse zu sagen OO
haben mochte.
.Man war im Verlauf solchen Gespräches OO
bereits zwischen hohen Parkmauern ange‐ OO
59 Das Geheimnis
langt, die sich zu beiden Seiten des Weges OO
hinzogen, zuweilen unterbrochen durch ein OO
höheres Portal in geschwungenen Linien, OO
umrahmend ein kunstvoll geschmiedetes, OO
längst verrostetes Eisengitter, durch das hin‐ OO
durch der Blick die filigranartigen Silhouet‐ OO
ten schlanker Oleanderzweige, dunkeltiefe OO
Laubmassen des Lorbeers, und zuweilen auch OO
eine noch immer in die Abendstille plät‐ OO
schernde Fontäne gewahrte.
.Dann kam eine enge, schier endlose Gasse, OO
wie zusammengedrückt durch die hohen ka‐ OO
stellartigen Häusermassen, so daß man durch OO
die enge Schachtzeile oben nur noch einen OO
von Dachvorsprüngen zerhackt eingefaßten OO
Streifen Himmel gewahrte, an dem da und OO
dort die ersten Sterne aufblinkten.
.Die Stille, durch die man bisher geschrit‐ OO
ten war, wurde mehr und mehr von lauten OO
Rufen, Karrengeknarre und Fragmenten OO
fröhlicher Rede aus erleuchteten Gewölben OO
durchlöchert; in Falsettönen trällerte irgend‐ OO
ein mit seinem Tagewerk zufriedener Sohn OO
60 Das Geheimnis
des Südens die gerade beliebte Melodie; im‐ OO
mer mehr Passanten zwängten sich durch die OO
Enge, bis man sich fast unvermittelt auf dem OO
volkbelebten gravitätisch vornehmen Markt‐ OO
platz einer kleinen, aber einwohnerreichen OO
südlichen Stadt befand.
.Die überreichlichen Schätze der Obst‐ OO
händler quollen dann förmlich aus dem In‐ OO
nern der Verkaufshallen hervor, man sah OO
hellerleuchtete Barbierläden mit blitzenden OO
Spiegeln fast tapeziert, daneben Auslagen OO
mit bunten Seidenbändern, andere mit ap‐ OO
petitlich aufgeschichteten Wurstwaren, vie‐ OO
lerlei Käse und ganzen Arsenalen von lang‐ OO
halsigen Chiantiflaschen; dann gab es eine OO
„Farmacia”, allwo der Eingang von zwei OO
übermäßig hohen, schmalen Schaufenstern OO
flankiert wurde, aus deren jedem ein riesiger OO
Glasballon, der eine mit roter, der andere OO
mit grüngefärbter Flüssigkeit gefüllt, her‐ OO
vorglühte, und schließlich fehlte auch das OO
unvermeidliche „Kino” nicht, dessen grelle OO
Plakate mit unglaublicher Lichtverschwen‐ OO
61 Das Geheimnis
dung beleuchtet, ein feines Renaissancepor‐ OO
tal gröblich verunzierten.
.Da und dort gewahrte man zwischen all OO
diesen Herrlichkeiten ein Kaffeehaus, dessen OO
Tische und Stühle weit, bis fast zur Mitte des OO
Platzes, herausdrängten, und den Mittel‐ OO
punkt bildete eine Art Obelisk, der aus wo‐ OO
genden Barockmassen inmitten rauschender OO
Wasserkünste emporstrebte und auf seiner OO
Spitze, wie man gerade noch erkennen OO
konnte, eine auf dem Halbmond stehende, OO
in metallenem Strahlenkranz gefaßte Ma‐ OO
donna trug.
.Nur die eine Schmalseite der „Piazza” OO
blieb im Dunkel und hier erhob sich ein OO
mächtiges Bauwerk mit flachgegiebeltem Ab‐ OO
schluß, aus dessen Türöffnung ein rotes Glü‐ OO
hen und Kerzenschein drangen, nur dann OO
und wann durch die dunklen Gestalten Ein‐ OO
und Ausgehender verdeckt.
.Daneben strebte in den klaren, nun schon OO
reichgestirnten Himmel ein schlanker Cam‐ OO
panile, dessen Glocken in den freien hohen OO
62 Das Geheimnis
Rundbogen seines obersten Geschosses sich OO
auch jetzt noch deutlich vor der schwinden‐ OO
den Abendhelle erkennen ließen.
.Hier trennten sich zwei der Freunde von OO
dem dritten, da sie nicht alle in der gleichen OO
Herberge wohnten und man an diesem Abend OO
auch nicht gesonnen war, der angenehmen OO
Ermüdung sich zu widersetzen, um etwa noch OO
länger zusammen zu sein.
63 Das Geheimnis
SANTO SPIRITO
WIE am Vortag bereits verabredet wor‐ OO
den war, verließen die drei Freunde OO
in der Morgenhelle die Stadt, um ein nicht OO
allzuweit gelegenes Kloster aufzusuchen, das OO
aus der hügeligen Umgebung wie ein Wahr‐ OO
zeichen aufragte, hoch auf einen isolierten OO
Felskegel getürmt, so daß es fast eher einem OO
trutzigen Kastell, als einer Stätte des Gebets OO
und des Friedens glich.
.Dort oben sollte man eine wundervolle OO
Aussicht genießen über die ganze, mit male‐ OO
risch hingelagerten Dörfern und Flecken be‐ OO
säte Hügelkette und über das weithin durch OO
eine ausgedehnte Bucht umsäumte Meer.
.Der Aufstieg aber, ein alter, mit den Statio‐ OO
nen der Leidensgeschichte des Erlösers fromm OO
geheiligter Wallfahrtsweg, wurde als ziem‐ OO
lich beschwerlich und meist schattenlos ge‐ OO
schildert, so daß man darauf bedacht war, OO
das Kloster, woselbst man auch leibliche OO
Erquickung finden konnte, möglichst noch OO
vor dem Höchststande der Sonne zu errei‐ OO
chen.
67 Das Geheimnis
.Sodann wollte man während der heißesten OO
Tagesstunden dort oben im Freien ruhen OO
und womöglich das gestern so verheißungs‐ OO
voll begonnene Gespräch fortsetzen, um OO
dann erst am späten Nachmittag wieder zur OO
Stadt zurückzukehren.
.Mit einigem Mundvorrat ‒ soweit er sich OO
in den Taschen unterbringen ließ ‒ hatte OO
man sich zur Not versehen, wobei man auch OO
die saftreichen Früchte des Landes nicht un‐ OO
beachtet ließ.
.So wanderten die drei Männer ‒ der OO
jüngste in der Mitte ‒ frisch ausschreitend, OO
zuerst über eine fast schnurgerade, staubige OO
Landstraße dahin, auf der sich trotz der frü‐ OO
hen Stunde die Sonnenwärme schon recht OO
fühlbar machte.
.Der Weizen nebenan auf den Feldern OO
stand schon hoch in grünen Ähren und jeder OO
schmale Landstreifen wurde gleichsam ein‐ OO
gefaßt von hängenden Weinreben, die sich OO
an niederen Ulmen und gelegentlich auch an OO
Maulbeerbäumen hochrankten, so daß es oft OO
68 Das Geheimnis
den Anschein gewann, als sei der ganze Baum OO
ein Weinstock, da sein eigenes Laub fast völ‐ OO
lig unter den Blättern der Rebe verschwand. OO
.Dazwischen gab es auch Artischockenfelder OO
und Äcker mit anderen Gemüsearten, dann OO
wieder wildes Buschwerk an schmalen Was‐ OO
sergräben, hoch überragt von jungen, schlan‐ OO
ken Pappeln, deren Laubwerk man längs des OO
Stammes entfernt hatte, so daß ihre Kronen OO
wie Büschel auf hohen Stielen in den silber‐ OO
weißen, seidenglänzenden Himmel standen. OO
.Rechts, nach der Seite des Meeres zu, OO
dehnte sich weithin dann üppiges Wiesen‐ OO
land, stellenweise durchzogen von niederen OO
verkrüppelten Weidenstämmen, und in der OO
Ferne am Strande gewahrte man ein paar OO
halbzerfallene Fischerhütten.
.Aus der türkisfarbenen Meeresfläche aber OO
leuchteten einige ockergelbe und orangerote OO
Spitzsegel auf, die völlig unbewegt an ihre OO
Stätte gebannt zu sein schienen.
*
69 Das Geheimnis
.Die drei Wanderer waren offenbar noch OO
nicht recht zum Sprechen angeregt, und so OO
kam es, daß sie meist ohne zu reden ihre OO
Augen schweifen ließen.
.Nur dann und wann wurden kurze Worte OO
gewechselt, sei es, daß irgendein Gegenstand OO
des einen oder anderen Interesse erregt hatte, OO
oder daß man seinem Verwundern Ausdruck OO
gab, zu so früher Stunde schon die Strahlen OO
der Sonne derart kräftig zu verspüren.
.Es mochte so eine gute Stunde, oder auch OO
etwas mehr, vergangen sein, als man sich an OO
einem kleinen Bildstock angelangt fand, ne‐ OO
ben dem der Seitenweg abzweigte, der jetzt OO
einzuschlagen war, wollte man dem immer OO
noch beträchtlich entfernten Felskegel näher OO
kommen, dessen Schattenseite, in milchigen OO
Duft getaucht, ihn jetzt wie eine brutale Ku‐ OO
lisse aus dem sanft geschwungenen Hügel‐ OO
gelände emporsteigen ließ.
.Zum wenigsten war man nun der allzu‐ OO
ermüdenden Gleichförmigkeit der staubigen OO
Landstraße entronnen und es währte auch OO
70 Das Geheimnis
nicht lange, bis der mäßig ansteigende und OO
mannigfach gewundene Weg sich durch hohe OO
Busch- und Baumgruppen, Fliederbüsche OO
und Kastanienhaine, emporgeleiten ließ, die OO
immerhin einigen, recht wohltuend empfun‐ OO
denen Schatten spendeten.
.So hatten sich die drei Wanderer allmäh‐ OO
lich dem Fuße des Felskegels immer mehr OO
genähert, als man vor dem eigentlichen An‐ OO
stieg, an einer dürftig rinnenden steingefaß‐ OO
ten Quelle kurze Rast zu halten beschloß.
.Hier war man schon unterhalb einer jäh OO
aufragenden Felswand, von der wohl eine OO
Erderschütterung einige Blöcke herunterge‐ OO
schleudert haben mochte, die nun, mit wei‐ OO
chem Moose bedeckt, die erwünschtesten OO
Ruhesitze, im dichten Schatten des Berges, OO
unter mächtigen Walnuß- und Kastanien‐ OO
bäumen boten.
.Rings umher war der steinige Boden dicht OO
überschüttet von den Stachelhülsen und zahl‐ OO
losen, bereits geschrumpften, vertrockneten OO
Früchten der Kastanie ‒ dazwischen OO
71 Das Geheimnis
knirschten unter den Füßen die zertretenen OO
Nußschalen, und man konnte gut bemerken, OO
daß diese schattige Stelle schon so mancher OO
Wallfahrerprozession als Rastplatz gedient OO
haben mochte, bevor sie den sündentilgen‐ OO
den Steilweg, zwischen den Kreuzwegstatio‐ OO
nen empor, zum hohen Kloster beschritt.
.Wenn auch das Wasser nur recht spärlich OO
zurzeit aus der Steinröhre der Quelle sickerte, OO
so dünkte es doch den drei Männern als ein OO
gar köstliches Labsal, und jeder wartete stets OO
wieder geduldig bis der Reisebecher sich ge‐ OO
füllt hatte, um ihn dann in einem Zuge zu OO
leeren.
.So war unter allerlei frohen Worten, wie OO
sie bei derlei Gelegenheit sich von selbst er‐ OO
geben, geraume Zeit vergangen.
.Man hatte sich genügend an dem Mitge‐ OO
führten und dem Wasser der Felsenquelle OO
erfrischt und fand es nun geraten, wieder auf‐ OO
zubrechen, um den Büßerweg emporzuklim‐ OO
men.
*
72 Das Geheimnis
.Wenn Menschen, die sich etwas zu sagen OO
haben, längere Zeit nebeneinander gingen OO
und im Schweigen verharrten, so geht ihnen OO
das Wort nicht bald wieder verloren, so sie OO
es nur erst aufs neue fanden!
.Das war auch an den drei weltlichen Wall‐ OO
fahrern zu bemerken, die nun, nicht weit OO
von ihrem Rastplatze entfernt, bei einer OO
kleinen Kapelle der Schmerzensmutter die OO
ausgetretenen, in das Felsgestein gehauenen OO
unbequemen Stufen vor sich sahen, auf de‐ OO
nen der Weg jetzt die andere Seite des Fels‐ OO
kegels entlang, in praller Sonne und ohne OO
die mindeste Aussicht auf schattenspenden‐ OO
des Gehölz, in unzähligen Serpentinen auf‐ OO
wärts führte.
*
.„Etwas besser hätte ich mir diesen Weg OO
der Leidensstationen eigentlich doch vor‐ OO
gestellt”, meinte der Weißbärtige, obwohl er OO
trotz seines Alters bis jetzt gezeigt hatte, daß OO
er es auch mit dem Jüngsten der Drei noch OO
spielend aufnehmen konnte.
73 Das Geheimnis
.„Nun, es wird hoffentlich nicht immer in OO
dieser holperigen Treppenweise weiter‐ OO
gehen”, erwiderte der andere, während der OO
Jüngere lachend einfiel und sagte:
.„Ich fürchte, wir sehen hier noch den ver‐ OO
lockendsten Teil unseres Aufstiegs vor OO
Augen, und dort oben, wenn die Erquickung OO
am Ziele schon bald erreicht scheint, haben OO
uns die ehrwürdigen Väter des Klosters dann OO
erst das Schwerste aufgespart!”
.Aber der Weißbärtige gab ebenso lachend OO
zur Antwort:
.„Mich schrecken Sie mit Unkenrufen nicht OO
und vorläufig rechne ich mich noch lange OO
nicht zum alten Eisen! Ich komme schon OO
hinauf und wenn es eine Kletterei gibt wie OO
an einer Dolomitenwand! Umsonst habe OO
ich nicht noch vor ein paar Jahren die alt‐ OO
gewohnten, schwierigsten Bergtouren ge‐ OO
macht! Da meinte es die Sonne manchmal OO
auch nur allzugut und es ist doch gegangen! OO
.Aber ob unser lieber, wohlbeleibter Freund OO
74 Das Geheimnis
hier nicht die Lust verlieren wird, ist eine OO
andere Sache!”
.Der Alte war durch die anregende Wande‐ OO
rung ordentlich jugendfrisch geworden, und OO
wäre sein Äußeres nicht gewesen, nach dem OO
man ihn als reichlichen Sechziger einschätzen OO
mußte, so hätte man ihn heute wohl für ganz OO
erheblich jünger halten können.
.Nun gefiel er sich geradezu in der Rolle OO
des mit seiner Jugendkraft und Ausdauer OO
kokettierenden Alters, und die beiden an‐ OO
deren fühlten das und hüteten sich, ihm OO
seine Freude zu verderben.
.„Ja, ja”, erwiderte der eben wegen seiner OO
Korpulenz ein wenig Verspottete, „unser OO
Freund ist trotz seiner Jahre am Ende doch OO
der jüngste unter uns!
.Da grast er zwar alle Bibliotheken ab und OO
sitzt dann wochenlang hinter seinen Schmö‐ OO
kern, aber trotzdem findet er noch Zeit da‐ OO
zu, sich als Alpinist zu betätigen, so daß es OO
schon beinahe keine Bergtour gibt, die er OO
nicht in seinem Leben einmal gemacht hat, OO
75 Das Geheimnis
und daß alle Alpenhütten ihm schon Nacht‐ OO
herberge boten!
.Unsereiner kann da freilich nicht mit!”
.Aber der Alte wehrte doch jetzt ab und OO
meinte: ganz so schlimm sei es schließlich OO
nicht, wenn er sich auch etwas darauf zugute OO
halte, daß er mit seinen dreiundsechzig Jah‐ OO
ren sich immer noch ganz passable Leistun‐ OO
gen zutrauen könne.
.Mit solchen Scherzreden, die eigentlich OO
schlecht zu dem Bilde der um den gemarter‐ OO
ten toten Sohn klagenden heiligen Frau pas‐ OO
sen wollten, das man in ziemlich kunstloser, OO
bemalter Holzschnitzerei in der kleinen Ka‐ OO
pelle gewahrte, hatte man sich gegenseitig OO
gleichsam Mut gemacht und war nun schon OO
eine ziemliche Strecke des Stufenweges em‐ OO
porgestiegen.
*
.Vierzehnmal sollten sich die Bilder grau‐ OO
enhafter Marter eines Menschen durch Men‐ OO
schenhand noch wiederholen, deren erstes ‒ OO
76 Das Geheimnis
in ebenso kunstloser Arbeit wie die Darstel‐ OO
lung der „Mater dolorosa”, die gleichsam OO
den Eingang dieses Schmerzensweges zu be‐ OO
wachen schien, den Aufsteigenden nun ‒ OO
seitlich in die Felswand eingelassen ‒ ent‐ OO
gegenblickte...
.Gleich auf dem ersten dieser Bilder ge‐ OO
wahrte man einen jüngeren Mann, zwar OO
schmerzdurchbebt, aber von edler könig‐ OO
licher Haltung, mit bloßem Oberkörper, OO
über und über blutend aus unzähligen Geißel‐ OO
wunden, einen dichten Kranz spitzer Dor‐ OO
nen auf seinem Haupte.
.Wüste Gesellen mit infernalischen Gesich‐ OO
tern und Gesten zerren ihn wohl vor einen OO
Richter, der in kalter stumpfer Ruhe seine OO
Hände in einem Becken wäscht, das ein blö‐ OO
der Knabe ihm vorhält.
.Unwillkürlich verweilten die drei Männer OO
und ihre Rede verstummte...
*
.Mochte es nun der erschreckende Ein‐ OO
druck dieses Bildes sein ‒ inmitten einer OO
77 Das Geheimnis
üppigen Natur, von Bienen umsummt und OO
von Faltern umgaukelt, schamlos dem über‐ OO
hellen südlichen Sonnenlichte preisgegeben, OO
‒ war es die stets erneuerte Peinigung des OO
Empfindens vor jedem neuen Bilde, oder OO
mochte das beschwerliche Steigen in immer OO
fühlbarer werdendem Sonnenbrennen die OO
Ursache ergeben, ‒ ‒ kurz: die drei OO
Freunde erstiegen nun wortlos die nicht en‐ OO
denwollenden, durch tausendfache Benüt‐ OO
zung oft kaum noch kenntlichen Stufen, bis OO
sie auch das letzte der Bilder, auf dem zu OO
sehen war, wie man den armen Gemarterten OO
in ein Grab versenkte, überstanden hatten. OO
.Endlich war man auf der Höhe des Klo‐ OO
sters angelangt, wo ein Ruhesitz, gerundet OO
aus dem Stein gemeißelt, die Ermüdeten OO
empfing.
.Aber hatte man schon vorher bei einem OO
der letzten jener grauenhaften Bilder mit OO
Entsetzen den vom Beginn an gepeinigten OO
Menschen mit Händen und Füßen angena‐ OO
78 Das Geheimnis
gelt an zwei überkreuzten Balken hängen OO
sehen, so bot sich jetzt den Rastenden hier OO
oben das gleiche Bild erneuert dar, nur in OO
vollendeter Gestaltung, geformt von OO
einem, der zu formen wußte, durchströmt OO
von einer Inbrunst des Leidens, die keinem OO
darzustellen gegeben ist, der nicht einst selbst OO
gelitten hat, ‒ gelitten an denen, die ihn OO
peinigten, und der ihnen dennoch vergeben OO
konnte...
.Aufrecht stehend unter dem Martergalgen OO
sah man, mit gleicher Kunst gebildet, die OO
Gestalt eines bartlosen Mannes, der ‒ ab‐ OO
gesehen von dem Lockenhaar ‒ beinahe OO
dem jüngsten der drei Freunde zu gleichen OO
schien, und die eines händeringenden, gänz‐ OO
lich niedergeschlagenen Weibes, das wohl OO
mit jener Schmerzensmutter identisch sein OO
mochte, die unten am Eingang des Kreuz‐ OO
weges wachte, damit ihn keiner betrete, der OO
das Mysterium dieses Leidens nicht erfassen OO
könne...
.Lange saßen die Freunde hier, ‒ dachten OO
79 Das Geheimnis
nicht mehr der Erquickung, die sie auf der OO
nun erreichten Höhe erwarten sollte, ‒ ach‐ OO
teten nicht der brennenden Sonnenstrahlen, OO
‒ und verlangten nicht nach der vielbe‐ OO
rühmten Aussicht, die man von der Terrasse OO
auf der anderen Seite des nahen Klosters ge‐ OO
nießen konnte. ‒
*
.Nun wäre aber niemand je so sehr in die OO
Irre gelaufen, als einer, der etwa vermuten OO
würde, die drei Weggefährten hätten heute OO
zum erstenmal dergleichen Bilder mensch‐ OO
licher Grausamkeit gesehen, und die Ge‐ OO
schichte jenes Gemarterten sei ihnen fremdOO
gewesen. ‒
.Dies war mitnichten so!
.Vielmehr war der Alte aus sehr frommem, OO
christlichem Haus, und einer seiner Brüder OO
war zu hoher Würde in dem Priesterkreise OO
aufgestiegen, dem er in früher Jugendzeit OO
sich schon gelobte.
.Der andere aber, der so sehr einem wür‐ OO
digen Abate glich, hätte einst alle Aussicht OO
80 Das Geheimnis
gehabt, ein solcher zu werden, wenn ihn OO
nicht quälende Zweifel bewogen haben wür‐ OO
den, noch vorher ein anderes Studium zu OO
wählen.
.Der dritte und jüngste aber war zwar OO
nicht ein Kind der Kirche Roms, doch ehe OO
er sich wieder aufs neue zu den Füßen der OO
Katheder auf die Bank der Schüler setzte, OO
um des nunmehrigen Berufes vorbedingtes OO
Wissen zu erwerben, war er bei jungen Jah‐ OO
ren schon in Amt und Würden und wußte OO
gar ergreifend einer lauschenden Gemeinde OO
von dem Marterweg zu reden, den jener einst OO
gegangen war, als dessen vorgeblicher Die‐ OO
ner er auf der Kanzel stand, wenn seine OO
Kirche dichtgedrängt erfüllt war, auch von OO
solchen, die längst, bevor man seinem Wort OO
begegnete, die Kirchentüren nur mehr noch OO
von außen kannten...
*
.„Wie man auch zu der altehrwürdigen OO
frommen Glaubensweise stehen mag”, durch‐ OO
brach endlich der Weißbärtige die aufge‐ OO
81 Das Geheimnis
schichtet lastende Stille, „so hat doch im‐ OO
merhin dieses Voraugenstellen der Leiden OO
eines als göttlich geglaubten Menschen, um OO
dadurch das Mitleid und in seinem Gefolge OO
den Entschluß zu reinerem Leben zu er‐ OO
wecken, etwas von antiker Größe!”
.„Das ist durchaus nicht zu bestreiten”, OO
meinte der „Abate”, indem er sich noch OO
immer den Schweiß von der Stirne wischte, OO
„aber ich glaube nicht, daß viele von denen, OO
die hier heraufkommen, etwas von dieser OO
Größe verspüren!
.Ich kenne diese Art Gläubigkeit vielleicht OO
zu gut...
.Man betet da vor jedem dieser Bilder eine OO
vorgeschriebene Gebetsformel ab, versucht OO
es auch mit knapper Not vielleicht, in dump‐ OO
fem Schuldbewußtsein in sich herumzuboh‐ OO
ren, ob man nicht so etwas wie Grauen und OO
Mitleid vor den von Kindheit an gewohnten OO
Darstellungen dieser menschlichen Scheu‐ OO
säligkeiten gegenüber einem Schuldlosen OO
aufbringen könne, und wandert dann im be‐ OO
82 Das Geheimnis
friedigten Gefühl, das Seine getan und gar OO
noch 'himmlische Verdienste' erworben zu OO
haben, seelenruhig bis zum nächsten Bilde, OO
bis man so die ganze Reihe durchlaufen OO
hat. ‒
.Außerdem aber geht mir dieses geflissent‐ OO
liche Betonen des Grauenhaften gegen die OO
Natur!
.Ich weiß wirklich nicht, ob das die rich‐ OO
tige Methode ist, bösartige Instinkte im Men‐ OO
schen zum Verschwinden zu bringen!?
.Das Boshafte und Gemeine, das da mit OO
plumper Kunst, aber mit so sichtlichem OO
Wohlbehagen in den Gesichtern und Gebär‐ OO
den der Schergen dargestellt wird, berührt OO
das Einfühlungsvermögen ‒ schon weil die OO
Darsteller dabei viel mehr in ihrem Element OO
waren ‒ weit stärker, als die duldende OO
Würde des Gemarterten; und dann wird ja OO
auch der ganze Vorgang als etwas nur einOO
mal auf der Erde Geschehenes aufgefaßt, OO
während man nicht im Traum daran denkt, OO
daß später im Namen eben dieses Gepei‐ OO
83 Das Geheimnis
nigten viel entsetzlichere Scheußlich‐ OO
keiten begangen wurden! ‒ ‒ ‒
.Schreibt doch da selbst im 'Jahre des Heils' OO
Eintausendneunhundertundeins ein OO
'Priester', der sich nach dem Namen des Ge‐ OO
kreuzigten nennt, in seinen 'InstitutioOO
nen des Kirchenrechts' die menschen‐ OO
freundlichen Worte:
'Die weltliche Obrigkeit muß aufOO
Befehl und im Auftrage der KircheOO
die Todesstrafe am Häretiker vollOO
ziehen und kann den von der KirOO
che der weltlichen Gewalt überOO
gebenen der Todesstrafe nichtOO
mehr entziehen.
.Dieser Strafe verfallen nicht nurOO
diejenigen, die als ErwachseneOO
vom Glauben abgefallen sind, sonOO
dern auch jene, die getauft sindOO
und mit der Muttermilch die HäreOO
sie eingesogen haben und erwachOO
sen sie hartnäckig festhalten.
.Diese Strafe trifft auch, wo sieOO
84 Das Geheimnis
eingeführt ist, alle rückfälligenOO
Häretiker, auch wenn sie sich beOO
kehren wollen, sowie alle, die nachOO
erfolgter Mahnung hartnäckigOO
sind.' ‒ ‒ ‒
.Ich muß sagen, daß mir ein 'Erlöser' recht OO
notwendig erscheinen würde, der einen Men‐ OO
schen, in dessen Gehirn derart scheusälige OO
Gedanken sich formen konnten, von seinemOO
Denken erlösen würde! ‒ ‒
.In die Gesellschaft dessen, den man da OO
auf den Bildern als Gemarterten dargestellt OO
sieht, gehört er wahrlich nicht, aber unter OO
den mit so wollüstiger Freude am Grausamen OO
wiedergegebenen Henkersknechten könnte OO
er sich mit Ehren sehen lassen!”
*
.„Sie nehmen aber derartige Äußerungen OO
doch auch gar zu ernst”, erwiderte der Alte. OO
„Ich möchte hier weder die vom heiligen OO
Ignatius von Loyola gestiftete Gesellschaft, OO
der auch mein Bruder angehört, und unter OO
85 Das Geheimnis
deren Mitgliedern ich manche gelehrte OO
Freunde zähle, die recht wohl wissen, daß OO
ich meine eigenen religiösen Wege gehe, OO
noch gar die Kirche selbst für solche OO
Äußerungen eines römischen Heißsporns, die OO
ich sehr wohl kenne, verantwortlich machen! OO
.Der Herr kann aus seiner recht subjek‐ OO
tiven Enge eben nicht heraus!”
*
.„So! ‒ Er kann nicht heraus?!” entgeg‐ OO
nete der Physiker.
.„Aber die römische Kirche hat doch die OO
sattsam bekannte Institution der 'Indexkon‐ OO
gregation'!
.Warum setzt sie nicht auch einmal Werke, OO
in denen, im Namen dessen, durch den der OO
Grund gelegt wurde auf dem sie ihr stolzes OO
Gebäude aufrichtete, solche UnmenschOO
lichkeiten propagiert werden, auf den 'InOO
dex' und rückt so wenigstens formal von OO
ihnen ab?!
.Meines Wissens ist das nicht geschehen!” OO
.„Aber die päpstliche Kirche”, widersprach OO
86 Das Geheimnis
der Alte, „ist doch in der heutigen Praxis OO
durchaus tolerant, und gerade der Gesell‐ OO
schaft der jener Priester zugehört, macht OO
man viel eher den Vorwurf, daß sie gegen‐ OO
über der menschlichen Schwachheit nur all‐ OO
zuviel Nachsicht habe!”
.„Ja, wo es ihr paßt”, parierte der andere, OO
„und was die heute geübte 'tolerantere Pra‐ OO
xis' angeht, so stellt sie eine Tugend derOO
Not dar, wenn man nicht eher sagen darf, OO
daß gerade diese tolerante Praxis höchstOO
subjektiver Natur ist, und keineswegs in OO
dem begründet erscheint, was man sich als OO
kirchliche Jurisdiktionsgewalt im Laufe OO
der Zeiten zurechtgetüftelt hat und woran OO
man leider auch heute noch ‒ wenn auch in OO
vorsichtigerer Anwendung ‒ den eigenen OO
Halt zu finden glaubt, obwohl es schon arger, OO
und wahrlich bedenklicher Sophismen OO
bedarf, um das alles mit der Lehre des NaOO
zareners, auch nur unter Auguren, in OO
scheinbaren Einklang zu bringen! ‒ ‒”
*
87 Das Geheimnis
.„Sie reden da von der Lehre des NazaOO
reners”, warf nun der jüngste der drei Män‐ OO
ner ein, „wie von einer Sache, über die man OO
sich mit Leichtigkeit unterrichten könne!
.Ich muß dagegen einwenden, daß es we‐ OO
nige Dinge auf Erden gibt, über die man OO
mit ähnlicher Selbstverständlichkeit spricht, OO
ohne sie zu kennen, wie eben gerade die OO
Lehre des Nazareners! ‒
.Was man in literarischen Zeugnissen die‐ OO
ser Lehre besitzt ‒ die sogenannten 'Evan‐ OO
gelien' ‒ ist von Anfang an Bericht ausOO
zweiter Hand gewesen und wurde, bevor OO
es auf uns kam, in der skrupellosesten Weise OO
von den verschiedensten Bearbeitern um‐ OO
gemodelt, weil jeder versuchte, die Bestäti‐ OO
gung seiner eigenen beschränkten Schul‐ OO
meinung durch die Autorität des hohen Mei‐ OO
sters sicherzustellen. ‒ Jeder der frühen Ab‐ OO
schreiber las aus den ohnehin nur fragmen‐ OO
tarischen Berichten über die Lehre nur dasOO
88 Das Geheimnis
heraus, was er selber zu fassen vermochte, OO
und glaubte sich so bei bestem Gewissen be‐ OO
rechtigt, ihm Unverständliches zu änOO
dern, bis schließlich die letzte Form der OO
Abschriften entstand, die für uns die früOO
hesten, noch erreichbaren Texte darstellen, OO
auf denen all unser äußeres Wissen über die OO
Lehre des Meisters von Nazareth sich grün‐ OO
det. ‒ ‒
.Wer aber glaubt, daß außer diesen liteOO
rarischen Dokumenten von bereits so zwei‐ OO
felhafter Glaubwürdigkeit, etwa eine mündOO
liche Tradition sich erhalten haben könne, OO
der zeigt gar wenig Menschen- und Ge‐ OO
schichtskenntnis...
.Schon die alltägliche Erfahrung lehrt je‐ OO
den Richter, daß auch die glaubwürdigsten OO
Zeugen einer leicht faßbaren Begebenheit, OO
die verschiedensten Berichte geben, trotzdem OO
jeder die ganze Wahrheit zu bekunden OO
glaubt. ‒ ‒
.Blickt man sich aber in der Geschichte der OO
Menschheit etwas genauer um, so bedarf es OO
89 Das Geheimnis
wahrlich nur geringer Kritikfähigkeit, um zu OO
sehen, wie Worte und Ereignisse sich im OO
Laufe weniger Jahrzehnte schon zu ändern OO
vermögen, um irgendwelchen Wünschen OO
Mächtiger, oder dem Bedürfnis der Menge OO
gerecht zu werden. ‒ ‒
.Ich spreche es darum hier unumwunden OO
aus und bin mir der Tragweite meiner Worte OO
gar wohl bewußt: ‒ daß kein MenschOO
auf dieser Erde etwas Sicheres überOO
die Person und Lehre des JehoschuahOO
von Nazareth weiß oder in ErfahrungOO
bringen kann, solange ihm nicht dieOO
Lehren der 'Leuchtenden des UrlichOO
tes' zugänglich wurden, denn der Mann, OO
der im Mittelpunkte der alten Berichte steht, OO
war ein Zugehöriger dieser geistigenOO
Vereinigung Gottgeeinter, und was er OO
lehrte, lehrte er wie es der 'Vater' ihm ge‐ OO
boten hatte, ‒ der 'Vater' dieser LeuchOO
tenden, den jeder seiner 'Söhne' kenntOO
und von dem jeder aus ihnen sagen darf: OO
.'Ich und der Vater sind eins!'
90 Das Geheimnis
.'Wer mich sieht, der sieht auch denOO
Vater!' ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Jede der vielen Glaubensgemeinschaften, OO
die sich heute nach dem Namen dieses ho‐ OO
hen Meisters, dieses 'Gesalbten' oder ChriOO
stos, nennen, besitzt wohl in irgendwelchen OO
Bruchstücken irgendwelche Teile seiner OO
Lehre und sucht sie so gut wie es gehen mag, OO
ihrem Verständnis anzupassen, wobei frei‐ OO
lich meist das Beste verloren geht. ‒ ‒
.Die einen tilgen alles, was über ihre eigene, OO
rationalistische Denkweise sich erhebt, und OO
fälschen unbewußt des Meisters Lehre in OO
eine erhabene menschliche Ethik um, wäh‐ OO
rend die anderen durch Zwang zu erreichen OO
suchen, daß erhalten bleibe, was sie selbst OO
nur noch irrig deuten.
.Die Kirche Roms krankt an ihrem AhnenOO
stolz, wie so manche Adelsfamilie, der die OO
Zahl der Ahnen wichtiger ward als der eigene OO
Adel, ‒ wogegen die von ihr losgelöstenOO
Zweige vergessen, daß zum Gedeihen 'ErdOO
91 Das Geheimnis
reich' gehört, und so sich nicht beklagen OO
dürfen, wenn sie allmählich ihre Lebens‐ OO
kraft verlieren! ‒ ‒ ‒
.Wer wirklich ein Jünger des Meisters OO
der Evangelien werden will, der darf nicht OO
glauben, von diesen menschlichen Institutio‐ OO
nen abzuhängen, auch wenn er in einer oder OO
der anderen vieles zu finden weiß, das ihm OO
gemäß ist und zu seiner Seele spricht!
.Aber auch nicht durch die LoslösungOO
von solcher Gemeinschaftsbildung kommt OO
er dem Meister näher, sondern nur durch OO
Vertiefung seiner eigenen ErkenntOO
nis, die sich in jeder Glaubensform zum OO
Aufleuchten bringen läßt!
.So wollen wir nicht hadern über der an‐ OO
deren Torheit, sondern selbst die WeisOO
heit suchen! ‒”
*
.Hier endete vorerst der jüngere der drei OO
Männer, und seinen bewegten und bewegen‐ OO
den Worten folgte eine tiefe, fast atemlose OO
Stille.
92 Das Geheimnis
.Es war, als ob der Gekreuzigte, unter des‐ OO
sen kunstreich gestaltetem Bilde die Drei ‒ OO
die sich unwillkürlich während solcher Rede OO
erhoben hatten ‒ nun standen, segnend OO
seine durchbohrten Hände über sie breite, OO
und als ob Mann und Weib, die man steinern OO
im Schmerz versunken unter dem Kreuze OO
gewahrte, aus den Worten des Begeisterten OO
Trost schöpfen wollten...
.Viel länger als beabsichtigt war, hatte man OO
hier verweilt, und die drei Freunde schritten OO
nun im Gefühl einer heiligen Erregung, die OO
von dem Sprechenden ausgegangen war und OO
sich den beiden anderen mitgeteilt hatte, OO
durch den blühenden, von den Mönchen OO
sorglichst gepflegten Garten dem nahen Klo‐ OO
ster zu.
.Vor dem überreich skulpierten Barock‐ OO
portal machten sie Halt.
.Dem schweren, schmiedeeisernen Klingel‐ OO
zug gehorchte eine tiefgestimmte Glocke, OO
die man im Innern der Klosterräume ertönen OO
hörte, und alsbald öffnete sich eine kleine OO
93 Das Geheimnis
Pforte in dem mächtigen geschnitzten Tor‐ OO
gebilde, das von dem steinernen Portal um‐ OO
schlossen war.
.Ein dicker Franziskanerfrater begrüßte OO
lächelnd die Ankommenden und schloß hin‐ OO
ter ihnen sogleich wieder den Einlaß, der, OO
als ein Tor im Tore, die architektonische OO
Gliederung des Ganzen auch im geöffneten OO
Zustande keineswegs beeinträchtigt hatte.
.Die Freunde fanden sich in einer hohen, OO
leidlich lichten Halle, während der Bruder OO
Pförtner ihnen voranschritt und sie dann OO
über einige Stufen, die er in sorglicher Vor‐ OO
sicht zu beachten empfahl, in einen kleinen OO
gewölbten Raum geleitete, den Tische, Bänke OO
und Stühle einigermaßen füllten und der OO
an seinen weißgetünchten Wänden keinen OO
anderen Schmuck aufwies, als ein großes, OO
hölzernes Kruzifix.
.Hier bat er, dem offenbar die leibliche OO
Stärkung der Besucher des Klosters oblag, OO
die drei Männer, zu verweilen, um alsbald OO
mit einer mächtigen Schüssel dampfender OO
94 Das Geheimnis
„Minestrone”, jener köstlichen italienischen OO
Gemüsesuppe, wiederzukehren, die er vor OO
ihnen niedersetzte.
.Aus einem Wandschrank holte er Teller, OO
Löffel und Gläser, verschwand wieder und OO
kam zurück mit einer bastumflochtenen lang‐ OO
halsigen Flasche, mit einem zinnernen Tel‐ OO
ler, auf dem eine Stange weißen Brotes lag, OO
und mit einem Schüsselchen, das gefüllt war OO
mit geriebenem Käse, den man nach landes‐ OO
üblicher Weise auf die Suppe streut.
.So wußte er die Gäste nun versorgt, OO
wünschte Appetit und überließ sie ihrem OO
Mahle.
.Die Minestrone mundete vorzüglich, Brot OO
und Wein waren eine willkommene Beigabe, OO
und da man doch, vordem man hier eintrat, OO
allmählich recht hungrig geworden war, so OO
durfte wohl der Bruder Küchenmeister spä‐ OO
ter an der geleerten Schüssel ersehen, daß OO
das Gebotene allen Beifall gefunden haben OO
mußte.
.Eben hatte man befriedigt den letzten OO
95 Das Geheimnis
Bissen genossen, als auch der bedienende OO
Bruder wieder erschien und mit einem Blick OO
auf das leere Geschirr scherzend bedeutete, OO
nun sei man wohl wieder fähig, einige An‐ OO
strengung zu ertragen, und darum wolle er OO
gerne den alten Kreuzgang und das Innere OO
der Klosterkirche zeigen.
.Einer Bezahlung des Mahles wehrte er lä‐ OO
chelnd ab und meinte, das könne man nach OO
Schluß seiner Führung mit einer beliebigen OO
frommen Gabe für das Kloster begleichen.
*
.Es ist etwas sehr Schönes um diese Gast‐ OO
freundlichkeit der Mönche und man darf OO
nur bedauern, daß es auch allzuoft Kloster‐ OO
gäste gibt, die sich sehr gerne geben lassen OO
ohne von dem Ihren etwas entgegen zu OO
geben, und so denn schließlich noch die Klö‐ OO
ster, in denen bislang derartige vertrauende OO
Gastfreiheit bestand, eines Tages zwingen OO
werden, den guten alten Brauch aufzuheben. OO
*
96 Das Geheimnis
.Als man das kleine Gaststübchen verließ, OO
meinte der „Abate”, wie der Physiker wohl OO
auch scherzweise oft von seinen Freunden OO
bezeichnet wurde, in froher Behaglichkeit: OO
„Das nenne ich praktisches Christentum!
.Da wird nicht erst gefragt, ob man Heide, OO
Jude oder Christ, und nach welcher Art man OO
es zu sein beliebt, ob man Geld im Beutel OO
hat oder nicht, und man vertraut wildfrem‐ OO
den Menschen, daß sie Vernunft genug ha‐ OO
ben, Gabe mit Gegengabe zu vergelten!
.Es ist doch jämmerlich, daß die 'From‐ OO
men' draußen in der Welt allesamt immer OO
zu sündigen fürchten, wenn sie einem, der OO
nicht auf ihr Glaubensbekenntnis einge‐ OO
schworen ist, auch nur einen freundlichen OO
Blick schenken! ‒
.Hier ist so ein Stück kirchliche, und zwar OO
uralte Praxis, das vielleicht doch Nach‐ OO
ahmung verdiente! ‒”
*
.Aber es war jetzt nicht Zeit dazu, sich OO
weiterhin über den wünschbaren Zustand zu OO
97 Das Geheimnis
verbreiten, der durch ein duldsames Ver‐ OO
halten der Menschen untereinander auf Er‐ OO
den entstehen könnte, so sehr auch jeder der OO
beiden anderen dem Sprechenden Recht ge‐ OO
ben mochte; ist es doch ohne Zweifel wahr, OO
daß die Menschen sich sehr wohl zu ver‐ OO
tragen wissen, solange es ihnen nicht ein‐ OO
fällt, schamloserweise ihre innersten Über‐ OO
zeugungen zur Handelsware zu erniedrigen, OO
wo dann ein jeder seinen Einkauf zum OO
höchsten gewertet sehen will, und alsbald OO
grimmig, fuchtig und boshaft wird, wenn OO
ein anderer meint, er habe den besserenOO
Griff getan und sein Gespinste müsse alle an‐ OO
deren überdauern. ‒ ‒
*
.Die drei Männer, und voran der Kloster‐ OO
bruder, waren nach wenigen Schritten vor OO
einer tiefausgeweiteten Nische angelangt, all‐ OO
wo das Pfingstwunder in gleich kunstloser OO
Darstellung wie die Marterbilder, die man OO
vordem gesehen hatte, in buntbemalter Holz‐ OO
schnitzarbeit dargestellt war.
98 Das Geheimnis
.Inmitten der zwölf Jünger des Gesalbten OO
thronte nun nicht mehr der Verkünder der OO
„frohen Botschaft”, sondern seine Mutter.
.Das Weib war an Stelle des Mannes ge‐ OO
treten!
.„Das Ewig-Weibliche zieht uns hin‐ OO
an”, bemerkte, wie nebenbei, in tiefem OO
Ernste der Jüngste.
.Der führende Frater hielt die Darstellung OO
für ein großes Kunstwerk, zumal sie doch zu OO
dem Namen des Klosters in so naher Be‐ OO
ziehung stand, denn die feurigen Flammen‐ OO
zungen da, über jedem Haupte, bedeuteten OO
doch den Paraklet, den „heiligenOO
Geist”. ‒
.Befriedigt über das sichtliche Wohlgefal‐ OO
len, das die Besucher nach seiner Meinung OO
an dem für ihn so sehr „natürlich” gestalte‐ OO
ten Gebilde fanden, führte er sie ins Refek‐ OO
torium, den Speisesaal der Mönche.
.Eine feierliche Vornehmheit erfüllte die‐ OO
sen Raum.
99 Das Geheimnis
.An den Wänden sah man nicht üble, bib‐ OO
lische Fresken aus später Zeit italischer OO
Kunst, und ringsum vor dem tiefbraunen OO
Holzgetäfel standen lange linnenbedeckte OO
Tafeln, auf denen man bereits ‒ für die OO
Abendmahlzeit der Mönche bestimmt ‒ vor OO
jedem der primitiven Schemel eine kleine OO
Schüssel und ein Brot gewahrte.
.An der Stirnseite des durch drei schmale, OO
kleine Rundbogenfenster mäßig erleuchte‐ OO
ten Raumes sah man sodann unter einer fast OO
lebensgroßen Darstellung des Gekreuzigten, OO
die den „Mann der Schmerzen”, auf Holz OO
gemalt, an den schwarzen gekreuzten Balken OO
zeigte ‒ über seinem Haupte drei silberne OO
Kronen, eine zu fünf, eine zu vier und die OO
höchste drei Zacken tragend ‒ den Tisch OO
des Superiors, hinter dem statt des Schemels OO
ein hoher Thronsessel sich erhob.
.Gegenüber aber, dort wo die drei Fenster OO
die Wand der anderen Schmalseite durch‐ OO
brachen, war in der Ecke eine kleine Kanzel OO
mit Lesepult aufgerichtet, und der Bruder OO
100 Das Geheimnis
erklärte den Dreien ‒ was sie alle bereits OO
wußten ‒ daß dort zur Zeit des Mahles der OO
Vorleser seines Amtes walte, damit auch bei OO
so nötiger leiblicher Stärkung der heilige OO
Geist nicht fehle.
.Den ganzen Saal erfüllte ein starker, doch OO
nicht gerade unangenehmer Geruch nach ge‐ OO
kochten Hülsenfrüchten, der den Mauern, OO
den Schemeln und selbst der kleinen Kanzel OO
zu entströmen schien, und der in gar wun‐ OO
derlichem Kontrast stand zu dem Weih‐ OO
rauchduft, dem man in den hohen, langen OO
Gängen, die den Speiseraum erreichen lie‐ OO
ßen, bisher begegnet war.
.Wie es immer geht, wenn man Räume be‐ OO
tritt, die zu der Zeit ihres Betretens nicht OO
ihrer Bestimmung dienen, so geschah es auch OO
hier: man war froh, den Saal wieder ver‐ OO
lassen zu können und ließ sich gerne immer OO
fühlbarer werdender frischer Gartenluft ent‐ OO
gegenführen.
.Nach einigen labyrinthischen Winkel‐ OO
wegen war man so in dem berühmten Kreuz‐ OO
101 Das Geheimnis
gang des Klosters angelangt, den frühe Fröm‐ OO
migkeit mit hoher Kunst gestaltet hatte.
.Ein großes Viereck war hier über und OO
über bedeckt mit Rosen, und selbst um die OO
dünnen steinernen Säulchen auf den Balu‐ OO
straden, die den breiten Gang von der Gar‐ OO
tenerde schieden, rankten sich dornige Ro‐ OO
senzweige bis unter das Gewölbe.
.Hier war wahrlich ein wonniges Paradies, OO
und die frommen Patres waren wohl zu be‐ OO
neiden, wenn sie alltäglich die Gnade ge‐ OO
nießen durften, allhier ihr Brevier zu beten. OO
.Wie mußte sich in diesem kühlen Wandel‐ OO
gang um einen Rosenhain so süß zur „RosaOO
mystika” das Herz erheben lassen!
.Wie nahe fühlte man sich hier den Seli‐ OO
gen, die vor dem Thron des Lammes ihr OO
Laudamus te” erklingen lassen für und OO
für.
.Aber schließlich geziemt es Weltleuten OO
nicht, allzulange die Wonnen der Gottselig‐ OO
102 Das Geheimnis
keit frommer Mönche ahnend nachzuempfin‐ OO
den, und so mußte man denn auch diesen, OO
stiller Versenkung und heiligem Gespräch OO
vorbehaltenen Ort wieder verlassen, um OO
durch den allzeit gütig lächelnden Führer OO
sich in die Klosterkirche geleiten zu lassen. OO
.Hier war nun am meisten bemerkenswert, OO
daß diese Kirche gleichsam auf einer früOO
heren Kirche stand, und in der früheren, OO
die nun die Krypta ‒ das Kellergewölbe OO
der neueren war ‒ stand heute noch der alte OO
heidnische Opferaltar ‒ nun von al‐ OO
lem Bösen gereinigt und durch den Bischof OO
geweiht ‒ auf dem in vorchristlicher Zeit OO
die alten Heidenpriester hier einem Gotte OO
Opfer brachten, den sie den „BeleberOO
nannten, und den man im Lichte der Offen‐ OO
barung freilich längst als bösen „Teufel” er‐ OO
kannt und aus seinem ehemaligen Tempel OO
vertrieben hatte.
.Santo Spirito” hieß ja jetzt diese OO
Kirche und nach ihr das Kloster, wo einst in OO
früher Vorzeit ein Sanktuarium stand, zu OO
103 Das Geheimnis
dem man nur von ferne aufzublicken wagte OO
in der ganzen Gegend, da schon der Fels, auf OO
dem es errichtet war, als heilig galt und nur OO
durch Götterwort aus diesem Hügelland em‐ OO
porgehoben schien. ‒ ‒
.Veni creator spiritus” ‒ 'Komm OO
Schöpfer Geist!' ‒ zitierte der Jüngste der OO
Drei.
.„Wie lange willst du uns noch warten OO
lassen?! ”
.Und der Klosterbruder nickte lächelnd, OO
‒ hatte er doch ihm so bekannte Worte ver‐ OO
nommen, die den, der sie gesprochen hatte, OO
ihm als wahrhaft frommen Sohn der heiligen OO
Kirche erscheinen lassen mußten...
.Auch unter den Weltleuten gab es ja nach OO
Gottes Ratschluß mitunter fromme Seelen, OO
und wenn es ihnen auch wahrlich schwer OO
war, das Heil zu erlangen, so zeugte doch OO
solche Wohlvertrautheit mit heiligen Wor‐ OO
ten schon davon, daß dieser da nicht ganz OO
verloren war. ‒
.Er führte die drei Männer über eine steile OO
104 Das Geheimnis
in den Fels gehauene Treppe wieder empor OO
zur Oberkirche, einem einst in der ersten OO
Zeit der Christenheit begonnenen, wohl auch OO
vollendeten und dann in Kriegsläuften wie‐ OO
der zerstörten Bau, der in den Stilarten aller OO
Jahrhunderte stets neu erstanden war, und OO
schließlich in jenem reichen Barock erhalten OO
blieb, das man auf italischen Gefilden so oft‐ OO
mals trifft, als den Stil der ausgelassensten OO
Heiligkeit.
.Hier sollte man nun zwar gar manche Al‐ OO
targemälde bestaunen; doch waren diese Be‐ OO
sucher offenbar der Kunst nicht kundig, denn OO
sie fanden nur weniges, das ihre Bewunde‐ OO
rung erweckte.
.Der Franziskanerbruder war fast traurig! OO
.Nur eine büßende Magdalena, die gerade‐ OO
zu sündhaft natürlich als Weibsperson in Er‐ OO
scheinung trat, und deren Bildnis ‒ es sollte OO
von einem Schüler des großen Tizian sein ‒ OO
man schon lange gern den Altertumshänd‐ OO
lern von Firenze abgelassen hätte, wenn sie OO
nur willig gewesen wären, den Preis zu zah‐ OO
105 Das Geheimnis
len, den der Superior dafür haben wollte, OO
ließen sie gar nicht aus den Augen ‒ auch OO
der Junge nicht, der doch vorhin so heilige OO
Worte wußte ‒ so daß es den Frater schier OO
verdroß und er einige Augenblicke nicht OO
mehr so freundlich lächeln konnte, wie er es OO
sonst solchen vornehmen Besuchern des Klo‐ OO
sters gegenüber gewohnt war.
.Es war halt doch ein Kreuz mit diesen OO
Weltmenschen und der Teufel hatte sie wohl OO
so halbwegs immer am Kragen!
.Wohl dem, der hier seine Zuflucht gefun‐ OO
den hatte, wie er, nicht mehr beirrt von den OO
Gelüsten der Welt und ihrer Hoffart ent‐ OO
ronnen!
.Unwillkürlich mußte sich der arme Frater OO
bekreuzigen...
.Dann aber wurde er wieder munter, wie OO
es seines Amtes war und ja auch himmlische OO
Verdienste brachte, betete im stillen für diese OO
Fremden, die vielleicht, und trotzdem sie die OO
melodische Sprache seines Landes sprachen, OO
dennoch „Ketzer” sein konnten, ein Stoß‐ OO
106 Das Geheimnis
gebet, räusperte sich und zeigte nun mit nicht OO
endenwollenden Erklärungen die Gräber der OO
hochadeligen Gönner der Kirche in einer OO
reichgeschmückten Seitenkapelle, und war OO
maßlos enttäuscht, als auch diese Sehenswür‐ OO
digkeit keinen rechten Anklang fand.
.Während er die Fremden durch die langen OO
Korridore dem Ausgang zu geleitete, dachte OO
er darüber nach, vor wieviel Gefahren ihn OO
doch der Herr behütet habe. ‒ ‒
.Nicht Gefahren des Leibes, denn dieOO
hatte er niemals sonderlich geachtet, auch OO
damals nicht, als er dem Bruder seiner Ro‐ OO
setta den Dolchstoß versetzte, an dessen Fol‐ OO
gen er schließlich verstorben war. ‒ ‒
.Warum hatte er ihnen auch auflauern OO
müssen?!
.Glücklicherweise hatte ihn die Rosetta ja, OO
wie er dann hörte, mit einem anderen be‐ OO
trogen, so daß der Verdacht damals auf jeOO
nen fiel ‒ was eigentlich eine gerechte OO
„Strafe” war ‒ und in der Dunkelheit hatte OO
der erzürnte Angreifer, der die Ehre der OO
107 Das Geheimnis
Schwester rächen kam, nicht zu erkennen OO
vermocht, wen er selbst da erdolchen OO
wollte...
.Jetzt war Rosetta lange Jahre schon ein OO
braves Eheweib, hatte ein halbes Dutzend OO
Kinder und schlug gar keusch die Augen OO
nieder, wenn sie an besonderen Festtagen OO
herauf ins Kloster kam, und etwa ihm, dem OO
Frater Isidoro, begegnen mochte. ‒ ‒
.Ja, ‒ es war schwer, in der Welt zu le‐ OO
ben und dennoch selig zu werden! ‒ SehrOO
schwer!
.Ewigen Dank der heiligen Jungfrau dafür, OO
daß sie ihm damals, als er nach dem Begräb‐ OO
nis von Rosettas Bruder so inbrünstig gebetet OO
hatte, in den Sinn zu geben für gut fand, daß OO
er als büßender Bruder hier oben im Kloster OO
doch noch Verzeihung für seine Sünde fin‐ OO
den könne! ‒ Auch der vermeintlicheOO
Täter war ja, aus Mangel an Beweisen, freiOO
gesprochen worden. ‒ ‒
.In solche Gedanken versunken war er mit OO
seinen Fremden wieder an die gleiche Pforte OO
108 Das Geheimnis
gelangt, die es gestattete, ohne das mächtige OO
Tor zu öffnen, einzelne Besucher des Klo‐ OO
sters ein- und auszulassen.
.Hier erinnerte er sich wieder seiner OO
Pflicht, gab sein liebenswürdigstes Lächeln, OO
nahm im Namen Gottes dankend die unbe‐ OO
sehenen Spenden der Gäste in Empfang, und OO
schloß die Pforte hinter ihnen in einem Ge‐ OO
fühl, das dem nicht unähnlich war, das Sankt OO
Petrus haben müßte, wenn er ein paar Teufel OO
durch die himmlischen Thronsäle geleitet OO
hätte, um sie nun endlich wieder los zu OO
sein...
.Das Amt als Bruder Pförtner war wahrlich OO
nicht leicht!
.So immerfort mit den profanen Weltleu‐ OO
ten zu tun zu haben, während man sich OO
doch längst dem Himmel angelobt hatte, OO
‒ das war halt doch eine harte Pönitenz! OO
‒ ‒
.Gott sei Dank! ‒ Heute waren wenigstens OO
keine Gäste mehr zu erwarten!
*
109 Das Geheimnis
.Die drei Männer aber umschritten nun, OO
während noch gelegentliche Bemerkungen OO
über das Gesehene fielen, die ausgedehnten OO
Klostergebäude, um endlich auf die äußere OO
Terrasse zu gelangen, von deren herrlicher OO
Aussicht sie so viel gehört hatten.
.Wirklich bot sich jetzt dem Auge ein OO
Rundblick dar, der seinesgleichen ‒ auch in OO
italischen Landen ‒ suchte.
.Von steilster Felsenhöhe herab übersah OO
man weitgedehntes Hügelland, Dörfer, Wei‐ OO
ler, einzelne Gehöfte, die in dunkles, graues OO
Grün gebettet waren, wie helle Stickerei in OO
dunklen Samt.
.Zuweilen zeigte das dunkle Grün auch OO
helle silbergraue Flächen: Olivenhaine, die OO
sich an die Hügellehne schmiegten.
.Aus den Dörfern ragte jeweils der hohe OO
Campanile, und weißen Spinnenbeinen OO
gleich griffen die Wege, Straßen und Pfade, OO
die allesamt von der Ebene her hinauf zu ir‐ OO
gendeiner Piazzetta führen mochten, gebogen OO
oder eckig geknickt, in das dunkle Land. OO
110 Das Geheimnis
.Nach der anderen Seite zu ebnete sich das OO
Gelände und lag wie eine Landkarte gebrei‐ OO
tet vor dem Blick.
.Fern sah man inmitten der Äcker, Wiesen OO
und Gärten etwas rötlich Gelbes, das man OO
flüchtigen Auges für einen Steinbruch hätte OO
halten mögen, wenn nicht geregelt gewin‐ OO
kelte Formen Gestaltung durch Menschen‐ OO
hand verraten hätten.
.Das rötliche Gelb, gemattet durch einen OO
Schleier opalfarbenen Duftes, den der Rauch OO
der Küchen verstärkte, breitete sich hier die OO
Stadt mit ihren bei näherem Zusehen bald OO
erkennbaren Palazzi und schlanken Türmen, OO
in ihrem Umkreis akzentuiert durch die OO
dunklen Massen der Parke, aus denen helle OO
Flecken: die Villen der äußeren Stadtteile, OO
leuchtend blinkten, oft überragt von schwar‐ OO
zen Zypressenspitzen oder breitausladenden OO
Pinienkronen.
.Hohen Horizontes aber umschloß dieses OO
ganze Bild das weithin sichtbare Meer, grau‐ OO
grünlich gebreitet, von der türkisfarbenen OO
111 Das Geheimnis
Himmelsweite wie von einer unendlich fer‐ OO
nen, leuchtenden Wand umschlossen, auf der OO
blaßviolette Streifenwolken einen dünnen OO
Saum zu ziehen suchten.
.In der Höhe der Himmelswand vertiefte OO
sich das blasse Blau, ließ immer deutlicher OO
erkennen, daß diese Wand nur ein dünner OO
Schleier war vor der unendlichen Welten‐ OO
nacht, die der Erdensonne Licht dem Auge OO
zu verbergen weiß, und hoch oben über dem OO
Scheitel schien dieser Schleier zuletzt so we‐ OO
senlos, daß man das schwarze Dunkel des OO
Weltenraumes durch ihn hindurch zu er‐ OO
kennen glaubte.
.Kein Laut erreichte das Ohr.
.Das Auge allein empfing Kunde, so daß OO
man sich leicht der Täuschung ergeben OO
konnte, als stünde man hier vor einem gran‐ OO
diosen Bilde, und nicht als winziger Be‐ OO
wußtseinsträger inmitten eines kaum nen‐ OO
nenswerten Umkreises der Oberfläche eines OO
der kleinsten Planeten, der unaufhörlich be‐ OO
wegt, seine Bahn um das lebenspendende OO
112 Das Geheimnis
ferne Muttergestirn in rasender Eile durch‐ OO
mißt. ‒ ‒
.Die drei Männer fanden sich bewogen, OO
sehr lange schweigend hier zu verweilen, und OO
ohne ein Wort der Verabredung, schien man OO
übereingekommen, die ursprüngliche Ab‐ OO
sicht, hier das Gespräch des gestrigen Tages OO
fortzusetzen, doch lieber aufzugeben, zumal OO
die Stunde nun zur Heimkehr rief, wollte OO
man noch vor der Dunkelheit die Stadt er‐ OO
reichen.
.Alsbald machte man sich denn auch auf OO
den Weg und erstaunte fast, wie schnell man OO
wieder unten den Rastplatz fand, an dem OO
man des Morgens gelagert hatte.
.Auf dem weiteren Wege sprach man wohl OO
dann und wann ein kurzes Wort, allein es OO
schien, als ob keiner der Drei sich veranlaßt OO
fände, ein weiterzeugendes Gespräch zu OO
wünschen.
.Fast hätte man meinen können, daß sich OO
erst, jener dünnen Quelle an dem morgend‐ OO
lichen Rastplatze gleich, die Gedanken wie OO
113 Das Geheimnis
das Wasser im Becher sammeln wollten, be‐ OO
vor sie sich darbieten mochten um genossen OO
zu werden. ‒
.Im Schweigen verdoppelte man unwill‐ OO
kürlich die Schnelligkeit des Schrittes und OO
so kam es, daß man weit eher in die Stadt OO
zurückgekehrt war, als man es vorher hätte OO
vermuten können.
.Trotz der reichlichen Wegstrecken dieses OO
Tages fühlten sich aber die Wanderer heute OO
noch viel zu frisch, als daß der Wunsch in OO
ihnen hätte aufkommen mögen, sich für den OO
Rest des Tages oder vielmehr für dieses Ta‐ OO
ges Abend allein gelassen zu sehen.
.So verabredete man denn, heute den OO
Abendimbiß gemeinsam einzunehmen, und OO
es wurde dafür eine Trattoria bestimmt, die OO
berühmt war für Küche und Keller, außer OO
diesen Vorzügen aber noch, obwohl inmitten OO
der Stadt gelegen, eine Pergola besaß, die an OO
einen weiten Garten grenzte, so daß man OO
hier im Freien eine der köstlichen Nächte OO
des Südens zu genießen hoffen durfte.
114 Das Geheimnis
.Dort ‒ so meinte man ‒ würde sich viel‐ OO
leicht auch Gelegenheit finden, das am Nach‐ OO
mittag versäumte Gespräch allenfalls in der OO
Abendkühle geruhsam nachzuholen.
115 Das Geheimnis
SÜDLICHE NACHT
TRATTORIA  del  duomo”  nannte  sich die OO
kleine Gaststätte, in der sich die Freunde OO
nun wieder fanden.
.Man durchschritt zuerst einen schmalen, OO
langgestreckten Speiseraum mit weißge‐ OO
tünchten Wänden, an denen einige billige, OO
patriotische Öldruckbilder wie groteske OO
Kleckse wirkten.
.Nur wenige Gäste saßen in dem für die OO
kleinen Ausmaße des nüchternen Raumes OO
viel zu grellen Licht an den weißgedeckten OO
Tischen bei ihrer Abendmahlzeit.
.Als man durch eine rückwärtige Türe dann OO
ins Freie trat, war man trotz der paar im OO
Laubwerk der Pergola primitiv aufgehäng‐ OO
ten Glühlampen derart geblendet, daß man OO
um den spärlichen Lichtkreis, der so da und OO
dort zu sehen war, nur tiefe ägyptische Fin‐ OO
sternis gewahrte.
.Es brauchte aber nur Minuten und das OO
Auge hatte sich von der barbarischen Blen‐ OO
dung erholt, erkannte deutlich die Umrisse OO
des Laubwerks im Garten, hinter denen sich OO
119 Das Geheimnis
das Dach der Hauptkirche und daneben der OO
Campanile erhob, flankiert von tiefschwarzen OO
Zypressengruppen, die wohl noch im Garten OO
wurzeln mochten.
.Winkelreiche Häusersimse schlossen nach OO
der anderen Seite das Bild, das wie in einem OO
Rahmen stand: gebildet aus den mattbeleuch‐ OO
teten Rebenblättern der Laube. Aus tiefstem OO
Hintergrund strahlte ein schon vom auf‐ OO
gehenden, aber hier noch nicht sichtbaren OO
Monde durchflimmerter, heller Nachthim‐ OO
mel, aus dem der Sterne gedrängte Menge OO
ihr glitzerndes Licht herab zu einem der OO
winzigsten ihrer Brüder ‒ dem kleinen OO
Erdplaneten ‒ sandte.
.Nach den im Laufe des Tages empfunde‐ OO
nen, bereits recht fühlbaren, hohen Wärme‐ OO
graden, war man dankbar für die mäßige OO
Abendkühle, die das Sitzen im Freien als OO
wahres Labsal genießen ließ.
.Die drei Männer hatten dem höflichen Ca‐ OO
meriere, der ihnen vom Eingang an auf dem OO
Fuße gefolgt war, schnell ihre Wünsche OO
120 Das Geheimnis
offenbart, und nach kürzester Zeit fand man OO
sich denn auch schon beim appetitlichsten OO
Imbiß und spendete dem vorzüglichen Ba‐ OO
rolo alles Lob, einem Piemonteser roten OO
Wein, der weder herb noch süß, voll charak‐ OO
teristischer Eigenart des Geschmacks, nicht OO
ganz ungeeignet schien, die Zungen zu OO
lösen.
.Als ein butterzarter Stracchino ‒ jener OO
milde köstliche Käse der Lombardei, der auf‐ OO
gestrichen auf das lichte Weizenbrot des Lan‐ OO
des eine Delikatesse hohen Ranges zu bilden OO
vermag ‒ das Mahl beschlossen hatte, fand OO
es denn auch der älteste der Drei, gewohnt OO
mit einiger Zähigkeit an dem was er sich vor‐ OO
genommen hatte, festzuhalten, für geraten, OO
nun das schon am Tage durch den Lauf der OO
Ereignisse verzögerte Gespräch hervorzu‐ OO
locken, denn es war doch da manches zu er‐ OO
warten, was ihn nicht ruhen gelassen hätte, OO
wäre man auch an diesem Abend wieder der OO
Rede über diese Dinge ausgewichen.
.Und er begann:
121 Das Geheimnis
.„Dünkt es Ihnen nicht, junger Freund, OO
daß hier wohl der rechte Ort und vielleicht OO
auch eine gute Stunde wäre, über alles das OO
von Ihnen zu hören, was Sie uns für heute OO
zwar versprochen hatten, aber noch vorent‐ OO
halten haben?
.Ich dächte, eine stimmungsvollere Um‐ OO
gebung ließe sich nicht leicht finden, und OO
über uns die ewigen Sterne fordern geradezu OO
heraus, hier über tiefe Themen zu sprechen OO
und uns das Geheimnisvolle, das Ihnen be‐ OO
gegnet sein mag, soweit Sie es für gut finden OO
wollen, zu enthüllen! ‒”
.Der „Abate”, der ja am Abend zuvor bei OO
der Wanderung am Meeresstrande erste An‐ OO
regung zu solcher Frage gegeben hatte, OO
stimmte freudig zu, und der Jüngste der Drei, OO
den die Bitte anging, zeigte sich nun gerne OO
bereit, ihr zu willfahren, wenn er auch zu OO
bedenken gab, daß man schwerlich so lange OO
hier verweilen könne, um alledem was er OO
mitzuteilen habe, zuzuhören.
*
122 Das Geheimnis
.So fing er denn damit an, in kurzen Wor‐ OO
ten erst seines Elternhauses zu erwähnen, in OO
dem eine tiefe christliche Frömmigkeit nach OO
reformierter Lehre gleichsam erblich war, OO
und gedachte besonders seiner Mutter, die es OO
verstanden hatte, in der Seele ihres Kindes OO
die Sehnsucht nach göttlichen Dingen so zu OO
wecken, daß später die erlangte Studienreife OO
keine Wahl mehr zuließ, hinsichtlich des OO
künftigen Berufes: denn nur als Seelsorger OO
inmitten einer gläubigen Gemeinde, glaubte OO
damals der Sohn das Glück seines Lebens fin‐ OO
den zu können. ‒
.Er gedachte weiter dann der ersten froh‐ OO
beglückten Zeit des nach absolvierten Stu‐ OO
dien erlangten Amtes an der Kirche seines OO
Bekenntnisses, in einer kleinen, aber geistig OO
ungemein regen Stadt, und all der Freuden, OO
die ihm damals die Seelsorge, soweit sie ihm OO
übertragen war, zu geben hatte.
.Dann aber waren fast plötzlich die ersten OO
schweren Zweifel aufgetaucht, ob denn wirk‐ OO
lich diese von unzähligen Überarbeitern fast OO
123 Das Geheimnis
bis zur Unkenntlichkeit redigierten alten Be‐ OO
richte, die man das Evangelium nannte, OO
noch als „Wort Gottes” gelten könnten, und OO
im Verlaufe so mancher Monate, die den OO
jungen Prediger meist ganze Nächte hin‐ OO
durch beim Studium bibelkritischer Werke OO
fanden, hatten sich solche Zweifel allmäh‐ OO
lich bis zu völliger Gewißheit verdichtet, OO
daß er durch seinen Beruf fortan gezwungen OO
sei, Menschenmeinung und Satzung mit un‐ OO
verdienter göttlicher Autorität zu umklei‐ OO
den, ‒ ja er sah ein, daß auch jene Männer, OO
die einst das Wort des Evangeliums zur allei‐ OO
nigen Grundlage des Glaubens machten, viel‐ OO
fachem Irrtum erlegen waren, da auch OO
sie die alten Berichte nur in der Formung OO
kannten, die ihnen bereits in den Anfangs‐ OO
zeiten des Christentums gegeben worden OO
waren, um allerlei Lehrmeinung dadurch zu OO
stützen.
.So manches liebgewordene Herrenwort OO
hatte neuere Textprüfung mit aller Sicher‐ OO
heit als späteres Einschiebsel erkennen ge‐ OO
124 Das Geheimnis
lehrt, und die Fülle der Wunder war unter OO
der spürenden Sonde des Forschers zu from‐ OO
mer Sage geworden.
.Eine nagende Seelenqual hatte das Herz OO
des jungen Geistlichen erfüllt, als er endlich OO
sah, daß er nicht mehr imstande sei, den OO
Glauben seiner Väter mit Überzeugung zu OO
verkünden.
.In solcher seelischer Not hatte er sich sei‐ OO
nem geistlichen Vorgesetzten offenbart, der OO
zwar mit liebevollem Verständnis alles ver‐ OO
suchte, um ihn trotzdem beim Amte zu hal‐ OO
ten, aber mit seinen Gründen in keiner Weise OO
die Gewissensbedenken zu beschwichtigen OO
vermochte, die in dem jungen Prediger längst OO
den Entschluß gezeitigt hatten, seinem einst OO
mit so großer Freudigkeit erstrebten Berufe OO
zu entsagen.
.Unfaßbar schwer wurde es, diesen Ent‐ OO
schluß den betagten Eltern mitzuteilen, aber OO
wider Erwarten fand sich hier alles Verste‐ OO
hen, so daß es ihm mit Hilfe des Vaters mög‐ OO
lich wurde, auf seiner Begabung zur Mathe‐ OO
125 Das Geheimnis
matik ein neues Studium aufzubauen, das OO
ihn nach seiner Beendung nun kürzlich mit‐ OO
ten in das Getriebe eines großen technischen OO
Unternehmens versetzte, allwo er in Zukunft OO
sein Betätigungsfeld finden sollte.
.Bevor er den nun errungenen Beruf an‐ OO
trat, hatte ihm sein Vater ‒ die Mutter war OO
ihm sogleich nach dem Beginn des neuen OO
Studiums durch den Tod entrissen worden ‒ OO
einen lange gehegten Lieblingswunsch er‐ OO
füllt: hatte ihm die Mittel zu einer Reise in OO
den Orient bereitgestellt, so daß er noch ein OO
halbes Jahr hindurch die Wunder südlicherer OO
Breiten beglückten Auges schauen durfte, OO
zumal der neue Wirkungskreis auch nicht OO
eher offen stand.
.Jetzt aber hatte er seine erste FerienOO
zeit, die ziemlich reichlich bemessen war, OO
zu verleben, und was war natürlicher, als daß OO
er der Sehnsucht nach dem Süden folgte, die OO
ihn mit den beiden älteren, gelehrten Freun‐ OO
den, denen er an dem neuen Orte seines Wir‐ OO
kens sich genähert hatte, nach Italien brachte. OO
126 Das Geheimnis
.Einiges, was er so erzählte, war den Zu‐ OO
hörenden bereits bekannt, anderes wieder OO
neu, aber er glaubte den kurzen Abriß seines OO
Lebens nicht entbehren zu können, damit OO
man das Folgende einzureihen wisse.
.Nach einigen Zwischenfragen der älteren OO
Freunde fuhr er dann fort:
.„Ich habe mit Absicht in dieser Skizzie‐ OO
rung meines Lebenslaufes dessen bisher OO
noch nicht erwähnt, was Sie doch vor allem OO
von mir hören wollen, denn nun erst kann OO
ich Ihnen im Zusammenhange schildern, wie OO
das in mein Leben trat und sich weiter aus‐ OO
wirkte, dem ich heute alle Sicherheit der OO
Seele danke, nachdem es mich einst zuerst OO
erreichte in einem Zustand wahrer seelischer OO
Verwüstung, der mir nichts übrig gelassen OO
hatte, als den Glauben an eine 'Wirklich‐ OO
keit', die man messen, wägen, errechnen OO
und schließlich mit den Händen betasten OO
kann.
.So hören Sie nun!
*
127 Das Geheimnis
.Es war in jener großen Stadt, in der ich, OO
seelisch zerrüttet, ja an aller geistigen Er‐ OO
kenntnismöglichkeit verzweifelnd, nun aufs OO
neue zu studieren begann und alle Energie OO
aufzubieten hatte, um bei solcher Seelenver‐ OO
fassung den Anforderungen meines Studiums OO
zu genügen und mich von den so weitaus OO
jüngeren Kommilitonen nicht beschämen zu OO
lassen.
.Ich hatte in ziemlicher Nähe des Polytech‐ OO
nikums ein Zimmer gefunden, und da ich es OO
vorerst fast nicht ertrug unter Menschen zu OO
sein, so suchte ich stets auf dem schnellsten OO
Wege aus den Vorlesungen in den Bereich OO
meiner vier Wände zu gelangen, und die be‐ OO
rühmten Sehenswürdigkeiten der Stadt wa‐ OO
ren für mich so gut wie nicht vorhanden.
.Längere Zeit schon hatte ich mich dieser OO
selbstgewählten Gefangenschaft ergeben und OO
mich dabei leidlich wohl befunden, als mich OO
doch an einem warmen, schönen Sommer‐ OO
abend die Lust befing, eine nicht allzuweit OO
gelegene, große Parkanlage aufzusuchen, wo OO
128 Das Geheimnis
ich von diesem ersten Durchbrechen meiner OO
Abgeschiedenheit an, dann auch fast jeden OO
Abend zu finden war und bald alle die ver‐ OO
schlungenen Wege kannte, die schließlich, OO
an Wasserläufen entlang, an kleinen Seen OO
vorbei, über Brücken und Stege allmählich OO
aus der gepflegten Parklandschaft hinaus ins OO
Freie führten, in eine rechte Wald- und Wie‐ OO
senwildnis, wo man sicher war, keinem le‐ OO
benden Wesen zu begegnen, außer zuweilen OO
einem flüchtenden Reh, das den Weg kreuzte, OO
oder einem aus dem Buschwerk aufge‐ OO
scheuchten Fasan, der mit seinem surrenden OO
Auffliegen den einsamen Spaziergänger oft OO
unvermutet aus der Ruhe schreckte.
.Eines Abends aber bemerkte ich, daß ich OO
diesmal nicht allein diese Einsamkeit auf‐ OO
gesucht hatte.
.Eine hohe dunkle Gestalt ‒ soweit man OO
gerade noch erkennen konnte, ein weißbär‐ OO
tiger Alter ‒ schien, wie ich mich auch wen‐ OO
den mochte, meinen Schritten in mäßiger OO
Entfernung zu folgen, und wenn ich auch OO
129 Das Geheimnis
gewiß frei war von jeglicher Furcht vor ihm, OO
so war mir dieses Nachspüren doch durchaus OO
unerwünscht.
.Kurz entschlossen kehrte ich daher plötz‐ OO
lich um, wandte mich meinem stillen Ver‐ OO
folger entgegen, erreichte ihn, und wurde zu OO
meinem maßlosen Erstaunen unter Nennung OO
meines Namens begrüßt.
.Nicht wenig verwirrt, erwiderte ich den OO
Gruß und gab zugleich meiner Verwunde‐ OO
rung Ausdruck, denn der vor mir Stehende OO
war mir völlig unbekannt und ich erinnerte OO
mich nicht, diesem gütigen, schönen Greisen‐ OO
antlitz von tief gebräunter Hautfarbe und die‐ OO
sen durchdringenden dunklen Augen, die in OO
der Dämmerung fast zu leuchten schienen, OO
jemals irgendwo begegnet zu sein.
.Irgend etwas ließ es mich geradezu beschä‐ OO
mend empfinden, daß mir vordem die stete OO
Verfolgung durch den Alten so unsympa‐ OO
thisch gewesen war und ich mit recht wenig OO
liebevollen Gedanken ihn zu allen Teufeln OO
gewünscht hatte.
130 Das Geheimnis
.Meiner verwunderten Frage aber folgte OO
die Antwort:
.'Ich glaube Ihnen gerne, daß Sie mich OO
noch niemals gesehen haben, aber wie sich OO
Ihnen jetzt zeigt, sind Sie mir trotzdem nicht OO
unbekannt, und wenn Sie noch mehr Beweise OO
wollen, sollen sie Ihnen werden!'
*
.Der Alte wurde mir unheimlich...
.Alsbald aber nahm er wieder seine Rede OO
auf und sagte:
.'Wie ich sah, wollten Sie doch eben nach OO
der Stadt zurückkehren, und wenn Sie es er‐ OO
lauben, möchte ich Sie begleiten?
.Ich habe Ihnen einiges zu sagen und bitte OO
um Vergebung, wenn ich Sie durch mein be‐ OO
harrliches Nachschreiten auf Ihren Wegen OO
beunruhigt haben sollte!'
*
.Der Ton dieser Stimme, wie die ganze Art OO
in der die Entschuldigung vorgebracht OO
wurde, waren derart entwaffnend, daß mir OO
die Regung zu einem brüsken Abbrechen des OO
131 Das Geheimnis
Gespräches, die einen Augenblick lang in OO
mir sich aufbäumen wollte, alsbald verging OO
und ich ‒ ganz als ob es das Natürlichste OO
von der Welt wäre ‒ dem Vorschlag zu‐ OO
stimmte.
.Aber was konnte dieser seltsame alte Mann OO
mir nur zu sagen haben??
.Allerlei Vermutungen schwirrten mir OO
durch den Kopf, so, als ob er am Ende ein OO
Bekannter meines Vaters sein könne, oder OO
ein mir nur unbekannter Zuhörer meiner OO
früheren, vielbesuchten Predigten, denn in OO
der Stadt, in der ich hier war, kannte ich OO
außer meinen Studienkollegen und Profes‐ OO
soren doch kaum einen Menschen und wußte OO
auch nichts von etwaigen Beziehungen mei‐ OO
ner Familie, die hierher hätten führen kön‐ OO
nen.
.Da fiel mir schließlich auf, daß zwar ichOO
mit meinem Namen angeredet worden war, OO
daß der Fremde es aber unterlassen hatte OO
sich vorzustellen, und so bat ich denn um OO
seinen Namen.
132 Das Geheimnis
.Merkwürdig berührt aber war ich durch OO
die Antwort, die ich nun erhalten sollte!
.Der Fremde sprach:
.'Wenn Sie einen Namen brauchen, so nen‐ OO
nen Sie mich wie Sie wollen, aber verzeihen OO
Sie vorerst, wenn ich Ihnen meinen Namen OO
nicht eher nenne, als bis Sie von mir gehört OO
haben, wer ‒ ich bin! ‒ '
*
.Ich wäre versucht gewesen, einen sonder‐ OO
baren Spleen, eine Schrulle des Alters zu ver‐ OO
muten, wenn diese Worte nicht mit einem so OO
eigenartig bedeutungsvollen Ausdruck mich OO
erreicht hätten, daß ich eher eine Art EhrOO
furcht empfinden mußte, obwohl ich mir OO
durchaus nicht klar werden konnte, wasOO
diese Empfindung eigentlich in mir begrün‐ OO
den mochte.
.So schritt ich denn eine Weile stumm ne‐ OO
ben meinem mysteriösen Begleiter dahin, OO
bis er selbst wieder zu reden begann und sich OO
also vernehmen ließ:
.'Sie waren bereits Seelsorger einer Ge‐ OO
133 Das Geheimnis
meinde frommen Glaubens, bevor Sie hier‐ OO
her kamen, um aufs neue zu studieren, aber OO
Sie haben gut getan, Ihren damals schon er‐ OO
reichten Beruf aufzugeben, denn ich werde OO
Ihnen beweisen können, daß Sie trotz aller OO
gut bestandenen theologischen Examina doch OO
herzlich wenig von dem wußten, über das Sie OO
andere belehren sollten, und daß Ihnen die OO
Wunder der Seele noch ein Buch mit sieben OO
Siegeln sind bis auf den heutigen Tag!'
*
.Er kennt mich also doch nur dem ÄußeOO
ren nach von der Predigerzeit her, dachte OO
ich mir, und war eigentlich recht wenig er‐ OO
baut über diesen Vorstoß in medias res, zu OO
dem ich ihm kaum die Berechtigung gegeben OO
zu haben glaubte.
.Aber ehe ich noch ein Wort erwidern OO
konnte, fuhr er fort:
.'Unterlassen Sie lieber alle Kombinatio‐ OO
nen, die Sie sich vielleicht zurechtlegen mö‐ OO
gen, wenn Sie meine Vertrautheit mit Ihrem OO
Lebensschicksal gewahren!
134 Das Geheimnis
.Sie werden sonst heute abend noch sich OO
überzeugen müssen, daß alle Ihre Vermutun‐ OO
gen irrig waren und daß es wirklich noch OO
Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, von OO
denen sich die Schulweisheit nichts träumen OO
läßt ‒ ‒ wenigstens die eurer westlichen OO
Lehrer nicht!! ‒ '
*
.Jetzt erst fiel mir der fremdländische Ak‐ OO
zent in der Sprache des Fremden auf, und in OO
Verbindung mit diesem betonten Gegensatz OO
zu 'westlichem' Wissen, warf ich unwillkür‐ OO
lich einen Seitenblick auf seine dunkle Haut‐ OO
farbe.
.Er schien diesen Blick, den nur ein vages, OO
blitzartiges Empfinden verursacht hatte, so‐ OO
fort bemerkt zu haben und sagte:
.'Sie dürfen mich tatsächlich nicht unter OO
den Menschen Ihres Landes unterbringen OO
wollen!
.Ich bin hier völlig fremd, und nur hierher‐ OO
gekommen, weil ich einen Auftrag auszu‐ OO
führen habe, der ‒ Sie betrifft. ‒ ‒
135 Das Geheimnis
.Ich komme vom Aufgang der Sonne her OO
und muß so schnell wie nur möglich wieder OO
zurückkehren.
.Es ist nur Pflicht, die mich zu der mir OO
sonst wenig erfreulichen Reise nach Europa OO
bewog. ‒ '
*
.Jetzt wuchs mein Erstaunen ins Grenzen‐ OO
lose und es hätte nicht der vorhergehenden OO
Mahnung bedurft, mir jede weitere Möglich‐ OO
keit zu Vermutungen abzuschneiden.
.Was sollte denn nur um des Himmels Wil‐ OO
len ein Orientale mir für einen 'Auftrag' OO
auszurichten haben?!
.Das war ja schon beinahe heller Wahn‐ OO
sinn!
.Aber auch hier blieb mir keine Zeit zu wei‐ OO
terem Nachdenken, denn der geheimnisvolle OO
Begleiter nahm wieder das Wort und OO
sprach:
.'Es sind Dinge, die ich Ihnen zu sagen OO
habe, von denen Sie noch nichts wissen kön‐ OO
nen.
136 Das Geheimnis
.Mäßigen Sie Ihr Erstaunen und hören Sie OO
mir ruhig zu!'
.Und dann erklärte er mir: er sei ein Glied OO
einer geistigen Gemeinschaft, die mitten in OO
Asien gleichsam ihren Hauptsitz habe, aber OO
ihre unsichtbaren Fäden über die ganze Erde OO
zu spinnen wisse und jeden Menschen er‐ OO
reichen könne, der aus der tiefsten Inbrunst OO
seines Herzens heraus nach Gott suche. ‒ OO
.Man wisse dort längst von mir auf geisti‐ OO
gem Wege, und ich sei durch eine Art von OO
naturgegebener psychophysischer Begabung OO
dazu bestimmt, in eine ganz besonders nahe OO
Verbindung zu seiner Gemeinschaft zu tre‐ OO
ten.
.Dann erzählte er mir geradezu meine OO
eigene Lebensgeschichte und ließ mich er‐ OO
kennen, daß er beinahe mehr von mir wissen OO
mußte, als ich selbst, obwohl er in äußer‐ OO
lichen Details dabei offenbar unsicher war, OO
aber um so sicherer seelische Momente ent‐ OO
hüllte, die mir noch kaum selbst zu Bewußt‐ OO
sein gekommen waren.
137 Das Geheimnis
.Mich überlief es eiskalt und ich wäre am OO
liebsten entflohen, um nur zuerst wieder Herr OO
meiner eigenen Gedanken zu werden...
.Ich hörte da von Dingen, die mir so fremd OO
waren, daß ich sie kaum noch fassen konnte, OO
und zu gleicher Zeit wurde mir mein Inneres, OO
das ich vor aller Welt verborgen glaubte, in OO
solcher unbegreiflicher Klarheit gezeigt, wie OO
ich es selbst noch nicht gesehen hatte.
.Dabei ward mir das alles in einer so güti‐ OO
gen und völlig ruhigen Weise gesagt, als sei OO
es die Unterweisung eines jahrelang bekann‐ OO
ten Lehrers, und als handle es sich um die OO
allerselbstverständlichsten Angelegenheiten.
.Kaum wußte ich mehr ob ich träume oder OO
wache...
*
.Aber dem Alten entging nichts von mei‐ OO
ner seelischen Erregung, und wie zur Beruhi‐ OO
gung sagte er mir:
.'Halten Sie mich bitte nicht für allwissend, OO
wenn ich Ihnen da so manches aus Ihrem In‐ OO
nenleben heraushole und aufzuhellen suche! OO
138 Das Geheimnis
.Wenn ich auch vielleicht einiges weiß, was OO
nicht allen Menschen offenbar ist, so bleibt OO
mein Erkennen dessenungeachtet doch sehr OO
begrenzt.
.Sobald aber einer der Unseren einen der‐ OO
artigen Auftrag empfängt, wie er mir Ihnen OO
gegenüber wurde, löst man ihm auch vorüber‐ OO
gehend gewisse Fesseln der Wahrnehmungs‐ OO
fähigkeit, und so ist es mir nun im Augen‐ OO
blick möglich, mehr von Ihnen zu wissen OO
als mir normalerweise zu wissen gegeben OO
wäre. ‒ ‒
.Es ist das alles nichts Wunderbares!
.Was Ihnen dabei so seltsam erscheint, ist OO
ebenso natürlich begründet wie die Gesetze OO
der Mechanik, die Sie in Ihrem gegenwärti‐ OO
gen Studium zu erforschen suchen!
.Wollen Sie bitte in mir nur einen Men‐ OO
schen sehen, der Sie über Geistiges ebenso OO
zu belehren sucht, wie die Lehrer Ihrer Hoch‐ OO
schule Sie in bezug auf rein irdische Ge‐ OO
setzmäßigkeiten aufklären!
.In diesem, wie in unserem Falle gibt ein OO
139 Das Geheimnis
Mensch nur das Wissen weiter, das er selbst OO
erworben hat, damit es einer erwerbe, der OO
danach verlangt...'
*
.Wie glättendes Öl auf sturmbewegte Wo‐ OO
gen legten sich bei diesen Worten deutlich OO
wahrnehmbare sanfte Strahlen auf die erreg‐ OO
ten Empfindungen meines Innern.
.Ich fand mich überraschenderweise als‐ OO
bald zurecht in dem mir so neuen Vorstel‐ OO
lungskreis, ‒ fragte, und fragte wieder, und OO
erhielt auf jede Frage eine Antwort, die mich OO
immer mehr in ihm befestigte. ‒ ‒
.Eine glühende, fast überirdisch zu nen‐ OO
nende Verehrung und Liebe strömte aus mei‐ OO
nem Innersten auf für diesen geheimnisvol‐ OO
len alten Mann, so daß ich mich kaum noch OO
zurückhalten konnte, diesen Gefühlen den OO
deutlichsten Ausdruck zu geben... Am OO
liebsten hätte ich ihm beide Hände geküßt OO
vor Dankbarkeit, denn ich fühlte bereits, OO
daß er mir die völlige Erlösung aus der OO
Hölle meiner inneren Zerrissenheit brin‐ OO
140 Das Geheimnis
gen würde, ‒ daß er allein sie bringen OO
konnte. ‒ ‒
*
.So waren wir allmählich der Stadt und OO
dem Ausgang des Parkes nahegekommen.
.Ich hatte nur den einen, sehnsüchtigen OO
Wunsch, daß der alte Mann bei mir bleiben OO
möchte.
.Aber als wir in die Helligkeit der ersten OO
Straßen eingetreten waren, hielt er plötzlich OO
an und meinte:
.'Für heute ist es genug!
.Erwägen Sie, was Sie heute hörten in Ihrem OO
Herzen und kommen Sie morgen zu jenem OO
kleinen Tempel am Eingang des Parkes, wenn OO
Sie danach verlangen sollten, mehr von mir OO
zu hören!
.Ich erwarte Sie zu der Stunde, in OO
der Sie gewöhnlich sich hier zu ergehen OO
pflegen!'
.Damit verabschiedete er sich und lenkte OO
seine Schritte nach einer Seitenstraße.
.Es kostete mich alle Überwindung, ihm OO
141 Das Geheimnis
nicht heimlich zu folgen, aber irgend etwas OO
Unerklärliches hielt mich davon zurück.
*
.Ich weiß nicht, wie ich an diesem Abend OO
meine Wohnung erreichte. ‒
.Jedenfalls waren meine Augen wie erblin‐ OO
det gegenüber allem, was mir auf dem Wege OO
dahin begegnen mochte.
.Zu Hause angelangt, schloß ich die Türe OO
und fiel der Länge nach auf meinen Ruhe‐ OO
divan nieder, unfähig, auch nur die Lampe OO
anzuzünden.
.Hier war es mir nun, nachdem ich eine OO
zeitlang mit offenen Augen in das Dunkel OO
starrte und alles an meinem Geiste vorüber‐ OO
ziehen ließ, was mir heute begegnet war, als OO
stünde plötzlich meine damals kürzlich ver‐ OO
storbene Mutter neben mir und führte an OO
ihrer Hand den geheimnisvollen Alten zu OO
mir heran.
.Als Beide dicht an meinem Lager standen, OO
bat sie ihn, daß er mich segnen möge.
.Er hob die Hände über mein Haupt, und OO
142 Das Geheimnis
während die Erscheinung einen Augenblick OO
so deutlich wurde, daß ich alles greifen zu OO
können glaubte, war sie im nächsten Moment OO
völlig verschwunden, so daß ich aufsprang OO
und mich umsah, wo die beiden Gestalten OO
hingekommen seien.
.Aber es war nichts mehr wahrzunehmen, OO
und so tastete ich denn nach der Lampe auf OO
meinem Schreibtisch, um sie anzuzünden.
.Das weiche, warme Licht schimmerte OO
längst durch die Milchglasglocke und erhellte OO
das kleine Zimmer, als ich immer noch ver‐ OO
suchte, die Erscheinung durch eigene Wil‐ OO
lensanstrengung aufs neue hervorzurufen, ‒ OO
allein, es wollte nicht gelingen...
.Endlich gab ich die Versuche auf, und da OO
ich mich durch alles Erlebte über und über OO
ermüdet fühlte, beschloß ich früher als sonst OO
zu Bett zu gehen, löschte das Licht und ver‐ OO
fiel in einen tiefen, völlig traumlosen Schlaf. OO
*
.Des anderen Tages schon sehr zeitig er‐ OO
wacht, mußte ich mir erst langsam klar‐ OO
143 Das Geheimnis
machen, daß das Erlebnis des vorangegange‐ OO
nen Abends wirklich kein Traum gewesen war. OO
.Ich fand mich immer mehr dann in einer OO
geradezu feierlichen Stimmung, und wenn OO
ich an diesem Tage mich mit besonderem OO
Eifer meinen Studien hingab, so geschah es OO
wahrhaftig nur, damit die Stunden schneller OO
verrinnen sollten, denn ich konnte kaum den OO
Abend erwarten, an dem ich den Alten hof‐ OO
fentlich wiedersehen durfte. ‒
.Als ich ihn dann an dem bezeichneten OO
Treffpunkte endlich fand, wußte ich mich OO
vor Freude kaum soweit zu fassen, daß ich OO
ihm zum wenigsten in schicklicher Form vor OO
den dort häufigen Spaziergängern entgegen‐ OO
treten konnte.
.Kaum waren wir nach einigen Schritten in OO
einen der weniger begangenen Seitenwege OO
eingebogen, als ich auch schon mein merk‐ OO
würdiges und für mich damals so geheimnis‐ OO
volles Erleben, das sich nach der Rückkehr OO
in meinen vier Wänden zugetragen hatte, mit OO
Erregung erzählte.
144 Das Geheimnis
.Er hörte sehr ruhig zu, schien durchaus OO
nicht sonderlich beeindruckt und meinte nur: OO
.'Sie haben da im Bilde einen gewissen OO
geistigen Zusammenhang erkannt, denn die OO
Voraussetzungen, die es ermöglichen, daß OO
Sie mein Schüler werden können, haben Sie OO
tatsächlich Ihrer Mutter zu danken, in de‐ OO
ren Ahnenreihe allmählich die physischen OO
Körperzellen jene Umwandlung erfahren OO
haben, durch die Sie aufnahmefähig zu wer‐ OO
den vermögen für das praktische ErkenOO
nen, dem ich Sie zuführen soll.
.Hüten Sie sich aber im allgemeinen vor OO
solchen Bildern, die ohne Ihren Willen und OO
Ihr Zutun sich aus Kräften gestalten, die OO
Ihnen innewohnen, und die Sie erst völlig OO
beherrschen lernen müssen, bevor Sie OO
sicher sein können, vor gröblichen Täuschun‐ OO
gen bewahrt zu bleiben!
.Seien Sie vorerst froh, daß Sie dieses, aus OO
Ihnen selbst herausgetretene Bild wenigstens OO
diesmal nicht betrogen hat! ‒'
145 Das Geheimnis
.Diese Erklärung wirkte natürlich auf mich OO
wie ein kalter Wasserstrahl. ‒ ‒
.Gerade weil mir vorher noch niemals der‐ OO
artige Erscheinungen geworden waren, hatte OO
ich mich doch sehr versucht gefühlt, der OO
Sache eine große Bedeutung beizulegen; ja, OO
ich konnte mich von dem Gedanken nicht OO
losmachen, daß mein neuer Bekannter die OO
Vision verursacht haben müsse, indem er OO
bereits so auf mich eingewirkt habe, daß ich OO
fähig geworden sei, einen ersten, kurzen OO
Blick in eine der geistigen Regionen zu tun, OO
von denen er mir gesprochen hatte.
.Es gab nicht lange Zeit, mich meiner Ent‐ OO
täuschung hinzugeben, denn mein Begleiter OO
fuhr fort:
.'Wenn ich Sie solchen Phantasmagorien OO
ausgeliefert sehen wollte, hätte ich mir die OO
weite Reise hierher zu Ihnen ersparen kön‐ OO
nen und es wäre nicht nötig gewesen, daß OO
ich Sie im physischen Körper aufsuchte.
.„Seher” dieser Art gibt es gerade genug, OO
und nicht wenige unter ihnen glauben gar, OO
146 Das Geheimnis
sie stünden mit uns Leuchtenden des Ur‐ OO
lichts in Verbindung.
.Sie müssen aber wissen, daß es für uns ‒ OO
trotzdem wir es auch anders ermöglichen OO
können, wo es nur vorzubereiten gilt ‒ OO
bindendes Gesetz ist, denen, die unsere aus‐ OO
drücklichen Schüler werden sollen, dannOO
auch in unserer physisch wahrnehmbaren OO
Gestalt zu nahen, die nicht anders beschaf‐ OO
fen ist, als die anderer Menschen, während OO
wir denen, die nicht für diesen Weg be‐ OO
stimmt sind, ‒ niemals irgendein sicht‐ OO
bares Zeichen senden, sondern sie nur OO
durch geistige Ströme leiten, sofern OO
sie sich selbst für solche Leitung bereit OO
machen! ‒
.Sie werden mich zwar, nachdem ich längst OO
zurückgekehrt bin in meine irdische Heimat, OO
auch in einer Gestalt sehen, die nicht wie OO
dieser Leib hier und diese Kleidung, aus OO
irdischer Materie gewoben ist; ‒ allein OO
nicht eher werden Sie mich so erblicken, als OO
bis Sie jene Kräfte, die Visionen gleich dieser OO
147 Das Geheimnis
am gestrigen Abend liefern, restlos beOO
zwungen haben. ‒
.Wäre es nötig gewesen, und hätten wir OO
Sie dazu fähig befunden, solches in RuheOO
hinzunehmen, so wäre ich Ihnen vielleicht OO
heute kein Fremder mehr, und Sie würden OO
mich in meiner Geistgestalt schon vonOO
Kindheit an kennen; aber auch dannOO
hätte ich jetzt im äußeren ErdenleibeOO
zu Ihnen kommen müssen, nachdem Sie aus‐ OO
ersehen sind, in reguläres geistigesOO
Schülerverhältnis zu mir zu treten.
.Da Sie aber nicht von Jugend auf an reale OO
geistige Gestaltung gewohnt sind, muß ich OO
Sie jetzt vor sich selber schützen, denn OO
Sie müssen nun erst lernen, wahrhaft GeiOO
stiges von Trugbildern zu unterscheiden. OO
.Wenn Sie also später vielleicht von „Er‐ OO
scheinungen” da und dort hören sollten, die OO
plötzlich in das Leben eines Erwachsenen OO
treten und ihn betören wollen, daran zu OO
glauben, die erschienene Gestalt sei ein OO
„Guru”, der ihn als „Schüler” unterweisen OO
148 Das Geheimnis
wolle, während der also Betrogene noch nicht OO
in die ersten Mysterien des Gebrauchs seiner OO
geistigen Kräfte eingeweiht wurde, so warOO
nen Sie, falls noch zu warnen ist, aber lassen OO
Sie sich nicht täuschen, auch wenn Ihnen von OO
den hochtönendsten Reden eines solchen OO
vermeintlich in geistiger Gestalt erblickten OO
scheinbaren „Guru” berichtet wird, oder gar OO
von eingetroffenen Prophezeiungen, die er OO
gegeben haben soll, und dergleichen OO
mehr! ‒
.Sie ahnen heute noch nicht, wie die Welt OO
erfüllt ist von dem dramatisierten MumOO
menschanz der plastischen PhantasieOO
des Menschen und von einer zweiten, anOO
deren Art scheinbar „überirdischer” Er‐ OO
scheinungen, die aus den umnachtetstenOO
Regionen der physisch gegebenen Erschei‐ OO
nungswelt stammen, obwohl sie dem so Be‐ OO
troffenen sich stets als „geistige” Wesen‐ OO
heiten von zumindest auf menschlicherOO
Geistesstufe stehender Höhe auszuweisen su‐ OO
chen! ‒
149 Das Geheimnis
.Wenn einer mit seinem Hunde spielt und OO
ihn zu Kunststücken abrichtet, so hat er im‐ OO
mer noch Besseres getan, als wenn er den OO
salbungsvollsten Offenbarungen solcher ver‐ OO
meintlicher „Geister” lauscht, oder sich ihre OO
oft staunenerregenden Eingriffe in das ge‐ OO
setzmäßig normale physikalische Geschehen OO
vordemonstrieren läßt, die frevelhaft und OO
verworfen zu nennen wären, hätten ihre Ver‐ OO
ursacher auch nur das leiseste Verantwor‐ OO
tungsbewußtsein bei solcher Manifestation! OO
.Nicht von außen her und als Erweiterung OO
des Wahrnehmungsbereiches Ihrer physiOO
schen Sinne, werden sich Ihnen die geisti‐ OO
gen Welten erschließen!
.In Ihrem allerinnersten Innern sollen OO
Sie durch geistige KraftübertragungOO
gewandelt werden, bis Sie ‒ falls es Ihr OO
physischer Organismus erlaubt ‒ beiOO
wachen irdischen Sinnen fähig sind, OO
sich, wie einer der Weisesten Ihres Glaubens OO
sagt: zu dem siebenten der Himmel zu er‐ OO
heben!!
150 Das Geheimnis
.Ob Sie soweit gelangen werden wie jener, OO
kann auch ich nicht wissen; aber wie immer OO
auch Ihre ererbte Physis der geforderten Um‐ OO
wandlung gegenüber sich verhalten mag, so OO
werden Ihnen doch Einblicke werden in eine OO
Welt des Geistes, von der Sie auch in Ihren OO
kühnsten Träumen und in der tiefsten reli‐ OO
giösen Versenkung noch nichts ahnten! ‒' OO
*
.Während dieser Worte war es mir, als OO
wolle sich in meinem Innern eine geheime OO
Kammer öffnen, in der ich einen unerhörten OO
Schatz finden solle, ‒ aber da war auch zu‐ OO
gleich etwas, das sich mit gewaltigem Wider‐ OO
stand vor die Pforte stemmte und um keinen OO
Preis auch nur einen Spalt breit die Öffnung OO
zugeben wollte. ‒ ‒
.Vielleicht wäre dieser Widerstand gerin‐ OO
ger gewesen, wenn ihm nicht auch noch alle OO
erdenklichen theologischen Einwände OO
sehr den Rücken gestärkt hätten? ‒
.Ich war eben doch noch durchaus nicht OO
frei von früheren Vorstellungen und konnte OO
151 Das Geheimnis
mich noch nicht lösen von der Methode, die OO
man mich einst gelehrt hatte, um meine da‐ OO
malige Glaubensmeinung den Angriffen Un‐ OO
gläubiger gegenüber verteidigen zu kön‐ OO
nen...
.So suchte ich denn nach Art der Schach‐ OO
spieler den vernichtenden Gegenzug, um den OO
Sprechenden vielleicht 'matt' zu setzen; aber OO
trotzdem ich mein Gehirn nicht wenig durch‐ OO
wühlte, wollte mir kein aussichtsreicher Zug OO
einfallen.
.Endlich klammerte ich mich an die mir OO
etwas erstaunlich erschienene Erwähnung OO
des Mannes, den ich als eine Grundsäule des OO
Christentums zu betrachten gewohnt war OO
und dessen apostolische Briefe mir einst so OO
manchen Text zu meinen Predigten geliefert OO
hatten.
.Das vorher Gehörte hatte für meine Ohren OO
recht wenig 'christlich' geklungen und so gab OO
ich meinem Erstaunen Worte, daß hier auf OO
einmal ein Mitbegründer des Christentums OO
quasi als 'Schüler' der geheimnisvollen Ge‐ OO
152 Das Geheimnis
meinschaft angeführt wurde, der mein Be‐ OO
gleiter zuzugehören behauptete.
.Es erschien mir geradezu wie eine verbre‐ OO
cherische Anmaßung, auch nur eine Sekunde OO
lang den Gedanken ernsthaft zu erwägen, OO
dieser größte der Apostel des Christentums OO
könne seine Erleuchtung einer Einwirkung OO
zu danken haben, der ähnlich, der ich mich OO
hier nun überlassen sollte, und wäre so OO
gleichsam als mein früherer Mitschüler zu OO
betrachten. ‒
.Ich hielt mit meinen Empfindungen kei‐ OO
neswegs zurück und redete mich in einen OO
solchen Eifer hinein, als wäre ich noch in OO
kirchlichem Amte und es gälte hier, einen OO
Widersacher meines ‒ ach, längst so brüchig OO
und morsch gewordenen früheren Glaubens OO
aus dem Felde zu schlagen.
*
.Mein Begleiter aber hörte mir ruhig zu OO
und schwieg auch noch längere Zeit nach‐ OO
dem ich geendet hatte, so daß ich schon mei‐ OO
nes Sieges nun gewiß zu sein glaubte.
153 Das Geheimnis
.Dann aber begann er:
.'Ferne sei es von mir, die so glühende Ver‐ OO
ehrung für diesen Weisen Ihres Glaubens aus OO
Ihrem Herzen zu reißen!
.Dagegen danke ich Ihnen, daß Sie mir nun OO
meine Aufgabe so sehr erleichtert haben, OO
denn hier gaben Sie mir selbst ein Ende des OO
Fadens in die Hand, dessen wunderliche Ver‐ OO
schlingungen erst völlig entwirrt sein müs‐ OO
sen, bevor ich Ihnen eine Kraft der Einsicht OO
übertragen darf, zu der Sie gelangen können, OO
wenn Sie erkannt haben werden, daß nur OO
menschlicher Übereifer die Schlingen OO
knüpfte, in denen Sie sich soeben erst wieder OO
verfangen haben! ‒ ‒
.Eigentlich weiß ich nicht, ob ich mehr OO
Ihre Vertrautheit mit den Schriften des von OO
Ihnen Verehrten bewundern muß, oder ob OO
ich erstaunen soll, daß Sie trotz dieser Ver‐ OO
trautheit nicht zu sehen vermögen, was diese OO
Schriften, bei aller Ornamentierung durch OO
spätere Zutat, noch mit leidlicher Klarheit OO
enthüllen?!
154 Das Geheimnis
.Weshalb wollen Sie nur mit allem Auf‐ OO
gebot Ihrer Dialektik diesen großen, wenn OO
auch in manchen Befangenheiten seiner OO
Glaubensmeinung, seiner Zeit und seines OO
Volkes noch gebundenen Mann so gar weit OO
von der gleichen Erde entfernen, die ihm OO
nicht minder einst seine Färbung gab, wie OO
sie Ihnen heute die Ihre gibt?! ‒
.Lesen Sie doch nur wachen Geistes und OO
ohne Voreingenommenheit, was er in seinen OO
Sendbriefen schreibt, soweit es noch unter OO
den späteren, immerhin kenntlichen Über‐ OO
arbeitungen zutage tritt, und Sie werden OO
deutlich sehen, daß es ihm sehr ähnlich er‐ OO
ging, wie Ihnen selbst! ‒ ‒
.Sein „Damaskus” werden Sie allerdings in OO
einem etwas einfacheren Sinne deuten OO
müssen, als dies den späteren Bearbeitern, die OO
da ein dramatisches Ereignis einfügen zu OO
müssen glaubten, gut schien! ‒
.Sie wissen doch bereits, daß in allen Le‐ OO
genden großer Menschen die „Stimmen vom OO
Himmel” und andere geräuschvolle Eingriffe OO
155 Das Geheimnis
aus den Wolken her, zur notwendig erachte‐ OO
ten Szenerie gehörten, und so werden Sie OO
vielleicht auch bei einiger Überlegung hier OO
die gleiche Technik erkennen?! ‒
.Schalten Sie aber einmal all diese künst‐ OO
lichen Beleuchtungseffekte aus, dann bleibt OO
ein Mann, der mit Feuereifer für seine Glau‐ OO
bensmeinung tätig war, bis er eines Tages OO
von einem ‒ wie es heißt: ‒ „gerechten” OO
Manne in der Stadt Damaskus hörte, den er OO
aufzusuchen sich auf den Weg machte, weil OO
er endlich doch durch Zweifel hart bedrängt, OO
wie blind geworden war und keinen Ausweg OO
mehr fand. ‒
.Bei jenem Manne aber verweilte er lange OO
‒ und bei ihm fand er, ‒ was auch ich OO
Ihnen zu bringen beauftragt bin...
.Als er es erhalten hatte, kam er zu denen, OO
die sich mit nur äußerem Rechte die OO
Schüler eines der Unseren nannten, und OO
nun wird sein Leben wahrlich nicht leicht, OO
denn was er „geistlich gerichtet” er‐ OO
kannte, wollten jene, gebunden in allzu‐ OO
156 Das Geheimnis
irdische Enge, auf ihre Weise verstandesOO
mäßig deuten.
.Während er sehr deutlich unterschied OO
zwischen „Gott”, den er an den echten Stel‐ OO
len seiner Briefe als „Gott, unseren HeiOO
land” bezeichnet, ‒ dem Gesalbten Got‐ OO
tes: Jesus, den er „nicht mehr demOO
Fleische nach” erkannt wissen will, und OO
drittens: dem „Vater” des hohen Meisters OO
Jehoschuah, von dem er sehr wohl wußte, OO
daß er gewiß nicht schlichthin mit „GottOO
gleichzusetzen war, haben Spätere seine OO
Worte verfälscht, als sie nicht mehr recht OO
passen wollten in das Lehrgebäude, das man OO
mit Hilfe von allerlei alten Tempeltrüm‐ OO
mern, auf dem Fundament der Lehre des OO
Nazareners, nach eigener Kunstregel auf‐ OO
gerichtet hatte. ‒ ‒ ‒
.Er selbst schon warnte vor diesen Spä‐ OO
teren: ‒ „denn es wird eine Zeit komOO
men, da sie die gesunde Lehre nichtOO
ertragen, sondern nach ihren eigenenOO
Wünschen sich Lehrer über LehrerOO
157 Das Geheimnis
heranziehen werden, ihre Ohren zuOO
kitzeln: und von der Wahrheit werOO
den sie das Gehör abwenden, umOO
sich zu erfundenen Fabeln zu kehOO
ren.”
.Aber ich bin nicht hierher zu Ihnen ge‐ OO
kommen, um Ihnen jetzt die Widersprüche OO
Ihrer durch unzählige klügelnde Abschrei‐ OO
ber schon gleich nach dem Entstehen so arg OO
entstellten heiligen Schriften aufzuzeigen, OO
aus denen heute jeder herauslesen kann, was OO
er herauszulesen gerade für gut finden mag... OO
.Ich möchte nur Ihre Augen öffnen für die OO
Spur der Wahrheit, die trotz allem noch OO
in diesen Schriften auffindbar bleibt, oft OO
sehr gegen den Willen dieser frühen Ver‐ OO
fälscher, deren jeder wohl glauben mochte, OO
er habe seine Arbeit so gründlich besorgt, OO
daß seine Korrekturen nichts mehr von der OO
ihm unverständlichen, aber nun einmal OO
durch die Namen der Autoren geheiligten OO
Urschrift übrig gelassen hätten. ‒ ‒
.Befreien Sie sich von der Auslegungsart, OO
158 Das Geheimnis
die man Sie lehrte und lesen Sie unbefanOO
gen was heute vorliegt, immer im Auge be‐ OO
haltend, daß hier so manche geschäftige Fin‐ OO
ger tätig waren, die Fäden zu verwirren, und OO
ich bin sicher, daß es Ihnen gelingen wird, OO
die ursprüngliche Lesart soweit wieder OO
herzustellen, daß jeder Widerspruch schwin‐ OO
det, auch wenn die Zeugnisse zeitlicher OO
Blickbeengung auch der wirklichen Au‐ OO
toren bestehen bleiben! ‒'
*
.So gab nun ein Wort das andere und es OO
wurden mir am selben Abend noch Auf‐ OO
schlüsse zuteil, die ich, ‒ durch eine rein OO
historische Textkritik völlig in Rationalis‐ OO
mus versunken, ‒ längst nicht mehr ge‐ OO
sucht, geschweige erwartet hätte. ‒ ‒
.Wahrhaftig: man hatte 'die Schlüssel OO
des Himmelreichs', aber man wußte die OO
Pforte nicht mehr zu öffnen, und wehrteOO
‒ um dies nicht gestehen zu müssen ‒ allen, OO
die selbst die Schlüssel an der Pforte ver‐ OO
suchen wollten! ‒ ‒
159 Das Geheimnis
.In tiefster innerer Erschütterung schied OO
ich an jenem Abend von dem neuen Lehrer, OO
und wohl die halbe Nacht noch saß ich zu OO
Hause vor Bibeltexten, um in der Art, die er OO
mir angeraten hatte, tatsächlich immer tie‐ OO
fer in den ursprünglichen Geist dieser OO
Schriften einzudringen.
*
.So reihten sich nun Abend für Abend die OO
Belehrungen aneinander, die ich an der Seite OO
des seltsamen Alten durch ihn empfing.
.Er selbst wohnte, wie ich erfahren hatte, OO
unter einem nichtssagenden europäischen OO
Familiennamen, in einem der ersten Hotels OO
der Stadt; aber während er mich niemals OO
zu sich eingeladen hatte, fand ich ihn sicht‐ OO
lich sehr bereit, zu mir in mein Zimmer zu OO
kommen, und hier vollzog sich dann die OO
Vollendung dessen, zu dem die Belehrungen OO
unserer Spazierwege in freier Natur den OO
Grund gelegt hatten. ‒
.Ich ward in aller Form sein 'Chela' und er OO
fand mich geeignet, in mir Fähigkeiten zu OO
160 Das Geheimnis
wecken, die sonst, auch in solchem vertrau‐ OO
ten Verhältnis des Schülers zu seinem geisti‐ OO
gen Lehrer, gewöhnlich dem Chela vorent‐ OO
halten werden müssen, da nur äußerst sel‐ OO
ten die psychophysischen Vorbedingungen OO
dazu bei einem Menschen der westlichen OO
Welt zu finden sind...
.Dank dieser in mir erweckten Fähigkeiten OO
genieße ich das hohe Glück, auch heute noch, OO
jederzeit in bewußte geistige VerbinOO
dung mit meinem Guru treten zu können, OO
obwohl er im Innern Asiens lebt, tausende OO
von Meilen von mir getrennt, ‒ ein Glück, OO
das sonst nur den Seltenen wird, die selbstOO
zur Vereinigung mit dem Kreise dieser OO
Leuchtenden geboren sind, zu denen aber OO
ich keineswegs gehöre und nie gehören kann, OO
da man in seiner Geistnatur, JahrtausendeOO
vor der Geburt als Mensch der Erde, OO
sich aus freien Stücken dieser geistigen Ge‐ OO
meinschaft unlöslich dargeboten haben muß, OO
um dann hier auf Erden ihrem Kreise zu‐ OO
gefügt zu werden. ‒ ‒
161 Das Geheimnis
.Das ist so in Kürze das Wesentlichste, was OO
ich Ihnen auf die Frage sagen kann: wie ich OO
wohl selbst mit den Dingen bekannt ge‐ OO
worden sei, mit denen Sie mich vertraut OO
finden.
.Ich glaube aber, es wird Zeit sein, unsere OO
Unterredung für heute zu beenden! Man OO
hört schon keinen Laut mehr aus dem In‐ OO
nern des Hauses, und der Südländer pflegt OO
die Nachtstunden dem Schlafe zu widmen.” OO
*
.Der Mond war längst schon hinter der OO
Kirchensilhouette aufgestiegen, blieb dann OO
auf seiner Bahn für kurze Zeit hinter dem OO
Glockenturm verhüllt und stand nun, bereits OO
erheblich kleiner, in eisigkaltem, weißem OO
Licht, hoch über der Zypressengruppe, deren OO
schwarzes Dunkel seine Strahlen durch einen OO
zarten bläulichen Schimmer hellten, der den OO
ganzen Garten wie ein leichter Nebel deckte. OO
.Die zahllosen Sterne hatten fast allen OO
Glanz in der Helle des Mondlichts verloren, OO
162 Das Geheimnis
aber es schien, als seien sie dadurch nur noch OO
ferner und geheimnisreicher geworden.
.Nachdem der Sprechende geendet hatte, OO
wurde man erst so recht der tiefen Stille OO
gewahr, die das Bewußtsein weckte für die OO
späte Stunde, in der man hier immer noch OO
beisammen saß, während das abendlich laute OO
Leben der südlichen Stadt längst wie be‐ OO
graben lag.
.So fanden sich denn die Freunde auch als‐ OO
bald beim Aufbruch, und als der Came‐ OO
riere, der sie hinausgeleitet hatte, hinter OO
ihnen das Licht verlöschte, schien es auch OO
ihm an der Zeit, daß die Fremden doch end‐ OO
lich sich zum Gehen entschlossen hatten.
.Als wollten sie Geheimnis hüten, füllten OO
die Schatten der hohen Häuserwände die OO
dunklen Gassen, bis dann und wann ein OO
schmaler Lichtstreif des Mondscheins, über‐ OO
hell und scharf, die Finsternis durchschnitt. OO
.Die Schritte der drei Heimkehrenden OO
hallten allzulaut und weckten Echo.
.Man sprach aber fast kein Wort mehr, OO
163 Das Geheimnis
denn man fühlte, daß erfaßt sein wollte, was OO
man an diesem Abend aufgenommen hatte, OO
und daß erst eine andere Stunde, nach durch‐ OO
schlafener Nacht, die Lust zum Reden wie‐ OO
derbringen könne. ‒ ‒
164 Das Geheimnis
DIE FELSENINSEL
SEIT jenem Abend im Garten der Trat‐ OO
toria hatten die Freunde gar oft Gelegen‐ OO
heit gefunden sich auszusprechen, und im‐ OO
mer vertrauter sahen die beiden älteren sich OO
in der Geisteswelt ihres jüngeren Gefährten. OO
.Der Weg der Reise, den man sich ohne OO
Zwang erwählen konnte, führte sie stets mehr OO
nach Süden, und so manches Schöne war OO
ihnen seither begegnet.
.Aber endlich sehnten sie sich doch aus OO
dem Lärm der Städte und ihrer Überfülle OO
der Werke hoher Kunst, so daß man nun OO
übereingekommen war, auf einem Felsen‐ OO
eiland, das gleichsam wie ein Wächter vor OO
dem weiten Golfe einer der lärmendsten OO
Städte des Südens aus dem Meere wächst, OO
für einige Tage noch der Ruhe zu leben.
*
.Ein wunderlicher Zufall wollte, daß man OO
das kleine Schiff der Reisenden mit Böller‐ OO
schüssen zu empfangen schien.
.Man feierte das Fest des Heiligen der In‐ OO
sel, und wenn auch erst am Tag darauf die OO
167 Das Geheimnis
eigentliche Feier war, so kannte doch die OO
Festesfreude keine Grenzen, und die ganze OO
Nacht vor seinem hohen Tage konnte man OO
sich leicht in einer stark vom Feind bedroh‐ OO
ten Festung wähnen: also donnerten in OO
einemfort die Freudenschüsse.
.Es war nicht viel an Schlaf zu denken in OO
dieser Nacht und die drei Fremden arg‐ OO
wöhnten schon, auch hier die Ruhe nicht zu OO
finden, die sie suchten.
.Als aber des anderen Tages die große Se‐ OO
gensprozession des Heiligen, die seinen Ver‐ OO
ehrern erneut willkommenen Anlaß bot, OO
ihrer Frömmigkeit so lärmenden Ausdruck OO
zu geben, unter den alten Gesängen, im Re‐ OO
gen der Rosenblätter, die man dem silber‐ OO
nen Bildnis zuwarf, endlich vorübergezogen OO
war, fand es sich doch, daß die Freunde stau‐ OO
nend, und eher als erwartet, die köstlichste OO
Stille genießen konnten.
*
.Jenseits der kleinen Stadt, die der Insel OO
Höhensattel krönt, schritten sie nun in blen‐ OO
168 Das Geheimnis
dendem Lichte dahin zwischen Ölbäumen OO
und Zitronengärten, Weingeländen und blu‐ OO
menreichen Hängen, den Duft des Südens OO
atmend und berauscht von all der Farbe, die OO
sich ihrem Auge bot.
.Der Ölbaum stand allenthalben in voller OO
Blüte, während die Zitrone in strotzender OO
Reife eine Größe erreichte, wie sie die Rei‐ OO
senden bisher noch nicht gesehen hatten.
.Es war kaum zu fassen, woher der Boden OO
die Kraft zu nehmen wußte, die Rosenfülle OO
und die schwere Bürde der Glyzinien her‐ OO
vorzubringen, die hier über alle Mauern OO
rankte!
.So kam man allmählich dem jäheren Ab‐ OO
hang nahe, der in bunter, blütenüberschütte‐ OO
ter Wildnis, zwischen schroffen Felsenklip‐ OO
pen sich zum Meere senkte, das in leuchtend‐ OO
stem Kobaltblau sich allmählich der glän‐ OO
zenden Ferne einte, während zunächst den OO
Ufern hell smaragdgrüne, kleine Golfe an OO
die Felsenwände schlossen.
.Wo aber der Meeressand eine seichtere OO
169 Das Geheimnis
Stelle schuf, dort hoben sich Wunderseen OO
empor, gleich rundgerandeten Flächen flüs‐ OO
siger Türkise.
.In solcher Zauberwelt hatte man schmale OO
Fußpfade betreten, die über lockeres Geröll OO
hinab zum Strande führten, aber noch auf OO
halber Höhe war das nahe Ruheziel erreicht: OO
‒ jene alte Mithrasgrotte, in der einst OO
vor Jahrtausenden der Sonne göttliche Ehre OO
wurde; in der zur Zeit der Frühlingssonnen‐ OO
wende geheiligte Mysterien die Mysten OO
weihten, die in sieben Graden, und von OO
Läuterung zu Läuterung stets schwererem OO
Gebot gehorchend, hier sich ihrem Gotte OO
einten, als dessen Abbild ihnen der lichte OO
Lebensspender: das die Erde bestrahlende OO
Gestirn des Tages galt.
.Auf „hohem Berge” wohnte nach ihrer OO
Lehre zugleich auch auf dieser Erde das OO
Licht, das da in geheimnisvoller Felsengrotte OO
sich den Herzen offenbarte und jeden zu er‐ OO
reichen wußte, der den Mut besaß, die Prü‐ OO
fung zu bestehen, und der in seiner Seele die OO
170 Das Geheimnis
Symbole fühlend in sich selbst zu deuten fä‐ OO
hig war, die weise Priester seinen Augen OO
zeigten. ‒ ‒ ‒
*
.Die drei Freunde traten ein in dieses kühle OO
Heiligtum, und da jeder der Drei wohl wußte, OO
wie ungleich gottesnäher das einst hier ge‐ OO
übte „Heidentum” sich fand, als mancher OO
spätere, dem einen, wahren Gotte selbst‐ OO
gefällig nur allein als „angenehm” ge‐ OO
glaubte Kult, so ließen sie willig ihre Seelen OO
von dem Geheimnis ergreifen, das hier den OO
Felsenwänden zu entströmen schien, die OO
längst nur noch in schwachen Spuren zeig‐ OO
ten, daß ehemals die Kunst der Wissenden OO
sie reich umkleidet hatte. ‒
*
.Man mochte sich geraume Zeit bereits hier OO
so mancher Empfindung hingegeben haben, OO
bevor der älteste der Freunde die Stille brach OO
und meinte:
.„Es ist doch sonderbar, daß diese Men‐ OO
schen, denen Gott im Lichte sich bezeugte, OO
171 Das Geheimnis
Grotten im Gestein der Erde wählten, OO
die Mysterien zu feiern, aus denen ihnen OO
Lichterkenntnis werden sollte, und daß sie OO
nicht statt dessen draußen in des Sonnen‐ OO
lichtes Fülle ihre Liturgien übten! ‒”
.Doch während man unwillkürlich ‒ als OO
dürfe hier an der Stätte, die einst nur hei‐ OO
ligste Erkenntnisworte und geheime Hym‐ OO
nen hörte, kein profanes Wort gesprochen OO
werden ‒ zum Ausgang kehrte, um unter OO
schattigem Gesträuch sich Ruhesitze auszu‐ OO
wählen, nahm der Jüngste der Drei das Wort OO
und sprach:
.Die Erde ist es, der wir dem Leibe nach OO
entstammen, und in den Schoß der Erde OO
müssen wir uns ‒ sei es nur im Fühlen, oder OO
so wie diese Mysten es auch äußerlich zu tun OO
für richtig hielten ‒ vorerst bergen, bevor OO
wir 'neu geboren' werden können...
.Nicht umsonst wurden die Mysterien der OO
Alten, je heiliger sie ihnen schienen, fast OO
stets in Krypten und Felsengrotten be‐ OO
gangen, und selbst die Weihetempel, de‐ OO
172 Das Geheimnis
ren Säulenwald den Heutigen unverständlich OO
scheint, wurden noch symbolisch als InOO
nenräume der Erde empfunden. ‒ ‒ ‒ OO
.Im Innern der Erde wird jedes Gebäude OO
verankert, und je höher es sich erheben soll, OO
desto tiefer müssen seine Fundamente rei‐ OO
chen! ‒
.So müssen auch wir: soll der Tempel, der OO
wir selber sind, mit seiner Kuppel in das OO
Reich des reinen Geistes ragen, den Grund‐ OO
stein im Innern der Erde legen, damit OO
er dort verankert ruht, während wir Bau‐ OO
stein auf Baustein fügen, nach einem Plan, OO
der in uns selbst sich offenbart.
.Wollen wir anders handeln und auf der OO
Erde Oberfläche uns zu erbauen erküh‐ OO
nen, so gleichen wir nur zu sehr jenen Frev‐ OO
lern der Sage vom 'Tempel zu Babylon', OO
der in sich selbst zerfiel, da die bauenden OO
Kräfte sich nicht mehr zu verstehen wuß‐ OO
ten...
.Zwar mag man glauben, auch auf dem OO
Oberflächengrund der äußeren ErOO
173 Das Geheimnis
kenntnis, den uns irdisches Wähnen und OO
Meinen gibt, einen Tempelturm errichten OO
zu können, der in den Himmel ragt, aber OO
wer da in solcher törichter Weise baut, dem OO
halten die wahren Meister der geistiOO
gen Baukunst sich fern, und er ist nur OO
auf Erdenkräfte niederer Art ver‐ OO
wiesen, die ihm zwar für lange Zeit als schein‐ OO
bar tüchtige Bauleute dienen; aber ist die OO
höchste Höhe dann erreicht die ihre Kraft OO
noch beherrschen kann, dann wird 'ihreOO
Sprache verwirrt', so daß sie zerstörenOO
müssen, was sie vordem schufen......
*
.In einer Hirtenhöhle ward nach alter OO
Sage der geboren, den sie 'Erlöser' nen‐ OO
nen! ‒ ‒
.Aus einem Felsengrabe ward ihm nach OO
gleicher Kunde seine Auferstehung! ‒ ‒ ‒ OO
.Lassen Sie ruhig hier einmal alles 'Histo‐ OO
rische' beiseite und betrachten Sie nur den OO
tiefen Symbolgehalt, der solchen Worten OO
innewohnt und ‒ richtig verstanden ‒ aus OO
174 Das Geheimnis
der Sage ein Gefäß der erhabenstenOO
Wahrheit macht! ‒ ‒
.Wer nicht, wie der hohe Meister, von dem OO
hier die Rede ist, in tiefster Erde ankert, OO
der wird gewiß nicht wie er 'in den HimOO
mel aufgenommen'! ‒ ‒ ‒
*
.Unser eigener Leib ist letzten Endes OO
für den Geist die Höhle der Erlösung; OO
ist die 'Erde', in deren innerste Tiefen wir OO
erst hinabsteigen müssen, um in ihnen den OO
Grund zu legen, der unseren geistigen Tem‐ OO
pelbau tragen kann. ‒
.Die meisten aber möchten ihren geistigen OO
Tempel erbauen, indem sie ‒ noch törichter OO
als jene sagenhaften Erbauer des Turmes zu OO
Babylon ‒ zuerst die Kuppel zu wölben OO
versuchen, und sind dann gar sehr betroffen, OO
wenn ihr Werk alsbald in sich selbst zusam‐ OO
menstürzen muß. ‒
.Sie fangen im Kopfe an und wölben OO
kühne Gedankenbogen, bevor sie im InnerOO
sten des Leibes, mit allen Fasern fühOO
175 Das Geheimnis
lend, fest zu verankern wußten, was die OO
Kuppel stützen und tragen könnte! ‒ OO
*
.Das Herz ist der Mittelpunkt des körper‐ OO
lichen Lebens, und wenn es zu schlagen auf‐ OO
hört, hat dieses Körpers Leben sein Ende OO
gefunden.
.Aber es ist durchaus nicht nur poetiOO
sches Bild, wenn dem Herzen auch in be‐ OO
zug auf seelisches Fühlen und Erleben, bei OO
allen Völkern und zu allen Zeiten die bedeut‐ OO
samste Wertung wird! ‒ ‒
.Gewiß kann kein Anatom im Herzen des OO
Körpers jemals die Seele finden; aber alleOO
unsere körperlichen Organe entspreOO
chen korrelativen seelisch-geistigenOO
Organen, und wenn nun in geistiger Bedeu‐ OO
tung vom 'Herzen' gesprochen wird, so ist OO
nur vom Herzen des geistigen Organismus OO
die Rede, dessen Regungen jedoch zum Her‐ OO
zen des Körpers ‒ während des Erdenda‐ OO
seins ‒ in steter Wechselbeziehung sind: so OO
daß gleichsam das Herz des Erdenleibes den OO
176 Das Geheimnis
Resonanzboden bildet, durch dessen ver‐ OO
stärkende Wirkung uns Menschen alles see‐ OO
lisch-geistige Erleben mit größtmöglichster OO
Klarheit zu Bewußtsein kommt. ‒ ‒
.Auch das Tier hat ja die gleichen KörOO
perorgane, aber es fehlt ihm der geiOO
stige Organismus, der ihnen entspräche, OO
und was man so gemeinhin die 'Seele' des OO
Tieres nennen kann, ist nichts anderes als OO
der Gesamtkomplex seiner feinerenOO
fluidischen Körperkräfte, die man ja, OO
in Unkenntnis befangen, meist auch beim OO
Menschen schon der 'Seele' zuzurechnen OO
dürfen glaubt...
.Der dem Tiere gleiche Leib ward einst des OO
aus seinem geistigen Urzustande 'gefallenen' OO
Geistesmenschen selbstgesuchte ZuOO
flucht, und dieser gleiche Tieresleib, in dem OO
er sich nun findet, sobald 'seine Zeit' gekom‐ OO
men ist, wird ihm auch zur 'Höhle der ErOO
lösung', denn der Geist verlor auch in sei‐ OO
nem 'Falle' keineswegs die Schöpferkraft, OO
so daß er sich selbst den Formen desOO
177 Das Geheimnis
Tierleibes gleichzubilden wußte, so OO
allein erst auf Erden erlösbar werdend, da OO
er nur so dem Bewußtsein des MenOO
schentieres erfaßbar wird. ‒ ‒ ‒
*
Wer dieses unsagbar tiefe Mysterium in sei‐ OO
ner unermeßlichen Tragweite fühlend er‐ OO
kannte, dem wird hinfort sein Erdenleib ge‐ OO
wiß nicht mehr als Hinderung und lästiger OO
Ballast erscheinen bei seinem Streben nach OO
Bewußtwerdung im reinen Geiste...
.'Was ihr auf Erden bindet, soll auch im OO
Himmel' ‒ im Reiche des reinen Geistes ‒ OO
'gebunden sein, und was ihr auf Erden löset, OO
soll auch im Himmel gelöset sein.' ‒
.Es gibt keine wahrhafte ErlösungOO
für den Erdenmenschen, es sei denn: OO
im Leibe und leiblich empfindbarOO
durch den, seinem Leibe gleichgeOO
formten, lebendig substantiellenOO
Geist!! ‒ ‒ ‒
.Erst wenn er in seinem ganzen SelbstOO
empfinden durch den Erdenleib, sei‐ OO
178 Das Geheimnis
nes gleichgeformten geistigen Lebens inne OO
wird, ist er 'in den Geist gelangt', und OO
dann erst darf er ohne Furcht vor Täu‐ OO
schung seinem Denken zugestehen, die hohe OO
Kuppel zu wölben, die den Tempel des Gei‐ OO
stes weithin sichtbar bekrönen soll. ‒
.Vorher ist alles, was er bauen mag, nur OO
bestenfalls eine interessante Fassade, die OO
der erste Sturmwind stürzt; und wenn er OO
diesen Erdenleib der Erde wiedergebenOO
muß, wird er nicht wissen, wohin er sich ber‐ OO
gen könnte, denn was er baute, war nur fürOO
Erdenaugen wahrnehmbar und entschwin‐ OO
det mit dem Erdenkörper seinem mensch‐ OO
lichen Bewußtsein, das, seiner Geistigkeit OO
noch nicht geeint, fortan nur ScheingeOO
bilde um sich gewahrt. ‒ ‒ ‒
.So durfte denn der hohe Meister wahrlich OO
sagen:
.'Wirket solange es Tag ist, denn es OO
kommt die Nacht, da niemand wirken OO
kann.' ‒ ‒ ‒
.Diese 'Nacht' aber ist nichts anderes als OO
179 Das Geheimnis
die mangelnde Fähigkeit, ohne des Körpers OO
Resonanz die Stimme des eigenen ewigen OO
Geistes, so wie es hier auf Erden möglich OO
wäre, zu vernehmen, denn jener 'Tempel', OO
den es zu bauen gilt, gleicht, mit anderem OO
Bildwort bezeichnet, einer Symphonie, die OO
nicht nur den Komponisten und sein OrOO
chester braucht, sondern auch den Hörer, OO
der sie aufzunehmen fähig ist! ‒”
*
.Hier hielt der Redende inne, und die drei OO
Männer blickten nun längere Zeit im Schwei‐ OO
gen versunken hinaus auf das weite Meer, OO
das ein bewimpelter Segler kreuzte, der wohl OO
vom nahen Gestade des Landes her noch OO
Gäste bringen mochte, zu abendlicher Festes‐ OO
freude.
.Wie schützende Wachttürme ragten mas‐ OO
sige Felsgebilde aus dem Meere nahe dem OO
Ufer auf, die jetzt in gelblich-rötliches Licht OO
getaucht, erkennen ließen, daß der Sonnen‐ OO
ball, der während des Aufenthaltes der drei OO
Freunde hier, bereits hinter einer schroffen, OO
180 Das Geheimnis
hohen Wand im Westen den Blicken ent‐ OO
schwunden war, auf seiner abwärts geneigten OO
Bahn nun bald der bisher beschienenen Seite OO
der Erde sich entziehen wollte.
.Noch aber mochte keiner an die Rückkehr OO
denken, und der „Abate”, nun zur Gegen‐ OO
rede angeregt, begann und sprach:
.„Was Sie uns sagten, ist uns nach allem, OO
was wir vordem von Ihnen hören durften, OO
gewiß verständlich und ich muß gestehen, OO
daß diese Ihnen anvertraute hohe Lehre, die OO
Sie uns hier nun offenbarten, mich erschütOO
tert hat!
.Die Inselbewohner haben mit ihren end‐ OO
losen Freudenschüssen nur den Tag ihres OO
Heiligen auf ihre Weise feiern wollen; allein OO
mir ist fast, als hätten sie unbewußt den Tag OO
begrüßt, der uns hier vereint an dieser Stätte OO
alter Mysterien, das tiefe Geisteswirken ent‐ OO
hüllen wollte, in dem des Menschen Daseins‐ OO
rätsel sich so wunderbarer Lösung zugeführt OO
erweist...
.Nur eine Frage bleibt mir noch, wenn ich OO
181 Das Geheimnis
auch wohl weiß, daß sie am Ende töricht sein OO
mag; aber so sehr auch mein 'Herz' bei allem OO
was Sie sagten, sich beglückt und erhoben OO
fühlte, so läßt es doch dieser Frage gegen‐ OO
über sich noch nicht zur Freude bewegen.
.Vielleicht ist zu vieles in mir doch noch OO
erdgebunden, so daß ich die Konsequenzen OO
nicht gern ziehen möchte, auch wenn ich OO
sie ziehen kann. ‒”
.„Irre ich nicht” ‒ unterbrach ihn der Äl‐ OO
tere ‒ „so finden wir uns ganz in gleicher OO
Lage? ‒
.Auch ich finde keinen Ausweg, wenn ich OO
mir sagen soll, daß nur im irdischenOO
Leibe die Erlösung dem Geiste wird, wäh‐ OO
rend so viele Liebesbanden mich an Geschie‐ OO
dene knüpfen, die ich kaum zu denen rech‐ OO
nen darf, die hier auf Erden schon die Er‐ OO
lösung fanden. ‒ ‒”
.„Das eben ist es” ‒ fiel der „Abate” ihm OO
in die Rede. „Hier stehe ich wohl vor der OO
Forderung eines klaren Schlusses, doch es OO
bleibt etwas in mir, das ich gewiß nicht als OO
182 Das Geheimnis
'schlecht' empfinden kann, und das mir OO
doch verbietet, zu dieser Folgerung zu OO
kommen!
.Entsetzlich bleibt mir der Gedanke, daß OO
alle, die ich hier auf Erden kannte und die OO
auf anderen Wegen ihre Seligkeit erreich‐ OO
bar glaubten, nur Opfer der Vernichtung OO
seien! ‒ ‒”
*
.Aber der Jüngste der Freunde lächelte und OO
sprach:
.„Verzeihen Sie mir, aber hier haben Sie zu OO
vorschnell sich zu einer Auffassung gedrängt OO
gefühlt, die keineswegs gefordert ist!
.Es lag mir sehr ferne, eine Lehre zu ver‐ OO
künden, nach der alle verloren seien, die OO
nicht hier im Leibe der Erde sich ihrem gei‐ OO
stigen, ewigen Bewußtsein zu einen ver‐ OO
mochten.
.Ich sage nur, daß man hier auf Erden auch OO
den Leib der Erde nützen muß, um dieses OO
Ziel zu erreichen, daß man es ohne die Re‐ OO
sonanz, die der Erdenkörper gibt, überhaupt OO
183 Das Geheimnis
nicht erreichen kann, solange man aufOO
der Erde lebt, und ferner: daß sich der OO
ewige Geistmensch in uns dem Erdenkör‐ OO
per so anzugleichen wußte, daß durch OO
dieses geistgeschaffene Verhältnis eine Mög‐ OO
lichkeit der Erlösung entstand, die wir nur OO
ausnützen können, solange wir noch inOO
diesem Erdenkörper leben, dem sich un‐ OO
ser Ewiges durch den 'Fall' in das Bewußt‐ OO
sein des Tierkörpers verband. ‒ ‒
.Daraus folgert aber durchaus nicht die ab‐ OO
surde Annahme, daß sich nach der Loslösung OO
vom Erdenleibe überhaupt keine Möglich‐ OO
keit der Erlösung fände!
.Aber während wir ‒ noch an den Leib OO
der Erde gebunden ‒ aktiv in dieses Er‐ OO
lösungswerk einzugreifen vermögen und die‐ OO
ses Leibes Kräfte uns dabei eine sehr wirk‐ OO
same Hilfe bieten, wenn wir sie zu gebrau‐ OO
chen wissen, ‒ sind wir nach der Loslösung OO
zu völlig passiver Haltung gezwungen, und OO
was im Leibe der Erde in wenigen Jahr‐ OO
zehnten erreichbar ist, kann alsdann ‒ OO
184 Das Geheimnis
nach irdischen Zeitbegriffen gesprochen OO
Jahrtausende, ja Äonen dauern! OO
‒ ‒ ‒”
*
.„Das hört sich freilich anders an”, meinte OO
der Physiker, „und ich kann mir sogar nach OO
mancherlei irdischen, mir bekannten Ana‐ OO
logien, eine solche kräfteverstärkende Funk‐ OO
tion des Erdenkörpers sehr wohl erklärbar OO
machen.
.Zugleich wird es mir dadurch sehr faß‐ OO
lich, daß Menschen, denen solche Zusam‐ OO
menhänge bewußt geworden waren, keine OO
höhere Aufgabe kannten, als ihren Mitmen‐ OO
schen die Wege zu weisen, auf denen sie hierOO
auf Erden schon das Ziel der Gottver‐ OO
einigung finden können. ‒
.Was mir früher so oft als bizarre gnosti‐ OO
sche Spielerei erschien, zeigt sich nun in OO
einem Lichte, das dem üblichen diskursiven OO
Denken völlig unzugänglich bleiben OO
muß, und ich sehe mit einer gewissen Be‐ OO
schämung für mich und andere ein, wie OO
185 Das Geheimnis
leichtfertig man ‒ durch keinerlei wirk‐ OO
liche geistige Einsicht beirrt ‒ im Dünkel OO
angelernter Phrasen befangen, sich zu einem OO
Urteil berufen fühlt, zu dem alle eigene OO
higkeit der Beurteilung fehlt...
.Wie unsagbar töricht erscheinen mir nach OO
solcher Erkenntnis doch diese Neunmalklu‐ OO
gen, die in ihrer grotesken Überheblichkeit OO
ewiges Mysterium abgetan zu haben wähnen, OO
wenn sie nur die Lehren der wirklich Wissen‐ OO
den nach eigener enger Schulregel zu zer‐ OO
pflücken wußten, um die erhaltenen Fetzen OO
in ihre armseligen Begriffsschatullen einord‐ OO
nen zu können!
.Mir drängt sich da unwillkürlich das Bild OO
eines Affenkäfigs auf, in den ein Spaßvogel OO
einen Spiegel warf, mit dem die possierlichen OO
Tiere schließlich nichts anderes anzufangen OO
wußten, als ihn wütend zu zerkauen, nach‐ OO
dem sie vergeblich versuchten, auf der Rück‐ OO
seite sein Geheimnis zu entdecken und sich OO
immer wieder zähnefletschend darüber ent‐ OO
rüstet hatten, daß ihnen nichts anderes dar‐ OO
186 Das Geheimnis
aus entgegenblickte als ihre eigene Gri‐ OO
masse. ‒ ‒
.Man muß eben schon selbst einen, wenn OO
auch nur schwachen Abglanz ewigen geiOO
stigen Lichtes in sich zu empfinden OO
fähig sein, will man begreifen, daß die OO
hohen Lehren der geistig ErwachtenOO
nicht in die Schablone blickbeengter Groß‐ OO
mannssucht zu pressen sind! ‒
.Es ist wirklich ergötzlich, zu sehen, wie da OO
so mancher Karrenschieber auf dem Gebiete OO
spekulativer Verstandeserkenntnis allen Ern‐ OO
stes zu glauben scheint, die durch SelbstOO
verwandlung geistig Wissenden, von OO
denen wir durch Sie nun Kunde haben, hät‐ OO
ten keine Ahnung von den verschiedenen OO
Täuschungsmöglichkeiten, die den OO
Menschen bei seinem Suchen nach Erkennt‐ OO
nis in die Irre locken können, während das OO
spärliche Erkennen seelischer Zusammen‐ OO
hänge, auf das eine scheinbetörte Experimen‐ OO
tierweisheit heute so stolz ist, wie ich immer OO
mehr sehe, jenen im Geiste Leuchtenden OO
187 Das Geheimnis
schon vor Jahrtausenden nur als BinOO
senweisheit galt, über die sich ihr geisti‐ OO
ges Erkennen um Siriusfernen erhobenOO
hatte...
.Diese drolligen Leutchen leben in einer OO
Kulissenwelt, die sie sich selbst erbauten, OO
und ihre Eitelkeit läßt sie alles nur im benOO
galischen Lichte ihrer TrugschlüsseOO
sehen, so daß sie die Sonne beseitigt zu ha‐ OO
ben wähnen, weil ihre entwöhnten Augen OO
vom Lichte der Sonne nur Blendung er‐ OO
fahren. ‒ ‒ ‒
.Lange genug ließ auch ich mich von sol‐ OO
chen blinden Blindenleitern führen und war OO
ihrer 'Weisheit' froh, obwohl sie mir letzten OO
Endes nur allzu deutlich ihre Enge zeigte, OO
aber ich glaubte damals noch, wie so viele OO
andere in meiner Lage, daß eben restloses OO
geistiges Erkennen dem Menschen nicht zu‐ OO
teil werden könne...
.Sie, lieber junger Freund, haben mich auf OO
diesem Reisewege eines Besseren belehrt! OO
.Ich danke Ihnen!
188 Das Geheimnis
.Aber ich darf Ihnen auch sagen, daß mich OO
nichts mehr zurückhalten wird, den nun OO
kaum betretenen Weg zum Lichte derOO
Ewigkeit auch zu Ende zu gehen, bis ich OO
‒ wenn meine Erdentage es mir noch ge‐ OO
währen ‒ hier, während meines Daseins auf OO
diesem Planeten, das hohe Ziel erreiche, das OO
ich, wie ich nun fühle, hier erreichen kann! OO
.Am allerwenigsten aber werden mich in OO
Zukunft die hohlen Redensarten derer be‐ OO
irren, die ihrer Scheinweisheit froh, nur in OO
leeren Worten zu kramen verstehen und OO
solche Torheit für den Weg zur Erkenntnis OO
halten! ‒”
*
.Der Jüngste der Drei hatte sich erhoben OO
und blickte sinnend über das abendliche OO
Meer, so als ob er die letzten Worte kaum OO
recht beachtet hätte, und man sah es ihm an, OO
daß er zum mindesten den Dank des Freun‐ OO
des überhören wollte.
.Der Weißbärtige aber ließ sich nun also OO
vernehmen:
189 Das Geheimnis
.„Es sind gewichtige Dinge, die uns heute OO
hier beschäftigt haben und unsere Ruhezeit OO
auf dieser herrlichen Insel steht sichtlich OO
unter guten Sternen!
.Was nun mich betrifft, so habe ich den OO
letzten Äußerungen, die da soeben gehört OO
wurden, kaum etwas hinzuzufügen, es sei OO
denn, daß ich wohl noch weit triftigeren OO
Grund zu haben glaube, mir zu wünschen, OO
daß ich nicht eher diese Erde verlassen OO
müsse, als bis auch mir das Ziel sich zu eigen OO
gab, das erst in so vorgerückten Jahren nun OO
vor mir steht.
.Aber ich kann nicht glauben, daß die Fü‐ OO
gung es mir nun als erreichbar zeigt, wenn OO
es mir nicht beschieden wäre, ihm noch ent‐ OO
gegenzuwachsen. ‒
.Hätte ich früher von dem allem auf solche OO
Weise gehört, wie das während dieser Reise‐ OO
tage nun geschah, ‒ wer weiß, ob ich reif OO
gewesen wäre, dem Anruf zu folgen!?
*
190 Das Geheimnis
.Ich muß gestehen, daß ich in jüngeren OO
Jahren mich sehr wohl befand, bei einer OO
Weltanschauung die ich selbst mir zurecht‐ OO
geklügelt hatte, und deren Hintergrund im‐ OO
mer noch die große Abschlußlinie kirch‐ OO
licher Eschatologie: die in früher Jugend so OO
gläubig aufgenommene Lehre von den 'letz‐ OO
ten Dingen' bildete, wie sie mir als eifrigen OO
Bekenner meines anerzogenen Glaubens in OO
den Exerzitien des heiligen Ignatius von Lo‐ OO
yola, die ich unter der Leitung seiner geist‐ OO
lichen Söhne fast jedes Jahr absolvierte, in OO
wahrlich eindrucksstarker Weise entgegen‐ OO
getreten war.
.Weit entfernt davon, heute solche Erzie‐ OO
hung zu bedauern, kann ich vielleicht erst OO
jetzt ganz ermessen, welchen Segen sie, trotzOO
ihrer irrtümlichen Prämissen, in mein Leben OO
brachte, lernte ich doch dabei eine MethoOO
dik des Denkens und eine Zügelung desOO
Fühlens kennen, die zu einer WillensbilOO
dung führten, wie ich sie wahrhaftig so man‐ OO
chem wünschen möchte, der nur die SchatOO
191 Das Geheimnis
tenseiten des Wirkens jener Glaubenseife‐ OO
rer der römischen Kirche kennt. ‒
.Wenn ich dann auch später vieles andersOO
sehen lernte, als es mir damals gezeigt wor‐ OO
den war, so blieb mir doch die straffe GeiOO
stesdisziplin erhalten, die es mir eben so OO
unmöglich machte, mich religiösen Schwär‐ OO
mereien hinzugeben, wie sie mich die Trug‐ OO
schlüsse leerer Spekulation, auch wenn sie OO
noch so verführerisch sich als 'unwiderleg‐ OO
bar' anpreisen mochten, stets gar bald durch‐ OO
schauen ließ.
.Aber im Grunde meiner Seele war eigent‐ OO
lich Resignation...
.Ich stand vor einem großen IgnorabiOO
mus: beschied mich dabei, daß wir über gar OO
vieles niemals etwas wissen könnten, und OO
fand es nur geraten, nach des Dichters Aus‐ OO
spruch: 'das Unerforschliche ruhig zuOO
verehren'...
.Froh, auf solche Art ein gewisses inneres OO
Gleichgewicht wahren zu können, wäre ich OO
sicher kein aufmerksamer Zuhörer gewesen, OO
192 Das Geheimnis
hätte man mir zu jener Zeit von ähnlichen OO
Dingen gesprochen, wie die sind, denen wir OO
jetzt schon so manche Stunde zu weihen uns OO
bestrebten. ‒
.Erst in den allerletzten Jahren, als mir OO
mehr und mehr der Gedanke an ein Ab‐ OO
schiednehmen von der Erde nahetrat, wurde OO
es anders mit mir und ich fand mich gar oft OO
gedrängt, eine Pforte gewaltsam entriegeln OO
zu wollen, hinter der das Geheimnis der letz‐ OO
ten Dinge mir verborgen schien. ‒ ‒
.Da sich eigene Erfahrung mir nicht bie‐ OO
ten wollte, versuchte ich schließlich, mir auf OO
Grund der Erfahrung anderer ein Urteil zu OO
bilden, und so kam es, daß ich mich schon OO
seit geraumer Zeit mit jenen Studien beschäf‐ OO
tigte, deren Erwähnung vor Ihnen die Ur‐ OO
sache all der Eröffnungen wurde, die uns OO
durch Sie, junger Freund, seither geworden OO
sind.
.Auch hier bedauere ich es keineswegs, so OO
viel kostbare Zeit an das Durcharbeiten der OO
Berichte gegeben zu haben, deren wissen‐ OO
193 Das Geheimnis
schaftlich einwandfreie Verfasser mir immer‐ OO
hin Gewähr dafür boten, daß sie sich nicht OO
durch irgendein Gaukelspiel hatten täuschen OO
lassen.
.Aber ich sehe längst nun, daß ich trotz‐ OO
dem auf falscher Fährte war, und daß die OO
Rätsel unserer bleibenden Geistigkeit nieOO
und nimmer durch Experimente mit Som‐ OO
nambulen und 'Medien' lösbar werden.
*
.Auch ich habe den Anfang des rechten OO
Weges nun gefunden!
.Ob ich ihn hier noch auf Erden bis zum OO
Ziele durchschreiten darf, mag höheren OO
Mächten zu wissen vorbehalten bleiben! ‒ OO
.Einstweilen danke ich der geheimnisvol‐ OO
len Führung, die uns auf dieser Reise Ge‐ OO
legenheit werden ließ ‒ wenn auch noch OO
wie aus weiter Ferne ‒ die ersten Strahlen OO
ewigen Lichtes in uns wahrzunehmen.
.Ich fühle, daß der, dem es hier oblag den OO
Schleier der uns so viel verborgen hielt ein OO
wenig zur Seite zu ziehen, es ablehnt, unse‐ OO
194 Das Geheimnis
ren Dank entgegenzunehmen, aber das kann OO
mich nicht hindern, ihm dennoch im Herzen OO
zu danken, und wenn er selbst sich nur 'Schü‐ OO
ler' nennt, so möge er uns der Obhut derer OO
empfehlen, die er selbst als Meister ver‐ OO
ehrt! ‒ ‒ ‒”
*
.Und der Jüngere antwortete und sprach: OO
.„Hier habe nur ich zu danken, daß ich OO
Werkzeug werden durfte in der Hand einer OO
hohen Führung, die Sie mir nahebrachte und OO
Gelegenheit schuf, von dem wenigen zu ge‐ OO
ben, das ich selber geben kann!
.Doch bedarf es nun meiner nicht mehr, OO
wenn Sie willens sind, sich auch weiter, und OO
nun beiläufig Ihres Tuns bewußt, der glei‐ OO
chen hohen Führung anzuvertrauen, von der OO
Sie wissen, daß auch ich ihr mein Erkennen OO
danke.
.'Bittet, und ihr werdet empfangen! OO
.Suchet, und ihr werdet finden!
.Klopfet an, und es wird euch aufgeOO
.tan!'
195 Das Geheimnis
.Der einst so zu seinen Zeitgenossen zu OO
sprechen wußte, ist auch heute noch derOO
Erde nicht fern, und die wenigen, von OO
denen ich Ihnen als von den 'LeuchtendenOO
des Urlichtes' sprach, kennen ihn als ihren OO
Bruder in seiner Geistgestalt, in der er stetig OO
bei den Menschen der Erde ‒ im geistigenOO
Lebenskreis der Erde ‒ bleibt, bis auch OO
der letzte der Geistesmenschen, die sich hier OO
dem Menschentiere übergeben müssen als OO
Folge ihres 'Falles' aus hohem Leuchten, den OO
Erdenleib wieder verlassen hat...
.Wer ihn zu 'rufen' weiß durch Tat undOO
Leben, dem ist er nah, wie so mancher an‐ OO
dere seiner Brüder, die in gleicher Weise OO
bei der Erde bleiben, obwohl sie längst den OO
Erdenleib verlassen haben!
*
.Es ist nicht nötig, daß man von dem DaOO
sein dieser geistigen hohen Helfer wisse, um OO
ihre Hilfe zu erhalten, und es ist nicht nötig, OO
daß man in Worten sich zu dem bekennt, OO
den sie den 'großen Liebenden' nennen OO
196 Das Geheimnis
und in dem ein großer Teil der Menschheit OO
seinen Erretter sieht. ‒
.Gar viele erhielten solche hohe Hilfe, die OO
weder den Namen dieses ErhabenenOO
kannten, noch von seinen geistigenOO
Brüdern wußten, denn was hier alleinOO
gefordert wird, ist ein 'Glaube', der sich OO
durch die Tat bezeugt und an kein BeOO
kenntnis religiöser Meinung ausOO
schließlich gebunden ist!
*
.Gewiß wird solches gewisses Wissen von OO
allen denen 'verdammt', die den Wahn er‐ OO
halten möchten, als sei nur durch die Bin‐ OO
dung an die von ihnen ersonnenen Glau‐ OO
bensformeln das Heil zu erlangen, aber der OO
ewige Geist, dem jene zu dienen glauben, ist OO
ihrer 'Verdammung' noch weiter entrückt, OO
als ihrem 'Segen', den sie in seinem Na‐ OO
men allein zu spenden sich berechtigt wäh‐ OO
nen! ‒
.Es hindert aber auch solche Bindung OO
nicht, daß dennoch auch die Gebundenen OO
197 Das Geheimnis
die gleiche hohe Hilfe erfahren können, OO
und es bleibt wahrlich ohne jede BedeuOO
tung, wen sie als ihren Helfer verehren zu OO
müssen glauben! ‒
.Das gläubige Volk dieser Insel hier betet OO
heute zu seinem Heiligen; aber wer auch OO
immer der so Gemeinte auf Erden gewesen OO
sein mag ‒ ob sein Leben und Tun Ver‐ OO
ehrung verdiente oder nicht ‒ so wird doch OO
die durch Tat und Leben wirksam gewor‐ OO
dene Bitte die wahren geistigen hohen Hel‐ OO
fer erreichen, ‒ nicht anders, als wenn der OO
Scheich der Wüste zu Allah sein Herz erhebt, OO
oder der fromme Hindu zu irgendeiner Gott‐ OO
heit seines uns Abendländern so grotesk er‐ OO
scheinenden Pantheons. ‒ ‒
.Ja, selbst der Wilde in seinem Fetischtem‐ OO
pel kann die gleiche Hilfe erhalten, wenn er OO
nur durch all sein Tun die Vorbedingungen OO
erfüllt, soweit sie bei seiner Erkenntnis‐ OO
fähigkeit ihm zu erfüllen möglich wer‐ OO
den. ‒ ‒ ‒
*
198 Das Geheimnis
.Dies ist im eigentlichsten Sinne die OO
'frohe Botschaft', die einst der MeisterOO
von Nazareth der Menschheit brachte; OO
aber noch heute wird man gar selten einem OO
Menschen begegnen, der sie verstand! ‒
.Auf der einen Seite wurde alles Geistige, OO
davon diese Botschaft Kunde brachte, immer OO
mehr von der Erde losgelöst und zu we‐ OO
senlosem Nichts über Wolkenhöhen ver‐ OO
flüchtigt, während man auf der anderen den OO
Geist so sehr der Materie zu amalgamieren OO
suchte, daß man es schließlich gar nicht OO
mehr merkte, wenn man nur noch MateOO
rie in Händen hielt. ‒ ‒ ‒
.Wer aber den Geist in sich finden will, OO
der bleibe sich bewußt, daß er ihn nur der OO
Materie gleichgeformt zu finden vermag, OO
aber weder in Materie versunken, noch OO
über allem Materiellen, in erträumter we‐ OO
senloser Vorstellung!
*
.So auch kann der Geist, solange er noch OO
nicht dem eigenen Bewußtsein des Men‐ OO
199 Das Geheimnis
schen sich einte, niemals des Menschen Be‐ OO
wußtsein anders erreichen, als indem er die OO
Möglichkeit schafft, daß das ihm noch nichtOO
geeinte Bewußtsein empfindend teilzunehOO
men vermöge am inneren Lichtesleben eines OO
Menschenbewußtseins, das bereits dem OO
Geiste vereinigt ist! ‒ ‒ ‒
.Diese dem Geiste restlos VereinigtenOO
auf unserer Erde, sind aber jene wenigen OO
Männer zu jeder Zeit, von denen ich sprach, OO
als von des Urlichtes Leuchtenden!
.Nicht dadurch, daß man einen, oder sie OO
alle kennenlernt, kommt man ihnen nahe, OO
denn dieses Nahekommen hängt wederOO
ihrerseits noch unsererseits von freier OO
Willkür, von persönlichen Wünschen ab, OO
‒ sondern nur die eigene, durch TatOO
und Leben bewirkte innere EinstelOO
lung entscheidet, ob man an ihrem geist‐ OO
geeinten Bewußtseinsleben teilzunehmen OO
vermag, oder nicht! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Wer aber fähig wurde ‒ wenn auch nur OO
in leisester Erahnung ‒ daran teilzuneh‐ OO
200 Das Geheimnis
men, den könnte auch kein Gott daran ver‐ OO
hindern; und je mehr er sich in solcher OO
Fähigkeit zu befestigen vermag, desto OO
mehr wird ihm Kraft aus jener geistigen OO
Sphäre kommen, in der das dem Gottesgeiste OO
geeinte Bewußtsein dieser Meister des Er‐ OO
kennens ruht; je mehr wird ihm Hilfe zuteil OO
aus jenen Strömen geistiger Allgewalt, in OO
denen ihr Wille ewig wirkend nach dem Ge‐ OO
setz des Geistes waltet! ‒ ‒ ‒
*
.Wer dies einmal erkannte, ist schon weit OO
vorangekommen auf seinem Wege, der ihn OO
zur Einheit im Geiste in sich selberOO
führen soll!
.Er wird eben so weit davon entfernt sein, OO
diese 'Leuchtenden' für irre Sektierer und OO
tolle Schwärmerseelen zu halten, wie er sich OO
wahrlich hüten wird, in ihnen entmenschte OO
Halbgottwesen oder eitle Zauberer zu ver‐ OO
muten! ‒ ‒
.Ich habe nun Sie, liebe Freunde, unter das OO
'Kraftfeld' dieser hohen Hilfe gestellt...
201 Das Geheimnis
.Mehr vermag ich nicht, aber mehr ver‐ OO
möchte auch einer derer nicht, von denen OO
ich hier sprach, und denen ich all mein Er‐ OO
kennen danke!
.Von Ihnen allein hängt es nun ab, OO
welche Kräfte Sie aus diesem geistigen 'Kraft‐ OO
feld' gleichsam einzusaugen wissen! ‒ OO
‒ ‒
.Dann danken Sie 'Gott', der in IhnenOO
selbst, wie in einem Tabernakel einge‐ OO
schlossen ruht, für die Gnade, die Ihnen OO
werden mag; aber nicht mir, der ich nur OO
Anstoß werden durfte, Ihren Willen zu OO
wecken! ‒”
*
.Die Klippen, die nahe der Küste aus dem OO
Meere ragten, lagen lange schon in opal‐ OO
farbenem Duft und nur der letzte Wider‐ OO
schein des Tages ließ noch Licht und Schat‐ OO
ten auf ihnen erkennen.
.Über den Häuptern der drei Freunde fun‐ OO
kelten bereits die ersten Sterne, als man nun OO
endlich sich entschloß, die geheiligte Stätte OO
202 Das Geheimnis
zu verlassen, um wieder den Pfad zurück‐ OO
zuverfolgen, der nach der kleinen Stadt auf OO
dem Rücken der Insel führte.
.Es war bereits völlig dunkel geworden, be‐ OO
vor die Wanderer das Haus der Fremden er‐ OO
reichten, das ihnen jetzt für die nächsten OO
Tage Heimstätte war.
.Hier nahm man nun seine Abendmahlzeit OO
ein, aber da man nachher noch nicht recht OO
zum Schlafe sich bewogen fühlte, doch auch OO
nicht von neuem die tiefen Dinge berühren OO
wollte, die heute bei der Mithrasgrotte zur OO
Sprache gekommen waren, so begab man sich OO
zu der kleinen Piazzetta, allwo das Inselvolk OO
und seine Gäste wie in einem Festsaal pro‐ OO
menierte und sich der heiteren Weisen freute, OO
die eine muntere Kapelle zum besten gab.
203 Das Geheimnis
DIE FAHRT AUF DEM MEERE
NACHDEM die Festesfreude der fröh‐ OO
lichen Inselbewohner wieder alltäg‐ OO
lichem Werke gewichen war, fanden sich die OO
drei Freunde in einer stillen Gottesruhe, die OO
ihnen alles gab, was sie hier für ihre durch OO
stetes Schauen ermüdeten Nerven zu suchen OO
gekommen waren.
.In jeder Morgenfrühe erblickten sie wie‐ OO
der das weithin glänzende Meer, das kaum OO
die Strahlenfülle mehr zu fassen schien, die OO
aus dem leuchtenden, unermeßlichen Raume OO
über ihm herabgeflutet kam ohne Unterlaß. OO
.Was Wunder, wenn in den Herzen zuletzt OO
der Wunsch sich regte, auf diese Lichtsee OO
einmal noch hinauszufahren, um in Sonnen‐ OO
helle durchstrahlt, das Eiland zu umkreisen, OO
bevor man von ihm dauernd Abschied nahm. OO
*
.An einem frühen Morgen war man auf OO
langen Schlangenwegen hinabgewandert zum OO
Strande, wo schon die Schiffer warteten mit OO
einer geräumigen Barke, die man des Tages OO
zuvor für diese Fahrt gemietet hatte.
207 Das Geheimnis
.Was man für des Lebens Notdurft brauchte OO
an diesem Tage ‒ sowohl für die Freunde OO
selbst als auch für ihre Ruderer bemessen ‒ OO
war allbereits schon vorher durch einen Bo‐ OO
ten herabbefördert worden und ruhte wohl‐ OO
verwahrt und vor der Sonne späterer Glut OO
geschützt im Kielraum des schweren Ruder‐ OO
bootes.
.Ein mächtiger Segler kreuzte vor dem klei‐ OO
nen Inselhafen, als man nun hinausfuhr auf OO
das offene Meer, und seine gelben Segel bläh‐ OO
ten sich im frischen Morgenwinde.
.Gigantisch türmten sich die hohen, röt‐ OO
lichen Felsenschroffen, die droben, in OO
lichtes Grün gebettet, weiße Villen trugen, OO
die kaum Halt zu finden schienen und von OO
hier aus wie die Spielzeughäuser der Kinder OO
wirkten.
.In weitem Bogen hatte man erst die Fel‐ OO
senwände umfahren, um so den gewaltigen OO
Anblick aus einiger Ferne genießen zu OO
können.
.Dann aber hielten sich die Ruderer der OO
208 Das Geheimnis
Insel näher, so daß aufs deutlichste die Bil‐ OO
dung des Gesteins mit den Augen zu grei‐ OO
fen war.
.Zuerst durchfuhr man nun die wenig OO
breite Meeresstraße, die das Festland von OO
der Insel schied.
.Drüben am Festland zog sich in edelstem OO
Rhythmus eine Kette mäßig hoher Berge in OO
die Ferne, über die vereinzelt höhere Gipfel OO
ragten.
.Die ganze Festlandsküste war noch in OO
einen Schleier zarter Dünste gehüllt, der sie OO
in mannigfachen pastellweichen Tönen, von OO
lichter Rosenfarbe bis zu sanftem hellen OO
Blau, herüberschimmern ließ.
.Hier, wo man nun selbst im Boote saß, OO
zeigte sich zum nicht geringen Erstaunen OO
das leuchtend grünblaue Meer von solcher OO
Klarheit in der Durchsicht, daß man den OO
Grund mit seinen Steinen und mancherlei OO
Tanggewächsen derart scharf erkennen OO
konnte, als blicke man in völlig leere Tiefe, OO
und fast empfand man es leise unbehaglich, OO
209 Das Geheimnis
daß die Barke gleichsam wie in leerem OO
Nichts über solchem Abgrund schwebte.
.In weitester Ferne lagerten über dem OO
Meere ein paar dünne blaßviolette Wolken‐ OO
streifen als die letzten Zeugen der ent‐ OO
schwundenen Nacht, fast aufgesogen im ro‐ OO
sigen Morgenlicht, das sich darüber bereits OO
in goldene Helle wandelte, um allmählich in OO
größerer Höhe lichtestem Gelbgrün und OO
schließlich dem leuchtendsten Türkisblau OO
sich zu einen.
.Man muß solche Morgenfrühe auf süd‐ OO
lichem Meere selbst erleben, um ihre Schön‐ OO
heit zu erfassen! ‒ ‒
*
.Die Barke der drei Freunde hielt sich nun OO
immerfort dicht an der Inselküste.
.Hochragende Felsbastionen wechselten da OO
mit schroffen Schluchten und zuweilen wei‐ OO
teten sich steile Mulden, in denen lichte Öl‐ OO
haine und Zitronengärten, Orangengehege OO
und Myrtensträucher nahezu das Meer er‐ OO
reichten.
210 Das Geheimnis
.Die hohen Klippen nahe dem Ufer, die OO
man sonst nur von der Insel aus bewundert OO
hatte, bildeten jetzt ein mächtiges Tor, und OO
die Schiffer ließen es sich nicht nehmen, OO
das Boot durch dieses Felsengewölbe zu OO
steuern.
.Nun erblickte man auch deutlich die Stelle OO
der Mithrasgrotte, bei der man zuvor, an OO
jenem Abend so folgenreiche Mitteilung er‐ OO
fahren hatte.
.Mit Sicherheit erkannte man zugleich den OO
steilen Pfad, auf dem einst in alter Zeit die OO
Mysten, vom Meere kommend, das Heilig‐ OO
tum erklommen haben mochten.
.Noch wenige Ruderschläge, und man ge‐ OO
wahrte, hoch oben über weitem, fruchtbaren OO
Tal, auf der Sattelhöhe die helle Stadt ‒ OO
nun von der anderen Seite zu sehen, während OO
man sie noch am Morgen über dem kleinen OO
Hafen sich erheben sah.
.Nachdem sie von der Hafensiedelung aus OO
allmählich emporzuwachsen schien, lag sie OO
hier wie eine Zinnenkrone auf der Höhe der OO
211 Das Geheimnis
Einbuchtung, zur Linken von dem höchsten OO
Bergrücken der Insel beschützt, zur Rechten OO
nur von mäßigen Anhöhen überragt.
*
.Die drei Freunde hatten bisher nur all OO
dem Schönen, das ihre Augen sehen durften, OO
sich willig hingegeben, und die Schiffer ‒ OO
nicht wenig stolz auf ihre herrliche Heimat OO
‒ wurden nicht müde, Erklärungen zu OO
äußern, oder auf besondere Schönheiten OO
hinzuweisen.
.Längst tropfte den Beiden der Schweiß OO
von der Stirne und man merkte es ihnen an, OO
daß sie nicht ungern ein wenig ausgerastet OO
hätten, bevor der größere Umkreis der Insel OO
noch umfahren werden sollte.
.Unweit der Stelle, an der man sich jetzt OO
befand, gab es eine kleine Anlegestelle für OO
die Fischerboote.
.Einige pittoreske, niedere Häuser um‐ OO
säumten die kleine Bucht, und am Strande OO
sah man ausgespannte Netze in der Sonne OO
trocknen.
212 Das Geheimnis
.Dorthin ließen die Reisenden die Barke OO
nun lenken, und als sie ans Land gestiegen OO
waren, freuten sie sich schließlich selbst OO
daran, für einige Zeit dem reglosen Sitzen OO
im Boot entronnen zu sein und auf fester OO
Erde die Glieder gebrauchen zu können.
.Man freute sich auch der Jugend, die hier OO
ihren Badeplatz fand und allerlei Taucher‐ OO
künste zeigte, sah ein wenig den Fischern OO
zu, die ihr Gerät schon für den Fang der OO
nächsten Nacht in Ordnung brachten, und OO
erquickte sich schließlich, zusammen mit OO
dem Brüderpaar der Ruderer, an einigen OO
saftigen Früchten aus dem Vorrat, den man OO
im Boote mitgenommen hatte.
.Bald aber war man wieder ausgefahren, OO
sah nur von Ferne noch die kleinen Fischer‐ OO
häuser, und die mählich höher gehenden OO
Wogen trugen die Barke gleitend wieder ge‐ OO
waltiger Felswand entlang, die nur zuzeiten OO
durch enge Spalten und farbenschimmernde OO
Grotten unterbrochen wurde, den westlichen OO
Abstürzen zu.
213 Das Geheimnis
.Francesco, der jüngere der beiden Ru‐ OO
derer, wußte auf dieser Seite der Insel, die OO
jetzt im Schatten der hohen Felsen und des OO
darüber ragenden Berges lag, einen Ruhe‐ OO
platz, der auch seinem älteren Bruder gewiß OO
nicht unbekannt war, den er aber in den OO
höchsten Tönen rühmte, als sei er seine Ent‐ OO
deckung.
.Dort wollte man Mittagsrast halten und OO
lange verweilen, um erst, wenn die Sonne OO
den Berg überstiegen hätte und nahe dem OO
Meere wäre, den letzten Teil der Fahrt als OO
Heimweg anzutreten.
*
.Die Ruderer aber mußten sich gar gewal‐ OO
tig mühen, um den Wogen zu begegnen, und OO
es war nötig, weit ab in freies Meer zu steu‐ OO
ern, auf daß man nicht allzunahe bei den OO
niederen Riffen blieb, die hier wie ein spitzer OO
Zaun die hohen Felsenmauern umgaben.
.Endlich aber glaubten die beiden Brüder OO
die Zeit gekommen, um den Kurs der OO
Barke wieder nach der Insel zu richten, OO
214 Das Geheimnis
und nun hielten sie den Kiel scharf auf OO
einen hellen Fleck, den man am fernen Ufer OO
gewahrte.
.Näher gekommen, entdeckte man eine OO
seichte Bucht, an der keine Brandung auf‐ OO
kommen konnte, und über mächtiger, weiß‐ OO
gewaschener Steinhalde gab es eine idyllische OO
Rasenterrasse mit Myrtengesträuch, tief‐ OO
dunklem Lorbeer, Eukalyptus- und Ölbäu‐ OO
men bestanden: ‒ so recht ein Ort, der zum OO
Verweilen lockte.
.Bald war die Barke nun auch von einer OO
geschickt benützten Woge ans Land gewor‐ OO
fen worden, und nachdem sich Reisende wie OO
Ruderer der Mühe unterzogen hatten, sie OO
aus dem Bereiche des Meeres herauf auf die OO
Halde zu ziehen, durfte man ihrer nun sicher OO
sein und konnte über das Steingeröll empor OO
zum eigentlichen Rastplatz steigen.
.Die beiden Schiffer brachten noch die OO
Körbe mit Speise und Trank, ließen sich ge‐ OO
ben, was man für sie mitgenommen hatte, OO
und kehrten zurück zu ihrem Boote, um OO
215 Das Geheimnis
dort zu essen und zu ruhen, so daß sich die OO
Reisenden kaum zu erklären vermochten, OO
weshalb dieselben Menschen, die sie hierher OO
geleitet hatten, als an einen Ort, dem beson‐ OO
dere Schönheit innewohne, doch dieses Ortes OO
Schönheit nicht genießen mochten.
.Aber hier zeigte sich nichts anderes, als OO
jener wundervolle Takt, der auch den ein‐ OO
fachsten Sohn des Südens dem ihn verstehen‐ OO
den Fremden liebenswert macht.
*
.Gewiß findet sich in den großen Städten OO
auch das übelste Pack, aber wo noch der OO
Rasse Adel rein sich wahren konnte, dort OO
trägt auch der Ärmste seine Armut in Lum‐ OO
pen noch als Fürst, und die Hoheit seiner OO
inneren Würde wird besonders bewunderns‐ OO
wert, weil er in jeder Lage fühlt, was seinerOO
Stellung ziemt, und bei aller Freiheit OO
der Gebärde niemals aus der Rolle fällt, die OO
ihm sein Schicksal einmal zuerkannte im OO
Getriebe dieses Erdenlebens...
.So wußten auch die beiden Brüder gar OO
216 Das Geheimnis
wohl, daß jetzt die Reisenden doch am lieb‐ OO
sten unter sich zu sein wünschen mußten, OO
und so gerne sie auch selbst auf dem gleichen OO
Rasen sich ausgestreckt hätten, wie sie es oft‐ OO
mals wohl schon getan, wenn sie mit Weib OO
und Kind an einem Festtag hier verweilten, OO
so wäre es heute ihnen doch wie ein Sakrileg OO
erschienen, wie ein Vergehen, das stets an OO
ihnen haften bleiben würde. ‒
*
.Das Mahl hatte trefflich gemundet und OO
wenn auch hier auf dieser Insel kein kla‐ OO
rer Quell zu finden war, so hatte doch die OO
Erde köstliche Frucht gegeben, die nach des OO
Mahles Würze auch den Durst noch stillen OO
konnte. Daneben gab es noch den Saft der OO
Rebe dieser Inselhänge der allerdings von OO
so feuriger Artung ist, daß er das Wasser OO
nicht gut ersetzen kann. ‒
.Nachdem man dann längere Zeit sich der OO
Ruhe überlassen hatte, nahm der Jüngste OO
der Drei das Wort und sprach:
.„An einer sehr ähnlichen Stelle wie dieser OO
217 Das Geheimnis
hier an der wir lagern, ward mir einst un‐ OO
vergeßliche, hohe Belehrung.
.Es war auf der Reise in den Orient, die OO
mir mein Vater gewährte, bevor ich meinen OO
neuen Wirkungskreis betrat.
.So wie hier, befand ich mich auf einer OO
Insel, so wie hier, im Angesicht des MeeOO
res, und so wie hier, lagerte man zwischen OO
Myrtengebüsch und Lorbeer, wenn auch das OO
Gras weit dürftiger war und nicht die Fülle OO
der Blumen zeigte, die hier uns umgeben.
.Damals sollte ich meinen Guru unver‐ OO
hofft wiedersehen und es waren recht selt‐ OO
same Umstände, unter denen er mir aufs OO
neue begegnet war.
.Doch das alles läßt sich auch an einem OO
Winterabend, wenn der Sturm heult und den OO
Schnee an die Fenster peitscht, beim Kamin‐ OO
feuer zu Hause erzählen, nachdem wir jetzt OO
in so nahem, verstehendem Verhältnis uns OO
fanden. ‒
.Was mir aber soeben in Erinnerung kam, OO
betrifft vielmehr die Lehre, die mir in jenen OO
218 Das Geheimnis
Tagen wurde, und die vielleicht doch noch OO
erörtert werden dürfte, um das zu vollenden, OO
was unser Zusammensein bisher so ersprieß‐ OO
lich werden ließ.”
.„Ich weiß nicht, was Sie uns heute brin‐ OO
gen wollen”, fiel der Älteste ins Wort, „aber OO
ich glaube, wir beiden Senioren dieses Krei‐ OO
ses sind uns einig darüber, daß wir durch OO
Sie nur gewinnen können, und was Sie uns OO
auch noch zu sagen haben, wird aufnahme‐ OO
bereite Hörer finden!”
.„Das will ich meinen”, ergänzte der in OO
sichtlichem Wohlbehagen strahlende „Aba‐ OO
te” und fuhr dann fort: „Es ist ja schier un‐ OO
begreiflich, was Sie aus uns beiden, alten OO
Köpfen schon zu machen wußten in dieser OO
kurzen Zeit, seitdem Sie endlich Ihr Visier OO
geöffnet haben! ‒ ‒
.Fast könnte ich es Ihnen verargen, daß OO
Sie vorher so oft mit uns zusammen waren OO
und stets vor uns 'Profanen' Ihr Geheimnis OO
wahrten!
.Wir müssen wirklich in Ihren Augen gar OO
219 Das Geheimnis
arge 'Skeptiker' gewesen sein, aber Sie wis‐ OO
sen doch, daß Skepsis und Mystik in recht OO
nahem verwandtschaftlichem VerhältOO
nis stehen! ‒
.Wer nicht sein Teil Skepsis in sich trägt, OO
wird ja gar kein Bedürfnis haben, etwa OO
wissen zu wollen, was hinter dem Vorhang OO
vorgeht, an dessen Bildwirkerei er zu glau‐ OO
ben angehalten wird...
.Aber, wie Sie gesehen haben, sind wir OO
'Skeptiker' doch nicht so unverbesserlich, OO
wie Sie vielleicht geglaubt haben mochten! OO
.All unsere Skepsis ist ja nichts anderes ge‐ OO
wesen, als verkappte Sehnsucht, glaubenOO
zu können; nur wird einem das Glauben OO
können heutzutage höllisch schwer ge‐ OO
macht!
.Freilich, wenn man dann, wie bei Ihnen, OO
plötzlich sieht, daß hinter all diesen Glau‐ OO
benspostulaten jeweils eigentlich eine unum‐ OO
stößliche, wenn auch noch so ungeschickt OO
formulierte Wahrheit steckt, dann merkt OO
man schon auf, und weist die Konklusionen OO
220 Das Geheimnis
des rationalistischen Denkens in ihre gehöri‐ OO
gen Schranken! ‒ ‒
.Aber, wem wird denn heutzutage solche OO
Belehrung zuteil?! ‒
.Die Mehrheit lebt doch geradeso dahin, OO
wie es eben die äußeren Umstände zulassen OO
mögen, kümmert sich nicht um Tod und OO
Teufel, und läßt schließlich auf sich be‐ OO
ruhen, was sie nicht enträtseln kann.
.Wenn man so richtig aufzunehmen wußte, OO
was Sie uns in dieser Reisezeit zu geben OO
hatten, dann greift man sich ja an den Kopf OO
und faßt es nicht, daß die Menschheit in sol‐ OO
cher Tarantelsucht sich um ihre eigene Achse OO
dreht und dabei niemals ahnt, daß sie sich OO
selbst gebannt hält auf dem gleichen Fleck! OO
.Warum wissen unsere Kinder nicht schon OO
von dem allem! ‒ ‒ ‒
.Muß denn wirklich jede neue Generation OO
das 'Einmaleins' für sich von neuem zu OO
entdecken suchen??
.Doch ich merke, daß ich da selbst jetzt OO
ins Reden komme, und bitte um Vergebung, OO
221 Das Geheimnis
denn ich erwarte ja weiter nichts, als daß OO
unser jüngerer Freund, dem soviel ErfahOO
rung wurde, uns auch fernerhin belehrt! ‒” OO
*
.Die Sonne war mittlerweile hinter dem OO
Bergesrücken erschienen, war mehr und OO
mehr hervorgerückt, hatte die andere Seite OO
der Insel umwandert, ihren Höhepunkt über‐ OO
schritten, und sehnte sich sichtlich nun hin‐ OO
ab ins Meer, obwohl sie noch hoch genug OO
stand, um nicht allsobald befürchten zu las‐ OO
sen, daß sie das Meer verschlingen könne. OO
.Dennoch fingen ihre Strahlen schon an, OO
ins Gelb des frühen Abends sich zu wandeln, OO
und mählich mischten sich auch rosenrote OO
Töne ihrem Lichte, so daß die ferne Weite OO
immer mehr in lichtem Farbenschmelz er‐ OO
glühte und auch die Nähe warmer Farbe OO
Sättigung erfuhr.
.Das Auge trank solche Schönheit in vol‐ OO
len Zügen und man wunderte sich nur, wie OO
man den grauen Alltag nördlicherer Breiten OO
sonst auszuhalten fähig war...
222 Das Geheimnis
.Es mußten doch wahrlich nur einst die OO
Tapfersten gewesen sein, die sich erkühn‐ OO
ten, solche unwirtliche Gegenden sich aus‐ OO
zusuchen, ‒ wenn es nicht vielleicht die OO
Ärmsten waren, die lieber noch der Unbill OO
sonnenarmer Sommer sich ergeben wollten, OO
als weiter Hörige zu sein der Reichen, die OO
des Südens Üppigkeit nur eigener Genuß‐ OO
sucht dargeboten wähnten. ‒ ‒
*
.So mochten mancherlei Gedanken in den OO
Gehirnen der drei Freunde sich kreuzen, als OO
nach einer kleinen Pause doch der Jüngste OO
der Drei das Wort nahm und also seine Rede OO
formte:
.„Seht, liebe Freunde, ich komme mir oft OO
recht unerfreulich vor, wenn ich nur stets OO
als Lehrender, Ihnen, den so viel älteren OO
entgegentrete. Sie nennen mich selbst Ihren OO
jungen Freund und daraus glaube ich OO
doch entnehmen zu müssen, daß Sie die OO
Jahre, die von Ihnen mich trennen, gleich‐ OO
sam als Entschuldigung gelten lassen, OO
223 Das Geheimnis
für vieles, was Ihnen an mir absonderlich OO
erscheint, obwohl Sie jetzt wissen, daß OO
diese vermeintliche 'Absonderlichkeit' ihre OO
Gründe hat! ‒ ‒”
.Doch, wie aus einem Munde ließen die OO
Älteren sich vernehmen und bekundeten OO
entschieden, daß sie es nur als Ehre betrach‐ OO
ten wollten, wenn der Jüngere sich zu ihnen OO
rechnen möge, und daß sie ihn stets nur des‐ OO
halb als soviel jünger empfinden müßten, OO
weil sie sich selbst fast für zu alt, der‐ OO
gleichen Umstellung des Denkens gegen‐ OO
über, gehalten hätten. ‒ ‒
*
.Darauf nahm wieder der Jüngste das Wort OO
und seine Stimme war von tiefster Ergriffen‐ OO
heit bewegt:
.„O Freunde, wie sehr bedingt sind doch OO
die Begriffe 'Jugend' und 'Alter', und wie OO
wenig haben sie im Geistigen zu be‐ OO
deuten!
.Dort gilt als 'Alter' nur jene Zeit, die der OO
geistige Mensch der Ewigkeit bereits durch‐ OO
224 Das Geheimnis
laufen hat seit jenem Tage, der ihm den ImOO
puls zur Rückkehr in seine UrheimatOO
gab.
.An Erdenjahren erheblich jünger als OO
Sie Beide, dürfte ich doch hier im GeisteOO
der 'Ältere' sein, denn sonst wäre mir nicht OO
geworden, was mir ward. ‒ ‒
.Nun ist es mir Pflicht, Sie zu belehren, OO
auch wenn ich mir wahrlich nicht etwa OO
als 'Lehrer' verdienstvoll erscheine! ‒ OO
‒ ‒
.Auch lehre ich Sie ja gewiß nichts, das OO
etwa mir mehr als seine Formung danken OO
würde, und gebe Ihnen nur weiter, was ich OO
einst selbst empfing.
.So möchte ich Ihnen denn heute von eini‐ OO
gem reden, das ich an ähnlicher Stätte einst OO
erhalten habe, und wenn Sie gesonnen sind, OO
mir zuzuhören, so werden Sie manches er‐ OO
fahren, was ich seither noch nicht in meine OO
Rede zu fügen wußte.
.Die Dinge, denen wir auf dieser Reise OO
Worte schaffen, lassen sich ja aus gar mannig‐ OO
225 Das Geheimnis
fachen Perspektiven betrachten, und so OO
ergibt sich aus jedem neuen Standpunkt OO
stets ein neues Bild! ‒ ‒
.Was ich aber heute Ihnen sagen möchte, OO
knüpft dennoch an Früheres an und soll OO
Ihnen nur noch besser erläutern, was ich OO
schon vorher Ihnen sagen durfte. ‒ ‒
.Ich will den Meister selber sprechen las‐ OO
sen, so wie er zu mir einst sprach, als ich auf OO
südlicher Insel ihm erneut begegnet war und OO
er sich meiner Seele offenbaren wollte...
.Aus meinem Tagebuche nehme ich die fol‐ OO
genden Worte:
*
.'Ferne sind uns hier der westlichen Welt OO
verderbliche und schrankenlose Gelüste!
.Ferne bleibt uns, was Deiner Ahnen Enkel OO
als die Wohlfahrt ihres Lebens ersehnen OO
mögen! ‒
.Auf diesem Eiland, das uns trägt, atmen OO
jetzt nur wir zwei allein, denn nur wir OO
beide atmen bewußt! ‒
.Wir allein suchen uns Rechenschaft zu OO
226 Das Geheimnis
geben, von dem, was etwa ein höheres SeinOO
in uns zu sehen vermöchte...
.Und so frage ich dich denn, ‒ Du, OO
den meine Seele liebt, ‒ wie vermagst OO
Du Dich selbst zu empfinden, ohne zu er‐ OO
schrecken ‒ vor Deiner Seele unermeßlicher OO
Weite!? ‒ ‒ ‒
.Doch, Du antwortest mir:
.„„Die vor mir waren, ach, sie waren ge‐ OO
wiß nicht anders als ich, und sie wußten bes‐ OO
ser als mancher, der uns heute begegnet, des OO
Lebens Herren zu werden!
.Was soll es mir, mich nun über alle Frühe‐ OO
ren zu erheben, und mich in einer Hoheit zu OO
empfinden, die mir gewiß nichts nütze ist, OO
wenn ich heute diese Erde für immer ver‐ OO
lassen muß?!””
.Aber ich habe Dir anderes zu sagen und OO
Du wirst mich also sprechen hören:
.Gar töricht erweisest Du Dich, mein OO
Freund, wenn Du in solcher Denkart Dich OO
gefangen geben willst!
.So sprechen nur enge Herzen und erdOO
227 Das Geheimnis
gebundene Seelen, doch Dich sah ich weiOO
ter blicken bereits, und es waren entlegeOO
nere Fernen, die ich Dich mit Adlerblick OO
erfassen lehrte!
*
.Wohl bist Du ein verweslich Tier, ein OO
Leichnam, der nur Dünger dieser Erde sein OO
kann, wenn Du dieser Erde unerbittliches OO
Gesetz zum Herrscher über Deine Seele OO
werden lässest!
.Aber ich will Dich anderes lehren, und OO
geloben sollst Du mir, Dich niemals von der OO
Erde niederen Kräften gängeln zu lassen, ob‐ OO
wohl Du diese Erde auch niemals verachOO
ten sollst, da nur in dieser Erde Leib OO
Dir die Erlösung werden kann, solange OO
Du noch dieser Erde Dasein tragen mußt! OO
‒ ‒ ‒
.Ich will Dich lehren, der Erde Kleid zu OO
Cherubsflügeln zu wandeln; ‒ ich will OO
Dich lehren: aus der Erde Kraft Dich zu den OO
Sternen zu erheben! ‒
.Wir wollen selbander schreiten und Du OO
228 Das Geheimnis
wirst bald erkennen, daß ich Dir Wege zeige, OO
die Du gewiß vor meiner Weisung noch OO
nicht kanntest, aber ich will Dir auch zeigen, OO
wie man solche Wege betritt, und wie man OO
sie bis zum höchsten Ziele zu durchschreiten OO
vermag! ‒ ‒ ‒
.Weshalb wären wir uns nahegekommen, OO
wenn ich solchen Liebesdienst Dir nicht zu OO
erweisen vermöchte?! ‒ ‒ ‒
*
.Die Dich einstens lehrten, sie sprachen zu OO
Dir:
.„„Gar weise ist des Menschen klarleuch‐ OO
tender Verstand, der alles zu hellen weiß OO
was des Menschen Bewußtsein in Finsternis OO
bannen möchte!””
.Aber längst weißt Du, daß Dein VerOO
stand Dich zum Sklaven tausendfachen OO
Irrtums machte, und weise beginnst Du OO
zu werden, indem Du Dir sagst: daß nieOO
Dein Verstand die Rätsel lösen wird, OO
die Dich in dieser Erdennacht umge‐ OO
ben! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
229 Das Geheimnis
.Hast Du endlich dieses Erste erkannt, OO
dann kann ich Dir weiter helfen, und so Du OO
mir nur vertrauen magst, wirst Du gewiß‐ OO
lich keine Enttäuschung erleben! ‒
.Siehe, alles, was Dir Dein Verstandeswis‐ OO
sen gibt, ist nur in dem kleinsten Teil Dei‐ OO
nes Körpers ‒ in Deinem Gehirn veran‐ OO
kert, allein das Wissen, das Dir ewig Nah‐ OO
rung bieten soll, muß Deines ganzen KörOO
pers eigen werden!
.Darauf wollen wir weiterbauen!
.Daraus soll Dir die Gewißheit werden, OO
daß Dein Körper Dir vonnöten ist, OO
willst du zu völliger Erkenntnis kommen! OO
‒ ‒
.Nicht von heute auf morgen ist solche Er‐ OO
kenntnis zu erlangen, aber wer sie aus tief‐ OO
stem Herzensgrunde sucht, dem wird sie OO
sicherlich werden! ‒
*
.Wie jede tiefere Erregung Deiner SeeleOO
alsbald Deines ganzen Körpers Atome mitOO
230 Das Geheimnis
schwingen läßt, so muß auch Dein Körper OO
willig sich bewegen lernen, wenn GeistiOO
ges Dein Bewußtsein berührt.
.Was Dir auch nahekommen mag, von gei‐ OO
stigen Dingen: Du wirst es erst wahrhaftOO
erfassen und dann nur restlos Dir zu eigen OO
werden sehen, wenn jede Faser DeinesOO
Erdenleibes greifend danach verlangt, um OO
so, wie zwei Hände einander finden, sich als‐ OO
dann ergreifen zu lassen!
.Nur in solcher „„Ergriffenheit””, auch OO
Deines ganzen Körpers, wird sich Dir eini‐ OO
gen können, was vom Geiste her zu Dir OO
kommt; und anders wird wahrhaft GeiOO
stiges niemals erlangt, als durch vollkom‐ OO
mene Vereinigung! ‒ ‒ ‒
*
.Über Geistiges nachzudenken, mag OO
Dich wohl in gewisser Weise fördern, allein OO
zum Ziele führt es nicht!
.Wohl kannst Du Dir manches Wissen die‐ OO
ser Erde auf solche Weise erwerben, aber so‐ OO
bald Du einmal dieser Erde Leib verlassen OO
231 Das Geheimnis
mußt, wird solches Wissen Dir verloren und OO
zu nichts mehr nütze sein!
.Geistiges Wissen ist wahrlich andererOO
Art!
.Es kann Dir nur werden, wenn Du mit dem OO
Gegenstande dieses Wissens Dich zu verOO
einigen vermagst! ‒ ‒ ‒
.hrend vergängliches Wissen stets OO
nur ein Be-greifen, ein Er-fassen, ein OO
Ent-decken, ein Er-finden, ein ErOO
schließen ist, handelt es sich beim geistiOO
gen, ewig bleibenden Wissen um ein InneOO
werden! ‒ ‒
.Du kannst im Geistigen nichts erlangen, OO
es sei denn, Du selber läßt Dich in Deinem OO
innersten Innern durch das Geistige wanOO
deln und wirst, was Du erkennen OO
willst! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
*
.Das erscheint Dir heute noch unsagbar OO
schwer, da Dein Denken noch nicht gelernt OO
hat, Deinem Willen zu gehorchen.
.Nicht eher aber kannst Du Geistiges ver‐ OO
232 Das Geheimnis
nehmen in Dir selbst, als bis Du Deinem OO
Denken Schweigen zu gebieten vermagst OO
und seinem vorlauten Wichtigtun wehren OO
lerntest!
.Später, wenn Du dereinst im Innewerden OO
zur Erkenntnis in Vereinigung gekom‐ OO
men bist, wirst Du Dein Denken reichlich OO
entschädigen können für die Zurückhaltung, OO
die Du ihm vorher auferlegen mußtest!
.Dann wirst Du ihm eine neue Unterlage OO
für sein Wirken geben können, auf der es OO
sodann in gleicher Sicherheit bauen mag, OO
wie dort wo die Sinnenwelt ihm Funda‐ OO
mente bietet. ‒ ‒
.Die Kraft des Denkenkönnens ist eine OO
wundersame Gabe, allein sie kann Dir dortOO
nur Segen bringen, wo Du ihr selbst die OO
sichere Unterlage gibst. ‒ ‒
.Du darfst nicht durch Dein Denken erst OO
diese Unterlage schaffen oder finden zu OO
können wähnen, wenn Du nicht einem Wahn OO
erliegen willst, der in den Gehirnen schon OO
seit den frühesten Zeiten der Erden‐ OO
233 Das Geheimnis
menschheit bis auf unsere Tage, tausend‐ OO
fachen Irrtums Ursache ward! ‒ ‒ ‒
.Man scheitert stets aufs neue daran, daß OO
man erdenken möchte, was allein im Inne‐ OO
werden zu erleben ist und dann erst Ma‐ OO
terial des Denkens werden kann.
.Man glaubt in seinem Denken Geistiges OO
zu erkennen und weiß nicht, daß Geistiges OO
nie in Gedanken faßbar wird, bevor man OO
es erlebte, da es nur im Erleben wahrhaft OO
empfunden werden kann; in einem Erleben, OO
das nichts mit gedanklichem Erkennen ge‐ OO
meinsam hat. ‒ ‒
*
.Jenseits allen Denkens, die Gedanken an OO
sicherem Halfter zügelnd, als BeherrscherOO
Deines Denkens, sollst Du das ErschauOO
bare in Dir selbst erschauen lernen durch OO
Versenkung in Deine innerste Tiefe: ‒ alsOO
dann erst darfst Du Deinen Gedanken Frei‐ OO
heit geben, und dann erst werden Deines OO
Denkens Schlüsse Geistiges aus GeistiOO
gem zu erschließen vermögen! ‒ ‒'
234 Das Geheimnis
.So endete damals des Meisters Rede!
.Ich aber glaube, es war nicht ganz über‐ OO
flüssig, sie Ihnen mitzuteilen?!”
*
.„Gewiß nicht”, erwiderte der Physiker, OO
„und wie alles andere, so leuchtet es mir auch OO
wahrhaftig ein, daß unser Denken stets nur OO
bedingt ist durch die Prämissen, von OO
denen es jeweils seinen Ausgang nimmt!
.Wenn ich recht verstehe, so zweifelte ja OO
auch Ihr Guru keineswegs an der Richtigkeit OO
logischer Schlüsse; nur gab er Ihnen die Er‐ OO
wägung nahe, daß unser Denken sozusagen OO
indifferent ist, gegenüber der GrundOO
lage auf der es arbeitet, so daß auch die lo‐ OO
gisch unanfechtbarsten Schlüsse dennoch OO
letzten Endes falsch sein können, sobald sie OO
auf Voraussetzungen fußen, die selber OO
von Anfang an nicht gehörig gesichertOO
sind.
.Ich verstehe auch sehr gut, daß wir für OO
unser Denken, soweit es geistige Dinge be‐ OO
trifft, nicht minder einer ErfahrungsOO
235 Das Geheimnis
grundlage bedürfen, wie wir ja solche auch OO
für unser physischen Dingen zugewand‐ OO
tes Denken tatsächlich besitzen, und daß es OO
falsch ist, wenn man glaubt, man könne OO
einen Ersatz für solche Erfahrung jemals imOO
Denken selber gewinnen. ‒ ‒
.Das alles begegnet in mir gewiß keinem OO
Zweifel mehr, allein ich frage mich, wie ich OO
nun selbst zu solcher Geisteserfahrung, die OO
vor allem Denken über Geistiges liegen soll, OO
gelangen könnte, und hier breiten sich denn OO
vor mir nur sehr unsichere Gefilde, so daß OO
ich zögere, mich ihnen zu vertrauen. ‒”
.Und der Jüngere antwortete und sprach:
.„Soweit Ihnen noch nicht aus alledem was OO
ich Ihnen sagen durfte, näherer Aufschluß OO
wurde, will ich auch in diesem Punkte denOO
Meister selbst zu Ihnen reden lassen, denn OO
auch ich hatte einst die gleiche Frage zu stel‐ OO
len und mein Tagebuch verzeichnet getreu‐ OO
lich des Meisters Antwort, die ich in jenen OO
Tagen erhielt.
*
236 Das Geheimnis
.Also sprach dereinst zu mir der Meister: OO
.'Gewohnt von Jugend auf, nur in Deinem OO
Denken letzte Entscheidung zu suchen, hast OO
Du die Kraft in Dir verkümmern lassen, OO
durch die Dir Gewißheit im InnewerdenOO
kommen soll!
.Aber alle Gewißheit, die Dir Dein Denken OO
jemals geben kann, ist nur wie ein Schatten‐ OO
bild jenes gewissen Wissens, das Dir im OO
Innersten wird, sobald Du es vermagst, Dich OO
über Dein Denken zu erheben und selber OO
einzugehen in jenes Reich, davon Dein OO
Denken Dir niemals Kunde bringen kann. OO
.Du selbst mußt Deinem Denken von je‐ OO
nem Reiche Kunde bringen, wenn es auch OO
hier sich bewähren soll! ‒ ‒
.Willst Du aber hinfinden zu der engen OO
Pforte, die zum wachen Erleben führt, dann OO
wirst Du alle breiten Straßen, die irdisches OO
Denken bahnte, bewußt verlassen müssen! OO
.Auch der Veden Weisheit ist in vielen OO
Stücken nur törichtes Ersinnen, wenn es OO
237 Das Geheimnis
gelten soll, jene wahrlich enge Pforte zu OO
finden!
.Es bewegt sich auf breiten Wegen die UpaOO
nischad, und der Avesta geht die gleichen OO
breiten Straßen betörten Denkens, wenn OO
auch in alledem zuweilen die Spuren sol‐ OO
cher zu finden sind, die jenen schmalen Pfad OO
gefunden hatten, der zu der Pforte des Le‐ OO
bens führt. ‒ ‒
.Auch was jener Sidharta lehrte, den sie OO
den Buddha nannten, wird Dich nichtOO
zum Ziele führen, mag es auch manche weis‐ OO
heitsvolle Erkenntnis in sich bergen, die OO
wahrlich nicht des Denkens Frucht zu nen‐ OO
nen ist!
*
.Gar manche versuchten, unerkannt, den OO
schmalen Pfad zu zeigen, aber nur EinerOO
ist der Menschheit weithin bekannt gewor‐ OO
den, der es nicht nur versuchte, sondern OO
durch Tat und Leben ihn zu zeigen OO
wußte...
.Euch Christen ward er nachmals zum OO
238 Das Geheimnis
„Gott” und Ihr nennt Euch nach ihm, aber OO
vergeblich suche ich solche unter Euch, die OO
seiner Wegspur folgen. ‒ ‒ ‒
.Törichte Narren glaubten zu manchen OO
Zeiten seine Weggefährten zu sein, sobald sie OO
nur suchten, ihn, nach seines Lebens vielver‐ OO
wirrter Kunde, nachzuäffen und selbst in OO
heutigen Tagen noch lassen sich wahnbetörte OO
Schwärmerseelen finden, die sich im ÄußeOO
ren mühen, seinem Bilde zu gleichen, und OO
bar jeder Scham, seine hohen Worte ihrem OO
selbstgefälligen Treiben dienstbar zu machen OO
trachten.
.Die hirnverbranntesten Gesellen haben OO
seinen Namen schon entweiht; aber auch un‐ OO
ter denen, die ihm ehrlich folgen wollten, OO
gab es nicht wenige, die ihn unbewußt OO
lästerten, wo sie seinem Worte zu entspre‐ OO
chen glaubten. ‒ ‒
.Wahrhaft ein Wunder bleibt es, daß er OO
trotz aller Greuel, die da in seinem Namen OO
schon die Menschheit schändeten, noch im‐ OO
mer verehrungwürdig durch die Geschichte OO
239 Das Geheimnis
dieses Erdenmenschen schreitet! ‒ ‒
‒ ‒ OO
*
.Der äußerst Seltenen einer, die sich selbst OO
als das bekennen müssen, was sie sind, hat OO
man sein Bekenntnis wahnerfüllt mißOO
deutet und aus ihm den „Gott” gemacht; OO
aus seinen Worten aber eine Lehre, die OO
sich mit alter Götterlehre mengte, ohne die OO
tiefverankerte, geheime Weisheit mitzu‐ OO
übernehmen, die in solcher Götterlehren OO
Kunde sich dem Wissenden zu offenbaren OO
wußte. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Von frühester Zeit an hat man so ge‐ OO
fehlt!
.Er aber ‒ der Unseren einer ‒ und OO
dennoch uns allen, die wir seine Brüder im OO
Reiche des Geistes sind, so sehr an LiebesOO
kraft überlegen, war wahrlich der EinzigeOO
aus uns, der aller Menschheit einst den OO
schmalen Pfad zu zeigen wußte, der zu der OO
engen Pforte des wachen, ewigen Lebens OO
führt...
240 Das Geheimnis
.Von ihm dieses Weges Weisung sich er‐ OO
teilen zu lassen, kann auch dem Weisesten OO
nichts von seiner Würde nehmen! ‒ ‒ ‒ OO
.Aber er wußte einst auch zu sagen, daß er OO
zu senden wisse, wer seiner Sendung Siegel OO
führe und daß ihn aufnehme, wer den auf‐ OO
zunehmen wisse, den er senden wolle, aus OO
dem Hause seinesVaters”, von dem er OO
sagte: daß es Vieler Wohnung in sich OO
schließe.......
*
.Er zeigte den Weg ‒ den schmalen OO
Pfad ‒ der zu der Pforte des Lebens führt, OO
und er lehrte diese Pforte öffnen!
.Wer aber nach ihm kommt, kann sein OO
Siegel nur erweisen, wenn er den gleichenOO
Weg zu zeigen weiß!
.Es gibt hier letzten Endes nur den OO
einen Weg, und wohl Euch, wenn Ihr ihn OO
betretet! ‒ ‒
.Seht doch, wie der Zimmermann ihn OO
zeigte, der da wie wir, ein Meister desOO
wahren Lebens war!
241 Das Geheimnis
.Sein Leben war auch seine Lehre! Ver‐ OO
geblich würdet Ihr Euch mühen, wolltet Ihr OO
unter dem Schutt der späteren Verfälschung OO
seiner alten Lebensberichte eine GedanOO
kenweisheit zu erspähen suchen, der OO
er sein Erkennen etwa hätte verdanken OO
können!
.Nicht aus Ägypten und nicht aus IndienOO
kam ihm seine Weisheit, und zu jeder ZeitOO
kann wahrlich gleiche Weisheit finden, wer OO
ihrer würdig ist!
.Seines „Vaters” Kraft und Weisheit war OO
es, die sich nach seinem eigenen Wort in OO
ihm offenbarte, aber dieses „Vaters” Weis‐ OO
heit ist kein Werk des Denkens, sondern des OO
wachen Seins! ‒ ‒
*
.Auch ich, o Teurer, kann Dich nicht zu wa‐ OO
chem Erkennen in Innewerdung führen, OO
es sei denn, ich führe Dich den gleichenOO
Pfad, den der hohe Meister von Nazareth be‐ OO
schreiten lehrte, nachdem er selbst einst sich OO
zum „Wege” gewandelt wußte und gar wohl OO
242 Das Geheimnis
sagen durfte, daß er „der Weg, die WahrOO
heit und das Leben” sei. ‒ ‒ ‒
.So will ich denn heute diesen Weg Dir OO
zeigen und Dir lichte Lehre geben, wie Du OO
am ehesten den Höhenpfad verfolgen OO
kannst, der Dich zur Pforte des wachen OO
Selbsterlebens im Geiste führt.
.Öffne Dein Herz und höre mir zu!
.Du sollst hier tiefstes Mysterium in OO
Dir selbst zu erfahren fähig werden!
.Letztes Geheimnis soll sich Dir ent‐ OO
schleiern!
.Zu Deinen höchsten Gipfeln will ich Dich OO
leiten und an meiner Hand sollst Du OO
gefahrlos alle Abgründe unter Dir sehen OO
lernen!
.Wenn Du mir folgen willst, wirst Du wahr‐ OO
haftig zu Deiner höchsten Höhe finden, zu OO
jener höchsten Höhe, die Dir im Firnenlichte OO
des Geistes Deine ewige Abkunft zeigt, OO
hoch über den dunstigen Gefilden, in denen OO
sich Deiner Erdentage irre Bahn be‐ OO
wegt! ‒ ‒ ‒
243 Das Geheimnis
.So höre denn und folge mir, wenn Du beOO
rufen bist mir zu folgen, und also mir zu OO
folgen vermagst! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
*
.Urzeitigen Falles Versklavter, warst Du in OO
düsterste Nacht versunken, aus der nur gött‐ OO
liche Kraft Dich zu befreien wußte.
.Selbsteigenen Willens Gebundener an die OO
Macht der Herren dieses äußeren physischen OO
Kosmos, ein Höriger des „Fürsten dieserOO
Welt”, wurdest Du Deiner GedankenOO
Beute, ‒ Du, der vordem Herr allen Den‐ OO
kens war! ‒
.Aus solcher Hörigkeit gilt es DichOO
zu lösen! ‒ ‒
.Wäre jener nicht über diese Erde ge‐ OO
schritten, von dem ich vordem sprach: jener, OO
den wir den Größten der Liebenden nen‐ OO
nen, so würde nur wenigen erreichbar das OO
Ziel, von dem ich Dir künde...
.Er aber vermochte es, die „Aura” dieser OO
Erde so zu wandeln, daß alle, die da „gutenOO
Willens” sind, einzugehen ins Licht, auch OO
244 Das Geheimnis
die Kraft empfangen, die ihres Willens OO
Sehnsucht Erfüllung werden läßt. ‒ ‒
.So können heute gar viele ihre „ErlöOO
sung” finden, die ohne seine Liebestat auf OO
Golgatha nur Opfer der Vernichtung hätten OO
werden müssen, ‒ zum mindesten jedoch OO
äonenlanger Qualen Beute, bevor Befreiung OO
und Errettung ihnen hätte werden kön‐ OO
nen. ‒ ‒ ‒
.Du hast es durch ihn nun leicht, Dich OO
selbst zu lösen, so Du Dich er-lösenOO
willst! ‒
*
.Laß fahren alle erdachte Weisheit und OO
scheine sie Dir auch „Götterwort”, um zu OO
jener Weisheit aus Tat und Leben hinzu‐ OO
finden, die auch der Weisesten dieser Erde OO
hohe Lehren nicht ergründen, da sie in Tie‐ OO
fen ankert, die kein Denken je ermessenOO
kann! ‒ ‒ ‒
.Die Einfalt des Kindes suche in Dir OO
zu erreichen, durch die Du vermagst, aus OO
Deiner vielfältig gewundenen Enge Dich OO
245 Das Geheimnis
zu lösen, in der Dich gebunden hält, was OO
nicht Du selber bist! ‒ ‒
.Es ist wahrlich leichter, daß ein Kamel OO
‒ und sei es auch nur ein Seil aus dessen Haa‐ OO
ren ‒ eingehe durch ein Nadelöhr, als ein OO
nach irdisch gerichteter Geistigkeit „Rei‐ OO
cher” in das Himmelreich!!
*
.Das heißt: daß alle Verstandesweisheit OO
nur zur Torheit wird, wo es gilt, den GeistOO
des Lebens in sich selbst zu finden! ‒
.Hier gibt es kein „Training”, keine Schü‐ OO
lerübung, die zum Erfolge führt, und nichts OO
kann sichere Gewähr verheißen, als nur die OO
Tat und waches, tatbereites Leben! ‒
.In wacher Tat nur kann der Strebende OO
hier vorwärts kommen, und so nur erschließt OO
sich ihm ein Geheimnis, das er vergebOO
lich zu ergründen sucht, solange er noch in OO
Gedanken darum buhlt! ‒ ‒ ‒
.Hat er erkannt, um was es sich handelt, OO
dann wird er lächelnd seiner Torheit ge‐ OO
denken, die vordem ihm erreichbar scheinen OO
246 Das Geheimnis
ließ in menschlichem Erdenken, was nun OO
erfaßbar nur sich zeigt durch die hohe OO
Gnade. ‒ ‒
.So faßten es die Alten, und anders wird OO
man auch in diesen Tagen nicht zu fassen OO
wissen, was stets Mysterium bleibt, auch OO
wenn es Tausende dereinst zu erringen wis‐ OO
sen.....
*
.Nicht dadurch, daß man seltsame KräfteOO
erstrebt, kommt man diesem MysteriumOO
nahe; aber wer es erreichte, dem werden OO
ohne alles Zutun wahrlich wundersameOO
Kräfte zu eigen, ‒ einem jeden andere, OO
‒ so wie sie ihm dienen können zu seiner OO
Vollendung. ‒ ‒ ‒
.Hier ist jede Willkür ausgeschlossen, und OO
so nur, wie der Geist seine Gaben selber OO
geben kann nach ewig innewohnendem Ge‐ OO
setz, sind sie für den Menschen zu erlangen.
.Wem aber des Geistes Gaben wichtiger OO
sind als das Glück der Vereinung, das OO
solcher Gaben Vorbedingnis ist, der wird OO
247 Das Geheimnis
gewißlich weder das eine, noch das andere OO
erreichen und nur äonenlanger TäuOO
schung verfallen. ‒ ‒
.Das Glück der Vereinung aber ist das OO
Endziel, und die Gaben des Geistes, die OO
Dir dann werden können, sind der ErreiOO
chung dieses Endzieles gegebene Folge.
*
.Der Anfang Deines Weges ist hier aufOO
Erden, inmitten des Alltags zu finden; OO
alle Wegstationen liegen dann noch in OO
irdischem Bereich; ‒ erst wenn Du sie OO
alle nacheinander zu erreichen wußtest, OO
wirst Du Dich in Wahrheit von der Erde OO
lösen können und das Reich des GeiOO
stes betreten, wo das Endziel Deiner war‐ OO
tet. ‒ ‒
.Ach, daß so viele zwar den glühendsten OO
Wunsch in sich tragen, das Endziel zu er‐ OO
reichen, aber sich nicht zur Einsicht erheben OO
können, daß dieses Endziel sich nur errei‐ OO
chen läßt, wenn man den Anfang des Weges OO
mitten im Alltag sucht, und dann von hier OO
248 Das Geheimnis
aus stets die nächste Wegstation als OO
erstes Zwischenziel ins Auge faßt, bis man OO
sie erreichte, um dann die wieder nächste OO
sich zum Ziele zu setzen! ‒
.Statt dessen glaubt man schon den AnOO
fang des Weges nur finden zu können, in‐ OO
dem man dem Alltag entflieht und eine OO
Welt sich aus der Phantasie erbildet, die OO
nur der Vorstellungskraft ihr Dasein OO
dankt! ‒ ‒
.Von da aus späht man nun nach dem EndOO
ziel aus und glaubt es erreichbar ohneOO
Zwischenziele, so daß man zuletzt des eige‐ OO
nen Wähnens Beute wird und sich das ver‐ OO
meintliche Reich des Geistes ebenso aus demOO
Nichts der Vorstellung erträumt, wie OO
man sich vorher schon die Illusion zu schaf‐ OO
fen wußte, man sei der Erde Alltag weit ent‐ OO
rückt und habe den Weg zum Geiste längst OO
betreten...
.Man weiß sich nicht in Zucht zu nehmen, OO
um in Beharrlichkeit den Weg des LeOO
bens zu durchschreiten: möchte vielmehr OO
249 Das Geheimnis
am liebsten morgen schon am Ziele sein, und OO
schafft sich so selbst die Täuschung, der OO
man dann erliegt in einer trügerischen OO
Wonne, die zu Ende ist, wenn dieser Erde OO
Leib die Kräfte nicht mehr nährt, aus de‐ OO
nen man sich seine Scheinwelt zu gestalten OO
wußte. ‒ ‒
*
.Wahrlich, hier sind selbst jene noch weit‐ OO
aus besser durch sich selbst beraten, die den OO
Trug solchen Wahns erkennend, ihm nur OO
Verachtung bezeigen, auch wenn sie nicht OO
ahnen, daß sie ferne allem Wähnen den WegOO
der Wahrheit, der ein Weg des LebensOO
ist, in sich zu finden vermöchten! ‒
.Sei Du aber weder diesen noch jenenOO
gleich und folge vielmehr meiner Lehre, in‐ OO
dem Du den Weg des Lebens, den Weg der OO
wachen Tat von Anfang an beschreitest, um OO
ihn von Ziel zu Ziel bis zum Endziel hin OO
zu durchwandern, ohne danach zu fragen, OO
wann Du das Endziel erreichen wirst!
.Sollst Du es nicht hier schon, und wähOO
250 Das Geheimnis
rend Deines Erdenlebens erreichen, so OO
wirst Du es doch mit Sicherheit gar bald Dein OO
eigen nennen, auch wenn Du von hinnen OO
scheiden müßtest, ohne es noch erreicht zu OO
haben, denn man wird Dir dann eine HilfeOO
bieten können, die für keinen erfaßbar ist, OO
der nicht schon hier in seinem Erdenleben OO
den Weg des Lebens und der Tat be‐ OO
schritten hat! ‒ ‒ ‒
*
.Hier, mitten in Deinem Alltag, mitOO
ten im Leben Deines Berufs und DeiOO
ner irdischen Pflichten sollst Du den OO
Anfang finden! ‒ ‒ ‒
.Es ist dieser „Anfang” nichts anderes als OO
das Erkennen, daß man auch sein alltägOO
liches Leben vom Standpunkt eines ewiOO
gen Lebens her betrachten und auswirken OO
kann. ‒ ‒ ‒
.Die erste Aufgabe ist nun: sein Alltags‐ OO
leben als einen Teil seines ewigen Lebens OO
betrachten zu lernen und in eiserner BeOO
harrlichkeit alle Verpflichtung des All‐ OO
251 Das Geheimnis
tagslebens so zu erfüllen, daß man gewißOO
zu sein glauben darf, in aller Ewigkeit nichts OO
zu bereuen zu haben, was man in diesem All‐ OO
tagsleben tun oder unterlassen mag.
.Das erste Wegziel, das es zu erreichen OO
gilt, besteht darin, daß man jene Ruhe desOO
sicheren Gewissens erreiche, die solcher OO
beharrlichen Erfüllung der Alltagspflich‐ OO
ten früher oder später, aber mit aller GeOO
wißheit folgen muß.
*
.Ist dieses erste Wegziel erreicht, dann OO
zeigt sich von selbst das zweite, das darin OO
besteht, daß man über den Alltagspflichten OO
noch andere erkennt, die zwar im Alltag OO
nicht als „Pflichten” gelten, aber dann als OO
solche empfunden werden. ‒
.Nun gilt es, diese Pflichten ebenso zu OO
erfüllen, ohne etwa die Alltagspflichten OO
hintenan zu stellen! ‒ ‒
.Was diese Pflichten gebieten, wirst Du OO
augenblicklich wissen, sowie Du wirklich das OO
erste Wegziel zu erreichen wußtest!
252 Das Geheimnis
.Für jeden einzelnen zeigen sich diese wei‐ OO
teren Pflichten in anderer Gestalt, und es OO
wäre daher unmöglich, Dir sie näher be‐ OO
zeichnen zu wollen. ‒
.Du wirst aber niemals, wenn Du das erste OO
Wegziel erreichtest, etwa in Zweifel ge‐ OO
raten können, worin diese neuen Pflichten OO
für Dich bestehen, und was sie von Dir for‐ OO
dern!
*
.Hast Du auch diese Pflichten getreulich OO
und mit Beharrlichkeit, so wie die Alltags‐ OO
pflichten, längere Zeit hindurch erfüllt, so OO
wird sich von selbst das dritte Wegziel Dir OO
als erreicht erweisen, indem Du die gleiche OO
Ruhe des sicheren Gewissens, die nach OO
vollendeter Erfüllung der AlltagspflichOO
ten Dir geworden war, nun auch in Hinsicht OO
auf diese höheren Pflichten empfinden OO
wirst. ‒ ‒ ‒
*
.Alsdann aber wird sich Dir auch sogleich OO
ein neues Wegziel zeigen, und Du wirst se‐ OO
253 Das Geheimnis
hen, daß es nichts anderes von Dir verlangt, OO
als daß Du nun auch für andere wirksam OO
zu machen suchst, was Dich selbst so weit OO
förderte.
.Es ist hier nicht von Dir verlangt, daß Du OO
in törichtem Bekehrungseifer, jeden, der OO
Deinen Weg kreuzen mag, zu dem überreden OO
sollst, was Dich zu Deiner Selbstgewißheit OO
führte; allein man will, daß auch Du Dich OO
in den Dienst des gleichen Wirkens stellst, OO
das Dir schon erste Befreiung brachte, und OO
daß Du durch Dein Beispiel in gleichem OO
Sinne zu wirken trachtest. ‒
.Auch dieses vierte Wegziel bestätigt seine OO
Erreichung durch die bewußte Ruhe desOO
Gewissens, die Dir anzeigt, daß Du es OO
‒ nicht durch Reden und Dispute ‒ son‐ OO
dern durch Leben, Tat und Handeln zu OO
erreichen vermochtest!
*
.Und allsogleich wirst Du das fünfte Weg‐ OO
ziel vor Dir sehen, das von Dir verlangt, Dich OO
als Schaffenden zu bewähren!
254 Das Geheimnis
.Du wirst auf irgendeine Weise nun proOO
duktiv in das Leben Deiner Umwelt einzu‐ OO
greifen haben, nicht etwa indem Du ver‐ OO
suchst, hier Mißstände auszutilgen, son‐ OO
dern dadurch, daß Du Förderliches im OO
Sinne der Dir bereits gewordenen Erkennt‐ OO
nis, in Deiner Umwelt zu schaffen trach‐ OO
test. ‒ ‒ ‒
.Stellt sich auch hiernach dann die schon OO
mehrfach mit Sicherheit empfundene, si‐ OO
chere Ruhe des Gewissens ein, so wird OO
sie jetzt verbunden einer neuen ErkenntOO
nis in Dir sich bezeugen, und dies ist die OO
sechste Wegstation, die sechste Stufe Dei‐ OO
nes Weges, der Dich dann in der siebentenOO
zur Vereinigung mit Deinem geistigen Ur‐ OO
grund führen soll! ‒ ‒ ‒
*
.Die neue Erkenntnis aber wird Dir sagen, OO
daß nun der Zeitpunkt gekommen ist, zu OO
versuchen und immer erneut zu ver‐ OO
suchen: ob Du Dich mit Deinem ganzen Sin‐ OO
nen und Trachten, ohne die Erde zu verOO
255 Das Geheimnis
lassen, dennoch geistig soweit aus ihremOO
Getriebe zu lösen vermagst, wie es nötig OO
ist, um das Reich des Geistes in Dir die OO
Vereinigung vollziehen zu lassen, durch OO
die Dein erdenhaftes Bewußtsein fähig wird, OO
Deines lebendigen Gottes heiliges WortOO
in Dir selbst zu vernehmen, ohne jemals noch OO
der Täuschung zu verfallen.
*
.Nicht früher sollst Du es versuchen, OO
Dich aus dem gewordenen Getriebe zu lösen, OO
als bis Du völlig sicher bist, alle früheren OO
Wegstationen wachend durchwandert zu ha‐ OO
ben!
.Würdest Du es früher versuchen, so OO
müßtest Du notgedrungen zur Beute täuOO
schender Gewalten werden, um erst OO
nach Deiner Erdenlebenszeit voll Ent‐ OO
setzen zu erkennen, wie sehr man Dich be‐ OO
trog!
.Du würdest dann einem gleichen, der im OO
Traume zu fliegen glaubt und sich seines OO
Könnens freut, während er beim Erwachen OO
256 Das Geheimnis
sehen muß, daß er nach wie vor der Schwer‐ OO
kraft, die ihn an die Erde fesselt, nicht Herr OO
zu werden vermag. ‒
*
.So einfach es Dir auch erscheinen mag, OO
jene früheren Wegstationen zu durchwan‐ OO
dern, und so sehr Dich die Versuchung lok‐ OO
ken will, zu glauben: Du hättest sie längst OO
durchwandert, so sehr muß ich Dich warnen, OO
Dich hier einer Selbsttäuschung hinzu‐ OO
geben!
.Du stellst nicht nur den Erfolg Deines gan‐ OO
zen Strebens in Frage, sondern begibst Dich OO
freventlich in Gefahr, den Weg, der Dich OO
zum Lichte führen sollte, für Äonen zu ver‐ OO
lieren, wenn Du zu früh versuchst, die Lö‐ OO
sung aus dem erdenhaften Getriebe zu er‐ OO
reichen.
.Hast Du aber wahrhaft und ehrlich Dei‐ OO
nen vorbezeichneten Weg durchschritten und OO
bist Dir bewußt, daß Du keines seiner Zwi‐ OO
schenziele versäumtest, dann wird Deine OO
Loslösung damit beginnen müssen, daß Du OO
257 Das Geheimnis
versuchst, den nackten Menschen in Dir zu OO
finden!
.Das scheint Dir nicht allzu schwer zu sein OO
und ist dennoch weit schwerer als Du er‐ OO
ahnen kannst! ‒ ‒
*
.Bis hierher durftest Du Dich ja noch OO
als Sohn einer bestimmten Familie, eines OO
bestimmten Volkes, als Angehöriger eines OO
bestimmten Kreises empfinden, ‒ und OO
das mit gutem Recht.
.Bis hierher durftest Du Dich ja noch OO
nicht aus solcher Bindung gelöst empfin‐ OO
den, wolltest Du Hoffnung hegen, jemals OO
Dein Ziel zu erreichen.
.Nun aber mußt Du alle solche Bindung OO
allmählich vom Gesichtspunkte der EwigOO
keit aus werten lernen, denn der ewige Geist OO
gibt sich keinem „Meder” und keinem OO
Perser”, keinem „Griechen” oder „OO
mer”, ‒ keinem Sproß aus diesem oder je‐ OO
nem ehrenwerten Hause, und keinem Gliede OO
258 Das Geheimnis
dieser oder jener Kaste, sondern nur: ‒ dem OO
nackten
MENSCHEN! ‒ ‒ ‒
.Diesen „nackten”, kosmisch gegebenen OO
Menschen mußt Du also nun in Dir alleinOO
noch fühlen und alles was ihn irdischer‐ OO
weise besonders bestimmen mochte, muß Dir OO
dann wesenlos und vergänglich erscheinen!
.Doch würdest Du wahrlich meine Worte OO
gar irriger Deutung unterwerfen, wolltest Du OO
etwa glauben, nun müßte Dir auch in Dei‐ OO
nem Alltagsleben dieses als „wesenlos” OO
und „vergänglich” Erkannte, wertlos er‐ OO
scheinen!
*
.In Dein Alltagsleben fügt es sich wohlOO
begründet ein und muß daselbst erhalOO
ten bleiben, wenn Du die kosmische Ord‐ OO
nung nicht stören willst; aber ebenso würdest OO
Du diese Ordnung in verbrecherischer Weise OO
stören, wolltest Du innerhalb Deines AllOO
tagslebens diesen bestimmenden und OO
durch ihre Bestimmtheit trennenden Mo‐ OO
259 Das Geheimnis
menten größeren Wert verleihen, als ihnen OO
durch ihre Naturgegebenheit allein schon zu‐ OO
steht! ‒ ‒
.Wenn Du im Alltag liebend solche Be‐ OO
dingtheit umfaßt, ‒ mag sie FamilienOO
kreis oder Kaste, Volkstum oder NaOO
tion sich nennen, so wirst Du immer richOO
tig handeln und auch die Bedingtheiten OO
anderer zu lieben wissen; allein, sobald OO
Du besonders hervorzuheben suchst, was OO
Dich in solcher Weise als Glied des Mensch‐ OO
heitsganzen bestimmt, wirst Du zum StörerOO
kosmischer Ordnung, gleichwie ein Mu‐ OO
siker in einem großen Orchester das Tonwerk OO
stören würde, wollte er sein Instrument ver‐ OO
stärkt ertönen lassen und lauter als es die OO
Rolle verlangt, die ihm des Tonwerks Mei‐ OO
ster zugeschrieben hat! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
*
.Auch angelangt an dieser letzten irdi‐ OO
schen Wegstation, von der aus Du das Reich OO
des Geistes bald betreten sollst, darfst Du OO
nicht etwa wähnen, nun auch nur eine der OO
260 Das Geheimnis
vorher erkannten Pflichten versäumen zu OO
dürfen!
.Im Alltag mußt Du daher stets allem OO
seine Rechte lassen, was des Alltags ist, OO
und trotzdem mußt Du in Dir selbst jenes OO
höhere Empfinden tragen, das Dich als OO
„wesenlos” und „vergänglich” sehen läßt, OO
was gleichwohl im Alltag seinen AlltagsOO
wert erweist! ‒ ‒ ‒
*
.Ist so nun im höchsten Bereiche Deines OO
Empfindungslebens nichts mehr zu finden als OO
der nackte, kosmisch gegebene MENSCH, OO
der sich der GOTTHEIT einen will, dann OO
wirst Du Dich erst selbst wahrhaft liebenOO
lernen müssen, wirst immer mehr und mehr OO
Dich selbst nur noch als LIEBE zu emp‐ OO
finden suchen dürfen, bis nichts mehr inOO
Dir ist, das etwas anderes als LIEBES‐ OO
FEUER wäre. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Also in Liebe verzehrt, wirst du in dieser OO
glutgeläuterten Region zum Gefäße GÖTT‐ OO
LICHER Liebe werden, und in Deinem inner‐ OO
261 Das Geheimnis
sten „Ich” wird sich Dein „LEBENDIGER OO
GOTT” Dir einen...
*
.Hier erst hast Du dann Deines Höhen‐ OO
weges Endziel erreicht, aber Du würdest OO
gar bald das Erlangte wieder verlieren, OO
wolltest Du Dich nun, soweit Du als Sohn der OO
Erde auch Deinem Alltag gehörst, DeiOO
nen Alltagspflichten enthoben wäh‐ OO
nen! ‒ ‒ ‒
.Der Weg ist nun in Dir, auf dem Du fort‐ OO
an zu jeder Zeit, und zwar noch im Augen‐ OO
blick Deines Wunsches, Dich zu Deiner höch‐ OO
sten Höhe im Reiche des Geistes, zu DeinerOO
Einheit mit Deinem lebendigenOO
Gotte erheben kannst; und von dieser höch‐ OO
sten Höhe aus wird auch Dein Alltag LichtOO
empfangen, ‒ ein Licht, das nicht von die‐ OO
ser Erde ist, und irdischem Gesetz nichtOO
unterworfen! ‒ ‒ ‒
.Dann wirst Du vielleicht erfassen können, OO
was jener große Liebende einst lehrte, als OO
er davon sprach, daß das Reich der Himmel OO
262 Das Geheimnis
„nahe” sei, und daß man nicht sagen könne, OO
es sei da oder dort, oder glauben dürfe, es OO
komme mit großer Gebärde, denn:
.Das Reich Gottes ist in Euch!” '
*
.In hoher Begeisterung waren diese aufge‐ OO
zeichneten Worte verlesen worden und die OO
beiden älteren Männer, die ihres jüngeren OO
Freundes Stimme lauschten, waren tief er‐ OO
griffen von dem, was sie hier gehört.
.Nach einer Weile des Schweigens erhob OO
sich nun der Älteste der drei und sprach:
.„Wahrhaftig, es ist die erhabene Lehre, OO
die wir hier empfingen und das Geheimnis OO
wahren Lebens hat sich uns nun enthüllt!
.Wie viele Rätsel finden in dieser Lehre OO
ihre Lösung!
.Wie anders sieht man das Dasein des Men‐ OO
schen auf dieser Erde an, wenn man solches OO
hören durfte!
.Nun ist mir jede Frage erstorben und ich OO
sehe den Weg mit aller Deutlichkeit vor mir, OO
den ich zu durchschreiten habe! ‒”
*
263 Das Geheimnis
.Und auch der andere der drei Freunde, der OO
sich, während der Alte also sprach, gemein‐ OO
sam mit dem Jüngsten erhoben hatte, ließ OO
sich nun in gleicher Weise vernehmen, und OO
seine Worte klangen in das Bekenntnis aus: OO
.„Uns ist Großes widerfahren auf dieser OO
Reise und als andere kehren wir heim, wenn OO
morgen die Zeit des Abschieds von dieser OO
Insel naht!
.Nun wird auch unser Alltag, den wir nur OO
allzuoft als grau und leer empfanden, FarbeOO
und Inhalt gewinnen, und wenn man in OO
alten Zeiten hier die Sonne als Symbol der OO
Gottheit ehrte, so darf ich sagen, daß auch OO
ich jetzt solchem Sonnendienst ergeben bin; OO
nur trage ich diese Sonne in mir selbstOO
und ich glaube ihre Strahlen schon zu füh‐ OO
len! ‒ ‒ ‒
.Wohl hatte ich mir manches Schöne von OO
unserer Reise erhofft, aber niemals hätte ich OO
erwartet, daß ich so mit lebenslang gesuch‐ OO
ter Erkenntnis bereichert, zurückkehren OO
würde. ‒ ‒
264 Das Geheimnis
.Es müssen wahrhaftig höhere MächteOO
über uns die Hände halten! ‒ ‒
.Und wenn wir beiden Älteren es auch be‐ OO
dauern möchten, daß die Erkenntnis, die OO
sich uns nun zeigt, erst in so späten Jahren OO
zu uns kam, so müssen wir doch gestehen, OO
daß sie früher noch verfrüht gewesen wäre OO
und sich offenbar die rechte Zeit zu wäh‐ OO
len wußte. ‒ ‒”
*
.Die beiden Schiffer hatten schon längst OO
die Barke wieder zum Meere heruntergeholt, OO
das jetzt spiegelglatt und wie flüssiges Licht, OO
bereit war, die Sonnenscheibe in sich aufzu‐ OO
nehmen.
.Meer und Himmel schienen geeint in gol‐ OO
dener Glut!
.Die Freunde bemerkten endlich, daß ihre OO
Ruderer wohl schon lange auf sie gewartet OO
haben mochten, und so stiegen sie denn hin‐ OO
ab zum Strande, während der jüngste der OO
beiden Brüder, als er den Aufbruch gewahrte, OO
265 Das Geheimnis
eiligst entgegenkam, um Körbe und Gefäße OO
zurück ins Boot zu holen.
.Nach wenigen Minuten schon war die OO
Barke wieder weitab von der Stätte, an der OO
man so lange gerastet hatte, aber nun war es OO
nicht mehr nötig, auf das offene Meer hin‐ OO
auszusteuern und man konnte gefahrlos zwi‐ OO
schen den Uferklippen hindurch die hohen OO
Felsenwände der Insel in nächster Nähe um‐ OO
fahren.
.Wundersam farbenprächtig glühte das Ge‐ OO
stein in der Strahlenfülle der leuchtend im OO
Meere versinkenden Sonne.
*
.An dieser Seite der Insel gab es nun nur OO
wenige grüne Schluchten und breitere, öl‐ OO
baumbewachsene Einbuchtungen.
.Fast ununterbrochen türmten sich hohe OO
Felsenmauern auf, gar oft vom Meere unter‐ OO
höhlt, so daß man in weite, geheimnisrau‐ OO
nende Grotten blickte.
.Da die drei Reisenden für alles, was man OO
so aus nächster Nähe gewahren konnte, gro‐ OO
266 Das Geheimnis
ßes Interesse zeigten, machte es ihren beiden OO
Ruderern Freude, vom nächsten Rückweg OO
abzuweichen und jede der kleinen Meeres‐ OO
buchten anzufahren, wobei man nun auch OO
dann und wann an besonders schönen Stellen OO
des längeren verweilte.
.So war es gekommen, daß allmählich die OO
Nacht hereingebrochen war, ‒ eine Nacht OO
mit immer sich mehrender Sternenpracht, OO
‒ während man vom festen Lande herüber OO
nur noch die flimmernde Lichterzeile der OO
nicht allzu fernen, großen Hafenstadt ge‐ OO
wahrte.
.Die Insel selbst wirkte jetzt, als sei sie un‐ OO
bewohnt, denn noch war man eine reichliche OO
Strecke von der Stelle entfernt, von der aus OO
man zuerst die Lichter ihrer Hügelstadt hätte OO
sehen können.
*
.In tiefem, schwarzem Felswandschatten OO
glitt die Barke, nun durch schärferen Ruder‐ OO
schlag beschleunigt, dahin.
.Unzähliges Leuchtgetier des Meeres ließ OO
267 Das Geheimnis
die Ruder, sobald sie das Wasser berührten, OO
blitzendes, bläulich phosphoreszierendes OO
Licht aus der Tiefe holen.
.Wie ein Raketenschweif leuchtete lange OO
noch die Kielspur des Bootes nach.
.Da hier die Fische nur des Nachts bei OO
Fackelschein gefangen werden, so begegnete OO
man auch zuweilen einem Fischerkahn, der OO
jetzt noch gespenstig in Dunkel gehüllt, hin‐ OO
aus zu seinem Fangort fuhr.
.Fröhliche Begrüßungsworte wurden ge‐ OO
wechselt und alsbald entschwand man sich OO
wieder in der Finsternis.
.Zuweilen, und besonders, wenn sie wuß‐ OO
ten, daß ein gutes Echo ihrer Kunst sich OO
günstig zeigen mochte, ließen die beiden OO
Brüder auch die Lieder ihrer Heimat mit OO
aller Lungenkraft erschallen, aber da ihre OO
Stimmen nicht allzu viel von dem melodi‐ OO
schen Wohllaut der großen Sänger ihres OO
Landes besaßen, so hörten die drei Reisen‐ OO
den, des Textes kundig, zwar gerne zu, wuß‐ OO
ten es aber dann nur um so mehr zu schätzen, OO
268 Das Geheimnis
wenn wieder die tiefe Abendstille sie um‐ OO
fing, durch das Geräusch der rhythmischen OO
Ruderschläge nur noch eindrucksvoller dem OO
Empfinden dargeboten.
*
.Endlich sah man nun auch, als man den OO
letzten hohen Felsvorsprung umfahren hatte, OO
die ersten Lichter von der Insel her, und nun OO
währte es nicht mehr lange, bis man den klei‐ OO
nen Inselhafen erreichte, wo schon der be‐ OO
stellte Vetturino mit seiner Kalesche seit OO
Stunden auf die Rückkehr der Barke gewar‐ OO
tet hatte, um dann die Fremden in lang‐ OO
samer Fahrt die vielgewundene Straße hin‐ OO
aufzubringen zu der kleinen Stadt, wo ihre OO
liebgewonnene Gaststätte ihnen diese Nacht OO
zum letzten Male Obdach bieten sollte.
.Nachdem die Freunde hier noch ihren OO
Abendimbiß eingenommen hatten, ergingen OO
sie sich wohl noch eine kleine Weile unter OO
den Zedern und Palmen des nächtlich dunk‐ OO
len Gartens und erfreuten sich an dem Licht‐ OO
gefunkel auf dem Meere, das von den Fak‐ OO
269 Das Geheimnis
keln der zahllosen Fischerboote herrührte, OO
in denen man jetzt dem Fang oblag.
*
.Da man des anderen Tages abreisen wollte, OO
fand man es aber doch alsbald geraten, die OO
Nachtruhe aufzusuchen, nachdem man vor‐ OO
her noch übereingekommen war, wenn ir‐ OO
gend möglich, von der nahen Hafenstadt des OO
Festlandes aus, zur Heimfahrt den SeewegOO
auszunützen, soweit er sich nur benützen OO
ließ.
.Bei solcher Reiseart war schönste Gelegen‐ OO
heit noch zu erwarten, alles was man in OO
diesen Wochen nun besprochen hatte, in OO
Sammlung seelisch erneut zu betrachten, um OO
ganz erfassen zu lernen, wie anders sich das OO
Erdendasein nun zeigte, nachdem jetzt OO
enthüllt sein segenbringendes Geheimnis OO
war. ‒ ‒ ‒
*          *
*
270 Das Geheimnis
NACHWORT
DER Leser, der meine anderen Bücher OO
kennt, wird wohl längst schon heraus‐ OO
gefunden haben, daß es sich mir wahrlich OO
hier nicht um eine „Erzählung” handelte.
.So brauche ich ihm wohl kaum zu sagen, OO
daß die erzählende Form dieses Buches nur OO
gewählt werden mußte, um auch denen die OO
Lehre, die mein sonstiges Wirken kündet, OO
näherzubringen, die allzu leicht den Mut ver‐ OO
lieren und ermattet innehalten, wenn sie nur OO
abstrakte Lehre in einem Buche finden OO
und überdies fast ausschließlich nur von Din‐ OO
gen hören, die ihrem Alltag doch allzu ferne OO
liegen mögen.
.Daß jedes Wort dieses Buches sich immer‐ OO
hin an tatsächliches Erlebnis hält, sei OO
aber dennoch ausdrücklich betont!
.Die drei Männer des Buches wurden dem OO
Autor nur zu Trägern solchen Erlebens und OO
gaben ihm Anlaß hier ein Bild zu schaffen, OO
dem sich manche Farben einfügen ließen, OO
die nicht wohl verwendbar gewesen wären, OO
hätte er nur versuchen wollen, das reale OO
273 Das Geheimnis
Urbild dergleichen Erlebens nachzuzeich‐ OO
nen.
.Gleichwohl aber ist auch dies an vielen OO
Stellen geschehen, wenn auch der örtlicheOO
Hintergrund, wie der Umriß der spre‐ OO
chenden Personen Veränderung erfuhr, da OO
nur solcher Verzicht auf „realistische Zeich‐ OO
nung” es dem Autor erlaubte, dem Erlebten OO
immerhin Ausdruck zu vermitteln.
.Es schien ihm auch nicht erforderlich, die OO
drei Sprechenden dieses Buches mehr als an‐ OO
deutend zu charakterisieren, denn es sollte OO
ja nicht Menschenschilderung gegeben OO
werden, sondern ein Bild der Lehre. ‒
*
.Wer diese Lehre in sich aufzunehmen OO
fähig und willens ist, der wird sie unschwer OO
aus der Umrankung zu lösen wissen, und OO
manchem mag sie in hier gewählter Verflech‐ OO
tung erst völlig lebendig werden. ‒ ‒ ‒ OO
.Tausende fanden sie bereits in mannig‐ OO
facher Weise bestätigt, aber noch sind OO
Abertausende in allen Ländern der Erde OO
274 Das Geheimnis
zu finden, die nach der „Wahrheit”, nach OO
Lösung letzter Rätsel dürsten, und von einem OO
Irrweg auf den anderen geraten, um zuletzt OO
resignierend einzusehen, daß keiner sie zur OO
Quelle der Erkenntnis zu führen ver‐ OO
mochte. ‒ ‒
.All diesen Suchenden möge aus diesem OO
Buche die Sicherheit des VertrauensOO
werden, daß sie dennoch ihr Ziel erreichen OO
können, wenn sie den einzigen auf dieser OO
Erde folgen wollen, die allein hier zu lehren OO
berechtigt sind; ‒ die nicht eigenen WähOO
nens, Erschließens und MeinensOO
Kunde geben, sondern lehren, wie der OO
Vater”, den sie allein nur kennen, sie zu OO
lehren heißt! ‒ ‒ ‒
*
.Eine jede Zeit verlangt andere Form der OO
Lehre, und ewige Weisheit weiß gar wohl zu OO
entscheiden, wie jene, die ihr Werkzeug wur‐ OO
den, zu wirken haben. ‒
.So handelt auch der Autor dieses Buches OO
keineswegs nach eigenem Ermessen, wenn er OO
275 Das Geheimnis
das geschriebene Wort in den Dienst der OO
Lehre stellt!
.Wohin nimmer das Wort der gesproOO
chenen Rede dringen kann, dort ist in die‐ OO
sen unseren Tagen das gedruckte Buch OO
noch erreichbar und es bietet stets von OO
neuem den Suchenden die Lehre dar, die OO
eine gar sehr der Eile und Hast versklavte OO
Zeit alsbald im Winde verwehen lassen OO
würde, wäre sie nur durch des MundesOO
Stimme zu Zeiten vernehmbar. ‒
.Auch soll es vermieden werden, daß sich OO
Gemeinden” dieser Lehre bilden und daß OO
man zum voraus hinzunehmenden DogmaOO
macht, was erst Erfahrung des HerzensOO
als wahr und wirklich erweisen kann. ‒ ‒ ‒ OO
*
.Wohl ist es keineswegs verwerflich, wenn OO
da und dort ein Kreis von Suchenden es sich OO
zur Aufgabe stellt, der Lehre nachzuleben; OO
allein, wenn auch so manche Wahrheits‐ OO
sucher ihrer Artung nach nur in gemeinOO
schaftlichem Streben Förderung zu finden OO
276 Das Geheimnis
glauben, so darf doch keiner ‒ sofern er OO
nicht die Lehre fälschen will ‒ sie etwa OO
nur an solches gemeinschaftliches Streben OO
gebunden erachten! ‒ ‒
.Auch in solcher Gemeinsamkeit des OO
Suchens kann sie immer nur dem einzelOO
nen ihre leuchtende Tiefe enthüllen, und OO
es ist letzten Endes nur irdisch persönOO
liche Neigung, die den einzelnen bestim‐ OO
men mag, ob er sich andere als Weggefährten OO
wünscht, oder Genüge darin findet, für sichOO
allein zu gehen. ‒ ‒ ‒
.Auf jenem Höhenpfade, zu dem die OO
Lehre leitet, ist ohnehin ein jeder, der ihr OO
folgen will, allein auf sich gestellt, mag er OO
um andere wissen, die den gleichen Pfad be‐ OO
treten haben, oder nicht!
*
.Es mag auch jeder jener KulturgeOO
meinschaft treu ergeben bleiben, die ihm OO
von früher Jugend an das Leitseil bot, an OO
dem er seinen Weg zum Geiste zu finden OO
hoffte, und wird er ihn dann durch ein LeOO
277 Das Geheimnis
ben nach der hier vermittelten Lehre wirk‐ OO
lich finden, dann wird er seines Jugend‐ OO
glaubens Dogma erst so zu vertiefen wis‐ OO
sen, daß er auch anderen zu helfen weiß, OO
die an der Wahrheit ihrer Jugendglaubens‐ OO
lehren längst verzweifelten, weil selbst die OO
Lehrer solchen Glaubens ihre Zweifel in OO
sich trugen und darum nicht zu helfen wuß‐ OO
ten, da sie selbst der Hilfe nur allzusehr OO
bedurften. ‒ ‒ ‒ ‒
*
.So möge auch dieses Buch nun BefreiungOO
und Klarheit bringen, und allen den Weg OO
zum Lichte zeigen, die ihn finden wolOO
len! ‒
.Möge allen, die ehrlichen Willens sind, OO
durch dieses Buch der erste Anstoß wer‐ OO
den, auf jene Geisteshöhe zu gelangen, von OO
der aus gesehen, ihres Daseins Ziel und EndOO
zweck ihnen nicht mehr „GeheimnisOO
bleibt! ‒ ‒
278 Das Geheimnis
ENDE