DAS HOHE ZIEL
Verlagslogo
KOBER'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG AG
BERN
BÔ YIN RÂ
Autorenname von J. A. Schneiderfranken
3. Auflage
Unveränderter Nachdruck der 1961 in der Kober'schen
Verlagsbuchhandlung erschienenen zweiten Auflage
Erste Auflage Verlag Magische Blätter Leipzig, 1925
© 1972, Kober'sche Verlagsbuchhandlung AG Bern
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die der Übersetzung in
fremde Sprachen und der Verbreitung in Rundfunk und
Fernsehen. Druck: Graphische Anstalt Schüler AG, Biel
INHALT Seite
Leitwort 7
Der Ruf des Geistes 11
Die zwei Wege 19
Vom Suchen und Finden 31
Vom ewigen Lichte 39
Von des Lichtes Farben 45
Vom hohen Ziele 53
Von den Wegen der Alten 63
Vom Segen der Arbeit 71
Von der Macht der Liebe 85
Der Meister von Nazareth 97
Originalscan
LEITWORT
.Höher als alle Erdenziele ist das hohe
Ziel, das dieses Buches Worte dir zeigen
wollen.
Vergeblich aber wirst du dieses Ziel zu er‐
reichen suchen, wenn du es etwa in weiter
Ferne wähnst!
Der Weg, der dich zu deinem hohen Ziele
führt, ist in dir selbst, und in dir selber
nur wirst du dereinst das hohe Ziel errei
chen!
Auch alle Hilfe deren du bedarfst auf dei‐
nem Wege, wird dir nur in dir selbst zuteil!
Nur in dir selber kannst du die helfenden
Hände ergreifen, die sich dir entgegen‐
strecken!
Verwechsle nicht die Lehre, die dir das
Ziel zu zeigen sucht und dich auf den
Weg zum Ziele leiten will, mit dem Be
treten des Weges in dir selbst!
Erst dann kann dir die Lehre Segen
bringen, wenn du nach ihrer Weisung in dir
selber suchst. ‒
Dann erst wirst du auch Hilfe in dir sel‐
ber finden!
9 Das hohe Ziel
Sollen darum dieses Buches Worte dich zu
deinem hohen Ziele bringen, so wirst du
sie in dir selber wiederklingen lassen
müssen.
In deinem Inneren wirst du alsdann den
steilen Weg entdecken, und wenn du ihn
mutig zu erklimmen suchst, so wird er auch
dich das hohe Ziel einst in dir selber
finden lassen! ‒ ‒
10 Das hohe Ziel
DER RUF DES GEISTES
.Es war nicht klügliches Ersinnen, was die
alten Weisen immer wieder zu der Mahnung
drängte, den Geist in der Stille zu suchen,
bei «verschlossenen Türen» des Geistes Ruf
zu erwarten. ‒
Was dann im Inneren vernommen werden
kann, wird nur der Seele hörbar sein, und
fühlend nur wird sie vernehmen können,
was niemals sich in Worte einer Menschen‐
sprache fassen läßt...
Wohl dem, der solcherart fühlend zu hören
weiß!
.Nicht allen wird es gegeben sein, den Ruf
des Geistes sogleich zu vernehmen.
Sie werden oft lange im «Gebete» verharren
müssen, ehe ihr Inneres also aufgetan
wird, daß sie in sich selbst den Ruf er
fassen...
.Wie fernes Saitenspiel nur das ge
schärfte, kundige Ohr die Melodie er‐
13 Das hohe Ziel
kennen läßt, indessen es anderen Ohren nur
undeutbares Klingen bleibt, so wird der
sanfte Ruf des Geistes nur von denen ver‐
nommen, die ihr inneres Gehör zu schär‐
fen wußten und die Seele geistiger Dinge
also kundig werden ließen, daß sie auch
deuten kann, was ihrem Hören klingt. ‒ ‒ ‒
.Im Lärm des überlauten Tages taub ge‐
worden, irrt so mancher durch die Wüste, ‒
harrend des Rufes, der ihn erreichen könne,
und seiner Taubheit nicht bewußt.
Vergeblich wird der Ruf des Geistes ihn zu
bewegen suchen...
Erst muß der Lärmbetörte seiner Taubheit
inne werden, um dann in der Stille wieder
sein Gehör zu erlangen.
Erreicht dann wieder Geistiges sein Ohr,
dann wird er lernen müssen, sich dem Lärm
der Außenwelt beharrlich zu verschließen
und dennoch nicht vor ihm zu fliehen. ‒
Was immer ihn umgeben mag, ‒ stets muß
er sich selbst in der Stille erhalten!
14 Das hohe Ziel
Der Lärm des Tages darf nicht in sein In
neres dringen, auch wenn er sein Äußeres
mit aller Macht umtost. ‒
Wer den Ruf des Geistes hören will, muß
sein Gehör allein nach Innen kehren.
Nur in seinem Inneren wird er vernehmen
lernen können, was nie zu Worte ward...
Lärm und Getöse wird ihn nicht betäuben,
wenn er im Inneren zu hören weiß!
Inmitten der Außenwelt, die ihn um‐
brandet, wird er sich selbst eine Insel der
Stille sein.
Der Wogen Toben und des Sturmes Heulen
wird er überhören lernen, und aus der
Stille in ihm selbst wird ihm des Geistes
hoher Ruf erklingen! ‒
.Durch Tat und Wirken wird die Stille
nicht gestört, die hier vonnöten ist!
Nicht dort, wo nur des Todes Stille herrscht,
kann je der Ruf vernommen werden!
15 Das hohe Ziel
Nur wo das Leben seine Wogen wirft, wird
auch die innere Stille noch voll des Lebens
sein, aus dem der Geist das Geistige im
Menschen zeugen kann.
Nur solche Geisteszeugung hört den Ruf
des Geistes! Durch sie nur kann dem Men‐
schen Wissen werden ‒ um sich selbst!
‒ ‒ ‒
Wer anders je sich selbst bei «Namen»
nennen hören will, wird stets vergeblich war‐
ten können...
Der Ruf, den er ersehnt, kann nur von
Innen kommen, wenn das Innerste be‐
reits erwachte durch des Geistes zeugende
Gewalt, die in der Stille nur zur Wirkung
kommt. Nur aus dem Innersten des In
nern läßt sich Geistiges vernehmen!
.Die Lehre, die von außen her gegeben
wird, soll dir nur zur Vorbereitung dienen.
Sie soll dein Inneres des Geistes kundig
werden lassen, damit dereinst der Ruf aus
16 Das hohe Ziel
deinem Allerinnersten dir faßbar werden
kann.
Die Lehre wird dir immer nur vom Geiste
zu sagen wissen, was sich sagen läßt. Des
Geistes Wirklichkeit kann dir jedoch nur
nahen im Erleben!
Du kannst des Geistes Leben anders nicht er‐
fassen, als durch Innewerden. ‒ ‒ ‒
So kehre dich denn mit aller Kraft deinem
Inneren zu und bitte den Geist in dir
selbst, daß er dein Allerinnerstes er‐
wecken möge!
Verharre in solchem «Gebete», bis du Er‐
hörung findest!
Erhalte dich in der Stille und in sicherer
Zuversicht!
Selbst dein «Gebet» darf nicht die Stille
stören! ‒
Noch weniger aber darfst du heischen und
fordern, was sich dir von selbst ergibt,
sobald dein Inneres durch die Stille bereitet
ist. ‒
Erwarte in heiterer Ruhe deinen Tag! Sei
tätig mit all deinen äußeren Kräften in der
17 Das hohe Ziel
Außenwelt, doch lasse das Tabernakel dei‐
nes Innern niemals durch die Sorgen dieser
Außenwelt entweihen! In deinem Innern
mußt du, unbeirrt durch die äußeren Stürme,
stets die Stille bewahren!
Kein Geräusch der Außenwelt darf dieses
Innere in dir erreichen!
So wirst du dereinst ‒ an deinem Tage ‒
deine tiefste Tiefe ergründen und zu dei‐
ner höchsten Höhe erhoben werden!
So wirst du dereinst den Ruf des Geistes
in dir selbst vernehmen und dich selbst
im Geiste erkennen! ‒
Im Leben des Geistes wirst du dann
selbst dich im ewigen Leben finden!
*
18 Das hohe Ziel
DIE ZWEI WEGE
.Mehr als jemals ist es in heutigen Tagen
an der Zeit, stets erneut darauf hinzuweisen,
daß nicht alles «Geheimnisvolle», von dem
wir umgeben sind, zu jenem letzten und hei‐
ligsten Geheimnis führt, das allein der Seele
Erlösung bringen kann.
Ja, es mag vielleicht nötig sein, auch Ver‐
wahrung einzulegen gegen ein allzu leicht
«fertiges» Lesen solcher Warnung, denn
die Verwirrung mancher Gehirne ist derart
ins Groteske ausgeartet, daß sie die schärfste
Ablehnung ihres Wahns in exaltierter Ver‐
blendung nicht mehr erkennen und das
Wort des Warners vor sich selbst in eitel Zu‐
stimmung fälschen.
.Seit gar vielen Jahren schon, ‒ jahr‐
zehntelang bereits, und längst vor dem Aus‐
bruch des Völkermordens, dessen fluchgesät‐
tigte Atmosphäre noch immer wie eine bran‐
stige Wolke der Blutschuld über allem Erd‐
geschehen lastet ‒ ward eine ihres Wissens
und ihrer Aufklärung stolze Menschheit die
21 Das hohe Ziel
Beute verderblichster Durchseuchung ihres
geistigen Erkennens, so daß heute jede ver‐
borgene Wahrheit ihr Satyrspiel findet.
Es ist wahrlich nicht zum Verwundern, wenn
die Suchenden auf irre Wege gelangten!
.Zu allen Zeiten übte das phosphoreszie‐
rende Flimmerlicht der geheimnisumwitter‐
ten Grenzgebiete menschlichen Erkennens
seinen Zauber aus auf empfängliche Gemüter,
aber gar selten nur sah die Erde einen solchen
Mangel an Sicherheit des Fühlens. ‒
Wie die Motte zur Flamme, so drängt es den
Unerfahrenen, der ohne Warnung bleibt, die‐
sem erregenden Aufflackern aus unbekannten
Regionen entgegenzueilen, aber ‒ es droht
ihm dabei auch die gleiche Gefahr und der
gleiche Untergang...
Aus allen modrigen Kellerwinkeln und Ge‐
rümpelkammern flattert die Verführung auf!
Genarrtes Halbwissen, halbgebildete
Narrheit und bewußter Betrug suchen
allenthalben neue Scharen heranzulocken und
22 Das hohe Ziel
wissen gar manchen zu umgaukeln, den man
wahrlich nicht in solcher Gefolgschaft ver‐
muten möchte. ‒ ‒
Aber alledem liegt ein tiefes Sehnen zu‐
grunde, das durch alles Wissen dieser Zeit
nicht zu stillen ist und so abwegig wird, da
ihm versagt bleibt, selbst den rechten Weg
zu finden, den ein erkenntnisstolzer Übereifer
derart zu verbauen wußte, daß nur nacht‐
schwarze Wände dort noch entgegengähnen,
wo einst in früher Vorzeit die Freiheit er‐
reichbar war.
.Tief im Menschen verankert ist die Er‐
ahnung einer Überwelt, in der er die Lösung
seines Daseinsrätsels zu finden hofft. Es ist
dies Erahnen nichts anderes, als die schwache
Rückerinnerung an seines Geistes Zustand
vor dem «Fall» in erdenhafte Bindung!
Nun sucht er zurückzuerlangen, was er einst
verlor, und wird in solchem Suchen allzu‐
leicht nur ein Opfer dunkler Gewalten, die er
nicht sieht, auch wenn sie ihn schon längst
23 Das hohe Ziel
gezwungen haben ihrem Ruf zu folgen, bis er
dann zu spät erst bemerkt, daß ihm die
schwälende Glut abgründiger Tiefen der Ver‐
nichtung für den irdischen Widerschein des
wahren, lebenspendenden Lichtes galt, dem
er ureigentlich entgegenstreben wollte...
.Wer immer in sich dieses Drängen nach
der Lösung aller Daseinsrätsel erlebt, der
bleibe sich darum wohlbewußt, daß es für
ihn ‒ zwei Wege gibt und daß es allein von
seiner Besonnenheit abhängt, ob er den
rechten einschlagen wird, der ihn zu seinem
wahren Ziele führt, oder ob er in trunkenem
Taumel der gleißenden Straße der Betörung
sich vertraut. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
Der eine dieser beiden Wege, die sich vor
ihm zeigen, wird ihn zu Licht und Er
leuchtung und schließlich in das Reich des
reinen Geistes führen, während der an
dere, auf den ihn verlockend schillernde
Gespenster zerren, die ihm Geistesmacht und
Zauberkraft verheißen, unfehlbar ins Ver‐
24 Das hohe Ziel
derben leitet, ‒ wenn nicht noch aus hoher
Gnade Rettung kommt, und er zu rechter
Zeit erkennt, daß er einem Truglicht
traute, das nichts anderes mit dem reinen,
goldweißen Lichte der Gottheit gemeinsam
hat, als den Reiz der Verborgenheit vor
Erdensinnen. Aber wahrlich: nicht alles
Verborgene ist wert, daß man danach for‐
sche! ‒
Obwohl die Sterne sich auch in Tümpeln
spiegeln, wird man doch nicht den Morast
durchwühlen, um ihr Geheimnis zu ergrün‐
den! ‒
.So wird es den ernstlich Strebenden, der
nach dem wesenhaften Lichte des reinen
Geistes hohes Verlangen trägt, gewiß auch
nicht gelüsten, äußeres Erdenschicksal vor‐
aus zu erkunden, auch wenn er mit Vorteil
sich einer Berechnung bedienen kann und
mag, die ihm, gleich anderer, irdischer Be‐
rechnung, die Strömungen aufzeigt, durch
die sein Tun und Lassen beeinflußt wird, so‐
25 Das hohe Ziel
lange er in den Banden erdenhaft kosmischer
Kräfte lebt und wirkt.
Hier mag er weise fördern lernen, was ihn
selber fördert, und dem wehren, was ihn
hindern kann!
Er wird aber schwerlich dabei dem Irrwahn
erliegen, als ob ihm ein Schicksal vorge‐
zeichnet sei, dem er nicht entrinnen könne,
sondern den Ablaufsrhythmus seines
Schicksals sich nur zu enträtseln suchen,
um dann an Hand seines Wissens ihn also
auszunützen, daß vermieden wird, was zu
vermeiden ist, und herbeigeführt, was
wünschbar scheint. ‒
Sagt doch schon der wunderlich verschnör‐
kelter Weisheit frohe Paracelsus ‒ als
einer, der es wirklich wissen konnte ‒ das
vielbedeutsame, großes Erkennen wahrlich
bezeugende Wort:
«Die Gestirne gewaltigen gar
nichts; sie sind frei für sich
selbst, wie wir frei für uns selber
sind. ‒»
26 Das hohe Ziel
Und weiter:
«Das Kind bedarf keines Gestirns
und keines Planeten; seine Mut
ter ist sein Planet und sein
Stern!» ‒
.Das soll nun gewiß nicht so verstanden
werden, als sei all jener Einfluß irdisch-kos‐
mischer Kräfte, den man «Sternen» zu‐
schrieb, da man nur an ihrem scheinbaren
Laufe ihn zu bestimmen wußte, überhaupt
nicht vorhanden, sondern will nur hei‐
ßen, daß trotz allem die Freiheit, diesen Ein‐
fluß folgerichtig zu gebrauchen, ganz in
uns selber, in der eigenen Willenszucht
begründet liegt, so daß auch hier die Berech‐
nung der Möglichkeiten nur dann zum
Segen gereicht, wenn sie der Selbsterzie
hung dient und uns veranlaßt, alle Kräfte
aufzubieten, unser Dasein frei zu machen
von der Furcht vor wechselnden Gezeiten
unsichtbarer Ströme, die zwar alles Erden‐
hafte stets durchfluten, jedoch gebrochen
27 Das hohe Ziel
werden an den diamantenen Dämmen, die
des Geistes unbesiegbare Macht um den
Vertrauenden erbaut, der durch die Tat
darum zu bitten weiß...
Ein solcher wird auch niemals sich Orakel
sprüchen beugen, die ihm der Zukunft
wandelbares Bild als unabänderliches
Fatum zeigen wollen; ja er wird sicherlich
nach solcher Kunde kein Verlangen tragen.
Noch weniger aber wird er es dulden, daß
man, um der Erkenntnis willen, Menschen zu
Werkzeugen abgründiger Kräfte werden läßt
und sie so allmählich dann der Macht be‐
raubt, ihrem Erdenkörper zu gebieten.
Niemals wird er andere aus ihres Willens
Herrschaft lösen wollen, um ihnen seinen
Willen aufzuzwingen. ‒
In allem seinem Tun und Lassen dient er nur
der Freiheit, die allein des Geistes Kinder
kennen!
.Jedwede Erscheinung äußerer Natur, jed‐
wedes Geschehnis dieses Erdenlebens läßt
28 Das hohe Ziel
sich zum Guten wie zum Schlechten beugen,
und daß man diese Fähigkeit in rechter
Weise stets zu nützen wisse: dazu dient alle
Lehre der Berufenen. ‒
«Nicht wer zu mir sagt: Herr, Herr, wird in
das Reich der Himmel finden, sondern wer
dessen Willen in seinem eigenen Wollen
wirken läßt, der mich, als mein „Vater”, aus
sich zeugte!»
So sprach etwa vor Zeiten einer, der da lehren
durfte, weil er in geistigem Erleben wußte,
wovon er sprach, und der wahrlich von sich
sagen konnte:
«Nicht aus mir selber lehre ich, son‐
dern wie mir der „Vater” gebot, also
lehre ich euch!»
Die Weisheit dieses «großen Liebenden» aber
wurde irdisch-allzuirdisch umgeformt, ehe sie
das heutige Geschlecht erreichte, dem sie in
ihrer Reinheit kaum mehr erkennbar ist.
Seine Lehre wollte nichts anderes bewirken,
als daß der Mensch der Erde sein Leben
nützen lerne: zum Heile durch die Tat. ‒ ‒
29 Das hohe Ziel
.Alles bloße Wissen aber um die so sehr
verschiedenwertigen Dinge, die da jenseits
der Erdensinne liegen, schafft nur sterile
Schein-Erkenntnis, ‒ macht keinen frei von
irdischer Gebundenheit! ‒ Einzig die tat‐
gebärende, nüchterne Folgerung, die aus
wahrer Ein-Sicht sprießt, kann das Er
lösungswunder wirken, wenn sie in Tat
und Wirken umzusetzen weiß, was sich der
Seele offenbarte; und was man je in Worten
lehren mag, wird immer nur dann erst Wert
gewinnen, wenn solche Lehre zum Erleb
nis führt. ‒
Wohl denen, die auf solche Weise zum Er‐
leben ihres Inneren gelangen und dann im
Innersten des Innern in sich selbst des
rechten Weges Ziel erreichen!
*
30 Das hohe Ziel
VOM SUCHEN UND FINDEN
.Es ist wahrlich viel leichter, mit der Ge‐
bärde des Suchenden die Außenwelt zu
durchforschen und selbst die geheimsten
ihrer Schächte aufzudecken, des Entdecker‐
ruhmes gewiß, ‒ als in sich selbst sein
Allerinnerstes zu finden, das auch noch
denen wohlverborgen bleibt, die längst der
Seele Kräfte so erkundet glauben, daß ihrem
Blick die Seele selbst in schemenhaftes
Nichts sich löste. ‒ ‒
Laßt allen Hochmut darum schweigen, und
wäre euch auch wohl vertraut, was selbst den
Weisesten der Vorzeit dunkles Rätsel schien!
Es mag euch ohnehin gar manches Rätsel
nur «gelöst» erscheinen, weil ihr mit
einer Lösung euch zufrieden geben konntet,
die nichts von jener Tiefe in sich faßt, aus
der einst jenen Alten das Geheimnis seine
Frage raunte...
Auch unter den Suchenden der Vorzeit gab
es solche, die zu finden wußten, und wollt
ihr, ihnen gleich, zu Findern werden, so
müßt ihr euch bereiten, dort zu suchen, wo
sie gefunden haben!
33 Das hohe Ziel
Ich will euch suchen helfen in euch selbst,
denn da nur bleibt euch Hoffnung, allezeit
Gesuchtes für euch selbst zu finden. ‒
Kein Denken und kein klügliches Erschließen
kann euch je belehren, so ihr zu letzter Lö‐
sung aller jener Fragen finden wollt, die stets
vor eurer Seele sich aufs neue antwort‐
heischend aus dem Dunkel erdgebundener
Erkenntnis heben! ‒ ‒ ‒
Verwehret darum hinfort jedem lauten Ge‐
danken in euch die Rede, bis jene große
Stille allein in euch zu finden ist, in der
nichts mehr spricht, was jemals euch von
außen kam! ‒ ‒
Dann aber lernt die hohe Kunst vertrauens
vollen Wartens!
Sie wird wahrlich nicht leicht erlernt; aber
jeder, der nachmals fand, was er ersehnte,
mußte sie erlernen, und keinem bleibt diese
Lehrzeit erspart, der in sich selbst zum Fin
der werden will...
Hütet euch, so ihr finden wollt, vor der
Versuchung, die Zeit des Wartens kürzen
zu wollen!
34 Das hohe Ziel
Ihr würdet nur desto länger warten müssen,
wolltet ihr solcher Versuchung in Torheit er‐
liegen! ‒ ‒
.Ja, wahrlich: wer immer diesen Weg des
Suchens auch betreten haben mag und auf
ihm nicht fand, was er zu finden hoffte,
der darf wohl sicher sein, daß er nur des
halb nicht gefunden hat, weil er vermessen
sich berufen glaubte, die Zeit des stillen War‐
tens kürzen zu können! ‒ ‒ ‒
Solange noch solches Streben in einem Su‐
chenden ist, hat er die große Ruhe nicht er‐
langt, die erste Vorbedingung ist für jedes
Finden!
Wie darf er dann klagen, wenn vergeblich
all sein Mühen war?! ‒
Auch wer Verborgenes in dieser Außen
welt zu finden strebt, wird stets vergeblich
suchen, so er nicht die Ruhe in sich selbst
zu schaffen weiß, die ihm auch hier von‐
nöten ist, will er zum Finder des Gesuchten
werden! ‒
35 Das hohe Ziel
Alle aber, die jemals im Allerinnersten
das Letzte suchten und hier gefunden ha‐
ben, wonach ihr Sehnen stand, hatten vor‐
dem die Kunst des Wartens geübt und
waren so zur Kultur der Ruhe gelangt! ‒
Nur in stillster Versenkung gab sich
ihnen zu eigen, was Tausende vergeblich
suchten, die der Ruhe ermangelten...
«Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur die
Gewalt brauchen, reißen es an sich!» Es ist
aber diese «Gewalt» nichts anderes, als die
Gewalt der Selbstbezähmung, die alle
Unrast aus der Seele zu verbannen weiß! ‒
Erst wenn du in dir eine solche Stille ge‐
schaffen hast, daß es dir töricht erscheint,
danach zu fragen: wann dir die Erleuchtung
werden wird, bist du wahrhaftig der Erfül‐
lung nahe und kannst getrosten Mutes ver‐
trauen, daß du finden wirst, was dir ver‐
hüllt blieb, als du, noch in Ungeduld gebun‐
den, dich vergeblich mühtest! ‒ ‒ ‒
Es muß dir völlig nebensächlich werden,
wann du auf dieser Erde die höchste Er‐
kenntnis erlangen wirst! Du mußt suchen
36 Das hohe Ziel
wie einer, dem keine zeitliche Grenze jemals
gezogen ist!
Du mußt suchen wie einer, der da weiß, daß
er finden wird, weil das, wonach er sucht,
vorhanden ist und sich ihm nicht verber‐
gen kann, sobald er selbst des Findens
würdig ist!
Je mehr deine Sicherheit wächst und dein
Vertrauen zu dir selbst, desto näher
wird dir auch hohe Hilfe sein! ‒
.Pflege in dir selbst das gläubige Ver
trauen und meide die zersetzenden Ge‐
danken, die dich immer wieder in Furcht
bannen wollen, so als ob das Finden dir nicht
beschieden sei! ‒
Lerne erkennen, daß es Lästerung ist,
wenn solcher Furcht du dich ergibst! ‒ ‒
Du trägst in dir selbst die Erlösung von
allem Zweifel, ‒ und nur in dir selbst
kann dir letzte Gewißheit werden!
Schleudere von dir, was immer dich an
solchem Glauben an dich selbst beirren
37 Das hohe Ziel
will, und sei es auch bis zum heutigen Tage
dir als «heilige Wahrheit» erschienen!
Dort, wo dir letzte Erkenntnis werden
soll, muß alles Denken der Gehirne schwei
gen, und sei es auch bereits Jahrtausende
hindurch in höchsten Ehren! ‒
Du bist dort mit dir selbst allein, und
keine Macht der Erde kann dich hindern oder
dir zu Hilfe kommen!
In deinem Allerinnersten allein darfst du
zu finden hoffen, was du suchst, und alle
Wunder ferner Sternenweiten werden dir in
Nichts zerstäuben vor dem, was dir hier
vorbehalten ist! ‒
In deinem Allerinnersten wirst du in
Wahrheit erst dich selber finden, und dann
erst wird dir das Erkennen werden, daß all
dein Suchen nur ‒ dir selber galt.
38 Das hohe Ziel
VOM EWIGEN LICHTE
.Dunkel ward es in den Hütten, und
düstere Sorge liegt über den Palästen.
Man sucht die Öllampen hervor, um der Dun‐
kelheit zu wehren, ‒ man zündet Kerzen auf
den Kandelabern an, ‒ aber die Düsternis
will nicht weichen.
.Ach, es ist anderes Licht vonnöten,
wenn euch die Freude wieder werden soll!
Doch, Freunde, so ihr nur Vertrauen
traget, wird dieses Licht gewiß die Nacht,
die euch umgibt, besiegen!
Ihr wisset nicht, daß ihr euch selbst der
Finsternis verhaftet!
Laßt euch nicht schrecken durch die
Dunkelheit, die ihr auf allen euren Wegen
ausgebreitet seht!
Ihr selbst habt euch dem Dunkel zuge‐
kehrt, so daß Finsternis euch umgeben
muß, bis ihre Zeit zu Ende ist und ihr euch
wieder zum Lichte wendet!
Doch auch Finsternis birgt Verheißung
des Lichtes!
41 Das hohe Ziel
Sie wirket Kräfte, die das Licht ersehnen
lassen und so zur Umkehr euch bewegen...
Übet Geduld und verharret in stillem Ver
trauen!
Über ein kleines werdet ihr sicher wieder im
Lichte der Sonne schreiten!
.Auch in der tiefsten Dunkelheit ist euch
das Licht nicht ferner als in der strahlend‐
sten Helle, so ihr nur selbst euch dem Lichte
zukehren wollt!
Wendet euch selbst der Sonne zu, und
alle Dunkelheit wird hinter euch liegen!
.So schritten die Urväter stark und freu‐
dig ins Licht und ließen hinter sich was
dunkel war...
Doch ihre Enkel lockte mehr und mehr die
Finsternis. ‒
Was hinter ihnen lag, ward ihnen wich‐
tiger, als was sie noch durchschreiten
sollten...
42 Das hohe Ziel
Sie lernten das Rückwärtsblicken und
das Rückwärtswandern. ‒
Im Dunkel hofften sie zu finden, was sich
nur im Lichte zeigt.
Ihr aber: jener Enkel späte Enkelkinder,
dürft wahrlich euch nicht wundern, wenn
heute euch, die ihr nach jener Früheren
Ver-führung euch dem Dunklen zukehrt,
‒ dichte Finsternis umgibt!
Ihr werdet umkehren müssen wollt ihr
auch euch dereinst, so wie jene Alten,
im Lichte der Sonne finden!
Es bedarf des Mutes zu solcher Umkehr und
des entschlossenen Willens...
Entwöhnt sind eure Augen längst des Lich
tes, das da allein euch einst der Freude
wiedergeben kann!
Nun muß zuerst das Sonnenlicht euch
schmerzen, bevor das Auge Kraft ge‐
winnt, es zu ertragen und alsdann es
lieben lernt...
43 Das hohe Ziel
.Doch sind schon viele bei der Umkehr
angelangt und manche sind schon um‐
gekehrt!
Keiner bleibt hier ohne Führung, so er
nur selbst die Umkehr wagt!
O, so verweilet nicht, ihr Suchenden, die
ihr noch rückwärtsschreitend sucht, auf
euren Irrtumswegen, die euch nur immer
tiefer in das Dunkel führen!
Und ihr, die ihr des Suchens längst schon
müde wurdet, begnügt euch nicht damit, in
euren Hütten und Palästen kümmerliche
Leuchte anzuzünden!
Kehret euch mutig dem ewigen Lichte
zu, und lasset hinter euch die Dunkelheit!
Sehet: ‒ Licht und Finsternis sind stetig
an ihrem Ort. ‒
Nur auf euch selber kommt es an, ob ihr
dem steten Dunkel euch verhaften, oder
euren Blick zum Lichte kehren wollt!
Wahrlich: ‒ euch allen leuchtet ewiges
Licht!
44 Das hohe Ziel
VON DES LICHTES FARBEN
.Der ewigen Sonne Licht birgt in sich
mancherlei Farben, und wenigen nur zu
allen Zeiten wird es in seiner goldweißen
Fülle kund. ‒
Fast allen aber, außer diesen wenigen, zeigt
es nur eine seiner vielen Farben.
Hier kann nicht Willkür ändern, was Ge
setz erheischt!
Dein Auge allein bestimmt, in wel
cher Farbe du das Licht erkennen
sollst!
Du kannst mitten im Lichte stehen und den‐
noch nicht das Licht erkennen, solange du
dein Auge zwingen willst, dir eine Farbe
des Lichtes zu zeigen, die nicht die deine
ist! ‒ ‒
So kannst du dich selbst zu jeder Täuschung
überreden und dich vom Lichte gar weit
entfernen, indem du ihm zu nahen glaubst!
.Siehe, ich rate dir gut, und es ist meines
Erdendaseins Erfüllung: allen, die mich
hören wollen, guten Rat zu geben! Siehe, ich
47 Das hohe Ziel
rate dir: ‒ verfälsche nicht deine Farbe
und begehre nicht zu schauen, was anderer
Färbung ist als das, was dir einst werden
soll! ‒ ‒
Alles wahrhafte Erkennen kann dir nur in
deiner Farbe werden.
.Nur wenn du dich selbst aufs sorglich‐
ste betrachtest, wirst du auch deine Eigen
farbe erkennen...
Doch ist es wahrlich nicht vonnöten, daß
du sie vorher erkennst, sobald du dich nur
willig deiner Führung anvertraust und
nicht mehr selbst die Führung zu bestim
men trachten wirst, in der das Licht der
Ewigkeit dir nahen soll! ‒
Es ist in dir selbst beschlossen von aller
Ewigkeit her, in welcher Färbung das
Licht dir Segen bringen kann!
Es ist in dir selbst beschlossen, was dein
Auge erschauen soll! ‒
Dir selbst sollst du vertrauen und deinem
Innersten sollst du glauben lernen! ‒ ‒
48 Das hohe Ziel
Beachte immerhin, was andere erschauen
durften und erkenne so in allem, was sie dir
zu sagen haben, des Lichtes Mannigfaltig
keit; doch bleibe stets dir wohl bewußt, daß
dir ‒ wer du auch sein magst ‒ anderes zu
schauen vorbehalten ist, obwohl das gleiche
Licht in aller Färbung sich bekundet! ‒ ‒
Dir wird es nur nach deiner Art sich geben
können, und eines jeden Art ist anders! ‒ ‒
Solange du noch nach der Art der anderen
in dir das Licht erlangen möchtest, wehrst
du nur dem Lichte, dich in deiner Art und
Färbung zu erreichen und darfst dich dann
nicht wundern, wenn du andere in ihrem
Lichte, ‒ dich jedoch im steten Dunkel
findest!
.Man gab dir Lehre und sagte dir, daß
allen, die auf dieser Erde nach dem Lichte
streben, das gleiche Licht einst leuchte, ‒
und wahrlich: solche Lehre wurzelte in der
Wahrheit tiefem Nährgrund!
Es ist gut, solcher Lehre zu vertrauen; aber
49 Das hohe Ziel
not ist auch zu wissen, daß das gleiche
Licht unendlichfältig sich ergießt, ‒ so
daß es Tausende und Abertausende erreichen
kann und dennoch jedem einzelnen sich an
ders gibt als allen andern! ‒
Einmalig und einzigartig ist des Lichtes
Selbstoffenbarung in jedem aus uns, und
jedem wird Erleuchtung nur nach seiner
Weise! ‒ ‒ ‒
Wer aber das Licht in sich empfing, weiß
dennoch, daß ihm des gleichen Lichtes
Strahlen leuchten, die auch in allen seinen
Brüdern, die gleich ihm das Licht empfingen,
wirksam wurden! ‒ ‒
Keinem ward anderes Licht, aber jeder er‐
schaut in sich das gleiche Licht in einer
anderen Farbe! ‒ ‒ ‒
Unendlicher Reichtum liegt so im
Lichte der Ewigkeit beschlossen!
.O, daß ich euch allen, die ihr nach dem
Lichte strebt ‒ gleich Pflanzen, die man wäh‐
rend des Winters in Kellerräume barg ‒ des
50 Das hohe Ziel
Lichtes Mannigfaltigkeit begreiflich ma‐
chen könnte!
O, daß ich euch allen eures ewigen Erbes
Unerschöpflichkeit in Erdenworten kün‐
den könnte!
Aber gar wohl bewußt ist mir, daß alles Men‐
schenwort nur ein armes Stammeln bleibt,
soll Ewiges in ihm sich offenbaren. ‒ ‒
Ich kann nur, einem Menschen gleich, der
ferne Wunder dieser Erde sah auf weiter
Reise, allhier versuchen, Vorstellung des
Niegeschauten wachzurufen; doch, wollt
ihr selbst in euch erschauen, was ich euch
zu künden habe, so müßt ihr selbst den
Weg beschreiten wollen, der euch an seinem
Ziele, all der Herrlichkeit gewiß, die ich euch
hier verheiße, in eurem eignen Inner
sten zu eigner Schauung führt!
.Magst du als Weiser dieser Erde gelten,
oder mag man in dir nur einen sehen, dem
wenig kund ward von der Weisheit dieser
Welt, ‒ wisse: daß dir das Licht der Ewigkeit
51 Das hohe Ziel
gewißlich werden kann, so du nur willens
bist, es in dir selbst zu suchen!
Erwehre dich verführerischer Stimmen, die
dich verleiten wollen, mit den Augen ande
rer das Licht zu suchen!
Suche es vielmehr in dir auf deine Weise
und wisse: daß es nur in deiner Eigenfarbe
dir einst werden kann, magst du es hier in
diesem Erdenleben schon erreichen, oder erst,
nachdem du hier das Kleid der Erde der Ver‐
wesung überlassen mußtest!
Beschreite geruhigen Mutes deinen dir ge‐
mäßen Weg, und was du nach deiner Art
auch immer erhoffen magst, wird wahrlich
weit übertroffen werden von dem, was dir
einst zu eigen werden soll! ‒ ‒ ‒
52 Das hohe Ziel
VOM HOHEN ZIELE
.Wahrlich, der Weg ist weit und steil und
rauh, der dich zu deinem hohen Ziele
führen wird, aber erkennst du erst, was
deiner wartet an des Weges Ende, so wird
dich gewiß kein Wegziel, das dir diese Erde
bieten kann, auch nur entfernt so hohen
Wertes dünken!
Ein Kleinod wartet deiner am erreichten
hohen Ziele, das keiner außer dir jemals
besitzen kann!
Zwar wird hier Unzähligen der gleiche
Siegespreis, und dennoch ist für jeden, der
das hohe Ziel erreichte, ein Schatz verwahrt,
den er allein nur heben kann!
Kein anderer kann hier erlangen, was dir
vorbehalten ist! ‒ ‒
Du selbst mußt kommen, diesen Schatz zu
heben! ‒
Unterlassung ist Preisgabe hier, denn
in aller Ewigkeit wird kein anderer außer dir
dieses Schatzes Eigner werden können! ‒ ‒ ‒
Erfasse, was dies besagen will! ‒
Werde dir wohl bewußt des Wertes, den du
in dir selber trägst! ‒
55 Das hohe Ziel
.Wisse, o Suchender, daß Geistiges dir
nur erreichbar werden kann, wenn du Gewiß‐
heit in dir selbst erlangtest, daß du Weg und
Wegziel in dir selber birgst!
In deinem Allerinnersten allein ist jenes
hohe Ziel zu finden, davon dir diese Worte
Kunde geben wollen!
In deinem Allerinnersten trägst du verborgen
einen Schatz, den dir wahrhaftig niemand
rauben kann!
Du selbst nur kannst dich hier durch deine
eigene Torheit um dein Eigenstes betrügen!
.Ich sehe dich zittern hier und der Furcht
verfallen: allein du würdest wahrlich töricht
meine Worte deuten, wolltest du fürchten,
den Hindernissen zu erliegen, die zwischen
dir und deinem Ziele sich erheben:
Nur furchtloser Mut wird dich das Ziel er
reichen lassen! ‒ Das Ziel, das in dir
selber sich verborgen hält! ‒ ‒
56 Das hohe Ziel
.Siehe, mein Freund, es ist Kinderspiel,
auch das höchste irdischer Außenziele
zu erringen, aber Heldenwerk, das hohe Ziel
zu erreichen, das man in sich selber trägt! ‒ ‒
Im äußeren Leben können dich andere
hindern, ein Ziel zu erreichen, das du errei‐
chen möchtest; ‒ hier aber gibt es nur Hin‐
dernisse, die du selber in dir selber schaffst!
Du selbst kannst jedes Hindernis in dir
zur Seite räumen, so du ernstlich willst,
und hohe Hilfe wird alsdann dir Kraft ver‐
leihen!
Aber so sehr du auch nach geistiger Hilfe ver‐
langen magst, so wird sie doch nicht eher
dich erreichen können, als bis dein Wille in
der gleichen Richtung wirkt, in der dich
hoher Hilfe Wirken fördern soll!
Du mußt gleichsam magnetisch werden
für solche Hilfe, soll sie von dir angezogen
werden! ‒
Hier ist keine Willkür der helfenden Mächte
möglich, denn alle Möglichkeit, dir Hilfe zu
gewähren, ist an organisch wirkendes Gesetz
gebunden! ‒
57 Das hohe Ziel
So wie gar mancherlei Botschaft in Wellen
elektrischer Kraft den Raum durcheilt
und dennoch dich nicht erreichen kann, bevor
sie einem Apparat begegnet, der geeignet ist,
die Wellen aufzufangen, so ist dir auch hohe
Hilfe allezeit nahe und du bemerkst sie
nicht ‒ es sei denn: du wandelst dich selbst
zu einem geistigen Empfänger ihrer geisti
gen Wellenströme um! ‒
Einmal an solche hohe Hilfe organisch ange‐
schlossen, wirst aller Sorge du hinfort ent‐
raten können und mit aller Sicherheit dein
hohes Ziel erreichen, ‒ sei es schon hier in
diesem Erdenleben, oder erst, nachdem du
deinen Erdenleib der Erde wiedergeben durf‐
test! ‒ ‒
.Dein hohes Ziel ist die Vollen
dung deiner selbst in deiner geist
geborenen Erscheinungsform!
Kein anderer kann sich in aller Ewigkeit
in deiner Geistesform vollenden!
Du findest in den niederen Bereichen phy‐
58 Das hohe Ziel
sisch-sinnlicher Natur zwar Individuen der
gleichen Gattung oft in solcher Ähnlichkeit,
daß aller Unterschied zu schwinden scheint;
aber schon hier wird die Betrachtung höhe
rer Arten dich alsbald belehren, daß jede
höhere Stufe auch in ihren individuellen
Darstellungen eine Mannigfaltigkeit er‐
zeugt, die selbst das ungeübte Auge nicht
mehr übersehen kann.
So gibt es auch im Geistigen gleichsam Ver
schiedenheit der Artung. ‒
Es gibt hier gleichsam «niedere» Arten, die
von ungefähr gesehen sich in ihren Individuen
zu gleichen scheinen, und es gibt höhere
und höchste Arten, deren Individuen stets
mehr und mehr sich voneinander unter
schieden zeigen. ‒ ‒
Zu welcher dieser Arten du aber auch gehören
magst, so wisse: daß du von Ewigkeit her un‐
abänderlich in dir bestimmt und indivi
duell gesondert bist von allen anderen,
die etwa gleicher Artung angehören!
Dir ist ‒ im allgemeinen Sinn gesprochen ‒
gewiß das gleiche hohe Ziel gesteckt, das
59 Das hohe Ziel
allen leuchtet, die im Schoß der Ewigkeit
aus Geist geboren werden, und dennoch ist
die Form, in der dir dieses hohe Ziel er‐
reichbar wird, von jeder Form verschieden,
in der es andere erreichen können! ‒
Von Ewigkeit her trägst du in dir selbst die
einmal nur aus Geist erzeugte Form, die
da die deine ist, und die nur DU allein in
aller Ewigkeit erreichen kannst, auch wenn
sie in Äonen erst für dich erreichbar würde.
‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Vielleicht bist du gar lange schon auf dem
Wege zu deinem hohen Ziele und hast es
dennoch bis heute noch nicht erspäht, weil
du das hohe Ziel eines anderen zu dem
deinen machen wolltest!? ‒
Du hast dir selbst zu sehr mißtraut und
glaubtest nur durch andere zu finden, was
des Suchens Mühe lohnen könnte! Du wuß‐
test nicht, daß du auf solche Weise dich dir
selbst zum Feinde machtest! ‒
Du wußtest nicht, daß du dich an dir selbst
60 Das hohe Ziel
versündigt hattest, als du das Ziel des an
deren zu deinem hohen Ziele machen
wolltest! ‒
Entsühne dich heute, da du diese Worte lesen
wirst, vor dir selbst und suche fortan nur in
dir selbst das hohe Ziel, das keinem ande‐
ren außer dir erreichbar ist! ‒ ‒
Mag dir dein hohes Ziel auch noch in weiten
Fernen sich verbergen, und magst du es auch
vorerst kaum erahnen können, da es heute
deinem Auge noch in dichten Nebelschleiern
sich verhüllt, so hast du dennoch unver‐
gleichlich Größeres gewonnen, als wenn dir
alle hohen Ziele anderer mit Händen greif‐
bar würden! ‒
Nur in der Erreichung deines eigenen hohen
Zieles winkt dir die Vollendung! ‒
Nur wenn du dein eigenes hohes Ziel zu
finden weißt, hast du für dich das hohe Ziel
erreicht! ‒ ‒
Du selbst bist Pfeil und Bogen hier und hohes
Ziel! ‒ ‒ ‒
Dich selbst sollst du erreichen in deiner
höchsten Geistesform!
61 Das hohe Ziel
Kein Gott kann dich erlösen, solange du
nicht in dir selbst das hohe Ziel vor Augen
siehst, das nur DU SELBER bist, geeint mit
deinem Gott! ‒ ‒ ‒
*
62 Das hohe Ziel
VON DEN WEGEN DER
ALTEN
.Töricht wäre es, o Suchender, wolltest du
den Weg zum Lichte, der da der Weg zu
dir selber ist, nur nach der Alten Weise
gangbar wähnen!
Töricht und vermessen aber wäre es desglei‐
chen, wolltest du der fernen Alten Wege in
deinen Tagen verlachen!
Auch jene, die vor dir über dieser Erde
Fluren schritten, wußten wahrlich zu su
chen und zu finden, ‒ und gar manches
hatten sie gefunden, was denen, die nach
ihnen kamen, wieder verloren ging. ‒ ‒
Du kannst nur gewinnen, wenn du der
Alten Wege wachen Sinnes und ohne Vor‐
Urteil betrachten lernst!
Sie hatten tief Verborgenes erkannt, um
dessen Erkenntnis sich die Späteren ver
geblich mühten, und das auch denen, die
da heute mit dir leben, als ewiges Rätsel
gilt. ‒
Lerne Ehrfurcht empfinden vor den Al
ten, wenn du in deinen Erdentagen zur
Erkenntnis gelangen willst! ‒ ‒
65 Das hohe Ziel
.Noch ward keiner auf dieser Erde gebo‐
ren, der zur Erkenntnis gekommen wäre,
ohne auf seiner Vorfahren starken Schultern
zu stehen! ‒
Wohl sucht der Törichte zu jeder Zeit
nach dem «unerhörten Neuen», und
doch war Zeugen und Gebären noch zu aller
Zeit an gleiche Voraussetzung gebunden...
So wirst du auch niemals zu wahrer geistiger
Erkenntnis deiner selbst gelangen, es sei
denn auf wesentlich gleiche Art wie jene
Alten, auch wenn die Form des Suchens
mit den Zeiten wechselt! ‒
Eine jede Zeit hat ihre eigene Form des
Suchens und Findens; aber wenn du das
Wesentliche in allen Formen zu ergründen
suchst, so wirst du gar leicht erkennen, daß
es stets das Gleiche bleibt in allen For‐
men. ‒
Suche auch du nur in der Form deiner Zeit
und lasse dich nicht verleiten, in alten er‐
borgten Kostümen suchen zu wollen!
Du würdest nur Mummenschanz treiben und
als Theaterheld wuchtige Tat zu vollführen
66 Das hohe Ziel
glauben, wolltest du jener Alten Form dir
zu eigen machen, um in ihr dich zu bewähren.
Du kannst nur finden, wenn du in dei
ner Form, die stets die Form deiner Zeit
sein wird, zu suchen dich bemühst!
Wer dir anderes rät, wird dich dem Irrtum
übergeben, auch wenn er selbst nicht ahnt,
daß er dich also hindert! ‒ ‒
.Die Weisen einer jeden Zeit suchten
in ihrer eigenen Art und in der Form des
Suchens ihrer Zeit!
So wurden sie zu Findern! ‒ ‒
Aber sie wußten auch gar wohl das Suchen
und Finden Früherer zu schätzen und wa‐
ren weit davon entfernt, ihre Vorfahren
«töricht» zu schelten. ‒ ‒ ‒
Es mag an alten Berichten dir vieles wunder‐
lich erscheinen, nur weil du ihre Sprache
nicht mehr zu deuten weißt!
Anderes wird dich sehr beirren, da es mit dir
bekannten Worten von Dingen spricht, für
67 Das hohe Ziel
die man heute sicher nicht die gleichen
Worte wählen würde. ‒
Und wieder anderes ward einst mit weiser
Absicht dunkler Redeweise anvertraut, so
daß der wahre Sinn der Worte kaum noch
zu erfassen ist, da er nur denen sich einst
offenbaren sollte, die im sicheren Besitz der
Schlüssel solcher Redeweisen waren. ‒
So sind dir die wahren Wege der Alten heute
auf gar mannigfache Art verschüttet, und
ahnend nur vermagst du zu erkennen, daß
es wahrlich Wege waren, die zum Ziele
führten, ‒ zum gleichen Ziele, das auch du
erreichen willst. ‒
.Gefährliches Unterfangen ist es, die so
verschütteten Wege wieder gangbar machen
zu wollen!
Den wenigsten gelingt es, die Verschüttung
restlos wegzuräumen, und ist dies selbst ge‐
lungen, so zeigt sich plötzlich alle Wegspur
so verwischt, daß jedes Weiterschreiten un‐
gewisser Willkür überlassen bleiben muß...
68 Das hohe Ziel
Willst du in Wahrheit als ein Schüler jener
weisen Alten dich bewähren, so wirst du,
ihnen gleich, stets nur den Weg beschreiten
dürfen, den deine Zeit für dich dir geebnet
zeigt! ‒
Auch jene weisen Alten waren Kinder ihrer
Zeit, und wenn sie auch die Wege ihrer Väter
ehrten, so blieb es ihnen dennoch wohlbe‐
wußt, daß sie auf eigenen Wegen nur, den
Vätern gleich, das Ziel erreichen konnten.
Ehre auch du die Wege der Alten, aber
mühe dich nicht, sie unter der Verschüttung
aufzusuchen, denn was auch immer dir zu
finden vorbehalten bliebe: ‒ es wäre nur die
Kunde von den Wegen anderer, und
wahrlich: niemals ist dein Weg auf solche
Art zu finden! ‒ ‒
69 Das hohe Ziel
VOM SEGEN DER ARBEIT
.Es gibt in den heutigen Tagen unzählige
Menschen, die nach geistiger Entfaltung
streben, und wenn auch viele zu finden sind,
die jede Kunde von hohen geistigen Dingen
nur verschlingen, um ihrer nimmersatten
Neugier ersehnte Befriedigung zu schaffen,
so sind doch weit mehrere als ernste Sucher
nach der Wahrheit anzusprechen.
Zu allen Quellen pilgern sie und alle Orte, die
im Rufe wundersamer Begebnisse stehen,
sind ihnen heilig!
Aus aller Zeiten schriftlichem Vermächtnis
werden alte Bücher aufgestöbert, in denen
man genaue Anweisung zu finden hofft, wie
man das Wunder an den Alltag fesseln
könnte, denn längst hat man gehört von
hohen Kräften, die denen sich erreichbar zei‐
gen sollen, die des Geistes ewiges Gesetz
erkennen.
Zwar kann man über jener Torheit lächeln,
die das Zaubern lernen möchten, allein
auch viele, die mit aller Inbrunst hin zum
Geiste streben, sind keineswegs von Torheit
frei, und ach so mancher ist des Glaubens,
73 Das hohe Ziel
daß ihm Geistiges erst dann erreichbar sei,
wenn er sich einer äußerlichen Schulung un‐
terziehe, die möglichst wunderliche Übun
gen von ihm verlange.
So nehmen sie bald diese und bald jene Wei‐
sung an, die sie in alten oder neuen Schriften
finden, wo da ein abenteuerlicher Mystagoge
mit geheimnisvoller Geste raunend seine
wirre Weisheit, dunkler Worte froh, zum
besten gibt.
Wann immer man ihnen begegnen mag: ‒
stets haben sie endlich nun das rechte
Rezept entdeckt, den Stein der Weisen in
ihrem Tiegel aufzufinden.
Bewundernswert ist nur an ihnen, wie sie von
Enttäuschung zu Enttäuschung schrei‐
ten und nie den sonderbaren Mut verlieren,
jeder neuen Rute auf den Leim zu gehen. ‒ ‒
Es braucht oft lange Zeit, bis sie entdecken,
daß in solcher Weise das erstrebte hohe Ziel
für sie stets unerreichbar bleiben muß. ‒
Nur schwer erst lernen sie verstehen, daß es
doch sträflich engen Urteils Zeugnis war, so
gar gering vom Höchsten und Erhaben
74 Das hohe Ziel
sten zu denken, daß man durch «Atem‐
übungen» in halbverrenkten Posituren oder
noch weit üblere Betätigung nach wirrer
Köpfe wirrer Anweisung erreichbar wähnte,
was den Weisen aller Zeiten heilig war als
höchstes Gut. ‒ ‒ ‒
Aber gar sehr ist der Mensch geneigt, sich
vor dem Seltsamen zu beugen...
Weit lieber geht er kuriose Winkelwege, die
sein Auge nicht verfolgen kann, und läßt sich
wahnberauscht ins Dunkel führen, als
daß er den geraden Weg zum Lichte sucht,
um ihn in morgenfrischer Nüchternheit
und festen Schrittes zu durchwandern wie
ein Wanderer, der stets des Weges Lauf be
achtet, damit er auch das Ziel des Weges
einst erreiche. ‒ ‒
.Gewiß muß man bei Kräften sein, will
man einen weiten Weg durchmessen, und wer
nicht in Ermattung vor erreichtem Ziele nie‐
dersinken will, der wird auch Sorge tragen,
75 Das hohe Ziel
daß er auf dem Wege selbst noch Stärkung
finde.
So verlangt auch der Weg zum Geiste
Kräftigung und Stärkung von jedem, der ihn
gehen will.
Aber man braucht hier nicht weit zu suchen
und keine bedenklichen Seitenwege einzu‐
schlagen, um solche Stärkung zu finden.
Das Leben des Alltags wird sie reichlich
spenden, wenn man es recht zu leben weiß.
Hier aber wissen wieder wenige, wie hoch die
Kräftigung und Kraft-Erneuerung zu
werten ist, die da aus recht getaner Arbeit
fließt! ‒ ‒ ‒
Viel lieber wiegt man sich in hohen Träumen
und sieht die Arbeit nur als Hindernis auf
seinem Wege, ‒ als Störung seines Schreitens,
der man möglichst aus dem Wege geht...
Wer aber solcherart das hohe Ziel erreich‐
bar wähnt, der wird es sicher nicht errei‐
chen, auch wenn er aller Weisen Weisheit aus
den Worten dieser Weisen kennt und jeder‐
zeit sich hohen, weihevollen Stimmungen
ergibt. ‒ ‒
76 Das hohe Ziel
Es ist viel leichter, seines Alltags Pflichten
zu verachten, als sie zu erfüllen!
Viel leichter ist es, sich in weihevollen Stim‐
mungen dem Geiste Gottes «nahe», ja «ver‐
eint» zu fühlen, als seine Arbeit so zu tun,
daß sie zur Kräftigung des eigenen Geistes
wird und ihn durch solche Kraft ertüchtigt,
einst die Weihe wirklich zu empfangen! ‒
Hier sind wahrlich Werte verborgen,
die ihre Erlangung lohnen!
.Gewiß hast du schon Zirkusspiele ge‐
sehen und fandest dich in bewunderndem Er‐
staunen, wenn dort Menschen wie du ihre
Körperkräfte derart entfaltet und in ihres
Willens Macht gebändigt hatten, daß sie
Dinge vollbringen konnten, die dir völlig un‐
möglich wären...
Von ihnen kannst du lernen!
So wie sie durch unablässige Tätigkeit nur
ihre Körperkraft erlangten, so kannst du
heute ungeahnte geistige Kraft aus jeder
Arbeit schöpfen, die du so zu tun weißt, daß
77 Das hohe Ziel
kein anderer sie besser leisten könnte! ‒ ‒ ‒
So wie jene Zirkusleute in angespannte
ster Aufmerksamkeit auf jeden Hand‐
griff, jede Bewegung achten müssen, soll ihr
Werk gelingen und ihr Leben nicht in äußer‐
ste Gefahr geraten, so wirst freilich auch du,
soll deine Arbeit dir geistig fruchtbar wer‐
den, stets alles, was sie von dir verlangt, mit
solcher Konzentration vollbringen müs‐
sen, als hinge dein Leben von jedem ge‐
wohnheitsmäßigen «Handgriff» ab! ‒ ‒ ‒
Ob deine Gedanken oder deine Hände
zumeist bei deiner Arbeit beteiligt sind, stets
wird es eine Menge solcher «Handgriffe» ge‐
ben, die du fast ohne Bewußtsein «rein
mechanisch» und gewohnheitsmäßig machst
und so selbst erniedrigst...
So werden sie dir freilich öde und eintönig er‐
scheinen!
Wie aber jene kühnen Akrobaten, deren Ar‐
beit dir wie ein fröhliches Spiel erscheint, an
jedem Abend, der sie zu gleicher Arbeit vor
eine zum Schauen bereite Menge ruft, aufs
neue stets auf jede leiseste Muskelbewegung
78 Das hohe Ziel
zu achten haben, da die gleiche Darbietung
ihrer Künste am heutigen Abend doch
mißlingen könnte, auch wenn sie gestern
gelang, so wirst auch du dir klar zu machen
haben, daß auch der gleiche «Handgriff»
immer ein Neues darstellt, so oft du ihn
auch geübt haben magst? ‒
.So «einförmig» auch, so «geisttötend»
dir deine Arbeit erscheinen mag: ‒ beachte
sie in solchem Sinne und werte sie nicht vor
dir selbst noch mehr herab, ‒ dann wirst du
entweder entdecken, wie du sie aus ihrer Ein‐
tönigkeit erlösen kannst, oder du wirst den
gleichen «Handgriff», das allezeit gleiche
Tun, das sie Tag für Tag von dir verlangt,
stets mit neuem Bewußtsein tun, so daß
dein Geist der gleichen Sache tausend neue
Seiten abgewinnen wird! ‒ ‒ ‒
Erziehe dich selbst dazu, an deiner
Arbeit Freude zu empfinden, auch wenn sie
keineswegs geeignet scheint, dir Freude zu
bereiten! ‒ ‒ ‒
79 Das hohe Ziel
Bezwinge deine Abneigung, und du
wirst auch der ödesten Arbeit überlegen
sein; ‒ sie wird dir Freude bringen durch
die Art ihr zu begegnen!
Steht deiner Arbeit Aufeinanderfolge in dei‐
ner freien Wahl, dann wähle zuerst, was dir
am meisten widerstrebt und suche es zu
lieben!
Hast du dein stärkstes Widerstreben besiegt
und dich als stärker erwiesen, so wird dir
schon daraus allein eine Freude werden,
die dir auch alle weitere Arbeit in Freude
verwandeln wird! ‒ ‒
.Du darfst deine Arbeit niemals nur als
Mittel betrachten, das eben gebraucht wer‐
den muß, um das zu erlangen, was deines
Lebens Notdurft erheischt! ‒
Hier irren die allermeisten!
Gewiß ist jede Arbeit ihres Lohnes
wert, und du selbst machst dich schuldig,
wenn du einem Ungerechten dienst, der etwa
dir vorenthalten möchte, was er dir
80 Das hohe Ziel
schuldig wurde als dein Schuldner für dei‐
ner Arbeit Wert! ‒ ‒ ‒
Allein was so dir als Frucht deiner Arbeit
gehört, ist geistig genau bestimmt! Du
machst dich nicht minder schuldig, wenn du
etwa mehr für deiner Arbeit Wert dir geben
läßt, als sie dem anderen, für den du sie lei‐
stest, Wertzuwachs schafft, ‒ wobei du nie
vergessen darfst, inwieweit auch der andere
irgendwie durch seine Arbeit an der deinen
indirekt beteiligt ist! ‒ ‒ ‒
Doch aller Arbeit äußerliche Entlohnung
bleibt nur ein Geringes gegenüber dem, was
dir deine Arbeit an geistigen Werten ver‐
mitteln kann, so du sie zu schätzen weißt, als
Arbeit um der Arbeit willen!
In der gutgetanen Arbeit selbst liegt
ihr höchster Wert beschlossen, den dir
keiner vorenthalten, den dir keiner rauben
kann. ‒ ‒ ‒
.Auch in der allergeringsten Arbeit
läßt sich höchste Vollendung erstreben,
81 Das hohe Ziel
und wird sie erreicht, wie sie nur intensiv
ste Hingebung an die Arbeit erreichen
kann, dann ist stets ein unermeßlicher Zu
wachs geistiger Kraft die naturgegebene
Folge. ‒
Der Arbeiter an der Maschine, der Tag um
Tag nichts anderes da zu tun hat als etwa
Schrauben zu drehen, kann auf solche Weise
hohe geistige Kräfte in sich zutage för‐
dern, während ein anderer, der seiner Mei‐
nung nach nur in hohen geistigen Dingen
lebt, aber weit mehr auf seine geheimnis‐
vollen Schauer achtet, als auf die Güte der
Arbeit, die ihm in irgendeiner Weise aufge‐
tragen ist, völlig leer ausgeht und sich nur
selbst betrügt, wenn er seine geistigen
Kräfte im Wachsen glaubt. ‒ ‒ ‒
.Zur Erlangung der geistigen Kräfte, die
durch intensive und auf die höchste Arbeits‐
Leistung eingestellte Arbeit zu erhalten
sind, ist es nicht nötig, daß die Art der Ar‐
beit selbst schon Geistigem diene! ‒
82 Das hohe Ziel
Doch, wenn auch die dauerwertige Frucht
der Arbeit auf solche Weise in einem steten
Zuwachs geistiger Kraft besteht, so wäre
es dennoch töricht, wollte man hier der an
deren Früchte nicht achten, die solche
disziplinierte Arbeit auch dem Alltag
bringt. ‒ ‒
Noch wissen die meisten nicht, was solche
Arbeit auch im Alltag bedeutet, obwohl sie
es wahrlich aus manchem Beispiel ersehen
könnten! ‒
Nur Arbeit um der Arbeit willen: ‒
Arbeit, die das höchste Resultat erstrebt,
kann jenen ersehnten allgemeinen Wohl
stand schaffen, der niemals zu erreichen ist,
solange Arbeit noch wie ein lästig Not
wendiges nur erduldet wird! ‒ ‒ ‒
Der weiß noch nichts vom Segen der Ar‐
beit, der seine Arbeit nicht lieben lernte! ‒
Der wird den Segen der Arbeit niemals ge‐
nießen, der sich ein Glück erträumt, dem
die Arbeit fehlt! ‒ ‒
*
83 Das hohe Ziel
VON DER MACHT
DER LIEBE
.Wahrlich, des Menschen Macht ist ohne
Grenzen, so er in der Liebe lebt!
Wahrlich, die Liebe ist des Erdenmenschen
höchste Kraft! ‒
Sie haben gar hohe Kräfte als des Menschen
höchsten Wert gepriesen und auf hoher Zinne
sich des Menschen höchste Herrlichkeit er‐
träumt; allein, weit höher, als des Erden‐
menschen eigenes Ersinnen es erahnen konnte,
ward ihm Ruhm bereitet, und weiter als sein
kühnstes Denken es erspähen konnte, ward
ihm Macht gegeben! ‒ ‒ ‒
Die Himmel fassen nicht, was Liebes
feuerkräfte in den Herzen Erdgeborener
zu wirken wissen, und in allen Abgrunds‐
tiefen ist nicht zu ergründen wo die Weihe
ankert, die da aus Menschentieren gött‐
lich überformte Geistesmenschen schafft!
‒ ‒ ‒
Sonnen vergehen in kosmischen Gezeiten
und reißen Welten in den Abgrund unerfaß‐
lichen Vergehens mit hinab; jedoch des
Menschen Macht bleibt ihm für alle
Ewigkeit gegeben, mag auch der Boden, da
87 Das hohe Ziel
er zeitlich seine Hütte baute, unter seinen
Füßen wanken und zerbersten! ‒
Er, der aus hohem Leuchten fiel dereinst,
trägt dennoch Macht in sich, hoch über alle
Sterne sich empor zu heben!
.Du fragst, was solche hohe Macht dem
einst Gefallenen verleiht?!
Du fragst, was über alle unsichtbaren Fürsten
kosmischer Gestaltung ihn erhebt?!
Wisse: der Sprache Wort ist nicht vermö‐
gend, letzte Antwort hier zu formen und
tiefstem Ahnen nur bleibt vorbehalten hier
zu fühlen, was erfühlbar, aber kaum erfaß‐
bar ist! ‒ ‒
Wie könnte jemals eines Menschen Zunge
künden, was über allem menschlichen Er‐
denken bleibt?
Selbst jenen hohen Sterngewaltigen, die
ihrem Wesen nach nur reinstes «Denken»
sind, ‒ nur über alles erdenhafte Denken
hoch erhaben, ‒ jenen unsichtbaren «Göt‐
tern» dieser Sichtbarkeit, ‒ bleibt ewiglich
88 Das hohe Ziel
verhüllt, was nur des Menschen Seelen
Innerstes im tiefsten Schauen in sich selbst
erleben kann. ‒ ‒
Höher als dieser Sternengötter höchste All‐
gewalt in kosmischem Geschehen, erhebt sich
Menschenmacht, die in der Liebe grün‐
det!
.Es ward gesagt:
«Gott ist die Liebe, und wer in der
Liebe bleibet, der bleibet in Gott
und Gott in ihm
Doch euch ward die «Liebe» allzunah der
Lust verwandt; ward euch zu holdem Füh‐
len lustgeschwängerter Gefühle; und statt
in «Gott» zu leben, habt ihr selbst den
Götzen aufgerichtet, vor dem ihr kniet
und der euch wahrlich nicht zu helfen weiß,
so daß die Klugen, denen solches Blendwerk
nicht verborgen blieb, sich von ihm wandten
und für euch nun «Gottesleugner» heißen,
da sie eures Götzen «Gottheit» kühn in
Frage stellen und verneinen!...
89 Das hohe Ziel
Ich aber sage euch, daß mancher, der auf
solche Weise sich von Götzen und von Göt‐
tern wandte, der Gottheit näher stehen mag
als jene die ihn schmähen! ‒ ‒ ‒
Ich sage euch, daß viele derer, die ihr Gottes‐
leugner nennt, wahrhaft in Gott geborgen
sind und in der Liebe Gott erleben, auch
wenn sie nicht in eurer Weise reden und
selbst nicht wissen mögen, daß sie in der
Liebe sind und Gott in ihnen sich be‐
kundet! ‒ ‒ ‒
Denn:
«Gott ist Geist, und die ihn anbeten,
müssen im Geiste die Wahrheit anbeten!»
Wer nicht den Geist in sich zu suchen unter‐
nimmt, wird Gott in Ewigkeit nicht finden!
.Der Geist, der Gott und der die Liebe
ist, darf freilich nicht dem «Geiste» des
Gedankens gleichgeachtet werden, der in
den Hirnen Staubgeborner im Denken sich
erzeugen läßt!
Von anderem Geiste ist wahrlich hier die
90 Das hohe Ziel
Rede, und wer nicht in der Liebe ihn er‐
fühlt, der wird, mag er auch noch so viel von
Gott zu sagen wissen, dennoch gottlos
bleiben! ‒ ‒
Nur in der Geistesform der Liebe kann der
Erdenmensch zu Gott und damit in den
Geist gelangen, von dem er ausging durch das
Wort des Lebens, das sich in Gottheit
selber spricht von Ewigkeit zu Ewigkeit! ‒
Vorher ist all sein Psalmodieren über «Gott»
und «Göttliches» nur törichtes Gerede, und
all sein «Beten», so es nicht in dieser Liebe
gründet, wird vergeblich sein! ‒
.Der euch einst «beten» lehrte, wie man
beten soll, und nicht, den Gottesfernen gleich,
zu «plappern», der wollte euch in dieser
Liebe sehen!
Sein ganzes Leben war ja seine Lehre dieser
Liebe!
Wie wollt ihr ihn verstehen können, solange
ihr noch zögert, euch in gleichem Liebes‐
feuer aufzulösen und euch selbst dahinzu‐
91 Das hohe Ziel
geben, um euch in dieser Liebe dann aufs
neue zu gewinnen?!
.Es ist diese Liebe, von der ich hier
künde, niemals ganz zu erreichen, solange du
noch einen Gegenstand der Liebe brauchst,
den du außer dir suchen mußt!
Du selbst mußt dir Gegenstand dieser
Liebe werden, bis du zuletzt auch dich in
ihr verlierst und so dann selbst zu Liebe
wirst, die keines Gegenstandes mehr bedarf,
da alles, was je wurde oder werden kann, in
ihr beschlossen ruht! ‒ ‒ ‒ ‒
Wenn dir geraten wird mit weisem Rat:
selbst deiner Seele zu entsagen, so sollst
du nur daraus entnehmen, daß du auch deine
Seele nicht zum Gegenstande deiner Liebe
machen darfst, wenn du die Liebe in dir selbst
erfahren willst, als welche Gott in dir sich
offenbart!
Willst du noch anderes, als was in deinem
tiefsten «Ich» sich selbst erfassen will, durch
«Liebe» dir zu eigen machen, so «liebst»
92 Das hohe Ziel
du noch nach irdisch-enger Weise und bleibst
so ferne jener wesenhaften Liebe, die eine
Geistesform der Gottheit ist!
Du aber sollst in dir die Liebe finden, die da
Gott ist, und sollst in der Liebe sein, auf
daß Gott in dir sei, und du in Gott! ‒ ‒ ‒
.Noch «bist» du nicht, denn was du dein
«Dasein» nennst, ist nicht wahres, seiner
selbst bewußtes Sein!
Was du dein «Dasein» nennst, ist ebenso nur
übertragenen Sinnes «Sein» zu nennen, wie
das, was dir als «Liebe» gilt, nur in «über‐
tragenem» Sinne: Liebe heißen kann! ‒
Was du dein «Dasein» nennst, ist tausend‐
fach bedingt, wie gleicherweise alle Liebe,
die sich an den Gegenstand der Liebe bin‐
det, stets bedingt bleibt durch ein Äußeres,
wie hoch du es auch vor dir selbst erheben
magst! ‒
Über alles dieses hinaus, hinauf und
empor muß ich dich führen, will ich dich zu
93 Das hohe Ziel
jener Liebe leiten, in der dein Gott sich
dir gebären kann und du dich in ihm...
Empor gelangt nur, wer sich in sich selbst
«empört» und gegen alles Niedere zu stem‐
men weiß, das ihn in seiner Niederung zu
fesseln sucht!
Es ist ja wahrlich schon Empörung gegen
alles Niedere, wenn du nach einem «Gegen‐
Stand» der Liebe suchst, denn ahnend
fühlst du hier, daß du entgegen stehen
mußt dem Niederen, wenn du es überwinden
willst!
Aber solange du noch den «Gegen-Stand»
deiner Liebe draußen suchst, kannst du
dich in dir selbst nicht gründen, und dar‐
um werde vorerst selbst dir «Gegenstand»
deiner Liebe! ‒
Hast du in solcher Art dich in dir selbst
gegründet, dann mag es wohl dir leichter
werden, auch diese letzte Stütze dahinzu‐
geben und gegen dich selbst dich zu «em‐
pören», bis du dorthin emporgelangst, wo
weder Höhe noch Tiefe ist, da alles räum‐
liche Gleichnis zunichte wird, weil Unver
94 Das hohe Ziel
gleichliches hier zum Ereignis sich ge
staltet! ‒
.Siehe: die Himmel vermögen nicht zu
fassen, was dem Menschen vorbehalten ist,
der seines Anrechts sich nicht entäußern
mag!
Zwar werden nach Äonen alle einst zur
«Seligkeit» gelangen; doch jene «Seligkeit»,
die allen so erreichbar wird, ist keineswegs
dem hohen Ziele je vergleichbar, das du
erreichen kannst, wenn du in deiner erdge‐
bundenen Erscheinungsform schon dich em‐
porzuringen trachtest und aus den Banden
der Gewaltigen des Kosmos dich zu lösen
weißt, die dich umschlungen halten können
durch Jahrtausende und durch Äonen!
Davon aber ist gesagt, daß keiner Befreiung
finden kann, «bis er den letzten Heller
bezahlt»! ‒ ‒ ‒
Heute jedoch hast du noch die Möglichkeit,
solcher Fessel zu entrinnen!
Heute noch kannst du wahrlich deines
95 Das hohe Ziel
Schicksals Meister werden, und solche deiner
Erdenbrüder, die es längst geworden sind,
kennen kein höheres Glück, als daß sie dir
helfen dürfen...
96 Das hohe Ziel
DER MEISTER VON NAZARETH
.«Und wenn ich mit Menschen- und
mit Engelszungen redete und hätte
der Liebe nicht, so wäre ich gleich
einem tönenden Erz oder einer klin
genden Schelle
So redete einer, der um die Liebe wußte! ‒ ‒
Doch ein anderer war, der hatte vordem
diese Liebe dargelebt in seines Lebens
unvergänglich hoher Lehre...
Er, den wir den größten aller Liebenden
nennen, war zwar von vielen seiner Brüder
vorgeahnt, doch hatte keiner seiner Liebe
Glut erreicht!
Und viele sind nach ihm gekommen und
werden viele noch erscheinen, die wahrlich
«Liebende» zu nennen sind; jedoch trotz
aller ihrer Liebeskraft war keiner und kann
keiner je erstehen, der ihm vergleichbar
wäre, ‒ obwohl ich hier von seinen geist‐
geeinten «Brüdern» rede!
Doch, was in jedem dieser seiner Brüder
einst zur Offenbarung kam, war stets das
Gleiche, was in ihm in seiner ganzen
Fülle sich zu offenbaren wußte.
99 Das hohe Ziel
Und was noch in der Zeiten Lauf zu Offen‐
barung werden kann, wird nur das Glei
che in stets neugeformter Offenbarung,
sein! ‒ ‒
Es ist nur hirnverbrannter Wahn, der da
vermeint, daß die Gestalt des Zimmermanns
aus Nazareth der frommen Mythe ange‐
höre; doch der, den nun die Nachwelt nur in
einer Zeichnung kennt, die erst Jahrhunderte
nach seinem Erdendasein seine Züge formen
wollte, sah freilich anders aus als jener
fakirhafte Wundertäter, den man aus ihm
gebildet hat in einer Zeit, da längst der Aber‐
glaube östlicher und westlicher Gehirne um
sein Bildnis rang...
Wer wirklich hier der Wahrheit Spur er‐
kunden will, der muß die Zutat wundersüch‐
tig erdgebundener Geschlechter aus jenem
Bilde tilgen lernen, das ihm von früher Ju‐
gend an als unantastbar galt.
Alsdann erst wird ihm des hohen Meisters
Auge entgegenleuchten und er wird eines
Menschen Antlitz schauen, der ‒ Gott
geeint, im tiefsten Sinne solchen Wortes
100 Das hohe Ziel
‒ dennoch als Mensch dem Menschen dieser
Erde «frohe Botschaft» brachte von je‐
nem Reiche wesenhaften Geistes, das er
«das Reich der Himmel» nannte. ‒ ‒ ‒
.Wenn ich von anderen ‒ wie von mir
selbst ‒ als seinen «Brüdern» künde, so
würde jeder meine Worte irrig deuten, wenn
er etwa vermeinen wollte, es sei hier ausge‐
sprochen, daß wir anderen dem erdenfernen
Zauberbilde gleichen wollten, das mit dem
Namen dieses Zimmermanns aus Nazareth,
in später Zeit, die ihn dem «Logos» gleichzu‐
stellen suchte, unterzeichnet wurde. ‒
Fern liegt uns solche Torheit!
Die ihn durch ihre zweifelhafte Kunst auf
solche Weise in den höchsten Himmeln si‐
chern wollten, haben ihn nur allem Erden
menschlichen entfremdet, so daß er denen
nicht mehr faßbar ist, die er empor zu höch
sten Geisteshöhen führen wollte!
Was Wunder, wenn er ihnen schließlich dann
zur Mythe wurde!
101 Das hohe Ziel
.Seht, Freunde, ich weiß gar wohl, wovon
ich rede, wenn ich den größten aller Lie
benden den hohen «Bruder» nenne!
Kein einziger aus uns, so hoch ihn auch der
Geist erhoben haben mag, wird je dem Irr
sinn huldigen, er ‒ der Sprecher ‒ sei das
«Urwort» selbst, das aus ihm spricht, ‒
und also dünkt es uns: es sei verbrecherische
Schmähung, von jenem Größten aller
Liebenden zu glauben, daß er in solchem Irr‐
sinn sich gefallen habe...
Wir wollen ihn euch zeigen, so, wie er wirk‐
lich war, als er, gleich uns, der Erde Mühsal
trug, ‒ so, wie er heute noch, ‒ der geist‐
geeinte Bruder seiner Brüder, ‒ in Geist‐
gestaltung uns erkennbar und vereinigt, sich
uns Tag für Tag bezeugt!
Wenn wir, die ihn so hoch verehren, uns
seine «Brüder» nennen, so soll dies nur be‐
sagen, daß er als Erdenmensch der Unseren
einer war und daß er auch in geistiger
Gestalt der Unseren einer bleibt, mag
man auch aus dem Sohn des Menschen, der
alles Menschliche in sich erfahren hatte,
102 Das hohe Ziel
als er auf der Erde lebte, in einer heute fer‐
nen, wunderargen Zeit den «Gott» gestaltet
haben, der da aus seiner Gottesherrlichkeit
herniedersteigen mußte, weil eines kleinen
alten Volkes Rachegötze vorgeblich seine
Wut nicht zügeln konnte, bevor der eigene
«Sohn» sich ihm als Opfer dargeboten hatte.
‒ ‒
.Wir reden nicht von einem, den wir nur
aus alter, dunkler Kunde kennen! ‒
Wir sind mit dem, von dem wir künden, so
vereinigt, wie keine irdische Vereinigung
jemals den Menschen mit dem Menschen
einen kann! ‒ ‒ ‒
Wir wissen, wüßten wir es anders nicht,
durch den, um den es hier sich handelt, daß
er einst als Mensch, in allen Stücken
menschlich uns vergleichbar, über diese Erde
schritt und daß er nur an Liebesfeuer
kraft uns also überlegen war, daß er das
überirdisch-hohe Wunder wirken konnte, die
Geistesaura dieser Erde so zu wandeln, daß
103 Das hohe Ziel
jeder, der da «guten Willens» ist, nunmehr
den Weg zurück zum Geiste, in der Liebe
finden kann, ‒ gleichsam «gebahnt», so wie
ein Wanderer durch hohen Schnee den Weg
nicht fehlen wird, den einer bahnte, der des
rechten Weges kundig war...
Auf solche Weise ist es wahrlich seine ei
gene Kunde, die euch durch unser Wort er‐
reicht!
Seht ihr an uns des Menschen Mal, obwohl
wir uns als seine «Brüder» euch bezeugen
müssen, so wisset, daß auch er, gleich uns,
ein wahrer Mensch war, dem nichts
Menschliches erlebnisferne blieb! ‒
Nichts Menschliches schien ihm zu niedrig,
als daß er es nicht einstmals in sich selbst, in
eigenem Erleben, mitempfunden hätte! ‒
Er wäre nicht gewesen, der er war, wenn
nicht die ganze Weite alles Menschlichen in
ihm sich auszuwirken Raum gefunden hätte!
Doch war ihm auch wahrlich keine Macht ge‐
geben, seinem Menschentum sich zu ent
winden, hätte er sich jemals ihm entwinden
wollen!
104 Das hohe Ziel
Nur, daß er letzten Endes Sieger blieb,
macht seine Größe aus, so wie ein jeder, der
ihm folgen will, sich nur als «auserwählt»
bezeugt, wenn er der Erde Torheit, der er
niemals ganz entrinnen kann, solange er
auf dieser Erde lebt, für «Nichts» zu achten
weiß und aller «Sündenschuld» sich zu ent‐
winden lernt, um im Erlösungslicht sich
zu erheben, sich selbst verzehrend in den
Feuergluten jener Liebe, die in dem Meister,
dem er nur in Liebe sich vereinen kann,
das hohe Wunder seines Lebens wirkte...
.Wer da den «Großen Liebenden» im
Innersten des Innern in sich selbst zu
finden hofft ‒ denn er ist wahrhaft allen Erd‐
geborenen so nahe, daß er leicht sich finden
läßt ‒ der muß vor allem jenem Wahn ent‐
sagen lernen, der aus dem reinsten Men
schen, den die Erde trug, den «Gott» zu bil‐
den wußte, der seinem Vatergott sich als Ver‐
söhnungsopfer irren Rachedurstes, mensch‐
lich allzumenschlicher Erfindung, bot! ‒
105 Das hohe Ziel
Dann erst kann er den hohen Meister in sich
vernehmen: ‒ den weisen Zimmermann aus
Nazareth!
106 Das hohe Ziel
ENDE