WEGWEISER
gegründet 1816
KOBER`SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG AG
BERN
Bô Yin Râ ist der Autorenname von
Joseph Anton Schneiderfranken
2. Auflage
Unveränderter Nachdruck
der 1928 erschienenen Erstausgabe
©
1971 Kober'sche Verlagsbuchhandlung AG, Bern
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die der Übersetzung
in fremde Sprachen und der Verbreitung in Rundfunk und
Fernsehen
Druck: Graphische Anstalt Schüler AG, Biel
.Letztes Laub löste herbstlicher Sturm
von erstarrten Ästen.
.Welk und gelb, oder rostbraun und
rascheldürr, deckt es weithinverweht den
Weg.
.Was einst im Frühling zu grünem Leuch‐
ten sproßte, was kühlen Schatten bot in
schwüler, mittäglicher Sommersonnenhitze,
das liegt nun abgestorben und zertreten auf
der feuchten Erde:
‒ Beute des Moders und der Fäulnis Fraß!
.Das ist die bange, nebeltrübe Zeit der
Sonnenferne!
.Das ist das große Sterben der Natur! ‒ ‒
.So sagen die empfindsamen Dichter und
trauern dem entschwundenen Sommer nach.
.Aber: ist wirklich alles Leben nun er‐
storben?
.Sind wirklich die Äste so starr und leb‐
los geworden, seit sie ihre Blätter lassen
mußten? ‒
.Hebe deinen Blick vom Boden und bleibe
nicht im Banne der Verwesung, dann wirst
du allerorten schon die treibenden Knospen
gewahren, und dort der Haselnußstrauch trägt
gar schon die ersten, noch unerschlossenen
Blütengehänge!
.Kaum ist die Frucht geerntet und das
letzte Blatt gefallen, da zeigt sich schon Ver‐
heißung neuen Grünens, neuen Blühens,
neuer Frühlingsherrlichkeit.
.Würde jetzt eine kurze Reihe warmer
Sonnentage kommen, dann könntest du als‐
bald das erste junge Grün an jedem Busch
entdecken.
.Noch aber sind eisige Stürme zu erwarten,
so daß es gut ist, wenn vorerst die treibende
Knospe noch umpanzert bleibt. Das Leben
in ihr braucht noch Schutz.
.Doch: ‒ kaum ist der Schnee zu Wasser
geworden und in die Furchen der Felder
versickert, so regt sich auch, was jetzt noch,
fast mit Gewalt, in der Knospe zurückge‐
halten wird.
.Alljährlich willst du wieder aufs neue
so recht geruhsam den Frühling einziehen
sehen, und immer wieder überrascht er dich
mit seinem jungen Grün fast über Nacht.
.Ein paar Sonnentage nach einem warmen
Regen, und an jedem Ästchen ist bereits
das neue Laub.
.Für eine dir gar zu lange währende Zeit
muß das Leben alle Kraft gebrauchen, sich
selbst zurückzuhalten um seine Gebilde vor
der Zerstörung zu schützen.
.Dann aber befreit es sich von allen Ban‐
den und leuchtend sproßt Gestaltetes all‐
überall hervor...
.Gewahrst du nicht, wie hier Natur dich
belehrt?!
.Auch du bist wahrlich nicht immer in
Lichtesnähe.
.Auch du hast deine Gezeiten, deren Ab‐
lauf dein eigener Lebensrhythmus bestimmt.
.Kaum glaubtest du alles errungen und
fühltest dich nur allzugesichert in deiner
prangenden Kraft, ‒ da überkam dich plötz‐
lich ein Ermatten, das mit jedem Tage dir
mehr von deiner Zuversicht nahm, und end‐
lich liegt alles, was deinen Stolz verursacht
hatte, vor dir am Boden...
.Nun glaubst du alles Leben in dir er‐
storben, und eitle Torheit meinst du zu
vernehmen, wenn man dir sagt, daß deine
Ermattung die gewisseste Verheißung neuer
Lebenswirksamkeit in sich birgt.
.Noch kennst du deine Gezeiten nicht
und willst nicht begreifen, daß auch
dein
Geist nur
in rhythmischem Wechsel
sich auswirken kann. ‒
.Auch in den Tagen deiner größten Lichtes‐
ferne ist das Leben in dir wirksam.
.Das Kommende wird in dir vorbereitet,
auch wenn du nicht darum weißt...
.Siehe: auch du wirst wieder dem Lichte
so nahe sein wie ehedem!
.Du wirst dich entfalten zu neuer Pracht,
nachdem du deine stillen Zeiten jeweils in
Geduld ertragen hast! ‒
.Laß' dich nicht betören, traurig und
dumpf, düsteren Trübsalsträumen Sinn und
Sehnen zu überlassen, wie einer, der nichts
mehr zu hoffen hat!
.Sei deiner stets sich erneuernden Kraft
bewußt, und glaube an dich selbst!
.Du schaffst dein Schicksal in deinen
stillsten Stunden, und in den Tagen deiner
weitesten Lichtesferne bilden sich in dir
die Keime, denen dann ein neuer Früh‐
ling sichtbarliche Form verleiht! ‒ ‒
.Lerne dir selbst vertrauen und vertreibe
alle Unrast aus deiner Seele, damit die
Stille in dir gestalten kann, was weiter
werden soll!
.Der Grad der Wahrheitserkenntnis eines
Menschen wird bestimmt durch seine
Er‐
lebnisse; durch die
Intensität seines Er‐
lebens, ‒
nicht aber durch die
Erschei‐
nungen, die dieses Erleben
auslösen.
.So einfach und leicht begreiflich diese
Tatsache auch ist, so wenig wird sie begriffen.
.Man begegnet allerorten einer maßlosen
Überschätzung des
Phänomens, während
die
Erlebnisfähigkeit in den allermeisten
Fällen derart
verkümmert ist, daß es erst
besonderer Sensationen, unerhörter äußerer
Anregungen bedarf um sie vorübergehend
noch zu erwecken.
.Wer darf sich wundern, daß dann auch
die so erzielten „
Erlebnisse” der vermin‐
derten
Fähigkeit zum Erlebenkönnen ent‐
sprechen?!
.Was man „erlebt”, ist nur noch
Schaum
der Oberfläche, da die Fähigkeit fehlt,
tiefer in die Erscheinung einzudringen, mag
sie auch mit der Lanzette scheinbar bis ins
Innerste zerlegt und unter dem Mikroskop
bis zu den feinsten Fasern erforscht werden.
.Auch wenn die physikalischen Bedin‐
gungen der Erscheinung genauestens nach
exakter Forschungsmethode erkannt sind,
bleibt dennoch ein letztes, auf solche Weise
niemals Erkennbares: ‒ die „
Seele” der
Erscheinung, die nur erkannt werden kann,
wenn die Erlebnisfähigkeit derart entwickelt
ist, daß sie auch auf Anstöße reagiert, die
den physischen Sinnen
völlig unwahr‐
nehmbar bleiben.
.Für solches Erkennen ist es belanglos, ob
man die Erscheinung bis auf ihre innersten
Fasern seziert, oder sie in der Gesamtheit
ihrer Formkomplexe auf sich wirken läßt,
ohne sie erst mechanisch, sei es auch durch
die Mechanik des Denkens, in ihre einzel‐
nen Teile aufzulösen.
.Es besteht an sich durchaus keine Be‐
dingtheit der Tiefe und Bedeutung des
Erlebens durch die Umfänglichkeit, oder
die mechanische Wucht in der eine
Er‐
scheinung wahrgenommen wird!
.Ein Feuerwerk kann das Auge blenden,
und mit ungeheurem Geprassel und Ge‐
knatter enden, ‒ dennoch kann ein win‐
ziger Glühwurm im Dunkel sommernächt‐
lichen Waldes Anlaß zu einem weit tieferen
Erlebnis werden als es jemals die Künste
des Pyrotechnikers in uns hervorzurufen
vermöchten...
.So ist es mit
aller Erscheinung, möge
sie nun durch das Auge, das Ohr, oder einen
anderen physischen Sinn von uns „aufge‐
faßt” werden!
.Gewiß kann die Majestät ragender Hoch‐
gebirgsgipfel, oder die tosende Wildheit an‐
stürmender Meeresbrandung Ursache tiefen
und starken Erlebens werden, aber auch
Allerkleinstes und
scheinbar Unbe‐
deutendstes kann gewaltiges Erlebnis
wecken.
.Unzählige Menschen, ‒ und wahrlich
nicht die seelisch kältesten, ‒ sind dauernd
in der
Erwartung eines ungeheuren Er‐
lebens, das ihre innersten Tiefen erschüttern
könne, ‒ und weil alle Sehnsucht dieses
Erleben nicht herbeiziehen kann, hasten
sie unstet suchend von Erscheinung zu Er‐
scheinung, befangen im Wahn, das erhoffte
Erleben müsse zu
erreichen sein, fände
man nur die gewaltige
Erscheinung, die
durch ihre Ungeheuerlichkeit die Seele über‐
wältigen könne.
.So bleibt ihnen schließlich kein Wunder
der Natur mehr fremd und alle Erdteile
werden ihnen vertraut, aber die Sehnsucht
der Seele bleibt dennoch ungestillt.
.Andere wieder suchen die große Erfül‐
lung in den Bereichen der Kunst, der Wissen‐
schaft, oder des abstrakten Denkens, ‒ und
wieder andere, besonders in heutigen Tagen,
erwarten alles Heil von den „Wundern der
Technik”, wenn sie nicht gar die sportliche
„Sensation” und den Kitzel verwegenen
Spiels um Leben oder Tod, als Opfer einer
Selbsthypnose, für das mit allen Kräften
ersehnte
Erlebnis halten.
.Keiner denkt daran, daß alle die zeit‐
weiligen
Erregungen, die er sich solcherart
verschafft, ‒ mögen sie ihm nun auf Höhen
oder in den Niederungen der Erscheinungs‐
welt zuteil werden, ‒ nur
Betäubung,
ja
Betrug an der eigenen
Seele sind, die
nach
wie vor ihr Recht verlangt,
das Glück
des Erlebens zu empfinden in dem sie
ihrer selbst bewußt zu werden vermag.
.Solches Erleben aber kann jeder
in
seinem allernächsten Umkreis zur Ge‐
nüge finden, und
weiß er es zu finden,
dann wird ihm alle Sucht nach fernem Un‐
bekannten töricht, aller Nervenkitzel den
er andere als „Erlebnis” preisen hört, nur
als bedenkliches
Surrogat echten Erlebens
erscheinen.
.Doch ‒ wie schon zu Anfang gesagt
‒ setzt
wirkliches Erleben: Erlebnis‐
Fähigkeit voraus.
.In jedem Menschen ist, latent, diese
Fähigkeit vorhanden, aber keiner wird sie
zu gebrauchen wissen, der sie nicht bis zu
einem gewissen Grade in sich
entfaltet
hat, und solche Entfaltung ist das Werk
steter Übung.
.Erlebnis erfordert äußerste
Konzen‐
tration: ‒ Einstellung allen Aufnahme‐
willens auf jeweils einen einzigen Punkt,
‒ und stete Bereitschaft, sich bei
gege‐
benem Anstoß sogleich in solcher Konzen‐
tration zu „
sammeln”.
.Wer dagegen stets nach „
Zerstreuung”
Ausschau hält, der wird ganz gewiß nicht
seine Erlebnisfähigkeit entfalten!
.Er jagt nur von Phänomen zu Phänomen,
unersättlich wie ein Sklave berauschender
Gifte, um bestenfalls am Ende seiner Tage
einzusehen, daß alles was er je getrieben
hat „eitel” war, ‒ um dann in bitterer Re‐
signation zu enden. ‒
.Man soll das Erlebnis auch niemals
suchen, ‒ noch soll man es als eine Feier‐
tagsgabe betrachten.
.Das echte Erlebnis kommt stets
unge‐
sucht und läßt sich am leichtesten
mitten
im Alltag finden.
.Plötzlich entdeckt man es auf Wegen,
die man gewiß nicht ging um ein
Erlebnis
zu suchen, ‒ doch wenn man sich auf‐
macht mit großer Vorbereitung, wird man
sicherlich zuletzt nach Hause kommen,
leeren Herzens und voll Traurigkeit...
.Das gilt vor allem auch für jegliches
Erlebnis das da Kunde bringen kann von
einer Welt des wesenhaften Geistes.
.Nicht in der irdischen
Erscheinung,
wohl aber im
Erlebnis vermag der erd‐
gebundene Mensch das Geistige zu fassen,
und doch bedarf auch
dieses Erleben der
Auslösung durch Formen und Ereignisse
die zur Erscheinungswelt gehören, ja das
Geistige selbst ist
innere Erscheinungswelt
und läßt nur als solche sich im Innern der
Seele fassen. ‒
.Wo aber
äußere Erscheinung, die den
Erdensinnen faßbar wird, sich aufzu‐
drängen sucht als Bote aus der reinen
Geisteswelt, dort sei man stets auf seiner
Hut, denn seltener als Diamanten in dem
Ufersand des Meeres sind jene Kräftekon‐
stellationen, die das Geistige den
Erden‐
sinnen faßbar werden lassen im
Phäno‐
men, und unter allen Millionen Menschen
auf der Erde sind nur zu jeder Zeit
so
wenige,
daß sie in einer engen Stube
sich versammeln könnten, von denen
solches Phänomen sich fassen
läßt. ‒
.Wer aber
Geistiges, und sei es auch
nur
einmal, in seiner Seele
innerstem
Erleben faßte, der
verlangt nicht mehr,
daß es im Phänomen der Außenwelt sich
offenbare, denn ihm ward eine Offenbarung
jener Art, die manchen Schauenden so
sehr beglückte, daß er vermeinte, alle Aus‐
senwelt sei nichts als Schein und Trug,
verglichen mit der hellen Wirklichkeit die
er in sich erfahren hatte. ‒
.Ist es schon Torheit, zu glauben, man
habe die äußere Erscheinungswelt durch‐
drungen, weil man ihre kleinsten Teile
seinen Sinnen faßbar machte, ‒ ihre Wir‐
kungsmöglichkeiten aufzuspüren suchte und
im Denken sich ein Gleichnis schuf in dem
man sie nun zu besitzen wähnt, so ist es
erst recht unsagbar töricht, verlangt man
gar, daß sich die Welt des
Geistes auf
solche Weise in der sichtbarlichen Erschei‐
nungswelt finden lasse, und schließt man
mit kindlichem Eigensinn: ‒ da sie
so
nicht zu finden sei, so sei sie auch auf
andere Weise nicht erreichbar.
.Nicht minder töricht aber ist auch die
Forderung eines Beweises für das Vor‐
handensein geistiger Kräfte, durch Mani‐
festationen die den
Erdensinnen faßbar
werden.
.Wer noch in solchen Irrgärten der
Ge‐
dankenwelt gefangen ist, der ahnt noch
nicht aus weitester Ferne was „wesenhaften
Geistes”
Art und Gestaltung ist, ja, er
hält wohl gar
den Teil der
Gedanken‐
Welt dessen Dasein er
fühlt, obwohl es
sich ihm noch nicht erschließt: ‒ den Teil,
der
außerhalb des ihn umfangenden Irr‐
gartens ist, ‒ für den ewigen, substantiellen
Geist!
.So hören denn auch manche, daß die
Welt des wesenhaften Geistes nur im
Er‐
lebnis sich offenbart, und wähnen, dieses
Erlebnis längst zu kennen, als das Erleben
ihres hirngebundenen
Denkens.
.Das
Erlebnis aber, von dem ich hier
rede, hat
nicht das mindeste mit dem
Denken zu tun, und die Welt des wahr‐
haftigen, wirklichen
Geistes ist
himmel‐
hoch erhaben
über allen Wundern der
Gedankenwelt! ‒
.So aber, wie jedes Gebiet menschlichen
Erkennens dem sich aufschließt, der die
Bedingungen zu seiner Erschließung erfüllt,
so wird auch ein Mensch der seine
Fähig‐
keit innerlich zu erleben, an allen Erlebnis‐
möglichkeiten der äußeren Erscheinungswelt
schult, allmählich dahin gelangen,
durch
die
Erscheinung den Anstoß zu jenem
Erleben zu erhalten, das ihm die Welt
des wesenhaften
Geistes offenbart.
.Nur im
Erlebnis seiner eigenen
Seele
wird er sie
erfassen, ‒ jene Welt, die
jenseits der Sinne und jenseits des
Denkens ist! ‒
.Dann aber erst wird ihm auch alle Er‐
scheinung das innere
Sein enthüllen, als
dessen Abglanz sie er-
scheint...
.Dann erst wird der Erlebende
sein
eigenes Dasein zu deuten wissen, und
was bis dahin dunkel war, wird aufleuchten
in ewigem Licht! ‒ ‒ ‒
.Es ist ein wesentlich Anderes, ob ich eine
Sache im klaren Lichte des Geistes nur für
mich selbst zu
erkennen vermag, oder ob
mir auch die Gabe geschenkt ist, das so
Erkannte
lehrend zu
vermitteln.
.Abgründig tief kann meine Erkenntnis
ankern, und dennoch kann es mir versagt
sein, aus solcher Tiefe die Schätze zu
heben,
die ich alldorten verborgen
weiß...
.Ich kann aber auch das in der Tiefe
Entdeckte längst gehoben haben und den‐
noch der Kunst nicht kundig sein, ihm
den
strahlenden Glanz zu geben, der seiner
würdig wäre, so daß der Anderen ohnehin
mißtrauenstrüber Blick gewiß nicht der
Schätze Wert und Bedeutung erfassen würde..
.Das ist Binsenweisheit, die jeder zu er‐
greifen vermag, und die Erfahrung des All‐
tags schafft hier wahrlich mehr Bestätigung
als nötig wäre!
.Aber es sitzt ein gar lehrhafter Trieb in
vielen Menschen, der sie immer wieder
vergessen läßt, sich selbst zu fragen,
von
welcher Artung der Gegenstand sein darf,
den sie noch lehrend weitergeben dürfen. ‒
.Mancher könnte
Segen bringen, lehrte
er nur
das, was er zu lehren
vermag,
jedoch die leidige Sucht, auch Dinge lehren
zu wollen, die er nicht lehren
kann, läßt
ihn zu einem Werkzeug des
Unheils werden.
.In
irdischen Dingen ist solcher Lehr‐
sucht immerhin Zaun und Riegel vorge‐
schoben, und die von einem Unberufenen
Belehrten merken nur zu bald, daß sie töricht
vertrauten, wo sie hätten verlachen sollen...
.Dort aber, wo die äußere Erscheinung
keine Korrektur des falsch Erkannten bietet,
kann der Trieb, die anderen zu belehren,
Unheil über Unheil türmen, und es mag
lange währen, bis der seinem Lehrtrieb Frö‐
nende erkennt, was er verschuldet hat, ob‐
wohl er sich stets guten Willens wußte. ‒
.So gibt es auch unter denen, die zum
Licht des reinen, wesenhaften
Geistes
streben, leider nur Allzuviele, die kaum
ihr erstes dürftiges Erkennen erlebten und
schon sich nicht halten können, alsbald und
unverlangt davon zu reden.
.Kaum hat der erste Strahl der Klarheit
sie gestreift, so eilen sie durch alle Gassen,
bis sie einen Menschen finden, der sich auf
Grund des so spärlich Erkannten nun von
ihnen
belehren läßt. ‒
.Anwälte des
Geistes glauben sie schon
zu sein, und sind nur arme Hörige ihrer
Eitelkeit!
.Wagt dann der durch solche Lehre Be‐
glückte gar noch
Einspruch, da er sich
aus
eigener Erkenntnis
weit belehrter
als sein Lehrer weiß, so offenbart sich dieser
meist in seiner ganzen kümmerlichen Ar‐
mut, ohne es zu wollen, denn es ist ihm
unerfindlich, daß ein Anderer, den er
tief
unter sich zu sehen wähnt, Erkenntnis
haben könne, die ihm selbst noch fehlt...
.Gemeinsam allen Lehrsuchtkranken ist
die hohe Meinung, die sie von sich selber
haben! ‒
.Was sie vielleicht in Wahrheit schon
erkennen, benützen sie um sich ein Piede‐
stal zu bauen, auf dem sie sich schon
„
höherstehend” fühlen können als die
Andern, und wenn sie reden, senken sie
alsdann die Augenlider, um „
herabzu‐
sehen” aus erträumter Geisteshöhe...
.Sie ahnen nicht, wie sie sich
selbst
das
Urteil schaffen: ‒ daß sie zwar „
be‐
rufen” waren, aber nun um ihres Dünkels
willen
ausgeschieden werden müssen aus
der Zahl
der wirklich „
Zählenden”, die
unbeirrbar weise Wahl der Ewigkeit sich
„
auserwählt”! ‒ ‒ ‒
.Sie ahnen nicht, daß ihre Lehrsucht
ihnen zum
Verhängnis wird, so daß sie
niemals aus der ersten Dürftigkeit zur
lichten
Fülle der Erkenntnis hingelangen
können, die nur
denen sich erschließt, die
erst den Mund zur Lehre öffnen, wenn es
geistiges Gebot erheischt, und die
selbst
dann nur unter Zagen und Erbeben
ihrem inneren Erkennen Wortgewänder
wirken, stets bewußt der fast untragbaren
Verantwortung, die jeder auf sich nehmen
muß, der Geistiges zu
lehren unternimmt!
‒ ‒
.Ach, daß doch in allen, die so gerne
sich als
Lehrende berufen fühlen möchten,
nur
ein Weniges wäre von dem
Bewußt‐
sein der Verantwortung, wie es in denen
lebt, die Geistiges lehren
müssen! ‒
.Wer auch nur
ahnend fühlt, was es
hier zu verantworten gilt, der wird sich
gewiß nicht so vermessen, daß er Andere
lehren möchte, bevor er selber
in der
untrüglichen Fülle der Erkenntnis steht!
.Es gibt keinen Tag in meinem Leben,
an den ich mit solchem Erschauern denken
müßte, wie an jenen, der mir die Pflicht,
zu lehren, auferlegte. ‒ ‒ ‒
.Wahrlich: ‒ es war ein gar schweres
Erleben, an mir selbst erfahren zu müssen,
wie anders es ist, für
sich selbst in lichter
Erkenntnis zu stehen, und was es dann
heißen will, das Erkannte
in Worte der
Lehre zu kleiden! ‒ ‒
.Nur allzunahe lag damals die Versuchung,
zu beten: ‒ „
Herr,
lege mir diese Last
nicht auf! ‒
Erbarme Dich und suche
Dir einen anderen Knecht!” ‒ ‒
.Aber solches Gebet wäre
Lästerung ge‐
wesen und geistige
Selbstvernichtung...
.Nicht einem aus denen, die jemals
als Berufene vom Geiste sprachen, ist
diese furchtbare Stunde erspart geblieben. ‒
.Wer aber wirklich vom Geiste reden
darf, weil er
aus eigener Erfahrung
reden
kann, der vermag kaum zu fassen,
daß es Menschen gibt, die leichthin über
kaum Erkanntes sprechen, ‒ vorlaut
sprechen, ohne Not und Zwang. ‒ ‒
.Schicksalhafte Nötigung bleibt je‐
dem, der aus dem Geiste lehren muß, jedes
Wort der Lehre, obwohl er weiß, daß er
voreinst sich selbst zu solchem Schicksal
dargeboten hatte, als er noch nicht wußte
um die Qual, die ihm aus erdenhafter Hem‐
mung werden würde...
.Man steht an einem urtiefen Brunnen
und hält einen winzigen Becher in der
Hand um zu schöpfen, auf daß man den
Verschmachtenden zu trinken geben könne.
.Wohl quillt der Trank aus unergründ‐
barer Tiefe, aber ‒
wie wenig ist das,
was der winzige Becher
faßt, gemessen an
dem nie versiegenden Überfluß, der immer‐
fort tausendfach ersetzt, was der Quelle ent‐
nommen wurde! ‒
.Keiner erlebt so sehr das Gefühl seiner
menschlichen Ohnmacht, wie der, dem es
Pflicht ward, aus diesem Brunnen zu
schöpfen, und der mit
Eimern schöpfen
möchte, aber auf ein Schöpfgefäß verwiesen
ist, das
kaum mehr in sich aufnehmen
kann als eine
hohle Hand. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Was aber soll man von denen dann
halten, die vielleicht
ein Tröpflein des
lebendigen Wassers benetzte, und die sich als‐
dann gebärden, als hätten sie
den Brunnen
ausgeschöpft!?!
.Es ist menschlich verzeihlich, wenn einer,
der zu seiner ersten kleinen Erkenntnis
kam, so überwältigt von seinem Erleben
ist, daß er nun glaubt, er könne nichts
Besseres tun, als auch Anderen mitzuteilen,
was er erkannte, oder zu erkennen meint.
.Dennoch ist solches Verhalten nicht nur
Torheit, sondern
Schuld, weil es die
Ehr‐
furcht vor dem Ewigen vermissen läßt,
denn jeder, der bei Sinnen ist, muß sich
zu sagen wissen, daß auch
unerhörtes Er‐
leben geistigen Erkennens ihn nicht mit
einemmale in die Fülle der Erkenntnis ver‐
setzen kann, ‒ daß er nicht berufen ist,
zu
lehren, solange er selbst noch der Lehre
bedarf. ‒
.Wohl darf er den Anderen sagen: ‒
„Seht,
so habe ich es von denen ver‐
nommen,
die mich lehrten, und
einiges
davon ward durch
Erkenntnis mir
be‐
stätigt!” ‒ aber wenn er nicht mit Schuld
sich schwer beladen will, dann muß er auch
die Demut in sich finden, zu bekennen:
‒ „Dieses und auch jenes weiß ich zwar, so
wie man Dinge wissen kann, die man
von
einem Anderen hört, allein,
mir selber
ist das alles noch erlebensfremd!” ‒ ‒ ‒
.Niemals darf sein spärliches Erkennen
ihn verleiten, nun den Anschein zu er‐
wecken, als sei auch
Anderes, das er nur
aus der
Lehre kennt, in seinem Innersten
bereits durch eigenes
Erleben aufgenommen
worden, auch wenn er längst der festen Über‐
zeugung ist, daß dieses nur aus Menschen‐
mund Vernommene
die gleiche Wahr‐
heit in sich birgt, wie das, was er in sich
erkennen und erleben durfte! ‒ ‒
.Er würde sonst nur sein Erkennen
hemmen und zuletzt
unmöglich werden
lassen, denn alles, was er sich vor anderen
als Erkenntnis seines eigenen Innern
zuspricht, noch
bevor er es erkennend in
sich selbst
erlebte, wird dem wirklichen
Erkennen
unerreichbar bleiben...
.Unzählige, die einer Wahrheitslehre folg‐
ten und auf dem besten Wege zur Erkenntnis
waren, haben so sich
um ihr wirkliches
Erkennen selbst betrogen, weil sie sich
nicht enthalten konnten, Anderen den An‐
schein zu vermitteln, als
hätten sie bereits
im Innersten erkannt, was die als wahr er‐
fühlte Lehre sie vorerst erkennen
lehren
wollte. ‒ ‒ ‒
.Die Lehre, die in dieser Zeit nunmehr
mein Wort erneut der Welt vermittelt, er‐
reichte vor Jahrtausenden schon Seelen, die
zuletzt sie
in sich selbst bestätigt fanden,
durch das eigene Erleben.
.Sie soll
auch heute wieder solche
Menschen finden, und sie
fand bereits nicht
wenige, die in sich selbst
erlebten, was
meine Worte als erlebensmöglich künden.
.Obwohl nun aber alles, was ich lehre,
Gemeinschaftsgut und wohlerprobtes Wis‐
sen aller derer ist, die jemals in der
Fülle
des Erkennens waren, wie derer, die in
kommenden Jahrtausenden aus
gleicher
Fülle lehren können, mußte ich doch erst
selbst in dieser Erkenntnis stehen, bevor
ich aus ihr reden durfte. Es ist aber noch
nichts gewonnen, wenn man nur vernimmt,
was
meine eigene Erkenntnis ist, solange
man nicht willens ist, Bestätigung dafür
auch
in sich selbst zu suchen. ‒
.Auch was die
Schüler dieser Lehre, die
sie in sich selbst bestätigt
fanden, nun
etwa vermitteln können, bleibt nur sehr
bedingten Wertes, solange man sich nicht
bestrebt, auch
in sich selbst Gewißheit
zu erlangen.
.Die Art und Weise aber, wie die einzelne
Seele solche Gewißheit
erlangt, ist gar sehr
verschieden, weshalb denn auch mein
Wort sich stets aufs neue müht, gesondert
aller Möglichkeiten zu gedenken.
.Hier ist der Grund dafür zu suchen,
daß ich die Lehre stets in einer anderen
Form in Abhandlungen gebe, die in der
Einheit eines kleinen Buches immer das zu‐
sammenschließen, was
besonderer Seelen‐
artung Hilfe bringen soll. ‒
.Gewiß wird
Jeder nun aus
jedem
dieser kleinen Bücher mancherlei entneh‐
men können, was ihn angeht, allein es wird
auch Jeder die
für ihn in Sonderheit
bestimmten Lehrkomplexe finden, so daß
er dann aus meinen Worten leicht erfühlen
kann, was
seiner Seelen-Art gemäß ist, ‒
was er von sich
fordern muß, und was
er wohl von sich
erwarten darf.
.Es ist jedoch
nicht ratsam, ‒ wenn
es auch dem Urteilsfähigen kaum schaden
wird ‒ den Inhalt dieser Buch-Einheiten
wahllos in ein anderes Gefüge einzuordnen.
.Ich will, daß man als
Einheit zu er‐
fassen suche, was ich schon äußerlich als
Einheit gab, und nicht die Worte
eines
Buches
willkürlich mit den Worten eines
anderen mische!
.Nur so wie ich die Abhandlungen an‐
einanderfügte, wollen sie gelesen und be‐
trachtet werden.
.Das will nicht heißen, daß man nicht
dennoch manchen Ausspruch finden könne,
der mit anderen aus meinen
anderen
Büchern sich vereinen ließe, ‒ ja, es könnte
sein, daß sich hier eine reiche Sammlung
bieten würde, wollte man vereinen,
was
sich dem Sinn nach wirklich anein‐
anderschließt.*)
.Ich will nur warnen vor der Neigung,
Sätze und Gedankenreihen, die in
einem
Buche wohlbegründet ihren Platz gefunden
haben,
willkürlich dem Zusammenhange
zu entreißen, um sie
ähnlichen Bekun‐
dungen des
anderen Buches gleichzusetzen,
.*) Mittlerweile ist dies geschehen. Siehe: Rudolf Schott OO
„Brevier des Werkes von Bô Yin Râ”!
in dem sie einen nicht von mir ge‐
wollten Sinn erhalten könnten.
.Es würde sich dann
sicher nicht um
„Widersprüche” handeln, denn wie
könnten
Widersprüche
möglich sein, wo jedes Wort
aus
gleicher Wirklichkeitserkenntnis fließt,
‒ doch wäre Gefahr gegeben, daß als Wider‐
spruch
empfunden werden könnte, was
nur
von anderem Gesichtspunkt her
gesehen ist.
.Letztlich aber bleibt das wichtigste Er‐
fordernis für jeden Menschen der sich
meiner Lebenslehre widmet, daß er nach
ihren Anweisungen
handelt...
.Dann wird ihm aus der Lehre der Weg
zum
Leben im urewigen
Licht, und
höchstes Erkennen in der
Liebe. ‒ ‒
.So aber, wie man nicht
lehren soll,
was man selbst noch nicht
erkannte, so
soll man auch nicht schon zu „
erkennen”
glauben, was man erst nur
in der Theorie
erfaßte, und was dann noch weit entfernt
ist von
praktischer Bestätigung!
.Wie kannst du wissen, ob du
Wahrheit
weitergibst, solange das, was du zu geben
hast, sich
dir noch nicht
als wahr er‐
wiesen hat?! ‒
.Nicht,
daß ich also lehre, darf dir als
Bestätigung der Wahrheit meiner Lehre
gelten, sondern
was ich lehre, muß sich in
deiner Erfahrung
bewährt haben, als
un‐
anfechtbare Wahrheitserkenntnis!
.Dann erst darfst
du weitergeben, was
vordem
ich dir gegeben habe! ‒ ‒ ‒
.Daß nicht jeder, der gute Augen hat,
auch „sehen” kann, haben die Maler all‐
mählich den Menschen beigebracht, die sich
für ihre Kunst interessieren.
.Man hat gehört, man müsse erst sehen
„
lernen”, wolle man wie die Maler sehen
können, um dann zu verstehen, daß Wiesen
nicht unter allen Umständen
grün, ‒ daß
Eichbäume auch zuweilen blau zu malen
seien...
.Es handelt sich hier um die Erkenntnis,
daß es
nicht genügt, gesunde Augen zu
haben, um auch richtig „
sehen” zu können,
sondern daß
künstlerisches Sehen
er‐
lernt und
geübt sein will.
.Ist es aber mit dem rechten
Lesen nicht
ebenso?! ‒
.Jeder, der in der Schule die Bedeutung
der Buchstabenzeichen erfaßt hat und so
nach und nach zum „Lieben Leser” einer
Zeitung heranwuchs, bildet sich felsenfest
ein, er könne „lesen”, und wenn du es
ihm nicht glaubst, dann liest er dir was
du nur hören magst im schönsten Pathos
vor, um es dir zu beweisen.
.Ob er aber wirklich „
lesen” kann,
weißt du dann immer noch nicht!
.Du hast dich nur überzeugt, daß er Buch‐
stabenzeichen und ihre Kombination zu
Worten oder Sätzen richtig durch Mundlaute
auszudrücken vermag.
.„
Lesen” ist aber denn doch noch
etwas
anderes!
.Von einem der behauptet, „
lesen” zu
können, darfst und mußt du getrost ver‐
langen, daß er nicht nur Buchstabenzeichen
ins Mundgerechte übersetzen und dir bei‐
läufig den Sinn der Worte, korrekt nach
dem Wörterbuch, zu Verstande bringen, oder
die Sätze grammatikalisch analysieren kann,
‒ sondern daß er
vor allem „versteht”,
was der Verfasser des Geschriebenen mit
Buchstaben, Worten und Sätzen anderen
Gehirnen
übermitteln wollte. ‒ ‒
.Das aber wird sich oft gar nicht so leicht
aus dem gerade gelesenen Satz
allein ersehen
lassen, sondern der Leser wird das Schrift‐
stück an den
verschiedensten Punkten
nach der Meinung des einen Satzes befragen
müssen, um zur Sicherheit im Verstehen
zu gelangen, ‒ und
ein andermal wieder
wird der, der wirklich „lesen”
kann, so‐
fort wissen, daß er von allen anderen Sätzen
absehen muß, will er zum richtigen Ver‐
stehen eines in sich selbst beschlossenen
Satzes kommen.
.„
Lesenkönnen” verlangt als Voraus‐
setzung ein möglichst hochentwickeltes
Ein‐
fühlungsvermögen.
.Nicht nur der ehrliche Wille,
den Autor
(und
nicht sich selbst) zu vernehmen,
muß vorhanden sein, sondern zugleich auch
die Fähigkeit,
sich in die Gedanken‐
gänge des Autors zu versetzen, und so
dann gleichsam an
seinem Denken
teil‐
zunehmen.
.Handelt ein Schriftwerk nur von Dingen,
die
alltäglich erfahrbar und mit Wohl‐
bekanntem leicht vergleichbar sind, dann
kann wohl auch schon
geringes Einfüh‐
lungsvermögen zu richtigem Verstehen ge‐
nügen, ‒ aber
anders werden die Bedin‐
gungen der Übertragbarkeit von Gedanken
durch geschriebene oder gedruckte Worte,
sobald es sich um Mitteilungen handelt, die
wenig Vergleichsmöglichkeiten im Allbe‐
kannten finden, ‒ und
ganz unmöglich
ist ein richtiges Verstehen ohne intensive
Einfühlung, wenn irdischer Erscheinungs‐
form
nicht zu Vergleichendes der Vor‐
stellung des Lesers deutlich werden soll...
.Wir Menschen werden uns verstehbar,
indem der eine das ihm
bekannt gewor‐
dene, soweit es anderen noch
unbekannt
ist, darzustellen sucht mit Hilfe dessen, was er
als
allgemein bekannt voraussetzen darf.
.Nun ist aber wirklich
nicht alles allen
erfahrbar, und nur engstirnig-eitle Ahnungs‐
losigkeit kann diese Tatsache leugnen.
.Je weiter jedoch des Einzelnen geistiger
Umfang reicht, je respektabler sein „
For‐
mat” ist ‒ um dieses Modewort hier als
Verdeutlichungsbehelf zu gebrauchen, ‒
desto sicherer besitzt er die Erkenntnis, daß
noch gar Vieles ihm selber
nicht erlangbar
ist, wohl aber
durch Andere, die es
er‐
langten, auch ihm begreifbar werden kann.
.Die Frucht aus fernen Landen, die deine
Tafel ziert, brauchst du nicht selbst zu pflük‐
ken, und dennoch kannst du sie genießen!
.Soll dir darum in einer Niederschrift noch
Fernes, deinen Vorstellungen
Fremdes
übermittelt werden, so wirst Du es nur
prüfen können, indem du
in dich auf‐
nimmst, was dich so erreicht, auch wenn
du vorerst noch
nichts anderes kennst dem
es
vergleichbar wäre. ‒
.Das heißt mit anderen Worten:
.Je ferner dir des Autors eigene Erfahrung
ist, ‒ je ferner Vergleichen mit der Sinnen‐
welt, ‒ desto mehr mußt du versuchen,
dich in seine Ausdrucksweise
einzufühlen,
wenn du wirklich ihn
verstehen lernen
willst! ‒
.Du mußt
dich selbst in deiner Vor‐
stellung an
seiner Stelle sehen und in
deinem eigenen Erfühlen
nacherleben,
was er durch das Wort dir so erkenntnis‐
nahe bringen möchte, wie er es in sich
selbst erkennt. ‒
.Dann wirst du von dir sagen dürfen, daß
du zu „
lesen” weißt, wie jeder Redliche
zu lesen wissen sollte, bevor er sich an Worte
wagt, in denen seelisches Erleben sagbar
werden will! ‒
.Und
solches „Lesen” wird dich auch
belehren, ob das, was du als „lesenswert”
erachtest, wirklich
Lesens-
Werte in sich
trägt, denn alles
Hohle wird dir seine
innere Leere zeigen müssen, da es nicht
in deiner Seele Tiefen sinken kann, die
nur das wahrhaft
Vollgewichtige erreicht.
‒ ‒ ‒
.Man liest heute viel, vielleicht nur all‐
zuviel, und doch verstehen wenige die Kunst
des rechten Lesens.
.Das Zeitungslesen hat diese Kunst ver‐
nichtet.
Die Ehrfurcht vor dem Buche
ist dahingeschwunden.
.Man weiß nicht mehr anders zu lesen
als in fliegender Hast, so wie man gewohnt
ist, täglich das Morgenblatt zu durchstöbern.
.Daß ein Buch
gebaut sein kann wie
ein Tempelbau, ‒ daß jede
Silbe dann
einen Baustein bildet, der nicht fehlen darf,
kommt dem gierigen Leser nicht zu Be‐
wußtsein. ‒
.Wer weiß noch etwas von der
Magie des
Lesens, die in dem Leser das Gelesene
neu
erstehen läßt zu unverlierbarem Besitz?!
.Man sollte wissen, daß man durch ein
Buch mit seinem Autor in
seelische Ge‐
meinschaft tritt, und sollte
zu wählen
wissen,
mit wem man in solche Gemein‐
schaft treten mag. ‒
.Ein Buch ist das magische Mittel,
Ge‐
dankenbilder in dir zu erzeugen, die
denen gleichen, die sein Autor schuf. Du
wirst aber kein Gedankenbild in deiner
Seele gestalten oder gar liebevoll hegen
können, das nicht auf geheimnisvolle Weise
teilhat an Deiner
Seele Formung.
.So ist denn dein Lesen sehr verantwort‐
liches Tun.
.Nur dort solltest du lesen, wo du gewiß
sein kannst, daß die Gedankenbilder, die
dein Lesen in dir zeugt, deiner Seele höchste
Formung fördern.
.Es müssen durchaus nicht immer ab‐
gründig ernste Bücher sein, die solches
bewirken.
.Auch Humor und Satire können gött‐
liche Kräfte in dir erwecken, die du bei
der Formung deiner Seele wahrlich nicht
missen darfst!
.Ja, es ist möglich, zuzeiten Bücher mit
hohem Gewinn zu lesen, deren einziger Wert
in der Macht der Spannung liegt, die der
Autor im Leser zu erzeugen weiß.
.Ich will hier gewiß kein Puritanertum
des Lesens predigen!
.Wenn du aber lesen willst, dann lies
‒ was immer du lesen magst ‒ als einer,
der da bewußt das Wunder erlebt, daß Reihen
seltsamer Zeichen auf einem Blatte Papier
seine eigene Schöpferkraft erregen können,
so daß in ihm selber die gleichen Gedanken‐
bilder erstehen, die einst in eines anderen
Menschen Seele erste Gestaltung fanden.
.Erziehe dich selbst zur Ehrfurcht vor
dem Wort!
.Eine einzige Seite so gelesen, daß dir
eines jeden Wortes weitester Umfang deut‐
lich zu Bewußtsein kam, wird dir mehr
Segen bringen, als wenn du das beste Buch
„in einem Zuge” durchgelesen hättest, kaum
noch der
Sätze achtend, geschweige denn
dem einzelnen
Worte hingegeben.
.Erst wenn du recht zu lesen weißt, ge‐
hört das Buch dir allein.
.Deine eigene Wertung wird seine Worte
wandeln, so daß du
anderes lesen wirst als
alle anderen, die das gleiche Buch in Händen
halten. ‒ ‒
.Ein Buch kann so für dich einen Wert
erlangen, der hoch über seinem sichtbaren
Inhalt steht. ‒
.Du kannst sogar seelisch reicher werden
durch das rechte Lesen eines Buches, als
der Autor, der es schuf...
.Ich rate dir: ‒ wage den Versuch und
lies einmal ein Buch auf solche Art. Wenn
du dich selber festzuhalten weißt, so daß
du dir nicht unvermerkt dabei entschlüpfen
kannst, dann wirst du gewiß nicht mehr
auf andere Art zu lesen wünschen.
.Es ist nur geringe Mühe, die man hier
von dir verlangt, vergleichst du sie mit dem
Gewinn, der dir auf diese Weise werden
kann.
.Auch „leichte” Lektüre werde niemals
anders von dir gelesen, als
mit treuer
Wortbeachtung, denn wie sollte Formungs‐
kräftiges, das auch im Scherz und in gar
wenig gedankenbeschwerter Rede sich ver‐
stecken kann, dir zu Bewußtsein kommen,
wenn du nur gleichsam in weiten und
flüchtigen Sprüngen die Sätze „überfliegst”,
statt alle ihre Deutungsmöglichkeiten auf‐
zuspüren?! ‒
.„
Lesen lernen” heißt: ‒ sich selbst
als Lesenden
achten, und somit sich selbst
zu gut sein zu unfruchtbarem Tun! ‒
.Alles, was du lesen magst, kann dir
reiche
Frucht tragen, so du nur recht zu
lesen verstehst! ‒ ‒ ‒
.Es ist etwas Geheimnisvolles um das
Stückchen Papier, das da, bedeckt mit selt‐
samen Zeichen, von einem Menschen zum
anderen geschickt werden kann, und des
einen Gedanken wie seine Gefühle dem
anderen vermittelt.
.Da aber der briefliche Verkehr von
Mensch zu Mensch ein Bedingnis des All‐
tagslebens geworden ist, so ward er uns nur
allzusehr vertraut, und es bedarf erst eines
Herausrückens unserer selbst aus dem Ge‐
leise alltäglicher Denkgewohnheiten, sollen
wir wieder das Geheimnisvolle solcher Mit‐
teilungsmöglichkeit empfinden können.
.Dieses hier gemeinte Geheimnisvolle aber
ist keineswegs schon umschrieben durch den
Hinweis auf den so wundersamen Vorgang,
daß ein Gedanke sich in Schriftzeichen
bannen läßt, und daß er dann jederzeit
aus solchen Zeichen wieder zu lösen, gleich‐
sam „aufzulesen” ist, denn der gleiche Vor‐
gang wiederholt sich ja bei jedem gedruckten
oder geschriebenen Wort in der nämlichen
Weise.
.Es handelt sich hier vielmehr um das
unsichtbare und nur dem
Fühlen wahr‐
nehmhafte Fluidum, das mit dem Stück‐
chen Papier und seinen Schriftzeichen
zu‐
gleich an den Empfänger gelangt und von
ihm aufgenommen, „aufgesogen” wird, mag
er darum wissen oder nicht.
.Jeder auch nur einigermaßen sensitive
Mensch
fühlt dieses Fluidum ebensodeut‐
lich wie er die Schriftzeichen durch das
Auge zu
sehen vermag, aber wer es
nicht
fühlt, der wird nicht weniger davon beein‐
druckt, ‒ nur vermag er sich darüber keine
Rechenschaft zu geben.
.Es ist dabei ohne Bedeutung, ob ein
Brief handschriftlich oder mit Hilfe eines
mechanischen Apparats geschrieben wurde,
wenn er nur aus des Schreibers Händen
kommt, also nicht erst in Buchdruck um‐
gesetzt wurde und auf anderes Papier über‐
tragen! ‒
.Das Papier an sich ist der Träger des
hier gemeinten Fluidums, und dieses Flui‐
dum wäre auch übertragbar, wollte der Ab‐
sender nur das Papier „
bedenken”, statt
es zu beschreiben. ‒ ‒
.Auf diese Weise besteht der „
Inhalt”
eines Briefes durchaus nicht nur in dem,
was die niedergeschriebenen
Worte besagen,
ja, der wichtigere und nur
fühlbare In‐
halt kann geradezu das
Gegenteil von dem
übermitteln, was die sichtbaren Sätze sinn‐
gemäß bedeuten. ‒ ‒ ‒
.Daraus ergibt sich aber, daß man einen
Brief immer nur dann wirklich beurteilen
kann, wenn er soeben eröffnet, direkt vom
Schreiber kommt, denn das besagte Fluidum
verflüchtigt sich
sehr schnell, und in we‐
nigen Tagen schon ist kaum mehr viel da‐
von zu fühlen.
.Ein Brief ist nun aber auch ureigentlich
nur für seinen
Empfänger bestimmt, auf
den ja dann unweigerlich das mitgesandte
Fluidum übergeht, es sei denn, er wisse
um dessen Existenz und fühle Veranlassung,
sich dagegen zu wehren und es von sich
abzuschleudern...
.Aber wie könnte man nun, im Wissen
um all diese Dinge, noch die heute gras‐
sierende Unsitte rechtfertigen, die Brief‐
wechsel aller möglichen und unmöglichen,
bedeutenden und herzlich unbedeutenden
Menschen unter irgend einem fadenschei‐
nigen Vorwand auszugraben, um sie zur
Vermehrung des offenbar noch immer zu
dürftigen alljährlichen Bücherzuwachses auf
den Markt zu werfen!??
.Um keinerlei Zweifel Raum zu geben,
will ich hier deutlichst kundtun, daß mir
Weniges in der Welt so verhaßt ist, wie
solche widerliche und gleichsam „leichen‐
schänderische” Briefwechselfabrikation!
.Wer immer Schriftstellerruhm zu den un‐
entbehrlichen Lebensnotwendigkeiten rech‐
net, aber selbst nichts auch nur irgendwie
Bedeutsames zu sagen hat, der sucht mit
der Herausgabe eines „Briefwechsels” sich
einen „Namen” zu ergattern, und Herr
Neureich kann sich eine ganze Bibliothek
aus Briefwechselbänden zusammenstellen
lassen, was für ihn auch recht praktisch
ist, denn er kann nach einigem Durch‐
blättern eines Briefwechselbandes schon sehr
unterrichtet erscheinen, auch wenn er nie
sonst eine Zeile des betreffenden Schriftstel‐
lers gelesen hat.
.Der arme Briefschreiber selbst kann sich
ja nicht mehr wehren und muß sich aus‐
plündern lassen, einerlei ob es dem Her‐
ausgeber darum zu tun ist,
seinen eigenen
Namen bekannt werden zu lassen, oder ob
er mit dem Hervorzerren der alten Briefe
deren Autor zu ehren glaubt...
.Die Manie, Briefe von irgendwie be‐
achtsameren Menschen nach ihrem Tode
zu veröffentlichen, ist geradezu
kultur‐
feindlich zu nennen. Briefe eines Men‐
schen die man vor
Fremde zerrt, für die
sie
nicht bestimmt waren, ergeben schon
deshalb ein unrichtiges Bild, weil sie
doch niemals alle die Umstände erkennen
lassen können, aus denen heraus sie ge‐
schrieben wurden. Außerdem ist jeder solche
Briefwechsel, da ursprünglich nur Ange‐
legenheit zweier bestimmter Menschen, für
den späteren Leser als ungebetenen Dritten
denn doch ein recht bedenkliches Förde‐
rungsmittel der Erkenntnis, weil hier ganz
selbstverständlich subjektive Nachempfin‐
dung an Stelle objektiven Aufnehmens tritt,
auch wenn man das nicht wahrhaben will,
und es selbst wohl auch nicht mehr bemerkt.
.Eine Ausnahme bilden nur Briefe ganz
allgemeinen Inhalts: wie
Schilderungen
von Reisen oder Zeitbegebenheiten,
humoristische Ergüße, und auch
Liebes‐
oder
Erziehungsbriefe, da es in allen
diesen Fällen wenig verschlagen kann, ob
der Leser das Mitgeteilte nun objektiv an
sich herantreten läßt oder ob er sich sub‐
jektiv in die Rolle des Briefschreibers
einfühlt.
.Nun gibt es freilich auch Briefe, die
schon geradezu im Hinblick auf spätere Ver‐
öffentlichung geschrieben wurden...
.Hier handelt es sich aber schon kaum
mehr um die geheimnisvolle Brücke von
Mensch zu Mensch, als die ich den „Brief”
aufgefaßt sehen will, sondern mehr um eine
Art von
Essays in Briefform, die man
gewiß nicht an sich abzulehnen braucht,
sobald ein Mensch, der etwas zu sagen hat,
aus irgend einem Grunde sich ihrer be‐
dienen mag!
.Es soll aber immerhin leider Menschen
geben, die es nicht unter ihrer sonst so
sorglich gehüteten und betonten Würde
finden, auch ihre scheinbar intimsten Privat‐
briefe im Gedanken an eine mögliche spätere
Veröffentlichung zurechtzustilisieren...
.Auch eine Form menschlicher
Eitel‐
keit, wenn auch eine gar merkwürdige
Geschmacksbekundung! ‒ ‒
.Wenn aber Briefe wieder das werden
sollen, was sie in guten Zeiten und für so
manche, ihrer Ewigkeit wirklich
bewußte
Menschen schon
waren, dann wird man
wieder zur
Unbefangenheit in der gegen‐
seitigen Aussprache zurückfinden müssen,
denn, was seinen Wortinhalt angeht, bleibt
der Brief nur sterile „Mitteilung”, wenn
seine Worte nicht aus einem wirklich „ge‐
öffneten Herzen” kommen, und nie wird
ein Brief das Herz dessen zu öffnen ver‐
mögen, an den er gerichtet ist, wenn man
zwischen den Zeilen nur allzudeutlich spürt,
daß jedes Wort daraufhin besehen und ab‐
gewogen wurde, ob es möglicherweise
auch
in die Öffentlichkeit kommen könnte! ‒
.Ein Brief, der
erfüllen soll, was ein
Brief erfüllen
kann, muß aus
jener Re‐
gion des Innern kommen, in der wir alle
die gleiche gemeinsame
Urheimat haben,
und muß jeweils so geschrieben sein, daß
er
keinem anderen Menschen gelten könnte,
außer dem
einen, für den er
bestimmt
ist. ‒ ‒
.Diese Einstellung auf
ein einziges
„
Du” ist das wesentlichste Charakteristikum
des eigentlichen „Briefes”! ‒
.Ein Brief an Viele zugleich ist seiner
besten Kraft beraubt, ja ist im strengen
Sinne überhaupt kein „Brief” mehr, sondern
ein Rundschreiben, ein Bericht, oder eine
Abhandlung. ‒ ‒
.Ich rede hier selbstverständlich nicht
von Briefen im
Geschäftsverkehr, ob‐
wohl es auch da durchaus nicht so nötig ist,
wie mancher kleine Geschäftsmann glaubt,
die notwendigen Korrespondenzen
so un‐
persönlich wie möglich zu halten, und
die „Könige” unter den Kaufleuten längst
wieder wissen, daß man mit betont
persön‐
lich gehaltenen Briefen, wie sie einst auch
die alten Hanseaten zu schreiben wußten,
denn doch erheblich weiter kommt. ‒ ‒
.Was ich vielmehr hier im Auge habe,
ist die Wiedereinsetzung des „Briefes” in
seine guten alten Rechte als überaus wichtiger
Faktor gegenseitiger Emporführung, geisti‐
ger Hilfe und Stärkung. ‒ ‒ ‒
.Hier ist nur zu
gewinnen, wenn man
sich von aller Schablone und aller Über‐
ängstlichkeit frei machen will!
.Das bedeutet aber freilich andererseits
auch noch lange nicht, daß man jedem uner‐
probten Mitmenschen sofort die geheimsten
Eröffnungen zu Füßen legen müsse, und
es braucht zweifellos einigen Takt, um je‐
weils den für jeden Einzelnen gerade rich‐
tigen und ihm gemäßen Ton zu treffen! ‒ ‒
.Kehrt aber das
Vertrauen, das der
Brief einst besaß, ihm wieder, so kann eine
in ihrem Wert kaum abzuschätzende Be‐
reicherung unseres irdischen Lebens hier
wieder aufs neue erlangt werden.
.Gewiß verbieten es die Lebensumstände,
in denen die Menschen von heute sich zu‐
rechtfinden müssen, daß man zu der Brief‐
seligkeit ruhigerer Zeiten zurückkehre, allwo
„der Posttag” wochenlang erwartet wurde und
wieder Wochen vergehen konnten, bis Ge‐
legenheit zur Absendung der Antwort kam.
.Allein auch heute besteht noch immer
kein Zwang, einen Briefwechsel
im Eil‐
tempo zu betreiben.
.Die
Möglichkeit, sofort antworten zu
können, darf nicht zu einer
Nötigung
mißbraucht werden!
.Mag es auch schwerer sein als ehedem,
die Ruhe zum Briefschreiben zu finden,
so braucht der Brief dennoch nicht die
Spuren der Hast zu zeigen, die dieses heutige
Zeitalter für sein ihm angemessenes Lebens‐
tempo hält.
.Solange Menschen auf dieser Erde leben,
wird man es nicht verhüten, nicht verwehren
können, daß gewisse
Einzelne, die irgend‐
wie das Wohl
Aller fördern, oder wohl
auch nur zu fördern
scheinen, von jenen
ihrer Mitmenschen, die solches Tun als per‐
sönliche Wohltat empfinden, Dank und Ver‐
ehrung empfangen.
.Dank, wenn es sich um unleugbare
Hilfe handelt, ‒
Verehrung aber, wenn
der Beglückte in dem Verehrten sich selbst,
‒
sein eigenes Menschentum, ‒ zu einer
Höhe emporgerissen fühlt, die er aus eigener
Kraft nicht zu erreichen vermag und den‐
noch als dem Menschen erreichbar erahnt. ‒
.Wer wollte Dank für geleistete Hilfe,
‒ wer
solche, hier bezeichnete, Verehrung
verargen!?
.Zu tief sind beide Empfindungstriebe
in jedem, nicht völlig verkommenen Men‐
schen verwurzelt, als daß nicht hier deut‐
lichst zu erfühlen wäre, welche Bedeutung
ihnen für die Erhaltung der Art, für die
Entfaltung des Edelsten der Rasse, inne‐
wohnt. ‒
.Auf bedenkliche Bahnen aber verirrt
sich der Verehrungstrieb, wenn er der
Lei‐
tung des Urteils sich entzieht und dann
wahllos
alles verehrt, was der Kraft seines
Eigners
versagt ist, und doch durch einen
anderen Menschen als
erreichbar er‐
wiesen wird.
.Dann ist der „Herkules” der Jahrmarkts‐
bude, der Gaukler und Feuerfresser, gleicher
Verehrung sicher wie der Schöpfer höchster
geistiger Werte, und ebenso geht auch alle
Unterscheidung zwischen „Kunststück” und
Kunst verloren...
.Aber wenn auch der Blick des Ver‐
ehrenden sich nur auf
wirkliche Werte
richtet, muß doch die Gefahr erkannt und
überwunden werden, daß allzuleicht aus
Verehrung „
Personenkultus” wird, so‐
bald man sie ausarten läßt zu einer
Ver‐
götterung des Persönlichen, wo nur
Tat oder
Werk allein Verehrung gebührt.
.Es läßt sich nicht ändern, daß die
aller‐
meisten Menschen während ihres Erden‐
lebens
nur für sich selbst und ihren
allernächsten Umkreis Bedeutung er‐
langen, während
andere,
wenige, auch
für
weite Menschheitsbezirke, ja fast
für
die ganze Erdenmenschheit „bedeutend”,
‒ zielweisend ‒ werden können.
.Verständlich und gerechtfertigt ist es,
wird den
allgemein „Bedeutenden” Ver‐
ehrung dargebracht, vor denen, die nur sich
und ihrer engsten Enge etwas zu bedeuten
vermögen, auch wenn diese Enge schon sehr
wichtige Bezirke umfassen kann.
.Verhängnisvoll aber wird auch hier die
Verwechslung dessen, was eigentlich zu ver‐
ehren ist, mit dem Erdenmenschen, der
es zu Tage brachte!
.Mag man auch immer den, der Ver‐
ehrungswürdiges bewirkt, besonders
achten,
ja vielleicht „bewundern” ‒ da man es
wie ein „Wunder” betrachtet, daß ein Mit‐
mensch auf seine Höhe fand ‒ so muß
doch immer sorglichst unterschieden werden
zwischen dem, was er
erlangte, und dem,
was er trotz allem
bleibt: ‒ zwischen gei‐
stigen
unpersönlichen Werten und der
persönlich bestimmten Natur des Men‐
schen, der solche Werte darbietet, weil sie
ihm, sei es durch mühereiche Arbeit oder hohe
Gnade, schließlich
erreichbar wurden. ‒
.Es ist auch nie zu vergessen, daß jeder
„Schöpfer geistiger Werte” dies
nur inso‐
fern ist, als er
aus der Fülle der ihm
offenbaren Geistigkeit „schöpft” ‒ wie
man Wasser schöpft aus einem gewaltigen
Strom ‒, nicht aber in jenem anderen
Sinne, dem „Schöpfung” ein Hervorbringen
aus dem Nichts bedeutet! ‒ ‒
.Und ebenso bleibt
alles, was ein Mensch
jemals aus dem Geistigen holt und erden‐
sinnverständlich macht, „Offenbarung”, sei
es nun Resultat einer jahrelang währenden
Laboratoriumsarbeit, oder die Gabe eines
gotterfüllten Augenblicks. ‒ ‒ ‒
.Ihn selbst dafür zu vergöttern, wäre
nicht nur
Torheit, sondern
Entwürdi‐
gung seiner Tat, ‒
seines Werkes, ‒
ja es käme der Unterstellung gleich, daß
er wohl selbst nicht zwischen sich und dem,
was ihm geworden ist, zu unterscheiden
wisse. ‒
.Bei allem was ein Mensch seinen Mit‐
menschen „be-
deutet”, ist auch immer da‐
nach zu fragen, ob seine Bedeutung mit
ihm selbst und seinem Erdendasein steht
und fällt, oder ob
Weiterzeugendes,
Weiterzeigendes unter den Menschen
lebendig bleibt, auch wenn der Bringer der
Gabe
nicht mehr unter den Sichtbaren
weiterwirken wird. ‒
.Niemals aber besteht auch nur der
mindeste Anlaß, den Bringer, Deuter oder
Künder um seines Tuns willen zu „ver
göttern”, ‒ seiner
Persönlichkeit (auch
wenn man diesen Begriff in dem hohen
Sinne
Goethes erfaßt! ‒)
götzenhaften
Kult zu widmen, und jeder, der für seine
weitere menschliche Mitwelt wahrhaft „be‐
deutend”
ist, wird stets mit Ekel und Scham
solche Vergötzung von sich weisen, mag er
auch noch so weit davon entfernt sein,
seine tatsächliche Bedeutung zu unter‐
schätzen! ‒ ‒ ‒
.Wer in Wahrheit für seine Mitmenschen
etwas zu bedeuten hat, der
kennt auch
aus tiefster Erkenntnis heraus sehr
wohl
Art und
Grad seiner Bedeutung.
.Er würde zum Lügner vor sich selbst
und Anderen, wollte er etwa den „Be‐
scheidenen” spielen und so tun, als ob er
nicht um sein Bedeutendes wüßte!
.Aber, es ist etwas anderes, um seine
Bedeutung zu wissen, Verehrung, ja selbst
Ehrfurcht Anderer um ihretwillen zu er‐
tragen, wie der Abgesandte eines Landes
wohl die Ehrung annimmt, die man seinem
Lande zollt, als um der Bedeutung seines
Wirkens willen und auf ihre Kosten, die
eigene Persönlichkeit, die doch nur
Mittlerdienste leistet, in den Vordergrund
zu stellen...
.Wenn ein Mensch den Mitmenschen
geistige Werte bringt, so wird man gewiß
verstehen, daß er sich auch gedrungen fühlt,
so gut wie es ihm möglich ist, zu bezeugen,
daß er nicht geraubtes Gut verschenkt
sondern auf rechtliche Weise erlangte, was
er besitzt.
.Ob dieser Besitz aber auch wirklich
einen geistigen Wert darstellt, kann nur
durch Prüfung der Gabe selbst ent‐
schieden werden und niemals durch die bloße
Bezeugung, daß sie rechtlich erlangt wurde,
obwohl es auch auf das „
Wie” des Er‐
langens sehr wesentlich ankommt.
.Werte, die aus dem Reich des
wesen‐
haften,
reinen Geistes stammen, können
niemals durch gedankliche Spekulation oder
naturwissenschaftliches Experiment erlangt
werden, und andererseits wäre es sinnlose
Vermessenheit, eine nur
durch intensive
Denkarbeit erlangbare Erkenntnis mühe‐
los aus den geistigen Reichen her erwarten
zu wollen. ‒
.Aber so, wie eine bestimmte Entdeckung
eines Chemikers ihren Wert nur in sich
selber trägt, einerlei, wer des Gelehrten ein‐
stige Lehrer waren, oder aus welcher Fabrik
die Instrumente und Apparate stammten,
die er benützte, ‒ so muß auch die Gabe
aus dem Reich des wesenhaften reinen
Geistes
in sich selber probehaltig be‐
funden werden, ganz abgesehen von der
Bezeugung des Bringers über die Art und
Weise,
wie er sie
erlangte, oder wie er
zu ihrer Erlangung
fähig wurde. ‒ ‒
.Es ist nicht eindringlich genug zu warnen
vor dem Annehmen einer geistigen Gabe
lediglich
auf Autorität hin, denn ‒ wer
überhaupt auf Autorität hin etwas annimmt,
das nur
auf die Bestätigung des eigenen
inneren Lebens und Erlebens hin an‐
genommen werden dürfte, der ist stets
in Gefahr, auch von
Fälschern, autoritäts‐
gläubig,
Gefälschtes anzunehmen, oder
von betrogenen Betrügern Talmi statt Gold
zu kaufen...
.„Personenkultus” aber schafft so recht
die Treibhauswärme, in der die Neigung,
auf Autorität hin anzunehmen, was nur
nach eigener innerer Prüfung übernommen
werden darf, üppig gedeihen kann...
.Weit entfernt von solchem Kultus aber
ist das
menschlich begründete Ver‐
trauen gegenüber dem Vermittler einer
geistigen Gabe!
.So wie man wertvolle Dinge des äußeren
Lebens nur bei einem Kaufmann erstehen
wird, dessen Rechtlichkeit erwiesen und
dessen Fähigkeit zu urteilsicherem Einkauf
seiner Ware wohlerprobt ist, so soll man
auch
geistige Werte niemals aus der Hand
eines Menschen nehmen, dem man nicht
felsenfest
vertrauen kann, wodurch man
sich keineswegs des Rechtes begibt, das Er‐
haltene dennoch erst im eigenen Innern
nachzuprüfen. ‒
.Ist solches Vertrauen vielfach
bestätigt
worden, so kann es freilich zu einer Sicher‐
heit führen, die im voraus weiß, daß alle
Nachprüfung nur die Echtheit des Erhaltenen
erweist, ja das eigene Urteil kann sich im
Laufe der Zeit zur Urteilsgewißheit des
Vermittlers erheben, ähnlich, wie mancher
Kunstsammler etwa sich allmählich einen
Blick für das Echte erwarb, der ihn befähigt,
auch ohne Anwendung besonderer Prü‐
fungsmethoden, sofort Wert von Unwert
zu unterscheiden.
.Und dieser hier herangezogene Vergleich
mag auch noch deutlicher werden lassen,
wie es bei jedem Bringer geistiger Werte
nur um
das geht,
was er bringt, und nicht
um eine Vergötzung seiner Person.
.So gibt es beispielsweise Sammler, die
einem bestimmten Meister alter oder neuerer
Kunst vor allen anderen den Vorzug geben
und alles aufzubieten trachten, um seine
Werke zu erhalten.
.Wohl wird ein solcher Sammler auch
den Menschen, der die Werke
schuf, zu
ehren wissen, allein ‒
nur um seiner
Werke willen, und weil nur dieser eine
Mensch eben
diese Werke schaffen konnte
oder schaffen kann. ‒
.Niemand wird hier von „Persönlichkeits‐
kultus” reden wollen!
.Ebenso aber müssen auch Sammler
geistiger Schätze verfahren lernen.
.Mögen sie auch in hohem Grade den
Vermittler solcher Gaben verehren, so soll
dies doch nur um der Gabe selbst willen
geschehen, und vielleicht auch um der Tat‐
sache willen, daß echte Künder aus dem
Reiche wesenhaften Geistes doch wohl
noch
seltener in dieser Erdenzeiten Lauf zu finden
sind, als echte Künstler. ‒ ‒ ‒
.Bei gewissen Krankheiten, deren Sym‐
ptome den Nervenärzten wohlvertraut sind,
macht man die seltsame Beobachtung, daß
die Erkrankten jeder Heilungsabsicht inneren
Widerstand entgegensetzen, weil sie den
krankhaften Zustand geradezu wie eine be‐
sondere Wertbetonung ihrer lieben Per‐
sönlichkeit empfinden und somit keineswegs
wirklich von ihm befreit sein möchten.
.Nicht allzuferne von derart patholo‐
gischem Zustand sind in heutigen Tagen
leider allzuviele Menschen, über die eine
seuchenhaft grassierende
Kritiksüchtig‐
keit derart Herr geworden ist, daß es ihnen
nicht mehr wohl in ihrer Haut wäre, fänden
sie nicht allenthalben um sich her stets neuen
Anlaß zu berechtigter, oder auch oft sehr
unangebrachter Verneinung des Tuns und
Werkes ihrer Nebenmenschen.
.Es kommt den hier gemeinten Kritik‐
triebkranken gar nicht mehr zu Bewußtsein,
daß
normales und
gesundes Bedürfnis
zu kritischem Verhalten
erst dann sich
einstellt, wenn
kenntnisgefestigte und
ihrer Sicherheit gewisse Prüfung jeweils
die Momente im Wirken und Werk des
Anderen entdeckt, durch die entweder seine
Absicht
gefährdet erscheint, zum erstrebten
Ziel zu gelangen, oder durch die eine
un‐
lautere Absicht erkennbar wird.
.Kritik, die aus
nicht entartetem Kri‐
tiktrieb erwächst, ist
immer „wohlwollend”,
denn der seines gesunden Triebes mächtige
Wille erstrebt da in der Auswirkung ent‐
weder das Wohl des kritisierten Handeln‐
den, oder das Wohl der vor diesem zu
schützenden anderen Mitmenschen.
.Von einem gesund gebliebenen Kritik‐
trieb ausgehende Kritik läßt sich auch stets
durch Belehrung
korrigieren und wird
nie in eigensinnigem Beharren besserem
Wissen Widerstand leisten.
.Das
krankhaft überreiztem Triebe
entstammende Kritikbedürfnis will hingegen
nur
die eigene Befriedigung und fühlt
empfindlichen Mangel, wenn es ihm schwer
wird, sich die gewohnte, fast wollüstig er‐
sehnte Selbstbefriedigung zu verschaffen.
.Über diese Dinge ist sich so Mancher
nicht klar, der sich viel darauf zugute hält,
daß er an allem und jedem was seine Neben‐
menschen treiben und schaffen, „etwas aus‐
zusetzen” hat, weil er seinen ursprünglich
gesunden Kritiktrieb zur Hypertrophie ent‐
arten ließ durch fortgesetzte, selbstgewollte
Überreizung...
.Was aber hier gesagt wird, geht auch
alle an, die ihren Kritiktrieb noch gesund
zu erhalten wußten, denn der beste Schutz
vor seiner möglichen Entartung ist stete
Achtsamkeit auf die ihm drohende Gefahr.
.Es liegt unbestreitbar ein gewisser sinn‐
licher Reiz darin, seiner Kritiklust die Zügel
zu lockern und an Anderen der Wirkung
froh zu werden, die ungehemmte Verneinung
immer auslöst, sei es in der Form froh‐
lockender
Zustimmung, oder als entrüstete
Abwehr.
.Gerade diesem Anreiz aber gilt es zu
widerstehen, denn wer ihm des öfteren er‐
liegt, der wird unmöglich seinen Kritiktrieb
gesund erhalten können.
.Hier handelt es sich nicht etwa um harm‐
loses Spiel, das keinem verwehrt werden
dürfe.
.Allzuviel Unheil wird tagtäglich durch
eilfertiges und vorlautes Kritisieren herauf‐
beschworen, in verhängnisvoller Auswir‐
kung krankhaft entarteten Kritiktriebes, als
daß es nicht an der Zeit wäre, dem Übel
endlich festen Willens entgegenzutreten.
.Es handelt sich hier nicht um berufs‐
mäßige Kritik, die sich mit bildender Kunst,
Literatur, Musik und Theater befaßt, denn
da liegt doch zumeist das Amt des Kri‐
tikers in der Hand von Publizisten, die auf
diesen Gebieten genügend Orientierung be‐
sitzen um mit der Kritik der Werke dort
einsetzen zu können, wo fruchtbare Wir‐
kung zu erwarten ist.
.Man wird auch schwerlich unter be‐
rufsmäßigen Kritikern vielen Kritiktrieb‐
kranken begegnen, und wenn berufsmäßige
Kritikausübung auch keineswegs vor Irr‐
tümern geschützt ist, so bleibt doch das
kritisierte
Werk bestehen und kann sich
im Laufe der Zeit die
Revision des Fehl‐
urteils erzwingen.
.Anders aber liegen die Dinge bei den
wilden Äußerungen entarteten Kritiktriebes
gegenüber dem
Tun und
Reden des Neben‐
menschen, denn hier können Unkenntnis,
Vorwitz, oder böser Wille jede gute Wir‐
kung im Keim ersticken und jede spätere
Korrektur unmöglich machen.
.Besonders gilt das im Bereich des öffent‐
lichen menschlichen Gemeinschaftslebens,
allwo Unzählige das Recht des Einzelnen
zur Mitbestimmung seiner äußeren Lebens‐
bedingungen als
ein Recht zu ahnungs‐
loser Kritik an allen und allem auf‐
fassen, und so unweigerlich zu kläglicher
Entartung ihres Kritiktriebes gelangen.
.Gerade hier aber wirkt solche Entartung
auch ansteckend wie eine Seuche...
.Da sich jeder Einzelne zur Kritik
be‐
rechtigt fühlt, auch wenn ihm jede Sach‐
kenntnis abgeht gegenüber dem Tun oder
Reden, das zu kritisieren er unternimmt,
so wirkt auf ihn die kritische Äußerung
eines Anderen als überaus suggestive Auf‐
forderung, sich in gleicher Weise hören zu
lassen, wobei dann die Eitelkeit dafür sorgt,
daß die Aufblähung der eigenen Persön‐
lichkeit des Kritikers aller sachlichen Kritik
überordnet wird...
.Einer besonderen Vorliebe erfreut sich
bei solchen an der Kritiksuchtseuche Er‐
krankten
das Schlagwort als bequemstes
und immer effektvolles, kritisches Schein‐
argument.
.Der Dümmste vermag noch, ein Vir‐
tuose des Schlagworts zu werden, das stets
ein sicherer Köder für alle Denkträgen und
Urteilsunmündigen ist und bleiben wird.
.Die Beliebtheit des Schlagworts genügt
aber allein schon zur Entlarvung der da‐
mit operierenden Kritik, als eines verant‐
wortungslosen Bestrebens, die zumeist recht
dürftige Geistigkeit des Kritikers gewichtig
und bedeutsam erscheinen zu lassen.
.Man darf wohl sagen, daß
jegliche
Kritik im gleichen Maße an Gültigkeit und
Wert verliert, als sie genötigt ist, ihre Zu‐
flucht zu wirkungserprobten
Schlagworten
zu nehmen. ‒
.Kritik als Auswirkung des
gesunden
Kritiktriebes aber kennt das Schlagwort
kaum.
.Der noch nicht erkrankte Kritiktrieb
weckt vor aller Auswirkung das
Verant‐
wortungsgefühl des Kritikers.
.Nicht um die
Selbstbetonung einer
Persönlichkeit handelt es sich bei der Be‐
tätigung des gesunden Kritiktriebes, sondern
um die Mitwirkung an der Vervollkomm‐
nung eines Zustandes, einer Einrichtung,
oder sonstigen menschlichen Werkes.
.Hoch erhebt der Kritiktrieb den Men‐
schen über das Tier!
.Auch das intelligenteste Tier nimmt seine
Umwelt hin wie sie ist, und äußert nicht
die leisesten Anzeichen wirklich kritischen
Verhaltens.
.Freudiges Annehmen, oder Abwendung
und Widerstand im Verhalten des Tieres
zur Außenwelt, sind nur Äußerungen seines
Selbsterhaltungstriebes und dürfen nie‐
mals als Ergebnis kritischen Erwägens ge‐
deutet werden.
.Der Kritiktrieb des Menschen setzt die
Erahnung eines vollkommeneren Zustandes
der Dinge voraus, als er jemals hier auf
Erden anzutreffen ist.
.Wäre der Mensch hier im Leben der
physischen Erscheinungswelt
heimisch, wie
das Tier, ‒ wie würde er
Kritik üben
können an seiner ihm äußeren Welt!? ‒
.Nur weil sein Geistiges
Vollkomme‐
neres kennt, als die ihn umgebende irdische
Welt, konnte der Mensch den Trieb zur
Kritik in sich erzeugen.
.Die ihm heute nicht mehr bewußtseins‐
gegenwärtige Erfahrung seines urgegebenen
geistigen Seins ist dennoch Ursache seines
kritischen Verhaltens gegenüber der ihn
nun umgebenden
physischen Welt.
.Durch eigene Willens-Strebung ausge‐
stoßen aus dem Bewußtseinsbereich des
reinen Erlebens wesenhaft geistiger Ge‐
staltung, bleibt die ewige Geistsubstanz, die
im Erdmenschtiere sich nun physisch-sinnlich
erlebt, doch immer noch Träger der Er‐
innerung an ihren vormaleinst erlebten
Seinszustand, und wenn auch das erden‐
tierhafte Gehirn nicht ohne weiteres fähig
ist, an solcher „Er-Innerung” teilzunehmen,
so wird es gleichwohl ihrer ahnend teil‐
haftig durch Influenzwirkung. ‒
.Alle Auswirkung gesunden Triebes zur
Kritik ist bestimmt durch unbewußtes Ver‐
gleichen des im Irdischen Dargebotenen
mit der Form absoluter Vollkommenheit,
die ihm in
geistiger Erscheinung ent‐
sprechen würde.
.Wir Menschen hier auf Erden leben
unter dem Einfluß
zweier, voneinander
äußerst verschiedener Vollkommenheits‐
Ideale, mögen wir unsere Doppelstrebigkeit
ignorieren, oder ‒ wie alle nicht ganz
irdisch verkrusteten Naturen ‒ bitter an
ihr leiden...
.Wären wir nur
irdisch-sinnliche Na‐
turen, dann wäre die Zwiestrebigkeit und
alles ihr entspringende Leid
unmöglich.
.So aber sagt uns das physische Dasein
zwar mit brutaler Vehemenz, was ihm
für
sich „Vollkommenheit” heißt, während wir
durch das gleiche physische Gehirn auch
rein
geistige Influenz aufnehmen, womit
uns die Vorstellung einer Vollkommenheit
gegeben wird, neben der alles
irdisch Voll‐
kommene für uns zur
Unvollkommen‐
heit verdammt erscheint. ‒ ‒
.Es
muß zu innerer „Zerrissenheit”
führen, wenn ein Mensch danach strebt,
Dinge, die ganz der
physischen Gesetz‐
lichkeit unterordnet sind, zu einer Voll‐
kommenheit zu führen, die nur im
Gei‐
stigen gegeben ist!
.Alles Streben nach „Vergeistigung” des
Körperlichen gehört hierher...
.Es ist uns nur die erhabene Möglichkeit
geboten, hier im Physischen den Geist zu
verkörpern, aber auch diese Geist-
Verkör‐
perung ist nur nach der Weise
physisch‐
sinnlicher Vollkommenheit vollziehbar, ‒
wird also der Vollkommenheit des ewigen
Geistes gegenüber allzeit als „
unvoll‐
kommen” gelten müssen. ‒ ‒ ‒
.Nun verleitet uns aber der zwar
geist‐
gezeugte, jedoch nur
im Physischen sich
auswirkende Kritiktrieb immer wieder zu
der irrtümlichen Annahme, wir könnten
das in der physisch-sinnlichen Erscheinung
Gegebene zu
jener Vollkommenheit führen,
die nur im
Geistigen möglich ist.
.Daher dann die Übersteigerung unserer
Ansprüche an uns selbst und die mit uns
Lebenden, ‒ daher die
Hypertrophie
des ungehemmten Kritiktriebes! ‒
.Die einsehen können, was hier einzu‐
sehen ist, sollten sich wahrlich endlich klar
darüber werden, daß Kritik am Tun und
Treiben ihrer menschlichen Umwelt nur
dann
berechtigt ist, ‒ daß der Kritiktrieb
nur dann
gesund erhalten werden kann, ‒
wenn sorglichst geachtet wird auf die
Bedingungen, denen alles Wirken des
Menschengeistes hier auf Erden unter‐
stellt ist.
.Auch die irdisch-vollkommenste Lei‐
stung des Menschen innerhalb der
physisch‐
sinnlichen Erscheinungswelt bleibt ein
Un‐
vollkommenes gegenüber dem, was dem
ewigen, wesenhaften
Geiste Vollkommen‐
heit heißt. ‒
.Um wievielmehr ist alle Nachsicht
dort
geboten, wo nach Lage der Dinge nicht
einmal die „Vollkommenheit” nach
physi‐
scher Möglichkeit erwartet werden darf...
.Kritiksucht ist die Krankheit, mit der
die „Schlange” des „Paradieses” die Mensch‐
heit infizierte, und vielleicht versteht man
nach dem, was hier zur Erörterung kam,
nun besser die verlockenden Worte, die
innerhalb der mythischen Erzählung durch
das
satanische Prinzip dem Menschen ein‐
geflüstert werden:
.„
Ihr werdet sein wie die Götter, ‒
erkennend Gutes und Böses!” ‒ ‒ ‒
.Gar trübe und endlich vergängliche
„Götter” sind es, die solcher „Erkenntnis”
teilhaft sind!
.Vor dem ewigen, wesenhaften
Geiste
aber ist alles „Böse” nur zeitlich erschei‐
nender, vergänglicher
Irrtum, dessen
phy‐
sische Realität für geistiges Bewußtsein
ein „
Nichtsein” ist, denn was
allein im
Geiste sich selbst erlebt, ist ewige
Voll‐
kommenheit: ‒ das urgezeugte und ewig
sich selber weiterzeugende „
Gute”. ‒ ‒ ‒
.Und nun noch ein Wort über
Selbst‐
kritik!
.Daß auch
diese Art der Auswirkung
den Kritiktrieb zur
Entartung bringen
kann, wenn er nicht durch rechte Einsicht
geleitet wird, das dürfte am ehesten vielleicht
doch allen denen verstehbar werden, die
selbst an solcher Triebentartung
leiden...
.Kritik am
eigenen Verhalten kann
ebenso fördern oder hemmen, wie unsere
Kritik an
Anderen diesen zur Förderung
oder Hemmung gereichen kann.
.In beiden Fällen wird die Auswirkung
des Kritiktriebes nur dann
Segen bringen,
wenn vor allem anderen
das Gute erspürt
und wertgeachtet wird,
ehe man nach
Fehlern und Mängeln an sich oder seinen
Nebenmenschen forscht. ‒
.Ein einziger positiver Wert kann
die Fülle aller vorhandenen Fehler
und Mängel überwiegen!
.Die Sage erzählt, daß Sodom vernichtet
wurde, weil die Sünde seiner
Tausende
ihm zum Verderben gereichte, aber ‒ um
„
zehn Gerechter” willen wäre
die ganze
Stadt gerettet worden...
.Scheinbar ist es recht überflüssig, hier
aufs neue diese Frage zu stellen.
.Alte und neue Deuter des seltsamen
Werkes, das den
Namen Böhmes trägt,
haben sich bald mit mehr, bald mit weniger
Glück auch mit der Deutung des
Menschen
beschäftigt, der hinter diesem Werke steht.
.Daß Böhme ‒ außer dem was er
war
‒ auch Schuhe nähen konnte, wissen selbst
Leute, die nie eine Zeile von ihm gelesen
haben, und wenn auch gewisse Deuter seines
Werkes von dem Urheber als dem „Gör‐
litzer Schuster” sprechen, so ist das ‒
bestenfalls ‒ Geschmackssache, wenn man
nicht mit mir der Ansicht zuneigt, daß
zwar die Schuhmacherei ein sehr ehren‐
wertes Handwerk ist; daß auch dieser Hand‐
werkerstand recht stolz sein kann auf seinen
berühmten Zunftgenossen; daß es aber ge‐
wiß nicht „
geistige Nähe” verrät, wenn
man dem abgründig tiefen
Geisteskünder
Jakob Böhme gegenüber, auch nur an das
alltägliche Tun
erinnern mag, mit dem er
sein Brot verdiente. ‒ ‒
.Allerdings hat es auch niemals an Men‐
schen gefehlt, denen das Wesentliche eines
geistig so bedeutenden Menschen wahrlich
nicht durch seine irdische Erwerbstätigkeit
bestimmt erschien, ‒ denen es belanglos
blieb, daß dieser Lehrer
außerhalb der
abgesteckten Pferche landläufiger Bildung
aufgewachsen war.
.Böhme selbst aber zeigt nur zu deut‐
lich in seinen Schriften, wie sehr er es als
Mangel fühlte, daß ihm die Gelehrsamkeit
seiner Zeit nicht zu eigen geworden war,
und bis an das Ende seines Lebens müht
er sich, der gelehrten Freunde Begriffswelt
zu erfassen: in den
Worten, die er bei ihnen
hört, von seinem
eigenen Schauen und
Denken Kunde zu geben.
.Die Nötigung, das einmal erlernte Hand‐
werk betreiben zu müssen, um nur leben
zu können, war ihm eine stete
Störung,
und alles, was man um seine äußeren Le‐
bensumstände weiß, zeigt deutlich, wie sehr
er sich dieser Störung zu entwinden suchte,
um nur dem inneren Antrieb seines hohen
Geistes folgen zu können.
.Will man das Geistesgut, das sich in
dem Menschen
Jakob Böhme seinen ir‐
dischen Schrein geschaffen hatte, wirklich
erkennen lernen, dann darf man wahrhaftig
den Schriften des Weisen sich nicht in der
vorgefaßten Meinung nahen, hier nun den
mehr oder weniger hausbackenen Ergeb‐
nissen des sinnierenden Grübelns eines
biederen Handwerksmannes zu begegnen,
der bei seiner Schusterkugel vergißt, daß
er brauchbares Schuhwerk schaffen soll und
statt dessen lieber den mancherlei meta‐
physischen Fragen Antwort sucht, die sein
frommes Gemüt nicht in Ruhe lassen wollen.
.Das sei allen gesagt, die zwar den
Namen des Weisen kennen, aber seine
Schriften nicht gelesen haben, oder sie gar
bald aus der Hand legten, weil sie Anstoß
nahmen an dem dunkeln Wort der freilich
oft sehr eigenmächtigen und seltsam tönen‐
den Redeweise!
.Wer aber Böhmes Schriften
wirklich
durchforscht hat, ‒ wer es sich Mühe
kosten ließ, in ihre Sprache sich einzuleben,
‒ der hat stets auch gelernt, sich vor dem
Manne, der solches niederschreiben durfte,
in
Ehrfurcht zu beugen, und es ist längst
bezeugt, daß diese Ehrfurcht sich gerade
dort am stärksten einstellt, wo
eigener
Seele Tiefe aufklingt, sobald die wunder‐
samen Schätze erst ertastet werden, die Jakob
Böhmes Weltentiefe in sich birgt...
.Das gilt allerdings nur von seiner Er‐
kenntnis der rein
geistigen Welt!
.Aber trotz der Fehlgriffe in die Gebiete
des physisch-sinnlichen Universums, bei
denen er sich von anderen das Hebezeug
borgt, trotz aller zeitlichen Bedingtheit seiner
Folgerungen, ‒ und selbst trotz aller Ketten‐
fesseln dogmenstarrer Religionsform, steht
einer der
Weisesten hier vor uns, unter
denen, die jemals die letzten Urtiefen
menschlichen Erkennens zu ergründen
suchten! ‒
.Ein „Brunnenbauer”, der seinen Schacht
bis zu den Urwassern des Lebens vertiefte!
.Wer immer den Mut aufbringt, in diesen
Brunnenschacht niederzusteigen, ‒ denn es
ist kein angeseilter Eimer da, mit dem er
etwa schöpfen könnte, der wird die Bestä‐
tigung finden, daß er nur in sich selbst
einen Schacht von
gleicher Tiefe zu bauen
brauchte, um auf die
gleichen lebendigen
Quellen auch
in sich selbst zu stoßen...
.Wer freilich hängen bleibt in dem
Wurzelwerk
religiöser Allegorien, das
an den Wänden des Brunnenschachtes, den
Böhme in sich selbst hinein baute, immer
noch Halt findet, um den Arglosen in sein
Gewirre zu verstricken, der wird froh sein
können, weiß er sich endlich wieder
befreit,
und die Wasser der Tiefe werden ihm nur
sein eigenes verstörtes Antlitz spiegeln. ‒
.Dies alles sei zuerst ausgesprochen, be‐
vor ich der Frage antworten kann,
wer
dieser seltsame und auf seine Art der Welt
des Geistes so kundige Seher Jakob Böhme
war, dem neuere Forschung endlich den
Rang in der Geistesgeschichte der Mensch‐
heit zuweist, der ihm gebührt, auch wenn
es ihm nie an
Verehrern fehlte, denen
bald
diese, bald
jene Seite seines Wesens
staunenswert erschien, weil keiner
das
ganze Bild dieses großen Menschen in sein
Blickfeld fassen konnte. ‒
.Die Antwort, die ich hier nun zu geben
habe, gilt nur der
geistigen Herkunft
Böhmes, so wie ich sie kenne aus gesicher‐
tem Erkennen, und was mir da nun zu sagen
möglich ist, wird denen verstehbar sein,
die bereits erkannten, daß alles geistige
Geschehen hier auf Erden nur letzte Aus‐
wirkung aus der Liebe geborener hoher Im‐
pulse im Reiche des wesenhaften
Geistes
darstellt. ‒
.Man wird sich alles dessen erinnern
müssen, was ich bereits unzählige Male zu
bekunden hatte, wenn ich davon sprach,
daß Göttliches nur
durch den Menschen‐
geist dem Menschen faßbar werden kann,
und daß aller Einfluß, den die Erden‐
menschheit
aus dem Reiche des wesen‐
haften Geistes empfängt, von einem un‐
sichtbaren Tempel
hier auf Erden aus‐
geht, dessen fundamentbildende Bausteine
Menschen dieser Erde sind, die
gleich‐
zeitig, vollbewußt und ohne jeden Unter‐
bruch ‒ trotz allem irdischen Tun, ‒
im reinen Geiste leben. ‒ ‒
.Von
dort her ward auch
Böhme zu
seinem Wirken geführt! ‒
.Als geistiger „
Schüler” des von mir
so oft bezeichneten verborgen wirkenden
geistigen Kreises erstieg er Stufe um Stufe,
soweit es ihm während dieses Erdenlebens
möglich war, und er selbst wußte wahrlich,
woher ihm seine Erleuchtung kam.
.Nach außenhin aber war er durch
strenges Gebot zum
Schweigen verpflichtet.
.Er selbst war ja nicht dazu bestimmt,
hier auf Erden im Kreise der „Leuchten‐
den des Urlichts” ein Leuchtender zu werden.
.Allzu irdische Flammen umlohten in
ihm noch das goldweiße Licht des göttlichen
Geistes, und keineswegs lag jene geistige
Entfaltung, die Jahrtausende währt und die
jeder „Leuchtende”
erreicht haben muß,
bevor er sich im Erdentiereskörper hier
erlebt, schon hinter ihm, als er ins irdische
Dasein trat.
.Was aber ein wahrhaft würdiger Mensch
erlangen kann, der „angenommen” wurde,
um ein Schüler des Lichtes zu werden,
das hat Jakob Böhmes Werk der Welt ge‐
zeigt, obwohl sie nicht darum wissen konnte,
woher die Kraft zum Werke zugeflossen
war...
.Unmöglich war es den Deutern von
Böhmes Schriften, über die
ursächliche
Bedingung seiner Seherschaft Authenti‐
sches zu
wissen, ‒ unmöglich war es ihnen,
auch nur zu
ahnen, daß in ihm eine gei‐
stige Leitung wirksam war, von deren Da‐
sein auf der Erde stets nur einige wenige,
die nicht reden durften, Kenntnis erhalten
hatten. ‒ ‒ ‒
.Und dennoch ist es nicht unmöglich,
daß Böhme vertrauten Freunden einst eine
ihm noch erlaubt erscheinende Andeutung
machte, die zu einer späteren Erzählung
seines ersten Biographen Anlaß gab, einer
Erzählung, mit der man heute nichts mehr
anzufangen weiß, so daß man in ihr nur
die Mythenbildung am Werke glaubt.
.Beachtlich dürfte es daher wohl sein,
daß der Lebensbeschreiber und Freund
Böhmes zu berichten weiß:
.„Und kan wohl seyn, daß auch
von
außen durch
Magisch-
Astralische Würk‐
kung der
gestirnten Geister, zu diesem
heiligen Liebe-Feuer, gleichsam ein
ver‐
borgener Glümmer und Zünder mit an‐
und eingelegt worden.” *)
‒ ‒ ‒
* Ich lasse hier mit Absicht die Worte, auf die es ankommt, OO
gesperrt drucken, während ich im übrigen wörtlich OO
nur dem Original folge.
.Es liegt zum mindesten sehr nahe, daß
der Biograph einiges von den wirklichen
Zusammenhängen
ahnte, wenn er nicht
gar, aus andeutenden Reden Böhmes, mehr
wußte, als er sagen wollte. ‒ ‒
.Zweifellos gibt es für jeden, der hier
den wirklichen Zusammenhang durchblickt,
doch sehr zu denken, daß im Anschluß an
obiges Zitat erzählt wird, wie einstmals
„ein frembder, zwar schlecht bekleideter,
doch feiner und ehrbarer Mann” in Böhmes
jungen Jahren zu ihm in den Laden seines
Meisters getreten sei, während Böhme dort
allein war, und daß dieser Mann ihn dann
plötzlich, trotz aller Unbekanntheit, beim
Namen genannt habe, nicht ohne Böhme
dadurch sehr zu erschrecken.
.Dann aber heißt es weiter:
.„Da ihm der Mann eines Ernst-freund‐
lichen Ansehens, mit Liecht-funckelten
Augen, bey der rechten Handt gefasset, ihme
strack und starck in die Augen gesehen
und gesprochen: Jakob, du bist klein, aber
du wirst groß und ein gar anderer Mensch
und Mann werden”... usw. usw.
.„Worauff der Mann ihme die Hand
getrücket, wiederumb starck in die Augen
gesehen, und also seinen Weg für sich
gangen.”
.Es wird dann im gleichen Zusammen‐
hang noch berichtet, wie Böhme daraufhin
anders geworden, und „nach weniger Zeit
darauff” sei dann seine Erleuchtung, sein
„Geistlicher Außruff und Sabbaths-Tag...
erfolget.”
.So ferne es mir auch liegt, rechten
zu wollen darüber, welchen Wert man dieser
Erzählung zuerkennen soll, so glaube ich
doch, daß hier ein Hinweis immerhin nicht
ganz fehlen darf. ‒
.Da ich mir nicht die Aufgabe stelle,
Böhmes Schriften deuten zu wollen, so
darf ich es aber auch wohl bei diesem
einen Hinweis bewenden lassen, trotzdem
ich es durchaus nicht für unmöglich halte,
daß gründliche Kenner dieser Schriften
mir auch in Böhmes
eigenen Texten so
manche geheimnisvolle Stelle zeigen könnten,
die hier genannt werden dürfte. ‒ ‒
.Es möge genügen, die Aufmerksamkeit
der Leser auf das Erwähnte hingelenkt zu
haben.
.Was aber hier ausdrücklich gegeben
werden soll, ist die nur aus einer einzigen
Quelle erlangbare Darlegung von Böhmes
geistiger Herkunft und wurde veranlaßt
durch die stets wiederholte Beobachtung,
daß auch die besten Erklärer des geistigen
Phänomens
Jakob Böhme, weder den
Menschen restlos zu deuten vermögen,
noch die
Schriften, solange sie nicht um
die Beziehungen Böhmes zu dem geistigen
Kreise der „
Leuchtenden des Urlichts”
wissen.
.Die Gründe, durch die einst der
weise Seher selbst zum Schweigen ver‐
pflichtet wurde, bestehen heute längst
nicht mehr, und seinen Schriften wird
nur die Wirkung erleichtert, wenn man
um seine geistige Herkunft
weiß und ihre
Spuren in seinem Werke
richtig deuten
kann.
.Was zeitlich und allzupersönlich be‐
dingt war an seinem Werke, ‒ was einer
Vorstellungswelt entstammt, mit der er
fertig werden mußte, wollte er nicht noch
weit herberes Leid durch deren Anhänger
erdulden, als sie schon ohnehin ihn er‐
dulden ließen, ‒ das alles läßt sich aus
diesem Werke lösen, ohne ihm irgendwie
Wesentliches zu nehmen.
.Was aber als Wesentliches
bleibt, das
wurde vor mehr als dreihundert Jahren
wahrlich auch für die
heutige Zeit ge‐
schrieben!
.Niemals kann es veralten, da es der
Ewigkeit entstammt: ‒ dem
immer‐
währenden „
Heute”!
.Jakob Böhme gab dem Schauen seiner
Seele nur die Wortgestalt, in der es
für ihn
selber bleibend faßbar und
be-
haltbar
werden konnte, da er ja nicht Herr und
Meister dieses Schauens war, sondern immer
warten mußte, bis es ihm aufs neue vom
Reiche des Geistes her eröffnet wurde, so
daß ihm das jeweils Erschaute in Gefahr
geriet, wieder verloren zu gehen. ‒ ‒ ‒
.Es ist nicht zum Verwundern, wenn
er wirklich Wesentliches oft so kraus und
wirr
verzierte, weil ihm nur solche Ara‐
beske Unsagbares formhaft zu umschließen
schien.
.Als ein naturhaft starker Sprachge‐
stalter in der Weise seiner Zeit,
zwang
er die Worte, seinem bildhaften Erleben
Form zu werden, und es bekümmerte ihn
wenig, wenn die Worte sich auch
sträuben
mochten, die Überfülle seiner inneren Ge‐
sichte aufzunehmen.
.Aus seinen Worten
auszulösen, was
sie fassen, wird stets nur
liebender Ver‐
senkung möglich sein. ‒ ‒ ‒
.„Da aber das Volk dieses sah,
fürchtete es sich, und pries Gott,
der solche Macht den Menschen
gegeben hat.” Matthäus, IX, 8.
.Es wurde berichtet von einem Maori auf
Neuseeland, der ganz unerhörte
Heilungen
vollbringe. Der Mann sei ein getaufter
Christ und er verlange von denen, die er
heilen solle, daß sie die Heilung nur der
„
Heiligen Dreieinigkeit: ‒
Vater,
Sohn
und Heiliger Geist”, danken dürften, ja
er drohe, daß die Heilung nicht bestehen
bleibe, sobald der solcherart verlangte Glaube
in dem Geheilten schwinde.
.In christlichen Kreisen aber sah man
das Wirken dieses Maori als handgreifliche
Bestätigung des Dogmas an...
.Dann kam in Europa Herr
Coué, ver‐
langte nichts weiter von dem Kranken, als
daß er an die Macht seiner
eigenen Ein‐
bildungskraft glaube, und erzielte nicht
weniger „wunderbare” Erfolge.
.Und nun kommt schon wieder neue
Kunde von einem Heiler, der
durch bloßes
Handauflegen allerlei Krankheit zum Ver‐
schwinden bringen soll.
.Diesmal ist es
ein buddhistischer
Mönch ‒ angeblich ein Chinese ‒ der
durch seine Heilungen in dem an „Wunder”
gewohnten
Indien Staunen und ehrfürchtige
Scheu erregt.
.Da er
allein nicht mehr imstande ist,
allen Kranken die zu ihm kommen, die
Hände aufzulegen, so „
überträgt” er seine
Heilerkraft an fünf seiner Schüler. ‒ ‒
.Zeitungsmeldungen lassen erkennen, daß
man die Tatsächlichkeit der Heilungen nicht zu
bezweifeln vermag und daher ‒ wie gewöhn‐
lich in solchen Fällen ‒ vor Rätseln steht.
.Nun wird ja freilich von Zeit zu Zeit genug
des Wunderbaren aus Ostasien berichtet,
und bei näherer Nachprüfung bleibt dann
oft recht wenig davon übrig, obwohl nie‐
mals die „durchaus glaubwürdigen Augen‐
zeugen” in den ersten Berichten fehlen.
.Was man aber hier von diesem Bud‐
dhistenmönch berichtet, ist durchaus nicht
so wunderbar, daß man es schon aus bloßer
Vorsicht bezweifeln müßte.
.Zum Verwundern ist es vielmehr, daß
man immer wieder
staunend und
um Er‐
klärung verlegen vor solchen Heilungen
steht, ja daß man sie selbst dem sympa‐
thischen und nüchternen Herrn
Coué, der
doch wahrlich sich keinerlei Wundermantel
umhing, in manchen Kreisen nicht so recht
glauben will. ‒
.Freilich sprach Herr Coué nur von der
„
Autosuggestion”, während es sich hier
um Kräfte handelt, denen eben durch die
Autosuggestion nur
die Fesseln abge‐
nommen werden, aber das Wesentliche
bleibt bei seinem Erklärungsversuch doch
der Hinweis, daß Kräfte, die jeder Mensch
in sich selbst trägt, die Heilungen be‐
wirken.
.In Wahrheit kann kein Arzt der Welt
auf eine andere Weise wirklich
heilen, als
dadurch, daß er diesen Kräften die Mög‐
lichkeit schafft, sich auszuwirken, einerlei
durch welche Mittel er dazu gelangt, mag
er auch chemische oder chirurgische Ein‐
griffe vornehmen.
.Das ist nun nichts Neues und man hat
sich von je her mit der billigen Erkenntnis
beholfen, daß der Arzt nur die Heilkraft
der Natur
anregen könne, ansonsten aber
mit den besten Medikamenten, ja selbst
durch Entfernung kranker Organe, kaum
viel vermöge.
.Es sind aber noch
andere Dinge hier
im Spiel, und die sympathisch-bescheidene
Geste des Herrn Coué, daß
er selbst gar
nichts mit der Heilung zu tun habe, sondern
nur lehre wie der Patient
sich selber
helfen könne, darf beileibe nicht als un‐
umstößliche Mitteilung eines Tatbestandes
aufgefaßt werden, selbst wenn Herr Coué
in seinem tiefsten Innern von der Richtig‐
keit dieser Auffassung durchdrungen gewesen
sein mag. ‒
.Immer und überall wird die
Persön‐
lichkeit des Heilers von ausschlaggebender
Wichtigkeit sein, einerlei, ob es sich um die
durch Herrn Coué nun populär gewordene,
von den amerikanischen sogenannten „Neu‐
denkern” seit einem halben Jahrhundert
bereits praktizierte Methode der
Autosug‐
gestion handelt, ‒ um
Glaubensheilung,
oder
Handauflegen, ‒ oder schließlich
um die Heilung durch
medizinische und
chirurgische Eingriffe.
.Gewiß kann der
Wille, besonders in seiner
höchsten Potenz: als
Imagination, als
Einbildungskraft wirkend, im Menschen
wahre „Wunder” vollbringen, und das gilt
auch hinsichtlich der Freimachung jener
Heilkräfte, die als automatisch wirksame
Ordner in jedem menschlichen Organismus
vorhanden sind, aber durch die leiseste
Einrede der
Gedanken schon
gelähmt
werden, so daß alles darauf ankommt, wie
man am besten die
Fesselung durch solche
Gedanken-Einrede
entferne.
.Darüber hinaus aber handelt es sich hier
‒ wie bei allen Bekundungen der Lebens‐
kräfte ‒ um ein Wirksamwerden
zweier
Pole, deren einer im triebhaften Willen
der Zellen des erkrankten Organismus zur
Entartung, deren anderer im
geistigen
Willen (nicht „Wunsch”!) zur
Gesundung
zu finden ist.
.Bei der
Selbstheilung ist es unum‐
gängliche Voraussetzung, daß der Kranke
seinen Willen zur Gesundung objek‐
tiviere; ihn gleichsam sich selber „fremd”
mache, damit die nötige
Spannung ent‐
steht zwischen dem
organhaften Willen
zur
Krankheit und dem
geistigen Willen
zur
Gesundung.
.Das ist nicht immer ganz leicht und zu‐
weilen fast unmöglich, während die An‐
forderungen an den Kranken auf ein letztes
Minimum herabgesetzt werden, sobald der
geistige Wille zur
Gesundung: ‒ zur
Ord‐
nung des im Organismus
Ungeordneten
‒ wenigstens zu Anfang,
von außen her
auf ihn einwirkt und durch Influenzwir‐
kung seinen
eigenen geistigen Willen ent‐
sprechend zur Tätigkeit
anregt.
.Dieser
äußere geistige Wille kann ein
Kollektivwille sein, wie er an Wallfahrts‐
orten z. B. in Wirksamkeit ist, ‒ er kann
aber auch von einer
einzelnen Persön‐
lichkeit ausgehen und ist alsdann bedingt
durch die
einwohnende Kraft dieser Per‐
sönlichkeit, solchen „heilenden” Willen auf
Andere
übertragen zu können. ‒
.Bekanntlich hat man auf dem Gebiete
der medizinischen Heilpraxis unzähligemale
die Erfahrung gemacht, daß gewisse Heil‐
methoden in der Hand des
einen Arztes die
erfreulichsten Heilerfolge sicherten, während
andere, nicht minder tüchtige Aerzte mit
den gleichen Methoden kaum etwas anzu‐
fangen wußten.
.Auch der Umfang des
Wissens, ja selbst
die Fülle der
praktischen Erfahrung,
vermag nicht Ersatz zu bieten für die
an‐
geborene Eignung zum wahren
Heiler,
und es sollte darum
nur dann ein Mensch sich
heilärztlichem Wirken zuwenden, wenn
er diese Eignung:
den geistigen Willen
zum Gesundwerden alles Erkrankten
auf Andere übertragen zu können, deut‐
lich an sich wahrgenommen hat. ‒
.Alles nur
rein wissenschaftliche In‐
teresse am inneren Gefüge des mensch‐
lichen Organismus und seinen pathologischen
Veränderungsmöglichkeiten rechtfertigt da‐
gegen nur das Streben nach reinem
Forscher‐
beruf, der dann
indirekt den Kranken
hohen Nutzen bringen kann, aber man sollte
auf dem Gebiete der medizinischen Wissen‐
schaft aufs strengste scheiden lernen zwischen
der Eignung zum
Forscher und der Eig‐
nung zum
Heiler. ‒ ‒
.Beide Eignungen sind
angeboren und
lassen sich in ihrer ausgeprägt
echten Form
niemals erwerben, wenn auch so mancher
Arzt, der, zum
Forscher geboren, eine
Heilpraxis betreiben
muß, aus der Not
eine Tugend macht, weil er
aus rein mensch‐
licher Hilfsbereitschaft heilen
möchte,
da man ihn nun einmal dazu gerufen hat,
und dann vielleicht auch zuweilen recht
zahlreiche Heilerfolge erzielt. ‒
.Die Vereinigung
beider Eignungen in
einem Menschen ist
so überaus selten,
daß man hier füglich von ihr absehen
darf. ‒
.Was aber das
Studium des kranken
Menschen durch den
Forscher angeht, der
es ja keinesfalls entbehren kann, so dürfte
es wahrlich
auch dann zu ermöglichen
sein, wenn er die eigentliche
Heilpraxis
dem geborenen
Heiler allein überläßt. ‒
.Wir haben genug Menschen unter uns,
die geborene Heiler
sind und wenn schon
heute die kompliziertesten mechanischen
Methoden zur Anwendung gelangen, um
festzustellen, ob ein Mensch die rechte Eig‐
nung zum Lokomotivführer, oder zu irgend
einem anderen technischen Berufe besitzt,
so sollte es wahrlich auch gelingen, schon
während der Studienzeit festzustellen,
ob der angehende Mediziner zum
Forscher
oder zum
Heiler taugt.
.Es würde sich dann kaum mehr ereignen,
daß irgend ein obskurer Wundermann den
Ruf erlangt, alle erdenklichen Krankheiten
heilen zu können, die der medizinisch ge‐
bildete Arzt
nicht heilen konnte, weil er
eben kein geborener
Heiler war.
.Ein solcher
Heiler aber wird mit
jeder
Methode Heilerfolge erzielen, und seine er‐
worbene Wissenschaft wird stets von seiner
sicheren
Intuition berichtigt werden.
.Bevor man aber zu der Erkenntnis kommt,
daß der rechte Arzt vor allem geborener
Heiler sein muß, werden alle neuen Heil‐
methoden, alle Reformen in der Heilkunst,
nur
sehr wenig Förderung bringen, und
immer wieder wird man erleben, daß alle
Welt aufhorcht, wenn irgend ein wirklicher
Heiler auftaucht, während das Vertrauen
zur
wissenschaftlich fundierten Heil‐
kunst mehr und mehr unterminiert wird. ‒
.Es liegt solchem Verhalten der Menge
stets ein
sicherer Instinkt zugrunde, der
eine Macht zu heilen im Menschen
der
dazu geboren ist
erspürt, und sich wenig
darum kümmert, ob ein solcher Mensch
auch die
wissenschaftliche Einsicht be‐
sitzt, sein Tun zu
kontrollieren.
.Der kranke Mensch will
geheilt werden
und trägt keinerlei Begehr danach, daß man
ihn als einen „interessanten Fall” betrachtet,
was er nur für den
Forscher sein darf,
aber niemals für den
Heiler!
.Dokumente aus allen Zeiten zeugen von
gewissen Menschen, die behaupteten, daß
ihnen
Göttliches nicht nur dem religiösen
Glauben nach gesichert in der Wahrheit
gelte, sondern vielmehr von ihnen
wissend
erlebt und in erprobt untrüglichem Er‐
leben wohlvertraut geworden sei.
.Solche Behauptung gilt allen denen als
Vermessenheit, die allzusicher auf das Axiom
vertrauen, alle Menschen seien „
gleich
vor Gott”, was denn gemeinhin so gedeutet
wird, als könne es keinerlei Erleben geben,
das nicht einem wie dem anderen ohne
weiteres zugänglich sei.
.Aber es gibt Zeugnisse besonderer Men‐
schen, die denn doch beweisen, daß die
Reichweiten des Erlebens unter uns Erd‐
bewohnern
sehr verschieden sind, wie ja
denn auch im Erleben der
Außendinge
schon die größte Verschiedenheit des Er‐
leben-
Könnens offenbar wird.
.Ist es schon im
äußeren Leben wichtig,
welche Veranlagung ein Mensch von Geburt
an besitzt und wie er seine Begabung aus‐
zubilden weiß, so tritt hinsichtlich des
geistlich-
seelischen Erlebens noch eine
ganze Reihe
anderer Umstände hinzu, die
alle in günstiger Weise
zusammenwirken
müssen, wenn
gesichertes Erleben im Un‐
sichtbaren erreicht werden soll.
.Die Fälle, in denen Menschen Geistiges
mit restloser Klarheit und Sicherheit er‐
lebten, sind
äußerst selten, aber es wäre
sehr töricht, sie um ihrer Seltenheit willen
unbeachtet zu lassen oder gar fortleugnen
zu wollen. Dies um so mehr, als es auch
heute Menschen gibt, die in solcher Art
erleben und mit wachester Urteilsfähigkeit
um ihr Erleben wissen.
.Man muß aber stets unterscheiden zwi‐
schen diesem eigentlichen
Erleben und der
Mitteilung des Erlebten, wie es der also
Erlebende in Worten zu geben sucht.
.In solcher Mitteilung strebt der Mensch
mit aller Inbrunst, auszusagen, was sich
doch niemals in Worten sagen
läßt,
und notgedrungen schafft er sich
Bild
und
Gleichnis, um auch anderen Seelen
erfaßbar zu machen, was ihm wider‐
fahren ist.
.Es zeigt sich in diesem Bestreben das
innere Ahnen, daß das eigene Erleben ir‐
gendwie auch für alle
anderen Menschen
Gültigkeit und befruchtenden Wert haben
müsse; zugleich aber weiß der Berichtende
mit Sicherheit, daß dieses Erleben den
meisten anderen
nicht zugänglich ist, sodaß
er sich
verpflichtet fühlt, davon Kunde
zu geben, selbst wenn es ihm schwer werden
sollte, Bekenntnis abzulegen.
.Man könnte, folgt man der Bild- und
Gleichnis-Spur hierhergehöriger Bekennt‐
nisse, gar leicht vermuten, daß es sich
im Grunde stets um das
gleiche innere
Erleben handle, nur verschieden darge‐
stellt, je nach der Darstellungsfähigkeit
des Erlebenden und seiner ihm eigenen
Bildwelt.
.Sieht man aber näher zu, so ist es auch
für den, der niemals von ähnlichen Erleb‐
nissen erschüttert wurde, nicht allzu schwer,
zu entdecken, daß es sich doch um Berichte
sehr wesentlich
verschiedenen Erlebens
handelt, auch wenn oft die gebrauchten
Darstellungsbilder dazu verleiten könnten,
wesentlich
gleichartige Erfahrungen vor‐
auszusetzen.
.Ja, man wird alsbald ersehen, daß es
sich um ganze
Gruppen völlig gesonderter
Erlebnisse handelt, trotzdem in den gleichen
oder sehr
ähnlichen Worten berichtet
werden mag. ‒
.Das hat seinen Grund darin, daß
alles
mit
physischen Sinnen nicht mehr faßbare
Erleben durchaus nur
vergleichsweise
und andeutend ausdrückbar ist: ‒ daß der
Berichtende aber auch außerdem gerne die
Bilder und Gleichnisse anderer aufgreift,
um aus seiner Not des Nichtsagenkönnens
herauszukommen.
.Es handelt sich im Wesentlichsten um
zwei große Gruppen Erlebender, und jede
dieser Gruppen umfaßt wieder
beson‐
dere Arten des
individuellen Erleben‐
könnens.
.Auf der einen Seite stehen jene Men‐
schen, die nur
das Verborgene ihres
eigenen Innern erleben, hier aber schon
vermeinen, „
das Göttliche” erlebt zu haben,
da sie die Höhe und Tiefe, die Weite und
Breite dessen, was die menschliche Seele
umfaßt, nicht kennen, und nicht zu dem
Glauben sich erheben wollen, das alles sei
noch des
Menschen Bereich.
.Hier wird zumeist in
Ekstasen und
Visionen erlebt, immer aber in einem
„anderen Zustand”, der vom normalen
wachen Tagesbewußtsein sehr verschieden ist.
.Auf der anderen Seite stehen die wirklich
im Geiste objektive geistige Wirklich‐
keit Erlebenden, die alle Ekstasen und
Visionen instinktiv scheuen und nur ein
Erleben gelten lassen, zu dem sie mit
un‐
getrübten Außensinnen,
stets ihrer selbst
und ihrer äußeren Umwelt bewußt,
gelangen können.
.Diese Erlebenden sind weitaus
selte‐
ner als die Ekstatiker und Visionäre, denn
solches tagwache Geisteserleben fordert eine
recht strenge innere Erziehung und Selbst‐
kontrolle. Es setzt voraus, daß sich der
Mensch ein durchaus gesundes, geordnetes
Innenleben zu erringen wußte, daß er sich
peinlichst aller schwärmerischen Gefühle
und Ausdeutungen enthält, um nüchternen
Sinnes, aber voller Ehrfurcht vor dem wesen‐
haften Geistigen, die wirkliche Erfahrung
geistiger Wirklichkeit stets freizuhalten
von allem Rankenwerk der Phantasie. ‒
.Man kann nicht scharf genug zwischen
diesen beiden Hauptgruppen unterscheiden,
will man zu einem klaren Urteil gelangen
bei der Betrachtung jener zahllosen Bekennt‐
nisdokumente aus alter und neuer Zeit, die
von wahrem oder vermeintlichem Erleben
des Göttlichen Zeugnis zu geben suchen.
.Es ist auch nicht allzu schwer, hier
sichere Bürgschaft zu erhalten.
.Während die Ekstatiker und Visionäre
ihre Erlebnisse stets in einer Ausdeutung
darstellen, die gewohnte Glaubensvorstel‐
lungen bestätigen sollen, auch wenn sie
diese Vorstellungen allenfalls auszubauen
oder zu vertiefen suchen, wird jeder, der das
Erleben
geistiger Wirklichkeit bezeugt,
recht deutlich erkennen lassen, daß er
frei
wurde von den Fesseln bestimmter, zeit‐
gegebener Vorstellungswelten.
.Er wird zwar oft genug an solche zeit‐
läufige Begriffe
anknüpfen müssen, aber
immer nur, um das bereits allen Bekannte
als
Verständigungsmittel zu benützen.
.Er will die Meinung, die zu seiner Zeit
und in seiner Umgebung in bezug auf gei‐
stige Dinge gerade Gültigkeit hat, durch
den Gebrauch der bekannten Begriffe und
Vorstellungsbilder keineswegs
stützen, son‐
dern, unbekümmert um irgendein dogma‐
tisches Gebäude, kraft seiner ihm gewor‐
denen Einsicht
zeigen, welche Steine eines
solchen Baues
Bestand haben und welche
nicht, ‒ welche
richtig behauen und
welche
verkehrt bearbeitet sind, denn es
liegt ihm nicht daran, niederzureißen, wohl
aber daran, daß der Bau auch der Wirk‐
lichkeit
entspreche, die er aus geistiger
Erfahrung
kennt.
.Viel Irrtum ist entstanden durch das
kritiklose Vermischen von Bekenntnissen
der hier aufgezeigten beiden Gruppen inner‐
lich Schauender und Erlebender.
.Mögen aber auch Zeugnisse der Eksta‐
tiker und Visionäre zuweilen aller
Bewun‐
derung und selbst hoher
Schätzung würdig
sein, so bleiben sie doch immer mehr oder
weniger
zeitlich und
subjektiv bedingte,
dabei
verschleierte und
getrübte Aus‐
sagen über ein zwar nicht alltägliches, aber
keineswegs täuschungsfreies Selbst‐
erleben, vergleichbar dem der
Dichter, aber
ohne die
ordnende Sichtung eines sou‐
veränen Künstlertums.
.Demgemäß kann auch der Wert nach‐
fühlender Aufnahme solcher Bekenntnisse
nur in einer poetischen Anregung oder
einer subjektiv gefärbten religiösen Stim‐
mungserhebung bestehen.
.Bei
distanzierter Betrachtungsweise
aber wird man nur vor bedeutungs- und
beziehungsreichen
Dokumenten mensch‐
lichen Irrens stehen, die erst als
For‐
schungsmaterial ihren Wert erhalten,
mögen sie uns an sich als menschlich
rührend, als groß und gewaltig, als erschüt‐
ternd, oder als groteske Narretei erscheinen.
.Die bestaunte
glaubensgenährte My‐
stik aller Zeiten und Völker
wurzelt in
solchem Humusboden subjektiven Irrtums
und überwuchert allgemach jede Blüte
echten mystischen Erkennens, so daß es fast
nicht mehr angängig ist, noch von „
Mystik”
zu reden, wenn man eben
Anderes meint
als dieses Schlingpflanzengewirre. ‒
.Soll aber das Wort, das entwertet wurde,
wieder zu einiger Bedeutung für das mensch‐
liche Erkennen kommen, so wird es nötig
sein, sehr entschieden zwischen einer
scheinbaren Mystik wie die hier aufge‐
zeigte, und dem
wirklichen mystischen
Erleben, das ein
waches Erleben des
Menschengeistes im ewigen reinen
Geiste ist, zu unterscheiden.
.Das ist sehr wohl möglich, auch wenn
man durchaus nicht gesonnen ist, gewissen
sogenannten „mystischen” Bekenntnissen,
die schon als Werke des Schrifttums alle
Achtung verdienen, fortan seine gewohnte
Ehrerbietung zu versagen.
.Da es sich aber letztlich doch wohl
darum handeln wird, zu einem tieferen,
klareren und vor allem
wahrhaftigeren
Erfassen der Kosmologie
geistiger Welt,
als der uns vorbehaltenen
ewigen Wirk‐
lichkeit, vorzudringen, so ist alles stim‐
mungsmäßige Einfühlen in die durch
Reli‐
gionssysteme und den Glauben an ihre
Dogmen bedingte „mystische” Bekenntnis‐
Literatur beinahe ‒ wenn nicht durch‐
gängig ‒ eine
Gefahr für
den, der hier
nicht zu
sondern weiß, und nicht stark
genug ist, auch liebgewordene Vorstellungen
aufzulösen um der
Wahrheit willen, die
er nur dort finden kann, wo Menschen sich
bekunden, die
tagwach und
nüchtern in
die Welt des Geistes Einlaß fanden. ‒ ‒
.Es kann nicht verborgen bleiben, zu
welcher Gruppe innerlich Erlebender ich
mich selber rechne, denn in allen meinen
Schriften habe ich stets mit allem Nach‐
druck betont, wie ferne ich aller Ekstase,
allem Visionären stehe. ‒ Wenn man mich
dennoch als „Mystiker” rubrizieren möchte,
ob aus Bequemlichkeit, oder aber weil ein
anderes Wort zu fehlen scheint, so muß
ich zum Wenigsten darauf dringen, daß
man die Unterscheidung zwischen
dogma‐
tisch religiöser und
kosmisch-
geistiger
Mystik sich zu eigen mache, deren Not‐
wendigkeit ich hier nun genugsam darge‐
legt zu haben glaube.
.Denen aber, die in den Schriften
dog‐
matisch religiös gebundener „Mystiker”
Bestätigungen für das aufzufinden suchen,
was ihnen heute meine Lehre zu geben
hat, rate ich sehr entschieden, sich die
Mühe zu sparen.
.Sie werden dort allenfalls gewisse Über‐
einstimmungen finden, weit mehr aber durch
einen
recht wesentlich verschiedenen,
wenn nicht
diametral entgegengesetzten
Gebrauch der Worte und Bilder verwirrt
werden.
.Vor allem aber müssen sie sich klar
darüber werden, daß ihr Bedürfnis, meine
Worte anderweitig noch bestätigt zu finden,
allein schon den striktesten
Beweis liefert,
daß sie von einem
eigenen Verarbeiten
dessen, was in meinen Schriften steht, noch
himmelweit entfernt sind. ‒
.Ein neuer geistiger Tag ist im An‐
brechen, und keine, wenn auch historisch
noch so fest verankerte Erdenmacht ist im‐
stande, ihn zurückzuhalten, aber in dieser
Generation werden ihn nur
jene sehen,
die,
freien,
nüchternen Sinnes ihm wa‐
chend entgegeneilen, und
solche nur können
meine Lehre
verstehen! ‒ ‒
.Mir ist es ja wahrlich nicht darum zu
tun, etwa „
Anhänger” werben zu wollen,
und ich bin jedem Leser meiner Schriften
dankbar, wenn er
so wenig wie möglich
Notiz nimmt von ihrem
Autor.
.Es ist mir zur Lebensaufgabe geworden,
in aller Verborgenheit das niederzuschrei‐
ben, was ich meinen Mitmenschen zu geben
habe, und ich habe
nichts anderes zu
geben, als die Aufschlüsse über des Erden‐
menschen Beziehung zum Reiche wesen‐
haften Geistes, wie sie
in meinen Büchern
zu finden sind.
Sollst nicht in den Lüften schweben!
Sollst fest auf der Erde stehn!
Doch, willst du zum Urgrund streben,
Mußt du in die Tiefe gehn! ‒
Dort, wo sich der Wolke Fluten
In der Erde Schoß ergießen;
Wo in Liebesfeuergluten
„Mann und Weib” sich rein genießen!
Wo die zeugenden Gewalten
Stets die Erde neu befruchten: ‒
Dorthin, wo die großen Alten
Schon des Lebens Urstrom suchten! ‒ ‒
Aber dort wird nur begnadet,
Wer von allem Alltags-Staube
Selbst sich sorglichst reingebadet...
Einlaß schafft ihm nur sein Glaube!
So, wie die Welt der Außensinne
Nur kund wird dem,
Der sich als Teil von ihr
In ihr bewegt,
Und, selbst bewegend,
Sich von ihr umschlossen findet,
So wird nur dem die Welt des Geistes kund,
Der alles Geistige in sich
Bereitet hat,
Unendlich sich zu weiten,
Um die Welt des Geistes zu umschließen. ‒
Dann ist er nicht nur Teil
Der Welt, die er erlebt!
Umfangend hält er das Umfangene
Im eigenen Sein
Und keine Grenze scheidet
Den Erlebenden
Fortan von dem,
Was er in sich erlebt: ‒
Zur Einheit wird
Erlebtes und Erlebender
Dann im Erlebnis...
Auf sich gestellt,
In sich vollendet,
So lebt in der Seele
Ewige Kraft
Und wirkt
sich selbst
Zu göttlichem Leben ‒ .
.‒ Nie ward sie geboren,
.‒ Nie kann sie sterben!
Wer sie erkannte,
Erkennt sich selber,
Lebt aus sich selbst
Ihr ewiges Leben!
.‒ Er fürchtet nicht,
.‒ Daß er vergehen könnte.
Wir glühen alle
In einem Leben
Und jedem gehört
Dieses Leben ‒
Allein. ‒ ‒
Wir können uns immer
Das Gleiche nur geben,
Und doch ‒
Wird es immer
Ein Anderes sein...
Heilkräftig sprudelt manche
Quelle,
Heilkräftig ist des
Meeres Welle, ‒
Ernährt wird Wald und Feld und Au
Durch
Regen,
Fluß und
Morgentau;
So ist es des
Wassers ureigene Kraft,
Die allem Nahrung und Heilung schafft...
Hier aber ist noch
mehr beschlossen,
Urewig geistig ausgegossen, ‒
Doch kündet es kein Menschenmund,
Allein den
Wachen wird es kund,
Wie stets in der Erde das Wunder ge‐
.schieht,
Das sich allem Klügeln der „Klugen” ent‐
zieht...
Will einer recht das Wasser
kennen,
Muß er es wahrlich „
heilig” nennen,
Weil nirgends sich der Gottesgeist
In höh'rer Heiligkeit erweist,
Als wo er sich über die Erde beugt
Und aus dem
Wasser: das
Leben zeugt!
Es ist nicht leicht,
so umzudenken,
Daß man im „
Ich” sich selbst
erkennt, ‒
Daß man im tiefsten Sich-versenken
Den findet, den kein Name nennt;
Daß man in
Vielheit sieht den
Einen
Und dennoch in der Einheit bleibt, ‒
Und, ohne selbst sich zu verneinen,
Im
Sein den letzten Trieb zum
Scheinen
Aus seinem Paradiese treibt!
Weil es allzu
nahe liegt,
Wird es
nicht erkannt! ‒
Weil der Sinn
ins Weite fliegt,
Bleibt der Blick
gebannt. ‒ ‒
Und so sucht er denn in weiten
„Kosmischen Unendlichkeiten”,
Was noch
keiner je gefunden,
Der nicht,
mit sich selbst verbunden,
In sich selbst sich tief versenkte,
Bis sich ihm ‒ das Kleinod
schenkte!
Aus Urlichtsonnenfeuern sprühet
.Weltensamen,
Und wird zu Weltensonnen,
Wird zu Welten, die um Sonnen kreisen.
Aus Welten keimen Wesen,
Denen hohe Geister sich im Fall ver‐
.einen...
Vereinigt, ziehen sie empor, was erdge‐
.boren ‒
Und stille Geisterscharen
Steigen stetig nun als Menschengeister
.zu den Sternen auf,
Und werden selbst zu Sternen,
Werden Menschengeistersonnen,
Die den Erdenwesen ferner leuchten.
‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
Noch ist euch eures Leibes Kraft
Nur Quell der Sinnenlust...
Daß sie dem
Geist den Körper schafft,
Ist
Wenigen bewußt! ‒ ‒
Geheimnisvoll verbirgt Natur
Das Wunder hinter dichten Hüllen, ‒
Doch weist sie selber auch die Spur,
Will einer ihr Gesetz
erfüllen! ‒ ‒
Ein
Gleiches führet Mann und Weib
In heißer
Liebesglut zusammen,
Und formt
des Geistes neuen Leib
Aus ewig lichten, reinen Flammen! ‒ ‒ ‒
Wohl war auch ich einst in den Schein
.gebannt...
Wohl war auch ich voreinst im
Traum
.befangen...
Dann aber ward im Lichte ich zu
Licht
verbrannt
.Und bin in seinem
Leuchten aufgegangen.
Nun ist der Erde Dunkel um mich her
Mir wie ein trüber Dunst in weiter
.Ferne...
Im Abgrund hör' ich noch ein grollend
.wildes Meer.
Doch ferne bleiben seine Stürme meinem
.Sterne!
Wenn ich über hohe Dinge
Heilig ernstes Wort gesprochen,
Kommt mir oftmals das Geringe
Kichernd auf den Weg gekrochen.
Doch ich hüte mich, zu schelten,
Wenn es gar vertraulich tut,
Denn in allen hohen Welten
Meint man's auch mit Kleinem gut! ‒
„Wie denn das und jenes sei
Und zusammenhänge?” ‒
So geht ihre Fragerei
Endlos in die Länge.
Was sie tun und lassen sollen?
Hört man nie sie fragen...
Da sie ja nur „wissen” wollen,
Müssen sie versagen! ‒
Wie ein Kind sein Pensum lernt,
„Lernen” sie die Lehren;
Praktisch weit davon entfernt,
Sich daran zu kehren. ‒
Können sie recht „eingeweiht”
Nur vor Andern prunken,
Sind sie schon in Seligkeit
Selbstberauscht versunken...
Stets zu großem Wort bereit,
Zerschwätzen sie die Wahrheit: ‒
Ach! ‒ wie sind sie noch so weit,
Weit von aller Klarheit! ‒ ‒ ‒
Freund, deine „Würde” steht dir schlecht!
Du bist nur deiner „Würde” Knecht! ‒ ‒
Vordem war aufrecht stets dein Gang
Und mancher freie Wurf gelang.
Jetzt aber gehst du krumm gebogen
Und all dein Tun wirkt wie erlogen...
Es ist, als müßtest du dich fragen,
Ob du es weiter dürftest wagen,
Wie früher doch: du selbst zu sein! ‒
Du wirst, mein Freund, dir selbst zur Pein,
Und peinlich wirst du auch den Andern,
Die gerne wollten mit dir wandern! ‒
Dein Pathos tönt in falschem Ton
Und spricht dem Besten in dir Hohn...
Laß ab, mein Freund von solchem Streben,
Willst du zum Geiste dich erheben!
Du mußt erst deine „Würde” zwingen,
Soll je dir Würdiges gelingen! ‒
Erscheinst du dir auch noch so groß
Und wirst nicht deine „Würde” los,
So bleibst du doch nur arm und klein,
Wirst stets nur scheinen, ‒ ‒ niemals
.sein,
Und bleibst zuletzt am Boden liegen,
Denn niemals lernst du so ‒ das Fliegen!
.‒ ‒
Manches mußt du dir ent-innern,
Soll dein Inneres sauber sein!
Darum lasse zum Er-innern
Nur noch Allerreinstes ein! ‒
Es gibt Leute, die möchten mich anders
.haben, ‒
Nicht ganz so, wie ich nun einmal bin.
Und wirklich:
Diese guten Knaben,
Sie haben nichts Schlechtes für mich
.im Sinn!
Wäre ich wirklich
Wie sie mich wollen,
So sähe ich wahrlich
Nicht übel aus, ‒
Nur habe ich nicht so werden sollen,
Und möchte nicht aus meiner Haut
.heraus! ‒
Ich wäre gewiß nicht der ich bin, ‒
Wär' ich nach ihrem Wunsche geschaffen,
Und keiner hätte davon Gewinn,
Macht' ich mich zu eines Anderen ‒
Affen! ‒ ‒ ‒
Soll dein Pfeil dem Adler gelten,
Mußt du nach dem Himmel zielen! ‒
Strebt dein Sinn nach hohen Welten,
Darfst du nicht nach Wolken schielen!
Der Weise
liebt nur dann,
Wenn er
verzichten kann, ‒
Reicht ihm ein Freund die Hand, ‒
Er wird sie freudig
fassen,
Und will er
von ihm gehn ‒ ‒
Er wird ihn ‒ segnend
lassen...
Er weiß im Anbeginn,
Daß jeder Freundschaft Gabe
Stets nur ein
Lehen ist, ‒
Niemals Besitz und Habe. ‒ ‒
Die sich der Blüten schon erfreuen wollen
.in den Vasen,
Dürfen keine Früchte fordern, wenn der
.Zweig verwelkt, ‒
Und alle Zweige ohne Wurzel welken...
Stets alles zugleich tun, was man kann,
Heißt immer übers Ziel geschossen!
Auf einem Pferde reitet man,
Doch pflügt man mit den Arbeitsrossen!
Mancher glaubt, er wüßt' es besser,
Als man es ihm sagen kann,
Und so wetzt er dann sein Messer: ‒
Schneidet fremde Früchte an...
Schneidet sich in allen Längen
Scheiben aus der Frucht heraus,
Läßt das Kernhaus ‒ oben hängen,
Nimmt die Scheiben mit nach Haus'...
Steckt sie dort in seinen Garten, ‒
Sieht in Träumen schon die Sprossen, ‒
Aber ach! Trotz allem Warten,
Hat er sie umsonst begossen! ‒ ‒ ‒
Laßt sie nur recht Dummes schwätzen
Und sich sehr erheblich fühlen!
Laßt sie nur danebenschätzen
Und ihr heißes Mütchen kühlen!
Habt doch Mitleid mit den Armen,
Reicht ihr Horizont nicht weiter! ‒
Ach! ‒ Es ist schon zum Erbarmen,
Denn sie werden nie gescheiter! ‒
Was sie selbst nicht ausgeklügelt,
Ist für sie auch nicht vorhanden,
Und was Andere beflügelt,
Schwätzt ihr seichtes Wort zuschanden...
Teuer müssen sie bezahlen
Ihre immer falschen Schlüsse,
Denn sie finden stets nur Schalen
Und entdecken nie ‒ die Nüsse. ‒ ‒
Nimm dein Leben wie es
ist!
Denke nicht: „
So könnt' es sein.”
Fluche
keinem deiner Tage!
Was du tragen mußt,
ertrage!
Alles, was dir je begegnet,
Segne, und du
wirst gesegnet! ‒
ENDE