DAS BUCH
DES
TROSTES
Verlagslogo
Zweite Auflage
6.-10.Tausend
Kober'sche Verlagsbuchhandlung
1948
Copyright by
Kober'sche Verlagsbuchhandlung Basel
1948
Buchdruckerei Prokop & Co. Zürich
INHALT Seite
Von Leid und Leidestrost 5
Von des Leides Lehre 13
Von allerlei Torheit 23
Von der Trostkraft der Arbeit 37
Vom Troste der Trauernden 51
Originalscan
VON LEID UND LEIDESTROST
.Es sind wahrlich nur recht wenige durch
die Täler und über die Höhen dieses
Erdengestirns geschritten, von denen etwa
zu sagen wäre, daß sie des Trostes allzeit
hätten entraten können. ‒
.Gewiß waren es auch keineswegs die
Tiefsten, und sicherlich beweist es kei‐
nen besonderen Vorrang seelischer Stärke,
des Trostes nicht zu bedürfen. ‒
.Gleichwie ein tiefes Meer weit längere
Zeit braucht, um seine sturmgepeitschten
Wogen zu glätten, als ein seichter Tüm
pel, also auch wird die reiche, tiefe Seele
weit stärker von jeglichem Erleben er‐
griffen, und vermag noch gar lange daran
zu leiden, während die seichten Seelen,
bei denen nichts in die Tiefe dringen
kann, da sie keine Tiefe in sich haben,
vom Abend bis zum nächsten Morgen
mit ihrem Schmerze fertig werden. ‒
.Trost aber braucht nur der Leidende,
den sein Leid bis in seine tiefste Tiefe
7 Das Buch des Trostes
erfaßte, und dem des Leides bittere Wasser
fürderhin die Quellen seines Erdenglückes
ungenießbar zu machen drohen.
.Es gibt mehr solcher Trostbedürftigen
auf dieser Erde, als es Arme an irdischen
Gütern gibt, und deren gibt es wahrlich
doch genug...
.Im Leide offenbart sich erst leider für
viele etwas von ihrer Tiefe, denn in der
Freude, die wahrlich zu gleicher Tiefe
leiten kann, begnügt man sich schon mit
dem Wenigen, das die Oberfläche ge‐
ben mag.
.Wohl ist alles Leid dieses Erdenlebens
in höherem Erkennen nur als Lüge zu
werten und als trüglicher Schein; allein:
es gibt keine Lüge, die nicht zuletzt der
Wahrheit dienen müßte, und so auch
muß das Leid, das diese Erde überreich‐
lich aus sich selbst erzeugt, zuletzt denn
doch der Freude noch zum Sieg verhelfen.
.Hierin liegt alle Kraft des wahrhaften
8 Das Buch des Trostes
Trostes beschlossen, soll Trost nicht nur
ein Überreden sein, um dich das Leid
vergessen zu lassen. ‒
.Willst du es vergessen, so wird es erst
recht als Lüge dich betrügen!
.Willst du dein Leid jedoch der Wahr
heit dienstbar machen, so wirst du es ge‐
wiß nicht zu vergessen suchen! ‒
.Du wirst mutig, Aug in Auge, dem Leid,
das dich betroffen hat, gegenüberstehen
und es überwinden lernen müssen; doch,
Überwinden heißt hier nicht: Ver
gessen, und noch weniger würde dir ge‐
holfen sein, wolltest du feige dem Emp‐
finden deines Leides dich entziehen, woll‐
test du Lüge auf solche Art durch Lüge
bannen. ‒
.Siehe: die großen Meister der Kunst
des Lebens sind niemals feige dem Leide
aus dem Wege gegangen!
.Sie wußten zu leiden, so wie sie der
Freude sich hinzugeben wußten.
9 Das Buch des Trostes
.Sie wußten, daß alles Leid nur der
Freude Bedingnis und Unterpfand wird,
sobald nur die Leidempfindung erlöst
wird aus der Lüge und dem Reich des
Scheins. ‒
.Du kannst das Leid gewiß nicht aus dei‐
nem Erdenleben tilgen; allein dein Emp
finden kannst du wandeln und also auch
das Leid entwerten, denn alles Leid ist
nur dir dargeboten, damit durch dich es
die Ent-wertung finde. ‒
.So erst wirst du aus einem Sklaven des
Erdenleides sein Herr und Bezwinger
werden!
.So nur wirst du das Leid auf solche
Weise erleben, daß es dich fördern muß,
obwohl es vorher dich zu vernichten
drohte! ‒
.Es ist gewiß nicht allzuschwer, auf sol‐
che Art dem Leide dieser Erde zu begeg‐
nen; doch wirst du nie zum Herrn des
10 Das Buch des Trostes
Leides werden, willst du der Leid-Emp
findung dich entziehen! ‒
.Nur wer das Leid in tiefster Seele zu
empfinden fähig ist, der wird zuletzt
auch fähig werden, es als Lüge zu er
kennen. ‒
.Dann erst wird er sein Leid zu besie
gen wissen und den Trost erlangen, der
aus der innersten Gewißheit der Erkennt‐
nis aller Wahrheit ihm entgegenleuchtet.
.Von diesem einzig würdigen Troste
soll hier die Rede sein.
.Ich will dir zeigen, daß du seiner teil‐
haft werden kannst in deinem eigenen
Innern, und dann nicht nötig hast, bei
anderen dir Trost zu suchen.
.Der Trost, den andere dir bieten kön‐
nen, wird dir nur dann aus deines Lei‐
des Fesseln helfen, wenn er dir zeigt, wie
du dich selbst befreien kannst, und diese
Kunst wirst du aus dieses Buches Worten
lernen können.
11 Das Buch des Trostes
VON DES LEIDES LEHRE
.Hart mögen schwere Schicksalsschläge
dich betroffen haben...
.Du fühlst dich ihnen ausgeliefert und
siehst dich wehrlos einer Macht verhaftet,
die dich zu leiden zwingt nach unerklär‐
lichem Gesetz.
.In alter Enge dürftiger Erkenntnis ein‐
gesponnen, suchst du vergeblich eine
„Schuld” an dir, als deren „Sühne” du be‐
werten könntest, was dir widerfahren ist.
.Hier bist du schon der ersten groben
Täuschung ausgeliefert, denn nirgends
ist ein „Rächer” deiner Schuld, der dir
nach jenes engen Wähnens Weise „Sühne”
auferlegen könnte.
.Wohl trägt zwar jede Tat in sich die
unabänderlich gesetzte Folge, und nie‐
mals wirst du es vermögen, solcher Folge
zu entrinnen, allein es kann dich herbstes
Leid auch hart in Banden schlagen, das
keineswegs aus deiner Tat erwachsen ist.
15 Das Buch des Trostes
.Gib deinem Leid nicht selbst noch Zu‐
wachs, indem du quälenden Gedanken
Raum in dir bereitest, dem Wahn verhaf‐
tet, daß dein Leid gemildert werde, wenn
du eine Schuld als dieses Leides Ursache
in dir erkennen würdest!
.Trifft dich ein Leid, so lasse ihm vor
allen Dingen keine Zeit, dich erst zu bin‐
den, denn wenn es dich bereits in Fesseln
schlug, wirst du mit großer Kraft es nur
vermögen, dich aus seinen Fesseln zu be‐
freien. ‒
.Recke alsbald dich auf und suche
irgendeinen festen Halt in dir, so daß
du erfolgreich ringen kannst mit dem,
was dich fesseln will!
.Du mußt Herr sein in dir selbst und
darfst auch deinem Leide nicht erlauben,
sich gegen diese Herrschaft zu kehren,
wie tief du auch dein Leid empfinden
magst! ‒
16 Das Buch des Trostes
.Nur in solcher Haltung wirst du dem
Troste begegnen können in dir selbst!
Trost hat nur wert als Gegenkraft,
um die Kraft des Leides zu überwinden.
.Dein Leid wirst du gewiß ergründen
müssen, wenn du starkem Troste begeg‐
nen willst.
.Dann aber wird es dir also ergehen:
.Auf dem Grunde deines Leides wirst
du die Lüge geschäftig am Werke finden,
die dich betören will, zu glauben, nun sei
alles Licht erloschen, und alles was strah‐
lend war in deinem Leben, versinke nun
in grauenhafte Finsternis.
.Glaubst du der Lüge, dann wird sie
zu einer fast unbezwinglichen Macht
durch deinen Glauben!
.Sie nährt sich dann aus deinem Herz‐
blut, und wahrlich: sie wird wie ein Vam‐
pir dir alle Lebenskraft zu entziehen
wissen!
.Dann wird dir in Wahrheit alles, was
17 Das Buch des Trostes
Licht und strahlendes Leuchten war, in
graue, dumpfe Nacht versinken.
.Darum rate ich dir: ‒ sei wachsam und
schenke der Lüge des Leides keinen
Glauben!
.Kehre entschlossen ihr den Rücken zu,
damit ihr Medusenblick dich nicht ver‐
wirrt, und sage dir selbst stets wieder mit
Beharrlichkeit:
.Es ist nicht wahr, daß alles Strah
lende nun unterging!”
.Es ist nicht wahr, daß alles Licht
mir nun erloschen ist!”
.Es ist nicht wahr, daß je das Leid
die Freude verschlingen könnte!”
.Vor allem aber sage dir, daß eben die‐
ser Schmerz, der dir so unerträglich schei‐
nen will, nur darum dich in Banden hält,
weil du die Wahrheit noch nicht sehen
kannst, die jene Lüge auf dem Grunde
jedes Leides dir verbirgt! ‒
18 Das Buch des Trostes
.Je entschlossener du dich abkehren
wirst von der Lüge höhnischem Grinsen,
desto eher kann dir die Wahrheit, die
hinter deinem Schmerze steht, in ihrer
strahlenden Größe sichtbar werden! ‒
.Wer sie erblickt, der wird auch des herb‐
sten Leides Herr, denn alsbald wird er
gewahr, daß alles Leid in sich zusam
menfallen muß, wenn seine Zeit been‐
det ist. ‒
.Alles Leid ist vergänglich, und nur
du selbst kannst ihm längere Dauer ge‐
ben, als ihm seiner Art nach innewohnt. ‒
.Ein jedes Leid aber ist einer späteren
Freude vorgesandtes, geheimnisvolles
Zeichen, auch wenn es dir wie erbärm‐
liches Höhnen erscheinen will, wenn man
dein Leid, das an dir zehrt, auf solche
Weise dir im Lichte der Wahrheit zeigt. ‒
.Du bist des Leides Lüge noch allzu‐
sehr verhaftet, und sie lehrt dich hegen
dein Leid, so daß du unwillig wirst, wenn
19 Das Buch des Trostes
man dir die Freude zeigen will, die eben‐
so in Dauer steht, wie alles Leid in Ver
gänglichkeit. ‒
.Du hörst noch das laute Weheklagen
deiner Sinne, bist noch des Jammers
nicht Herr, der deine Gedanken durch‐
tobt. ‒
.Noch schaffst du dir immerfort Vor
stellungsbilder dessen, was einst ge
wesen war, bevor dein Leid dich nieder‐
beugte, so daß du wahrlich nicht zu er‐
kennen weißt, was nunmehr Gegenwart
geworden ist, und nur das Verlorene
gigantisch aufwächst vor deinem Blick. ‒
.Aber dein Leid ‒ wie schwer es auch
sei ‒ kann dir zum Segen werden, wie
es dir auch gleicherweise nur neues Un
heil bringen wird, wenn du es nicht in
deine Herrschaft zu zwingen weißt...
.Du selbst allein entscheidest, was aus
dem Samen des Leides dir ersprießen
soll! ‒
20 Das Buch des Trostes
.Nur wenn du aufhören wirst zurückzu
blicken und alle Aufgabe vor dir siehst,
wirst du den Segen des Leides ernten! ‒
.Dein Schicksal will etwas von dir, so‐
bald es dich durch Leid und Leiden
führt! ‒
.Ein jedes Leid-Erleben ist Abschluß
und Neubeginn.
.Wenn bei dem Abschluß du zu lange
verweilst, wirst du die beste Kraft in dir
erlahmen lassen, die dir zu neuem Be
ginnen dienen sollte!
.Ich gehöre wahrlich nicht zu denen, die
dich in dem Wahn erhalten möchten, als
sei das Leid auf dieser Erde „gottgewollt”
und auch in seinen furchtbarsten Formen
eine eherne Notwendigkeit.
.Vielmehr weiß ich dir zu sagen, daß
das allermeiste Leid auf dieser Erde ver
schwinden könnte, würde der Mensch
das Leid nicht mehr erwarten.
21 Das Buch des Trostes
.Niemals aber wird diese Erde darum
völlig leidfrei sein.
.Erwarte nicht das Leid und suche es
nicht geflissentlich, durch deine Angst
davor, herbeizuziehen; aber wo es dich
traf, da wisse, daß dein Leben dich in
irgendeiner Weise aufwärts führen will.
.Stelle dich nicht dir selbst in den Weg,
indem du deinen Blicken Richtung in die
Tiefe gibst, sondern blicke empor ‒ über
dich hinaus ‒ und lerne so erkennen, was
dein Leben von dir noch zu fordern hat,
statt daß du selber stetig Forderungen
an dein Leben stellst, die allermeist nur
aus der Enge deines erdgefesselten Blickes
her, sich als „berechtigt” erweisen möch‐
ten! ‒
.Aus deiner Erkenntnis dessen, was
dein Leben von dir verlangt, wenn es
dich dem Leide begegnen heißt, wird dir
die Kraft des Trostes werden, die du ver‐
geblich suchst, solange du rückwärts
deine Blicke wendest. ‒
*
22 Das Buch des Trostes
VON ALLERLEI TORHEIT
.Wühle nicht in deinem Schmerz und
reiße Wunden, die vernarben wollen, nicht
immerfort von neuem auf, wenn du die
Kraft des Trostes in dir selbst er‐
langen willst!
.Weise jedem die Türe, der da kommt,
um dich zu „trösten” und nichts Besseres
weiß, als frische Gräber aufzuscharren! ‒
.Was einmal erlebt ist, will Ruhe fin‐
den in dir, damit es in deine tiefste Tiefe
sinke.
.Nur wenn es unverlierbar in deiner
Seele Tiefe ruht, wird es dir zu lebenzeu‐
gendem Gewinn.
.Alles Leid ist nur in seiner Macht, so‐
lange du es hegst und willig seine Herr‐
schaft anerkennst! ‒
.Wenn du, nachdem du es empfunden
und erlitten hast, ihm keine Macht über
dich mehr zugestehst, dann ist seine
Macht zu Ende! ‒
25 Das Buch des Trostes
.Darum sucht es dich immer von neuem
an sich zu erinnern!
.Wie alles Vergängliche möchte es län
ger in Macht und Wirkung sein als seine
zugemessene Zeit dies zulassen will. ‒
.Dazu aber bedarf es deiner, denn es
ist nicht ohne dich!
.Um dir wert zu werden, wählt es stets
die besten Masken...
.Wie hat es die Hirne der Menschen zu
allen Zeiten umnebelt, um ihnen als Göt
terbote, ja als Zeugnis göttlicher Liebe
zu gelten! ‒
.So hat man es gar lieben gelernt und
dabei nicht geahnt, daß man ‒ nach
eingewobenem Gesetz der Kräfte dieses
Universums ‒ durch solche Liebe nur
das Leid auf dieser Erde mehrte...
.Es gibt aber unsichtbare Gewalten
in diesem Kosmos der Kräfte, die daran
allergrößtes Interesse haben, daß der
26 Das Buch des Trostes
Mensch der Erde leide, da sie sich aus
des Menschen Kräften nähren und er
neuern, und da der Mensch zu keiner
anderen Zeit so willig ihnen seine Kräfte
überläßt, als wenn er sich im Leide
findet. ‒
.Je mehr sein Leid aus einem Empfin‐
den, das er selbst noch beherrscht, zu
seinem Beherrscher und Tyrannen
wird, desto leichter wird es jenen Un‐
sichtbaren, seine Kräfte, die sie brauchen,
ihm zu entziehen.
.Darum versuchen sie, was da in ihre
Macht gegeben ist, um ihn nur möglichst
lange in seinem Leide zu erhalten...
.Nicht umsonst sagt man von einem, der
lange litt: ‒ er ist von seinem Leide „ent
kräftet”. ‒
.Wahrhaftig, man hat ihm seine Kräfte
nach allen Regeln ausgesogen, während
er sein Leid fast mit Genuß zu hegen
wußte und ihm die schönsten Namen gab,
um es ins Heilige zu erhöhen, und sich so
27 Das Buch des Trostes
recht in seines Leides Macht zu füh‐
len. ‒
.So liefert selbst sich der Mensch als
Beute aus, an jene Werwölfe und Vam‐
pire der unsichtbaren Welt der siderischen
Kräfte! ‒
.Soll diesem Treiben aber endlich Ein‐
halt werden, dann muß, bewußt des wirk‐
lichen Geschehens, alle Lust am Leiden
aus den Seelen schwinden, und solche
„Lust” ist mehr in allem Leiden, als die
allermeisten, die da leiden, auch nur
ahnen. ‒
.Wohl ist gewiß keine „Lust” vorhan‐
den, in das Leid zu gelangen!
.Auch in der Leidempfindung, die der
Mensch noch zu beherrschen weiß, ist
wahrlich keine „Lust”!
.Allein, sobald das Leid den Menschen
überwältigt, also daß er weiter leiden
will, folgt er, und wenn er es auch keines‐
wegs erkennt und eingestehen könnte,
28 Das Buch des Trostes
einer dumpfen Lust, die ihn verleitet,
immerfort aufs neue seine Wunden auf‐
zureißen, damit an seinem Blute sich die
Unsichtbaren laben können, die als ekle
Parasiten sich von seinen Kräften nähren.
.Ihnen gilt es zu entrinnen, und wenn
auch nie das Leid von dieser Erde schwin
den wird, so läßt sich doch solcherart
dann wirklich auf das Äußerste be
schränken, was die Gesetze dieser äuße‐
ren Erscheinungswelt in ihrer Auswirkung,
als beigegebene Folge, zeitigen müssen.
.Alles was diese Folge übersteigt
alles was außer ihr liegt, soweit sie be‐
gründet ist in „naturnotwendigem” Ge‐
schehen ‒ kann aus dem Leben der Men‐
schen allmählich ausgeschieden werden
und wird es im Leben eines jeden Ein‐
zelnen, wenn jeder für sich selbst erkennt,
daß er sich nur den unsichtbaren Unhol‐
den zum Opfer bringt, solange er dem
Wahn ergeben bleibt, der seit Jahrtausen‐
den das Leid der Erde heiligspricht. ‒
29 Das Buch des Trostes
.Doch deute man meine Worte auch
nicht irrig!
.Wohl weiß ich Ehrfurcht in mir vor
jedem Leidenden, der großes Leid, das
ihn betroffen hat, mit hoher Menschen‐
würde trägt, solange er es tragen muß,
um es alsdann zu überwinden und in
sich den starken Trost zu finden, der ihn
zu neuem gesteigertem Leben ruft, und
der durch keine „Tröstung”, die von außen
kommt, gegeben werden kann.
.Allein ich warne vor der Hingabe an
das Leid und vor dem grenzenlosen Irr
tum, der da im Leide etwas „Heiliges
und „Gottgewolltes” sieht, während
alles Leid nur Lüge und Übel ist ‒ selbst
dort nur nothafte Un-Vollkommen
heit, wo es als unvermeidbare Folge der
Gesetze dieser irdischen Erscheinungswelt
erduldet werden muß. ‒
.Ich erachte es als eine grobe Blasphe
mie, wenn man sich nicht entblödet, einen
30 Das Buch des Trostes
ewigen „Gott”, von dem gesagt ist, daß
er die Liebe sei, den unsichtbaren Vam
piren gleichzusetzen, die sich im Dunst‐
kreis dieser Erde aus den Kräften des Men‐
schen nähren ‒ indem man unbewußt
lästernd zu sagen weiß:
.Wen Gott lieb hat, den züchtigt
er.” ‒
.Wäre nicht eines Weisen Torheit die‐
ses Wortes Vater, dann wäre es ein Ver
brechen an der Menschheit zu nen‐
nen! ‒
.In seinen Auswirkungen allerdings
ist es gewiß nichts anderes, und gut wuß‐
ten jene Unsichtbaren, die es einstens
einem Menschenhirne einzublasen verstan‐
den, dafür zu sorgen, daß aus der Torheit,
die es aufnahm, stetig weitergehendes
Verbrechen werde...
.Wer sich nicht schuldig machen will
des Unheils, das aus diesem Worte schon
geboren wurde und noch geboren wer‐
31 Das Buch des Trostes
den kann, da es den Menschen dieser
Erde das Übel lieben und hegen lehrt,
der trage mutig, herb und würdebewußt
das Leid der Erde, das er tragen muß,
bis er es jeweils überwunden hat, aber
er vermesse sich nicht ‒ dadurch ver‐
führt, daß ihm die Art, wie er es trägt,
zur Läuterung werden kann ‒ das Übel
selbst als „gottgewollte” Schickung auf‐
zuwerten! ‒
.Es ist nicht „Schickung”, sondern je‐
weils Folge unabänderlicher Geschehens‐
abläufe in dieser irdischen Erscheinungs‐
welt, soweit es nicht unbewußt herbei
gezogen wird und vermehrt, durch die
Kraft des Glaubens an seine „Gottge‐
wolltheit” und „Heiligkeit”. ‒
.Magst du im Leide sein oder dich leid‐
frei wissen zu dieser Zeit ‒ stets sage dir
an jedem deiner Tage:
.„Alles Leid ist ein Übel, das ich
überwinden muß!”
32 Das Buch des Trostes
.„Alles Leid ist ein Übel, und ich
bitte im Geist, daß ich vor ihm Be
wahrung finde, soweit es irdischer Ge‐
schehensablauf zuläßt!”
.„Alles Leid ist ein Übel, und ich
will nicht dem Übel Zuwachs geben
auf der Erde, sei es durch meine Furcht,
die es anzieht, sei es durch meinen
Glauben an seine vermeintlich hei
ligende Kraft!”
.Wie alles, was du zu erleben hast, dir
dienen kann, dich in deinem Erleben zu
bewähren, so auch das Leid; jedoch
wirst du noch keinen je gefunden haben,
der sich in anderem Erleben nicht in
Bewährung erwiesen hätte und dann im
Leide plötzlich Größe offenbarte.
.Wenn es dir dennoch so scheinen möch‐
te, so hattest du gewiß vorher das Er‐
leben eines solchen Menschen irrig ge
wertet!
33 Das Buch des Trostes
.Doch darfst du niemals vergessen,
daß jedes Erleben den Menschen för‐
dern kann, und ich sage hier nicht, daß
im Erleben des Leides keiner gefördert
werden könne ‒ allein, es ist mitnich‐
ten das Leid, das ihn fördert, sondern des
Menschen Erlebnis-Einstellung, die
auch noch im Leide offenbaren kann,
was wahren Wertes ist in ihm. ‒
.Die vielgepriesene „Schule des Lei
dens” hat freilich manchen stolzragenden
Geist gebrochen, so daß er „zu Kreuze”
kroch; allein, man blende sich nicht selbst
und prüfe erst, ob solche Schulung wirk‐
lich den Menschen zu seiner höchsten
Entfaltung brachte, oder ob er nur müde
wurde und mürbe, und so zerschlagen,
daß er sich nicht mehr voll hohen Mutes
erheben konnte! ‒
.Gar oft wird müder Verzicht dir wie
unbegreifliche Güte erscheinen, wo nur
ein Wille im Leid zerbrach ‒ wo jeder
Wunsch seine Triebkraft verlor
34 Das Buch des Trostes
wo durch die Unfähigkeit, zu überwin
den, jeder Erdenwert entwertet wurde...
.Verdächtig dürfen dir alle erscheinen,
die angeblich durch das Leid erst zu „bes
seren Menschen” wurden! ‒
.Entweder: sie waren vorher schon
weit besser, als du annehmen wolltest,
verstanden so die Forderung des Schick‐
sals und stiegen über das Leid hinaus
zu neuem Beginnen, oder aber du siehst
Zerbrochene, deren müde, gewährende
Geste nun wie „Güte” wirkt. ‒
.Die Menschen, die das Leid bis in seine
Tiefe kosten, um alsbald sich zu erheben
und das Leid zu überwinden ‒ empor
über sich selber blickend und mutigen
Schrittes neuem Beginnen entgegen‐
schreitend, werden dir oft kaum vom
Leiden berührt erscheinen, und doch
sind sie es, denen vor allen anderen aus
dem Leide Segen erwächst. ‒
35 Das Buch des Trostes
.Sie sind die Menschen, die in sich sel
ber die Kraft des Trostes fanden und sie
in ihrem Wirken für sich selber offen‐
baren. ‒
.Schwerlich aber werden sie der Tor
heit verfallen, das Leid, das ihnen wider‐
fahren ist, für einen Beweis der Liebe
des Himmels zu halten. ‒
*
36 Das Buch des Trostes
VON DER TROSTKRAFT
DER ARBEIT
.Arm ist ‒ wirklich bettelarm, und
wenn er über alle Schätze der Erde ver‐
fügen würde ‒ wer die unerschöpfliche
Verstärkungsmöglichkeit aller seiner
Kräfte nicht kennt, die in der Fähigkeit
zur Arbeit ihm gegeben ist. ‒
.Nun gibt es gar vielerlei Arbeit auf
dieser Erde zu leisten und viele werden
meinen, daß ihre Arbeit auch einer er
habenen Sache gelten müsse, solle sie
ihre höchsten Kräfte also fördern.
.Wer so denken mag, der kennt den
„Segen der Arbeit” noch nicht und würde
sehr irrig deuten, was ich ihm zu sagen
habe...
.Ich rede nicht davon, daß diese oder
jene Arbeit dir besondere Freude brin‐
gen kann, auch wenn ich dir gewiß alle
Freude an deiner Arbeit wünsche.
.Ich rede auch nicht davon, daß
Arbeit an einer Sache, die du als „er‐
39 Das Buch des Trostes
haben” empfindest, dein Fühlen erheben
kann.
.Zudem ist hier ein Irrtum gleich im
Anfang zu berichtigen!
.‒ Du siehst einen Menschen einem er‐
habenen Werke sich widmen, während
du selbst vielleicht im Taglohn dich mühst,
eine Pflicht des Alltags zu tun, sei es durch
deiner Hände oder deines Kopfes Arbeit.
.Vielleicht empfindest du leise etwas wie
Neid dabei, da dir dein äußeres Schick‐
sal oder deine Begabung und Schulung
gleiches, von dir als „erhaben” empfun‐
denes Tun versagt. ‒
.Doch, du hast keinen Grund, den an‐
deren zu beneiden!
.Du selbst ‒ was immer auch dein
Tagewerk bilden mag ‒ bist an seinem
Tun beteiligt. ‒
40 Das Buch des Trostes
.Der Lastträger, der im Hafen die
Schiffe entladet, hat nicht minder Anteil
an allem Großen und Bedeutenden, das
sein Volk durch einen seiner Söhne her‐
vorbringt, wie der Arbeiter an der Ma‐
schine, die jene Lasten aus fernen Ländern
zu brauchbarer Nahrung und Kleidung
verwandelt.
.Der Bauer hinter dem Pfluge wie der
Schreiber am Pult: ‒ sie alle sind ver
eint am Werke mit dem „Anderen”, in
dessen Hirn schon die Entdeckung vor‐
bereitet ruht, die Krankheit Heilung brin‐
gen soll, oder der über einem Werke brü‐
tet, das seines Forschens Resultate, zum
Besten aller, der Mit- und Nachwelt dar‐
zubieten haben wird. ‒
.Der „Andere” aber wäre ein arger Tor,
wollte er sich allein hinter seinem Werke
wähnen...
.Gewiß ist er, als Dichter, Künstler,
als ein Beherrscher seiner Wissenschaft
41 Das Buch des Trostes
der Schöpfer seines Werkes, allein sein
Schaffen wird ermöglicht erst durch jene
vielverzweigte Arbeit aller, die nötig
ist, damit die Vorbedingungen des Le‐
bens sich ergeben, die der Schaffende nicht
missen kann. ‒
.Ich hörte einst von einer kleinen Ge‐
meinschaft, die das Heil zu finden glaubte,
wenn sie von allem sich entblößte, was
nicht durch ihrer eigenen Hände Arbeit
gefertigt war.
.So strebten die edlen Schwärmer „zu‐
rück zur Natur” und ließen in der Ein‐
samkeit sich nieder.
.Nur eines wollten sie nicht missen: ‒
Bücher ‒ und noch eines: ‒ einen herr‐
lichen Flügel, auf dem ein Hochbegabter
aus ihnen die Werke der Tonkunst zu Ge‐
hör bringen konnte.
.Auf solche Weise führten sie ihr eige‐
nes Evangelium ad absurdum und merk
ten es seltsamerweise nicht. ‒
42 Das Buch des Trostes
.Man überlege wenige Minuten, welche
vielfache Arbeit vieler dazu gehört, das
Material allein zu schaffen, aus dem ein
Buch besteht, und denke daran, wie
viele Hände und Maschinen nötig sind,
um einen klangreichen Flügel herzustel‐
len! ‒
.Ich erwähne hier abschweifend diese
Erfahrung, weil sie zum Greifen deutlich
zeigt, wie alles, was eine Kultur an hohen
geistigen Werten hervorbringen und ver‐
mitteln kann, stets bedingt ist durch un‐
zähliger Hände und Köpfe Alltagsarbeit.
.Es mag das Tun eines Menschen ihm
selbst auch noch so alltäglich erscheinen,
so kann er dennoch sicher sein, daß es
auf irgendeinem Umweg in den höch
sten Werken der mit ihm Lebenden zu‐
tage tritt, und wiederum sind die Werke
der schöpferischen Geister ‒ mögen
sie auch aller Alltagssorge weit entrückt
43 Das Buch des Trostes
erscheinen ‒ die einzige Gewähr dafür,
daß ein Kulturkreis sich erhält und allen,
auch den Kleinsten, gutgelohnte Arbeit
bieten kann. ‒
.Nachdem so ein folgenschwerer Irrtum
Berichtigung fand, sei hier nun die Rede
von der bedeutsamen Kraft der Seele,
die durch jede Art von Arbeit ‒ jedoch
allein nur, wenn sie in der intensivsten
Art betrieben wird ‒ gewonnen werden
kann, und die in allem Leid auch die
Kraft des echten inneren Trostes fördert.
.Du weißt es sicher aus Erfahrung, daß
schon die bittere Notwendigkeit, dich mit
den Dingen beschäftigen zu müssen, die
dein Leid im Gefolge haben kann, dich ab‐
lenkt von quälender Selbstzerfleischung,
‒ dich zu dir selber bringt ‒ und so
dich befähigt, das, was dich betroffen hat,
in ruhigerer Weise zu betrachten.
44 Das Buch des Trostes
.Soll aber der starke Trost in dir selbst
dir werden, dann ist es vor allem nötig,
daß deine Gedanken nicht dauernd sich
in deinen Schmerz verkrampfen.
.Du wirst dies am sichersten und leich
testen verhüten, wenn du in deine Ar
beit dich so vertiefst, daß während dei‐
ner Arbeitszeit nichts anderes als deine
Arbeit dir zu Bewußtsein kommen kann.
.Die Zeit deiner Arbeit ‒ wenn du recht
zu arbeiten weißt ‒ ist stets im Leid eine
Zeit der Erholung von quälenden Ge‐
danken. ‒
.Wer freilich mit dem Kopfe oder den
Händen zu arbeiten glaubt, während
er fast gewohnheitsmäßig über andere
Dinge sinnt ‒ für den sind meine Worte
nicht geschrieben, und ich bezweifle sehr,
daß ein solcher des Trostes bedarf, es sei
denn, er suche „Tröstung” nach seiner
Weise im „Vergessen” des Leids...
.Ich rede hier zu Menschen, die das Leid
45 Das Buch des Trostes
in seiner Tiefe kosten und bereit sind, es
überwinden zu wollen!
.Nichts schafft dir eher den inneren Trost,
der sich als Kraft dir offenbart, und lehrt
dich mit seiner Hilfe auch das herbste
Leid bezwingen als Arbeit, die du so
verrichtest, wie jede Arbeit getan werden
will, soll sie dein Seelisches fördern!
.Nichts führt dich eher zum Neube
ginn!
.Da ich in dir einen Menschen sehe, der
zum Geiste strebt, so ist es mir selbst‐
verständlich, daß es für dich keine noch
so „mechanische” Arbeit geben kann, die
dir gestattet ‒ den alten guten Weiblein
gleich, wenn sie Strümpfe stricken, was
für sie mehr ein nützliches Spiel mit den
Händen ist und dann und wann nur
Aufmerksamkeit verlangt ‒ zugleich an
andere Dinge zu denken, die außerhalb
deiner Arbeit liegen. ‒
46 Das Buch des Trostes
.Ja, ich muß von dir, der den Weg zum
Geiste betreten will, erwarten, daß du
selbst keine Pause in deiner Arbeit kennst,
es sei denn, daß dich wirkliche Ermü
dung dazu zwingt. ‒
.Nur solche Arbeit schafft die seelische
Förderung, die du auf deinem Wege
brauchst ‒ sie wird dich nebenbei zum
Tüchtigsten unter deinen Arbeitsgefähr‐
ten machen, und solche Arbeit wird dir
auch im Leide in dir selbst die Kraft
des Trostes erschließen. ‒
.Wer solche Art der Arbeit kennt, der
allein hat auch ein Recht, nach getaner
Arbeit zu ruhen, aber auch seine Ruhe
wird ihm fruchtbar werden, weil ihm als‐
dann die Frucht der Arbeit anderer Gei‐
ster durch mentale Influenzen dargeboten
wird, nach seiner Fassungskraft. ‒
.Und ebenso wird dir, wenn du im
Leide stehst und die Kraft des Trostes
durch deine Arbeit zu erreichen suchst,
47 Das Buch des Trostes
nachher in deiner Ruhe großer Trost
im eigenen Innern werden, der von gei
stiger Seite stammt, und den du in sol‐
chem, durch die Arbeit wiederhergestell‐
tem Gleichgewicht allein zu empfangen
fähig bist. ‒
.Ich selbst weiß von Kindertagen an von
Leid und von Arbeit genugsam zu sagen,
und rede zu dir als einer, der beides aus‐
giebig kennt! ‒
.Du könntest mir vertrauen, auch wenn
ich sonst kein Recht zur Lehre hätte! ‒
.Ich wurde als Kind schon mit man‐
chem Leid bekannt, und wurde später‐
hin alle Wege geführt, die ich kennen‐
lernen mußte, um heute helfen zu kön‐
nen, wo durch Lehre zu helfen ist. ‒
.Es ist eine große Müdigkeit in der
Welt in diesen Tagen nachschwingender
Schrecken, und man versteht noch nicht,
daß auch diese Müdigkeit nur durch Ar
48 Das Buch des Trostes
beit um der Arbeit willen zu überwin‐
den ist. ‒
.Auch da ist starker Trost im eigenen
Innern nur zu erlangen, durch der inten‐
sivsten Arbeit wundersame regenerieren‐
de Kraft. ‒
.Ich fordere wahrlich keinen „Glauben”
an diese Worte!
.Wer da im Leide ist oder müde wurde
seiner Last und Sorge, der stelle die Probe
an!
.Er wird nicht lange zu warten brau‐
chen, um zu sehen, ob ich wahr geredet
habe! ‒
.Die Kraft des Trostes wird ihm aus
der Arbeit kommen, eher als er es ver‐
muten möchte, und wird ihn stark und
lastfrei machen zu neuem Beginn! ‒
*
49 Das Buch des Trostes
VOM TROSTE
DER TRAUERNDEN
.Hebe dein Haupt, du, der du trauerst
um einen Menschen, der deinem Herzen
teuer war und ist, und den du begraben
mußtest!
.Du Mutter, die ihr Kind verlor, du
Vater, dem der Sohn entrissen wurde,
als er dir schon Freund geworden war,
du, der des Vaters, der seiner Mutter
Sarg auf das Totenfeld geleiten mußte!
.Wohl dir, wenn jene Lehren, die man
einst als Kind dir gab, dir solchen Glau‐
ben schufen, daß er auch heute noch dich
halten kann!
.Man sagte dir, die Seele gehe ein zu
Gott in ihre Herrlichkeit, und selbst
der Erde Leib erfahre einstens seine Auf
erstehung...
.Wenn du solches glaubst: ‒ wie kann
ich dich dann in trostloser Trauer sehen!?
53 Das Buch des Trostes
.Ich fühle mit dir und weiß, was du ver‐
loren hast für dieses Erdenlebens Dauer.
.Du hast wahrhaftig Grund, zu klagen,
und ich weiß um deinen wehen Schmerz...
.Aber siehe: ‒ nach deines Glaubens
Lehre ist doch der Sieg des Todes dahin!
.Es ist doch nur kurze Trennung, die
du beweinst, und wenn du wahrhaft in
deinem Glauben stehst, dann wirst du zu‐
gleich in innerer Freude beben bei der
Vorstellung, daß dein Geliebtes nun von
allem Erdenleid befreit, in seliger Ver
klärung bei den Seligen lebt. ‒
.Wohl dir, wenn du wirklich so glaubst
und nichts dich an deinem Glauben je‐
mals irre werden lassen könnte!
.Gib dem Schmerz, was des Schmerzes ist,
und beweine immerhin, was du für dei‐
nes Lebens weitere Dauer hier auf dieser
Erde nicht mehr sehen, nicht mehr hören,
nicht mehr fühlen kannst! ‒
54 Das Buch des Trostes
.Du hast Grund, zu weinen, da du hier
zurückbleiben mußt, und nirgends mehr
findest du während dieses Erdenlebens, was
du liebst! ‒
.Aber wenn einst auch für dich dein
letzter Tag gekommen ist, dann ‒ sagt
dir dein Glaube ‒ wirst du wiedersehen,
was du verloren hattest für eine gewisse
Zeit, und dann wird der Freude kein
Ende sein...
.Wohl dir, wenn du noch solches glaubst!
.Deine Tränen werden in Bälde versie‐
gen, und du wirst allen Trost in deinem
Glauben finden!
.Ich fand aber viele, die da vorgaben,
solchen Glaubens zu sein, und doch sich
in ihrer Trauer nicht zu fassen wußten. ‒
.Ich fand viele, die mit den Lippen
glaubten und im Herzen fühlten, daß
sie solchen Glauben logen, weil es ein‐
mal das Herkommen wollte, daß man
55 Das Buch des Trostes
zu diesem Glauben sich äußerlich be‐
kenne. ‒
.Überviele aber fand ich, die längst
kein Hehl daraus machten, daß solcher
Glaube ihnen nichts weiter mehr sei als
eine fromme Mär. ‒
.Unter diesen fand ich die meisten,
die Trostkraft in sich selber vonnöten
hatten, und die auch Trost in sich zu fin
den wußten, wenn man ihnen die rechten
Wege wies...
Einmal sagte mir einer:
.„Ja, warum lehrt man uns nur diese
Dinge, die in sich die Wahrheit ber‐
gen, wie man die Kindermärchen
lehrt, so daß sie uns verloren gehen
müssen, wenn wir der Zeit entwach‐
sen sind, die uns an Märchen glauben
ließ?”
Ihm wußte ich zu sagen:
.„Ereifre dich nicht gegen jene, die dich
56 Das Buch des Trostes
einst lehrten, wie sie eben zu lehren
wußten, sondern sorge du selbst, daß
du anderes zu lehren weißt.”
.Wahrlich, die alten Glaubenslehren
können guten Trostgrund geben, und
wer noch an sie glauben kann, ist letzten
Endes gewiß nicht betrogen, auch wenn
die Vorstellungen, die sich solcher Glau‐
be schafft, nicht ganz der Wirklichkeit
entsprechen. ‒
.Sie lassen dennoch die Wahrheit ah
nen: ‒ zeigen, daß dieser Erde sterblicher
Leib nur zeitliche Ausdrucksform
eines Wesens war, das nicht von dieser
Erde ist, und darum auch jeweils nur so
lange faßbar bleibt für irdische Sinne,
solange es sich in sinnenfälliger Form
offenbart, die dieser Erde entstammt.
.Gewiß ist es töricht, wenn man den
Glauben nährt, als werde einstens ein
neuer Leib erstehen aus dem gleichen
57 Das Buch des Trostes
Stoffe, der den Erdensinnen faßbar ist,
allein auch diese Lehre birgt in sich die
Wahrheit: daß die bleibende geistige
Form des Menschen insofern seiner frü‐
heren irdischen Erscheinungsform ent‐
spricht, als es auf Erden schon das Gei
stige war, das der gegebenen Erdenform
seine eigenen Züge mehr oder weniger
einzuprägen wußte. ‒
.Auch ist es Wahrheit, daß sich die
hier auf Erden durch den Tod Getrenn‐
ten einstmals „wiedersehen” werden,
wobei sie sich in ihrer geistigen Form
viel sicherer erkennen, als etwa Menschen
in der Erde Leib, die einige Jahre lang
sich nicht gesehen haben.
.Von Grund aus irrig ist aber die Vor‐
stellung, als ziehe des Menschen Geistiges,
sobald es dieser Erde Leib verlassen hat,
nun in alle „Wonnen des Himmels
ein oder könne in einen Zustand ewiger,
58 Das Buch des Trostes
grauenhafter Qual verfallen, aus der ihm
keine Rettung mehr werde. ‒
.In dieser letzteren Vorstellung ist in‐
sofern eine Spur der Wahrheit enthalten,
als gänzlich vertierte, nur an Irdischem
haftende Naturen wohl Äonen in seeli‐
scher Finsternis verharren können, bevor
sie geeignet werden, seelisch-geistiges
Licht zu schauen.
.Jedoch auch hier ist das Gesetz des
Geistes, dessen Leben Liebe ist, unend‐
lich milder als die Unbarmherzigkeit des
Menschenurteils, und wer auf Erden Liebe
hinterlassen hat, kann nie und nimmer
solcher äonenlanger Umnachtung verfal‐
len, so fehlbar er auch war. ‒
.Ich habe in meinem „Buche vom Jen
seits” ausführlich von dem Zustande ge‐
sprochen, in dem sich des Menschen Gei‐
stiges nach seines Erdenkörpers Erkalten
findet, und dort, wie in vielen anderen
59 Das Buch des Trostes
meiner Bücher, habe ich auch dargelegt,
woher mir Gewißheit gegeben ist, über
diese Dinge zu sprechen.
.Es genüge, hier zu sagen, daß diese Ge‐
wißheit aus gesichertster Erfahrung
stammt, so töricht und vermessen es auch
Menschen dieser Zeit in der westlichen
Welt erscheinen mag, wenn man ihnen
sagt, daß es Menschen auf der Erde gibt,
die in solcher Hinsicht Erfahrung zu
machen fähig sind ‒ Erfahrung, die nur
sehr wenigen allerdings zugänglich ist. ‒
.Was aber den Zustand des Bewußtseins
anlangt, in dem ein von der Erde Abge
schiedener sich findet, so sei hier gesagt,
daß er zuerst nach seinem Erdentode er‐
wacht in einer niederen geistigen Region,
die dieser Erde noch sehr nahe ist.
.Ist er geistig durch sein Erdenleben be‐
reits bereitet, so verläßt er diese niedere
Region alsbald an der Hand von siche‐
ren Führern, die einst auf der Erde lebten
60 Das Buch des Trostes
wie er, oder auch niemals der Erde Leib
getragen haben.
.Auf seiner Höhenwanderung, die aller‐
dings nicht mehr mit dem Zeitbegriff der
Erde rechnet, begegnet er sodann auch
Helfern, die auf der Erde noch im Erden
leibe geistig wirken, dort in der geisti‐
gen Region aber in ihrer Geistesform
zugegen sind, und wird auch von ihnen
stets weitergeleitet, immer lichterem Er‐
kennen und Empfinden des geistigen
Lebens zu. ‒
.Dies ist der Weg des Menschengeistes,
der geistig sich während seines Erden
lebens in Liebe, Tat und Wirken an
sich selbst dazu geschult hat, auch seither
unbekannte Wirklichkeit in ihrem We‐
sen zu erkennen, und denen Folge zu
leisten, die allein ihn dort weiter
führen können. ‒
.Die allermeisten aber, die zu jeder Zeit
die Erde verlassen, finden sich jedoch ‒
61 Das Buch des Trostes
nachdem sie erfassen, daß sie gestaltet,
bewußt und handlungsfähig sind ‒
recht wohl in dem niederen geistigen
Zwischenreiche und suchen dort zu fin
den, was ihren Vorstellungen ent‐
spricht. ‒
.Da hier die Vorstellung, wie im Trau‐
me, als Wirklichkeit erscheint, so sind
sie benommen von ihrer selbstgeschaffe‐
nen Welt, und sie hören ebensowenig auf
die Stimme derer, die sie höher führen
könnten, wie etwa ein in tiefem Schlafe
Träumender oft nicht erwacht, auch wenn
Stimmen in seiner Nähe zu hören sind.
.Da auch der Geist des Schuldbewuß
ten immer Gründe kennt, die ihn vor sich
selber entschuldbar erscheinen lassen,
so wird er sehr bald mit Vorstellungen
fertig, die etwa zuerst seiner Furcht vor
ewiger „Strafe” oder quälender Läute
rung entsprachen, um nun ein „Him
melreich” zu schauen, in dem er alles
62 Das Buch des Trostes
genau so findet, wie es seiner Erden‐
vorstellung nach seinem Glauben ent‐
spricht. ‒
.Der aber ehemals glaubte, nach dem
Tode des Körpers sei sein Leben zu Ende,
erschafft sich auf gleiche Weise Vorstel‐
lungen erdenhaften Weiterlebens, und
jeder derer, die an solchen „Strandrei‐
chen” beteiligt sind, ist auf seine Art
glücklich, bis auch für ihn allmählich
das Erwachen kommt und er die gemein‐
sam mit anderen erträumte, scheinbare
Erfüllungswelt durchschaut, wie ein
auf Erden aus dem Schlaf der Nacht
Erwachter seinen allein geschaffenen
Traum. ‒
.Dann erst ist er reif, die Stimme des
Helfenden zu hören und seine Hand
zu ergreifen, um den Weg in die höhe
ren geistigen Welten anzutreten, in be‐
wußter Arbeit an sich selbst, von Stufe
zu Stufe, immer mehr dem wesenhaften
Lichte des Geistes zu, in der Liebe er‐
63 Das Buch des Trostes
starkend und von dem Urquell der
Liebe angezogen. ‒
.Hatte der Menschengeist, der sich auf
dieser Erde darstellen wollte, aber erst in
eines Kindes Körper Darstellung gefun‐
den, und war dieses Kind auch nur so lange
im Erdenleben, daß die Vereinigung des
Geistes mit den gegebenen Seelenato‐
men erfolgen konnte, dann ist er wohl
seiner selbst bewußt, entbehrt aber noch
der Fähigkeit, sich aus irdischen Erinne‐
rungsbildern eine Vorstellungswelt zu
schaffen, oder besitzt sie nur in so gerin‐
gem Maße, daß er dennoch verschont
davor bleibt, den bei Erwachsenen oft
sehr lange währenden Kollektivtraum
einer Scheinglückseligkeit zu träumen.
.Er wird dann sogleich von den geisti‐
gen Helfern gleichsam an die Hand ge‐
nommen und höhergeleitet, und wenn
er auch weit länger braucht, um seine
Stufen zu ersteigen, da ihm auf Erden
64 Das Buch des Trostes
gesammelte geistige Erfahrung fehlt, so
ist er dafür von Anfang an in der lich‐
ten Wahrheit und in der Hand der
sicheren Führer. ‒
.Ein „Wiedersehen” und Erkennen
kann erst erfolgen, wenn entweder die
„Strandreich”-Sphäre der erträumten
Erfüllung nie betreten worden war, es
sei denn als eilig zu durchwanderndes
Land, oder aber nachdem das Erwachen
aus solcher erträumter „Seligkeit” bereits
erfolgte und bewußt an der Hand des
Führers höhere geistige Welten betreten
wurden.
.Es ist dann jederzeit ein „Wieder‐
sehen” möglich zwischen allen, die sich
in ihren Erdentagen kannten oder auch
nur voneinander wußten, jedoch nur
insofern, als sie durch innere Sympathie
verbunden waren, mögen sie nun auch
auf sehr verschieden hohen Stufen ihrer
Entfaltung angelangt sein. ‒
65 Das Buch des Trostes
.Das Kind, das die Mutter hier in sei‐
nen frühen Tagen verlor, wird sich zu
erst ihr in der Erscheinung zeigen, in der
sie es kannte, und vor ihren Augen wird
es sodann sich wandeln in die Geist
form, die ihm dauernd bleibt...
.So wird jeder den anderen erst so er‐
blicken, wie es seiner Erdenerscheinung
entsprach, um dann ihn zu sehen in sei‐
ner bleibenden geistigen Erschei‐
nungsform, denn die Substanz, die das
geistige Bewußtsein trägt, schmiegt sich
jeder Vorstellung an, die das Bewußtsein
des Menschengeistes von sich haben kann,
so daß, um nur ein Beispiel zu nennen,
ein Mensch, der krüppelhaft auf Erden
geboren wurde, zuerst für die ihn Wie‐
dersehenden, die nur so ihn in der Vor
stellung tragen können, sich auch zeigt
in Form dieser Vorstellung, um sie, die
er wahrlich hinter sich gelassen wissen
will, sogleich wieder zu verlassen und sich
66 Das Buch des Trostes
als der Gleiche in seiner vollkommenen
Geistform zu zeigen. ‒
.All diese Dinge klingen wie die Schil‐
derungen der Märchenbücher und sind
dennoch so getreu der Wirklichkeit ent‐
sprechend, wie wenn ich hier eine Reihe
von irdischen Vorgängen zu schildern
hätte, die dir so vertraut sind, daß du so‐
fort sie wiedererkennen würdest. ‒
.Vielleicht darfst du dich fragen, ob nicht
so manche Märchenvorstellung hinauf
in des Menschen Urheimat weist, und
sei es auch nur, daß die Schöpfer des Mär‐
chens unbewußt sie erahnten...
.Du siehst aber, daß auch dir, der du
nicht mehr glauben wolltest, was man
dich in deiner Kindheit einstens lehrte,
die gleichen, ja weit sicherere Gründe
des Trostes gegeben sind wie denen, die
noch in dem Glauben ihrer Kinderzeit
Genüge finden! ‒
67 Das Buch des Trostes
.Du weißt, daß ich gewiß den Schmerz
um den Verlust der Gegenwart geliebter
Menschen in der irdischen Erscheinung
verstehe.
.Aber über diesen Schmerz hinaus ist
wahrhaftig kein Grund zur Trauer, auch
wenn die Heimgegangenen nach ihrem
Wechsel der Anschauungsform gewiß
nicht sofort in höchsten Geistesstufen
sich erleben, sondern dort in gleicher
Weise an sich selber noch zu wirken
haben, wie ein Mensch auf dieser Erde
an sich wirken muß, will er im Geistigen
erreichen, was auch schon während die‐
ses Erdenlebens sich erreichen läßt, da‐
von dir alle meine Bücher Kunde bringen.
.Überdies bist du von deinen Lieben, die
den Erdenkörper hier verlassen mußten,
keineswegs geistig getrennt!
.In dir selbst ‒ in deinem eigenen
Geistigen ‒ bleibst du mit ihnen ver
bunden, und wenn du lernen willst, zu
68 Das Buch des Trostes
lauschen in dein Allerinnerstes, dann
wird dir mehr und mehr Gewißheit
werden, daß du mit ihnen noch in geisti
ger Verbindung bist...
.Hüte dich aber vor allen Versuchen,
die Geschiedenen in das Reich der Sicht
barkeit dieser Erde ‒ in den Bereich
der äußeren Sinne rufen zu wollen!
.Sie selbst kannst du nicht rufen!
.Sie sind dir, auch wenn du alle Be‐
schwörungsformeln törichter Nekroman‐
ten alter Zeiten kennen würdest, weit
entrückt für deine Sinne.
.Was du aber rufen könntest, würde
dich nur zum Narren eines Gaukel
spiels werden lassen, und wäre dir außer‐
dem schadenbringend an deines Kör
pers und deiner Seele besten Kräften. ‒
.Du wirst auch über diese Dinge vieles
69 Das Buch des Trostes
in ausführlicher Weise in meinen ande‐
ren Büchern nachlesen können, auf die
ich hier mich beziehen muß, will ich nicht
alles bereits Gesagte wiederholen.
.Wie du wahrhaften Trost in dir findest,
habe ich dir gezeigt.
.Nun kehre dich von deiner Trauer um
die Heimgegangenen!
.Sie haben ihren Weg jetzt zu durch‐
schreiten, wie du den deinen! ‒
.Erhebe dich zu neuem Beginnen, und
wenn du so auf den Weg zum Geiste
finden willst, dann wird auch dir hier
auf dieser Erde unsichtbare hohe Hilfe
nahe sein: ‒ die gleiche Hilfe, die auch
deine Heimgekehrten nun zum Lichte
leitet. ‒
.Vor allem aber trage Sorge, daß man
dich stetig in der Liebe finde!
.Nur, die in der Liebe sind, können
Führung finden hier wie dort, und erst
70 Das Buch des Trostes
wenn das Traumreich selbstischer
Wünsche dich verläßt, wirst du in die
Liebe gelangen, die alles Trostes hehrste
Quelle ist! ‒
71 Das Buch des Trostes
ENDE