KULTMAGIE
UND
MYTHOS
Verlagslogo
KOBER'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG AG
BERN
BÔ YIN RÂ
Autorenname von J. A. Schneiderfranken
3. Auflage
Unveränderter Nachdruck der 1961 in der Kober'schen
Verlagsbuchhandlung erschienenen zweiten Auflage
Erste Auflage Verlag Magische Blätter Leipzig, 1924
© 1972, Kober'sche Verlagsbuchhandlung AG Bern
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die der Übersetzung in
fremde Sprachen und der Verbreitung in Rundfunk und
Fernsehen
Druck: Graphische Anstalt Schüler AG, Biel
INHALT Seite
Vorbemerkung 7
Das Werk des Menschen 11
Mythos und Wirklichkeit 19
Mythos und Kult 31
Kult als Magie 41
Magie und Erkenntnis 55
Das innere Licht 69
Die Folgerung 81
Originalscan
VORBEMERKUNG
.Man erwarte hier nicht eine Abhandlung
gelehrten Stiles!
Was hier gegeben ist, will keine historische
Betrachtung sein.
Es ist kein Beitrag zur Altertumskunde.
.Lebendige Quellen bieten hier ihre
Wasser dar!
Leben soll aus ihren Kräften sprießen!
Leben und waches Tun!
Verstehen soll vermittelt werden, damit
man zu sondern wisse zwischen hohen
Dingen und menschlicher Machtsucht,
die sich von alters her dieser Dinge klug be‐
dient...
Und letzten Endes werde so auf wieder neue
Weise der ewig gleiche Höhenweg gezeigt, der
seine Wanderer zum Lichte führt.
*
9 Kultmagie und Mythos
DAS WERK DES MENSCHEN
.Ich kenne Größeres nicht auf dieser Erde
als das Geisteswerk des Menschen!
Insonderheit dort, wo es ihm selbst zu groß
erscheint, so daß er sich Götter schafft nach
seinem Bilde, muß ich des Menschen geistiges
Werk bewundern! ‒
Nie kann es mir an hohem Werte verlieren,
so man mir sagt: ‒ «Nun endlich haben wir
erkannt, daß dieses Geisteswerk, das wir als
Göttertat verehrten, in Wahrheit vom
Menschen stammt.»
Ich weiß, daß alles Geistige auf dieser
Erde stets des Menschen bedarf, soll es für
Menschen in Erscheinung treten und ver‐
nehmbar werden...
Ja, auch des Menschen selbstgeschaffene
Götter weiß ich noch zu ehren um seinet
willen!
Sein Bestes sehe ich in ihnen dargestellt!
Seine eigene Größe zeigen mir seines Geistes
Geschöpfe, die er über sich selbst emporhob,
um ihnen zu dienen...
Seiner eigenen Hoheit Bild schuf er, sich
vor ihm zu beugen...
13 Kultmagie und Mythos
.So ist mir auch mancher hohe Kult und
solchen Kultes weiser Mythos noch heilig um
des Menschen willen: ‒ als ein Werk des
Menschen.
Der Mythos zeigt mir den Menschen in
göttlichem Bilde. ‒
Im Kulte sehe ich ihn das Göttliche in
sich selbst verehren, ‒ benannt mit dem
Namen des Gottes, den er sich selber schuf. ‒
.Wahrlich: du denkst gar gering von dir
selbst, wenn du des Menschen Werk in
jenen Höhen da er sich Götter, Mythos
und Kult erschuf, verachten zu dürfen
glaubst!
Noch bist du dir selber fremd, wenn du
des Geistes Darstellung auf dieser Erde
suchst und dennoch verschmähen willst, was
als das Werk des Menschen sich in solcher
Darstellung bekennen muß! ‒
14 Kultmagie und Mythos
.Unmündigen mußten die Weisen der
Alten weislich verbergen, daß sie selbst ge‐
staltet hatten, was sie als der Götter Wort
verkündeten.
Die aber der Gottheit Stimme in sich
selbst vernommen hatten, mußten Götter
erschaffen, sollte das Wort in ihnen sie nicht
selbst erschrecken!
So ward die Sprache ihres Mundes ihnen
selbst schon Bild und Gleichnis, und jene
Anderen, die sie vernahmen, ließen Bild
und Gleichnis bilderzeugend weiter in sich
wirken. ‒
Hohe Wissende aber, die da erkannten, was
des Menschen geistige Kraft vermag,
schufen dem Mythos den Kult, ‒ schufen
die hohen Formen magischen Wirkens,
die verborgen hinter Bild und Gleichnis, des
Menschen geheimste Macht ihm dienstbar
werden ließen.
Vieles davon ist heute verschüttet, nachdem
es Jahrtausende hindurch einst des Menschen
heiligster Besitz gewesen war.
Vieles ist heute noch im Wirken, doch wird
15 Kultmagie und Mythos
es von denen, die seiner pflegen, kaum mehr
erkannt.
.Die aber allen Kult verachten, da sie
bei der Genesis des Mythos der ihn trägt,
den Menschen am Werke fanden, sind des
irren Glaubens, letzte Erkenntnis entschleiere
Mythos und Kult als Gebilde törichten
Wahns.
Sie ahnen nicht, daß hier der Wissende zu
ehren weiß, was sie mißachten!
Sie ahnen nicht, daß sie über Tempelfunda‐
mente schreiten, in deren Mauern köstliche
Kleinodien noch des Finders harren!
Sie haben den Menschen erkannt, wo sie
ehedem Götter am Werke glaubten, ‒ so
dünkt ihnen wertlos nun und verächtlich,
was sie ehedem verehrten.
Nur Seltene erfühlen in sich selbst, zu welcher
Höhe sich das Werk des Menschen erhe‐
ben kann.
Sie allein noch kennen die Ehrfurcht vor
dem Werke, das der Mensch der Vergangen‐
heit schuf.
16 Kultmagie und Mythos
Sie wissen, daß keine große Kultur bestand,
die nicht auf einem Kulte sich erhoben
hätte, der seine Tragkraft einem Mythos
dankte.
Sie wissen, daß Kult und Mythos sich nicht
schaffen lassen als ein Werk der Willkür
und darum ehren sie, was aus den Tiefen
schöpferischer Kraft des Menschen dermal‐
einst ins Dasein trat.
Noch keiner hat die tiefsten Tiefen
der Quelle dieser Kraft ermessen!
Wer aber ahnend in sich selber sucht, der
wird alsbald erkennen, daß er nur sich
selber lästert, wenn er das Werk der alten
Weisen schmäht...
Erschauernd wird er vor dem Werk des
Menschen stehen, das ihm die Gottheit
offenbart! ‒
*
17 Kultmagie und Mythos
MYTHOS UND WIRKLICHKEIT
.Fern in der Zeiten Nacht verborgen ist
uns jene grauenvolle Not, die einst den
Menschen drängte, da er den ersten dunklen
Mythos zeugte. ‒
.Im Lichtesfeuerglanze ewiger Liebe hei‐
misch, zu ewigem Leuchten im Dasein,
fand sich der Menschengeist, inmitten aller
Schauer einer chaotischen Welt, auf dieser
Erde als ein gefallener Stern.
Tier unter Tieren geworden, hatte ihn den‐
noch nicht alles Licht verlassen.
Unglücklicher als das Tier, ward ihm die un‐
sagbare Einsamkeit bewußt, in die er selber
ehe er sie kannte, sich hinausgesehnt, ‒ die
er sich selbst bereitet hatte. ‒
Und nun ertrug er nicht, wonach ihn ehedem
so sehr verlangte...
.Bildner von Anbeginn, blieb aber
Schöpferkraft ihm noch erhalten, und
selbst in seiner tiefsten Gottverlassenheit
21 Kultmagie und Mythos
vermochte doch das «Tier» sie ihm nicht zu
rauben.
Zu dieser seiner Schöpferkraft nahm er nun
seine Zuflucht, und so erschuf er sich im
Bilde, wenn auch dunkel nur und mannig‐
fach verwirrt, aufs neue, in den Augen‐
blicken ärgster Qual, den Wiederschein der
Lichteswelt aus der er selbst sich ausge‐
stoßen hatte.
.Die mancherlei Gewalten der Natur, die
ihm so drohend nahe kamen und deren
Macht er stetig über seinem Haupte fühlte,
heischten Einlaß auch in seine Geistes‐
schöpfung.
So wurde denn ihr Wirken ihm zum Werke
grausamer Dämonen, deren Gunst der
Machtlose nicht anders als durch Opfer sich
erkaufen konnte.
Was aber mild und wohltatspendend auf den
Qualverwirrten wirkte, wurde ihm zum
Werke guter, wohlgesinnter Götter, denen er
durch Dank und Lob sich angenehm zu
machen suchte.
22 Kultmagie und Mythos
.Da es der Menschen viele waren, die
das gleiche Erdenleben teilten, so fügte
jeder zu der Urgestaltung dieses Bildes einer
übererdenhaften Welt ein Eigenes an Ge‐
staltung bei, bis allen nicht mehr zu Bewußt‐
sein kam, daß sie die Schöpfer dessen
waren was nun ihren Glauben formte.
Der erste Mythos war geboren und hatte
Macht erlangt über den Menschen! Unzählig
sind die Formen, die aus seinem Samen von
Geschlechtern zu Geschlechtern fortgezeugt,
ins Dasein traten.
In allen offenbarte sich für lange Zeit nichts
anderes als die arge erdenhafte Not des
Menschen.
.Dann aber kamen Einige, die von hohen
Wundern zu erzählen wußten, die ihnen in
der Stille begegnet waren.
Die Hierarchien der geistigen Welt hatten
des Menschengeistes im Tiere sich erbarmt
und wollten ihm den Weg zurück zu seiner
Heimat zeigen.
23 Kultmagie und Mythos
Nicht anders aber war hier Erlösung zu
schaffen, als durch den Menschen selbst.
So suchten und fanden sie jene Wenigen die
sie zu Leuchtenden im Urlicht berei‐
ten konnten um durch sie den anderen
Licht zu spenden.
Im Herzen Asiens waren sie gefunden
worden und von hier aus gingen sie in alle
Welt, getreu der Sendung, die ihnen gewor‐
den war.
Unter allen Völkern tauchte plötzlich einer
der ihren auf, ‒ es entzündete ihre Rede
eine heilige Flamme in allen die sie hörten.
Was sie zu verkünden hatten aber war zu er‐
haben, als daß es unverhüllt ertragen
worden wäre.
So ging es in den Mythos ein, wie er jeweils
an dem Orte ihres Wirkens lebte. Es folgte
eine Zeit, die den Mythos zu Bild und Gleich‐
nis hehrster Weisheit erhob.
Geheimste Erkenntnis ward Unzähligen
durch ihn vermittelt.
24 Kultmagie und Mythos
.Das «Tier» aber hatte zu sehr schon den
Menschengeist umnachtet, so daß auch Un‐
zählige verblieben, die das Licht nicht er
reichen konnte. ‒
Das Licht kämpfte und rang mit der Finster‐
nis, aber die Finsternis blieb im Siege...
Nun ward der Mythos in gar vielen Wand‐
lungen gewandelt, und was da Licht und
Leben einst in ihm gestaltet hatten, er‐
starrte zu lebloser Form, ‒ wurde zu
Pfeilern der Götzentempel.
.Aus tiefster Verborgenheit heraus suchten
die Leuchtenden ‒ jeder Generation aufs
neue gezeugt ‒ an allen Orten der Erde
stets zu retten was zu retten war. Doch es
blieb in jedem Menschenalter nur eine gar
geringe Zahl, die sich von ihnen finden ließ.
Die Anderen taumelten den Weg des Wahns
dahin, dem «Tiere» und dem Dämon der
Erde mehr und mehr verhaftet, fern aller
Sehnsucht nach dem Lichte.
25 Kultmagie und Mythos
.In solcher stets wachsender Not, als die
Gefahr des Versinkens in grauenvollste Nacht
des seelischen Erlöschens allmählich aller
Menschheit drohte, erbarmten die geistigen
Hierarchien sich aufs neue der Gefallenen im
Erdentiere und erwirkten ihnen Hilfe aus
der Geisteswelt: ‒ sandten der Leuchtenden
einen mit einer Sendung aus, die vordem
keiner noch erfüllen mochte und die auch
nach ihm keiner mehr erfüllen könnte.
In unerfaßbarer Liebe hatte er selbst in der
geistigen Welt sich zu solcher Sendung dar‐
geboten...
Damit er fähig werde ihr zu entsprechen,
hatte er seine Liebeskraft schon im gei
stigen Reiche zu höchster Vollendung em‐
porgeläutert, bevor er dem «Tiere» dieser
Erde sich vereinte...
Als der Größte aller Liebenden die je
die Erde trug, vollbrachte er in seinem Tode
was er zu vollbringen übernommen hatte.
In seiner Todesstunde auf Golgatha wurde
durch ihn der Erde unsichtbare Aura
derart verwandelt, daß allen nun, die
26 Kultmagie und Mythos
ehrlich suchen und in sich den Willen von
der Finsternis zum Lichte kehren, Erlö
sung werden muß, so sie mit aller Inbrunst
in sich selber darum bitten...
Es war nun leicht geworden durch ihn, was
vor seiner Liebestat auf Golgatha die Kraft
der Stärksten kaum erreichen konnte! ‒ ‒
Noch blieb die Finsternis zwar an ihrem Ort,
allein sie hat nicht mehr die Kraft, den
Menschen der ihr wahrhaft widerstehen will,
wie ehedem zu binden.
Ihre stärkste Macht ward durch jene Tat
der Liebe eines Erdenmenschen für
immerdar gebrochen! ‒ ‒ ‒
.Wohl hatte der große Liebende den My‐
thos seiner Zeit und seines Volkes durch
lichtet.
Wohl hatte er in ihm die hohe Weisheit
aufgezeigt und sie gesondert von dem
Wahn der sie fast zu erwürgen drohte.
Wohl hatte er, als der Erste seiner Brüder,
die Lehre des Geistes, die er zu geben hatte,
27 Kultmagie und Mythos
rein und klar vermittelt ohne sie als Bild
werk einzuweben in den Mythos, wie es jene
Früheren, die einst den Menschen lehrten,
noch für ratsam hielten.
Allein er konnte nicht verhindern, daß nach
seinem Erdenwallen Andere sein eigenes
Bild dem Mythos einverwoben, ja, daß die
Kunde seines Lebens selbst zum My
thos wurde. ‒
Auch in diesem Mythos fand ewige Weis
heit Gleichnis und Bild!
.Auch in diesem Mythos aber wurde
Weisheit so von Wahn umschlungen, daß
scharfe Sonderung nötig ist, soll nicht der
Wahn die Wahrheit dauernd überwuchern!
Der letzte große Mythos den die
Menschheit schuf, muß sich zur Wirklich
keit verklären, von der er ausgegangen ist!
.Jahrtausende diente der Mythos dem
Menschen, ihm seine Nacht zu erhellen, ‒
28 Kultmagie und Mythos
nun aber ist die Zeit der Lehre durch den
Mythos erfüllt, ‒ die Zeit der Erkenntnis
aus der Wirklichkeit ist angebrochen!
‒ ‒ ‒
Der Mensch der kommenden Gezeiten wird
den Mythos, den die Vorzeit schuf, wie
keiner je vor ihm zu ehren wissen, allein
er wird ihn wie das Bild des Spiegels
werten, das ihm zwar Aufschluß gibt, will er
sein Antlitz selbst betrachten, und dennoch
keineswegs sein körperhaftes Dasein in sich
birgt.
.Die Schöpferkraft des Menschen wird
sich mählich mehr und mehr in anderer
Weise Anreiz zur Gestaltung suchen, doch
wenn auch manches wirkliche Geschehen
noch dem Mythos dienen mag, so wird
man dennoch wohl zu unterscheiden wissen
zwischen letzter Wirklichkeit des Seins
und allem was sich nur durch Bild und
Gleichnis sagen läßt.
29 Kultmagie und Mythos
.Die Macht, die einst der Mythos über
die Gemüter hatte und die er heute noch zu
halten weiß wo noch der Glaube lebt, den
er einst formte, wird ihm in einer neuen Zeit
genommen werden, und niemals wird sie
ihm je wiederkehren können! ‒
Des Geistes Leben, das der Mythos nur
zu spiegeln wußte, wird den neuen Men‐
schen selbst erfüllen, und in sich selber
wird er aller Wahrheit innewerden, die
seinen Vätern nur im Bilde durch den
Mythos nahekam.
Inzwischen aber möge der Mythos der Alten
die Ehrfurcht allenthalben finden, die ihm,
als dem geistigen Werke des Men
schen, wahrlich gebührt!
*
30 Kultmagie und Mythos
MYTHOS UND KULT
.Die Götter zu ehren, ihnen zu danken
oder die unholden zu versöhnen, mußte
des Menschen Trachten sein, dessen Glaube
der Mythos formte.
Nicht anders schien ihm dies möglich, als
durch äußeres Werk.
Bald aber glaubte er auch zu erfühlen, daß
bei solchem Tun die Form der Handlung
von Bedeutung sei.
Nicht jeglicher Gebrauch bei Opfer, Dank
und Lobgesang schien gleichen Wertes in
der Götter Wertung.
So sonderte er Formen der Verehrung und
des Opfers aus, die nicht der Götter Wohl‐
gefallen fanden, und übte andere Formen,
die ihm, wie er glaubte, ihre Gunst bescheren
mußten.
Eigener Wünsche Erfüllung größere Gewähr
zu schaffen, führte zu strengster Innehaltung
scheinbar sicher erprobten Gebrauchs.
Der Kult der Götter hatte seine feste Form
gefunden.
33 Kultmagie und Mythos
.So glaubte man sich den Himmlischen
die der Mensch im Mythos einst geschaffen
hatte, verpflichtet, bis jene ersten der Leuch
tenden erschienen, die den Mythos hell
ten.
Sie waren es, die den Kult der Götter zu‐
erst aus Banden dumpfen Aberglaubens
lösten, und ihn benutzten, um des Men‐
schen innewohnende magische Kraft zu
wecken.
Sie wußten um die Fähigkeit des Menschen,
Unsichtbares zu erregen, so daß es nach des
Menschen Willen wirken und ihm dienst
bar werden muß.
Sie wußten aber auch, daß nur letzte innere
Zuversicht solches Werk zum Gelingen
bringen kann, und banden so bewußt das
magische Tun an den Glauben, den sie je‐
weils fest gegründet fanden.
Als der Götter Gnade und Huld trat so in
des Menschen Bewußtsein, was er eigener
magischer Kraft zu danken hatte...
Noch war er nicht reif ‒ noch ist er es heute
nicht ‒ die Wirkung dieser hohen Kraft,
34 Kultmagie und Mythos
nur auf sich selbst gestellt zu er‐
proben.
.Wohl war es nicht augenblickliche Zau
berwirkung die auf solche Weise erfolgte,
doch zeigte sich nun eine weitaus gewissere
vermeintliche «Erhörung» der Wünsche.
Infolge der Durchlichtung des Mythos er‐
wuchs der Kult zu erhabenem Geschehen
und tiefste seelische Klänge wurden in dem
Gläubigen erweckt.
Die spätere Zeit des Verfalls und der Erstar‐
rung erst zerstörte auch hier das Leben und
hegte nur noch die äußere Form als ste‐
riles Gehäuse.
.Noch aber blieb Erinnerung ‒ ge‐
nährt durch die Sage ‒ an früheres segens‐
reicheres Geschehen.
Der Wunsch, die äußere Natur auch ohne
harte Arbeit zu bezwingen, ließ Legenden
wachsen, die der Ahnen «Zauberkräfte» ins
35 Kultmagie und Mythos
Gigantische erhoben zeigten, und die Götter,
die man jetzt nicht mehr erreichte, unter
Menschen wandelnd...
Man ahnte auch wohl, daß in Verborgenheit
noch Kulte blühten, die das Vermächtnis
alter Zeit zu hüten wußten.
Da aber die Verborgenen das ihnen Heilige
nicht profanierten, benützte allenthalben der
Betrug die Neugier um sich in Respekt zu
setzen.
Die Geschichte des Priestertruges be‐
ginnt in jenen, noch vorgeschichtlichen
Tagen!
Was die Geschichte heute an alten Kulten
kennt, stammt allerfrühestens bereits
aus der Spätzeit ihres Bestehens! ‒
Jahrtausende vorher müßten der For‐
schung zugänglich sein, sollte sie sichere
Kunde über die Ausgangspunkte der alten
Kulte bringen können!
.So Gewichtiges von höchstem Werte
aber auch verschüttet wurde: ‒ ein kärgli‐
36 Kultmagie und Mythos
cher Rest des einst Gewesenen blieb dennoch
bis in geschichtliche Tage erhalten, und
selbst in dieser heutigen Zeit ist noch nicht
alles von dem was jene Alten kannten, von
der Erde verschwunden.
Ein in Europa vor kaum zweitausend Jahren
nur scheinbar «neubegründeter» Kult
führt vieles davon noch heute als Erbgut mit
und weiß sehr wohl, weshalb er es vor aller
profanen Betastung schützt, während im In‐
neren Asiens ein noch weit jüngerer Kult
‒ aus guten Gründen dem in Europa einst
erblühten nur allzuähnlich ‒ nicht minder
vorgeschichtlichem Erbe neue Form und
neue Deutung gab. ‒ ‒
.Töricht wäre es heute, einen neuen Kult
zu schaffen, der, wie die hier gemeinten,
einem Mythos seine Tragkraft danken
würde.
Töricht vor allem: dem Mythos, der seinen
Kult noch besitzt, einen neuen Kult nach
Willkür zu formen.
37 Kultmagie und Mythos
Wer hindert die neuen Gläubigen des My‐
thos, die einst seinen Kult verließen, ihn
nun, befreit von späterer Zutat, aufs neue
so zu übernehmen, wie er einst vom Alter‐
tum, für den damals neuen Mythos umge
wandelt, übernommen worden war, wenn
das Bedürfnis nach einem, von ihrem
gläubigverehrten Mythos getragenen Kulte in
ihnen heute aufs neue lebendig sein sollte?! ‒
Eine heute vielleicht nicht mehr zu ferne
Zeit wird freilich des Mythos nicht mehr
bedürfen um sich ihren Kult zu schaffen. ‒
Ihr Kult wird auf dem Wesentlichsten
aller alten Kulte fußen, wird reinste Kult‐
Magie und Dienst am Innersten des
Menschen sein! ‒ ‒
Aber auch dieser kommende Kult läßt sich
nicht, aus Sehnsucht nach ihm, nach bloßer
Willkür schaffen.
Erst müssen die Kräfte im Menschen, die er
voraussetzt, allüberall in Vielen erweckt
und in lauterer Wirksamkeit sein!
Dann wird er gewißlich erstehen, aller
Hemmnisse spottend!
38 Kultmagie und Mythos
Längst ruht der Samen im Schoße der un
sichtbaren Erde, aus dem er, mit starkem
Schafte sprießend, dereinst zum Baume er‐
wachsen wird!
Aus seinen Früchten wird eine kommende
Kultur sich nähren! ‒
Die Sehnsucht der Vielen die ihn ersehnen,
wird mehr und mehr die Triebkraft des Samens
wecken aus dem er ersteht....
*
39 Kultmagie und Mythos
KULT ALS MAGIE
.Aus einem Dienste, den man gleich
dem Königsdienst, den Göttern, die man
selbst geschaffen hatte, einst zu schulden
glaubte, hatten des Urlichtes Leuchtende den
Kult zur Kult-Magie erhoben.
Noch aber durften zu selbiger Zeit nur Er
lesene hier um letztes Geheimnis wissen.
Noch war die Überzahl der Menschen keines‐
wegs herangereift, das Wissen um ihre eigene
Geistesmacht ohne Schaden für die Seele zu
ertragen.
So sehr bleibt stets der Menschengeist dem
«Tiere» dieser Erde, das ihm Zuflucht wurde,
unterworfen, daß auch die allermeisten Men‐
schen dieser heutigen Tage an der Seele
Schaden leiden würden, wüßten sie um ihre
Macht im Unsichtbaren.
Doch braucht die letzte Wahrheit heute
trotzdem keine Hülle, da jene, denen sie
nicht taugt, sie ihren Augen selbst verber‐
gen, mag auch im hellsten Sonnenlichte sie
vor aller Welt erscheinen. ‒
Sicherster Schutz wird ihnen durch ihren
entkräfteten Glauben!
43 Kultmagie und Mythos
.So läßt sich heute denn von vielen Dingen
reden, die einst die alten Weisen einem
glaubensstarken und dem Unsichtbaren eng
verbundenen Geschlecht verbergen muß‐
ten, wollten sie es vor sich selber schützen.
Auch heute werden es nur die Erlesenen
sein, die das Geheimnis ihrer geistigen Macht
erfahren, denn sie allein sind fähig, es
zu fassen! ‒
Nur sind die Erlesenen heute reicher an
Zahl als jemals vorher in der Zeiten Folge...
Ihnen allein kann Seelengut und Er
lebniserregung werden, was hier zu Worte
wird! ‒
.Vom Kulte sei hier die Rede, soweit er
als Magie sich auswirkt um des Menschen
willen!
Die Gottheit, die des Menschen bedarf
um sich dem Menschen zu offenbaren, heischt
wahrlich keinen Kult um ihretwillen, allein
der Kult, der in Magie sich auswirkt, kann
den Geist des Menschen aus dem Schlaf
44 Kultmagie und Mythos
im «Tiere» lösen und ihm ein Reich des
Wirkens neu erschließen, das ihn erkennen
lehrt, daß ihm auch dort noch Hilfe wird, wo
alle Macht des «Tieres» ihre Grenzen fühlt.
.Das Wort «Magie» ist sehr in Mißkredit
gekommen.
Die Charlatane aller Zeiten haben es ent‐
wertet.
Und dennoch wirkt Magie auf allen Wegen!
Zum Fluche wird sie allen die sie nützen
wollen, ihren Erdentiereswünschen feil
zu sein...
Zum Segen wandelt sich ihr Wirken, wenn
die Liebe ihr begegnet! ‒
Darum ist alle hohe Kultmagie so mächtig,
weil in ihr, verborgen unter manchem dich‐
ten Schleier, dennoch die Liebe wirkt! ‒
.Von Kultmagie kann nur die Rede sein
wenn Viele sich zu magischem Tun in
45 Kultmagie und Mythos
Einem einen, und solche Einigung bedarf
der Liebe. ‒
Hier wird das Mysterium enthüllt, das in den
Worten noch erhaltener Kultfragmente im‐
mer wiederkehrt, wenn jenes neueren Kultes
Priester die Gemeinde segnen:
«Der Herr sei mit euch
und wenn dieser Segen dann aus der Vielheit
stets zurückhallt:
«Und mit deinem Geiste!» ‒
.Mag auch für die Allermeisten, die ge‐
meinsam sich bei solchem Kulte finden,
längst dieser Segensspruch zu bloßem For‐
melwort entwertet sein, so bleibt er doch als
Hinweis auf die Vorbedingung aller hehren
Kultmagie bedeutungsvoll...
Hier soll in altgegebener Form die Seelen
einigung sich vollziehen, durch die dem
magisch Wirkenden die Kräfte aller die an
seinem Wirken Anteil nehmen, liebend über
tragen werden. ‒
Mit dieser ungeheuren aufgetürmten Seelen‐
46 Kultmagie und Mythos
kraft beginnt nun und vollendet hier der
Einzelne, in sich vereinigend den Willen
Aller, das hohe magische Werk. ‒
Die Deutung, die man diesem Werke gibt,
liegt hier weit außer dem Bereich der
Wirksamkeit!
Was hier geeinter Wille, glaubensstark und
in dem magischen Geschehen durch die
Liebe, die den eigenen Glauben in dem
Anderen liebt, verbunden, heiß erstrebt, ist
durch kein «Dogma» zu berühren! ‒
Die Gottheit, die durch diese Kultmagie
veranlaßt werden soll, dem Menschengeiste
sich für Augenblicke innerlich, als in diese
Welt der Erdensinne nun erfaßbar einge‐
gangen, zu bezeugen, ist wahrlich aller Wir‐
kung solchen magischen Geschehens sehr
entrückt, allein der Gläubige wird dennoch
letzte Wirklichkeit erleben.
.Der uralt heilige Kult, der hier zu neuem
Leben kam, sah in dem Brote, das der
Mensch als Nahrung braucht, und in dem
47 Kultmagie und Mythos
Weine, der als Trank der Kräftigung galt,
da er der Sinne Leben steigerte, die irdischen
Substanzen, die am meisten würdig waren,
die Gottheit in sich aufzunehmen, sollte sie
magisch sich der Materie einen.
Zwar war es der Mensch, der für sich
selber diese Einigung suchte, allein: noch
sinnlich ungebrochen, konnte sie ihm nur
Erlebnis werden durch die sinnliche
Erfahrung.
Wie anders sollte der Gott sich mit ihm ver
einen, als durch Speise und Trank, da
nur durch Trank und Speise Fremdes sich
ihm einverleiben konnte!
.Hier ist nicht zu fragen: wie etwa Ma
terie durch Magie verändert werden
könne, ‒ hier ist nur bedeutungsvoll, was
im Bewußtsein des Gläubigen sich voll‐
zieht, der Brot und Wein in sich aufnimmt,
nicht als irdische Materie, sondern als
die ihm sinnlich faßbaren Träger der Gott
48 Kultmagie und Mythos
heit, wie immer er sie auch benennen
mag. ‒ ‒
Wer in den Reichen des Unsichtbaren be‐
wußt und erlebnisfähig wurde, der weiß auch,
daß sich der inbrünstig Gläubige bei solchem
Kultmahl keineswegs betrügt.
.Nicht Brot und Wein bewirken freilich
die für die Zeit der höchsten Konzen
tration nach ihrem Genusse mögliche
«Schwingungsänderung» der eigenen Gei‐
stessubstanz, so daß sie für diese Mo
mente wahrhaft göttlichgeistiges Le
ben aufzunehmen fähig werden kann, son‐
dern allein die magische Kraft, die der
Glaube aus sich erzeugt. ‒
.Noch haben nur wenige erkannt, was
diese magische Kraft vermag, wenn sie zu
gleich von Vielen ausgeht, die alle des
gleichen Willens und des gleichen Glau
bens sind. ‒
Es ist diese akkumulierte Kraft, die zu
49 Kultmagie und Mythos
rückströmt auf jeden Einzelnen der des
gleichen Glaubens und Willens ist, selbst
dann, wenn er nicht bei ihrer Erweckung
während der Kulthandlung beteiligt war. ‒
.So baut denn auf wahrlich gut gesicher
tem Boden, was als ältesten Kultes Erb‐
teil heute in neuerer Gestaltung noch vor‐
handen ist und vielen derart befremdlich
dünkt, daß sie nur finstersten Aberglauben
zu erkennen wähnen. ‒
Die Deutung aus seinem, ihm unantast‐
baren Mythos, die dem Gläubigen unum‐
stößlich gewiß erscheint, obwohl nur sie
allein den Kult der Sphäre menschlichen
Irrens nahebringt, ändert nicht das Min‐
deste daran, daß Kräfte hier zur Auswir‐
kung gelangen, die durch den Kult erweckt,
sonst tief verborgen im Menschen ruhen.

.Der Weckung dieser Kräfte dient die
eigentliche Kult-Magie: eine Magie der
50 Kultmagie und Mythos
Zeichen, die von dem sie Ausübenden ver‐
langt, daß sein eigener Körper nach
streng bestimmtem Rhythmus und in streng
gegebener Folge selbst sich zu magischen
Zeichen forme, ‒ eine Magie der Laute,
die ebenso streng bestimmte Lautfolgen
und solcher Lautfolgen öftere Wiederholung
fordert.
Der begriffliche Sinn der Gebete, in
die sich diese Lautmagie verhüllt ‒ nicht
alle Gebete, die der Kult verlangt, sind sol‐
chen magischen Charakters ‒ kommt für die
erstrebte Wirkung keineswegs in Betracht.
Aus dieser Lautmagie erklärt es sich, daß
die Hälfte des noch erhaltenen Kultes ver
nichtet wäre, wollte man das gesprochene
Wort, das er fordert, nicht mehr in jener
alten Sprache sprechen, aus der er hervor
gegangen ist...
.Ob jene, die den Kult noch üben, wis
sen, was sie tun, ist ebenso belanglos wie die
Deutung, die sie ihm zu geben haben, und
51 Kultmagie und Mythos
wie die Gründe, die sie geltend machen, wol‐
len Neuerer ihn verändern.
.Kultmagie ist keine bloße «Sym
bolik»!
Kultmagie ist ein Wirken nach
strengen Gesetzen, zur Auslösung
magischer Kräfte, die im Menschen
verborgen sind!
.Altehrwürdig und um Jahrtausende
älter als man zugestehen möchte
vorausgesetzt, daß man es erahnt ‒ ist jener
Rest eines alten Kultes, der diesen heutigen
Tagen noch erhalten blieb! ‒ Altehrwürdig
ebensowohl in dem seit fast zweitausend
Jahren bestehenden Kulte, auf den hier vor‐
nehmlich meine Worte deuten, wie in dem
zeitlich jüngeren, den man noch im Inneren
Asiens übt! ‒ ‒ ‒
52 Kultmagie und Mythos
.Daneben aber sind noch gar manche
Fragmente alter magischer Kulte bei den
verschiedensten Völkern der Erde zu finden.
Oft hält man für einen Kult «auf primitiver
Stufe», was nichts anderes ist, als ein solches
degeneriertes Teilstück aus einem hohen
Kulte vorgeschichtlicher Zeit, ‒ wie
denn auch die Völker, um die es sich handelt,
keineswegs erst am Anfang, sondern am
ruhmlosen Ende ihres ehedem unvergleich‐
lich höheren Geisteslebens stehen. ‒ ‒
Wie hohe Kultur der Vertiertheit wei‐
chen mußte, so trat dann an die Stelle hohen
magischen Kultes, finsterer Fetisch
dienst und Zauberbrauch.
Im Zerrbild endet, wenn der Mensch dem
«Tiere» und damit dem Dämon dieser Erde
sich ergibt, was er einst schuf, auf daß es ihn
der Gottheit nahe bringen sollte...
*
53 Kultmagie und Mythos
MAGIE UND ERKENNTNIS
.Die magischen Riten der alten Kulte
sind wahrlich von Weisen geformt, die um
die Gesetze alles geistigen Geschehens wuß‐
ten.
Hier waren Wirkende am Werke die im
Geisteslicht erkannten, daß der Mensch mit
beiden Füßen fest auf dieser Erde Boden
stehen müsse, wenn er mit weitgespreiteten
Armen himmlische Gestirne in die Macht
seiner Hände zwingen wolle...
Gleichweit entfernt von selbstgeschaffener
Ekstase wie von jenem engen, erdgebundenen
Blicke der sich über seine nächste Umwelt
nicht erheben kann, erlebten sie im Innersten
die unvergleichliche hohe Einung aller
Seelenkräfte, die alles Äußere ins Innere
bringt und die kein «Außen» kennt, das nicht
der sichtbarliche Ausdruck innersten Ge‐
schehens wäre. ‒
So wußten sie ein äußeres Tun zu formen,
das Allerinnerstes erreichen mußte, um
durch dies Allerinnerste das Äußere zu
wandeln.
Den geistigen Gesetzen untertan, suchten
57 Kultmagie und Mythos
sie Menschen und Dinge aus erdenhafter
Bindung zu erlösen.
Sie lehrten äußere Kräfte so gebrauchen,
daß Allerinnerstes, durch sie zur Wir
kung angeregt, die Banden sprengte,
die anders nicht zu lösen waren.
Selbst hohe Magier, lehrten sie Magie
der göttlich höchsten Art und wurden
so zu Erlösern ihrer im Tiere schlafenden
Brüder.
Nicht jene irdische Erkenntnis wollten sie
vermitteln, die, als Frucht des Denkens,
zwar hohe Werte fördern, aber nie zu
geistigem Erwachen tauglich machen
kann.
Ihr Wirken galt dem geistigen Erkennen,
dem jene Dinge sich entschleiern müssen,
die nie dem Denken sich enthüllen kön‐
nen, da sie dem Schein entrückt, als letzte
Wirklichkeit im Sein allein sich finden. ‒
.Alles Denken menschlicher Gehirne ist
für immerdar in der Erscheinungswelt
58 Kultmagie und Mythos
verankert, der die Gehirne, mögen sie auch
über rein Abstraktes fabeln, selbst als
Teile angehören.
So wie da keiner sich selbst überspringen
kann und wenn er auch der beste Springer
wäre, so kann kein Denker jemals dem Be
reich des Denkens ‒ der irdischen Er
scheinungswelt ‒ sich selbst entziehen,
und wenn er es versucht, wird er mit aller
Arbeit seines messerscharfen Denkens sich
nur selbst zum Narren haben ohne solches zu
bemerken...
Alles aber, was zu dieser irdischen Er
scheinungswelt gehört, ist jenes «Außen»,
dem ein Innerstes entspricht, das nie im
Denken zu erreichen ist, da alles Denken,
mag es sich auch noch so hoch erheben,
Funktion bleibt der Erscheinungs
welt, in ihr beschlossen und verhaftet, mag
auch der Gegenstand des Denkens an
sich selbst hoch über aller irdischen Er‐
scheinung liegen. ‒
Als Material des Denkens ist des Gegen‐
standes vages Abbild nur gegeben. Er
59 Kultmagie und Mythos
selbst bleibt wo er war und kann dem
Reiche irdischer Erscheinung niemals sich zu
eigen lassen.
.Der Denker kann nicht Dinge letzter
Wirklichkeit erfassen.
Er setzt für sie Gedanken, die als Ge
bilde der Erscheinungswelt in ihr be
schlossen bleiben. ‒ ‒
Auch alle Geisteswelten sind Erschei
nungs-Welten, wenn auch von weit subli‐
merer Art als die Erscheinungswelt der kos‐
mischen Materie.
Und auch in ihnen kann das Denken nie
das Innerstedie letzte Wirklich
keit ‒ erreichen. ‒
Wohl ist das Denken dort an geistige Or‐
gane nur gebunden und so mannigfacher
Hemmung frei, die irdische Gehirne fesselt.
Allein auch jene geistigen Organe sind nur
Teile geistiger Erscheinungswelten und
was sie fassen können, bleibt in geistiger Er‐
scheinungswelt beschlossen.
60 Kultmagie und Mythos
Soll aber letzte Wirklichkeit der sicheren
Erkenntnis sich enthüllen, dann gibt es nur
ein Inne-Werden dessen, was es zu erkennen
gilt!
Nur im Erleben ist die letzte Wirklich
keit zu fassen! ‒ ‒ ‒
.Es ist dies ein Erleben, das, der Kraft
nach, über allem Denken steht, der Art
nach aber jenseits allen Denkens. ‒
Solches Erleben zu bewirken lehrten die
hohen Meister vorgeschichtlicher Tage einst
die reine Magie, die sie im Kulte zu ver‐
ankern suchten.
Es wurde jene Kultmagie der Welt gege‐
ben, die sich noch jetzt in letzten Resten auf
der Erde findet...
.Die Fundamente alter Tempel die
einst solchen Kult am Werke sahen, haben
ernste Forscher ausgegraben.
Sie fanden auch so manches Kultgerät,
fanden mannigfache Spuren bildgefaßter
61 Kultmagie und Mythos
Darstellung der alten Lehre, allein des
Kultes heiliges Mysterium ging einst mit
jenen Menschen unter, die es in ferner Vor‐
zeit als der Götter Gabe streng vor jeglicher
profanen Neugier schützten. So sorgsam war
dieser Schutz, daß aller Forschungsfleiß ver‐
geblich ist, will er aus den Fragmenten die
gefunden wurden, Schlüsse auf die Art des
einst geübten Kultes ziehen.
Nur jene letzten kultischen Reste die sich in
der Sprache Roms sowie im Innern Asiens
erhalten haben, könnten hier spärlichen Auf‐
schluß geben. ‒
Auch hier aber würde wohl allzuleicht der
rote Faden, der des Labyrinthes Ausgang
finden lassen könnte, verloren.
Nur der verliert ihn nicht, der klar erkannte,
daß die alte Kultmagie nicht Lehre als Ge
dankengut vermitteln wollte, sondern
Menschen zum Erleben dessen führte, was
anders nicht zu fassen ist als nur im inner‐
sten Erlebnis höchster Art. ‒
In solchem Erleben nur wird Erdenmen‐
schen jene Erkenntnis, die auch der Tod
62 Kultmagie und Mythos
des Erdenleibes nicht erschüttern oder gar
vernichten kann! ‒
.Nur solche Erkenntnis aber lohnt des
Erdenmenschen Streben nach gesichertem
Erkennen!
Dem so Erkennenden wird jegliche Erschei‐
nungswelt ‒ sei es die Welt der kosmischen
Materie oder eine jener Welten geistiger
Substanz ‒ zum Ausdruck und zum reinen
Bilde letzter Wirklichkeit.
Nur er wird jegliche Erscheinung aus dem
Innersten des Seins heraus verstehen, sei es
in diesem Erdenleben, oder in den mannig‐
fachen Lebensformen, die der Menschengeist
durchlebt, wenn er vom Körper dieses Erden‐
tieres bereits abgeschieden ist! ‒
.Uralte, aus des Menschen Erdennot ge‐
zeugte Fabeln wollen ihn bereden, daß er
nach diesem Erdenleben sogleich die volle
Klarheit in den Sphären übererdenhaften
Lichtes fände.
63 Kultmagie und Mythos
Der Mensch aber möge sich fernehalten
solcher wunschgeborenen Täuschung! ‒
Was nicht auf dieser Erde in des Erdenlebens
kurzen Tagen ihm geworden ist, wird ihm
auch nach dem Scheiden aus der irdischen
Erkenntnisform erst einstens werden müs‐
sen aus dem gleichen innersten Erleben,
das ihm auch während dieses Erdendaseins
hätte werden können, bevor er von der
Erde schied. ‒
Es kann ihm nichts erlassen werden, wo
immer er sich auch finden mag, denn hier
heischt ewiges Gesetz Erfüllung!
.Wohl kann der Menschengeist Jahrtau‐
sende in Geisteswelten glückerfüllt durch‐
leben, allein zuletzt wird ihn das gleiche
Grauen fassen, das ihn hier auf Erden faßt,
empfindet er in großen Augenblicken, daß
über aller höchsten Seelenregung noch ein
höchstes Innerstes ihm unerreichbar
bleibt. ‒
Dann wird er dort wie hier der hohen
64 Kultmagie und Mythos
Helfer Hände suchen müssen, soll er ins
Innerste des Seins geleitet werden...
Er selber aber muß sich erst erlebnisfähig
machen, soll ihm das Erlebnis werden! ‒ ‒
Ist es ihm geworden, so wird er zwar ver‐
bleiben in seiner geistigen Erscheinungswelt,
jedoch als ein Wissender, den nichts mehr
trügen kann, ‒ nicht anders als wie er hier
auf Erden gewiß die Erdenwelt nicht ver
lassen wird, nachdem ihm Erkenntnis aus
dem Erleben wurde. ‒
.Entgegen jenen Fabeln, die dem Men‐
schengeiste ein erleichtertes Erkennen
nach dem Scheiden von dem Erdentieres‐
körper prophezeien, muß ich bekunden, daß
vielmehr dem Menschengeiste der des Er
dentieres Kräfte noch in diesem Er
denleben meistert, das innerste Erle
ben, das allein zu der Erkenntnis letzter
Wirklichkeit verhilft, gar sehr erleich
tert ist, ‒ ja daß er ohne dieser Erde Leib
unsagbar Schwereres erfüllen muß, will er
65 Kultmagie und Mythos
zu seinem unentrinnbar festgesteckten Ziele
hingelangen. ‒
.Die Leuchtenden des Urlichts, die
da ehedem den Kult der Götter einst zur
Kultmagie erhoben, wußten um die
Kräfte dieser Erde, die der Menschen‐
geist sich dienstbar machen kann auf diesem
Weg.
Darum vereinigten sie die Erde dem
Himmel, ‒ darum schufen sie den kulti
schen Gebrauch, der irdische Kräfte:
Zeichen, Laut und Ton, dazu benützt,
das Innerste des Menschen zu erreichen,
in dem allein das heilige Erlebnis letzter
Wirklichkeit zur Wahrheit werden
kann. ‒
.Wahrlich, der Mensch dieser Tage darf
es gar sehr beklagen, daß ihm der Weg des
Kultes, will er sich nicht Dogmen beugen,
die er als krauses Gemächte menschlichen
66 Kultmagie und Mythos
Hochmuts erkennt, schon seit Jahrtausenden
verschüttet ist! ‒
Und dennoch ist ihm der Weg zum Erlebnis
keinesfalls verschlossen.
Es ist ein anderer Weg bereitet worden,
der über den Schutt der Tempeltrümmer hin‐
weg ins Innerste des heiligen Landes
der Seele führt...
.In mancherlei Lehre habe ich diesen Weg
beschrieben.
Ich setzte Wegmarken für alle die ihn finden
wollen.
Die diesen Weg beschritten haben, erfahren
mehr und mehr, daß sie dem Ziele näher
kommen, und viele sind des Zieles schon
innegeworden.
Sie missen nicht mehr die Tempel der
alten Kulte, und nicht die Förderung
durch Kultmagie, obwohl sie, erkennend
was der Geist erkennen lehrt, in manchem
alten Tempel wesenhaften Geistes Spuren
fanden und wahrlich die Magie der alten
Kulte hoch zu ehren wissen.
67 Kultmagie und Mythos
.Der Weg ins Innerste des Inneren, wie
er für alle gangbar ist zu allen Zeiten, ist
für jeden Einzelnen verschieden, obwohl
er stets der gleiche Weg für alle bleibt.
Die eigene Artung des Menschen be‐
stimmt diesen Weg, so daß jeder den seinen
findet auf der gleichen Spur die auch der
andere geht. ‒
Am Ziele erst wird jeder gewahr, daß er in
seiner Art den gleichen Weg gegangen
ist wie alle anderen die das Ziel erreichten, ‒
daß keine Weise, ihn zu gehen, etwa leichter
oder schwerer ist...
Wer immer aber diesen Weg durchwandelt,
wird von Erkenntnis zu Erkenntnis in
sich selber schreiten, bis er, am Ziele an‐
gelangt, sich selbst erkennt und in sich
selbst das Heiligtum gewahrt, in dem die
Gottheit wirkend sich bezeugt als sein le
bendiger Gott. ‒
*
68 Kultmagie und Mythos
DAS INNERE LICHT
.Versunken in die Finsternis des «Tieres»,
erkannte einst der Menschengeist sich
selbst und sein Geschick in fahlem Bilde
und stellte dieses Bild aus sich heraus als
Mythos. ‒
Gar spärlich war dieser Strahl des inneren
Lichtes und dennoch ließ er jenes Weges
ersten Anfang finden, der den Geist des
Menschen aus des «Tieres» Banden, wieder
zu sich selber führt.
Die wenigen, die diesen Weg erkannten, fan‐
den in früher Vorzeit schon ‒ wenn auch
nur tastend und erahnend ‒ in sich empor
zu jenem wesenhaften Lichte, das sich
niemals völlig von dem Menschengeiste
scheiden konnte, ‒ fanden des Weges Ziel:
‒ erlebten in sich selbst ihren leben
digen Gott, auch wenn sie solches Erleben
nur irrig zu deuten wußten. ‒
Es ist auch hier nicht die Deutung, die des
Erlebens Wert bestimmt, sondern allein des
Erlebens Wirklichkeit!
Die aber solchen Erlebens Wirklichkeit
nicht innewurden, schufen sich aus den
71 Kultmagie und Mythos
Kräften des «Tieres» ein äußeres Licht,
und all ihr Streben war darauf gerichtet,
diesem Lichte, das die äußere Nahrung des
gehirnlichen Denkens braucht, stets neue
Nahrung zuzuführen, so wie man das Öl auf
den Docht der Lampe gießt. Allmählich
brannte dieses Licht sodann für viele viel
zu hell, als daß sie noch nach jenem in
neren Lichte, das allein des Geistes Weg
erhellen kann, Begehr getragen hätten...
So ging selbst das Wissen um jenes inneren
Lichtes Dasein den allermeisten völlig
verloren, und viele, die noch darum wuß‐
ten, achteten es mehr und mehr gar sehr
gering, geblendet von dem grellen Schein
der Leuchte, die sie sich selbst geschaffen
hatten um die Außendinge zu erhellen.
Die Finsternis, die ringsum sie umgab, ließ
dieser Leuchte Schein so hell erstrahlen, daß
sie nicht glauben konnten, eines anderen
Lichtes zu bedürfen...
.Auch heute sind gar viele von diesem
äußeren Lichte geblendet, so daß es ihrem
72 Kultmagie und Mythos
Augen schier als allen Lichtes Inbegriff
erscheint.
Jedoch die Seele bleibt bei diesem äußeren
Lichte stets in Dämmerdunkel und nicht
für alle Zeit läßt sich der Seele banges Rufen
überhören. ‒
So wird gar mancher doch an seines selbst‐
geschaffenen Lichtes Allgewalt im Laufe sei‐
nes Lebens irre und sucht auf oftmals wun‐
derlichen Wegen jenes innere Licht zu fin‐
den, von dem ihm Kunde aus der Vorzeit,
und das Wissen derer, die es in sich selbst zu
finden wußten, sagen.
So mancher alte Mythos wird befragt, ob
er nichts sagen könne von der Weise, wie
dieses innere Licht erlangbar sei, und
dem Geheimnis alter Kulte sucht man auf
die Spur zu kommen, um hier vielleicht be‐
lehrt zu werden.
.Zwar sind nun Mythos sowohl, wie
alles, was noch an Resten alter Kulte lebt,
erfüllt von Wissen um die rechte Art, in der
73 Kultmagie und Mythos
das innere Licht erfahren werden kann, je‐
doch man sucht auch hier stets nur von
außen her, im Lichte seiner selbstgeschaf‐
fenen Leuchte. ‒
So führt auch dieses Suchen nur zu äußer
lichen Dingen, und ihre Deutung gibt
dem Irrtum Zuwachs. ‒
.Es könnte mancher Mythos deutliche
Fingerzeige geben, wüßte man ihn zu be‐
trachten, wie einst die Wissenden ihn be‐
trachtet wissen wollten: ‒ als Bild eines
inneren und innersten Geschehens
im Menschen selbst...
Vor allem aber kann hier jeder letzte Rest
von Kultmagie, der noch erhalten oder
auch nur durch Berichte alter Schriften noch
erkennbar ist, die Augen öffnen, will man die
Art und Weise finden, wie das innere Licht
aufs neue zu erlangen ist. ‒
74 Kultmagie und Mythos
.In aller Kultmagie ist Äußeres dem Inne‐
ren vereint und durch das Äußere wird
Innerstes erreicht. ‒
Das Äußere ist ihr niemals um seiner
selbst willen da!
Die kultischen Gebräuche mögen äußerer Be‐
trachtung wohl an sich genügen: was ihre
Schönheit, ihre Wirkung auf die Sinne,
ihre Kraft des Ausdrucks anbelangt, ‒
allein dies alles ist nur Mittel um das In
nere des Menschen zu erreichen, damit es
fähig werde, in sich selbst das Allerinner
ste in eigenem Erleben zu erfahren. ‒ ‒
.Hier ist die hohe Lehre aufgezeigt, die
aus den Resten alter Kultmagie auch noch
dem Menschen dieser Tage werden kann!
Hier gilt es zu erfassen, daß alles Äußere
dem Inneren verbunden ist und darum nie‐
mals anders als nur bruchstückweise sich
erkennen läßt, solange man es nur von
außen her beleuchtet! ‒ ‒
Hier gilt es zu erfassen, daß ein jegliches Ge‐
75 Kultmagie und Mythos
schehen in der Außenwelt zurück auf die
Innenwelt wirkt! ‒ ‒
Hier gilt es zu erfassen, daß auch des Men‐
schen Alltagsleben sich zur Kultmagie
erheben läßt, wenn er in allem seinem Tun
bestrebt ist, auf sein Inneres in solcher
Weise einzuwirken, daß dieses Innere all‐
mählich zum Erwachen kommt! ‒
.Noch sind nur Seltene sich der Verant‐
wortung bewußt, die sie für jeden leisesten
Gedanken, jedes Wort und jede Tat in
dieser Außenwelt zu tragen haben...
Die Allermeisten wissen nicht ‒ und manche
wollen es nicht wissen ‒ daß Worte und
Gedanken für die Wirkung in das Innere
des Menschen fast gleichen Wertes sind
wie die vollbrachte Tat, und daß sie stets
durch all ihr Denken, Reden oder Tun
nicht nur ihr eigenes Inneres in guter oder
übler Weise formen, sondern auch der Innen‐
welt der anderen entweder zum Segen
werden oder zum Fluch...
76 Kultmagie und Mythos
.Hier möge jeder, der diese Worte liest,
sich selber fragen, ob er hinfort sein ganzes
Wirken so gestalten will, daß es ihm selbst
und allen, die in seiner Mit- und Nachwelt
leben, zum Segen werde! ‒
Nur wenn er solchen Willens ist, wird er die
Vorbedingung schaffen, die von ihm selbst
allein geschaffen werden kann und die von
ewigem Gesetz gefordert wird, soll sich das
innere Licht ihm offenbaren! ‒ ‒ ‒
.Gar viele sind des eitlen Glaubens, sie
müßten «große Dinge» tun in dieser Außen‐
welt, damit ihr Wirken ihnen selbst und an‐
deren ein Heil erwirke, das meistens nur in
ihrem eigenen Wahn als «Heil» erscheint,
‒ zuweilen aber auch, selbst schon in dieser
Außenwelt, mehr Unheil ist als Heil. ‒ ‒
Sie achten sehr auf solches Tun, das allen
sichtbar wird, doch sind sie weit davon
entfernt, ihr Denken, Reden oder Handeln
dort zu zügeln, wo sie es vor der Welt ver
borgen glauben. ‒ ‒
77 Kultmagie und Mythos
So fühlen manche sich berufen, ganze Völker
zu beglücken, obwohl sie selbst nur Sklaven
ihrer eigenen Gedanken sind.
.Wahrlich, ‒ wer solcherart noch sich
selbst betört, darf nicht erwarten, daß das
innere Licht ihm werden könne!
Wer es erlangen will, wird all sein Tagewerk
‒ sei es nun weithin sichtbar oder still ver‐
borgen ‒ verantwortungsbewußt voll‐
bringen müssen, ‒ sich selbst bewahrend
vor dem Wahn, daß jene Taten nur zu
zählen seien, die dereinst in Chroniken ver‐
zeichnet werden. ‒
Und führte ihn sein Lebensweg zu einem
Wirken, das für Viele in der Außenwelt
Verantwortung zu tragen hat, so lasse er
erst recht sich nicht verführen, jene an
dere Verantwortung gering zu schätzen, die
ihm obliegt bei allem Alltagstun, auch
wenn es so verborgen ist, daß nie ein Anderer
darum weiß!
78 Kultmagie und Mythos
.Was die Magie der alten Kulte nur für
Feierstunden zu bewirken wußte: ‒ die
Einwirkung des äußeren Tuns auf
unsichtbare Kräfte ‒ das wird dem Su‐
chenden, der jenen freien Höhenweg, den
ich ihm zeige, zu betreten weiß, zur Heili‐
gung des ganzen Erdenlebens werden! ‒ ‒
Er wird durch all sein Denken, Reden
oder Tun sich magisch wirkend wissen,
und wird gar bald erkennen, daß nichts in
dieser Außenwelt geschehen kann, das
ohne Wirkung bleiben könnte im Bereich
des Unsichtbaren.
So wird er seine Seele zum Erwachen brin‐
gen und in sich selbst erfühlen, daß ihm ‒ je
nach seines Strebens Inbrunst ‒ eine Gei
steshilfe nahekommt, von deren Dasein er
vordem kaum wußte, oder deren Wirken ihm
vor seinem Selbsterleben, außer aller Mög‐
lichkeit zu liegen schien, so daß er jede
Kunde, die ihm davon sagte, in das Reich
der «frommen Fabeln» wies...
Durch solche Geisteshilfe wird er sich auf
seiner Bahn alsdann geleitet wissen, bis
79 Kultmagie und Mythos
seine Seele so bereitet ist, daß sie des inne
ren Lichtes endlich teilhaft werden
kann...
In diesem inneren Lichte wird er dann
sich selbst für alle Ewigkeit geborgen fin‐
den, und allen seinen letzten Fragen nach
des Menschendaseins Sinn wird unbezweifel‐
bare Antwort aus dem eigenen Erleben
kommen...
*
80 Kultmagie und Mythos
DIE FOLGERUNG
.Der Menschengeist, der sich in dem un‐
gestüm heischenden «Tiere» der Erde selbst
verloren hat, bleibt dennoch für alle Zeit
seiner geistigen Urheimat verbunden, auch
wenn er nicht darum weiß.
In dichtester Verfinsterung wird ihm zu Zei‐
ten stets ein zarter Strahl des Lichtes wie‐
derkehren, aus dem er einst sich selbst durch
eigene Willensabkehr löste. Es sind nur we‐
nige Sekunden jeweils, die ihn wie Erinne‐
rung an längstgeträumte Träume noch er‐
ahnen lassen, daß er von Ewigkeit her An
deres ist als dieses «Tier» der Erde, dem er
hier sich so verhaftet fühlt, daß er ihm seinen
ewigen Namen gab. ‒
Aus solchen wenigen Sekunden wird ihm
dann der Drang, sich selbst im Erdentiere
wieder aufzufinden.
.Gewohnt, allein des «Tieres» Kräften
zu vertrauen, beginnt er so sein Suchen nach
sich selbst in gleicher Weise, wie er die
Dinge dieser Erde zu ergründen sucht.
83 Kultmagie und Mythos
Notwendig muß er die Erfahrung machen,
daß all sein Suchen nach sich selbst auf
solche Art vergeblich bleibt und nur die
Dunkelheit verdichtet, die ihn vordem
schon umgab. ‒
rde Hilfe ihm nicht, die allein hier
helfen kann, ‒ die Hilfe aus der Urheimat
des Geistes, dargeboten durch die hohen
Helfer die dazu verordnet sind, ‒ so müßte
der Mensch daran verzweifeln, jemals sich
selbst, als den ewigen Menschengeist,
im «Tiere» dieser Erde wieder zu finden, und
den Dämon dieser Erde ‒ den «Fürsten der
Finsternis» ‒ zu bezwingen...
.Die sanften Strahlen uranfänglichen Lich‐
tes, die ihn zu Zeiten erreichen, vermögen es
wohl, in ihm die Sehnsucht nach dem
Lichte zu erwecken, allein: ‒ noch läßt sich
die Fessel nicht lösen, die das «Tier» um
den Menschengeist, der in und mit ihm lebt,
zu schlingen wußte. ‒
Noch wird sich der Mensch der Weite seines
84 Kultmagie und Mythos
Geistes, noch wird er seiner Höhe und
Tiefe nicht bewußt, denn was er bis hierher
seinen «Geist» zu nennen pflegte, ist nichts
anderes als sein gedankliches Bewußtsein
um sein tierisch-irdisches Erleben. ‒
Hier aber findet er sich eingeengt in viel‐
facher Bindung, so daß er alles was nicht
gleicher Bindung unterworfen ist, als außer
sich und über sich empfindet. So schafft er
sich seinen Gott und seine Götter, auf daß
sie Träger seien dessen, was seiner Erd‐
gebundenheit sich scheinbar nicht vereinen
läßt, und noch nicht erkannt wird als des
eigenen, ewigen Wesens Inbegriff...
So schafft er sich seinen Mythos ohne vor‐
erst auch nur zu ahnen, daß er nur die Ge
schichte seines eigenen Daseins dar‐
zustellen weiß. ‒
So schafft er aus dem Mythos sich den Kult,
und wird sich nicht bewußt, daß hier das
Erdentier, gezwungen sich dem Menschen‐
geiste endlich zu beugen, nur eine Ausflucht
fand, um seine Herrschaft doch in dieser
Form zu wahren...
85 Kultmagie und Mythos
.Würde der Mensch erkennen wer er ist,
dann wäre es um des «Tieres» und des Erden‐
dämons Macht in ihm geschehen, ‒ so aber
stellt er sein Bestes über sich hinaus und
fühlt sich nur um so mehr in des «Tieres»
und seines kosmischen Despoten Gewalt.
Die Leuchtenden des Urlichts, die
einst den Kult zur Kult-Magie erhoben,
suchten zwar ihre irrenden Menschenbrüder
solcherart aus dieser Macht des «Tieres» zu
erlösen, doch viel zu fest hält diese Macht
den Menschengeist gebunden, als daß er je‐
mals sich ihr ganz entwunden hätte.
Der größte Liebende ging über diese
Erde und lehrte klaren Wortes, daß dem
Menschen «alle Gewalt» gegeben sei, des
«Tieres» und der dämonischen Kräfte Herr
zu werden und aller selbstgeschaffenen Götter
Herrlichkeit in sich zurückzunehmen, ‒
allein man verstand nicht seine Lehre und
formte sie in solcher Weise um, daß man im
«Tiere» zwar fortan den «Feind» erblickte,
doch einen Feind, den man zwar foltern, aber
niemals gänzlich überwinden könne.
86 Kultmagie und Mythos
Erstickt ward jegliche Regung, sich des
«Tieres» Kräfte zu einen und als des «Tie‐
res» Herr sich seiner zu bedienen, wie man
ein Lasttier braucht, das man zwar gut bei
Kräften hält und wohlernährt, doch sicher
dorthin lenkt, wo es dem Eigner Dienste
leisten soll...
.Die Kunde von des hohen Meisters Le‐
benstagen ward zu einem neuen Mythos,
der alsbald auch einen Kult zu tragen hatte,
geformt aus Überresten alten kulti
schen Besitzes, denen man aus Worten die
der Meister hell und klar gesprochen hatte,
willkürlich dunkle, eigener verworrener
Erkenntnis angepaßte Deutung gab. ‒
Bedeutsam aber bleibt auch heute noch, was
so entstanden ist, da es die Reste alter Kult
magie verwahrt, die sonst verloren wären.
Unzählige sind noch in heutigen Tagen nur
durch diese Reste alter Kultmagie dem Gei
stigen verbunden und Geisteshilfe weiß
sie zu erreichen, sei auch die eigentliche
87 Kultmagie und Mythos
Quelle solcher Hilfe ihren Augen dicht ver‐
hüllt durch jene bilderreichen Schleier, die
der Mythos ihres Glaubens, wunderlich und
arabeskenhaft verschlungen, um alle letzte
Wirklichkeit zu weben weiß...
Nicht denen, die in solcher Art Ge
nüge finden, gelten meine Worte!
Sie mögen zu bewahren suchen was sie haben,
und dürfen immerhin gewiß sein, daß der
Weg den ihres Glaubens Lehre sie zu gehen
heißt, zwar oftmals «Umweg» ist und sie
durch dunkle Gründe leitet, jedoch zu
letzt, wenn sie das Reich der bloßen Bilder
einst durchwandelt haben, das höchste
Ziel dennoch erreichen läßt, ‒ so sie auf
diesem Wege, voll des gläubigen Ver
langens, letztlich nach dem Geiste stre‐
ben. ‒
Anderen aber gilt meine Rede!
Jenen Anderen, die keine Kultmagie er‐
reicht, da sie der Deutung die der Kult er‐
heischt, sich längst entwachsen wissen, auch
wenn sie noch erfühlen, was wie ferner Glok‐
kenklang aus dieses Kultes Liturgien tönt,
88 Kultmagie und Mythos
als letztes Zeugnis längst dahingegangener
Geschlechter. ‒
.Der Weg den ich zu künden komme, läßt
den Suchenden der ihm vertraut, das Land
der Wirklichkeit erreichen, ohne seinen
Blick durch jene Mauern einzuengen, die ein
furchtgeborener Glaube angstumschnürter
Herzen zu errichten wußte... Wer immer
diesen Weg betritt, wird in sich selber
sichere Führung finden, so er nur selbst
sich solcher Führung würdig macht durch
eine Willenswandlung, die da alle seine
Seelenkräfte einigt in unwandelbarem Stre‐
ben nach dem höchsten Ziele. ‒
Wer aber diesen Weg betritt, wie er auch vor‐
dem andere Wege fruchtlos zu erforschen
strebte ‒ sei es um der Neugier willen, oder
um sein erdenhaftes Wissen zu bereichern
‒ der wird allein gelassen werden und gar
bald des Weges rechte Spur verlieren!
Desgleichen duldet dieser reine Höhenweg
die Füße dessen nicht, der noch das «Tier»
89 Kultmagie und Mythos
in sich nicht zu bezwingen wußte, mag er
auch seiner Seele Kräfte allem Hohen dienst‐
bar machen wollen...
Hier ist kein Paktieren möglich mit des
«Tieres» nimmersatten Trieben, und keine
Folge triebversklavten Handelns läßt sich
tilgen! ‒ ‒ ‒
.Das «Tier» im Menschen wird ihm täg‐
lich tausend gute Gründe bringen, seiner
Triebe scheinbar «gutes Recht» zu wahren.
Des «Tieres» Stimme wird mit holden Wor‐
ten schmeicheln, ‒ wird geflissentlich den
Menschen zu betören suchen, als sei «belang‐
los», was er ihm gewähre, bleibe seiner Seele
Sehnen nur auf Geistiges gerichtet...
Es sucht das «Tier» mit allen Listen seine
Macht zu wahren und duldet selbst Ver
achtung und Verachtung seiner Wünsche,
wenn der Mensch um diesen Preis nur sich
ihm ergibt. ‒
90 Kultmagie und Mythos
.Wer aber den Weg, der ihn zur Selbst
erkenntnis führen sollte, nicht im Wege
zur Vernichtung enden sehen will, der hüte
sich, des «Tieres» Stimme zu vertrauen!
Er sei gut zu dem Tiere und wisse ihm zu
sagen: «Wahrlich, ich danke dir, du mein
Tier, daß du solcherart stark in mir bist,
allein deine Kraft sei nun allein in meiner
Macht! ‒ Wisse: du sollst mir gewandelt
werden, und gefügig mir fortan dienen als
deinem Herrn!» ‒
.Wie Donnerschlag ist solches Wort dem
«Tiere», so daß es daran sterben muß, ‒
jedoch, wie eine ekle Raupe zwar als Raupe
stirbt, um dann als farbenreicher Falter
zu erstehen, so ist auch des «Tieres» Sterben
nur vonnöten, damit es zu neuer Art des
Lebens ‒ geläutert und durchlichtet
in sich selbst ‒ gewandelt werde...
Der aber ehedem ein Höriger des «Tieres»
war, ist dann sein Eigner und es dient
ihm willig aus seiner erneuten, hochge
wandelten Kraft! ‒ ‒
91 Kultmagie und Mythos
Im gleichen Leibe geschah sein «Sterben»
und sein Auferstehen, und doch sind alle
Atome dieses Leibes geistig erneut!
.Wer solcherart das «Tier» in sich zu
wandeln weiß, den wird des «Tieres» Leben
nicht mehr hindern können.
Dem Leben des Geistes wird es sich völlig
einen!
Wie das Gehäuse der Laute Resonanz dem
Klang der Saite gibt, so wird der tierische
Leib dem Menschen dienen, seines Gei
stes Kraft zu voller Entfaltung zu bringen.
Es wird fürderhin nur der Geist alle Herr‐
schaft üben!
Ausgelöscht ist des «Tieres» Eigenwille,
der vordem des Geistes Feind und steter
Widersacher war...
.Nun erst ist die Gefahr beschworen, die
einem Jeden stetig droht, der sich vermißt,
zur Höhe aufzusteigen, bevor das «Tier» in
92 Kultmagie und Mythos
ihm erstarb und wieder ihm erstand, in
heilig hehrer Wandlung hingegeben nun
des Geistes Willen! ‒ ‒
.Zwar hat es zu jeder Zeit auch Menschen
gegeben, die, ihrer Geistigkeit bewußt, zu
hohen Stufen vorgedrungen waren, ohne des
«Tieres» sichere Eigner zu sein, allein, ‒
man lasse sich durch hohen Erdenruhm nicht
täuschen.
Kein einziger aus ihnen hat sein höch
stes Ziel erreicht auf dieser Erde, kein
einziger aus ihnen erlebte während dieses
Erdenlebens in sich selbst, in seinem Aller‐
innersten, seinen lebendigen Gott! ‒ ‒
Wohl hat ihr Geist in herrlich hohen Worten
sich bekundet, allein sie selber blieben stets
im Zwiespalt bis zum Ende! ‒
.Wer dieser geistig Hochgelangten weise
Worte in sich aufzunehmen weiß, tut wohl,
doch wahrlich darf er nicht ihr Leben sich
93 Kultmagie und Mythos
zur Richtschnur dienen lassen, wenn er zum
Vollbewußtsein seiner höchsten Daseins
form im Göttlichen gelangen will! ‒ ‒ ‒
Gar mancher Mensch, der in Verborgenheit
sein Leben lebte und dessen Name keine
Kunde nennt, hat unbeschreiblich Höheres
erreicht als auch der Größte derer, die zwar
hohe Geistesstufen zu ersteigen wußten, aber
nicht vermochten, aus des «Tieres» Fesseln
sich zu lösen...
.Nur dort, wo das «Tier» verwandelt
und vollkommen dem Geiste geeinigt
wurde, ‒ nur dort werden die Geheimnisse
nicht mehr nur geahnt, sondern in klarem,
wachen, eigenen Erleben erlebt! ‒
Solchem Erleben aber kann jede
Seele erschlossen werden.
Es bedarf dazu nicht des Glaubens an einen
Mythos, noch ist ein Kult dazu vonnöten,
der aus einem Mythos erwuchs.
94 Kultmagie und Mythos
.Wird Kult in seiner höchsten Form zur
Kult-Magie, so läßt sich von des Erden‐
menschen Alltagsleben sagen, daß es erst
lebens-wert und lebens-würdig wird, so‐
bald der Mensch erkennt, daß all sein Tun ein
magisches Geschehen auslöst, mag er
darum wissen oder nicht... Erst dann ist die
höchste Form des Lebens erreicht, wenn alles
Denken, Reden oder Tun bestimmt wird
durch das Wissen um die Wirkung in der
unsichtbaren Welt des physischen Ge‐
schehens, und weiter: durch das Wissen um
die Wirkung jeglicher Impulse auf die
eigene Geistsubstanz. ‒ ‒ ‒
.Von außen her wird hier auf Erden alles
Innere erreicht!
Von außen her allein vermag der Mensch
sein Inneres zu formen, auf daß es fähig
werde, Allerinnerstes dann in sich selber
zu vernehmen!
Es gibt nichts Äußeres, das hier ge
ring zu achten wäre! ‒
95 Kultmagie und Mythos
.Bewußtseinsfremd geworden seiner Ur‐
heimat im Geiste, findet der Menschengeist
sich nunmehr nur bestätigt durch sein Den‐
ken, Reden oder Tun in dieser Außenwelt,
und nur von hier aus kann er füglich auch
zurückgelangen zu sich selbst.
Alles Äußere muß ihm zum Mittel werden,
sein Inneres wieder zu erreichen! Nur so
macht er von aller Außenwelt den rechten
Gebrauch: ‒ er, dem sein eigener Körper auf
dieser Erde schon «Außenwelt» ist! ‒
.Man ruft in diesen erdgefesselten Zeiten
nach dem «neuen Mythos», und man meint
im Grunde den neuen Kult...
Nicht eher aber wird der neue Kult der
Menschheit werden, als bis Magie in ihrer
heilighöchsten Form alles Erdenleben
durchlichtet hat. ‒
Die geistige Daseinswirklichkeit des
Menschen wird dann an die Stelle des
Mythos treten, und aus dem Leben wird
die kommende Kultmagie erstehen! ‒
*
96 Kultmagie und Mythos
ENDE