DIE
WEISHEIT
DES JOHANNES
KOBERSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
BASEL
Um den Forderungen des Urheberrechts zu entsprechen,
sei hier vermerkt, daß ich im zeitbedingten Leben den
Namen Joseph Anton Schneiderfranken führe, wie ich
in meinem ewigen geistigen Sein urbedingt bin in den
drei Silben:
BÔ YIN RÂ
Copyright by
Kober'sche Verlagsbuchhandlung Basle 1952
Druck: Conzett & Huber, Zürich
AUS ALLEM DIESEM FOLGET, OO
DASS ICH EUCH DAS TESTA‐ OO
MENT JOHANNIS ABER UND OO
ABERMAL EMPFEHLE, DESSEN OO
INHALT MOSEN UND DIE OO
PROPHETEN, EVANGELISTEN OO
UND APOSTEL BEGREIFT...
GOETHE AN HERDER
20. FEBRUAR 1786
VERBORGENER Ströme glocken‐
tiefes Rauschen tönt stetig fort
durch die Jahrtausende, und aller
Lärm des lauten Tages kann dieses tiefe
Rauschen nicht vor denen bergen, die es
hören wollen.
Zwar sind die Ohren derer, die den Lärm
erzeugen helfen, fast taub geworden, so
daß sie nur noch hören können, was mit
schrillen Lauten sie zuallernächst umtost;
allein, zu jeder Zeit gab es denn doch
auch Menschen, die sich den lauten Märk‐
ten fernehielten und in stiller Mitter‐
nacht den heilig ernsten, fernen Klängen
lauschten, die aus Urseinstiefen sich ver‐
nehmen lassen.
Zu Zeiten aber werden diese Wenigen zu
Vielen, und ihre Ohren werden so ge‐
schärft, daß sie die urgrundfernen Klänge
selbst im wildesten Getöse ihrer lärm‐
berauschten Umwelt
deutlicher emp‐
finden als den grellen Lärm, der sie daran
zu hindern sucht.
Wir leben im Anbruch einer solchen
Zeit!
Tagtäglich mehrt sich die Zahl der Hören‐
den!
Sie stört nicht mehr das heisere Schreien
der Jahrmarktsrufer, nicht das Brüllen
wilder Tiere noch das Kastagnettenklap‐
pern toller Tänzer, und lächelnd über‐
hören sie das Schellenklingeln bunter
Narrenkappen.
Sie hören nur den
einen, heilighehren
Glockenton ‒ hören allein auf das stete
klangtiefe Rauschen der
Ströme der
Ewigkeit ‒ und suchen räumlich wie
zeitlich in Nähe und Ferne ihresgleichen:
suchen Menschen, die bekunden können,
daß auch sie das gleiche tiefe Rauschen
allerorten hören.
Mü
de sind heute die Besten aller bloßen
Weisheit der Gehirne.
Längst lockt die Akrobatik des Gedan‐
kens nur noch junge Greise oder alte
Kinder.
Die geistreichen Schlüsse pfauenstolzer
Klügler gelten kaum noch als billige
Scheidemünze unter der ewig kindischen
Menge, und man erhandelt nur zu‐
weilen noch damit ihre Gunst, so wie der
Seefahrer die Gunst der Wilden gewinnt
durch bunte Gläser und glitzernde Per‐
lenschnüre.
Wer aber, dem
Erwachen nahe, des
Erdenlebens Wert in
Tat und
Wirken
sucht, der verlangt nach
anderer Er‐
kenntnis: verlangt nach einem
Inne‐
werden sicherster
Gewißheit, die
nicht schon morgen wieder
Ungewiß‐
heit wird ‒ der nicht die Resultate
fremder Forschung früher oder später
ihre Fundamente unterwühlen können.
Zu allen Zeiten gab es Menschen, denen
solche Gewißheit wurde.
Sie wird nicht
erschlossen und nicht
erklügelt, und keines Menschen Hirn
kann sie
erdenken!
Nicht Reichtum äußeren
Wissens ist
vonnöten, um sie zu erhalten!
Wer du auch sein magst und wie hoch
man auch dein Wissen werte ‒
Ge‐
wißheit wirst du eher nicht erlangen,
als bis du lernst, der schillernden Viel‐
fältigkeit deines Denkens zu entsagen!
Du hast aus «Gedankengängen» ein
Labyrinth dir geschaffen, in dem du
dich selbst verloren hast.
Du kannst dich nur wiederfinden, wenn
du zurück zum
Eingang dieses Laby‐
rinthes findest ‒ dorthin zurück, wo
einst dein Denken
einfach war wie
eines
Kindes Denken!
Auch die Menschen ferner Vorzeit kamen
anders nicht zu Weisheit und Erkenntnis.
Es leuchtet heute noch das
gleiche
Licht, davon man staunend Kunde bei
den alten Sehern findet; allein, wenn du
im Dunkel der
Gedankengänge dich
ergehst, wirst du es leichthin leugnen
können, da sich seine Strahlen dorthin
nicht ergießen.
Die Alten waren zu Zeiten wahrlich weit
mehr «Herren der Erde» als diese neue‐
ren Geschlechter, die sich durch ihr Er‐
klügeln und Ersinnen stolzerfüllt die
Kerkermauern selber aufeinandertürm‐
ten, die ihnen dann den Blick in die Un‐
endlichkeit verbauten...
Mit sicheren Instinkten wußten sie zu
sichten und zu sondern und nahmen
voller
Ehrfurcht jeweils in Besitz, was
ihre Ahnen ihnen darzubieten hatten als
unvergängliches, gewisses Weisheitsgut.
So konnte aus der alten Tempel Trüm‐
merstätten stets das Heilige gerettet wer‐
den, und mochte auch in jedem neuen
Sanktuarium ein neues Kultbild sich er‐
heben, so blieb es letzten Endes doch
der
gleichen Gottheit hüllendes
Symbol und war den Eingeweihten sol‐
cherart vertraut.
Die Menschen des nun schwindenden
Geschlechts jedoch ‒ die selbst weit
tiefer, als sie ahnten, durch gar mannig‐
fachen Aberglauben wateten, und die ihr
Wähnen,
Meinen und
Vermuten
anmaßlich als
Wissen proklamierten ‒
sahen in jedem Gottesbilde alter Zeiten
nur den «Götzen», sahen in seinem Kulte
nur der Alten «Aberglauben» und be‐
merkten nicht, daß neben jedem Gottes‐
kulte tiefgeheime
Weisheit schreitet,
die freilich nur den
Mündigen allein
sich offenbart. ‒ ‒
So ist denn auch die alte Sendschrift, die
man das «
Evangelium Johannis»
nennt, gar Vielen in den jüngstvergange‐
nen Tagen und wohl auch noch in dieser
heutigen Zeit zu nicht viel mehr als
einem
Märchenbuch geworden, an‐
gefüllt mit poesiegetränkten Zeugnissen
längst überlebten Aberglaubens...
Allmählich frei nun von der Furcht, das
«Wort der Schrift», das früher als
ein Werk des Geistes Gottes galt,
auf seine zeitliche und erdgebo‐
rene Gestaltung hin zu prüfen, hatte
man der alten Heidenlehren Spur darin
gefunden, und da man weiterhin ent‐
deckte, daß auch das wundersame Gottes‐
menschenbild des alten Buches mancher
alter Götterbilder Züge in sich eint, so
ward den Neueren ‒ soweit sie sich nicht
«Christen» nennen ‒ des ganzen Buches
Inhalt: frommes Hirngespinst.
Viel mochte dazu beigetragen haben, daß
man die alte Kunde nur in einer Form
besitzt, die allzudeutlich zeigt, daß vieler
Überformer törichtfrohe Arbeit ihr erst
die Gestaltung gab, die sie nun trägt.
Verderblich war es auch, daß man in
alter Zeit schon darauf ausgegangen war,
diese «Sendschrift» als ein Werk des
Jüngers, den der Meister «
liebte»,
darzustellen, und somit alles tat, um sie
den
älteren Berichten anzugleichen,
die von des hohen Meisters Erdenleben
‒ Wahrheit und Dichtung nach Gefal‐
len ineinandermengend ‒ legendenhafte
Kunde bringen.
Man konnte so nicht mehr erkennen, daß
dieses alte Buch ‒ einst über ein Men‐
schenalter nach des Meisters Tod ent‐
standen ‒ wohl jene Sagenkunden von
des hohen Meisters Erdenwallen
nutzte,
daß aber sein ursprünglicher Verfasser
wahrlich
anderes erstrebte, als der
alten Wunderbücher Zahl zu mehren.
Hier ist nun darzulegen, daß die alte
Sendschrift, die einst frühe Überformer
dem «
Johannes», den der Meister
«liebte», zugeschrieben haben, die
Schrift eines «Wissenden» ist, der für
seine Getreuen schrieb, die längst «von
Mund zu Ohr» von einer Lehre
wußten, die wahrlich «frohe Bot‐
schaft» allen war, die sie dereinst er‐
reichte.
Aus gleichem gesicherten Wissen ist hier
auszusprechen, daß jener, der die Send‐
schrift erstmals niederschrieb, noch im
Besitz von alten Schriften war, die in
getreulicher Abschrift Worte aus des
hohen Meisters eigenen Send‐
schreiben gaben, wie sie der Jünger
Johannes nach des Meisters Tode in
Verwahrung nahm und seine eigenen
Schüler davon Abschrift nehmen ließ.
Des weiteren ist hier zu sagen, daß der
Jünger, den der Meister «liebte», als ein‐
ziger unter den «Aposteln» um die tief‐
sten Dinge wußte, die zu seines Meisters
Sendung in Beziehung standen.
Nach des Meisters Tode aber sammelte
er um sich die Wenigen, die da von
Anfang an die Lehre geistig faßten.
Als er dann selbst gestorben war, erhielt
sich dennoch die Vereinigung dieser we‐
nigen Getreuen, verwahrend tiefes, ge‐
heimes Wissen, das sich dem äußerlichen
Kultkreis nie bequemen konnte, der sich
alsbald gerundet fand als Frucht der Pre‐
digt jener anderen Jünger, von denen
sich der Auserwählte schon gar bald nach
seines Meisters Tod in wachsender Ent‐
fernung stets gehalten hatte, so sehr auch
die Legende, die der äußere Kult
sich schuf, bemüht ist, ihn den Ihren
eng verbunden zu erweisen.
Den Nachfolgern dieser Schüler des
Apostels ‒ die aber sehr zu unter‐
scheiden sind von des Täufers Jün‐
gern, der den gleichen Namen trug:
Jehochanan ‒ galt die Sorge dessen,
der die Schrift geschrieben hat, von der
ich hier zu reden haben werde.
Ihnen war wahrlich nicht zu kommen mit
jenen Wundersagen, die heute sich
in dem der Nachwelt dargebotenen und
überaus verdorbenen Buche finden, auch
wenn aus diesen Wundersagen manches
spricht, das Nachgeborenen das Bild des
Meisters hellen kann.
Sie wußten von einem Geisteswun‐
der, das alle Wundersagen der Berichte
weit in Schatten stellte, und dieses
Geisteswunder kannten sie aus eigenem
Erleben. ‒ ‒ ‒
So sehr sie aber auch des hohen Meisters
Lehre, wie sie durch Johannes einst
verstanden worden war, als heiligstes Ver‐
mächtnis hüteten, so trugen sie doch
keineswegs Bedenken, wo immer sie in
Lehren ihrer Zeit verborgener Wahr‐
heit Fäden fanden, solche Wahrheit
auch dem Tempelvorhang einzuweben,
der in ihren Sanktuarien das Geheimnis
wahrte vor profanen Blicken.
Nur wenn man dieses alles wohlbeachtet,
ist auch heute noch ‒ trotz aller frem‐
den Hände, die des ersten Schreibers Nie‐
derschrift verdarben ‒ das bruchstück‐
haft Erhaltene dem inneren Werte nach
zu fassen, soweit es töricht enger Kor‐
rektur schon in der ersten Zeit entging.
So aber auch ist zu verstehen, daß der
Dichter diese Sendschrift über alle an‐
deren alten Glaubenskunden stellt, wäh‐
rend neuere Forschung allen Scharf‐
sinn aufzubieten sucht, um durch den
wild überwachsenen Garten der Erkennt‐
nis, den sie lichten soll, auch nur
einen
leidlich gangbaren Weg zu bahnen. ‒ ‒
Und fragt man mich nun, aus welchem
Wissen ich mir selbst
Gewißheit holte,
das in diesem Buche Darzulegende vor
aller Mit- und Nachwelt zu vertreten, so
muß ich als Erstes den Irrtum im Keime
zerstören, als gäbe ich hier etwa Früchte
eigenen «Erforschens».
Die Wege, die hier zur
Gewißheit
führen, sind so eng und steil, daß jedes
eigene Gepäck, und sei es auch ein Schatz
des Erdenwissens höchster und sublimster
Art, zurückgelassen werden muß, soll
nicht der Fuß auf diesen Höhenpfaden
straucheln. ‒
Es gibt ein «
Wissen», das
allein von
diesen Dingen mit
Gewißheit wissen
kann!
Hier sind «Beweise» denen nur erlang‐
bar, die seit der Urzeit solche Art zu
«wissen» pflegen und den Bestä‐
tigten in jedem Menschenalter weiter‐
geben, was sie selbst auf gleiche Art er‐
langten: ‒ die Fähigkeit des Wis‐
sens aus der Selbstverwandlung,
wobei der Wissende zum Wissen aus
dem Gegenstand des Wissens wird. ‒
Aus solchem Wissen aber rede ich.
Ich will Gewißheit geben und weiß,
daß anders Gewißheit nicht erlangbar ist.
Es liegt mir ferne, zum Glauben an meine
Worte überreden zu wollen.
Wer da ergründen will, ob ich der Wahr‐
heit Wort und Stimme leihe, suche in
sich selbst ‒ in seinem Allerinner‐
sten ‒ Bestätigung.
Er wird nicht vergeblich seine Zeit dar‐
auf verwenden, das, was ich ihm zu zei‐
gen habe, so zu sehen,
wie ich es ihm
zeigen muß...
Zuweilen mag es also scheinen, als ob
ich von dem Gegenstande dieses Buches
mich zu weit entferne, und auch Wieder‐
holung wird sich kaum vermeiden lassen.
Es ist nicht meine Absicht, nach System
und Regel zu verfahren.
Die alte
Sendschrift, die den Namen
des «
Johannes» trägt, soll hier nicht
etwa einen
Kommentar erhalten.
Es gilt hier nur, die
reine Lehre auf‐
zuzeigen, deren Kenntnis der Schreiber
bereits
voraussetzen durfte bei sei‐
nen Getreuen.
Und weiter will ich hier dem Irrtum
steuern, daß die alte Sendschrift
glei‐
cher Glaubensmeinung Zeugnis sei wie
die drei
älteren Berichte über des
«Gesalbten» Leben, denen man in alter
Zeit sie schon zur Seite stellte, nachdem
sie dafür zubereitet worden war.
Es wird auch nötig werden, hier so man‐
ches Textwort nun in helleres Licht zu
stellen, als wenn es nur des
Beispiels
halber oder als ein Mittel der
Verstän‐
digung beiläufige Erwähnung finden
sollte, wo es denn füglich auch in
her‐
kömmlicher Lesart und Bedeutung
seinem Zweck entsprochen hätte.
So möge nun die hohe
Weisheit, die
trotz aller späteren Verdunkelung noch
aus dem alten Texte strahlt, den man das
«
Evangelium Johannis» nennt, ein
Leitstern werden allen Suchenden, ‒
ein Leitstern, der ihnen den Weg
zum Geiste erhellt! ‒
*
BEKENNERN seines Namens einst
zum
Gotte geworden, und denen,
die das Tiefste seiner Lehre nie er‐
faßten, eine Beute erdenferner Phanta‐
sie, ward späterer Zeit der hohe Meister,
der die «frohe Botschaft» brachte, in
einem Bilde überliefert, das nur in dürf‐
tigster Kontur noch schwache Spuren
seiner erdenhaften Züge zeigt.
Und doch muß jedem, der des hohen
Meisters wahre Liebe fassen will, zu‐
erst die
irdische Erscheinung des
«Gesalbten» deutlich werden, will er
nicht
Phantasiegebilden sich er‐
geben und in weichlich frommen
Träu‐
men sich berauschen.
Er, von dem man das Wort berichten
konnte:
«WAS NENNST DU MICH GUT?
NIEMAND IST GUT, AUSSER GOTT!»
‒ wie wäre er im
Innersten er‐
grimmt, hätte jemals einer derer, die
ihm nahe waren, es gewagt, ihm göttliche
Ehren zu erzeigen und ihn einen
Gott
zu nennen...
Und wie er die Wechsler und Verkäufer
aus den Tempelhöfen ihres Gottes trieb,
so hätte er jeden «mit einer Geißel aus
Stricken» davongejagt, der ihm gesagt
haben würde: «Meister, auch
dir wird
man einst Tempel bauen!» ‒ ‒ ‒
Er war sich wahrlich seiner geistigen
Würde wohlbewußt, so sehr er dann zu
Zeiten auch sich klein und zaghaft fühlen
mochte.
Wo wäre auch der Mensch zu finden, der
stets nur im Bewußtsein seiner ganzen
Kraft und seines
höchsten Wertes
sich bekundet hätte?! ‒
Ist sein Bewußtsein überlichtet in der
hohen Geisteseinung mit dem «Vater»,
den das Urwort aus dem Urlicht
offenbart ‒ dem großen «Alten», der im
«Anfang» ist: dem Menschen der
Ewigkeit in seiner urgegebenen Zeu‐
gung ‒, dann wird sein Wort «gewal‐
tig», und er fühlt sich über alles Irdische
emporgehoben. ‒ Der Leuchtende
des Urlichts zeigt sich dann in seiner
höchsten Geistesmacht. ‒
In Stunden erdenhafter Bindung aber
scheut er keineswegs davor zurück, auch
seine tiefste Seelenangst zu offen‐
baren, und seine hohe Einsicht droht ihn
scheinbar zu verlassen.
«MEINE SEELE IST JETZT IN BE‐
DRÄNGNIS. WAS SOLL ICH SAGEN?
VATER, RETTE MICH AUS DIESER
STUNDE!»
Er entzieht sich keineswegs dem Um‐
gang mit anderen Menschen, auch
wenn sie durchaus nicht seine Anhänger
sind: ist fröhlich mit den Freudigen
und trauert mit den Betrübten.
Sein Mitgefühl macht ihn zum Schützer
der Armen und Unterdrückten, zu
denen er selbst gehört; aber gleichzeitig
wird er manches Reichen und Vor‐
nehmen Freund.
Gern nimmt er Gastfreundschaft
an, selbst dort, wo er weiß, daß man
kaum an seine Sendung glaubt und ihn
nur geladen hat, um einen so seltsamen
Gast zu sehen.
Wo immer er Güte des Herzens fin‐
det, ist er voll des liebendsten Verstehens;
nur Heuchelei und Herzenshärte
läßt ihn böse Worte finden.
Er drängt seine Lehre keinem auf; doch
wo er fühlt, daß man nach ihr ver‐
langt, auch wenn man sie bewußter‐
weise noch nicht kennt, dort gibt er,
was die Hörer ‒ seiner Meinung nach ‒
wohl fassen sollten.
Er geht nicht auf Ehrungen aus; aber
wenn man ihn ehrt, so fühlt er sich
aller Ehrung wert, und wenn ein
enger Geist unter seinen Begleitern über
Verschwendung zetert, weil kostbare Salbe
dazu dienen muß, des Meisters Füße zu
erfrischen, statt daß man sie verkaufte,
um der Armen Not zu lindern, so
spricht er in Gelassenheit das Wort:
«ARME HABT IHR ALLEZEIT
BEI EUCH, MICH ABER HABT IHR
NICHT ALLEZEIT.»
Wobei er keineswegs ‒ wie die
spätere Auslegung will ‒ den baldigen
Tod vor Augen sieht, sondern lediglich
daran denkt, daß er nicht oft an dem
gleichen Orte weilt.
Nichts Menschliches war ihm fremd, und
er wußte gar wohl um den Kampf der
Geistnatur im Menschen mit des
Menschentieres schwer besiegbaren
Gelüsten.
«IHR
VERURTEILT NACH DEM
SCHEINE,
ICH ABER
VERUR‐
TEILE NIEMANDEN; DENN AUCH
DER
VATER VERURTEILT KEI‐
NEN.»
Von seiner Sendung durchdrungen, er‐
klärt er: man möge den «Tempel» ‒ die
herrschende Priesterlehre ‒ stürzen, und
«in drei Tagen» wolle er sich erkühnen,
ihn wieder «aufzubauen».
Die ihn so sprechen hörten, wußten sehr
genau,
wovon er sprach, auch wenn sie
diese Worte wohlverwahrten, um ihn der
Tempellästerung dann schuldig zu
befinden.
Doch läßt er sich gerne auch
mißver‐
stehen, wo er weiß, daß alle Erklärung
ihm doch nicht
das Verstehen bringen
würde, das er sucht. ‒
Im vollen Bewußtsein seiner geistigen
Sonderstellung unter den Menschen sei‐
ner Zeit kann er selbstherrlich sagen:
«
IHR SEID VON
UNTEN,
ICH
BIN VON
OBEN.
IHR SEID AUS
DIESER WELT,
ICH ABER BIN
NICHT AUS
DIESER WELT.»
Aber er wußte auch wie keiner derer,
die ihm nahe waren,
woher ihm seine
hohe Würde kam ‒ wußte um seine jahre‐
lange geistige
Schulung, ‒ wußte um
das harte
Ringen in
sich selbst,
dem er endlich die
Gewißheit dankte,
aus der er nun zu sprechen und zu
lehren hatte, «anders als die Schrift‐
gelehrten». ‒
Das hohe Mysterium seiner Sendung war
nur wenigen bekannt, und selbst die
Wenigen erfaßten es nicht, bis auf den
Einen, den er «
liebte».
Nur dieser
Eine wußte auch um seines
Meisters geistigen
Werdegang und um
die tiefste
Begründung seines Rech‐
tes, zu
lehren.
Als nach des Meisters Tode dann «die
Herde sich zerstreute», sammelte dieser
Jünger um sich, was
seiner Artung war,
und gab sein Wissen denen weiter, die
in seiner Schulung sich bewährten.
Erst eine spätere Zeit, die längst den
äußeren Kult im steten Wachsen sah,
der aus vorhandenen alten Riten sich ge‐
staltet hatte und aus dem Bilde des hohen
Meisters sich den
Kultgott schuf,
sprengte den kleinen Kreis der
Geisti‐
gen, die von
Johannnes einstens aus‐
gegangen waren.
Als «Ketzer» gebrandmarkt, gingen sie
in der Verborgenheit unter, und mit ihnen
das
Bild des Meisters, der
nie in
seinem Leben sich als «
Messias» aus‐
gegeben hatte und es als Schändung sei‐
ner selbst betrachtet hätte, sich auf die
gänzlich
anders zu verstehenden Pro‐
phetenworte zu beziehen, in denen
Spätere, nach seinem Tode, ihn
«vorherverkündet»
wähnten. ‒
*
HIER wird mir Auftrag nun und
Pflicht, des hohen Meisters
Werden aufzuzeigen, der ‒
so verborgen auch sein Dasein der
Ge‐
schichte blieb ‒ durch jene sagenhaf‐
ten Kunden seines Lebens und den Kult,
der alter Götterlehren dunkle Mystik
unter
seinem Namen neu erblühen ließ,
zu einem
Zeichen des
Widerspruchs
wurde bis auf den heutigen Tag.
Ich werde hier berichten, was dem Schau‐
enden sich zeigt, der aus
Gewißheit
künden kann, was äußerem Erfassen
längst entzogen ist.
Geboren zu
Nazareth in Galiläa ‒
nicht etwa «Nazoräer» nur genannt nach
einer mystischen Sekte ‒, wurde er von
seinem Vater schon im zartesten Kindes‐
alter samt der Mutter mit nach
Ägypten
genommen, allwo zu jener Zeit gerade das
Handwerk des Vaters gut gelohnte Arbeit
fand. Aus dem, was so tatsächlich einst
geschehen war, wurde später die sagen‐
hafte «Flucht nach Ägypten». ‒
Nach wenigen Jahren dann: zurückge‐
kehrt zu seinem Heimatort, half er, so‐
bald er halbwegs herangewachsen war,
seinem Vater bei der Arbeit und lernte
so, fast noch im Spiel, die ersten Hand‐
reichungen tun, soweit sie seinen Kräften
angepaßt erscheinen mochten.
So wurde er schon in früher Jünglings‐
zeit des Vaters Gehilfe, wurde ein Zim‐
mermann, was in jenen Zeiten heißen
wollte, daß er nicht nur bauen lernte,
was aus Holz zu bauen ist, sondern auch
alles gröbere Haus- und Ackergerät aus
Holz zu fertigen wissen mußte. Zum Er‐
werben auch nur der geringsten äußeren
Gelehrsamkeit war weder
Zeit vorhan‐
den, noch entsprach es
Sitte und
Ge‐
wohnheit, daß ein armer junger Hand‐
werksmann nach derlei Dingen strebe.
Erst als sein
geistiger Entwicklungs‐
gang ‒ von dem ich nun zu künden
haben werde ‒ längst
vollendet war,
erlernte er durch Anleitung gelehrter
Freunde, die er dann gewonnen hatte, die
Kunst des
Schreibens in den Zeichen
seiner Muttersprache.
Mit seiner
geistigen Entfaltung aber
ging es also zu:
Vom Vater hatte er nur die
Gebete ge‐
hört, die jeder fromme Jude zu beten
pflegte.
An jedem Sabbat hörte er die übliche
Erklärung des Gesetzes, das von
den Alten überkommen war.
Auch hier war ihm, der selbst
nicht in
den Schriften
lesen konnte, nur sehr
weniges erschlossen.
Wohl aber ward ihm schon seit früher
Jugend, wenn er müde von der
Arbeit,
aber nicht im
Geist ermüdet, wachend
noch auf seinem armen Lager ruhte, ge‐
heimnisvolle
geistige Belehrung, die er
selbst den Eltern streng verborgen hielt,
durch die er aber mehr und mehr die
Weisheit des Gesetzes zu erkennen
glaubte, die ‒ wie er meinte ‒ jene
Anderen erkannten, die in den Schriften
selbst zu lesen wußten.
Wohl
verriet er sich dann und wann,
wenn er die Älteren in der Gemeinde, am
Sabbat oder an den hohen Festen, über
Fragen des Gesetzes reden hörte und aus
der inneren Belehrung her die rechte
Antwort fand, so daß die spätere Legende,
die den
Knaben zu
Jerusalem im
Tempel unter
Schriftgelehrten
lehrend zeigt, im Grunde doch auf wirk‐
lichem Geschehen baut, wenn auch die
Tempelpriester zu Jerusalem gewiß nicht
diese ersten Hörer seiner Weisheit waren.
Die erste Begegnung mit einem der
«
Leuchtenden des Urlichts», de‐
ren hoher Bruder er später werden sollte,
da er
der Artung nach zu ihrem Kreis
gehörte, längst
bevor er durch das
irdische Auge das Licht der Erdensonne
sah, wird ihm in seinen späteren Jüng‐
lingsjahren schon
zu Capernaum, wo
er zu jener Zeit in wochenlanger Arbeit
bei Verwandten seines Vaters lebte und
einen Auftrag seines Vaters auszuführen
hatte.
Noch wußte er vorerst nicht, wer jener
war, der da in abendlicher Feierstunde
ihm am See begegnet war, den er dann
oftmals wieder an der gleichen Stelle traf
und der ihm mehr und mehr das Herz
zu öffnen und den Blick ins Innerste des
Seins zu hellen wußte.
Bald aber mehrten sich Begegnungen
von gleicher Art, so daß es ihm kaum
noch absonderlich erschien, von diesen
offenbar dem gleichen Kreise Zugehören‐
den so aufschlußreiche Lehre zu emp‐
fangen; nur hielt er alles sehr geheim, da
es ihm also aufgetragen worden war. So
hatte er mehrere Jahre zugebracht im
steten Wachsen seiner inneren Erkennt‐
nis, als einer der Männer, die er nun wie
alte Freunde kannte, wenn er auch in
Ehrfurcht sich vor ihnen neigte, ihm einst
die Eröffnung machte: es sei nun für ihn
an der Zeit, eine geregelte Schulung
zu beginnen, obwohl er dadurch keines‐
wegs von seiner Hände Arbeit abgehalten
werde.
Als Zweck der Schulung wurde ihm be‐
zeichnet, daß er durch sie befähigt wer‐
den solle, nicht nur selbst die Weisheit
des Gesetzes bis ins Letzte zu erkennen,
sondern daß er Anderen auch alsdann
die gleiche Weisheit zeigen könne, damit
die Vielen, die nach einer Seelenspeise
in den Schriften suchten, nicht nur der
Schriftgelehrten dürre Auslegung
erhielten, die ähnlich sei, als wenn ein
Hungernder nach Brot verlange und
man reiche ihm einen Stein.
Von da an stand er nun bewußt unter
kontinuierlicher geistiger Leitung derer,
zu denen er dem Wesen nach gehörte.
Sein Tagwerk konnte ihn nicht hindern,
diese Schulung durchzuführen und jede
Prüfung zu bestehen, die sie von ihm
forderte.
Sobald er zu straucheln begann oder
angstvolle Zweifel ihn bedrohten, trat
einer seiner Lehrer unvermerkt stets
wieder ihm zur Seite, stärkte seinen Glau‐
ben und verscheuchte die Dämonenwelt,
die vordem ihn in Schrecken setzen
wollte.
In jahrelanger Geistesschulung war er
endlich so herangereift, daß ihm die
letzten Schuppen von den Augen fielen
und er selbst sich nun in seiner hohen
Sendung sah.
In klarer Sternennacht, auf einer Felsen‐
höhe nahe seinem Wohnort, erhielt er
seine Weihe als ein
Meister der Licht‐
erkenntnis, als ein
Liebender im
Lichte, als ein
Leuchtender unter
Leuchtenden...
Nun wußte er
sich selbst als «
Weg»,
‒ nun wußte er
sich selbst als
«
Wahrheit», ‒ nun wußte er
sich
selbst als «
Leben» aus der Sonne
aller Sonnen, aus dem Lichte, das die
Ewigkeit erhellt. ‒
Von diesem Tage an begann er nun von
dem, was ihm geworden war, auch Ande‐
ren aufs deutlichste mitzuteilen.
Nun sprach er im Bewußtsein seiner
inneren
Berechtigung und suchte an
der Hand der alten Schriften, die ihm
geistig jetzt erschlossen waren, den tief‐
sten Sinn der alten Seherworte aufzu‐
zeigen, obwohl er noch sein Handwerk
weiter trieb wie ehedem.
Seine Zuhörer aber staunten sehr über
seine Rede und wußten sich nicht zu er‐
klären, woher denn ihm, dem Ungelehr‐
ten, solches Wissen komme.
So unerhört erschien den Freunden und
den Anverwandten die Verwandlung sei‐
nes Wesens, daß sie ihn, trotz aller Tiefe
seiner Worte, «von Sinnen» wähnten
und er sich schließlich nicht mehr in der
Heimat halten konnte.
So zog er denn von dannen, um sich an
anderem Orte, wo man ihn nicht kannte,
durch seiner Hände Arbeit zu ernähren
und durch sein Wort die Seelen zu er‐
wecken. Aber wohin er auch kam, konnte
nicht seines Bleibens sein; denn man hörte
ihn Dinge sagen, die nie gesagt worden
waren, und die Schriftkundigen waren
voll des Neides darüber, daß viele ihm
mehr zu glauben schienen als ihnen.
Nun irrte er geraume Zeit umher, bis er
sich wieder nach
Capernaum wandte,
das ihm lieb geworden war. Es hatte
sich ja dort die erste Begegnung einst
ereignet mit einem seiner hohen Brüder,
die ihm auch jetzt Verheißung gaben,
daß er allda die gesuchte Ruhe finden
werde.
Dort in
Capernaum sollte ihm nun die
Freundschaft eines begüterten Mannes
werden, der ihn mit Freuden aufnahm
und begeistert seinen Reden lauschte.
Im Hause dieses Mannes fand er dann
auch andere, gelehrte Freunde, und in
diesem Zufluchtsorte lernte er durch sie
seiner Sprache Schriftzeichen lesen und
schreiben.
Das
Ansehen, das er hier bei den
Wohlgeachteten genoß, hatte allmählich
ringsum seinen Ruf verbreitet.
Da nun in jener Zeit das Volk des Glau‐
bens war, daß ein solcher Weiser auch
über geheime Künste verfüge, durch die
er alle Krankheit heilen könne, so
kam bald dieser und bald jener in des
vornehmen Mannes Haus und bat, daß
der weise Rabbi ihn heile.
Anfänglich widersetzte sich der Meister
solchem Begehren und schickte die Kran‐
ken zu den Ärzten.
Dann aber mehrte sich der Ansturm, und
von Erbarmen erfaßt, ging er zu den
Kranken hinaus, um sie zu trösten. Aber
es geschah, daß viele von denen, die er
berührt hatte, schon bald darauf sich
geheilt fühlten, so daß der Meister zu‐
erst selbst nicht wußte, was er von sol‐
chen Dingen halten sollte.
Es war ihm aber fernerhin nicht mehr
möglich, sich den Bitten der Kranken zu
entziehen, die nichts von ihm verlangten,
als daß er sie nur berühren möge.
Selbst von weit her wurden Kranke zu
ihm gebracht, und der Glaube an seine
«Wunderkraft» erstarkte mehr und mehr.
Bekannte sich nachher einer als geheilt,
so betonte stets der Meister selbst, daß
nur sein eigener Glaube ihm geholfen
habe.
Auch verbot er jedem strenge, von seiner
Heilung weiterzuerzählen, da er dem An‐
drang kaum mehr sich gewachsen fühlte.
Im Laufe der Zeit jedoch erkannte er,
daß ihm eine Kraft des Heilens inne‐
wohne und daß nicht der Glaube der
Geheilten nur allein ihrer Heilung Ur‐
sache war.
Zwar konnte er nicht alle Krankheit
heilen; aber der Geheilten Zahl ward
trotzdem täglich größer.
Geraume Zeit des Tages brauchte er, um
allen die Hände aufzulegen, die er heilen
sollte.
Bis spät in die Nacht aber fand er Zu‐
hörer um sich versammelt, die seiner
neuen Gesetzesauslegung lauschten, und
unter diesen fand er auch die Ersten, die
ihm geeignet schienen, seine besonderen
Schüler zu werden.
Ihnen
allein aber suchte er zu offen‐
baren, woher
ihm selbst seine Weis‐
heit geworden war.
Lange schon hatte er erkannt, daß er
nun kaum mehr sein
Handwerk weiter
betreiben könne.
Doch da er wußte, daß er stets das Nötige
im Überflusse finden würde, wenn er ‒
getreu dem
geistigen Gesetze ‒ es
seinem «
Vater» überließe, ihn zu näh‐
ren und zu kleiden, so kam keine Sorge
in ihm auf, und schließlich bat er
seinen Gastwirt, ihn nun ziehen zu las‐
sen, damit er auch an anderen Orten leh‐
ren könne.
Die Gegnerschaft der ersten Tage schien
ihm nun längst nicht mehr bedenklich.
Die ersten Schüler aber, die zu
Caper‐
naum von ihm gefunden worden waren,
wollten ihn nicht lassen und folgten ihm.
Jeder von ihnen nahm auf seine Weise
in sich auf, was der Meister ihnen zu
geben hatte.
An manchen Orten, seines Rufes als
Heiler wegen, mit seinen Schülern
freudig aufgenommen, mußte er
doch auch an anderen Orten
schroffste
Zurückweisung erfahren, und für
die Menschen seines
Heimatortes
blieb er der anmaßende «
Narr», den sie
schon zu Anfang in ihm gesehen hatten.
Das Volk aber nannte seine Heilungen
‒ dort, wo sie erfolgen konnten ‒
«
Wunderwerke», und man verstand
ihn nicht, wenn er in solchen Fällen stets
betonte, daß nur der
eigene Glaube
und die
ausströmende Kraft aus
dem
Körper des Heilenden solche
«Wunder» wirke.
Den alten Lehren seines Volkes gab er
eine
Auslegung, durch die sie auch
vor
höherer Erkenntnis noch bestehen
konnten, und nur wo er sterilen Formel‐
kram die Gläubigen bedrücken oder den
düsteren Stammesgott der Vorzeit Opfer
fordern sah, sprach er das Wort:
«
DEN ALTEN WARD GESAGT...
ICH ABER SAGE EUCH...!»
Nachdem er so fast ein Jahr in Galiläa
heilend und lehrend mit wechselndem
Erfolg umhergezogen war, glaubte er zu
erkennen, daß nur in Jerusalem sei‐
nem Worte der rechte Nachhall werden
könne, und durch die Freunde von
Capernaum bereits bei deren Freun‐
den in der Heiligen Stadt aufs beste an‐
gekündigt, schloß er sich mit seinen
Schülern den Pilgern an, die zum Oster‐
feste nach Jerusalem wallten.
Die vornehmen Freunde nahmen ihn
gastlich auf; aber sein erstes Auftreten
schon zog ihm den Haß der Tempel‐
priester zu.
So verließ er bald die Stadt, kehrte aber
nicht nach Galiläa zurück, sondern blieb
in ihrer Nähe, um immer wieder kurze
Zeit in ihr zu verweilen, mied sie aber
doch mehr und mehr, nachdem er immer
deutlicher gewahr geworden war, daß
seine vornehmen Freunde ihn kaum schüt‐
zen könnten, falls er der
Priester‐
schaft in die Hände fiele, die er gar
hart in seinen Reden angegriffen hatte.
Er
heilte und
lehrte, wo er auch war,
so wie ehemals in Galiläa.
Es konnte darum nicht fehlen, daß er
stets größerer Kreise
Hoffnung wurde,
besonders unter den Armen und Entrech‐
teten, die auf die knechtende Priester‐
herrschaft noch weniger gut zu sprechen
waren als auf die fremden Unterdrücker.
So kam es denn, daß alles Volk immer
mehr des Glaubens wurde, daß er der
in alten Schriften vermeintlich
Verheis‐
sene sei, der aus der Priester- und der
Römer Knechtschaft nun die Armen be‐
freien müsse.
Die aus dem immer ruhelosen Haufen
der Hauptstadt also dachten, hatten er‐
fahren, daß der Meister kurze Zeit vor
dem Osterfeste wieder nach Jerusalem
kommen werde, und sie bereiteten alles
vor, um ihn, sobald er käme, zum Kö‐
nige auszurufen, da sie der Priester
Macht nur durch die römischen Kohorten
gesichert sahen, der Römer Gewalt
aber aus ihrer Enge her nicht begreifen
konnten.
Als der Meister nun kam, zog man ihm
vor die Tore mit großem Jubel entgegen
‒ Männer, Weiber und Kinder ‒, und
ihre Sprecher verlangten von ihm, daß
er sie gegen die Bedrücker führe.
Überwältigt von allem, was er sah, ver‐
ließ ihn hier die Sicherheit des inneren
Bestimmens, und so wie Moses nach
der Sage zweifelte, ob er dem Volke
Wasser schaffen könne, so
glaubte er
vielmehr für kurze Augenblicke, die
Macht, die man ihm zuerkennen wollte,
könne
seiner Sendung Stütze
werden.
Nur allzubald sah er den Irrtum ein, so
daß er kaum die Stadt betreten hatte, als
er dem aufgeregten Haufen sich entzog
und in dem Hause eines seiner vorneh‐
men Freunde Zuflucht suchte, bis die
Menge durch der Römer Wachtsoldaten
auseinandergetrieben war.
Allein, die Folgen seines kurzen Schwan‐
kens ließen sich auf
geistigem sowie
auf irdischem Gebiet nicht mehr ver‐
meiden.
Längst schon den Priestern des Tempels
als bitterer Mahner
verhaßt und um
seines Ansehens bei dem Volke willen
gefürchtet, hatte er jetzt selbst die
Gelegenheit geschaffen, ihn bei der römi‐
schen Obrigkeit zu verklagen als einen,
der sich gegen ihre Herrschaft wende:
einen
Aufwiegler des Volkes, der
des Volkes
König werden wolle.
Es war die römische Obrigkeit wahr‐
haftig Tumulte unter diesem Volke ge‐
wohnt und hätte auch den neuesten am
liebsten übersehen; allein, bei solcher
Art der Klage war es nicht mehr möglich,
die Verhaftung des Beschuldigten zu
unterlassen.
Der weltkluge römische Prokurator, der
deutlich sah, aus welchen Gründen man
ihn hier gebrauchte, fühlte in seinem
Stolze sich verletzt und suchte der Nöti‐
gung zu einem Urteilsspruche sich zu
entziehen.
So schob er die Vernehmung denen zu,
die Klage erhoben hatten.
Er ahnte nicht, wie sehr willkommen es
jenen war, den Gehaßten nun scheinbar
mit besten Gründen auch nach ihrem
Gesetze zu verurteilen.
Es gab seiner Worte genug, die man frü‐
her nicht zu ahnden wagte und die ihn
nun des Todes schuldig erscheinen las‐
sen konnten. Überdies hatte er ja «den
Tempel gelästert»: was wollte man
noch mehr! Da ihnen aber eines Todes‐
urteils Vollstreckung unter der Rö‐
mer Macht entzogen war, so brauchten
sie nur darauf zu beharren, daß er das
Volk verführe und sich zum Könige
ausrufen lassen wolle, um die römische
Gerichtsbarkeit zu zwingen, den haß‐
geborenen Richterspruch an ihrer Stelle
auszuführen.
Die Folge war, daß der Gehaßte starb am
römischen Kreuzesgalgen, nachdem ihn
römische Söldner aus aller Welt und
jüdische Tempelknechte schon fast zu
Tode gepeinigt hatten.
Hier aber, als sein Erdenwirken schon
beendet schien, vollbrachte erst der Mei‐
ster jene größte
Liebestat, durch die
er allen, die da Geistiges erschauen, über
alle Menschengröße hoch erhaben bleibt
für alle Zeiten, als der
Größte aller
Liebenden, die je die Erde trug ‒ und
keiner kann je nach ihm kommen, der
ihn an Liebeskraft erreichen würde...
In dieser letzten Stunde ist es ihm ge‐
lungen, das
Menschentier in sich der
Macht des
Geistigen zu
absoluter
Einheit des Empfindens zu ver‐
einen, so daß er die Vernichter seines
Erdenlebens noch in der Vernichtung
lieben konnte wie sich selbst.
Die unsichtbare Erde, die diesen Erd‐
ball in sich trägt gleichwie das Ei den
Dotter, ist seit jener heilighohen Stunde
der Macht des «Fürsten dieser Welt»
‒ des unsichtbaren, aber nur seiner
selbst und nicht im Geiste bewuß‐
ten, vergänglichen Gewaltigen, der
in dem liebeleeren Dunkel der Materie
sich selbst erlebt und alles in sein eige‐
nes Erleben ziehen möchte ‒ für alle
Zeit entwunden...
So wie er selbst in dieser Stunde über‐
wunden wurde, kann alle Macht der
Finsternis auf dieser Erde nunmehr über‐
wunden werden, durch jene, die um
solche Macht des Menschen wissen und
«guten Willens» ‒ wollend aus
der Liebe ‒ sind.
Wüßte die Menschheit der Erde um
ihre Macht ‒ wahrhaftig, sie würde
schon seit fast zwei Jahrtausenden der
Erde Angesicht verwandelt haben, so daß
den Menschen, die in diesen Tagen noch
der Erde Not erleiden, ein Erdenzustand
dargeboten wäre, der ihnen wie des Him‐
mels Seligkeit erscheinen müßte. ‒
Zwar wird auf dieser Erde
nie ein
«
Garten Eden» sich erschaffen lassen;
allein, was hier sich dennoch wandeln
läßt, ist so gewaltig, daß späte Enkel
sicherlich in gleicher Weise voll Entsetzen
stehen, finden sie die Spuren
heutigen
Geschehens unter Menschen ‒ wie jeden
heute Lebenden das Grauen packt, wenn
er die Gräber jener Menschtierahnen
öffnet, die, wie die Funde zeigen, ihrer
Feinde Hirne aus den Schädeln saugten
und das Mark aus ihren Knochen fraßen.
Erst wenn diese Menschheit erkennen
wird,
was sie vermag, sobald sie,
aus
der Liebe wirkend, dieser Erde An‐
gesicht zu wandeln sucht, wird jene
Liebestat auf Golgatha ihr end‐
lich fruchtbar werden. ‒
*
DAS GRÖSSTE, was ein Mensch
der Erde je vollbringen konnte,
ward noch im
Kreuzestod
dereinst auf Golgatha vollbracht: ‒
des
Erdenmenschen Schicksal ward
gelöst aus kosmischer Verhaf‐
tung! ‒
Es ist nun weiter zu berichten, was
nach
des Meisters Erdentod sich noch ereig‐
nete, da hier die
Wahrheit durch das
Werk der frommen
Phantasie schon
in den allerersten Zeiten
Übertün‐
chung leiden mußte, durch die das
wirkliche Geschehen aller späteren
Zeit
verborgen bleiben sollte. ‒
Wohl trägt die fromme Mär in sich der
Wahrheit
Kern, und wer ihn unter
seiner Hülle fassen kann, wird nicht be‐
trogen sein.
Wohl ist der Leuchtende aus seinem
Erdengrabe «auferstanden»; allein,
die irdische Erscheinung konnte
ihm in seiner «Auferstehung» nicht
mehr Träger seines Wesens sein.
Wohl ist der Leuchtende auch heute
noch bei dieser Erde und seinen Brüdern,
die in irdischer Erscheinung wirken, sicht‐
bar in der geistigen Gestaltungsform,
die seiner erdenhaften Daseinsform, in der
ihn seine Jünger kannten, voll entspricht.
‒ Allein, dies alles kann gewiß nicht hin‐
dern, daß dem irdischen Geschehen
nach des Meisters Tode für die Nachwelt
noch Bedeutung innewohne.
So sei denn dargestellt, was sich dem
Schauen zeigt, da doch der Kern des
frommen Glaubens, der die Menschen
durch Jahrhunderte hindurch beglückte,
in diesen Tagen kaum der Hülle mehr
bedarf, ja
durch die Hülle in Gefahr
gerät, von denen
nicht erkannt zu
werden, die ihn suchen. ‒
Es folge hier nun der Bericht:
Die vornehmen Freunde des Meisters
hatten sogleich nach seinem Tode alles
aufgeboten, um seinen
Leichnam
durch den römischen Prokurator zu er‐
halten, da vorher alles vergeblich gewesen
war, was sie unternommen hatten, um
den Todesgang ihm zu ersparen.
Der Prokurator aber ‒ des Meisters
Freunden ohnehin wohlgesinnt und voll
Verachtung gegenüber der Tempelprie‐
sterschaft, die ihn zu zwingen wußte,
einen Mann zu richten, der ihm nie und
nimmer eine Staatsgefahr zu bilden schien
‒ gewährte nur zu gerne nun den Freun‐
den ihren
Toten, nachdem er vorher
trotz dem besten Willen nicht imstande
war, den
Lebenden ihnen zu retten.
Als aber die Tempelpriester davon hör‐
ten und mit Sicherheit wußten, daß ihnen
kein Gehör beim
Prokurator würde,
bestürmten sie den
Obersten der
Stadtwache und erreichten, daß er
ihnen Wächter stellte, die das Grab be‐
wachen sollten; denn sie fürchteten sehr,
daß des Toten Anhang sonst bei
dem Grabe weheklage und seine
Wut sodann gegen die Priester
richte. So erhielt das Grab nun eine
römische Wache, die den Auftrag hatte,
jede Ansammlung dort zu verhüten.
Es lebten aber zu der Zeit die hohen
Brüder des Meisters ‒ die ihn einst
geschult und als der Ihren einen
voll‐
endet hatten zu seinem
Priester‐
königtum ‒ verborgen noch an nahen
Orten im judäischen Gebirge, und wäh‐
rend seines Wirkens war der hohe Meister
ihnen oftmals in der Einsamkeit begegnet,
hatte oft sie an den Stätten ihrer Ab‐
geschiedenheit besucht.
Sie wußten, was ihm widerfahren war,
und hatten ihn nicht retten können; denn
seine geistige Schuld: daß er ‒ wenn
auch für Augenblicke nur ‒ die äußer‐
liche Macht auf Erden sich zur Seite
stellen wollte, hatte sein Geschick ent‐
wunden jener hohen Geistesleitung, der
sie unterstanden und die auch ihn einst
führte, bevor er sich bei jenem Einzug
in Jerusalem für kurze Zeit betören ließ
durch das bestürmende Begehren derer,
die in ihm den Retter aus der äußeren
Bedrängnis sahen.
Die Wandlung der Gesetze in der un‐
sichtbaren Erde, die er dann
selbst
durch seine Liebestat auf Golgatha
voll‐
brachte, hätte
sein Endesschicksal ihm
erspart, wenn
vor ihm ein
Anderer
ihr Vollbringer gewesen wäre.
Da aber diese Wandlung erst in seiner
letzten Stunde sich
durch ihn vollbrin‐
gen ließ, so mußten seine hohen Brüder,
schmerzerfüllt und doch im Innern ju‐
belnd seines Siegs gewärtig, ihn den Lei‐
densweg betreten lassen. ‒ ‒
Sie wußten nun um sein
Grab, und
ihnen war er
lebend nahe in seiner
geistigen Gestaltung.
So taten sie, was zu tun war, völlig
mit
seinem Einverständnis und
nach
seinem Willen, damit kein törichter
Kult um seinen
Erdenleichnam sich
bilde.
Es war einer unter ihnen, der die Kunst
verstand, bei bloßer Wechselrede Men‐
schen in magischen Schlaf zu bannen.
Dieser ging voran zu des Grabes Wäch‐
tern, und da er wie ein Großer der
Römer gekleidet war, so gaben die Wäch‐
ter ehrfurchtsvoll Antwort seinen Fragen,
bis ihre Zungen nur noch lallen konnten
und sie zuletzt in tiefen Traumschlaf
niedersanken.
Nun war die Zeit gekommen, die anderen
Brüder, die in der Nähe harrten, herbei‐
zurufen.
Mit einiger Mühe öffnete man das Grab
und nahm den Leichnam sorglichst her‐
aus. Dann legte man ihn, umbunden mit
seinen Leichenbinden, auf zwei lange
Tücher, die man mitgebracht hatte, so daß
er gleichsam auf dem einen saß, indes
das andere den Oberkörper hielt.
In monderhellter Nacht trug man sogleich
die geliebte schwere Bürde mit vieler
Mühe weit hinauf in das Gebirge, bis
zu einer Felsenschlucht, die man schon
vorher ausersehen hatte ‒ allwo ein
Scheiterhaufen tags zuvor bereitet
worden war und zwei der hohen Brüder
harrten.
Es waren aber diese Brüder vornehme
Männer aus fremdem Stamme ‒ einst
weit her vom Osten gekommen ‒, und
nach ihres Stammes Weise wurde der
teure Leichnam nun hier verbrannt,
wo man gesichert war vor jeglicher Stö‐
rung. Das Licht des Mondes dämpfte zu‐
dem jeden Feuerschein, und weit und
breit war dazumal in jener Wüstenei kein
Mensch gesiedelt, so daß man auch ein
Feuer nicht beachtet hätte, wäre nicht die
Schlucht schon Schutz genug gewesen, es
vor Entdeckung in der Weite ringsherum
zu hüten.
Als dann im lichten Frührot die Glut
erlosch, sammelten sorglich die hohen
Brüder jeden Überrest, der noch ver‐
blieben war, und trugen ihn, in Tücher
eingehüllt, auf langer Wanderung dem
Jordan zu, um dort das Letzte, das noch
von des Meisters irdischer Erscheinung
stammte, in dieses Flusses Fluten zu ver‐
senken, so wie es in ihrem Stamme Brauch
und Sitte war.
Sie blieben darauf, zurückgekehrt, noch
geraume Zeit an ihren verborgenen Orten
im Gebirge und suchten von dort aus
dann und wann die Schüler des Meisters
auf, die nach seinem Scheiden aus der
Sichtbarkeit noch in seiner
geistigen
Gemeinschaft blieben.
Zwölf Monde später aber verließen sie
dauernd die Gegenden Palästinas, wan‐
derten gen
Osten: ihrer Heimat zu ‒
nahe dem höchsten Gebirge der Welt...
Sie waren
wirklich jene «Könige» aus
Morgenland ‒ die
Priesterkönige
und
königlichen Priester ‒, die
einst den «Stern» des jungen Zimmer‐
manns aus Galiläa «fern im Morgenland
gesehen» hatten und gekommen waren,
ihn zu schulen, bis er seine Sendung
selbst erfassen konnte, auch wenn sie
nicht, wie jene spätere Sage will, schon
zu des
Kindes Wiege knieten, um ihm
ihre Gaben darzubringen. ‒
Die Sage formte nur auf ihre Art, was
einst die Wenigen, die in des Meisters
nächster Nähe waren, durch ihn selbst
erfahren hatten und später denen, die bei
ihnen Lehre suchten, in tief geheimer
Rede anvertrauten.
Sie formte es wohl altem, fernem
Vor‐
bild gleich, und dennoch wahrte sie der
Wahrheit Züge; denn wenn auch
sie‐
ben dieser hohen Brüder einst zu jener
Zeit das öffentliche Wirken ihres neuen
Bruders aus der Nähe sahen, so waren
doch nur
drei von ihnen seine eigent‐
lichen
Lehrer ‒ und
drei der Leuch‐
tenden sind jeweils nötig, soll ein
neuer
Ring der goldenen Kette ein‐
geschmiedet werden, die von den
ersten Tagen dieser Menschheit an sich
stets erneuern muß in jedem Menschen‐
alter. ‒
Der Schreiber jener alten Kunde, die
man das «
Evangelium Johannis»
nennt,
wußte von allen diesen Dingen
und redete zu Menschen, die aus ge‐
heimer Lehre vieles davon kannten.
Das Wissen um des Meisters hohe
Lehre
setzt seine Sendschrift schon
voraus,
und wenn die Lehre auch den
Wissen‐
den aus manchem Wort entgegenleuch‐
tet, so war sie doch den
Außenstehen‐
den noch immer dicht genug verhüllt.
Verhüllung aber forderte das geistige
Gesetz zu jener Zeit.
Doch auch in des
Geistes Wirken gibt
es der
Ebbe Zeiten und Zeiten der
Flut:
‒ Zeiten der
Verhüllung und der
Offenbarung.
So ist es denn heute möglich, da zu
reden, wo man vordem
schweigen
mußte.
Doch ist auch
heute keine Gefahr, daß
etwa
Unberufene dem stillen Tem‐
pel göttlicher Verborgenheit sich nahen
könnten.
Die den Weg zu
finden wissen, der zu
diesem Tempel führt, werden stets nur
die Erwählten sein, die aus
reinster
Herzensinbrunst suchen, bis ihnen
die ersehnte
Führung wird
im eige‐
nen «
Ich».
Geheimnisvoll Verborgenes wird ihnen
sich enthüllen; doch was auch immer
noch im Laufe der Jahrtausende sich
dieser Menschheit
offenbaren mag,
wird stets weit tieferes
Geheimnis in
der Ferne zeigen, und
niemals wird die
Gottheit sich dem Erdenmenschen als
Gegenstand
begrifflichen Erfas‐
sens überlassen. ‒
Nur
Bild und
Gleichnis dürfen von
der letzten Wahrheit Kunde bringen!
Wer aber solche Wahrheit nicht mehr
außen sucht; wer da erkannt hat, daß
sie nur im
Innersten des
Innern
Menschen faßbar werden kann «
von
Angesicht zu Angesicht», dem
zeigen Bild und Gleichnis
Weg und
Weise, in das Innerste des Innern zu
gelangen.
Dort kann ihm, ist er ein Berufener,
noch vieles sich eröffnen, was ich hier,
und so vor
jedem Menschenohr,
ver‐
schweigen muß: ‒ sei es, daß Men‐
schenwort die Weite dessen nicht um‐
spannt, was hier zu sagen wäre, sei es, daß
solches Wissen keinem nützen würde, der
es nicht aus dem
Innersten erlangt,
wo es allein
für ihn erfaßbar werden
kann. ‒
Was ich zu sagen habe, ist mir selbst
genau umrissen.
Ich kann nur darzustellen suchen, was
mir darzustellen
aufgetragen ist, da‐
mit das
Licht erneut die Finsternis
durchdringe.
Es sind in diesen Tagen allerorten
viele,
die nach Licht verlangen ‒
weit mehr
als je zu einer früheren Zeit ‒,
und heute ist geschriebenes Wort, das
sie allein mit Sicherheit erreichen kann,
längst nicht mehr in Gefahr, durch
Ab‐
schrift umgeformt und so
gefälscht
zu werden.
Wohl ihnen allen, wenn mein Wort zu
ihren
Herzen findet und sie der
Fin‐
sternis entreißt, damit sie auf den
Weg gelangen, den höchste Liebe
schuf, und so zur Auferstehung
in sich selbst! ‒
*
DER ALTEN Sendschrift erste
Formung wiederherzustellen,
ist auch dem Schauenden un‐
möglich, dem sich dagegen der ursprüng‐
liche Inhalt zeigt in geistigem Erschauen
seiner urgegebenen Bedeutung und
keineswegs etwa in Worten jener alten
Sprache, in denen ihn die Urschrift
dargeboten hatte. ‒ Geistiges Erschauen,
das nur bei wachen, ‒ ja fast überwachen
Sinnen erreichbar ist, erfordert von dem
Schauenden, der noch an die Gesetze
dieser Erde durch die irdische Erschei‐
nungsform gebunden ist, so unerhörte
Kräfte, um die Einstellung auf das
Erschaubare auch festzuhalten, daß über‐
dies hier auch der Wert des Resultats in
keinerlei Verhältnis stehen würde zu dem
Aufwand, den die Erreichung dieses Re‐
sultats verlangte, wenn man der ganzen
Urschrift ursprünglichen
Sinn in lük‐
kenloser Folge wiedergeben wollte. Die
Wenigen allein, die solches Schauen aus
Erfahrung kennen ‒ und nur den
noch im Erdenkleide hier auf dieser Erde
Wirkenden der «
Leuchtenden des
Urlichts» ist ein solches Schauen mög‐
lich ‒, wissen um die Kraftausgabe lan‐
ger Jahre, die da Vorbedingung ist, um
in des
eigenen Erlebens Helle zu er‐
blicken, was ein Menschengeist der Vor‐
zeit in sich trug, als er sein Werk zu for‐
men suchte.
Was so erschaut wird im
Erleben
‒ nicht etwa
von außen her ‒, muß
dann erst
neue Formung finden in den
Worten dessen, der es schaut, um so in
seiner eigenen Redeweise des
ersten
Formers
wahre Meinung aufzuzeigen,
in einer Wortform, die den Menschen
seiner Tage sich erschließen kann, selbst
wenn er dabei keineswegs darauf ver‐
zichtet, sich auch der Worte zu bedienen,
die er in den Textfragmenten noch er‐
halten sieht in ursprünglicher Ge‐
staltung.
Es würden jene, die «das Wort der
Schrift» für «göttlich» halten, nur
frevelhafte «Schriftverfälschung»
wittern, und jene anderen, die ohnedies
aus eigener Erforschung wissen, wie es
in Wahrheit um die «Göttlich‐
keit» des alten, arg entstellten Textes
steht, würden gleichwohl eine neue
Wiedergabe, die sich, ohne äußeren «Be‐
weis» für ihre Findungen, als Resultat
des geistigen Schauens zu beken‐
nen hätte, bestenfalls als Träumerei be‐
werten. ‒
Ich werde dennoch ‒ wenn auch nur im
Bruchstück ‒ manches aus dem alten
Texte hier in diesem Buche wiedergeben
müssen und werde es hier wiedergeben,
so wie es sich dem Schauenden dem
Sinne nach enthüllt. Es sei mir aber
ferne, frommen Glauben anzutasten,
der den arglos Gläubigen beglückt und
ihn ‒ ist er es wert ‒ auch in der wun‐
derlichsten Form zur Wahrheit füh‐
ren kann.
Gleich ferne liegt mir die törichte Ab‐
sicht, was ich in diesem Buche bringe,
der gelehrten Forschung zu emp‐
fehlen, obwohl ich in mir selber gute
Gründe finde, um hier auszusprechen,
daß sicherlich noch manche alte Hand‐
schrift ihres Finders harren dürfte, aus
der sich meiner Wiedergaben Richtigkeit
dereinst erweisen lassen wird...
Hier sei zuerst nun aufgezeigt, wie jene
Glaubenseiferer des neuen Kultes, denen
einst die alte Sendschrift in die
Hände fiel, mit ihrem Texte skrupellos zu
schalten wußten.
Der unbekannte Verfasser dieser Send‐
schrift hatte einst ‒ dem Sinne nach
‒ geschrieben:
«IM ANFANG IST DAS WORT, UND
DAS WORT IST IN GOTT, UND GOTT
IST DAS WORT.
ALLES HAT DASEIN NUR IN IHM,
UND AUSSER IHM IST NICHTS
IM DASEIN: AUCH DAS GERINGSTE
NICHT. IN IHM HAT ALLES LEBEN,
UND SEIN LEBEN IST DER MEN‐
SCHEN LICHT.
DAS LICHT LEUCHTET IN DER
FINSTERNIS, UND DIE FINSTERNIS
KANN ES NICHT AUSLÖSCHEN.
ES IST IN DER WELT, UND DIE WELT
IST AUS IHM GEWORDEN; ABER
DIE WELT ERKENNT ES NICHT.
ES IST IN SEINEM EIGENEN; ABER
DIE IHM EIGEN SIND, NEHMEN
ES NICHT AUF.
ALLEN ABER, DIE ES AUFNEH‐
MEN, GIBT ES MACHT, GOTT‐
GEZEUGTE ZU WERDEN: DIE
NICHT GEZEUGT WERDEN AUS
DEM BLUTE, NICHT AUS DES
WEIBES WILLEN, NICHT AUS
DES MANNES WILLEN, SONDERN
AUS GOTT GEZEUGT, AUS DER
FÜLLE DER GNADE UND WAHR‐
HEIT.»
Hier war einst der Zusammenhang durch
nichts anderes unterbrochen, und es
war lediglich Absicht des Verfassers,
durch diese Worte, die sich im engsten
Anschluß an die damals verbreitete Lehre
vom «Logos» hielten, den Getreuen, an
die seine Sendschrift gerichtet war, einen
deutlichen Hinweis zu geben, in welchem
Sinne er das nun Folgende aufgefaßt
wissen wollte.
Und dann erst begann er die Erzählung
von dem Täufer, die er bereits in den
alten Schriften vorgefunden hatte, auf
seine Weise zu verwerten, da er nicht nur
zu den Jüngern des Täufers, die
zu jener Zeit noch zu finden waren, sich
im Gegensatze wußte, sondern auch
den Seinen zeigen wollte, daß weder die
strenge Askese, die der Täufer als ein
Abgesandter einer mystischen Sekte einst
gepredigt hatte, das Heil gewähre, noch
die Wassertaufe des neuen Kultes,
der sich nach dem hohen Meister
nannte. Daneben aber wollte er dem Irr‐
tum wehren, als sei der hohe Meister ‒
wie es ältere Sage wollte ‒ erst des Täu‐
fers
Schüler gewesen, bevor er selbst
zu lehren begann.
Darum läßt er des
Täufers Jünger die‐
sen verlassen, als er selbst bekennen muß,
daß er zwar mit
Wasser taufe, jener
Jehoschuah aber mit
Geist zu taufen
wisse.
Dies nun sagten ‒ dem
Sinne nach
‒ die ursprünglichen Worte:
«ES WAR EIN MENSCH, DER NANNTE
SICH
JEHOCHANAN.
UND DIES IST ZU BETHANIA GE‐
SCHEHEN, JENSEITS DES JORDANS,
WO JEHOCHANAN TAUFTE.
JEHOCHANAN SPRACH:
ICH TAUFE MIT
WASSER; ABER
ES IST EINER IN EURER MITTE UND
IHR KENNT IHN NICHT: DER WIRD
TAUFEN MIT GEIST!
NICHT WERT FÜHLE ICH MICH, IHM
AUCH NUR DIE RIEMEN SEINER
SANDALEN ZU LÖSEN.
EINES ANDERN TAGES ABER STAND
JEHOCHANAN DA MIT ZWEIEN SEI‐
NER JÜNGER.
UND ALS ER DEN JEHOSCHUAH
VORÜBERGEHEN SAH, SPRACH ER;
DIESER IST ES!
ICH KANNTE IHN SELBST NICHT;
ABER DER MICH BEAUFTRAGT HAT,
MIT WASSER ZU TAUFEN, SPRACH
ZU MIR:
WENN DU EINEN SEHEN WIRST, ZU
DEM EIN GEIST HERABKOMMT
UND ER BLEIBET IN IHM: DER IST
ES, DER MIT GEIST ZU TAUFEN
KOMMEN WIRD.
UND JEHOCHANAN BEZEUGTE UND
SPRACH:
ICH SAH EINEN GEIST AUF IHN
SICH NIEDERSENKEN, WIE SICH
EINE TAUBE NIEDERLÄSST, UND
DER GEIST BLIEB IN IHM.
UND DIE ZWEI JÜNGER HÖRTEN
IHN DAS SAGEN UND FOLGTEN DEM
JEHOSCHUAH.»
Läge die
Urschrift heute einem Über‐
setzer vor, so könnte er vielleicht die
Form der Sätze anders wiedergeben,
vermöchte aber keinesfalls zu anderer
Bedeutung zu gelangen.
Es war dem Verfasser der alten Send‐
schrift
keineswegs daran gelegen, daß
sich die Form, in der er die Erzählung
gab, mit den Berichten deckte, die aus
ihr sich die Bestätigung zu schaffen such‐
ten, daß der Täufer in dem Meister den
«Messias» erkannt und bekundet habe.
Es fehlt hier auch vieles, das man an
gleicher Stelle in der heute überlieferten
Textgestaltung findet.
Was hier aber fehlt, ist in dem über‐
lieferten Texte Zutat der gleichen
Gehirne, die den Urtext so zu ändern
wußten, daß des Täufers schon Erwäh‐
nung geschieht in den Worten, die der
ganzen Sendschrift Auftakt bilden.
In mannigfacher Abwandlung suchten sie
den Urtext den ihnen heiligen früheren
Berichten anzugleichen.
Was in der ersten Zeit des neuen Kultes
«Abschrift» hieß, war nichts als Para‐
phrase, und jeder Schreiber, der aufs
neue Abschrift nahm, hielt es für durch‐
aus gut und richtig, den Text so zu ver‐
ändern, daß er seiner eigenen Glau‐
bensmeinung Stütze wurde.
Auf solche Weise ist der Text der ganzen
Sendschrift oftmals umgestaltet worden,
bevor der Text entstand, der aller über‐
lieferten Gestaltung nun zugrunde liegt.
Man kann bedauern, daß die Urschrift
nicht erhalten ist; allein, man darf
nicht ‒ durch seine Wünsche bestimmt
‒ das heute Überlieferte nach Möglich‐
keit zu retten suchen, sondern muß sich
klar darüber werden, daß weit mehr
davon Veränderung und Zutat ist,
als das Erhaltene ausmacht, was noch
originale Züge trägt. ‒ ‒
Nur wer die Lehre in sich aufgenommen
haben wird, die einst der hohe Meister
den Getreuen gab und die noch in dem
kleinen Kreis lebendig war, an den der
Urschrifttext dereinst erging, der wird mit
aller Sicherheit erfühlen, was noch
Ur‐
schriftprägung trägt und was da
fromme
Fälschung ist.
Solange sich nicht wohlverwahrte alte
Texte finden lassen, die der Urschrift
immerhin noch
näher stehen als das
heute Überlieferte, wird dies der
einzige Weg sein, hier zur
Klarheit zu gelangen.
*
DES hohen Meisters
reine Lehre,
die er allein nur den Ge‐
treuen gab, reicht wahrlich
weiter als die Lehren
ethischer Natur,
die er
vor allem Volke sprach, und
als jene, die man später aus der «Heid‐
nischen» Weisen Schriften nahm, um sie
in des hohen Meisters Mund zu legen. ‒
Es war diese reine Lehre nicht seines
Denkens Frucht, und nicht in frommer
Verzückung der
Ekstase hatte er sie
erlangt.
Was er zu geben hatte an die wenigen
Getreuen, die «
das Geheimnis des
Reiches Gottes» erfassen sollten,
stammte aus dem Weisheitsgut der gei‐
stigen Gemeinschaft, der er zugehörte.
Uraltes,
heiliges Wissen: ‒ jedem
derer, die es hier in diesem Erdenleben,
als der geistigen Gemeinschaft Glieder,
in sich selbst erlangen, nur in
wache‐
stem Erleben faßbar ‒ formte er auf
seine Weise und in
seiner Sprache, so
wie da
jeder der «
durch Selbstver‐
wandlung Wissenden» stets nur die
gleiche
Wahrheit künden kann, in Bil‐
dern und in einer Sprache, die ihm selbst
zu eigen wurden, auch wenn in solcher
Sprache und in solchen Bildern manches
wiederkehren mag, das alter Prägung ist.
So wußte er die Schüler, die ihm folgen
konnten, einzuführen in das Innerste des
Seins und ihnen eine Vorstellung von
Gott zu übermitteln, die sehr wesentlich
sich von der öffentlichen Priesterlehre
unterschied.
Er sprach zu Menschen, die aus keiner
hohen Schule kamen und denen es ge‐
nügte, wenn er ihnen von dem
Urlicht,
das sich selbst als
Urwort spricht, zu
sagen wußte:
«
GOTT IST
GEIST, UND DIE IHN
ANBETEN: IM
GEISTE MÜSSEN SIE
DIE WAHRHEIT ANBETEN.»
Was er den Getreuen aber unermüdlich
zu zeigen sich mühte, war der
Weg, um
in das
Reich des Geistes zu ge‐
langen, in dem «viele Wohnstätten»
sind ‒ vielerlei Möglichkeiten des Er‐
lebens ‒ je nach der Höhe der An‐
schauungsweise, zu der sich des Menschen
Geistiges, ist es einmal erweckt, zu er‐
heben vermag.
Nicht immer ist es im gleichen
Sinne zu
verstehen, wenn der Meister vom «Reiche
Gottes» spricht!
Wohl sagt er, daß das Reich der Him‐
mel im Menschen sei; allein, er weiß
auch zu sagen, daß keiner das Reich
Gottes «sehen» könne, der nicht «von
neuem geboren» werde. Hier wird
Verwirrung nur vermieden, wenn man
weiß, daß einmal nur von der Art des
Menschengeistes gesprochen wird, der
latent die Erlebnismöglichkeit in
sich enthält, durch die ihm das Reich des
Geistes Gewißheit werden kann, doch
ohne die Fähigkeit, sich in den höchsten
Regionen geistiger Welten bewußt wie
hier im Erdenleben und noch wäh‐
rend dieses Erdenlebens zu empfinden
‒ und ein andermal von dem höch‐
sten Ziele des Menschengeistes: daß er
nach diesem Erdenleben und vielleicht
erst nach einer langen Vorbereitung in
der geistigen Welt eine neue Lebens‐
form erlange, in der er erst sich selbst
im
Innersten des geistigen Reiches
be‐
wußt und wirkend erleben kann. ‒
Es sind hier
verschiedene aufein‐
anderfolgende
Zustände im Auge zu
behalten.
Der erste ist die
Erweckung des Men‐
schengeistes aus seinem Schlafe im Men‐
schentiere, wodurch er, aus der Nacht der
Nichterkenntnis erwachend,
ahnend
erfühlt, daß er
nicht von dieser
Erde ist: daß er aus einem Lebensreiche
stammt, in dem das Leben
anderer Ge‐
setze Formung ist als hier in dieser
ir‐
dischen Erscheinungswelt. ‒ Hieraus
ergibt sich als zweites dann das Entgegen‐
streben, dem
Urlicht zu, aus dem
durch des Geistes hierarchisch geordnetes
Leben stufenweise weitergeleitet, letzten
Ursprungs das Leben des Menschengeistes
in ewigem Sein sich findet.
Diesem Entgegenstreben aber kann noch
während dieses Erdendaseins Erfül‐
lung werden, indem ein «Geistes‐
funke», ein Strahl aus dem Urlicht
‒ durch alle hierarchischen Stufen gei‐
stigen Lebens herabgeleitet ‒, im Men‐
schengeiste und aus dieses Menschen‐
geistes Kräften einen geistigen Orga‐
nismus schafft, durch den sich der
Menschengeist vereinigt findet mit
diesem göttlichen «Geistesfunken» oder
«Strahl» des Urlichts, den er erkennt
als seinen «lebendigen Gott».
Nun ist ihm sicherste Gewißheit ge‐
worden, was vorher nur ahnendes Er‐
fühlen war: ‒ er ist sich seines Lebens
im Geiste und aus dem Geiste be‐
wußt!
Noch aber ist er keineswegs fähig,
auch jenes hohe Geistesreich bewußt
und handelnd betreten zu können,
aus dem er einst sich selbst durch seine
Willensneigung löste in jenem «Fall»
aus hohem Leuchten, der ihn an diese
irdische Erscheinungswelt verhaftet
hat. ‒
Hierzu ist anderes vonnöten; und wenn
er auch der Erde irdische Gestaltung
einstens nicht mehr trägt und sich in
Geistesform nach seines Körpers Erden‐
tod bewußt und lebend findet in den
niederen Regionen geistigen Lebens, so
bleibt ihm dennoch jenes höchste,
innerste der geistigen Erscheinungs‐
reiche ‒ «das Reich Gottes» im höch‐
sten Sinne ‒ so lange verschlossen, bis
er in ihm «aufs neue geboren» wird:
aus geistigem Samen neu gezeugt ‒
aus den Urwassern des
Lebens im
Geiste.
«
Geburt» in
irdische Erscheinungs‐
welt ist die Frucht der Weiterzeugung
tierischen Lebens und ermöglicht
allein Bewußtsein und Handeln in die‐
ser
irdischen Erscheinungswelt.
Wer nicht in sie
geboren wird, kann
anders nicht in sie hineingelangen: ‒ sie
ist ihm nicht erschlossen, auch wenn er
um sie wüßte.
So auch kann in keine der
geistigen
Erscheinungswelten ‒ und alles, was im
Reiche des Geistes lebt, ist sich nur er‐
faßbar als geistige
Erscheinung ‒
ein Menschengeist hineingelangen, er sei
denn
hineingeboren.
Ursprü
nglich ist nun der Menschengeist
in jenes innerste «Reich Gottes», aus
Gott gezeugt, von Ewigkeit her «geboren»,
ließ aber den geistigen, gottgebore‐
nen Organismus ‒ in diesem Bilde ge‐
sprochen ‒ im innersten Reiche des
Geistes zurück, allwo er wieder der Kraft
der Gottheit sich verschmolz, so daß eine
individuelle «Wiedergeburt» erfol‐
gen muß, soll sich der Menschengeist in
jenem «Reiche Gottes» einst be‐
wußt und handelnd finden können.
Vorher ist der Menschengeist, auch bei
höchster Entfaltung durch das Erden‐
leben, nur seiner selbst und seines
lebendigen Gottes bewußt und fin‐
det sich nach dem «Tode» des Erden‐
körpers nur in jenen niederen geisti‐
gen Welten, deren Organismus ihm
keimhaft erhalten blieb, auch nach
seinem Falle in tierische Erscheinungs‐
welt ‒ als einzige geistige Daseinsform,
die er hier noch besitzt und zu entfalten
vermag durch seine Haltung im Erden‐
leben. Von diesem höchsten und letzten
Ziele allein aber läßt der Verfasser der
alten Sendschrift den Meister sprechen:
«WENN EINER NICHT WIEDERGE‐
BOREN WIRD AUS DEM WASSER IM
GEISTE ‒ AUS GEISTIGEM SA‐
MEN ‒, SO KANN ER IN DAS REICH
GOTTES NICHT EINGEHEN.»
Und zur Bekräftigung und Verdeut‐
lichung läßt er den Meister weiter sagen:
«WAS AUS DEM FLEISCHE GE‐
BOREN IST, DAS IST FLEISCH; UND
WAS AUS DEM GEISTE GEBOREN
IST, DAS IST GEIST.»
Damit nur ja kein Zweifel sei, daß hier
die Erzeugung eines wirklichen Or‐
ganismus erfolge, wie aus dem Fleische,
so aus dem Geist...
Die einzigen Menschen auf dieser Erde
aber, denen schon
während ihres
Erdenlebens diese «Neugeburt» im Geiste
ward und die daher,
zugleich mit ihrer
Erlebnisfähigkeit in
irdischer Erschei‐
nungswelt, bewußt im innersten Reiche
des
Geistes leben und handeln, sind
des Urlichtes Leuchtende, deren
der hohe Meister aus Nazareth einer war.
‒ Nur ein solcher vermag in Wahrheit
von sich und seinen Brüdern zu sagen:
«WIR REDEN, WAS WIR
WISSEN,
UND WAS WIR
GESEHEN HABEN,
BEKUNDEN WIR.»
Oder auch jenes andere, später einer hin‐
zugekommenen Erzählung eingefügte und
dort kaum mehr kennbare Wort:
«
IHR BETET AN, WAS IHR
NICHT
WISSET,
WIR ABER
WISSEN, WAS
WIR ANBETEN.»
Dem hohen Meister gleich, muß
jeder
der im
Urlicht Leuchtenden be‐
kunden:
«ICH UND DER VATER SIND
EINES.
WER
MICH SIEHT, DER SIEHT
AUCH DEN
VATER.»
Denn eine
andere Selbstdarstellung
hat
der «Vater» im Urwort
nicht auf dieser
Erde, als den
Leuchtenden des Ur‐
lichts, den er sich als Selbstdarstellung
bereitet hat und dem er, noch während
der Leuchtende in
irdischer Erschei‐
nung lebt, die
Geistesform aus sich
erzeugte, die ihn bewußt werden ließ in
geistiger Erscheinungswelt, ohne ihn
dieser Erdenwelt zu entziehen. ‒
Er ist wahrhaftig des «
Vaters» im
Urwort «eingeborener
Sohn» gewor‐
den! ‒ ‒ ‒
Aus seinem bewußten Selbsterleben als
geistiger «Sohn» des ewigen, geistigen «Va‐
ters» im Urwort: ‒ aus seinem Bewußt‐
sein in
geistiger Erscheinungswelt ‒
kündet der hohe Meister die reine Lehre.
«WOHL
KENNT IHR MICH UND
WISSET UM MEINE
HERKUNFT;
ABER NICHT
VON MIR SELBST
BIN ICH GEKOMMEN ‒ NICHT WAS
ICH
IRDISCHER HERKUNFT NACH
BIN, BERECHTIGT MICH ZUR LEHRE
UND LÄSST MICH SOLCHERART ZU
EUCH REDEN ‒, SONDERN ES
SANDTE MICH EIN
WAHRHAF‐
TIGER, EINER, DEN IHR NICHT
KENNT.»
«WENN ICH AUCH
VON MIR SEL‐
BER ZEUGNIS GEBE, SO IST DOCH
MEIN ZEUGNIS
WAHR, WEIL ICH
WEISS, WOHER ICH KAM UND WO‐
HIN ICH GEHE.»
«JA, DER MICH GESANDT HAT, IST
MIT MIR, UND ER LÄSST MICH
NICHT ALLEIN, DA ICH ALLEZEIT
TUE, WAS IHM WOHLGEFÄLLT.»
Und in der unwiderlegbarsten Gewiß‐
heit, daß er in seiner Umgebung der
Einzige ist, der da weiß, was nötig ist,
damit der Erdenmensch sich einst «an
seinem Letzten Tage» in dieser Erschei‐
nungswelt bereitet finde zu ewiger «Ge‐
burt» in
geistiger Erscheinungswelt,
spricht er das gewaltige Wort:
«ICH BIN DER
WEG, DIE
WAHR‐
HEIT UND DAS
LEBEN. NIEMAND
KOMMT ZUM
VATER AUSSER
DURCH
MICH!»
Denn das
Geistgezeugte, das er den
«
Sohn» nennt und als das er
sich
selbst erlebt als
Leuchtender des
Urlichts, ist für
allen Menschengeist
das
Gleiche, und
in ihm allein
wird dem Menschengeiste
unvergäng‐
liches Leben in der
Geisteswelt.
Dieses Leben erlebt er selbst, und von
ihm kann er künden:
«WAS MIR MEIN VATER GEGEBEN
HAT, IST GRÖSSER ALS ALLES, UND
NIEMAND KANN ES DER HAND MEI‐
NES VATERS ENTREISSEN.»
Aber
nicht für sich selbst allein
will er im unvergänglichen
Leben sein,
und so spricht er das Wort:
«WER AN
MICH GLAUBT, DER
GLAUBT NICHT
MIR, SONDERN
DEM,
DER MICH GESANDT HAT.
ICH BIN ALS
LICHT IN DIE WELT
GEKOMMEN, DAMIT JEDER, DER AN
MICH GLAUBT,
NICHT IN DER
FINSTERNIS BLEIBE.
DENN ICH HABE
NICHT VON MIR
SELBST GEREDET, SONDERN DER
VATER, DER MICH SANDTE,
DER
HAT MIR DAS
GEBOT GEGEBEN,
WAS ICH REDEN UND LEHREN SOLL.
UND ICH
WEISS, DASS SEIN GEBOT
AUS EWIGEM
LEBEN KOMMT.
DARUM,
WAS ICH REDE, REDE ICH
SO WIE ES MIR DER VATER
GE‐
SAGT HAT.»
Wie aber im Leuchtenden des Urlichts
bereits in dieser Zeit des Erdenlebens der
«
Vater» im «
Sohne» zur
Selbst‐
darstellung kommt, ‒
wie der Leuch‐
tende
selbst sich erlebt als «
Sohn»
des ewigen «
Vaters», des höchsten
geistigen Oberhauptes aller Leuchtenden
auf Erden,
aus dem und
in dem ein
jedes Glied dieser geistigen Gemeinschaft
lebt in absoluter
Vereinigung, so wird
auch durch ihn nur der «
Vater», der
urgezeugte
Mensch der Ewigkeit im
Urwort, erkannt in
erdenmensch‐
licher Offenbarung. ‒ ‒
«WIE DER VATER
LEBEN AUS
SICH SELBER HAT, SO HAT ER
AUCH DEM SOHNE
LEBEN AUS
SICH SELBST GEGEBEN.»
Aber gleichwie Moses in der Wüste die
eherne Schlange aufgerichtet hatte, damit
jeder, der im Glauben zu ihr aufsehe,
genesen sollte, so muß auch im Menschen
dieser Erde das Bild des «Menschen‐
sohnes», des Leuchtenden, «erhöhet»
werden über alles andere, in gläubigem
Bewußtsein der Wahrheit, daß es das
Urlicht selbst ist, das in seiner Selbst‐
aussprache als das Urwort den ewigen,
urgezeugten Menschen des Geistes
«spricht», der ewiglich in seiner Licht‐
gezeugtheit im Urwort verharrt und
«Vater» wird den Leuchtenden, damit
durch sie der Menschengeist auf dieser
Erde wieder Kunde empfange von seiner
Urheimat und von dem Wege, der zu ihr
zurückführt. ‒
«GLEICHWIE MOSES DIE SCHLAN‐
GE IN DER WÜSTE ERHÖHTE, SO
MUSS DER MENSCHENSOHN
‒ DER KÜNDER AUS DEM REICHE
DES GEISTES ‒ UND DIE KUNDE,
DIE ER BRINGT, ERHÖHET WER‐
DEN, DAMIT ALLE, DIE AN IHN
GLAUBEN, NICHT VERLORENGEHEN
‒ IN ÄONENLANGER NACHT DER
NICHTERKENNTNIS ‒, SONDERN
DAS LEBEN HABEN.»
Und nochmals, um zu zeigen, daß nur
dem
Bestätigung wird, der so den
Leuchtenden des Urlichts
vertraut, wie
jene der wundertätigen Schlange des
Moses
vertrauen mußten, die genesen
wollten, läßt der Verfasser der alten
Sendschrift den Meister sprechen:
«WENN IHR DEN MENSCHENSOHN
WERDET
ERHÖHET HABEN,
DANN
WERDET IHR ERKENNEN, DASS ICH
ES
BIN UND DASS ICH
NICHTS
WIRKE
AUS MIR SELBST ‒
ALS ERDENMENSCH, NACH MEINER
MENSCHLICHEN WILLKÜR ‒, SON‐
DERN REDE, WAS MEIN VATER
MICH GELEHRET HAT.»
Immer wieder wird betont, daß der
Leuchtende des Urlichts, in dem
die höchste geistige Erlebnisfähigkeit
in einem Menschen dieser Erde auf der
Erde Bekundung findet ‒ der die
höchste Geistigkeit dem Tiere zu
vereinen weiß ‒, nicht seine eigene
erdenmenschliche Weisheit lehrt,
sondern aus der Fülle des Erkennens
spricht, das ihm der «Vater» offenbart.
«MEINE LEHRE IST NICHT MEIN,
SONDERN VON DEM, DER MICH
SANDTE. WILL EINER NACH DES‐
SEN WILLEN TUN, SO WIRD ER
INNEWERDEN, OB DIESE LEHRE
AUS GOTT IST ODER OB ICH AUS
MIR SELBER GEREDET HABE.»
Als
Bedingung jeglicher
Bestäti‐
gung der Lehre des Leuchtenden wird
somit gesetzt, daß der Schüler nicht nur
die unermeßliche Bedeutung erkenne, die
der Tatsache innewohnt, daß ein sterb‐
licher Mensch vom innersten
Reiche
des Geistes Kunde bringen kann, son‐
dern daß er auch nach den Gesetzen des
Geistes
handelt, von denen der Leuch‐
tende nur nach dem «
Willen» seines
«
Vaters» und im
Einklang mit ihm
zu künden kommt. ‒
Doch nicht auf diese äußere Erschei‐
nungswelt der
physischen Sinne allein
beschränkt sich das Wirken des Leuch‐
tenden.
Er wirkt ebenso im innersten
Reiche
des Geistes ‒ im
Reiche der Ur‐
sachen ‒ wie auf dieser Erde, wie auch
in jenen niederen geistigen Welten,
die der Menschengeist betritt, wenn er
diese Erde verläßt, und von diesem
Wirken kündet er mit den Worten:
«ES KOMMT DIE STUNDE, UND
SCHON IST SIE GEKOMMEN, DA DIE
TOTEN (DURCH MICH) DIE STIMME
DES SOHNES HÖREN WERDEN,
UND DIE SIE HÖREN, WERDEN
LEBEN ‒ DENN SIE KANN DER
LEUCHTENDE AUFERWECKEN:
‒ KANN SIE BEREITEN ZU DER
NEUGEBURT IM GEISTE, DIE DER
VATER WIRKT.»
Doch daß man auch nicht glaube, daß er
als «Sohn» des Vaters etwa frei nach
Willkür schalte, weiß er zu sagen:
«DER SOHN KANN NICHTS AUS
SICH SELBER TUN, WENN ER ES
NICHT TUN SIEHT DEN VATER;
DENN ALLES, WAS
DIESER TUT:
AUF
GLEICHE WEISE TUT ES
AUCH DER SOHN.
NIEMAND KANN ZU MIR KOMMEN,
WENN DER
VATER, DER MICH GE‐
SANDT HAT, IHN NICHT ZU MIR
ZIEHT, DAMIT ICH IHN AUFER‐
WECKE AN SEINEM LETZTEN TAGE.»
Aber
keinem Menschengeiste kann im
Reiche des Geistes das dauernde
Leben
werden, wenn er nicht
glaubt, daß er
dieses Leben finden wird. ‒
Und von diesem
Glauben allein, der
ein selbstgewisses
Vertrauen sein muß,
hatte der Meister einst gesprochen im
Hinblick auf seine Lehre, die
alle Ge‐
wißheit aus der
Geisteswelt durch
eines
Menschen Mund
auf diese
Erde brachte:
«DIESES ABER IST DAS BROT,
DAS VOM HIMMEL HERAB KAM,
DAMIT, WER DAVON ISST,
NICHT STERBE.»
Es stand dieses Wort einst an der gleichen
Stelle, an der gesagt ist:
«WER AN MICH GLAUBT, AUS
DESSEN LEIBE WERDEN STRÖ‐
ME LEBENDIGEN WASSERS
FLIESSEN. ‒ ER SELBST WIRD
GEISTIGES AUS SICH WEITER‐
ZEUGEN IN DER GEISTIGEN
ERSCHEINUNGSWELT; DENN VOM
'LEIBE' DES GEISTGEBORENEN
IST HIER DIE REDE.»
Und von dem gleichen «Leibe» des
Geistgeborenen wußte der Meister
dort zu sagen, daß dieser «Leib» in
geistiger Erscheinungswelt so «wirk‐
lich» sei wie «Fleisch» und «Blut» in
dieser
irdischen Erscheinungsform, so
daß nur
der im Geiste bewußtes
Leben
haben könne, der dieses
geistigen
Leibes
Eigner geworden sei.
«WENN IHR DAS FLEISCH DES
MEN‐
SCHENSOHNES NICHT
ERLAN‐
GEN WERDET UND
SEIN BLUT
NICHT IN
EUCH SEIN WIRD, SO
WERDET IHR DAS LEBEN NICHT IN
EUCH HABEN.»
Alles, was nun in der heute überliefer‐
ten Gestaltung der Sendschrift an der
Stelle steht, an der das Wort vom
«Brote» sich den Worten vom «Fleisch»
und «Blute» mengt, ist spätere
Umfor‐
mung und wohlerwogene
Zutat.
Man fand das Wort von dem
geistigen
«Leibe» wohlgeeignet, den neuen
Kult
zu stützen, der aus den Kultgepflogen‐
heiten mystischer Glaubensgemeinden
entstanden war, wie sie der Orient in
jenen Zeiten allerorten kannte.
So formte man des Meisters Worte der‐
art um, daß sie von seinem eigenen,
erdenhaften Fleische und Blute zu
handeln schienen und nicht von dem, was
ihm im innersten Reiche des Geistes Trä‐
ger seines
geistigen Bewußtseins war,
wie hier auf Erden Fleisch und Blut sein
irdisches Bewußtsein trug. ‒ ‒
Man wiederholte diese eigene Glaubens‐
meinung in der Abschrift dann in man‐
nigfacher Paraphrase, indem man sie zu‐
gleich den Worten, die vom «Brot vom
Himmel» handelten, in gleicher Para‐
phrasierung eng verband.
Wohl waren später unter denen, die des
neuen Kultes Liturgie und Riten form‐
ten, manche Hocherleuchtete und «Wis‐
sende»; allein, sie hatten allbereits schon
mit Bestehendem zu rechnen und
suchten durch Auslegung umzuwer‐
ten, was sie dem Wesen nach als fremdes
Kultgut eingewurzelt fanden.
Indessen endeten die einen als ausgestos‐
sene «Ketzer», während der ande‐
ren Deutung nur insoweit angenommen
wurde, als es möglich schien, auch ohne
die aus alten Heidenkulten überkomme‐
nen Lehren zu gefährden, denen der Kult‐
kreis seinen mystischen Nimbus dankte.
Doch ist es wahrlich kein «Zufall», daß
selbst der heute erhaltene Text der Send‐
schrift allein nichts weiß von jenen
Worten der drei älteren Berichte, die sie
den Meister bei dem letzten Osterfest‐
mahl sprechen lassen und die des glei‐
chen Kultes Stütze wurden! ‒ ‒
Wie hätte doch gerade der Verfasser, dem
man die falschen Meisterworte von des
Meisters erdenhaftem Fleisch und Blut
zu unterschieben wußte: von seinem
«Fleische», das «wahrhaftig eine Speise»,
und seinem «Blute», das «wahrhaftig ein
Trank» sei, mit
denkbar feierlich‐
ster Bekräftigung jene Worte beim
Ostermahl verzeichnet, wäre
ein einzi‐
ger Ausspruch auch nur
ähnlichen
Sinnes von ihm an der gefälschten Stelle
berichtet worden!
So aber wußte er nur zu gut, daß Vor‐
stellungen alter
Heidenkulte hier ein
neues Leben in des hohen Meisters
Namen sich begründet hatten. ‒ ‒ ‒
Gerade in
diesem Punkte
schied sich
ja das
geistige Erfassen, in dem er lebte,
und die Seinen festigen wollte, von der
Lehre und dem äußerlichen Kulte, die
sich um des Meisters Namen rankten und
zu der Zeit, als der Verfasser seine Send‐
schrift schrieb, schon mancherlei Erfolg
verzeichnen konnten, da sie den mysti‐
schen Kultgemeinden, die man allerorten
vorgefunden hatte, in jeder Art des Mei‐
sters Lehre
anzugleichen suchten. ‒
Die ganze alte Sendschrift ist nur zu ver‐
stehen, wenn man weiß, daß sie geschrie‐
ben wurde, um den
Gegensatz zu zei‐
gen, in dem des hohen Meisters
reine
Lehre, die zu jeder Zeit nur Wenige
erfassen konnten, zu der neuen
Glau‐
bensmeinung stand, die mehr und
mehr die Geister fesselte und nicht zum
wenigsten
darum Verbreitung fand, weil
sie das
Neue so dem
Überkomme‐
nen zu einen wußte, daß alles, was die
Zeit an mystischer Lehre bot, in ihr zu
neuer Geltung kam.
Da sich in solche Glaubensmeinung aber
manches Wort des Meisters mischte,
das auch den Schülern des Johannes
heilig war, so wollte der Verfasser die in
seinem kleinen geistigen Kreise Schwan‐
kenden durch seine Sendschrift schüt‐
zen vor der drohenden Gefahr, dem
äußeren Kult anheimzufallen. ‒
Den Zweck, den sie erfüllen sollte, hat
seine Sendschrift aber auf die Dauer
nicht erreicht.
Die letzten Nachfolger der Schüler des
Johannes mußten vor dem neuen äuße‐
ren Kulte weichen und, von dessen Gläu‐
bigen als «Ketzer» angesehen, sich ver‐
bergen, so daß schon kaum ein Menschen‐
alter später keiner mehr zu finden war,
der in der reinen Lehre lebte.
Als dann die alte Sendschrift in die
Hände frommer Glaubenseiferer des
neuen Kultes gekommen war, fand bald
dieser, bald jener Veranlassung, dem
Texte, den man guten Glaubens für
ein Werk des Jüngers Johannes hal‐
ten konnte, all das einzufügen, was ihn
nach Möglichkeit geeignet machte, in den
Versammlungen als Lehrtext verlesen
zu werden.
Die Ehrfurcht vor dem «Wort der
Schrift» hatte in jenen ersten Zeiten
des neuen Glaubens nicht die Bedeu‐
tung, die sie später erlangte.
Weit wichtiger war der Kult des
neuen Erlösergottes und die Verteidi‐
gung der Glaubensmeinung gegenüber
Juden und Heiden.
So wurden unbedenklich Texte verändert,
wie die Bedürfnisse des Kultes es ver‐
langten, der nun den
Formen alter
Mysterienkulte neue
Auslegung
zu geben suchte, und ebenso unbedenk‐
lich änderten Juden- und Heidenchristen,
aus denen der Kultkreis bestand, was
in den Berichten ihnen
bedenklich
schien vor ihren
früheren Glaubens‐
genossen.
Man glaubte immer auf solche Weise
nur der
Verbreitung des «wahren»
Glaubens zu dienen und letzten Endes
ganz in der
Absicht der alten Ver‐
fasser zu handeln.
Fast bleibt es so ein Wunder, daß
trotz
allem doch noch der Urschrift
Spuren
da und dort erhalten blieben, wenn auch
der
ursprüngliche Sinn sehr vieler
Einzelworte heute in sein
Gegenteil
verkehrt erscheint.
Wer aber tiefer schürft und die Verschüt‐
tung wegzuräumen sucht, kann heute
noch allhier die Fundamente eines alten
Tempels finden, in dem die
reine
Lehre einst
Erfüllung fand, die der
hohe Meister,
als ein Leuchtender
des Urlichts, seinen nächsten
Schülern übermittelt hatte.
*
DER HOHE Meister, der als der
Größte aller Liebenden
über diese Erde schritt, wußte
jederzeit gar wohl, daß er die große
Liebestat, die er dereinst vollbringen
sollte, nur in seiner Todesstunde und
nur im Tode durch Menschen‐
hand vollbringen könne. ‒
So hatte er Zeiten, in denen er sich nach
der Stunde seines Todes sehnte, und
wieder andere Zeiten, in denen er mit
innerem Schauder an sein Ende dachte.
Bald wünschte er seinen Tod herbei, bald
hoffte er, noch lange Zeit zu leben, um
seinen Schülern noch recht lange beizu‐
stehen und ihnen geben zu können, was
sie vorerst «noch nicht tragen» konnten.
Die hohen Brüder, die er aufsucht in
ihrer Einsamkeit, wissen ihm in solchen
Stunden des Schauderns und Entsetzens
nur zu sagen, daß es einem «Sohne» des
«Vaters» im Urwort niemals zieme, nach
dem Kommenden zu fragen...
In solcher Seelenverfassung, sein baldiges
Ende erahnend, ohne zu wissen, wie nahe
es sei, schrieb er aus der Einsamkeit einen
eigenhändigen Brief an seine Getreuen
und übersandte ihn dem Jünger, den er
liebte, weil dieser aus allen ihn am
tiefsten verstand, aus der hellfühlenden
Liebe, die ihn ihm verband.
Durch diesen Jünger sollte der Brief den
Getreuen kundgetan werden.
Aus Niederschriften von des Meisters
eigener Hand stammt
manches Wort,
das der Verfasser der alten Sendschrift
den Meister
reden läßt;
hier aber ist
noch fast der
ganze Brieftext erhal‐
ten, auch wenn er später auseinander‐
gerissen und an erwünschteren Stellen
wieder eingefügt wurde, wie es des neuen
Kultes Glaube verlangte.
In seine
Urschrift hatte einst der Ver‐
fasser der alten Sendschrift den Text
der
Meisterworte solcherart über‐
nommen:
«NOCH EINE GERINGE ZEIT ‒ UND
DIE WELT WIRD MICH NICHT MEHR
SEHEN.
AN JENEM TAGE WERDET IHR MICH
UM NICHTS MEHR
FRAGEN KÖN‐
NEN. DOCH ICH WILL EUCH NICHT
ALS WAISEN ZURÜCKLASSEN.
ICH WERDE DEN
VATER BITTEN,
UND ER WIRD EUCH EINEN
ANDE‐
REN HELFER SENDEN AUS
DEM GEISTE DER WAHRHEIT:
EINEN, DEN DIE WELT
NICHT ER‐
GREIFEN KANN; DENN SIE SIEHT
IHN NICHT UND WEISS NICHTS
VON IHM.
IHR ABER WERDET IHN ERKEN‐
NEN; DENN ER WIRD BEI EUCH
BLEIBEN UND IN EUCH SEIN.
ER WIRD EUCH ALLES LEHREN
UND EUCH AN ALLES ERINNERN,
WAS ICH EUCH SAGTE.
NICHT AUS SICH SELBST WIRD
ER REDEN ‒ SO WIE AUCH ICH
EUCH SAGTE, DASS ICH NICHT
AUS MIR SELBER REDE ‒, SON‐
DERN WAS ER HÖRT, WIRD ER
REDEN UND EUCH KUNDMACHEN.
ER WIRD MICH BESTÄTIGEN;
DENN VON DEM MEINEN WIRD ER
NEHMEN UND ES EUCH VERKÜNDEN.
ALLES, WAS DER VATER HAT, IST
MEIN.
DARUM SAGE ICH: ER WIRD VON
DEM
MEINEN NEHMEN.
WER
IHN AUFNIMMT, DEN ICH
SEN‐
DEN WERDE, DER NIMMT
MICH
AUF, UND WER
MICH AUFNIMMT,
NIMMT
DEN AUF, DER MICH
GE‐
SANDT HAT. AN JENEM TAGE WER‐
DET IHR
ERKENNEN, DASS ICH
IN MEINEM VATER BIN.
EUER HERZ
BETRÜBE SICH
NICHT.
SEID OHNE FURCHT!
ICH HINTERLASSE EUCH IN
FRIE‐
DEN.
MEINEN FRIEDEN GEBE ICH EUCH,
DEN DIE WELT
NICHT GEBEN
KANN.»
Es ist von nichts anderem hier die Rede,
als daß der Leuchtende verspricht, seinen
Schülern nach seinem Erdentode einen
anderen Lehrer zu schicken, und zwar
einen derer aus dem hohen Kreise der
Leuchtenden des Urlichts, die nicht
mehr im Erdenkörper, sondern in gei‐
stiger Gestaltung leben, damit sie unter
seiner geistigen Leitung sich vollenden
könnten und nicht in Sorge sein müßten,
daß er von Menschen ergriffen und seinen
Schülern genommen werden könnte wie
der Meister selbst.
Ausdrücklich sagt er in den gleichen
Worten, daß auch dieser Geisteslehrer,
den sie nur in ihrem Innersten zu
hören fähig seien, gleich ihm «nicht
aus sich selber» rede und ihnen das
Gleiche künde, das sie zuvor aus seinem
eigenen Munde vernommen hätten.
Aus dem Schatz des gleichen alten
Weisheitsgutes, das jeder, der ein «Sohn»
des «Vaters» wurde, aus dem Erken‐
nen des Vaters empfängt, werde er
zu nehmen wissen und dadurch ihn, den
Meister selbst, bestätigen.
War aber der hohe Meister selbst gar
bald nach seinem Tode schon den Gläu‐
bigen des neuen Kultes zum
Gotte ge‐
worden, so mußte auch dieser
geistige
Bruder des Meisters alsbald zum
Gotte
werden. ‒
Man hatte
die
wirkliche «Dreieinheit»
nicht erkannt, die darin allein gesehen
werden muß, daß sich das gestaltlose,
unfaßbare und alles in sich umfassende
Urlicht ‒ das unendliche, unergründ‐
liche, ewige «Meer der Gottheit» ‒ ewig‐
lich selbst als
Einheit im
Urwort
offenbart ‒ das «Wort», das «im An‐
fang» ist, der immer
war und
ist und
sein wird: «Gott» in der Gottheit ‒
und daß das
Urwort aus sich selber
offenbart den «
Menschen der Ewig‐
keit» ‒ den lichtgezeugten
ewigen
Geistesmenschen, der immerdar in
ihm verharrt und weiterzeugend als
«
Vater» alle Geisteshierarchien aus sich
hervorgehen läßt, somit in
Einheit
aller
Vielheit Inbegriff, in sich offen‐
barend sich selbst in den
Zahlen des
Ursprungs, aus denen hervorgeht alle
Unendlichfältigkeit des geistigen
Lebens...
Dieses ewige
Sein des Geistes, gleich‐
zeitig
Selbstoffenbarung des Gei‐
stes und dieser Selbstoffenbarung geistige
Folge:
in Unerfaßbarkeit,
in Einheit,
in Zahl ‒
die wieder
Einheit zeugt
unendlich‐
fältig ‒, ist letzte
Wirklichkeit, mit
welchen Worten man ihr auch Bekun‐
dung geben will; denn mit dem gleichen
Rechte wäre sie auch zu bezeichnen als:
das ewige Unoffenbare,
das ewig sich Offenbarende,
das ewige Offenbarte. ‒
Stets wird aber jedes Wort der Men‐
schensprache nur ein Stammeln bleiben,
soll es des
Geistes Leben künden, das
allein sich in der
Liebe fassen läßt, die
auch den
Menschengeist, der sich der
Liebe einst
entwand, aufs neue seines
ursprünglichen
göttlichen Erlebens
fähig werden läßt. ‒
Der «
Geist der Wahrheit» aber ist
des Urwortes
Leben: ‒ das
Urlicht
selbst in seiner Unerfaßbarkeit ‒, das
sich
als Urwort offenbart und
in dem
alle Geisteshierarchien leben, die gleich‐
sam
Ton und Stimme dieses Urwortes
sind und seine ewig weiterzeugende
Offenbarung in der Geisteswelt des
Ur‐
lichts.
Auch das
niedere geistige Leben, das
dem Menschengeiste noch verblieb nach
seinem Falle aus hohem Leuchten, lebt
nur aus dem gleichen
Geiste der
Wahr‐
heit: dem substantiellen Geiste des ewi‐
gen
Urlichts, von dem der Menschen‐
geist auch schon in diesem Erdendasein
einen «
Strahl» erfassen und in seinem
eigenen «
Ich» erkennen kann als seinen
«
Lebendigen Gott».
Das
Urlicht ist
allein die ewige
Quelle alles
Lebens: das aus sich selber
Seiende!
In sich als
Sein unfaßbar für sich selbst,
«spricht» es sich aus im
Urwort, das
in
ihm allein sein
Leben hat «aus sich
selbst»...
Und weiterzeugend, offenbart sich so das
Urwort in dem
ewigen Geistes‐
menschen, der wieder «aus sich selbst»
das
gleiche Leben nur
im Urlicht
hat und weiterzeugt die Hierarchien aller
Geisteswesenheiten, die alle «aus
sich selbst» das Leben haben, da sie alle
nur des
Urlichts nähere und ferne
Offenbarung durch das
Urwort
sind, das selbst des
Urlichtes erstes,
ewiges Offenbaren ist. ‒ ‒
Die
Liebe aber, die
sich selbst im
anderen liebt, ist aller dieser Urseins‐
offenbarung innerster Impuls. ‒
Wer «
in den Geist» gelangen, wer
bewußt des
Urlichts Leben neu in
sich empfinden will, der trachte vor
allem, daß er stetig «
in der Liebe»
sei! ‒
Ihm wird man öffnen jene enge Pforte,
die zum
Leben führt; denn er weiß
anzuklopfen, er sucht auf
rechte Weise, und sicherlich
wird ihn zu finden wissen
‒ der «Paraklet».
*
SOWEIT ICH in diesem Buche Worte
des überlieferten Textes mei‐
ner Rede verflochten habe, nahm
ich sie nur auf, wenn mir die geistige
Ge‐
wißheit wurde, daß sie dem
Sinn des
Ursprungstextes noch entsprechen,
und wo dies
nicht der Fall war, suchte
ich in
meinen Worten diesem ursprüng‐
lichen
Sinn gerecht zu werden.
Da ich in diesem Buche nur die alte
Sendschrift deute, die als das «
Evan‐
gelium Johannis» gilt, so ließ ich
mit Bedacht die Meisterworte fehlen, die
ich als gutbegründet auch in den drei
früheren Berichten von des Meisters
Erdenleben kenne, obwohl sie dem, was
ich zu sagen hatte, gar oft Bestätigung
gegeben hätten.
Wer aber meinen Worten folgt, der wird
das
Nichtverfälschte in den ande‐
ren Berichten unschwer
selbst heraus‐
zufinden wissen, so wie er auch von Fall
zu Fall die
Gründe bald entdecken
wird, die in der alten Sendschrift, wie
den früheren Berichten,
Einschub und
Überarbeitung veranlaßt haben.
Es ist hier nicht zu leugnen, daß so man‐
ches Wort, das denen, die im Glauben an
die
Göttlichkeit der alten Schriften
aufgewachsen sind, einst lieb und teuer
war und ihnen wohl auch heute noch als
heilig dünkt, nur spätere
Erdichtung
ist.
Soweit sich solche Worte aber irgendwie
als
Wahrheitsträger dartun lassen,
sehe ich noch keinen Grund, sie nun ge‐
ring zu achten oder gar sie zu verwerfen.
Die späteren Bearbeiter der alten Schrif‐
ten waren ‒ will man sie als «
Dich‐
ter» werten ‒ den ursprünglichen
Schreibern oftmals weitaus
überlegen.
Sie fanden manches
Bild und manche
Sagenformung, um die Glaubens‐
meinung, der sie dienten, in die alten
Texte einzuführen, die ihnen die ur‐
sprünglichen Verfasser wahrlich hätten
neiden können. ‒
Doch ist es ein Anderes, ob man
er‐
kennen lernen will, was einst die
Ur‐
schrift bot, oder ob man fromme
Er‐
bauung sucht in eines
Dichters
Worten, der bemüht ist, seinem inbrün‐
stig geliebten Glauben eine Urkunde zu
schaffen.
Da in der alten Sendschrift, die es hier
zu deuten galt, zudem die Urschrift durch
die Dichtung
überwuchert ist und
so ein Dokument Verfälschung fand, das
sich als
einzige Bekundung jener rei‐
nen Lehre, die der hohe Meister nur den
nächsten Schülern gab, der Nachwelt
dargeboten hätte, so war es nur zu sehr
geboten, lediglich der
Urschrift un‐
verfälschten
Inhalt wieder aufzurich‐
ten, soweit der
Text herangezogen wer‐
den mußte.
Durch eine Redeform, die jeden Satz
für
sich bestehen läßt und ihm
fast ab‐
geschlossene Bedeutung gibt, auch
wenn er sich an
anderer Stelle findet
als dort, wo er
zuerst gegeben war, sah
in der ersten Folgezeit sich jede Glau‐
bensmeinung leichthin in der Lage, die
Sätze, die ihr störend waren, dem Zu‐
sammenklang des Textes zu entreißen und
sie nach Willkür dort dann einzufügen,
wo sie ihr vorzüglich dienen mußten.
Wo dann ein Wort zu finden war, das
man nicht gerne lesen mochte, dort schied
man unbedenklich als der «Ketzer» Zu‐
tat aus, was Urschriftprägung war;
und was doch zu gewichtig schien, um
ausgemerzt zu werden, dem gab man
einen Einschub oder einen Zusatz,
der den ursprünglichen Sinn ins
Gegenteil verkehrte.
Auch nahm man nur zu gerne Worte, die
der Meister einst in völlig anderem Zu‐
sammenhang gesprochen hatte, in die
bald nach seinem Tode schon entstan‐
denen Wundersagen auf, um so den
frommen Glauben an die Wundermären
zu befestigen.
Unzähliges ist
entstellt, Unzähliges in
sein
Gegenteil verkehrt, und dennoch
bleibt die Spur der
reinen Lehre noch
erhalten, dennoch leuchtet durch den
ganzen Text die hohe
Liebe, die als
Vermächtnis des Apostels auch in den
fernsten seiner nachgeborenen Schüler
noch erhalten blieb und die auch den
Verfasser zeigt als
Liebenden im Licht
der
reinen Lehre, die er den Seinen,
denen seine Worte galten,
erhalten
wissen wollte ‒
rein, wie er sie selbst
empfangen hatte ‒, unvermischt mit
Glaubensmeinungen, in denen er den Irr‐
tum nur zu deutlich sah. ‒ ‒
Von dem, was sonst noch, dieser alten
Sendschrift gleich, dem
Jünger zu‐
geschrieben wurde, den der Meister
«
liebte», weil er ihn «
in der Liebe»
fand, ist
nichts von jenem Jünger einst
geschrieben worden, und
nichts davon
entstammt der Feder des Verfassers dieser
Sendschrift.
Was man als «
Briefe» des
Jüngers
Johannes betrachtet, enthält gewiß so
manches herrliche Wort der Weisheit und
ist wahrhaftig eines Menschengeistes Be‐
kundung, der «
in der Liebe» lebte;
allein, diese Briefe wurden erst geschrie‐
ben, als die
Sendschrift, von der hier
die Rede ist, schon dem neuen Kulte an‐
geglichen worden war, und ihr Schreiber
war ein Gläubiger des neuen Kultes.
Das sogenannte Buch der «
Offen‐
barung» aber ‒ die «
Apoka‐
lypse» ‒ ist das Werk sehr
ver‐
schiedenwertiger Geister und das
Zeugnis
verschiedener Zeiten.
Es finden sich in ihm die Spuren «Wis‐
sender» neben dem mysteriösen Ausputz,
den das Buch durch Gläubige des neuen
Kultes erhielt, und den freigebigen Zu‐
taten späterer Bearbeiter.
Der einst dem Inhalt dieses Buches die
grandiose dichterische Gestaltung gab,
benutzte nur ein Material, das lange
vor
ihm schon in Fragmenten vorhanden war
als Bezeugung mystischer Gesichte.
Die
reine Lehre aber, die der hohe
Meister seinen nächsten Schülern einst
gegeben hatte und die nur jener
Eine,
den er «
liebte», ganz erfaßte, um sie
denen zu vermitteln, die zu
ihm sich
hielten, ist nur in dieser
Sendschrift
zu erkennen, die ein Späterer, der ganz
im
Geiste dieser Lehre lebte, auf‐
gezeichnet hat.
Möge das
Weisheitsgut, das diese
Sendschrift birgt, trotz aller Über‐
formung, die sie leiden mußte, den
Suchenden der kommenden Tage
nicht verloren sein!
*
ENDE