DAS BUCH
DER
GESPRÄCHE
Verlagslogo
Kober'sche Verlagsbuchhandlung AG, Zürich
Der bürgerliche Name von Bô Yin Râ war
Joseph Anton Schneiderfranken
2. Auflage
Die erste Auflage erschien im Verlag der Weissen Bücher,
München, 1920
©
Copyright 1958 by
Kober'sche Verlagsbuchhandlung AG, Zürich 48
Alle Rechte vorbehalten
Druck: Schellenberg-Druck, Pfäffikon ZH
INHALT Seite
Bekenntnis 3
Wissen und Geschehen 5
Licht und Schatten 15
Die Macht des Geistes 19
Das Kleinod des Herzens 21
Überkehr 23
Das Gespräch vom innersten Osten 27
Das Gespräch vom Scheiden des Vollendeten 31
Der Blumengarten 34
Die schlechten Schüler 39
Die Nacht der Prüfung 44
Individualität und Persönlichkeit 48
Das Reich der Seele 52
Das Finden seiner selbst 67
Von den älteren Brüdern der Menschheit 73
Magie 86
Originalscan
BEKENNTNIS
Sterne sah ich erblinken,
Die keiner noch vor mir sah, ‒
Nächstes musste versinken,
Fernstes erblickte ich nah...
Klänge hab' ich vernommen,
Die selten nur einer vernahm,
Worte sind zu mir gekommen,
Die «das Wort» aus dem Ur-worte nahm...
Wer vor mir ein «Meister» gewesen,
Gab mir als «Bruder» die Hand...
So bin ich vom «Träumen» genesen,
So fand ich das leuchtende Land. ‒ ‒
Dort hab' ich die «Weihe» erhalten
Nach den langen Jahren der Pflicht:
Die Söhne der höchsten Gewalten,
Sie führten den «Bruder» zum Licht. ‒
3 Das Buch der Gespräche
Nun bin ich im «Lichte» ertrunken
Wie ein Tropfen im ewigen Meer...
Was ich hinter mir liess, ist versunken,
Und die Zeit, da es lebte, ward leer. ‒
Ich fand, was nur wenige fanden,
Ich sah, was nur Seltene sehn ‒ ‒
Ich erlebte, in erdhaften Banden,
Meines «ewigen Reiches» Erstehn...
Doch, ‒ wollte ich jemals der Erde
Meine herztiefe Liebe entziehn,
Dann ‒ ‒ müsste auch meine Seele
Aus den leuchtenden Landen entfliehn...
4 Das Buch der Gespräche
WISSEN UND GESCHEHEN
.Als ich nach langer Zeit die Hand meines
hohen Lehrers, dem ich alles danke, was mir
wurde, wieder in der meinen halten durfte, als
ich zum erstenmal in des Südens Sonne sein gü‐
tiges Auge leuchten sah und seiner Stimme lei‐
sen Klang vernahm, da sagte ich ihm, wie gross
meine Freude sei, nun auch aus seinem Munde
jenes letzte Wissen zu erhalten, das nur so
Wenigen auf dieser Erde erfahrbar wird, und
ich glaubte damals noch, dieses Wissen sei
nichts anderes, als die Lehre einer geheimen
«Wissenschaft», den Wissenschaften dieser
Erde gleich, jedoch nur wohlerprobten Schülern
überlieferbar. ‒ ‒
.Der hohe Meister sah mich lächelnd an und
schwieg eine lange Weile.
.Dann sprach er:
.«Du bist ein echter Sohn des Westens! Was
du nicht als 'Wissenschaft' empfängst, das er‐
5 Das Buch der Gespräche
scheint dir fragwürdig, und du wagst es nicht,
der Wahrheit zu vertrauen, sofern sie nicht im
Gewande der 'Wissenschaft' auf die Weise, in
der man dieses Wort an eueren hohen Schulen
versteht, dir gegenübertritt. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Du wirst 'umlernen' müssen, mein Freund!
.Du wirst eine andere Art der Belehrung ver‐
stehen lernen müssen, als die es ist, die in eue‐
ren Landen allein nur Geltung hat. ‒ ‒ ‒
.Wenn du zur Wahrheit kommen willst, so
musst du vor allem den Wahn ertöten, als
wenn Wahrheit ein 'Wissen' wäre!
.Dein Streben muss hinfort auf anderes ge‐
richtet sein.
.Du musst dich bestreben, das Geschehen
zu ergründen! ‒ ‒ ‒»
.Und als er wieder eine Weile geschwiegen
hatte, fuhr er fort:
.«Die Welt der Seele ist ständiges Geschehen.
.Nicht anders kann die Welt der Seele sich dir
enträtseln, als dadurch, dass du eingehst in
diese, irdischen Sinnen unerfassbare Welt, als
ein Zeuge ihres Geschehens.
.Dann wirst du erst jene Weisheit finden, von
6 Das Buch der Gespräche
der auch der Weiseste nichts 'wissen' kann, son‐
dern der nur wirklich weiss, der jenes Ge
schehen in sich erlebt hat und zu jeder
Stunde neu zu erleben vermag...»
.Als der verehrungswürdige Lehrer hier ge‐
endet hatte, herrschte lange Zeit grosse Stille,
die nur durch den höhnischen Schrei eines Pfef‐
fervogels dann und wann unterbrochen wurde.
Der Meister sah hinaus mit weitem Blick über
das silbergrüne Laubgewölke der Olivenhaine,
während ich in meinem Geiste die Frage formte,
ob nicht doch wohl eine gewisse Stufe der
Kultur und des Wissens auch für diese
Form der Erkenntnis Vorausbedingung und
Notwendigkeit sei.
.Da begann der Erhabene, der meine Frage in
ihrem Entstehen beobachtet und in meinem
Geiste gelesen hatte (da er meine äussere Spra‐
che des Mundes nur mit Mühe verstand und so
auch, obwohl in nächster Nähe, mit mir auf
geistige Weise Verständigung schaffen musste)
aufs neue zu reden, und er sprach:
.«Kulturhöhe, Wissen, Gelehrsamkeit, ästhe‐
tisches Gefühl, Kunstverständnis und Philoso‐
7 Das Buch der Gespräche
phie, ‒ kurz alles, woran du bei deiner Frage
streifend dachtest, sind völlig indifferente
Dinge bei Erreichung letzter Wahrheits
erkenntnis. ‒
.Das, was ihr 'philosophische Spekula
tion' nennt, und was auch nicht zum wenigsten
in meinem Lande seit Jahrtausenden geübt
wird, wenn nicht gar mein Land die Wiege die‐
ser Art 'Wissenschaft' zu treiben, ist, ‒ ‒ wirkt
geradezu hemmend auf jene geistigen Kräfte,
die dem Menschen das Erlebnis seelisch-geisti‐
gen Geschehens verschaffen können. ‒ ‒
.Hier sind unsere Gelehrten im Irrtum,
wenn sie letzte Wahrheitserkenntnis auf ihre
Weise gefunden zu haben glauben, und eure
Gelehrten im Westen irren, wenn sie ehr‐
furchtsvoll die Tiefe unseres Denkens bestau‐
nen und in seinen Resultaten die letzte er
reichbare Kenntnis der Wahrheit ver‐
muten. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Es ist auch kein Zufall, dass bei euch im
Westen Männer des messerscharfen Denkens er‐
wuchsen, die durch ihr Denken zu ziemlich
ähnlichen, wenn nicht gleichen, Resultaten
kamen, wie die Denker unseres Landes. ‒
8 Das Buch der Gespräche
.Wie beim Schachspiel unzählige Kombinatio‐
nen des Figurenbildes auf dem Brette möglich
sind, und dennoch niemals das Brett als Spiel‐
platz verlassen wird, so sind auch alle durch
Denken zu erringenden Resultate stets an die
Gesetze des Denkens selbst gebunden und ver‐
mögen ihr Spielfeld nie zu verlassen.
.Das aber, was man erdenken möchte, liegt
fernab von diesem Spielfeld, kann zwar ein
Gegenstand des Denkens werden, ‒ ‒ nach
dem man es gefunden hat, ‒ ist aber nie und
nimmer durch Denken zu finden...»
.Und nachdem wieder eine kleine Pause ein‐
getreten war, die der Meister dazu benutzte,
meiner Begleiterin, ‒ einer in allen Fächern des
Wissens bewanderten Frau aus alter Gelehrten‐
familie, ‒ einige Aufklärungen über die Unter‐
schiede östlicher und westlicher Art des Lehrens
und Lernens zu geben, fuhr er fort:
.«Um den 'Stein der Weisen' ‒ 'die
Wahrheit' ‒ das urtiefe Geheimnis aller Ge‐
heimnisse zu entdecken, ‒ ‒ das Urquellende,
Ruhe-gebende, alles Sehnen Stillende, ‒
dazu braucht man nicht zu wissen, dass die
9 Das Buch der Gespräche
Erde sich um die Sonne dreht, dass die Sterne
der Nacht keine Lichter an der Kuppel des
Himmels, sondern Weltkörper sind, woher der
Blitz und der Donner kommt, und was derarti‐
ger Dinge, die der Verstand des Menschen ent‐
rätselte, mehr sind. ‒
.Alles das ist im letzten Sinne für das Erlebnis
des Urgründigen völlig gleichgültig. ‒
.Die Sonne könnte sich täglich um die Erde
drehen, Blitz und Donner könnten Äusserungen
dämonischer Mächte sein, und die Sterne könn‐
ten als kleine Leuchtkörper sich allabendlich
über unseren Häuptern durch Geister der Luft
entzünden lassen. ‒
.Alles das ist nur als durchaus unwesentlich
zu betrachten, wenn es sich um die letzte Wahr‐
heitserkenntnis, um das Erleben des Ewigen,
handelt...
.Irgendeine Fiktion zur Erklärung aller die‐
ser Erscheinungen würde dem Menschen eben
so dienen, wie das sicherste, durch allerlei
komplizierte Instrumente zu bestätigende Wis‐
sen um den naturgegebenen Zusammenhang.
.Wir bedauern die menschliche Willensrich‐
tung, die dem Menschen solches Wissen so un‐
10 Das Buch der Gespräche
gemein wertvoll erscheinen liess, weil sie ihm
seinen Weg zum Geiste mehr und mehr er‐
schwert. ‒ ‒
.Er verliert durch all dieses Wissen eine
Welt der Gefühle, in der er heimisch blei‐
ben sollte. ‒
.Er schafft sich durch seine Instrumente gigan‐
tische Organe gedanklichen Erfassens, die zu
seinem gegebenen Erfassungsvermögen
durchaus in keinem harmonischen Verhältnis
stehen, und belügt sich selbst, wenn er
glaubt, durch diese, seinen wirklichen Wir
kungs-Möglichkeiten längst nicht mehr ent‐
sprechenden Verstandes-Erkenntnisse, der
Wahrheit, die er letzten Endes sucht, auch
nur um Fadenbreite näher zu kommen...
.Alles, was er so erreicht, ist das Bewusstsein
einer Ohnmacht in bezug auf die ihm gegebene
Gewalt, ein Gefühl der Disharmonie zwischen
'Wissen' und Erreichenkönnen. ‒
.Dieses Gefühl der Ohnmacht verleitet ihn
dazu, die ihm wirklich, aber in rein geistiger
Weise gegebene Macht gering zu schätzen,
während er zu gleicher Zeit mit Stolz auf seine
'Erfindungen' blickt, ohne sich bewusst zu wer‐
11 Das Buch der Gespräche
den, dass sie es sind, die ihm gerade das Beste
rauben, weil sie das Streben seines Willens in
durchaus das eigentliche Endziel fliehen
der Richtung erhalten...
.Er verliert den Sinn für das Relative in den
Gegebenheiten der Aussenwelt, verliert den
Sinn dafür, dass die 'Gesetze' der Natur, die er
so zu erkennen meint, ‒ auch wenn er sie rich
tig erkannte, ‒ doch nur bedingungsweise
gültig sind, und dass die Kraft des Geistes
zwar nicht die 'Gesetze' wohl aber die Be
dingungen der Aussenwelt zu ändern ver‐
mag..
.Das Ewige aber, das er mit all seinem Mühen
doch eigentlich immer klarer erkennen lernen
möchte, bleibt seiner Erkenntnis auf diese
Weise, solange er nicht die Richtung seines
Suchens wechselt, ‒ dauernd fern. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Morgen schon könnte diese ganze Welt des
unermesslichen Raumes in Trümmer zerstäu‐
ben, ein neues Weltenall mit ganz anderer Be‐
dingtheit könnte die Räume erfüllen, 'Natur‐
gesetze' könnten zur Wirkung kommen, von
denen all eure 'Wissenschaft' noch nichts
12 Das Buch der Gespräche
ahnt, und doch hätte sich nichts geändert im
ewigen Geiste, den es durch Erleben zu er‐
fassen gilt. ‒ ‒ ‒
.Eitel und eintägig ist alles stolze 'Wissen'
das ihr im Äusseren zu erreichen sucht, ‒ eitel
und eintägig ist alle vermeintliche 'Erkennt‐
nis' die noch der Krücken philosophierenden
Denkens bedarf, ‒ aber das durch Erleben
bewirkte Erfassen des Wesenhaften macht
aus dem ungelehrtesten Bettler, der, nichts von
allem ahnend, was ihr 'Kultur' und 'Fortschritt'
nennt, in seiner Hütte im Walde sitzt, und nur
von den milden Gaben der Pilger lebt, die den
Dschungel durchwandern müssen, ‒ ‒ einen
ewigen König aller Welten, ‒ einen Mei
ster alles Lebens. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Wohl sollt ihr nicht, einem solchen Yogi
gleich, in den Urwald ziehen, wohl ist es er‐
wünscht, wenn der Schüler der Weisheit, der
im Abendlande wohnt, so viel von dem äusseren
Wissen seiner Zeit sein eigen nennt, dass er in
der Sprache seiner Zeit zu den Menschen seines
Landes zu sprechen weiss, allein, alle äus
sere Wissenserkenntnis darf ihm den Weg nicht
13 Das Buch der Gespräche
verbauen, der ihn erlebend zum Wissen des
Geistes führt, darf ihm keine Fessel werden,
die sein Schreiten hindert! ‒ ‒
.Erst wenn er sein äusseres Wissen über
wunden hat, darf er ernstlich hoffen, das ge
wisse 'Wissen' im Erleben des Geistes in
sich zu finden! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒»
‐‐‐‐‐‐‐‐
14 Das Buch der Gespräche
LICHT UND SCHATTEN
.In jenen Tagen fragte ich den hohen Meister,
ob es wohl wirklich, wie man mir sagte, ‒ Men‐
schen auf dieser Erde gäbe, denen letztes Ge‐
heimnis kund und geistige Macht zu eigen sei,
die aber von ihrer Macht nur zum Schaden der
Menschheit Gebrauch zu machen wüssten? ‒
.Und der Verehrungswürdige sprach:
.«Wer aufgenommen wurde in die hohe Ge‐
meinschaft der Leuchtenden, den verpflichtet
das Gesetz, sich selbst und anderen als eine
Sonne des unendlichen Raumes zu
leuchten.
.Wollte er weiter bei anderen sein Licht zu
borgen suchen, wie es dem Schüler noch zu‐
stehen mag, so müsste er die hohen, schaffenden
Kräfte, die ihm übertragen wurden, unweiger‐
lich verlieren...
.Für ihn, der ein 'sehendes Auge der Welten'
wurde, darf es in keiner Weise mehr Verwir
15 Das Buch der Gespräche
rung geben, denn er trägt eine Macht in sich,
die von ihm Rechenschaft fordert, für jeden
Augenblick, den er durchlebt. ‒ ‒ ‒
.Mit Königen und Bettlern muss er spre‐
chen lernen, als ob er jeweils ihresgleichen
wäre, und er darf in jedem Menschen nur den
Menschen sehen, muss Stand und Rang, Ver‐
dienst und Schuld, Krone und Bettelstab ver
gessen können. ‒ ‒
.Er wird vor keiner Macht der Menschen je
betört verweilen, denn alle Macht, die ihm be‐
gegnen kann, hat in sich selbst ihr Ende, je‐
doch die Macht, die er bewussten Willens trägt
und der er dient, trotzdem er ihr befehlen darf
und sie nach seinem Willen lenken muss, ist
in sich selbst unendlich. ‒ ‒ ‒
.So sehr er auch ans Erdenmenschliche sich
selbst gebunden fühlen mag, so ist er doch in
jedem Augenblick auch davon frei, denn seine
Seele ist 'ein Reich der Ewigkeit' geworden. ‒
.Nichts ausser ihm selbst kann ihn jemals
dieses Reiches Krone und Zepter verlieren las‐
sen...
.Nur er selbst kann sich verderben durch
eigene Schuld!
16 Das Buch der Gespräche
.Doch, wenn er auch auf solche Weise 'fallen'
kann, so bleibt er dennoch, auch nach dem
Fall, verbunden jener Macht, der er zum Trä
ger wurde...
.Er zählt dann zu jenen Kräften der Zerstö
rung, die im Meere psychischen Daseins so
vonnöten sind, wie Sturm und innerer Aufruhr
irdischem Meer. ‒
.Er wird zum Feinde dann, dort wo er
Freund und 'Bruder' war, und die erhabene
Gemeinschaft trauert um einen Stern, der sich
aus eigenem Willen hinab in den ewigen
Abgrund chaotischer Auflösung fallen
liess...
.In tiefster Finsternis, ohne die Kraft zur Er‐
hebung, lebt er nur noch dem Vernichtungs
willen, bis er einst selbst seinem eigenen
Willen erliegt, und so zerfällt in Tausende von
Energieatomen, die des Lebens Wanderung als
freigewordene Kräftezentren dann aufs neue be‐
ginnen. ‒
.Die gleiche Macht wirkt in dem 'Leuch
tenden' und in seinem Gegenpol, dem Herrn
der Finsternis, und dieser Herrscher des
17 Das Buch der Gespräche
Abgrunds, erfüllt von Vernichtungswillen,
besitzt nur seine Macht, weil er sie einst erhielt
als ‒ 'Leuchtender' ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Durch seinen Fall aus dem 'Leuchten' ist er
einer der 'Brüder des Schattens' geworden.
.Dies ist die Wahrheit an dem, was man dir
erzählte, und auch in den Ländern des
Abendlandes gibt es unzählige Menschen,
die nicht ahnen, dass sie nur Marionetten
dieser grossen Vernichter sind, ‒ ganz
deren grossem geistigen Einfluss hingegeben. ‒»
‐‐‐‐‐‐‐‐
18 Das Buch der Gespräche
DIE MACHT DES GEISTES
.Wieder fragte ich einst den hohen Weisen,
der mir zu jener Zeit sein Wissen übertrug, be‐
vor ich selbst zu «Wissen im Geiste» werden
konnte, ob nicht doch aus alten, geheimgehal‐
tenen Büchern, in der «Wissenden» Besitz, sich
manche Weisheit, manches hohe Können er‐
lernen lasse, und er antwortete mir:
.«Mehr sollst du dich freuen über jede
kleinste Weisheit, die dein Geist
dir gibt, als über alle Lasten 'erlernten'
Wissens! ‒
.Mehr sollst du dich freuen über jedes klein
ste Gelingen, das dein Geist dir schenken
mag, als über alle erlernte Kenntnis und
Geschicklichkeit der Erde! ‒
.Du sollst nichts zu tun haben wollen mit de‐
nen, die alles 'gelernt' haben müssen, um es
zu können! ‒ ‒
.Du sollst nichts zu tun haben wollen mit
19 Das Buch der Gespräche
denen, die alles 'gehört' haben müssen, oder
'gelesen' um es zu wissen! ‒ ‒ ‒
.Dein Geist soll immerdar frei sein und in
Freiheit seine Kräfte erproben können!
.Dein Geist soll allezeit all deiner Seelen
kräfte Herr und Meister sein und sie unter
seiner Herrschaft einen! ‒ ‒ ‒
.Wahrlich, deine Seele hat tiefe Kräfte,
die noch keiner in sich völlig ergründet
hat, und auch dein Körper hat vieles geheime
Können, das noch keiner völlig in sich er
kannte! ‒ ‒
.Ich will deinen Körper lösen und lebendig
machen und deiner Seele Kräfte dir zu stets
bereiten Dienern geben!
.Du sollst nicht aus Büchern haben, was du
an Weisheit erlangst, und nicht von anderen
sollst du dir dein Können borgen! ‒ ‒ ‒
.Du hast selbst in dir deinen kunst
reichsten Lehrer, und alle Weisheit, die
in Büchern aufgezeichnet wurde, ist nur ein
Kleines neben dem, was deine Seele in sich
selber birgt! ‒»
‐‐‐‐‐‐‐‐
20 Das Buch der Gespräche
DAS KLEINOD DES HERZENS
.Ein anderes Mal kam die Rede darauf, wie
das Erleben des Erdendaseins, im Lichte
des Geistes betrachtet, zu werten sei, und
der Erhabene begann zu sprechen:
.«Du sollst dein Erleben schleifen, wie man
den Diamanten schleift, ‒ in seinem eige
nen Staube!...
.Du sollst dein Erleben 'fassen' ‒ wie einen
kostbaren Edelstein! ‒ ‒
.All dein Erleben muss sich in klare Facet
ten schleifen lassen, damit es das Licht des
Himmels gleichsam: wie in geometrisch geord‐
neten Formen, wiederstrahle. ‒
.Wie ein Goldschmied sollst du bedächtig den
'goldenen Ring' zu schaffen wissen, der deinem
'geschliffenen' Erleben die würdige 'Fas
sung' werden darf!
.Du selbst bist dein Erleben! ‒
.Du selbst bist die 'Fassung'! ‒
21 Das Buch der Gespräche
.Du selbst bist der Edelstein-Schleifer
und der Goldschmied deines Lebens-Rin
ges! ‒
.Was du so schaffen wirst, ‒ schenke du
dem Unendlichen! ‒
.Dich selbst ‒ schenke dem Unendlichen,
als ein Geschmeide!...
.In seiner Schatzkammer wirst du sicher
und geborgen sein. ‒ ‒ ‒
.Als ein Kleinod des Herzens wird dein
Erleben ewig im Lichte der Ewigkeit
strahlen! ‒»
‐‐‐‐‐‐‐‐
22 Das Buch der Gespräche
ÜBERKEHR
.Ein andermal aber, während der Zeit, da ich
noch Chela meines weisen Guru war, lehrte er
mich einst und sprach:
.«Siehe das Tier mit den unendlich vielen
Häuptern!
.Du bist ausgezogen, es zu vernichten, aber
jedes Haupt, das du abgeschlagen hast, ist stets
wieder aufs neue gewachsen und bedroht dich,
wie vorher. ‒ ‒
.Wer dieses Tier töten will, der darf dabei
nicht des Tieres Blut vergiessen...
.Siehe zu, dass du das Tier vernichtest, indem
du ihm zu folgen scheinst!
.Sei gut zu dem Tiere, ‒ ‒ denn daran muss
es schliesslich zunichte werden! ‒»
.‒ ‒ Und ich tat, wie mir geraten worden war,
obgleich der Rat mir damals sinnlos scheinen
wollte...
23 Das Buch der Gespräche
.Lange musste ich dem Tiere «gut» sein, ehe
es begriff: ‒ «da ist einer, der fürchtet sich
nicht vor mir. ‒»
.Immer und immer wieder versuchte es, mich
zu schrecken, und es verstand «schreck‐
lich» zu sein. ‒ ‒ ‒
.Aber endlich kam der Tag, an dem ich ihm
zum letzten Male «gut» sein musste, ‒ mehr
als je vorher, ‒ und das Tier legte sich müde zur
Seite, und ‒ ‒ starb.
.Die Wogen eines vorweltlichen Meeres spülten
seinen Leichnam hinweg.
.‒ ‒ Von diesem Tage an fühlte meine Seele,
dass sie frei geworden war aller Dienstbarkeit.
.Nun schwebte ich über meinem Körper, und
verbarg mich, nach Willen, auch wie eine
Schnecke in ihm. ‒
.Nun war ich Herr geworden, wo ich vorher
Sklave war.
.‒ ‒ Und es kam zu mir die Stimme des
Gesetzes und sprach:
.«Da du gelöst hast, was in deinem Stamme
von Anbeginn der Erde gebunden war, sollst
du binden und lösen können hinfort, was
deines Stammes ist!»
24 Das Buch der Gespräche
.Also ward mir in jenen Tagen die Kraft,
zu wirken, als einer unsichtbaren Heerschar
Herr...
.Also sprachen meine hohen Brüder von jenem
Tage an:
.«Dem Abendlande ist ein neuer Lehrer ge‐
boren! ‒ Die Sterne des Westens sind noch nicht
erloschen. ‒ ‒ ‒»
.Von jenem Tage an ward mir die hohe Pflicht,
nun selber in Gesprächen und Gleichnisreden
zu lehren, was sich lehren lässt, und ich be‐
gann, in eigenen Worten zu formen, was nun
der Geist der Ewigkeit in wortelosem
Schauen mich vernehmen liess, und was mir
auf meinem Wege zum Geiste jemals Erlebnis
geworden war, soweit ich es mitteilen durfte.
.Nun war mir geboten, andere zu sich
selbst zu führen, da ich in mir selbst «gewis
ses Wissen» geworden war. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Ich gebe, was ich zu geben habe, und auf
die Weise in der ich zu geben vermag.
.Ich setze kein einziges Wort in meinen
Schriften, das nicht mit allem Bedacht erwogen
werden will. ‒
25 Das Buch der Gespräche
.Oft mag sich an einer Stelle eine Frage er‐
heben, die erst an anderer Stelle ihre Ant
wort findet, aber man möge bedenken, dass es
in diesen Dingen eine feste Grenze erlaubter
Antworten gibt, die niemals überschritten
werden darf. ‒ ‒
‐‐‐‐‐‐‐‐
26 Das Buch der Gespräche
DAS GESPRÄCH
VOM INNERSTEN OSTEN
.Ein Weiser wurde einst von seinen Schülern
gefragt nach den «weisen Männern des Ostens»,
und er sprach:
.«Suchet in euch selbst den 'innersten
Osten'! ‒
.Wenn ihr selbst im 'innersten Osten' lebt,
werdet ihr den 'weisen Männern des Ostens' be‐
gegnen, ‒ ‒ eher aber nicht! ‒ ‒ ‒
.Wer in sich den 'Osten' erschliesst, der hat
ein 'Reich' erlangt, das grösser als alle Reiche
der Erde ist. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Der Allbarmherzige, der Erbarmer, ‒ sein
Name sei gelobt, ‒ ist gleich einem Schah-in‐
Schah, der über alle Königreiche der Erde
herrscht.
.Er setzt, in Gerechtigkeit und Liebe, Könige
über die Länder der geistigen Welt und gibt
ihnen Macht und Weisheit, auf dass sie das An‐
27 Das Buch der Gespräche
vertraute verwalten können, aber ihm allein
bleibt dennoch alles Land. ‒
.Im innersten Herzen, in euch selbst, ist ein
Vorraum, gross wie ein Senfkorn, und in ihm
eine kleine Pforte, kleiner als das kleinste
Sonnenstäubchen.
.Durch diese Pforte muss sich zwängen, wer
zum 'innersten Osten' will! ‒ ‒
.Ist er da hindurch, dann wird er hinter der
Pforte ausgebreitete Länder finden, ‒ eine ewige
'Erde' ‒ ein 'Indien' aller Indien, ‒ ein 'Ge‐
birge' aller Gebirge...
.Dort wird er sein Reich gegründet finden, von
aller Ewigkeit her.
.Bevor er aber zu seinem Reiche hingelangen
kann, das in jenen Landen ihm verliehen wird
von jenem Schah-in-Schah, der dort von Ewig‐
keit zu Ewigkeiten herrscht, muss er an den
heiligen Strom gelangen, der ewig im
Kreislauf um das Innerste der Lande fliesst,
der keine Quelle und keinen Abfluss hat, ‒
der stets sich selbst erzeugt und sich selbst
verschlingt...
.Dort wird er den 'Fährmann' finden und der
28 Das Buch der Gespräche
Fährmann wird ihn nach seinem 'Namen'
fragen. ‒
.Weiss er hier seinen 'Namen' nicht, so muss
er unweigerlich sogleich zurück auf die äussere
Erde.
.Doch, wenn er dem Fährmann Antwort geben
kann, so wird er ihn übersetzen auf die an
dere Seite des Stromes, wo er alsdann im ‒
'innersten Osten' ist. ‒ ‒ ‒
.Dort wird er den Führer finden, der ihn zum
'grossen Gebirge' im 'innersten Osten' hingelei‐
ten wird.
.Dort wird er inmitten ewig schneebedeckter
Höhen plötzlich ewig grüne Matten voll
blühender Blumen finden, so dass er sich
vor Staunen kaum zu fassen wissen wird.
.Dort wird er die ragenden Kuppeln eines him‐
melhohen Tempels erspähen, ‒ und wenn er
endlich anlangt und ihn betreten darf, ‒ dann
wird er in diesem Tempel auch die 'weisen
Männer des Ostens' sehen, nach denen er
bis hierher stets vergeblich suchte.» ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Als aber die Frager weiter fragten, ob es denn
unumgänglich nötig sei, die «weisen Männer»
29 Das Buch der Gespräche
des Ostens zu finden, wenn einst die Seele ihr
geistiges Reich erlangen wolle, sprach der Weise:
.«Ihr wisst noch nicht, was ihr da fragt! ‒
.Wer das Reich seiner Seele finden will, dem
muss von innen her dabei geholfen werden. ‒
.Helfen aber können nur jene Wenigen,
die im 'innersten Osten' leben, und die der
Allerbarmer mit Macht begabte, ihren 'Brü‐
dern im Dunkel' Licht zu spenden, sobald
deren Wille und nicht nur ihr 'Wünschen' ernst‐
lich nach solchem Lichte verlangt. ‒ ‒ ‒
.Also müsst ihr die 'weisen Männer des Ostens'
in euch finden, wenn ihr jemals das Reich,
das in euch ist, erlangen wollt! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒»
‐‐‐‐‐‐‐‐
30 Das Buch der Gespräche
DAS GESPRÄCH VOM SCHEIDEN
DES VOLLENDETEN
.«Was geschieht nun», fragte ein Schüler den
Meister, «wenn einer der hohen Gemeinschaft
aus diesem Erdenleben scheidet? ‒ Ver‐
schwindet er dann in dem unendlichen Ozean
geistigen Lichtes, nur seiner selbst im Lichte
noch bewusst, ‒ lebt er in hoher geistiger Ver‐
einigung, allein nur mit seinem Geiste
seinen erhabenen 'Brüdern' verbunden, ‒
oder ist er auf irgendeine Weise auch weiterhin
der Erde nahe?? ‒»
.Der Meister aber antwortete und sprach:
.«Wenn der Gesalbte die Tage seiner Gebun‐
denheit an der Erde Kleid zu Ende gehen sieht,
dann gibt er sich selbst, und die Kraft, der
er der Einheit Glanz verdankt, an den anderen
der Kette weiter, der sein Menschtum an
der Sonne entzündet hat, um einst der
Nachfolger des Gesalbten im Leben der
Menschheit seiner Zeit zu sein.
31 Das Buch der Gespräche
.Bis dahin war der andere noch des Gesalb‐
ten Schüler, auch wenn er längst bereits unter
den Meistern der sieben Tore ein Meister
war...
.Nun spricht der Scheidende zu ihm:
.'Heute will ich dich zum Wege machen,
denn ich selbst war 'Weg' und habe mich selbst
überschritten.
.‒ Zwei sind fortan eines und aus zweien
wird der dritte, ‒ ‒ darin verbirgt sich das
Geheimnis, in dem nun du mit mir vereinigt
wirst! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Stets dreht sich der Kopf des Janus!
.Der Alte weicht dem Jungen und der
Junge muss der Alte werden. ‒ ‒ ‒
.Beide aber gebären aus sich den dritten, ‒
den einen, der immer im Dasein bleibt, und
da sein muss, wo immer 'Dasein' ist...
.Was mitten durch die Kette strömt, gibt
Leben dem Alten, dem Jungen, und dem,
den sie beide aus sich erstehen lassen! ‒
.So in die Kette verwoben durch alle kommen‐
den Gezeiten, spende du nun das Licht, das in
uns beiden leuchtet! ‒
32 Das Buch der Gespräche
.Dieses Kleid der Erde lege ich nun ab.
.Was es barg, lege ich in deine Hand!
.Mich selbst verberge ich nun in dir, denn
zu jenen gehöre ich, die bei den Menschen
dieser Erde helfend bleiben, und du gehörst
in gleicher Weise zu uns! ‒ ‒ ‒
.Niemals können wir die Erde verlassen, nicht
in dieser und nicht in einer kommenden
Weltenperiode, ehevor nicht der letzte der
Menschen einging ins Licht! ‒
.Es ist auf Erden kein Mysterium, das
diesem gleicht! ‒'
.So geht der Geist des Gesalbten ein, in den,
der vorher sein Schüler war, und beide sind nun
eines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .»
‐‐‐‐‐‐‐‐
33 Das Buch der Gespräche
DER BLUMENGARTEN
.«Hier, wo du die Fülle der Blüten siehst,
war vor wenigen Jahren noch öde Wüstenei.
.Unkraut wucherte in dichten Büschen, wo
heute Rosen stehen, und alles schädliche Ge‐
würm war hier in seinem Paradiese.
.Narzissenduft strömt jetzt aus dieser selben
Erde, aus der vor kurzer Zeit noch stinkende
Gewächse sprossten. ‒
.Und alles treibt die gleiche Sonne aus dem
gleichen Boden! ‒ ‒»
.So sprach der Gärtner...
.Ich aber will dir einen anderen Garten zeigen,
in dem du selber der Gärtner bist! ‒
.Noch kannst du nicht das gleiche wie jener
Gärtner sagen von deinem Garten. ‒ ‒ ‒
.Du jätest früh und spät das Unkraut aus
und wartest nun auf deine Blumen, ‒ doch
immer wächst dir neues Unkraut nach. ‒ ‒
.Nun haderst du mit einem «Gott», den du
34 Das Buch der Gespräche
dir selbst erfindest, und willst von ihm die
Früchte deiner Mühen zugeteilt erhalten, statt
selbst zu säen, und dazu den Blumensamen
auszubitten, dort, in jenen Gärten, denen
schon die Früchte reiften...
.Der «Gott», nach dem du rufst, ist nur der
Schatten deines angsterfüllten Herzens! ‒ ‒ ‒
.Von ihm erwarte nicht, dass er dir je dein
Mühen lohne! ‒ ‒
.Nicht eher wirst du deinen lebendigen Gott,
den wahren, einzigen Gott, nach dem
deine Seele verlangt, in deinem «Garten»
sehen, als bis der Same aufgegangen ist, den du
aus den Blütengärten der älteren Gärtner dir
erbeten hast! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Siehe, das ganze Menschendasein ist an
sich nur «wüstes Land», das aber der «Gärtner»
harrt, die es zu einem «Blumengarten» schaf‐
fen! ‒ ‒ ‒
.Die selbe «Erde» und die selbe «Sonne»
werden dann nur «Blumen» treiben, wo jetzt
das «Unkraut» nistet...
35 Das Buch der Gespräche
.Du hast dir hohe Ziele gesteckt! ‒
.Du strebst nach allem, was dich erheben
kann! ‒ ‒
.Doch eines hast du bisher noch vergessen: ‒
.Dass nichts dir erwachsen kann, wo du
selbst keinen Samen legtest...
.Den «Samen» aber musst du dir von andern
erbitten, ‒ von solchen, denen schon die Beete
reiften! ‒ ‒ ‒
.Doch, sie geben dir willig von dem Samen
ihrer Blumen, ‒ aber du glaubst noch nicht,
dass aus diesen unscheinbaren Körnern einst‐
mals Blüten werden könnten. ‒ ‒
.So wirfst du dann den erhaltenen Samen
achtlos fort, und andere Wanderer werden
am Rande des Weges seltsame, leuch‐
tende Blumen später finden, während dein
Garten dir wie bisher nur immerfort Un
kraut trägt. ‒ ‒ ‒
.Oder, ‒ wenn du den Samen schon in die
Erde legst, so gräbst du jeden Tag aufs neue
die Erde wieder auf, damit du etwa deinem
Zweifel Antwort schaffen könntest, ‒ deinem
36 Das Buch der Gespräche
Zweifel, ob der Blumensamen, den man dir gab,
auch wirklich keimen könnte...
.So aber wirst du niemals Blumen erhalten!
.Alles Wachsende will Ruhe und tiefe
Verborgenheit! ‒ ‒ ‒
.Willst du nun endlich deinen Garten in Blü‐
ten sehen, dann musst du auch wirklich tun,
was vonnöten ist. ‒
.Gehe hin zu den älteren Gärtnern, die
reifen Blütensamen haben, bitte darum,
und sammele sorglichst, was man dir geben
wird!
.Dann streue diesen Samen auf das gut gero‐
dete Land, und überlasse es Erde und Sonne,
die Keime und Blüten zu treiben! ‒
.Sorge dich nicht, auch wenn noch einzelnes
Unkraut zwischen den Blütenpflanzen sich er‐
heben sollte!
.Wenn deine Blumen erst wirklich erblüht
sein werden, dann wirst du leicht das Unkraut
entfernen können. ‒ ‒ ‒
.Dein lebendiger, ewiger Gott wird erst
dann in deinem Garten wandeln, wenn alle
deine Beete einst in Blüte stehen...
37 Das Buch der Gespräche
.Du sollst sie nicht künstlich zum Erblühen
bringen wollen!
.Du sollst nur das Erdreich roden und Samen
legen. ‒ ‒
.Alles weitere musst du der Erde und der
Sonne überlassen. ‒
.Auch deine Erde wird die Sonne über
strahlen! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.In deinem Garten, mein Freund, wenn du
sorglich gesät und vorher das Land gehörig ge‐
rodet hast, wird dir auf deiner eigenen
Erde dein lebendiger Gott dereinst geboren
werden! ‒ ‒
.Die Wohlgerüche deiner Blütenbeete werden
ihm zur Nahrung dienen...
.In heiliger Stille wird er sich zu hehrer Gestalt
entfalten...
.In deinem eigenen Garten, wenn
alles in Blüte steht, wirst du dereinst
mit deinem Gotte wandeln! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
‐‐‐‐‐‐‐‐
38 Das Buch der Gespräche
DIE SCHLECHTEN SCHÜLER
.Ein Meister lebte in einer grossen Stadt, bei
der die Schiffe aus allen Ländern ihren Hafen
fanden, so dass er gar bald auch viele Schüler
um sich sah.
.Es waren unter ihnen solche, die sehr sorglich
seine Worte sammelten.
.Nach Jahren «wussten» sie fast alle seine
Worte, und sie hatten nahezu vergessen, dass es
nicht ihre eigenen Worte waren...
.Sie galten in der Stadt, und weit in allen
Landen, als weise, und man fragte sie, wenn
man des Meisters Meinung wissen wollte. ‒
.Andere seiner Schüler hörten den Klang sei‐
ner Worte wohl mit offenem Herzen, aber die
Weise seiner Rede haftete nicht in ihrem
Gedächtnis.
.Ihr Leben jedoch fand Gestalt durch des
Meisters Lehre, und es war kein Geschehen um
39 Das Buch der Gespräche
sie her, das sie nicht durch des Meisters
Augen gesehen hätten. ‒
.Wiederum waren einige, die hörten begeistert
des Meisters Worte und versenkten sie tief in
ihrer Seele, so dass sie zwar auch nach des
Meisters Lehre, aber auf die Weise ihrer
Seele lebten, und mit ihren Augen zu sehen
wussten, nicht wie der Meister sah, sondern
wie er die Dinge gesehen wissen wollte...
.Nach einiger Zeit aber entstieg darauf ihrer
Seele ein eigenes, neues Erkennen.
.Das eigene Erkennen kämpfte mit des
Meisters Lehre und erstarkte immer mehr
in diesem Kampfe, bis es am Ende Sieger
blieb...
.Das eigene Erkennen lehrte sie nun aber
des Meisters Worte anders deuten, als sie je‐
mals gedeutet worden waren. ‒ ‒
.In der Stadt des Meisters sagte man daher:
.«Seht doch diese schlechten Schüler! Des
Verehrungswürdigen Lehre können sie nicht
begreifen und darum ward ihnen seine Weis‐
heit fremd! ‒
40 Das Buch der Gespräche
.Ach, dass er solche Hörer ohne Gehör, solche
Verehrer ohne Ehrfurcht finden musste!! ‒ ‒»
.Da kamen eines Tages Männer von fernen
Meeren, die in der Stadt des Meisters noch
Spuren seiner Weisheit suchen wollten, denn der
Meister selbst war bereits lange schon verstor‐
ben.
.Sie gingen dahin und dorthin suchen, aber
keiner konnte ihnen die Weisheit zeigen, die sie
finden wollten.
.Da kamen sie endlich auch zu jenen, die man
des Meisters «schlechte Schüler» nannte in
seiner Stadt, und alsbald ‒ entbrannte ihr Herz,
denn sie sahen, dass hier des Meisters Weisheit
erst völlig erfasst worden war, dass seine
Lehre aber eine grössere Lehre geboren hatte,
die alles in sich enthielt, was des Meisters Lehre
noch verschweigen mochte.
.Im Tiefsten bereichert und beglückt in ihrer
Seele fuhren sie wieder den fernen Meeren ihrer
Heimat zu und verkündeten in ihren Ländern
allenthalben die neue Lehre, die des Meisters
Weisheit in sich barg in neuer Form. ‒
.Erst lange danach hörten die Menschen in des
41 Das Buch der Gespräche
Meisters Stadt, dass diese Lehre der «schlechten
Schüler» über fernen Meeren bereits als Weis
heit galt, die allein des Meisters höchste
Weisheit in sich enthalte.
.Da verwunderten sie sich sehr, und nachdem
sie Rat gehalten hatten, sprachen sie:
.«Lasst uns aus jener Ferne einen Lehrer
holen, dem wir vertrauen können, denn wer
weiss, welche Lehre dort als die Lehre dieser
«schlechten Schüler» gelten mag! ‒»
.Und sie schickten ein Schiff in die fernen
Lande, das einen Lehrer zu ihnen bringen sollte.
.Als aber die Abgesandten dort erschienen,
weigerte sich jeder Lehrer der neuen Weisheit,
ihnen zu folgen und man sagte: «Ihr selbst
habt doch eure hohen Meister und bei ihnen
haben wir allein die Weisheit gefunden, die
wir hier lehren. ‒ Wie sollten wir aus der Ferne
euch erst bringen wollen, was eure Stadt uns
doch gegeben hat! ‒ Wie sollten wir auch nur
zu lehren wagen, da wir doch nur Schüler
eurer Meister sind, die ihres grossen Meisters
Lehre zur Vollendung brachten!?! ‒»
.Da die Abgesandten aber nicht unverrichte‐
ter Dinge heimkehren wollten, suchten sie so‐
42 Das Buch der Gespräche
lange, bis sie endlich einen Menschen fanden,
der als Lehrer mit ihnen ziehen wollte, weil sie
ihm hohe Belohnung versprechen konnten.
.Es war dies aber einer, der die neue Lehre
nur halb verstanden hatte, und bei allen
wirklichen Lehrern darum kein Ansehen
fand. ‒
.Als dieser nun in die Stadt des Meisters kam
und zu lehren anhub, hörten ihm alle aufmerk‐
sam zu, und man freute sich, einen solchen
«grossen Lehrer» in seiner Mitte zu haben, ‒ um
so mehr, als das, was er lehrte, doch gar sehr
verschieden war von der Lehre der «schlech‐
ten Schüler». ‒
.Und das Volk sprach:
.«Wie töricht waren doch jene Leute, die von
fern herkamen, um bei diesen 'schlechten Schü‐
lern' des alten Meisters Weisheit sich zu holen!
.Nun erst wissen wir den Meister zu verstehen!
.Dieser 'grosse Lehrer' aus fernen Landen hat
seine Weisheit uns erst nahe gebracht.
.Wahrlich, nur er allein ist würdig des grossen
Meisters, der unter uns lebte, grosser Nach
folger zu sein! ‒»
.Und dabei blieben sie...
‐‐‐‐‐‐‐‐
43 Das Buch der Gespräche
DIE NACHT DER PRÜFUNG
.Es war noch damals, als ich erst meines hohen
Guru Schüler war. ‒
.Es war noch damals, als ich erst beweisen
sollte, dass ich ein «Bruder» meines Meisters
werden könne...
.Tiefen, lautlosen Gründen entquoll die Nacht.
.Es zogen die Täler sich zusammen und die
Berge reckten sich wie zum Widerstand.
.Dröhnend, aus höchsten, dünnen Lüften,
sank ein Adler mit schwerem Flügelschlag.
.Dann ward eine Stille um mich her, die das
Blut meiner Adern rauschen liess gleich einem
Strom.
.Mein Geist war so voll der Schwermut, dass
auch Sturzbäche trüber Schauer ihn nicht höher
füllen konnten...
.Reglos, wie eine verschleierte Hostie am Kar‐
freitag, tauchte lebend-starr der Mond aus wehe‐
schwangeren Wolken.
44 Das Buch der Gespräche
.Mein Leib bebte in allen Fasern und fühlte
sich fast der Vernichtung nahe, durch die Pro‐
ben, die vorhergegangen waren...
.Ein Ungeheueres schien ihn nun unsichtbar
erwürgen zu wollen. ‒ ‒
.Da ward mein Auge plötzlich ‒ auf neue
Weise «sehend», und was es sah, waren We‐
sen verwesender Welten, ‒ Wesen, die an
Scheusslichkeit nicht leiden konnten, denn sie
erschienen sich, wie ich fühlte, ausnehmend
schön in ihrer unsagbaren Hässlichkeit...
.Grauen und Entsetzen ging von ihnen aus und
mein Blick sog Myriaden giftiger Pfeile in mein
Herz, sobald er ihren verschleimten Blicken be‐
gegnen musste. ‒
.Sie aber freuten sich ihrer Scheusslichkeit,
und jede neue Wunde, aus der mein pfeildurch‐
bohrtes Herz zu bluten begann, war ihnen eine
greuliche, süsse Wollust. ‒ ‒
.Ich wollte in die Erde versinken vor innerer
Qual, oder mein Fleisch noch lieber den Wölfen
geben, als diesen Ungeheuern verfallen, ‒ aber
die Erde öffnete sich mir nicht, und selbst die
Wölfe flohen den Ort solchen Grauens...
45 Das Buch der Gespräche
.Meine Seele wimmerte in namenloser Pein
und mein Leib krümmte sich wie ein zertretener
Wurm...
.Da fletschten die Unholde mit den grossen,
breitkantigen Zähnen, die aus ihren blutigen
Mäulern starrten, und ihre Schleimaugen sprüh‐
ten grüne Giftblitze. ‒ ‒
.Ich aber fühlte, dass sie mich jetzt für schwach
genug hielten, ihre Beute zu werden und dass
sie schon jetzt sich ihres Sieges freuten...
.Den Untergang aber vor Augen erwachte
die Kraft der Verzweiflung in mir, und
ich bot ihnen Widerstand.
.Ich packte den ersten der Dämonen, der mir
am nächsten war ‒ er fühlte sich an wie eine
kalte, klebrige Masse ‒ und ich würgte ihn,
trotzdem mich Ekel fast überwältigte, bis er er‐
mattet von mir liess.
.Da wich der ganze Haufe, der mich umringte,
wie schreckgelähmt zurück, so dass ich in
dem einen aus ihnen gleich alle bezwungen
hatte.
.Angstvoll duckten sie sich nun am Boden hin
und suchten meinen Blicken zu entschwinden.
46 Das Buch der Gespräche
.Je näher ich ihnen entgegentrat, desto weiter
wichen sie schleunigst vor mir zurück.
.Als aber der Mond dann verblasste, und ein
junger Tag heraufstieg im Osten, klammerten
alle die scheusslichen Wesen sich brünstig an‐
einander, hoben sich mählich über die Erde
empor und schwebten so dahin, wie ein langer
dunkler Wolkenstreif.
.Ich aber fühlte, dass sie dem Tode nahe sein
mussten und der Vernichtung kaum mehr ent‐
rinnen konnten.
.Da ging blutig-rot über glühendem Meere die
Sonne auf, und in ihrer Strahlenhelle löste sich
die dunkle Wolke, ward zu goldenen Flocken
und ertrank zuletzt in goldig-weissem Licht. ‒ ‒
.Vor mir aber stand plötzlich der Meister,
reichte mir die Hand, blickte mir freudeerfüllt
ins Auge und sprach:
.«Ich freue mich, dass ich dich wieder im
Lichte des Tages begrüssen kann. ‒ Ich habe
grosse Sorge um dich erlitten, doch nun hast du
der Zwischenwelt dich als Herr bezeigt; nun
kannst du gefahrlos stets ihr Gefilde betreten,
und alle Dämonen werden zu deinen Füssen
liegen! ‒ ‒»
‐‐‐‐‐‐‐‐
47 Das Buch der Gespräche
INDIVIDUALITÄT
UND PERSÖNLICHKEIT
.Es ward von den vielerlei Formen gespro‐
chen, unter denen der Mensch sein «Ich» zu
erkennen vermeint.
.Schliesslich bat man den Meister um Beleh‐
rung.
.Er aber liess sich also vernehmen:
.«Was dem nottut, der das Leben im
Ewigen sucht, ‒ hier, wie in nachir
dischen Zuständen, ‒ das ist nicht Ver‐
neinung seiner Individualität, sondern
die innere Verneinung, die Nichtaner
kennung der Person, als die ihn die
Aussenwelt und seine eigene Unwissen
heit ‒ maskiert. ‒ ‒ ‒
.Wunschlos geworden als «Person», kann er
dennoch Wünsche in sich hegen, die weiter
weisen, ‒ über seinen Zustand hinaus, ‒ empor
zu reinerer Höhe, wenn auch die Wünsche nie‐
mals anders wirksam werden können, als da‐
48 Das Buch der Gespräche
durch, dass sie Willenskraft in ihrem Sinn
bewegen. ‒
.Nur solche Wünsche wurzeln im wahrhaft
Individuellen.
.Die Wünsche der Person aber sind immer
derart, dass sie als bleibend erhoffen, was vor
übergehen soll, und als Wahrheit nehmen,
was nur zeitliche Täuschung ist. ‒
.Sie führen in ihrer Erfüllung niemals höher
und hindern nur das freie Höhersteigen...
.Wo noch Persönliches gehätschelt wird in
Vorstellung und Wunsch, kann Ewiges, kann
«Individualität» noch nicht zum Ausdruck
kommen.
.Wer als Person sich selbst erhalten will,
muss anderes vernichtet wissen wollen.
.Immer noch findet er ein anderes ausser ihm,
das ihm im Wege steht. ‒
.Auch Individualität will nur sich selbst,
aber nur, um in sich selbst alles andere zu
erhalten. ‒ ‒ ‒
Alles was ist, weiss Individualität mit
sich selbst vereinigt.
.Sie kann sich selbst nicht lieben, ohne in
49 Das Buch der Gespräche
sich selbst auch alles andere in Liebe zu um‐
fangen. ‒
.Nie wird sie Persönliches hassen!
.Sie hat es ja als unreal erkannt...
.Es ist ihr wie die 'Rolle' eines Schauspielers
geworden. ‒
.Sie mag die 'Rolle' werten nach dem Grade,
in dem sie ihren Träger, als ewige Individua
lität, zum Ausdruck kommen lässt.
.Stets wird 'Individualität' nur jene Werte
suchen, die zur Erhöhung und zu reinerer
Gestaltung alles Daseins führen.
.Was dem nicht dient, wird ihr wie 'nicht
vorhanden' sein. ‒ ‒
.Ewige Individualität und bleibendes
'Ich' sind ineinander eines. ‒
.'Person' ist enge Begrenzung!
.Individualität ist zeitlich wie räumlich
unendlich! ‒
.Keine 'Individualität' könnte jemals die an‐
dere hindern, sich selbst zu entfalten.
.Jede hat ihr unendliches Reich für
sich!
.Vereinigt mit allen anderen 'Individuali‐
50 Das Buch der Gespräche
täten' alle anderen durchdringend und von
ihnen durchdrungen, erlebt sie alle nur in
sich selbst. ‒ ‒ ‒
.Stets dem einzig Seienden entströmend,
baut sie nur sich selbst, als eine der unend‐
lichfältigen Formen des einzig Seienden. ‒
.Trotzdem erlebt sie alle anderen dieser For‐
men in sich selbst und weiss sich mit allen
formal identisch.
.Nichts ausser ihr kann ihr jemals zum Hin
dernis werden, und nichts kann sie vernich
ten, wenn sie in sich selbst begründet
ruht. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒»
‐‐‐‐‐‐‐‐
51 Das Buch der Gespräche
DAS REICH DER SEELE
.Die Lehre von der Seele, wie sie in grauer
Vorzeit schon die Leuchtenden erkannten,
will ich dir hier verkünden.
.Dies ist die Weisheit jener Wenigen, die auch
heute noch im Lichte dieser Lehre leben. ‒
.Menschen des Westens lehrten andere
Lehre, und selbst auch im Osten wirst du sel
ten nur dieser Lehre der wahrhaft durch
Selbsterfahrung Wissenden begegnen...
.Dennoch wird jeder dich in Irrtum führen,
der anderes lehrt! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.So höre denn, und verstehe in deinem Herzen:
.Urewig ist des Menschen Geist, anfanglos
und ohne ein Ende. ‒
.Ewig lebt er in eigenem, wesenhaftem
Lichte, denn er selbst ist Licht, ‒ ein
leuchtender Funke jener ewig sich selbst ge‐
52 Das Buch der Gespräche
bärenden Sonne, die stetig sprühend ihren
Funkenregen in den Raum ergiesst. ‒ ‒ ‒
.Nenne diese «Sonne» nicht «Gott», denn
Gott ist etwas anderes!
.Schwer wird es werden, dir das begreiflich zu
machen. ‒
.Ich muss ein Wort aus der Alltagswelt ge‐
brauchen, um dir verständlich zu werden, und
so sage ich dir denn:
.«Gott» ist das subtilste Destillat des
Geistes, nicht «der Geist» in seinem
stetig sich gebärenden Entbrennen! ‒ ‒
.Des Menschen ewiger Einzelgeist aber
ist gleichsam ein Funke jener ewig sprühenden
Sonne, ein Funke, in dem sich das Destillat
des Geistes bilden, ‒ in dem sich der leben
dige Gott unendlichfältig gebären kann...
.Ewig gebärt sich selbst die ewig sprühende
Ursonne ewigen Geistes!
.Ewig sprüht diese kreisende Sonne ihre
Geistesfunken, als Geister-Hierarchien in den
geistigen «Raum»!
.Die «Funken», die sie selbst aus sich
sprüht, sind gleichsam noch selbst Riesen
53 Das Buch der Gespräche
sonnen, doch diese sprühen wieder ewig
«Funken», ewig «Sonnen» aus, die wieder
in gleicher Weise stets kleinere und schwä
chere «Funken» oder Funkensonnen sprü‐
hen...
.Was im Menschtier der Erde sich selbst ge‐
fangen hat, der Geistesfunke, durch den
dieses Menschtier erst zum «Menschen» wird,
ist keineswegs der kleinste dieser Funken.
.Du kannst deiner Vorstellung dadurch am
besten zu Hilfe kommen, wenn du die
«Grösse» dieses «Funkens» etwa im gleichen
Verhältnis zu grösseren und kleineren «Geistes
funkensonnen» suchst, wie sie das Verhältnis
der Grösse dieses Erd-Planeten zu grösse
ren oder kleineren Weltkörpern zeigt. ‒ ‒ ‒
.Es lag im Wesen des Geistesfunkens, der sich
im Erdenmenschentiere sein Gefängnis schuf,
beschlossen, dass er das Reich der Seele sich
als Wirkungsfeld erkor, und dass er schliesslich,
um auch Herrscher in dem Reiche der Materie
zu werden, nach einem «Körper», einem «Leib»
der materiellen Gestaltung strebte.
.Ein solcher «Körper» aber war ihm bereits
gegeben, ein Körper, der wohl der Materie
54 Das Buch der Gespräche
verbunden, doch nicht ihr unterworfen
war. ‒ ‒ ‒
.Dass er aus Furcht vor der materiellen Wir‐
kung seiner Kräfte sich mit dem Körper des
Menschentieres der Erde verband, das erst
gereichte seinem Streben zum «Fall». ‒
.Ein «Fall» ist dieses Streben, doch zugleich
ein Tauchen in die tiefsten Tiefen, in denen
ein neues Bewusstsein geboren werden
kann. ‒ ‒
.Es verlor zwar der Geistesfunke im Fallen
das Bewusstsein um sich selbst, als einer
Sonne des ewigen Geistes, aber die ewige
Kraft, die ihm trotzdem innewohnen bleibt,
treibt ihn wieder empor zu sich selbst, aufs
neue sich selbst erkennend bei seiner völligen
Rückkehr, und dies in einer Herrlichkeit, die
nur aus der Tiefe, in die er gefallen war, zu er‐
schauen und zu empfinden ist ............
.Uranfänglich muss jeder dieser kleineren
Geistesfunken, dieser kleinen «Funkensonnen»,
nach dem Reiche der Seele streben, und nur
die Heftigkeit seines Strebens lässt ihn das
Ziel, das er eigentlich erreichen will, über
schiessen. ‒
55 Das Buch der Gespräche
.Zum Reiche der Seele muss jeder dieser
Geistesfunken, will er sich seine Welt ge
stalten und sich selbst in seiner Wirkung
finden.
.Vorher ist nur ein Wissen um sich selbst in
ihm, als ein Wissen um sein reines Sein. ‒
.Im Reiche der Seele erst wird er seiner
eigenen Wirkungskräfte bewusst. ‒ ‒ ‒
.Im Reiche der Seele erst kann er nach
seiner Göttlichkeit in sich verlangen und erst im
nach «Gott» verlangenden Geiste kann sich
das «Destillat» des Geistes gestalten, kann
sich sein lebendiger «Gott» im Geistesfunken
«gebären». ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.In jener ewig kreisenden, ihrer selbst allein
in ihrer unermesslichen Grösse bewussten
«Geistessonne», die ewig ihre «Funkensonnen»
in den geistigen Raum ersprüht, ‒ dort ist kein
Bedürfen nach einem «Gott», denn dort ist
alles nur leuchtende Einheit des Seins...
.Damit aber «Gott» sein könne, muss etwas
Empfindendes sein, das nicht «Gott» ist,
nicht nur in sich selber kreist, in sich
selbst genug und vollendet...
56 Das Buch der Gespräche
.Wie das weisse Licht des Tages sich
zerspalten lässt in helle und dunklere Farben,
also muss sich die Ur-Einheit des Geistes
gleichsam zerteilen in mancherlei Strahlen,
wenn «Gott» sich im «Geiste» gebären kön‐
nen soll...
.Es müssen farbige Dunkelheiten im an
sich farblos weissen Lichte des Geistes wer‐
den, damit das gold-weisse Licht der Gott
heit sich zeigen kann. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Dazu aber dient das Reich der Seele.
.Ein jeder Menschengeistesfunke taucht ein in
dieses Reich, und um ihn bilden sich, wie Kri‐
stalle in einer salzgeschwängerten Flüssigkeit,
die seelischen Formen, die eure westliche
Lehre: seine «Seele» nennt. ‒ ‒
.Ihr glaubt im Abendlande hier, diese «Seele»
sei gleichsam ein abgeschlossener Leib aus un‐
sichtbarem, fluidischem Stoff, und eure Lehre
lässt diesen Seelenorganismus mit eurer Geburt
im Fleische entstehen, damit er nie mehr euch
verlasse, damit er, in der Zeit entstanden, ewig
erhalten bleibe. ‒
.Eure «Seele» ist aber keineswegs dies festge‐
fügte, in sich Geschlossene, denn das Reich der
57 Das Buch der Gespräche
Seele ist ein unsichtbares, fluidisches Meer,
in dem es keine unveränderlichen Formen
gibt, ausser jenen unzählbaren Kräften, die man
als Seelen-Atome bezeichnen könnte, und die
zeitweilig euere Seele bilden, sie aus sich ge
stalten; doch in jeder «Seele» sind es jeweils
ihrer Tausende, und mehr als tausendmal
Tausende! ‒ ‒ ‒ ‒
.Sobald das, was ihr wirklich im höchsten
Sinne seid, jener ewige Geistesfunke, das
Reich der Seele erreicht, sobald er eintaucht
in dieses fluidische Meer, ‒ schiessen diese Mil‐
liarden von Kräften um ihn zusammen und
werden von dem Eigenlichte des Geistes erfüllt.
.Der Geistesfunke aber strebt tiefer und tiefer,
bis auf den Grund dieses Meeres, wo ihm die
furchterregenden Kräfte dann begegnen, die ihn
verleiten, im äusseren Reiche der dich
testen Materie Schutz zu suchen, so dass er
sich dem Menschentiere eint, und sich in
seiner Form verliert.
.Aus einer Mutter Leibe wird er nun hier als
der Mensch der Erde geboren.
.Stetig aber bleibt er, auch auf dem «Grunde»
58 Das Buch der Gespräche
des Meeres der Seele, in seiner Hülle von Fleisch
und Blut, von dem Meere umschlossen. ‒
.Allmählich lernt er die Formen, die sich um
ihn kristallisieren, im eigenen, wenn auch sehr
verdunkelten, Geisteslicht erkennen.
.Nicht zum ersten Male bildeten diese
Kräfte solche Formen!
.Sie dienten schon vielen Menschengeistes‐
funken in früherer Zeit und werden sich stetig
wieder lösen und wieder von neuem ähnliche
Formen bilden, bis der Impuls, der sie einst
Form zu bilden zwang, durch einen Menschen‐
geistesfunken völlig zur Auswirkung
kommt, bis dass ein Menschengeistesfunke
alle Kräfte dieser Form in seinem Willen
zu einigen weiss. ‒ ‒ ‒
.So kommt es, dass du in deiner «Seele»
Klänge findest, die nicht erst in diesem deinem
Erdenleben zum erstenmal erklangen, ‒ ‒ und
dies verführte die Völker des Ostens zu jenem
Glauben, als ob der Menschengeistesfunke oft
mals diese irdische tierhafte Einkörperung zu
überstehen habe. ‒
59 Das Buch der Gespräche
.Dem ist aber nicht so, wie man im Osten
glaubt, und wie auch im Abendlande heute gar
viele annehmen möchten.
.Zwar gibt es Fälle, gleichsam des «Miss‐
lingens», in denen zweimal einem Menschen‐
geistesfunken jener tiefste Fall zum Triebe
wird, allein es sind dies Sonderfälle, die so selten
sind, dass sie der Regel keinen Abbruch tun.
.Selbstmord und früher Tod, auch allzu
dichtes Einverkrusten in die dichte
Tiereshülle können diesen Trieb zur Wieder‐
Inkarnierung schaffen, allein auch hier nur in
besonderen Fällen, die nicht allzuoft sich
ereignen.
.Du findest in dir vielleicht Menschen früher
Vorzeit wieder?!
.Du kannst, wenn du einmal zu den Erwach‐
ten des Geistes gehörst, selbst ganze Lebens
läufe zum Erklingen bringen, und dies Erinnern
deiner Seelenkräfte wird dann dir bewusst, ‒
dem heute auf der Erde Lebenden, ‒ allein, ‒
nicht du warst jener, den du heute also
neu erlebst! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Du trägst nur jene Seelenformen, die in
seinem Erdenleben sich gestaltet hatten und
60 Das Buch der Gespräche
nicht in ihm zum letzten Ausgleich der
geschaffenen Impulse kamen. ‒ ‒ ‒
.Was du deine «Seele» nennst, ist ein stetig
wechselndes Gebilde im Meere der Seelen‐
kräfte, im Reiche der Seele.
.Jeder Gedanke, jeder Willensimpuls,
jede Tat kann dieses Gebilde sogleich ver
ändern. ‒
.Du wirst, wenn du nicht ganz im Materiellen
verkrustet bist, von Jahr zu Jahr eine andere
«Seele» haben, und nach den Lehren uralter
Weisheit wirst du sicher alle sieben Jahre
völlig andere Seelenkräfte bei dir tätig fin‐
den. ‒
.Gewisse Seelenformen werden sich auch bei
dir wiederholen, und jene, denen du nicht
zur Vollendung verhilfst, wirst du den Men‐
schengeistesfunken hinterlassen, die einst, in
späteren Tagen, dieses Erdendasein durch‐
leben müssen.
.Mit dieser Hinterlassenschaft verbunden ist
stets die Möglichkeit des Rückerinnerns an
das Erdenleben dessen, von dem sie stammt.
.So kann sich ein anderer einst auch deines
61 Das Buch der Gespräche
Lebens erinnern und zu dem Irrglauben kom‐
men, er habe dein Leben einst hier gelebt...
.Das Reich der Seele hält dich so umschlossen,
dass du niemals seine Grenzen finden oder gar
überschreiten könntest. ‒
.Mit den an dich jeweils kristallisierten Seelen
formen, die in steter Veränderung sind,
wirst du dich immer in diesem fluidischen,
und irdischen Augen unsichtbaren «Meere
der Seelenkräfte» bewegen. ‒ ‒
.Aber auch nach dem «Tode» des tierischen
Erdenkörpers wird dir dort nichts zu völliger
Macht verhelfen, bevor nicht alle Impulse,
deren Erzeuger du während deines Erden‐
lebens warst, in späteren Menschenleben ihre
restlose Auswirkung fanden. ‒ ‒
.Du selbst kannst deine Seelenformen dann
nicht mehr ändern!
.So wie sie waren, als dein Erdentiereskörper
dieser Welt der materiellen Kräfte nicht mehr
genügen konnte, so wirst du sie behalten müs‐
sen, bis zu jenem Tage, da auch der letzte der
von dir geschaffenen Impulse durch einen
später hier lebenden Menschengeist seine Aus
wirkung fand...
62 Das Buch der Gespräche
.Jedoch, fürchte dich nicht!
.Die vor dir im Reiche der Seele zu freien
Beherrschern wurden, werden dir dort zur
Seite stehen, und die Zeit bis zu deiner wahr‐
haften «Auferstehung» wird nicht ungenützt
verstreichen, auch wenn es sich um «Jahr‐
tausende», nach irdischem Zeitbegriff, handeln
sollte. ‒
.Wie aber du dann auf den letzten deiner Er‐
löser harren magst, so warten heute Menschen‐
geister, die in früher Vorzeit auf der
Erde im Fleische waren, ‒ auf dich! ‒ ‒ ‒
.Siehe zu, dass in deinem Leben den letzten
Ausgleich findet, was du von jenen früheren
in dir trägst!
.Siehe zu, dass du auch nicht neue Impulse
schaffst, wenn du nicht selbst gewillt bist,
sie in deinem Erdenleben zum völligen Er
schöpfen zu bringen! ‒ ‒
.Du sollst zwar auch neue Impulse schaf‐
fen, aber nur solche, denen du sicher in
deinem Erdenleben selbst genügen kannst,
nach menschlichem Ermessen. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Was nützt es dir, wenn du Impulse schaffst,
die deiner Ansicht nach das Wohl der ganzen
63 Das Buch der Gespräche
Welt bezwecken, wenn aber deiner Hand sich
dann entwindet, was du also schufst, bevor du
selbst imstande warst, das so geschaffene zum
Ausklang hinzuleiten! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Dir und anderen wirst du so nur Leiden
schaffen, denn im Reiche der Seele kann nichts
verursacht werden, ohne bis in seine letz
ten Konsequenzen durchzuwirken durch
Jahrtausende...
‐‐‐‐‐‐‐‐
.Die Lehre von der Seele, so wie sie die
«Leuchtenden» schon in grauer Vorzeit fanden,
so wie sie die «Wissenden» wissen, die gar we‐
nige sind, habe ich dir hier in einfacher Rede
vorgetragen.
.Wenn du klarsehende Augen hast, und nicht
von Vorurteilen geblendet bist, dann wirst du
diese Lehre in vielem wiedererkennen, das
Wahrheitswissen und Täuschungswahn zu bun‐
ten Arabesken verwoben hat.
.Vielleicht auch fasste meine Hand allzufest
deinen Lieblingsglauben, deinen Lieblings
wahn? ‒ ‒
.Aber täusche dich nicht!
64 Das Buch der Gespräche
.Weder im Sinnenreiche, noch im Reiche
der Seele richtet sich das Geschehen jemals
nach deinem Bedünken! ‒ ‒ ‒
.Es sind in allen Reichen des Universums si
chere Wege gebahnt, und nur auf diesen
Wegen bewegt sich Leben und Werk. ‒
.Du kannst nicht neue Wege bahnen, auch
wenn nach deines Verstehens Ermessen die
alten Wege dir nicht gangbar erscheinen!
.Es gibt heute viele im Abendlande, die den
Wahrheitskern in den Lehren des Ostens
ahnen...
.Jedoch, sie glauben blind, dort, wo sie
sehend sichten sollten. ‒ ‒ ‒
.Du wirst in keinem Volke eine «fertige»
Lehre finden, die dir alle Wahrheit restlos ent‐
hüllt!
.Allüberall aber wirst du auf Spuren der
Weisheit stossen, und wohl dir, wenn du sie er
kennst! ‒ ‒ ‒
.Du wirst dann manchen langen Umweg
vermeiden lernen!
.Auch wir wollen dich nur vor Wegen be‐
hüten, die lange Umwege wären.
.Dazu diene dir diese Lehre.
65 Das Buch der Gespräche
.Wir geben dir nur, was wir aus Selbst
erfahrung gewisslich wissen, nachdem
auch wir vor Zeiten einst nur glauben konnten,
als wir solches hörten. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
‐‐‐‐‐‐‐‐
66 Das Buch der Gespräche
DAS FINDEN SEINER SELBST
.In jenen Tagen, da ich noch schwer zu ringen
hatte, um die Proben zu bestehen, die meine
Meister mir auferlegen mussten, ehedem ich
einer der ihren werden konnte, war ich einst
Gast eines hohen Meisters, von dem wohl nie‐
mand in der Welt, in der er lebte, jemals ge
ahnt haben würde, dass er ein Meister des
Lichtes sei.
.Als wir nun an einem der köstlichen Abende
des Südens einsam am Ufer des Meeres uns er‐
gingen, fragte ich ihn, auf welche Weise ihm, der
stets mit tausend Geschäften der Welt beladen
war, einst die Erleuchtung gekommen sei, und
der Mann, vor dem Tausende zitterten, die
seiner Herrschaft untergeben waren, begann zu
sprechen:
.«Gewiss, auch mir, dem Unwürdigsten, gab
der Geist einst sein letztes Geheimnis zu eigen,
und seit jenem Tage ward mir die Kraft, weise
zu sein...
67 Das Buch der Gespräche
.Aber dennoch war ich gar selten weise
zu jener ersten Zeit, denn allzu tief war
mir in Mark und Blut gedrungen, was
mir, bevor der Geist mir sein Geheimnis
gab, als 'Weisheit' von mancherlei Lehren des
Abend- und Morgenlandes angepriesen worden
war. ‒ ‒ ‒
.‒ Es ist nicht allzu leicht, das alles auszu‐
scheiden, was man in Knochen und Adern schon
von den Vätern her mit sich trägt, und was
noch gekräftigt wurde durch Erziehung und
Lehre! ‒ ‒
.Aber es kam ein Tag, da der Geist in furcht‐
erregender Grösse also zu mir sprach:
.'Alles Übel ist Furcht!
.Du fürchtest dich noch, dich der Weisheit
zu vertrauen, und diese Furcht nennst du
Zweifel! ‒
.Ich gebe mich nur dem, der mich nicht
fürchtet!
.Ich gebe mich nur dem, der in mir selbst,
befreit von aller Furcht, zu denken weiss, zu
fühlen und zu handeln!
.Wehe dem, der mich noch aussen sucht!
68 Das Buch der Gespräche
.Wehe dem, der noch in Zweiheit lebt und
noch nicht 'Ich' geworden ist in mir! ‒ ‒ ‒
.Alles Äussere ist dir gegeben, es zu überwin‐
den!
.Ich aber bin der Herr des Äusseren und
Inneren, und du wirst nur in mir, ‒ mit mir
zu einem Ich vereint, jemals zur Herrschaft
gelangen können über alles, was in dir und
ausser dir ist! ‒ ‒ ‒ '
.‒ Hätte ich immer, seit jenem Tage, nach dem
Worte der Weisheit gehandelt, wahrlich, ich
wäre weise gewesen! ‒ ‒
.Aber in Knochen und Adern lebte mir noch
eine Stimme, die da sprach:
.'Du Törichter! ‒
.Wie magst du solchem Worte glauben!? ‒
.Weisst du nicht, dass du Erde bist, und ein
zweifüssig Tier??! ‒ ‒
.Wie könntest du dich denn vereinen wollen,
dem, das als Herr alles Äussere und alles
Innere beherrscht!?! ‒'
.Und ich liess mich gar oft von dieser Stimme
täuschen, und vertraute ihr zuzeiten mehr, als
dem Worte der Weisheit...
69 Das Buch der Gespräche
.Ich ward klein und erbärmlich vor mir selbst,
weil ich der zweiten Stimme glaubte und der
Furcht erlag, ‒ ‒ der Furcht vor jener höch
sten aller Kräfte, die sich selbst mir geben
wollte. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.So sank ich in Leid und Qual zurück, und ver‐
gass, was mir geworden war in jenen Stunden,
da ich dem Geiste mich vereinigt hatte. ‒ ‒
.Nun aber ward mir, nach abermaligem, lan‐
gem Irren, doch der Tag geboren, an dem zu
dauerndem Erleben werden sollte, was
früher nur als 'Gabe' und 'Erleuchtung' zu
mir kam...
.Nun erst ward ich selbst zu lebendigem
Licht! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Ich weiss nicht mehr, was ich vorher war,
und ich will es nicht wissen!
.Mag ich ein Leichnam gewesen sein, der
in den Gräbern hauste und von dem sich
ekle Maden nährten, ‒ oder war ich nur ein
Gespenst meiner selbst, ‒ ‒ genug, dass ich
70 Das Buch der Gespräche
nun weiss, wer ich bin, und es nie mehr ver‐
gessen kann. ‒ ‒ ‒
.Ich glaube, es war nur ein kleines Leid
dieser Erde, das mir so unendlich gross er‐
schien, dass es die ganze Welt vor meinem Auge
verdeckte. ‒ ‒
.Diesem kleinen Leide aber danke ich die Ge‐
nesung!
.Als mir die ganze Welt versunken war in
grauer Trübsal, da fand ich endlich ‒ mich
selbst, obwohl ich ja längst schon im Wahne
gewesen war, 'mich selbst' gewisslich gefunden
zu haben...
.Aber ehedem hatte ich mich zwar so manches‐
mal gefunden, für Augenblicke und geseg
nete Stunden, ‒ ‒ dann jedoch ent-zweite
ich mich wieder, und der Andere, der ein Ge‐
spenst oder ein Leichnam war, nahm von mir
aufs neue Besitz. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Nun endlich ward mir die Kraft, den An
deren schonungslos zu erwürgen, wie sehr er
auch bitten und winseln mochte, als er merkte,
dass ich ihn nicht länger in mir dulden wollte.
71 Das Buch der Gespräche
.So bin ich endlich in mir selber auferstan
den! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Erschauernd fühle ich jetzt, was ich einstens
gewesen war! ‒ ‒
.In eigenem Lichte leuchtend, nicht begrei‐
fend, weiss ich nun:
.wer ich bin ‒ ‒ ‒
.Ich, der ich nun 'Ich selbst' geworden bin,
und niemals mehr einem andern ausser mir
dienen kann...
.Seit jener Zeit erst weiss ich auch anderen
zu befehlen und sie gehorchen mir, weil sie
fühlen, dass einer hier befiehlt, der befehlen
darf. ‒
.Vorher aber musste ich nur befehlen, und
man gehorchte mir nur mit Ingrimm und Wider‐
willen, weil ich, wie so mancher, dem es geboten
wird, kein Recht zum Befehlen hatte. ‒ ‒ ‒»
‐‐‐‐‐‐‐‐
72 Das Buch der Gespräche
VON DEN ÄLTEREN BRÜDERN
DER MENSCHHEIT
.Du wirst gewiss schon lange die Frage auf den
Lippen tragen, wie ich wohl selbst jenen We‐
nigen nahekam, von denen ich dir so manches
in meinen Büchern sage?
.Du wirst wissen wollen, wie diese Menschen
zum allerersten Male in mein Leben traten,
lange bevor ich auch nur ahnen durfte, dass ich
einstmals einer der ihrigen werden sollte. ‒ ‒
.Ich fürchte, die allererste Begegnung würde
von dir in das Reich der «Halluzinationen»
verwiesen werden, wenn sie in gleicher Weise
in deinem Leben erfolgen sollte, wie sie bei mir
im frühesten Kindesalter sich ereignete?!
‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Vielleicht bist du recht wenig geneigt, zu
glauben, dass es eine Möglichkeit gibt, diesen
Körper von Fleisch und Blut zu verlassen, ohne
zu «sterben», und dass jene Wenigen, die das
73 Das Buch der Gespräche
vermögen, in ihrem fluidischen Leibe fast
mit Gedankenschnelle die grössten Reisen aus‐
zuführen imstande sind, dass sie an bestimmten
Stellen und unter ganz genau gegebenen Be‐
dingungen sich unter Umständen sichtbar,
fühlbar und hörbar machen können, so dass
du sie niemals von «Menschen in Fleisch und
Blut» zu unterscheiden vermöchtest!? ‒ ‒ ‒
.Trotzdem ist dieses «Können» keineswegs nur
auf die legitimen Meister der «Weissen Loge»
beschränkt, und gar manche Sage mag der Be‐
tätigung solchen «Könnens» ihren Ursprung
danken. ‒ ‒
.Du kannst nicht einmal mit absoluter Sicher‐
heit behaupten, dass solches «Können» dir
selber ferne läge, denn manche Menschen üben
es unbewusst, was soviel sagen will, dass ihr
Gehirnbewusstsein in tagwachem Zustand
nichts von ihrem Tun im äusseren Zustand
tiefen Schlafes ahnen kann...
.Hier sind wir auf einem Gebiete, von dem
unsere westliche Wissenschaft noch nicht die
Grenzgebiete kennt und das sie wohl auch
niemals genauer kennenlernen kann, denn die
Bedingungen zur Erforschung verlangen hier
74 Das Buch der Gespräche
den ganzen Menschen und nicht nur den
Verstand. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Wo aber «wissenschaftlich» nichts «festge
stellt» wurde, da existiert nun einmal auch
für die meisten Menschen nichts, und ich bin
weit entfernt davon, es dir zu verübeln, wenn
du es in dieser Hinsicht mit der Mehrzahl halten
willst.
.Ich weiss nicht, ob ich nicht ohne meine
eigene Erfahrung in gleicher Weise denken
würde. ‒
.So aber kann ich dir sagen, dass derartige
Dinge nicht nur «möglich» sind, sondern sich
viel häufiger ereignen, als man selbst in recht
«überzeugten» Kreisen vielleicht glaubt...
.Der erste Bote jener Gemeinschaft, der ich
heute angehöre, kam in mein Leben auf diese
Art, als ich noch kaum das Alphabet beherrschte.
.Erst hielt ich ihn für einen Bettler, dem die
Mutter öfters Suppe gab, dann aber ‒ und fast
scheue ich mich, davon zu reden ‒ ‒ als er wieder
und wieder zu mir kam, bei geschlossenen Tü‐
ren, und plötzlich vor mir stehend in Feld und
Wald, wie er ebenso plötzlich verschwand,
75 Das Buch der Gespräche
suchte sich mein kindlicher Verstand eine an‐
dere Erklärung, der auch mein alter Freund und
Beschützer in grosser Weisheit seine Zustim‐
mung gab, obwohl sie, streng genommen, irrig
war.
.In einer frommen Mutterhand erzogen zu
einem Glauben, der «Heilige» am «Throne
Gottes» kennt, glaubte ich, jener Bote der
hohen Gemeinschaft könne wohl niemand an‐
derer sein, als eben ein «Heiliger», und gerade
der, den ich besonders verehrte, und den ich
gerne in gleicher Gestalt mir vorstellen mochte,
in der mir mein geistiger Führer «erschien».
.Die traditionellen Bilder des «Heiligen»
konnten mich nur in meinem Glauben bestär‐
ken, und als ich dann schliesslich den Mut zur
Frage fand, hörte ich aus dem verehrten Munde
des alten seltsamen Freundes die Worte: «Du
hast recht, mein Kind, und später wirst du
noch mehr von mir wissen!» ‒ ‒ ‒
.Ich deutete diese Antwort in kindlicher Weise
als uneingeschränkte Bejahung, hütete mich
aber, irgendeinem Menschen etwas zu verraten,
denn der alte Freund hatte mir gesagt, sobald
ich von den Begegnungen sprechen würde,
76 Das Buch der Gespräche
könnte er nicht mehr zu mir kommen,
und ich hatte ihn bereits so liebgewonnen, dass
mir nichts entsetzlicher gewesen wäre, als ihn zu
verlieren.
.Vielleicht hätte es selbst dieser Warnung
nicht bedurft, denn die Furcht vor allerlei mög‐
lichem Spott hätte mir auch ohne sie den Mund
verschlossen.
.Im Laufe der Zeit wurde mir das plötzliche
Auftauchen und Verschwinden dieses Freundes
derart selbstverständlich, dass ich gar nicht auf
den Gedanken kam, wie seltsam doch die ganze
Sache von andern Geschehnissen sich unter‐
scheide.
.Als ich einige Jahre älter war, wurden seine
«Besuche» jedoch immer seltener und blieben
schliesslich völlig aus, was mich mit tiefstem
Schmerz erfüllte, denn ich glaubte nicht anders,
als dass meine jugendlichen «Untaten» dies ver‐
schuldet haben müssten.
.In erzieherischem Sinne wirkte dies eine
Weile recht gut, als ich aber sah, dass alle meine
Versuche, recht «brav» zu werden, doch nichts
halfen, gab ich sie auf, und führte mein Wald‐
und Wiesenleben wie jeder andere ungebärdige
77 Das Buch der Gespräche
Junge, so dass ich den alten Freund von ehedem
fast völlig vergass. ‒
.Erst viel später wieder tauchte plötzlich in
mir die Empfindung auf, er müsse mir dennoch
nahe sein, und diese Empfindung war stets von
einem Glücksgefühl begleitet, das schwer be‐
schreibbar ist.
.Mancherlei äussere Erlebnisse liessen mich
deutlich fühlen, was er für gut hielt und was er
vermieden wünschte, aber ‒ ‒ ich sah,
hörte und berührte ihn nicht, so wie es
ehedem war. ‒
.Fast möchte ich sagen: er war wie in mir,
oder als ob er «hinter mir» stünde...
.So vergingen weitere Jahre, bis ich eines
Tages, unter Umständen, die auch einem mehr
mysteriös veranlagten Gemüt als dem meinigen,
genügend «mystisch» erschienen wären, aufs
neue die Bekanntschaft jenes alten Freundes
machte.
.Diesmal in wesentlich anderer Art. ‒ ‒
.Es erschien ein Besucher bei mir, ‒ dem ersten
Blicke nach fremd, aber in der zweiten Sekunde
schon ‒ ‒ nur zu wohl vertraut.
.Diesmal nicht in den mir früher so merkwür‐
78 Das Buch der Gespräche
dig erschienenen orientalischen Gewändern, son‐
dern in europäischer Art gekleidet, mit jener
etwas nachlässigen Eleganz, in der zuweilen
Orientalen europäische Kleidung zu tragen
pflegen.
.Nun wurden mir Pflichten aufgetragen, die
eine völlige Geheimhaltung der Begegnung,
wenigstens der geliebten Frau gegenüber, die
mein Leben bereits in recht jungen Jahren teilte,
nicht mehr möglich erscheinen liessen.
.Meine Lebensgefährtin gehörte zu den ersten
Frauen, die sich das Recht auf Hochschul‐
studium erzwungen hatten, und sie war durch‐
drungen von einer durchaus skeptischen, mate‐
rialistischen Philosophie.
.Briefe, die ich dazumal an sie richten musste,
da sie bei jenem ersten Besuche abwesend war,
erfüllten sie mit unsäglicher Angst vor der Mög‐
lichkeit einer plötzlichen «geistigen Erkran‐
kung» bei mir, und nur die nüchterne Erwä‐
gung, dass dieser «Wahnsinn» denn doch zu
viel «Methode» habe, verscheuchten schliesslich
die, für ihre Weltanschauung recht naheliegen‐
den Bedenken...
.Sie sollte später selbst den Besucher, und
79 Das Buch der Gespräche
noch andere seiner Art, leibhaftig kennen
lernen und konnte damals noch nicht ahnen,
dass ihr diese Besucher zu hochverehrten
Freunden werden würden. ‒ ‒ ‒
.Durch sie angeregt fand sie manche Klarheit
über gar vieles, das ihr in den Schriften des
Altertums früher als «sagenhaft» erschienen
war, und soweit eine Frau okkulten Gesetzen
entsprechen kann, entsprach sie ihnen, um jene
'Schätze' zu heben, die in den Mysterien der
Antike beschlossen waren, und sie fand mehr,
als sie erwartet hatte. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Ihr früher Tod liess den Plan nicht zur Aus‐
führung kommen, auf ihre Weise über das was
sie gefunden hatte, zu berichten...
.Ich aber kann dir nur sagen, dass die Myste
rien der Antike auch heute noch nicht
erloschen sind, auch wenn sie in den damals
verstandenen Formen nicht mehr existieren.
.Ich kann bezeugen, dass es einen Akt der
«Einweihung» gibt, von dem kein gedrucktes
oder geschriebenes Buch mehr, als nur dunkle
Andeutungen geben kann...
.Ich weiss von einer «Bruderschaft», der ich
selber zum Bruder werden musste, da ich dazu
80 Das Buch der Gespräche
geboren war, ‒ und die den Ausgangspunkt dar‐
stellt für alle Gemeinschaften, die nach höch
ster Geisteserkenntnis jemals auf dieser
Erde strebten. ‒
.Wir sind sehr wenige!
.Was wir sagen dürfen, geben wir gerne der
Welt, aber darüber hinaus sind wir durch kos‐
misches Gesetz zu ewigem Schweigen ver‐
pflichtet. ‒ ‒
.In früheren Jahrhunderten standen auch im
Abendlande viele bedeutende Menschen in
recht naher Beziehung zu unserer Gemein‐
schaft, ‒ vom Philosophen bis zum Heerführer,
vom Mönch in seiner Zelle bis zum Kardinal am
Hofe der Päpste...
.Zu gegenwärtiger Zeit wirst du die Menschen,
die mit uns in geistiger Verbindung stehen, mehr
im weiten Morgenlande suchen müssen, und
viele sind darunter, denen es wenig gefällt, dass
die Gemeinschaft nun durch mich in klarer
Sprache sich auch wieder an die Menschen des
Westens wendet.
.Dies musste aber geschehen, und mir ward
der Auftrag dazu, da in den Ländern des
Westens mehr oder minder verzerrte, mehr
81 Das Buch der Gespräche
oder minder märchenhafte Gerüchte über das
Dasein einer solchen «Bruderschaft» in Umlauf
kamen, und zwar durch gutgläubige Menschen,
die wohl annehmen konnten mit uns in Verbin‐
dung zu stehen, da sie durch seltsame Heilige,
deren es im Orient gar mancherlei Arten gibt, zu
diesem Glauben verleitet worden waren, ‒ nach‐
dem eine Frau, die ein mediales Phänomen
erster Ordnung war, von dem Bestehen der
«Bruderschaft» Kunde erhalten hatte.
.Es gibt auch noch andere Zirkel in aller
Welt, die an ihren Ausgangspunkten uns
nicht ferne standen. ‒
.Wir sehen ihre Vertreter heute auf Abwegen
und Irrwegen.
.Wir müssen zusehen. ‒ ‒ ‒
.Wir dürfen nur allen geben, was allen ge‐
geben werden kann.
.Wir dürfen nur den Weg zeigen, der zu un‐
serer Einflussphäre in geistiger Weise führt. ‒
.Du darfst dich nicht zu dem Glauben verlei‐
ten lassen, als ob das persönliche Hervor‐
treten eines Gliedes der «Bruderschaft» der
Menschheit den Nutzen bringen könnte, den sie
durch uns erlangen kann!
82 Das Buch der Gespräche
.Wir sind in unserem persönlichen Verhal‐
ten in der Aussenwelt durch mancherlei
strenge Gesetze an Händen und Füssen ge‐
bunden.
.Wir selbst könnten in persönlicher Nähe
weniger geben, als so mancher, der nur unsere
Lehre kennt und sie begriffen hat, ohne aber
durch unsere Gesetze gebunden zu sein. ‒
.Eine Übertretung dieser Gesetze, die bei
persönlichem Wirken in der Aussenwelt fast
völlig unvermeidlich wäre, würde früher oder
später durchaus vermeidbare Opfer fordern,
und solche «Opfer» nach aller Möglichkeit zu
vermeiden, ist alleroberstes Gesetz für
uns. ‒ ‒ ‒
.Von dem Wege, der in die geistige Einfluss‐
sphäre der «Bruderschaft» führt, von ihrer Art
und ihren kosmischen Zusammenhängen
habe ich genugsam in meinen Büchern gespro‐
chen.
.Wenn du den Weg gehen willst, wirst du
auch gewiss einst das Wirken der geistigen
Kräfte bezeugen können, die von der Gemein‐
schaft als einem organischen Ganzen ge‐
leitet werden.
83 Das Buch der Gespräche
.Sie gehen nicht etwa von uns aus!
.Wir sind nur ihre berufenen Leiter und Ver‐
mittler!
.Hüte dich aber, mit diesen Kräften «spielen»
zu wollen!
.Wer sich hier nicht der Tragweite dessen be‐
wusst ist, was er tut, der treibt ein gefährli
ches Spiel! ‒ ‒ ‒
.Du darfst auch das, was du durch uns fin
den kannst, nicht wie eine «Wissenschaft» die‐
ser Erde betrachten und suchen. ‒
.Glaube auch nicht, dass «Askese» oder
Pflanzennahrung, Abstinenz vom Al
kohol, oder Sexualabstinenz, noch irgend
eine absonderliche Lebensweise zur Er‐
langung des Zieles etwa «nötig» oder auch nur
nützlich sei!
.Alle solche asketischen oder abergläubigen
Gepflogenheiten, die dazu führen sollen, ein
geistiges Ziel zu erreichen, sind Auswüchse
einer der unwürdigsten und unfruchtbar
sten Weltanschauungen, die nichtsdestoweni‐
ger unter allen Völkern und in allen religiösen
Gewändern einherstolziert. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Wer aber zu uns kommen will, damit wir
84 Das Buch der Gespräche
ihm auf geistige Weise geben können, was
er sucht, der sei ein nüchterner, gütiger, stiller,
aber ‒ ‒ erdfarbener Mensch! ‒ ‒ ‒
.Ihn wird die hohe Gemeinschaft gewiss zu er‐
reichen wissen.
.Er wird ihrer Gaben an jedem Orte der Erde
und in jedem Zustand äusseren Lebens teilhaft
zu werden vermögen, und dies umso eher, je
mehr er sich bemüht, vor allem, was er geistig
erstrebt, seine irdischen Pflichten gegen
sich selbst, gegen seine Nächsten im engeren
Sinn, und gegen die Menschheit im allgemeinen,
zu erfüllen. ‒ ‒
‐‐‐‐‐‐‐‐
85 Das Buch der Gespräche
MAGIE
.Das flimmernde, körperhaft weisse Mondlicht
des Südens rann herab über die Felsschründe
der kahlen Berge und füllte das weite Tal mit
seinen Olivenwäldern wie einen See.
.Die Marmorsäulentrümmer des verfallenen
Heiligtums leuchteten wie Opale, und auf den
Fliesen lag eine seidene Decke bläulich-weissen
Leuchtens, so dass es den Anschein hatte, als sei
alles bedeckt mit frisch gefallenem Schnee.
.Die beiden Männer durchschritten schweigend
die heiligen Stätten der Vorzeit, bis sie zu den
Fundamenten eines alten Tempels gelangten
und dort sich niederliessen.
.«Diesen Tempel», sprach der eine der beiden
Männer, «hat einst, vor Jahrtausenden, einer
der unseren begründet, und manches Jahr‐
hundert hindurch standen seine Priester unter
unserer Leitung...
.In der Sage des Volkes hiess es dann später,
86 Das Buch der Gespräche
einer ihrer Götter sei der Gründer des Heilig‐
tums gewesen.
.Der Ort, an dem wir lagern, ist heute noch
geheimnisvoll, nur wissen die Menschen dieser
Zeit nichts mehr von seinem Geheimnis...
.Wo immer einer der unseren in alter Zeit ein
solches Heiligtum begründete, dort suchte er
sich eine Stätte, an der es gelingen konnte, ge
wisse fluidische Kräfte der Erde zum
Überquellen zu bringen, was durchaus nicht an
allen Orten auf diesem Planeten möglich ist.
.Heute sind diese Quellen fluidischer Kräfte
zwar an den meisten dieser Orte längst versiegt,
aber noch immer sind die Kräfte, die einst hier
wirksam werden konnten, an solchen Orten wie
auf einen Anziehungspunkt konzentriert, die
Kräfte folgen noch den gleichen Bahnen, die
einst den Schöpfer des Heiligtums bewogen
hatten, an dieser Stätte einen Tempel zu be‐
gründen und Priester zu heiligem Dienste heran‐
zubilden.
.Die Priester dieser Tempelheiligtümer waren
keineswegs von Anfang an jene «Betrüger», für
die man sie heute halten muss, da man nichts
mehr von den geheimnisvollen Kräften ahnt,
87 Das Buch der Gespräche
die an solchen Orten zur Betätigung kamen,
durch eine wahrhafte Magie, von der die Welt
nur noch den Namen kennt und ihn dem Be‐
trug und der Täuschungslust als Mantel ver‐
liehen hat...
.Es gab eine wahrhaftige hohe Magie, und es
gab magische Stätten auf dieser Erde, ja,
man könnte sie jetzt noch finden, wenn man zu
suchen wüsste.
.Dieses «Suchen» jedoch ist den Menschen
der heutigen Zeit nicht mehr möglich, denn
sie haben allmählich die Kräfte in sich verküm‐
mern lassen, die sie zum erfolgreichen Suchen
benötigen würden. ‒ ‒
.Der Mensch ist enger mit den Kräften der
Erde verbunden, als er, dem blossen Augen‐
schein zu sehr vertrauend, glauben kann.
.Unzählige Kräfte dieser Erde wären ihm un‐
tertan, wenn er in sich jene Macht zur Ent‐
faltung bringen würde, der diese Kräfte Gehor‐
sam leisten müssen...
.Wenn man es lehren könnte, diese Macht in
sich zu entfalten, dann würde gar bald alle Welt
zu eines solchen Lehrers Füssen sitzen. ‒
.Die Entfaltung dieser Macht ist aber an ein
88 Das Buch der Gespräche
inneres Wachstum gebunden, und bevor es
nicht im Innersten eines Menschen licht und
klar geworden ist, so dass er bei geschlossenen
Augen alles was er sehen will, in sich selber
sieht, kann er die Macht in sich nicht finden,
noch jemals gebrauchen lernen.
.Er ahnt nicht einmal wovon man spricht,
auch wenn man ihm von der Macht in seinem
eigenen Innern redet. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Auch wenn man von dem 'Sehenkönnen bei
geschlossenen Augen' zu sprechen wagt, weiss
keiner, was das ist, und die meisten glauben,
sie vermöchten das längst, weil sie die Gebilde
ihrer Phantasie mit wahrer Innenschau ver‐
wechseln. ‒ ‒
.Was es heisst, dass alles im Innern klar und
leuchtend werden müsse, vermögen sie nie‐
mals zu erfassen, und sie glauben, dass die
Klarheit des Verstandes, das logisch auf‐
gebaute Denken, ‒ diese Klarheit sei. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Sie ahnen noch nicht, dass es über diesem
vielgepriesenen 'Denken' das für immer zu
Ende ist, wenn der Erdenleib zerfällt, noch ein
anderes Denken gibt, bei dem der Gedanke
selbst lebendig und seiner bewusst wird, so dass
89 Das Buch der Gespräche
er, losgelöst von allem erdgebundenen 'Den‐
ken' sich selbst zu denken vermag. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Da gibt es kuriose 'Lehrer' in meinem Lande,
und sie fanden auch den Weg zu euch ins Abend‐
land, ‒ die ihre Schüler dazu erziehen wollen,
'die Gedanken zu beherrschen' und sie sehen
darin alles Heil, weil sie eine leise Spur der
Wahrheit gefunden haben, und entdeckten,
dass irgend etwas hier mit dem Gedanken
zusammenhängt...
.Wenn diese Törichten fassen könnten, dass
kein Mensch je zur Wahrheit gelangen kann,
in dem nicht der lebendige, seiner selbst
bewusste Gedanke aus dem Schlafe er
wacht, und Herr und Meister wird, dann
würden sie voll Entsetzen sehen, wie sie sich
selbst und andere einer zwecklosen Marter
unterwerfen, die schon so manchen an den Rand
des Wahnsinns, wenn nicht zu völliger Um
nachtung seines Denkens führte...
.Sie lassen ihre Schüler stille sitzen und sich
auf einen einzigen Gedanken des Gehirns nun
'konzentrieren'.
.Sie wollen es soweit bringen, dass sie selbst
90 Das Buch der Gespräche
und ihre Schüler minutenlang und länger ohne
jeden Gedanken zu verharren vermögen, und
glauben so das Licht der Wahrheit endlich zu
empfangen.
.Alles aber, was sie so erreichen, ist eine Zer
rüttung der Nerven und des Gehirns in
diesem physischen Körper. ‒ ‒
.Die 'Erlebnisse' geistiger Art, die sie zu haben
vermeinen, sind niemals etwas anderes, als die
Ergebnisse der widernatürlichen Reizung ihrer
physischen Nerven. ‒ ‒ ‒»
.«Demnach», sprach der andere, «sollte man
doch eigentlich vor aller 'Gedankenkonzentra‐
tion' und aller Beherrschung des 'Gedanken‐
lebens' lieber warnen?! ‒»
.Doch jener, der zuerst gesprochen hatte, fiel
ihm in die Rede und liess sich also vernehmen:
.«Mitnichten, mein Freund!! ‒
.Es kommt nur darauf an, was man er
reichen will, und wie man diesen Rat ver‐
steht! ‒ ‒
.Wenn es sich nur darum handeln soll, jenes
'Denken' das durch die Vermittlung subtilster
physischer Organe, also durch das Gehirn
91 Das Buch der Gespräche
bewerkstelligt wird, und durch die gleichen Or‐
gane 'bewusst' zu werden vermag, von seinem
planlosen Schweifen abzubringen, dann
magst du stets empfehlen, alle Mittel anzuwen‐
den, um diese 'Gedanken' die nur Reflexe des
wirklichen Gedankens in den abertausend
Facettenspiegeln der Gehirne sind, jeweils auf
einen Punkt zu sammeln.
.Der denkende Mensch, der an sich noch nichts
anderes ist als ein höher geartetes 'Tier' wird
die Fähigkeit, auf solche Weise die Arbeit seines
Gehirns zu bestimmen, auf dieser Erde sehr
wohl gebrauchen können.
.Auch sollst du ihn lehren, seine 'Gehirn‐
gedanken' an Gehorsam zu gewöhnen, so dass
er nicht ihr Sklave wird. ‒
.Er soll lernen, jene Gedanken festzuhal
ten, die sein Tun bestimmen dürfen, allen
anderen aber keine Beachtung zu schen‐
ken. ‒ ‒
.Er soll wissen, dass er nur seine Nerven zu‐
grunde richtet, wenn er unfruchtbare oder ver‐
derbliche Gedanken durch Kampf gegen sie,
aus sich entfernen will, dass er aber leicht ihr
Herr wird, wenn er sie völlig unbeachtet
92 Das Buch der Gespräche
lässt, wie sehr sie auch immer wieder sich in sein
Bewusstsein einzudrängen versuchen.
.Er muss wissen, dass er niemals, es sei denn
auf Kosten seiner Nerven, ohne Gedan
ken sein kann, dass es aber in seiner Macht
steht, den gewollten Gedanken sich hinzu‐
geben und die ungewollten dabei in aller
Ruhe, wie Bilder, die ihm nichts mehr zu sagen
haben, an sich vorüberziehen zu lassen. ‒ ‒ ‒ ‒
.Solche stete Übung, die dann allmählich zur
Gewohnheit wird, schafft Ruhe und Ordnung
im Denken, das des Gehirns bedarf, und diese
Ruhe und Ordnung ist erste Vorbedingung,
will der Mensch einst dahin gelangen, den sich
selbst bewusst empfindenden, lebendigen
Urgedanken aus seinem Schlafe zu erwecken.
.Hat er ihn erst in sich erweckt, was allerdings
unter Zehntausenden kaum einem gelingt, nur
weil so wenige wagen, ihn zu erwecken, ‒ dann
wird ihm alles 'Denken' wie er es vorher
gleich allen andern allein vermochte, nur wie
der Schatten eines Lichtes erscheinen, das er
bis dahin kaum in seinen fernsten Strahlen er‐
ahnte. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒»
.«Alles, was du sagst, o Verehrungswürdiger»,
93 Das Buch der Gespräche
begann nun der andere zu erwidern, ‒ «alles,
was du sagst, kann ich ja aus eigener Erfah‐
rung, wie sie durch deine grosse Güte mir zuteil
wurde, selbst bestätigen.
.Ich würde dir aber Dank wissen, trotz allem,
was mir selber kund geworden ist, wenn ich
aus deinem Munde, solange wir noch in irdi‐
scher Nähe sind, vernehmen könnte, wie du
selbst die Macht, die im Menschen verborgen
liegt und die uns in steter Weitergabe übertra‐
gen wurde, die Macht über geheime
Kräfte der Erde, in menschlichen Worten
darzustellen weisst.»
.Und der Erhabene sprach:
.«Glaube nicht, dass ich den Faden meiner
Rede verloren hätte!
.Ich wollte dir nur an diesem heiligen Orte und
in dieser Stunde den Weg der Worte weisen,
den du befolgen sollst, willst du den Menschen
des Westens von jener hohen, wahren Magie
berichten, die du nun selber kennst und von der
sie glauben, dass sie nur Ausgeburt des from‐
men Truges und gemeiner Täuschung sei.
.So musste ich nun die deutliche Unterschei‐
dung setzen zwischen dem, was die Menschen
94 Das Buch der Gespräche
'Denken' nennen und dem lebendigen, sei
ner selbst bewussten Gedanken, der in uns,
die wir ihn erweckten, aller 'Meister' Meister
ist, da doch nur er allein jene Macht uns gab,
durch die wir geheimen Kräften der Erde ge‐
bieten können.
.Sage nun aber den Menschen des Westens,
dass sie diese Macht in irriger Weise ver‐
stehen, ‒ sage ihnen, dass keiner aus ihnen diese
Macht erlangen kann aus sich selbst, ‒
dass nur einer ist, der den Schlüssel zu dieser
Macht in Händen hält, und dem auch wir sie
danken, ‒ dass aber auch wir sie nicht empfan‐
gen hätten, wäre nicht vorher in uns der le
bendige, seiner selbst bewusste Ge
danke aus seinem vieltausendjährigen Schlafe
erwacht, wäre er nicht in uns zu unsterbli
cher Herrschaft und Herrlichkeit ge‐
langt! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Die Menschen glauben noch immer, diese
Macht sei Folge einer äusseren Tätigkeit,
verlange von dem, der sie besitzt, die Ausübung
'magisch' genannter Künste, und ihre Wirkung
sei an 'Riten' und 'Zeremonien' gebunden.
.Du sollst nicht verbergen wollen, dass es auch
95 Das Buch der Gespräche
eine Art niederer und nur zeitweiliger Herr‐
schaft über gewisse geheime Kräfte der Erde
gibt, die durch solcherlei Übung bewirkt wer‐
den kann, ‒ allein du sollst mit aller Deutlich‐
keit auch verkünden, dass alles dies keines
wegs mit jener Macht über Kräfte dieser Erde,
und durch sie über kosmische Kräfte, in Be‐
ziehung steht, die man als die erhabene Magie
des Geistes bezeichnen darf. ‒ ‒ ‒
.Die 'Magie' die durch äussere Mittel,
durch 'Riten' und 'Zeremonien' wirkt, und an
die Ausübung gewisser äusserer Verrich
tungen gebunden ist, steht in dem gleichen
Verhältnis zur Magie des Geistes, wie der
'Gedanke' der das Gehirn zu seiner Darstel‐
lung gebraucht, zu dem ewigen, seiner
selbst bewussten und sich selbst denken‐
den Gedanken. ‒ ‒ ‒
.Versuche es, den Menschen des Westens Klar‐
heit darüber zu geben, dass das einzige Wir‐
kungsmittel der göttlichen Magie des Geistes
der Wille ist, den kein Wunsch mehr be
herrscht, und dass dieser Wille über weite
Reiche der geheimen Kräfte der Erde gebietet
durch sich selbst. ‒
96 Das Buch der Gespräche
.Schenke ihnen Klarheit darüber, dass wir
selbst uns in enge Bindung an ewige Gesetze
geben mussten, als wir diesen wunschlosen
Willen in uns erlangten, dass wir in keiner
Weise mehr tun können, 'was wir wollen',
wobei der Mensch der Erde gemeinhin sein
Wünschen als Wollen fasst, sondern dass wir
uns einem ewigen Willen einen mussten, der
nun in unserem Willen sich selber will, ohne
Rücksicht auf unsere Wünsche, wenn sie ihm
entgegenstehen wollten. ‒ ‒
.Sage den Menschen, die du lehren magst, dass
wir alle unsere Wünsche dem ewigen Willen
ein für allemal unterordnet haben, so dass
unser Wille frei ist von jedem Wunsch und
nur aus sich selber wirkt, im Dienste des
ewigen Willens und aufs innigste mit ihm
vereint...
.Man wird dich schwerlich gleich richtig ver‐
stehen, denn allzusehr sind die Menschen, unter
denen du wirken sollst, daran gewöhnt, jede
neue Lehre in die Formen alter Lehren einzu‐
pressen, bis sie ihnen als alte Lehre 'verständ‐
lich' erscheint.
.Zwar gibst du ihnen die älteste Geistes
97 Das Buch der Gespräche
lehre der Welt, allein, du darfst niemals ver‐
gessen, dass Elemente dieser Lehre sie zu jeder
Zeit erreichten, und dass sie aus diesen Elemen
ten sich allezeit Lehren schufen, die Irrtum
und Wahrheit in krausem Arabeskenspiel
vermengen.
.Ich zweifle auch nicht daran, dass viele ihrer
neuesten Lehrer uralter 'Weisheit' mit Freu‐
den der Wahrheit dienen würden, wenn sie die
Wahrheit nur zu erkennen vermöchten, und
nicht befangen wären in dem Wahn, die Wahr‐
heit sicher zu besitzen.
.Es wird deine eigene Aufgabe sein, dich von
solchen 'Lehrern' sorglichst und klar erkennbar
zu scheiden, und wie du weisst, teilen wir in
keiner Weise deinen menschlich so verständli‐
chen Glauben, dass die von jenen Lehrern Be‐
lehrten am besten vorbereitet seien, die Wahr‐
heit zu empfangen.
.Willst du unter diesen Menschen irrtumsbela‐
denen Wissens deine Schüler suchen, so wirst du
es tun auf eigene Gefahr und mit persön
licher Verantwortung. ‒
.Obwohl du nun mit uns in organischer
Geistesgemeinschaft vereinigt bist, müs‐
98 Das Buch der Gespräche
sen wir dir jede persönliche Freiheit lassen,
aber nur du allein trägst in diesen Dingen
die Verantwortung.
.Willst du unserem Rate hier nicht entspre‐
chen, so mag es immerhin geschehen, und auch
deine spätere Erkenntnis, dass wir dich recht
beraten hatten, wird dir zur Förderung die‐
nen, die mancher Enttäuschung wert erschei‐
nen darf. ‒
.Wir raten dir, ‒ wende dich mit deiner Lehre
an alle, die du erreichen kannst, so wie
der Regen über fruchtbare Gefilde und über
steiniges Felsenland herniederströmt!
.Auch in steinigter Einöde harren Pflanzen‐
keime der Entfaltung...
.Es darf dich wenig bekümmern, ob du von
den einzelnen weisst, die durch deine Lehre
zur Wahrheit finden, oder nicht. ‒ ‒
.Deine Aufgabe ist, die Weisheit des innersten
Ostens, die so lange verhüllt und verborgen
war, den Menschen des Westens in deiner Weise
aufzuzeigen.
.Du weisst, dass andere aus uns, die stets in
völliger Verborgenheit leben, die Aufgabe ha‐
ben, jene jungen Keime aufzusuchen, die
99 Das Buch der Gespräche
durch den befruchtenden Regen deiner Lehre
in den Ländern des Westens nun ihrer Entfal‐
tung entgegenstreben!
.Du darfst dich nicht verleiten lassen, durch
wen immer es auch sei, dir selbst eine Auf
gabe zu erteilen, die wir, die organische
geistige Einheit der hohen Gemeinschaft, dir
nicht übertragen haben. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Du darfst dich auch nicht entmutigen lassen,
wenn du selbst keine 'Erfolge' deiner Lehre ent‐
decken kannst.
.Du sollst wieder und wieder deine dir ver‐
traute Lehre verbreiten, sollst in den gleichen
und ähnlichen Worten stets wieder die gleiche
Lehre geben, ohne darauf zu achten, wer dir zu‐
hören mag und wer deiner Lehre zu folgen ge‐
sonnen ist.
.Wir wollen, ‒ wir, als organische, geistige
Einheit, ‒ dass du, unser Bruder, den Menschen
des Westens die Möglichkeit gibst, zu erkennen,
dass auch heute noch jene 'Mysterien' leben,
von denen die Gebildeten unter ihnen aus der
Geschichte wissen.
.Wir wollen, dass eine neue Zeit tiefsten
geistigen Lebendigwerdens auf dieser Erde
100 Das Buch der Gespräche
beginnen möge, und wir glauben, dass die Völ‐
ker des Westens einst die reifen Früchte
mit uns teilen werden, die sie aus dem
Samen, den wir durch dich ihnen gaben, er‐
zielen können...
.Du weisst, dass du als irdische Persönlichkeit
nur der Vermittler einer Weisheit sein kannst,
die dir nie geworden wäre, hätte nicht einer
derer, die der Menschheit schon seit Urzeittagen
ihre Hilfe senden, sich mit bewusstem Willen
deinem Geiste geeint, bevor du noch auf
dieser Erde deiner Mutter zum Sohne geboren
wurdest!
.Wir verstehen, dass es dir mehr entsprochen
haben würde, deine Weisheit für dich zu be‐
halten, und still deine Erdenwege zu ziehen,
aber wir müssen dich zum Lehren ver
pflichten, auch wenn wir dir dadurch eine
Bürde auferlegen, die dich zuzeiten sehr be‐
drücken mag. ‒ ‒
.Lehre die westliche Welt, dass die magischen
Kräfte auf dieser Erde nicht verschwunden
sind, und dass sie nur einer neuen Menschheit
harren, um sich aufs neue zu betätigen.
.Lehre alle, die dich fragen, wie sie den magi‐
101 Das Buch der Gespräche
schen Pol in sich selber wieder zum Leben brin‐
gen können.
.Lehre sie, dass Bereitsein, hohen Kräften
zu begegnen, diese Kräfte wieder ins Leben
rufen kann!
.Lehre sie, dass aller Anspruch auf höheres in‐
neres Erleben sich nur auf die innere Hal
tung gründet, niemals auf die Heftigkeit des
Wunsches!
.Lehre sie, dass nur in völliger Ruhe der
Seele die Botschaft des Geistes zu empfangen
ist!
.Lehre sie, dass die Fähigkeiten ihrer
Seele nur zum allerkleinsten Teil sich
ihrem Bewusstsein zeigen!
.Lehre sie, auf nichts sich zu verlassen, als auf
das eigene innerste 'Ich' das alle Hilfe
automatisch herbeizieht, deren es bedarf!
.Alles Vertrauen, so sage ihnen, muss Ver‐
trauen zum Leben, zum eigenen 'Ich' muss
Selbstvertrauen sein!
.Sage ihnen:
.Das 'Ich' ist eure gegebene Quelle
aller Kraft!
.Im 'Ich' nur findet ihr euch selbst!
102 Das Buch der Gespräche
.Im 'Ich' spiegelt sich alles Wirkliche!
.Das 'Ich' ist die Quelle alles Wissens
letzter Wahrheit und Wirklichkeit!
.Das 'Ich' ist das Forum, auf dem ihr
allen Geistern des unendlichen Daseins
begegnen werdet!
.Im 'Ich' ist die Kraft gegeben, die
alle Kräfte meistern lernen kann!
.Das 'Ich' ist ewig still. ‒ ‒
.Wer in die grosse Stille gelangt, der
kann in ihm die höchsten Kräfte fin
den!
.Im 'Ich' findet ihr den allumfassen
den ewigen Geist!
.Im 'Ich' nur kann sich euch euer le
bendiger Gott gebären!
.Der Körper der Erde aber muss glau
ben lernen an das ewige 'Ich'!
‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.Sage ihnen weiter:
.Niemand kommt zum Bewusstsein
seines ewigen 'Ich' der nicht verges
sen kann, was er vorher war! ‒ ‒ ‒
.'Ich' ist: nicht etwas, ‒ kein Gegen
stand, der ergriffen werden könnte, kein
103 Das Buch der Gespräche
'Wesen' ‒ also ein 'Nichts' aber das
Nichts, das Alles ist: ‒ ‒ die Form der
Einheit alles Seienden!
.Ihr seid wahrhaftig nur in diesem 'Nichts'!
.Wird es von euch als euer 'Ich' empfunden,
dann habt ihr alles, was da ist, gefunden in
euch selbst!
.'Ich'-Bewusstsein ist das Bewusstsein
alles Seins 'Mittelpunkt' in sich selbst zu
tragen. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.So lehre die Menschen der westlichen Welt,
die deiner Lehre sich anvertrauen, und du wirst
sie zu ihrem höchsten Ziele führen.
.Keiner hat das 'höchste Ziel' mit dem an‐
deren gemein.
.Verschieden wie die Sterne des Himmels in
ihrer Grösse sind die 'letzten Ziele'.
.Jeder aber kann hier auf Erden in seiner
Weise das höchste Ziel, das ihm allein be‐
stimmt ist, erreichen!
.Führe alle, die sich dir vertrauen, zu ihren
höchsten Zielen, aber warne sie davor, die
'höchsten Ziele' die nur wenige zu jeder Zeit
erreichen können, als ihre 'höchsten Ziele' an‐
zusehen.
104 Das Buch der Gespräche
.Sage ihnen, dass es genügt, zu seinem
eigenen 'höchsten Ziele' zu gelangen, dass es
aber Verderben bringt, das 'höchste Ziel'
eines anderen zu erstreben, auch wenn es das
eigene 'höchste Ziel' um Himmelshöhe über‐
ragt!
.So führe die Menschen des Westens auf ge
raden Wegen zu jenem Licht, das sie heute
noch auf Schleichwegen suchen, da sie es
nicht anders zu erreichen vermeinen!
.Ich verlasse dich nun in meiner erdenhaften
Form und andere unserer Brüder werden dir be‐
gegnen, um mit dir in irdischen Worten Zwie‐
sprache zu halten.
.Keiner aber wird dir anderen Rat auf dei‐
nen Weg zu geben haben, und du selbst wirst
in kurzer Zeit nach deinem eigenen Rate in
gleicher Weise dir raten, denn wie wir eines
im Geiste sind, so wird auch jeder, der zu uns
gehört, in kurzem eines Sinnes mit uns allen,
in den Dingen, die er selbst allein für sich er‐
wägt. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒»
.Unter solcher Belehrung war der junge Tag
allmählich emporgestiegen und die ersten Strah‐
105 Das Buch der Gespräche
len der aufgehenden Sonne vergoldeten bereits
die Zinnen der Berge.
.Tief unten lag in der Ferne schwarzblau das
südliche Meer.
.Da kamen Leute den Weg entlang gezogen,
der vorbeiführte an der Ruinenstätte des alten
Heiligtums. Sie führten ein Lasttier mit sich
und erwarteten den hohen Meister.
.Dieser aber umarmte seinen jüngeren Bruder
zum Abschied, bestieg das Lasttier und zog mit
jenen Leuten weiter, einem fernen Ziele zu. Der
Jüngere aber, nachdem er den kleinen Zug der
Wanderer noch eine kurze Wegstrecke begleitet
hatte, wandte sich schliesslich mit einem letzten
Gruss zurück und schritt in den ersten Strahlen
der Morgensonne seiner Herberge zu, die Worte
des hohen Bruders in seinem Herzen erwägend,
und bereit, danach zu tun. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
.So endet nun dieses «Buch der Gespräche»
damit, dass ich dich teilnehmen liess an einer
Unterredung, deren es viele gab, und die zum
Anlass wurden, dass solche Bücher von mir ge‐
schrieben werden mussten.
.Gar manches Jahr ist seit jener Nacht in den
106 Das Buch der Gespräche
Ruinen eines Heiligtums der alten Welt ver‐
flossen, und längst schon bedarf der dort Be‐
lehrte der Frage nicht mehr...
.Längst ist er seinen Brüdern in allem gleich
geworden. ‒ ‒ ‒
.Noch aber ist die Aufgabe, die ihm wurde,
erst am Beginn ihrer Lösung angelangt.
.Möge auch dieses «Buch der Gespräche» zu
ihrer völligen Lösung beitragen helfen!
.Möge es dir zur Klärung vieler Fragen
dienen! ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
107 Das Buch der Gespräche
ENDE