DAS
GESPENST
DER
FREIHEIT
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KOBER'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
BASEL-LEIPZIG 1930
COPYRIGHT BY
KOBER'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
BASEL 1930
BUCHDRUCKEREI WERNER-RIEHM IN BASEL
INHALT Seite
Fatamorgana 5
Notwendigkeit 17
Gemeinsamkeit 29
Autorität 43
Parteisucht 55
Fehlwirtschaft 69
Konkurrenz 95
Schlagwortwahn 109
Selbstdarstellung 123
Religion 137
Wissenschaft 161
Wirklichkeitsbewußtsein 177
Originalscan
FATAMORGANA
.Nicht von der wirklichen Freiheit,
so wie sie Dichter und Helden fand, soll
hier vornehmlich jetzt die Rede sein, ‒
mögen auch Dichter und Helden oft, wenn
auch unwissentlich, gerade für das ge‐
stritten und gelitten haben, wovon wir hier
zumeist nun reden müssen um der Wahr‐
heit willen!
.Nicht das erstrebenswerte Ziel des Seh‐
nens aller, die sich unfrei fühlen, soll hier
nun etwa der Entwertung dargeboten werden,
‒ sondern das Spottbild will ich uner‐
bittlich aufzulösen suchen, das, mehr als
je, die Freiheitsdurstigen in unseren Tagen
narrt. ‒
.Hier ist nur zu helfen durch Erhel
lung, und nur lebendigem Lichte kann
7 Das Gespenst der Freiheit
es noch gelingen, einen Trug tagwacher
Träume zu zerstören, der, ‒ getragen von
den schwülen Dünsten allzuerdenhaften Hof‐
fens und Verlangens, ‒ tagtäglich unzählige
Opfer in die hoffnungslose Öde grauen‐
voller Wüsten lockt.
.Aber auch weiterhin wird die Wahrheit
gelten, daß nur denen zu helfen ist, die sich
raten lassen, und so wird denn gewiß mein
Wort nur dort allein zu helfen wissen, wo
der Wille bereit ist: ‒ mir zuzuhören ...
.Weltwende wirkt das Wort, wo es wachen
Willens erworben wird, aber wenig ver‐
mag es der Seele zu vermitteln, wo Wider
stand weisen Erwerb verwirkt!
.Nicht immer zeugt es von Klugheit,
wenn sich das Ohr warnendem Worte ver
schließt, und es ist gewiß kein Zeichen
tieferer Einsicht, sich von Unerwartetem
wegzuwenden.
8 Das Gespenst der Freiheit
.Manches werde ich sagen müssen, was
manchen wenig genehm zu Ohren klingt,
und von Dingen werde ich zu reden haben,
die heute den Allermeisten undinglich
wurden.
.Aber nicht alles, was den Einen uner
faßlich ist, muß darum den Anderen un
begreiflich bleiben, und es ist wahrhaftig
kein Wahrmal der Wirklichkeit, daß sie
auch denen gefallen müsse, die lieber träu
men, wo sie denken sollten, so daß sie
erkenntnisblind werden für alles, was die
Höhe ihrer Träume überragt.
.Nur solche Wüstenwanderer, die selbst
den Weg zur Oase kennen, werden das
Blendwerk der Luft in den heißen Dünsten
rieselnden Sandes von der vertrauten Wirk
lichkeit zu unterscheiden wissen.
.Mag auch die Reisekarawane, die ein
Wüstenkundiger führen soll, schier unab‐
9 Das Gespenst der Freiheit
sehbar sein, so fällt doch aller Neulinge
Meinung nicht ins Gewicht gegenüber dem
Wissen aus Erfahrung, das den Sicheren
zwingt, das Frohlocken zu dämpfen, und
als Trugbild zu erklären, was nur Trug‐
bild ist ...
.Ich weiß hier Bescheid und weiß zu
raten und zu helfen, denen, die sich noch
raten und helfen lassen wollen!
.Wem meine Worte etwa „überheblich”
klingen mögen, der kennt mich noch nicht!
.Ihm bin ich zu sagen gezwungen, daß
ich aus Ländern der Seele komme, in denen
keiner der daselbst bewußt Lebendigen, ge
sonderter Erkenntnis sich vor Anderen
rühmen könnte.
.Im gleichen Lichte lebend und bewußt,
wäre uns jegliches Streben nach Vorrang
voreinander arge Torheit!
10 Das Gespenst der Freiheit
.Um wieviel mehr aber müßte es mir
als ärgerliche Torheit gelten, wollte ich mich
vor denen brüsten, die noch nicht in den
Ländern des Lichtes lebendig sind!
.Ich würde aber zum Lügner, wollte ich zu
verbergen suchen, daß mir noch Anderes
allzeit gegenwärtig ist, als all das, was mir
hier auf Erden nicht näher und nicht ferner
steht, wie allen meinen Nebenmenschen. ‒
.Millionen sind in diesen Tagen des
Glaubens, daß ihnen nichts anderes zu
ihrem Glücke, als nur „die Freiheit” fehle.
.So denkt nicht nur der Sträfling in seiner
Zelle, ‒ so denkt auch der Fürst, der sich
mancher Freiheit begeben mußte, die seine
Vorahnen voreinst genossen. ‒
.Aber fast alle sehen nur ein Gespenst
der Wüste locken, das jeden zur Beute
„wilder Tiere” werden läßt, der ihm guten
Glaubens folgt ...
11 Das Gespenst der Freiheit
.Wo leider so Viele eines Glaubens, eines
Hoffens und einer Liebe sind, dort wird
es dem Einzelnen schwer, die Täuschung
zu durchschauen, und nur zu willig läßt,
er sich verleiten durch die Allgewalt des
Massenwahns.
.Des Un-Heils wahrlich genugsam kundig,
trachtet der Mensch danach, den Ausweg zu
seinem „Heil” zu finden, und „heilig
wird ihm auch jedes Truggebilde, das ihm
gleißend verheißt, ihn zu seinem Heil zu
führen.
.So kam das Gespenst der Freiheit in
der Menschenwelt zur Macht, und droht
schon fast alle in die Irre zu führen, die
nach wirklicher Freiheit streben.
.Gar unbestimmt, und nach Weise der
Wolken nebelhaft zerfließend, ist das Schein‐
gebilde, das heute den Meisten als „die
Freiheit” gilt.
12 Das Gespenst der Freiheit
.Wirkliche Freiheit aber tritt nur klar
und bestimmt in Erscheinung, denn sie
bedarf gefestigter Form!
.Nur in solcher Selbstfassung vermag es
echte Freiheit, zu bestehen und befreiend
zu wirken!
.Nicht in Form gefaßt, würde sie sich
selbst aufzehren.
.Grenzenlose” Freiheit wäre identisch
mit Selbstvernichtung des Freien. ‒
.Freiheit, die nur Begriff bleibt und
nicht erfühlt werden kann, ist wertlos
für den Menschen!
.Erfühlen läßt sich aber nur Be
grenztes. ‒
.Nur Grenze verleiht Form, und nur
vor wohlbegrenzter Form bleibt Fühlen be‐
hütet vor dem Zerfließen.
.Form ist Ausgleich zwischen allem
Zuviel” und allem „Zuwenig”.
13 Das Gespenst der Freiheit
.Wo wirkliche Freiheit herrscht, dort
kann nicht die Rede sein von „zuviel
oder „zuwenig Freiheit”, denn „zuwenig”
würde ihr Dasein ebenso verneinen, wie
„zuviel” ...
.Wo solches Messen noch möglich ist,
dort herrscht nur das Gespenst, dem der
Mensch die Macht „zumessen” kann nach
seiner Willkür. ‒
.Wirkliche Freiheit ist niemals Selbst‐
zweck!
.Wirkliche Freiheit empfängt allen Wert
von den Zwecken, denen sie dient!
.Wirkliche Freiheit ist die Frucht erfüllter
Notwendigkeit und soll dazu dienen,
Höheres als Freiheit zu erreichen!
.Niemals wirft sich Freiheit zur Herrin
des Willens auf, denn Freiheit ist Dienst
am Willen!
14 Das Gespenst der Freiheit
.Das Gespenst der Freiheit aber sucht
des Willens Unterjochung, strebt allen
Willen aufzusaugen, um selbst in der
Macht zu bleiben ...
.Das Gespenst der Freiheit zeugt in allen
die ihm folgen: tolle Sucht ins Grenzen
lose!
.Das Gespenst der Freiheit zersetzt alle
Fähigkeit, Form zu empfinden!
.So zerstört es alle Sicherheit des Er
kennens, denn nur wo Form empfunden
wird, ist Erkenntnis möglich ...
.Nicht umsonst aber sprachen die alten
Weisen von der „Nichterkenntnis” als von
einer „Schuld”, ‒ auf welches Wort ich
auch an anderer Stelle schon zu achten
lehrte ...
.Schuld entsteht, wo gegebene Kraft
dem Eigner oder seinen Mitgeschöpfen
Schaden schafft, sei es durch Mißbrauch,
15 Das Gespenst der Freiheit
oder aber Unterlassung rechter An
wendung!
.Wer somit dem Trugbild, dem er sich
versklavte, weiterfolgt, obwohl ihn meine
Worte weckten, selbst sich die Gewiß
heit zu verschaffen, daß ihn nur ein „Ge
spenst” zum Narren hält, der wird sich
schwerlich ledigsprechen können von eigener
Schuld ...
.Da alle Schuld jedoch stets ihre Folge
fordert und mit aller Sicherheit erzwingt,
so wird er sich nicht wundern dürfen, wenn
sich ihm die durch ihn selbst gerufene Folge
an die Fersen heftet, und ihn vielleicht
gerade dann erreicht, wenn er zu greifen
glaubt, was nur die Spiegelung der Dünste
dürren Denkens in leerer Luft: ‒ speku
latives Traumbild, ‒ „Fatamor
gana” war. ‒
16 Das Gespenst der Freiheit
NOTWENDIGKEIT
.So hoch den alten Griechen ihre Götter
stehen mochten, so kannten die Weisen jener
Tage doch noch ein höheres, geheimnis‐
volles Prinzip, dem sie auch die Götter
unterordnet dachten: ‒ „Ananke”, = die
Notwendigkeit.
.Wer sich abkehren will von der „Fata‐
morgana” allerwärts wechselnden, wesen‐
losen Scheines der Freiheit, ‒ wer dem
Gespenst der Freiheit endlich die Gefolg‐
schaft aufsagt, ‒ der mag hier verweilen.
.Die Weisheit der Alten dürfte auch
seiner Seele noch erfühlbar sein ...
.Sicherlich suchte er ja die wirkliche
Freiheit, als er vormals ihrem Gespenst
begegnet war, dem er nur deshalb seinen
19 Das Gespenst der Freiheit
Glauben dargab, weil er es für die heiß‐
erstrebte, wirklichkeitsgezeugte Freiheit
hielt.
.Will er nun endlich das Kennmal wirk‐
licher Freiheit erfahren, dann wird es ihm
aufleuchten hier in ungeahnter Helle, sieht
er die Menschen der Vorzeit ihre Götter:
die Freiesten der Freien, ‒ unter‐
ordnen der Notwendigkeit. ‒ ‒
.Eilfertig weiß das hirngeborene Ge
spenst stets das Kennmal der wirklichen
Freiheit zu beschatten, und mit blenden‐
den Bildern die wahnwirre Hoffnung zu
wecken, daß Freiheit auch frei zu machen
vermöge von aller Forderung des Gebotes
der Notwendigkeit ...
.Wirkliche Freiheit aber erwächst nur
aus dieses Gebotes vollkommenster Er
füllung!
.Es ist noch keiner wirklich frei ge‐
20 Das Gespenst der Freiheit
worden, den die Notwendigkeit nicht
„freigesprochen” hätte! ‒
.Wem aber das Trugbild als gleichen
Wertes wie die wirkliche Freiheit gilt,
der ist wahrlich der Freiheit nicht wert!
.Frei sein, heißt denken, reden und
handeln, wie Notwendigkeit es will, ‒
und seine Not zu wenden, weiß, wer solcher‐
weise Freiheit sich erwirkt! ‒
.Wahrhaftig! ‒ keine Macht wird ihm
die so erwirkte Freiheit jemals wieder rauben
können!
.Wenig aber ahnen die Gespenstgeblen‐
deten von dem, was solche Freiheit einem,
der sie zu erlangen wußte, dann er‐
schließt. ‒ ‒
.Notwendigkeit ist nicht „Zwang”, ‒
sonst könnte ja wahrlich Keiner ihr ent‐
gegenwirken!
21 Das Gespenst der Freiheit
.Notwendigkeit ist das höchste, geistige
Ordnende im Menschen, wie in allem
Leben, und das eben wollten die Alten
bekennen, wenn sie „Ananke” noch über
die Götter stellten! ‒ ‒
.Zwang ist nur irdisch bedingte Gewalt:
‒ das wahre Zerrbild der Notwendigkeit!
.Zu gar manchem kann man dich, und
kannst du Andere zwingen, was gewiß
nicht der Notwendigkeit entspricht. ‒ ‒
.Notwendigkeit ist die gesetzte Ord
nung des Allgefüges, dem der Einzelne
einbezogen ist.
.Keiner kann diesem Gefüge und seiner
Ordnung sich auch nur für Augenblicke
entwinden, mag er auch alles für seine Vor‐
stellung zu negieren suchen, außer sich selbst!
.Stets bleibt er in Wirklichkeit mit dem
unermeßlichen Ganzen vereint, ‒ schädigt
sich selbst, wenn er diesem Ganzen nicht
22 Das Gespenst der Freiheit
entspricht, und schädigt das Ganze, wenn
er sich selbst nicht aus innerer Ordnung
zu entfalten weiß. ‒
.Nur das wirkliche Geschehen aber
ist hier entscheidend!
.Der Träumer, der in seiner Höhle sitzt
und seine Phantasie erhitzt bis sie ihm
jedes Geisterreich nach Wahl in seiner Vor‐
stellung erstehen läßt, ‒ der vornehme
Aesthet, der sich von allem äußeren Ge‐
triebe sondert, um nur „in Schönheit” zu
leben und alltagsferne seine Wortewelt zu
gebären, ‒ sie gelten dem unermeßlichen
Ganzen gleichviel wie der brutale Genüß‐
ling, der nur seinen stets erregten Tier‐
sinnen dient. ‒ ‒
.Der solchermaßen Wahnbetörten „Wirk
lichkeit” ist nur ein armer Mensch, der
seiner Eigensucht erliegt, und nicht er‐
füllt, was „Ananke”: die über allen Göttern
alles Leben ordnende Notwendigkeit, von
ihm verlangt. ‒
23 Das Gespenst der Freiheit
.Wesenlos bleibt, was immer er sich schuf
als seine Eigenwelt, mag es ihm auch ge‐
lingen, ihr in tausenden von anderen Men‐
schenhirnen Wiederspiegelung zu schaffen!
.Es ist nichts Wirkliches damit erreicht!
.Willst du zu wirklicher Freiheit
kommen, so mußt du erfüllen, was Not
wendigkeit jeweilens dich erfüllen heißt!
.Das Gespenst der Freiheit wird dich
erregen, so daß deine Phantasie alles Den‐
ken überspannt!
.An dich und Andere wirst du Forderung
stellen, die nicht in Notwendigkeit be‐
gründet ist, sondern im Zwang deines
„überspannten” Denkens ...
.Weil du zu viel „verlangst”, kannst du
nichts, oder allzuwenig nur „erlangen”,
und was du dir, giertriefend, dann etwa
zu rauben suchst, wird dir alsbald von
24 Das Gespenst der Freiheit
denen wieder abgenommen, die vordem
deine Gefährten waren ...
.Der Maßstab, der allein für alles Leben
gilt, geht Allen verloren, die in wilder
Hast dem Gespenst der Freiheit folgen!
.Berechtigt” nennst du deine Kritik,
‒ aber wo in dir willst du ein Recht
zur Verwüstung finden? ‒ ‒
.Kritik ist wie eine Sturzflut, die herab
von eisigen Gletschern fällt.
.Man muß ihr Dämme bauen, wenn sie
Segen bringen soll! ‒
.Es ist begreiflich, daß du alles um dich
her nach deinem Wunsch geordnet sehen
möchtest, ‒ aber bist du denn selbst
bereits in dir geordnet?!?
.Wie kannst du erwarten, daß das Ganze,
dessen winzige Zelle du darstellst, sich allein
nach deinen Wünschen richten könne?!?
25 Das Gespenst der Freiheit
.Du wirst erst dann erkennen lernen,
was dir zum Heile dient, wenn du der Not
wendigkeit vertrauen lernst!
.Sie nur kann dich lehren, was dir
dauernd erhalten bleibt, wenn du es ein‐
mal erlangtest!
.Erfüllung des Gebotes der Notwen
digkeit kann dir allein die wirkliche
Freiheit bringen, nach der du dich sehnst,
auch wenn du noch befangen bist im Wahn,
daß Freiheit sich als Willkür dir zu eigen
geben müsse. ‒ ‒
.Grau und düster wurde das Leben noch
allenthalben, wo man Freiheit verlangte,
ohne Erfüllung des Gebotes der Notwen
digkeit!
.Grinsend erhebt sich sodann der Frei‐
heit wesenloses Gespenst über weite Lande
und vergiftet mit seinem lebenertötenden
26 Das Gespenst der Freiheit
Hauch alle Keime wirklichen Freiheits
willens. ‒
.Alle Tragkraft der Seele übersteigt die
Verantwortung derer, die es, ‒ wenn
auch guten Glaubens, ‒ auf sich nehmen,
Andere einem Trugbild zuzuführen, das
in solche Verzweiflung lockt! ‒ ‒
.Untragbar aber ist auch schon des
Verlockten Verantwortung, der nicht zu
widerstehen wußte, wenn ihm Unmögliches
verheißen wurde, obwohl er wahrlich wis‐
sen konnte, daß doch alles, was sich je‐
mals hier auf Erden nicht der Fügung ein‐
zufügen strebte, die Notwendigkeit ihm
darzubieten hatte, unweigerlich zugrunde‐
gehen mußte, mochte auch irdischer Zwang
der Zersetzung oft noch eine Weile wehren ...
.Notwendigkeit rechnet mit anderen
Zeitwirklichkeiten als jenen, die einem
Erdenmenschenleben überblickbar werden
können! ‒
27 Das Gespenst der Freiheit
.Niemals kann sie sich „verrechnen”,
denn sie ist Wert und Inhalt aller Zahl!
.Alle Wirklichkeit im irdischen und
übererdenhaften Dasein ist in ihr begründet!
.Sie trägt das Firmament der Sonnen‐
schwärme, und ihre ordnenden Gewalten
geben jedem Sandkorn in der Wüste Maß
und Form!
.Vergeblich sucht der Mensch nach einer
Quelle erdenhaften Heils, die ohne „Fassung”
solcher festen Fügung, dauernd fließen
könnte! ‒
.Vergeblich strebt nach Freiheit, wer
sie anders sucht, als in Erfüllung aller
Forderungen der Notwendigkeit!
.Nicht nur die Götter müssen sich
Ananke” beugen, sondern auch ‒ der
Erdenmensch ...
28 Das Gespenst der Freiheit
GEMEINSAMKEIT
.Der Mensch bedarf auf dieser Erde
der Gemeinsamkeit, so wie er auch im
Geiste gleicherweise sich nur in Gemein
samkeit erleben kann!
.Gemeinsamkeit im äußeren Leben
heißt: ‒ was dir zu eigen ist als „Mei
nung”, auch anderer „Meinung” so zu
einen, daß aus Aller Meinen ein gemein‐
samer Besitz erwächst.
.Jeder Einzelne ist eines anderen „Mei‐
nens” in dem er das, was bei so manchem
Fischzug seines Denkens sein geworden
ist, sich faßbar macht.
.Aber jedes Einzelnen „Meinen” läßt sich
mit dem des Anderen ver-einen, und so
entsteht Gemeinsamkeit.
31 Das Gespenst der Freiheit
.Jeder nimmt dann an des Anderen
„Meinen” seinen An-Teil, und es gestaltet
sich, als All-„Gemeintes”: das Gemein
same.
.Notwendigkeit aber läßt den Menschen
das Gemeinsame auch dort noch suchen,
wo sonst verbindsame „Meinung” fehlt,
‒ besonders, wenn es Not zu wenden gilt,
die aller „Meinung” nach, sehr schwer er‐
tragbar ist ...
.So besteht in unseren Tagen die um
fassendste Gemeinsamkeit durch allge‐
meine Unzufriedenheit.
.Wenige nur werden hier auszuschließen
sein.
.Vor allem gilt die Unzufriedenheit den
Formen, die das menschliche Gemein
schaftsleben sich zu eigener Sicherung
erfand, mag solche Sicherung zuweilen auch
den Untergang bedeuten für den Einzelnen.
32 Das Gespenst der Freiheit
.Und hier ist Unzufriedenheit gar oft im
Recht!
.Es ist Torheit, das Gemeinschaftsleben
aufzubauen, unbekümmert um das Wohl
des Einzelnen der doch des Ganzen Bau
stein darstellt, und der Gemeinschaft dann
nur freudig dienen kann, wenn sie ihm da‐
zu dient, sich selber zu erhalten.
.Es ist jedoch die gleiche Torheit, wenn
der Einzelne sich selber so verkennt, daß
er um seines bloßen Daseins willen
schon ein Recht zu haben glaubt, Gemein‐
schaftsdienst für sich zu fordern, sei es in
hoher Sonderstellung, oder um der Not‐
durft seines Lebens zu begegnen ...
.Ich meine nicht das Gleiche, wenn ich
von „Gemeinschaft” spreche, oder von
Gemeinsamkeit”!
.Was der Gemeinschaft angehört, ge‐
33 Das Gespenst der Freiheit
hört nicht mir, ‒ wohl aber das, was ich
mit Anderen gemeinsam habe.
.Vor allem aber ist für mich „Gemein
schaft”: ‒ äußere Zusammenfassung, wäh‐
rend „Gemeinsamkeit” die Seele an‐
geht. ‒
.So kann der Einzelne denn auch nicht
Anspruch stellen, daß die Gemeinschaft,
nur um seines Daseins willen mit ihm
teile, was an Werten ihr gehört!
.Er selbst muß erst durch seine eigene
Leistung „Mitbesitzer” werden am ge
meinschaftlich verbundenen Besitz, ‒
und seinen „Anspruch” wird der Wert be‐
stimmen, den die Gemeinschaft seiner
Leistung zuerkennt.
.Unsinnig ist es, will man hier ein an
deres Wertmaß fordern!
.Stets wird die Gemeinschaft hoch zu
werten wissen, was sie entbehren würde,
bliebe es ihr versagt.
34 Das Gespenst der Freiheit
.Wie könnte man jedoch erwarten, daß
sie tausendfältig dargebotenes Talent so
hoch bewerten solle, wie irgend eine Son
derleistung, deren sie bedarf!? ‒
.In keiner Gemeinschaftsform kann das
anders sein!
.So mag der Einzelne zur Unzufrieden‐
heit ein Recht besitzen gegenüber der Ge‐
meinschaft, ‒ doch die Gemeinschaft bleibt
nicht minder auch bei ihrem Recht.
.Suchst du zu leisten, was sonst die Ge‐
meinschaft, ohne dich, entbehrt, dann wird
sie dir in gleichem Maße „Mitbesitz” an
ihrem Eigentum gewähren, wie sie durch
deine Leistung sich „bereichert” fühlt. ‒
.Die Zahl, nach der man deine Leistung
wertet, bestimmt deine „Bezahlung”! ‒
.Sagst du jedoch, du könntest das, was
die Gemeinschaft braucht, nicht leisten, so
gibst du selbst dein Unvermögen zu, und
darfst dich nicht beklagen, wenn man dir
35 Das Gespenst der Freiheit
keinen An-Teil bietet, wo du nichts mit
zuteilen, oder darzubieten hast, was man
zu werten weiß! ‒
.Es wird dir wenig nützen, klagst du
über die „geringe Einsicht” der Ge‐
meinschaft, die deine Leistung nicht nach
dem von dir bestimmten Werte schätzen
könne. ‒ ‒
.Anders bezeugt sich Gemeinsamkeit!
.Hier wird man das, was du zu bringen
hast, als Zeugnis deiner Fähigkeiten achten,
auch wenn man es gewiß niemals entbehren
würde, und zugleich wird man von dir
erwarten, daß du auch die Leistung jedes
Anderen zu achten weißt, sofern sie nicht
zurückbleibt hinter dem Vermögen seiner
Kraft.
.Man wird dir zu helfen suchen, soweit
man kann, wird aber auch auf deine Hilfe
bauen, wo du helfen kannst.
36 Das Gespenst der Freiheit
.Aber vor allem wird man danach fragen:
wer du bist?! ‒
.Gemeinschaft fragt nur nach der Lei
stung, ‒ Gemeinsamkeit fragt nach dem
ganzen Menschen!
.Erst dort, wo sich Gemeinschaft nicht
in ihrer Form bescheidet, sondern sich
zu seelischer Gemeinsamkeit erhebt,
wird alle Unzufriedenheit verschwinden, ‒
obwohl die Ungleichheit bestehen bleiben
muß, da sie natur- und geistbedingt ist
in Notwendigkeit! ‒ ‒
.Unser Gemeinschaftsleben krankt an
der Verhärtung der Arterien, die ihm Blut
zuführen sollen zur Erhaltung ...
.Es wird nur gesunden können, wenn
es mehr und mehr sich wandeln läßt zu
wahrer Gemeinsamkeit!
.Auch jetzt schon glaubt man ja so
manches „in Gemeinsamkeit” zu tragen,
37 Das Gespenst der Freiheit
oder zu besitzen, ‒ aber das Wort Ge‐
meinsamkeit ist da nur bloße Scheidemünze,
und was es rechtens bezeichnet, fehlt noch
allzusehr. ‒
.Noch ist man weit davon entfernt, die
„Meinung” eines Anderen zu achten, weil sie
das „Seinige”: ‒ weil sie sein Eigentum
darstellt!
.Noch wird die Leistung allenthalben
nur nach ihrer materiellen, momentanen
Wertvermehrungsfähigkeit gewertet, und der
Mensch bleibt ohne jegliche Beachtung,
wenn er nicht etwa mitbenötigt wird, um
seine Leistung darzubieten vor der, ihn
für die Darbietung entlohnenden, Gemein‐
schaft.
.Es fehlt noch gar viel, soll aus der Ge‐
meinschaft die Gemeinsamkeit erstehen! ‒ ‒
.Der Mensch in der Gemeinsamkeit
ist seines eigenen Wertes wohlbewußt und
38 Das Gespenst der Freiheit
schöpft aus diesem Selbstbewußtsein
alle Achtung, die er auch dem Andern
zugesteht.
.Er weiß, daß er nur in dem gleichen
Maße seiner eigenen Entfaltung nahe kom‐
men kann, wie er auch Anderen zu helfen
sucht, zu ihrer Selbstentfaltung zu ge‐
langen.
.„Gemeinsamkeit” bedingt wahrhafte
Freiheit im Gefüge der Notwendigkeit,
während „Gemeinschaft” keinesfalls davor
bewahrt, die Beute des Gespenstes der
Freiheit zu werden!
.Gemeinsamkeit gleicht alle Gegen
sätze aus, da sie nicht minder das Ge
ringe eingefügt weiß der Notwendigkeit,
wie das die Menge Ueberragende!
.In der Familie findet seelische Gemein‐
samkeit ihr erstes Wirkungsfeld.
.Gesegnet sind die Glieder der Familie,
die es zu benützen wissen!
39 Das Gespenst der Freiheit
.Weiter dehnt sich dieses Wirkungsfeld
dann über Gemeinde, Land und Länder
aus ...
.Allem Menschenleben bietet es Raum
und Gedeihen!
.Allen vermag es wirkliche Freiheit
zu sichern, in der Fügung der Notwen
digkeit!
.Ist Freiheit aber allen gemeinsam, so
wird sie wahrlich keiner dem anderen mehr
entziehen wollen.
.Sie ist gesichert, als eines jeden Einzelnen
unbedrohtes „Eigentum”!
.Sie ist Besitz geworden, ‒ ist nun
nicht mehr Traum der Sehnsucht!
.So kann auch keiner mehr verleitet wer‐
den, dem Gespenst der Freiheit nachzu‐
jagen, und wo es ihm begegnet, wird er
nur verlachend ihm den Rücken kehren.
40 Das Gespenst der Freiheit
.Dann wird auch Keiner seine Freiheit
je geschmälert glauben, lehrt ihn Not
wendigkeit, mit vielen Anderen sich einem
Willen unterordnen, in dem Gemeinsamkeit
die vielen Willen eint! ‒ ‒
.Urbeginn der Vielheit ist die Ein
heit, ‒ aber auch der Vielheit höchste
Krönung!
.Nur unter einer Einheit kann in
Vielheit wahre Freiheit sich erhalten!
.Einheit aber bleibt starr und steril,
ragt sie nicht über einer ihr vereinten Viel
heit auf! ‒
.Aus Vielheit erhebt sich Einheit, um
Vielheit in sich zu einen!
.So vollendet sich Gemeinsamkeit! ‒
.So baut Gemeinsamkeit sich selbst
zur Pyramide auf, und krönt sich selbst
in ihrer höchsten Einheit! ‒ ‒
41 Das Gespenst der Freiheit
.Nicht Wahl und Willkür aber darf
bestimmen, was hier nur wahre Freiheit
aufzurichten weiß!
.Und nur nach Ordnung eingefügt dem
Ganzen, wird der Einzelne zum Träger
jener Einheit, zu der Gemeinsamkeit
sich aus sich selbst erhebt, ist sie in sich
vollendet! ‒
42 Das Gespenst der Freiheit
AUTORITÄT
.Menschen sah ich am Werke, die Un‐
erhörtes forderten von allen Anderen, ‒
aber nicht vermochten, auch nur die ge‐
ringste Forderung an sich selbst zu stellen.
.Andere sah ich, die fast Übermensch‐
liches von sich verlangten, das Gleiche aber
auch von Anderen erwarteten.
.Beides ist unmöglich, wo wirkliche
Freiheit herrscht!
.Beides kann keine Rechtfertigung finden
vor den Geboten der Notwendigkeit!
.Einer mag dem Anderen also gleichen,
daß man beide fast verwechseln könnte,
und doch ist Keiner irgend eines Anderen
seelisches Ebenbild!
45 Das Gespenst der Freiheit
.Daß du ein Maß dir selbst geschaffen
hast, für das, was du von dir verlangst,
gibt dir kein Recht, das gleiche Maß auch
anzuwenden, wenn es sich um deinen
Nebenmenschen handelt!
.Eines jeden Menschen Maß wird nur
bestimmt durch die ihm eingeborene
„Maßgerechtigkeit”!
.Viel wird verdorben in der besten Ab‐
sicht, weil man sich „Rechte” zugesteht
auf Grund erfüllter Pflichten, ohne sich zu
fragen, wo denn das „Recht” begründet sei,
die freie Forderung, die man an sich zu
stellen und auch zu erfüllen weiß, auf An
dere zu übertragen?? ‒
.Mit Recht sträubt sich vielmehr das Kind
schon gegen solche aufgedrungene Belastung,
‒ mit Recht verwehrt sich ihr der jugend‐
liche Mensch, soweit er nicht durch Zwang
dazu bewogen wird, sich grollend ihr zu
fügen ...
46 Das Gespenst der Freiheit
.Es ist gewiß hier nicht die Rede von der
Beispiels-Einwirkung, die dem, auf den
sie wirkt, noch alle Freiheit läßt, sondern
von jener argen Art, die das, was sie an
sich als wertvoll achtet, auch mit Ingrimm
Anderen beizubringen sucht, ‒ ganz ohne
Ahnung, daß die wahren Werte dieser
Anderen vielleicht ihr selber ewig artfremd
und daher ganz unerkennbar sind. ‒
.Wie der von seinem Werte Überzeugte
aber tausendmal das Blatt gewendet hat,
so soll es nunmehr auch der Andere wenden,
über den ihm Macht gegeben wurde ...
.Zahllos sind die Beispiele des alltäg‐
lichen Lebens, die Lust am Zwang in solcher
Art am Werke zeigen, aber zahlreich auch
die halbzerstörten Leben, die kaum noch
zur Entfaltung kommen können, weil ihnen
voreinst allzuviel Besorgnis, oder einge‐
steifter Eigensinn, die Freiheit „auszutrei
ben” wußte ...
47 Das Gespenst der Freiheit
.Wo aber Freiheit „ausgetrieben” wird
durch Zwang, dort wird alsbald der Zwang
zum üblen Führer: ‒ zum Verführer
werden, der dem Gespenst der Freiheit
Folge leisten lehrt. ‒
.Autorität läßt sich mit Freiheit derer,
die sich selbst ihr unterordnen, unbedingt
vereinen, und unvereinbar bleibt ihr nur
das Trugbild, das nur eine Freiheit vor
täuscht, die der ewigen Notwendigkeit
entrückt erscheint! ‒
.Zwang aber ist ein wühlender Ver
nichter jeglicher Autorität, denn seine
starre Form der Forderung ist Einbruch in
des Anderen Selbstbestimmungsrecht!
.Selbst dort soll man den Zwang nach
aller Möglichkeit zu meiden suchen, wo des
zu Zwingenden Wohl ihn streng zu fordern
scheint!
48 Das Gespenst der Freiheit
.Zwang bleibt stets ein schlimmer Not
behelf, ‒ auch dort, wo seine Anwendung
zu Zeiten nicht umgangen werden kann!
.In ungezählten Fällen wäre Zwang je‐
doch vermeidbar, bestünde wirkliche
Autorität, als selbstgewollter Ausdruck in
Notwendigkeitserfüllung ihrer selbst gewisser
Freiheit. ‒ ‒
.Wo noch der Zwang vonnöten ist, „Au
torität” zu stützen, dort ist zu fragen: ‒
ob denn wirklich noch Autorität bestehe,
oder nur ihr Spottbild, das sich zwänglich
zu erhalten strebt?!
.Autorität ist nur zu gründen auf in
Freiheit dargebotenes Vertrauen!
.Wo die Gewißheit fehlt, sein eigenes
Wohl gewahrt zu sehen, dort ist für jeden
freien Menschen schon zerstört, was wirk‐
liche Autorität als Unterbau benötigt.
49 Das Gespenst der Freiheit
.Wie alles, was in Sicherheit gefestigt
stehen soll, bedingt ist durch den Boden,
der es trägt, und durch die in den Boden
eingesenkten Fundamente, so auch Autorität,
‒ und dann nur wird sie unbedroht be‐
stehen bleiben, wenn keine Flut sie unter‐
spülen, kein Nachtgetier sie unterwühlen
kann ...
.Nicht was sich selbst berechtigt: ‒ An‐
deren „Autorität”, zu heißen, ist dadurch
Autorität, jedoch wird man vergeblich die
Entfaltung irgend einer menschlichen Be‐
fähigung erwarten, wo nicht Autorität das
Recht der Lenkung übt! ‒ ‒
.Auch alle, die berechtigte Autorität zu
stürzen suchen, unterstellen sich bewuß‐
ten Willens einer eigenen Autorität, die
strengste Folgeleistung fordert. ‒
.Es muß sich dann zuletzt erweisen, wo
die wirkliche Autorität besteht, und wo
nur Zwang und Überredung Rechte zu
50 Das Gespenst der Freiheit
erhalten suchen, die das Vertrauen voreinst
zwar gegeben hatte, aber fürder nicht mehr
zuerkennen kann ...
.Lange mag Entscheidung sich in solchem
Fall verzögern, ‒ zuletzt jedoch siegt die
Notwendigkeit, die dort allein Autorität
bestehen lassen kann, wo Freiheit und
Vertrauen sie begründen.
.Wo das Gespenst der Freiheit Folge
fand, dort wütet alsbald auch die fressende
Sucht, bestehende Autorität zu stürzen, um
eigene mit Zwangsgewalt an gleicher Stelle
aufzurichten.
.Es kann recht lange währen, bis die
fürchterliche Folge solcher Seuche die Be‐
törten endlich zu der Einsicht zwingt, daß
sie zerstörten, was sie hätten nützen
sollen ...
.Noch niemals aber ist der Tag der Ein‐
sicht ausgeblieben, und wehe denen, die als‐
51 Das Gespenst der Freiheit
dann der Trümmerhagel trifft, wenn ihre ei‐
gene Autorität in sich zusammenstürzt! ‒ ‒
.Jedoch noch immer wußte die Not
wendigkeit auch wieder wirkliche Auto‐
rität, in wahrer Freiheit fest gegründet durch
Vertrauen, aufzurichten, wenn sie auch
nicht die Opfer rückerstatten konnte, die
irrendes Verlangen vordem forderte.
.Das Leben weiß die unumgänglichen Ge‐
setze seiner Selbsterhaltung immer wieder
zu behaupten, auch wenn sich Willkür an‐
maßt, ihre eigenen Gesetzestafeln aufzu‐
stellen ...
.Auch reinste Absicht muß zuletzt zu‐
schanden werden, will sie Änderung an
dem bewirken, was Notwendigkeit ver‐
langt, soll Leben nicht sich selbst zer‐
setzen. ‒ ‒
.Da sich Erkenntnis aber nicht erhandeln
läßt, und allzuoft auch bloßer Geltungs
trieb sich durchzusetzen sucht, im Wahne,
52 Das Gespenst der Freiheit
Wandlung zu bewirken nach der Weise, die
er sich erträumte, so fordert schon die
bloße Klugheit, niemals blind Autori
tätsberechtigung zu geben, wo Sturz be
stehender Autorität als Mittel angeraten
wird, zur Freiheit zu gelangen. ‒
.Stets darf man sicher sein, daß denen,
die mit solchem Rat Gefolgschaft werben,
nur das Gespenst der Freiheit „vorschwebt”,
dem sie, selbstgeblendet, folgen, nicht das
Unheil ahnend, dem sie sich und Andere
entgegenführen!
.Wo aber wirkliche Autorität besteht,
gegründet im Vertrauen derer, die in ihr
sich selber Leitung setzen, dort wird die
ihrer selbst gewisse Einsicht keineswegs
die selbstbestimmte Unterordnung als Ver
minderung der Freiheit fühlen.
.Auch ist die wirkliche Autorität stets
in sich selbst gesichert vor Erstarrung, weil
53 Das Gespenst der Freiheit
sie bewegt bleibt durch die Einzelwillen
aller, die sich ihr in freier Anerkennung
einen.
.Gesetzt in der Erkenntnis des Gebotes
der Notwendigkeit, schafft sie den ihr
Vertrauenden die Hilfe, deren sie bedürfen
zur Erfüllung des Gebotes, aus der die
wahre Freiheit sich allein ergeben kann. ‒
.Fast unsühnbare Schuld ist darum
jeder Mißbrauch aufgetragener Autorität,
‒ doch richtet solcher Mißbrauch stets sich
selbst, indem er das Vertrauen unterwühlt,
in dem allein Autorität Begründung fin‐
den kann, so daß, wo Mißbrauch sich er‐
eignet, früher oder später in sich selbst
zusammensinken muß, was seinen Fortbe‐
stand verwirkte.
54 Das Gespenst der Freiheit
PARTEISUCHT
.Urtief begründet in der menschlichen
Natur ist das Zusammenstreben derer, die
nach gleichem Ziele trachten, zur Ver
einigung.
.Was Einzelwille nie bewirken könnte,
wird durch die Sammlung vieler Willen
oftmals doch noch Wirklichkeit, und eigene
Überzeugung findet Selbstgenuß, wenn sie
der gleichen Überzeugung auch in Anderen
begegnet.
.Vielfältige Betrachtungsweise aber kann
dem gleichen Gegenstande gelten, und recht
verschiedentlicher Sehnsucht Ziele er‐
scheinen Menschen als erstrebenswert.
.So ist es denn gewiß nicht widersinnig,
wenn mancherlei Vereinigung sich bildet,
57 Das Gespenst der Freiheit
um jeweils anderem Ziele zuzustreben, und
reiches Leben kann aus solcher Vielheit
sich erheben, trachtet sie danach, die Einzel‐
körperschaften wieder in Vereinigung zu
fassen: einem Ziele zugewandt, das aller
einzelnen Parteiung sonderliche Ziele über
ragt.
.Es ist nicht schwer, ein solches Ziel zu
finden, wird es nur dort gesucht, wo aller
Wohl es finden lehrt, als solches das vor
allen Sonderzielen erst erreicht sein muß,
und nach ihrer Erreichung dann auch das
Erreichte sichert.
.So, wie dem Einzelnen gar vieles un‐
erlangbar bleibt, was die Vereinigung der
Vielen noch erlangt, so bleibt auch jeglicher
Vereinigung noch vieles unerfüllt, dem eine
überragende „Vereinung der Vereini
gungen” zur Erfüllung helfen kann.
.Selten aber ist solche Sammlung, obwohl
sie die Regel bilden sollte!
58 Das Gespenst der Freiheit
.Allzuselten sind noch die Einzelnen, in
denen jene blinde Gier des Tieres über
wunden ist, das sich auf seines Artgenossen
Futter stürzt, auch wenn es die ihm selber
dargebotene Nahrung dabei wild zertram‐
pelt ...
.Zu selten ist noch Achtung fremder
Meinung, ‒ zu selten die Erkenntnis,
daß dem etwa Irrenden nur dann geholfen
werden kann, wenn er schon seines Irrtums
in sich selber kundig wurde. ‒
.Jeder glaubt sich selbst allein des besten
Wissens sicher, und sieht in jedem Anderen,
der sich auf gleiche Weise gut beraten
glaubt, nur noch den Feind. ‒
.So wird Zersetzung und Zersplitte
rung bewirkt, wo nur die stete Sammlung
dereinst aller Einzelmeinung wahren Wert
zutagefördern könnte. ‒ ‒
.Man hat sich mit den Gleichgesinnten
vielfach nur vereinigt, um die eigene Einzel‐
59 Das Gespenst der Freiheit
stimme, wie ein Echo, tausendfältig zu ver‐
nehmen, ‒ da man durchaus nicht so ge‐
wissen Wissens ist, wie man zuweilen meint,
und allzubald an seiner Sicherheit den
Zweifel nagen hören würde, übertönte ihn
nicht immerfort der Chor der Vielen, die
auf gleiche Weise ihre Selbstgewißheit zu
erhalten suchen ...
.Es wird dann jede andere Vereinigung
verachtet und befehdet, da die ihr Ange‐
hörigen zur jeweils gleichen „Melodie
sich anderen Text ersonnen haben, der
ihnen als nicht minder inhaltsreich, und
gut begründet gilt.
.Da aber jeder Mensch sein eigenes
Meinen hat, das sich auch immer noch in
mancher Art von dem des scheinbar gänz‐
lich Gleichgesinnten unterscheidet, so
läßt sich jegliche Vereinigung, soweit nicht
Zwang sie künstlich noch zusammenhält,
in immer kleinere Splitter spalten, bis zu‐
60 Das Gespenst der Freiheit
letzt der Einzelne nur noch für sich allein
„Partei” zu nehmen fähig ist.
.Nur durch das Walten der Notwen
digkeit, der kein Bezirk des Lebens sich
entziehen kann, wird solche letzte Spaltung
doch verhütet.
.Es ist jedoch nicht zu verhindern, daß
der Trieb zur Sonderung inmitten der
bereits gesonderten Vereinigungen argen
Schaden schafft, indem er die Vereinigten
derart verblendet, daß sie selbst nicht mehr
erkennen, was Vereinigung bewirken kann,
bleibt sie getreu gegebener Naturbegründung,
die Zusammenfassung fordert. ‒ ‒
.Was immer auch der Glaubenssatz be‐
sagen mag, der die Vereinigten verbündet,
‒ wie immer sich die Gleichgesinnten lös‐
bar denken, was nach Lösung schreit, ‒
so bleibt doch aller Wert vereinten Wirkens
stets bedingt durch lebenskräftigen Beweis,
daß die gewählten Wirkungsmittel Dauer
61 Das Gespenst der Freiheit
bares zu gestalten mächtig sind, und nur
die stete Überprüfung vorgefaßter Mei‐
nung kann aus ihr den Weizen sondern
von der Spreu. ‒
.Gerade aber diese stete Überprüfung
vorbestimmten Meinens wird unmöglich, wo
Splittertrieb in immer neuen Thesen sich
Befriedigung zu schaffen sucht!
.Wo man nur flüstern sollte, wird als‐
dann geschrien, und wo man sorglichst
sieben sollte, häuft man Schutt auf die in je‐
der denkgerecht durchpflügten Menschenmei‐
nung auffindbaren keimkräftigen Körner!
.Vergessen ist, daß alle menschliche Ver
einigung nur dort ein Lebensrecht in sich
besitzt, wo sie zu sammeln sucht. ‒ ‒
.Soll jemals wirkliche Gemeinsamkeit
erstehen, so wird sie nur der geistgeborene
Sinn für Sammlung zu erzeugen wissen, in
notwendigkeitsbedingter wahrer Freiheit!
62 Das Gespenst der Freiheit
.Altgeheiligte Kunde läßt den göttlichsten
der Erdenmenschen sagen:
.„Wer nicht mit mir sammelt, der zer
streut!”
.Wenn je ein Menschenwort: „Wort
Gottes” war, so ist es hier gesprochen
worden! ‒ ‒
.Nicht sammeln, ‒ nicht zu sammeln
suchen, ‒ ist schon an sich selbst: zer
streuen! ‒
.Alle Einwirkung des übererdenhaften
Geistes, die dem Menschen hier auf Erden
seelisch faßbar werden kann, sucht stets „zu
sammeln, was verloren war”, ‒ und wenn
du das, was andere als übererdenhaft
erkennen, da es ihnen so erlebnisnahe
kam wie eigenes Selbsterleben, ‒ beeng‐
ten Blickes, nur in Irdischem begründet
glaubst, so wirst du doch auch dann noch
zugestehen, daß der Sinn für Sammlung
wahrlich einer höheren Artung ist, als jener
63 Das Gespenst der Freiheit
dunkle Trieb, der das organisch in sich
selbst Gesammelte stets wieder zu zerstreuen,
zu zersetzen strebt. ‒
.Wahnsinn würdest du am Werke wissen,
wollte einer eines jener hehren Marmor‐
bilder, die in alter Zeit ein großer Bildner
schuf, in scharfen Säuren aufzulösen suchen,
mit der Begründung, daß alsdann aus dem
zersetzten Stein gewiß ein neues Werk ent‐
stehen werde, das den Verlust des solcherart
vernichteten alsbald verschmerzen ließe ...
.So ist auch wahrlich viel zu wertvoll,
was im Geistigen gereifte Bildnerkraft
voreinst zu formen wußte, auf daß der
Erdenmenschheit Bestes sich in ihm erhalte,
‒ um es nunmehr schnellfertiger Zer
störung auszuliefern! ‒ ‒
.Zu wertvoll ist, was hohe Menschen‐
geister in Jahrtausenden zu sammeln wußten,
als daß es, ohne schauerliche Schuld an
64 Das Gespenst der Freiheit
allen kommenden Geschlechtern, der Zer
streuung dargeboten werden dürfte! ‒ ‒
.Wie deine Finger in der Hand verbunden
sind, obwohl sie einzeln sich bewegen können,
so sind wir Erdenmenschen einer Zeit, auf
unsichtbare Weise in Verbindung.
.Auch wenn du in die Wüste fliehen magst,
oder in Meeresfernen eine öde Insel findest,
die noch nie ein Mensch bewohnte, wirst
du dich dieser unsichtbaren Lebens-Allver‐
bindung nicht entziehen können!
.Zerstörst du um dich her auch alles
Zeugnis gleichzeitigen anderen Menschen‐
lebens, so wird doch dieses allgemeine Leben,
durch den Rhythmus feinster Vibrationen,
die es selber mitbedingen, dich stets zu
erreichen wissen, und was du denken oder
fühlen magst, wird nie das Signum deiner
Zeit verlieren!
65 Das Gespenst der Freiheit
.Du kannst deiner Zeit heute nicht ent‐
fliehen, auch wenn du dich im Fühlen und
im Denken tief in längst vergangene Zeit
„versenkst”, ‒ und wirst kein „Steinzeit‐
leben” führen können, auch wenn du allen
Formen der Kultur dich zu entziehen
suchst! ‒
.Wohl aber kannst du wählen zwischen
Wert und Wahn, denn jede Zeit läßt
Menschheitsförderndes zugleich erkeimen
mit Verderblichem.
.Du mußt nicht zur Beute kosmischer
Dissonanzen werden, auch wenn zu deiner
Zeit solches Geschehen hier auf Erden nun
in Menschenhirnen seinen fernsten Aus‐
klang findet ...
.Nicht zum ersten Male ereignet sich Ähn‐
liches hier auf Erden, aber immer fanden
sich auch Einzelne, die sich zu sichern
wußten vor den tollen Süchten, die das
Kreisen der Materie im Weltenraum zu‐
66 Das Gespenst der Freiheit
weilen wecken kann im Blut des Erden‐
menschen ...
.Sei diesen Einsichtigen gleich, und
wahre dir vor der Parteisucht, die dich
rings umgibt, ‒ dein Selbstbestimmungs
recht! ‒ ‒
.Nur du wirst dermaleinst dir vor dir
selber Rechenschaft zu geben haben über
all' dein Tun im Ablauf dieses Erdenlebens,
‒ und zu nichts wird dir dann nützen, daß
du endlich einsiehst, wie es arge Torheit
war, um einer „Zukunft” willen, die mit
jedem Tage weiter flieht, die eigene Gegen
wart dahinzugeben! ‒
.Willst du dich selber nicht verneinen,
so mußt du, selbstbestimmt, auch Anderer
Dasein in dir fremden Formen, ebenso
entschieden wie dein eigenes Dasein „wol
len”, denn jeder Einzelne ist durch die
Anderen, ‒ erscheinen sie ihm auch ganz
67 Das Gespenst der Freiheit
unerfaßlich „fremd”, ‒ zu seiner Zeit be
dingt und ihnen stets verbunden. ‒
.Haßt” du jedoch, was anders ist, als
du, dann bist du unbewußt dein eigener
Feind, denn nur aus dem, was nicht du
selber bist, kannst du dich selbst in Zeit,
wie Ewigkeit erhalten ...
68 Das Gespenst der Freiheit
FEHLWIRTSCHAFT
.Im Grunde wird es durch das nämliche
Gesetz bestimmt, ob der wohl winzigste,
wirtschaftlicher Verbände: ‒ der kleine
Haushalt eines jungen Paares, ‒ erfreulich
prosperiert, oder der größte Volksver
band: ‒ ein menschenreicher Staat!
.Soll Sorge fernebleiben, so wird hier
wie dort gerechnet werden müssen mit den
Mitteln, die verausgabt werden dürfen,
weil sie in gleicher Zeit aufs neue zu er
werben sind, ‒ und hier wie dort wird
man auch für die Tage außerordentlicher
Forderungen, denen der gleichzeitige Erwerb
nicht Ausgleich schaffen kann, im voraus
Zuschuß sichern müssen ...
.Das alles läßt sich im kleinsten Verbande
kaum leichter bewirken, wie im größten,
71 Das Gespenst der Freiheit
wenn auch mit der Größe eines jeglichen Ver‐
bandes parallel die Kompliziertheit in
der Form des, durch Notwendigkeit be‐
dingten, Ausgleichs wächst.
.Hier wie dort ist wahre Freiheit nur
erreichbar, wo mit größter Sorgfalt aller
Abgang an zeitweiligem Besitz durch neuen
Zugang ausgeglichen wird, ‒ und hier wie
dort lockt ständig das Gespenst der Frei‐
heit zur Verausgabung von Mitteln, denen
kein Ersatz im Haushalt folgen kann, durch
den gegebenen regelmäßigen Erwerb!
.Während aber in den engbegrenzten
menschlichen Verbänden meist nur Wenige
zu Schaden kommen, wenn die hier Ver‐
antwortlichen sich verlocken lassen, dem
Gespenst der Freiheit nachzulaufen, muß
der Staatshaushalt in gleichem Falle Tau
sende und Millionen schädigen, die äußere
Lebenssicherheit im Staat behütet glaubten.
.Verhängnisvoll wird solche Täuschung
72 Das Gespenst der Freiheit
des Vertrauens, die zugleich dem Einzelnen
sein wirtschaftliches Selbstvertrauen raubt,
weil ihre Auswirkung kein Ende findet
und die Tatkraft aller derer lähmt, aus
deren Arbeitsleistung doch allein noch Aus‐
gleich kommen könnte. ‒
.Daneben aber zeugt sie noch den Wahn,
als ob „der Staat” nur jenes unpersön‐
liche Gebilde wäre, das stümperhaft geübte
Staatskunst wahrlich, seiner Außenform
nach, aus ihm machen kann, ‒ und läßt
vergessen, daß „der Staat” ‒ als Wirk‐
lichkeit ‒ nichts anderes ist, als nur die
Summe aller Staatsgenossen, die in ihm
verbunden sind ...
.So kommt es denn dazu, daß viele
Menschen, die im kleinen Umkreis ihres
Alltagswirkens über allen Zweifel sicher
stehen als gewissenhaft und rechtlich
Handelnde, doch plötzlich sich von anderen
Maximen leiten lassen, sowie „der Staat
73 Das Gespenst der Freiheit
‒ statt eines Staatsgenossen, ‒ ihnen
gegenübersteht!
.Menschen, die gewiß nicht fähig wären,
sich zu unrechtmäßigem Gewinn zu drängen,
käme er auf Kosten eines Einzelnen, sind
da zuweilen allsogleich bereit, zu nehmen,
was sich nur erreichen läßt, erscheint „der
Staat” als Contrahent, oder ist Möglich‐
keit gegeben, sich aus Staatsvermögen
irgendwelchen, rechtlich ungemäßen Vor‐
teil zu verschaffen.
.Gut entschuldigt glaubt man dann die
eigene Handlungsweise durch den Hinweis,
daß der unrechtmäßige Gewinn ja nur „auf
Staatskosten” erfolge, und man hält es
nicht für nötig, auch zu fragen: ‒ woher
denn nun „der Staat” die Mittel in Ver
waltung habe, die man so leichthin ihm
entzieht?? ‒
.Unbedacht, und ohne das Gewissen son‐
derlich beschwert zu fühlen, läßt man sich
74 Das Gespenst der Freiheit
so ‒ und zwar durch die kompakte Majestät
des Staatsbegriffes selbst ‒ dazu verleiten,
sich allein auf Kosten seiner Staats
genossen unrechtmäßig zu bereichern ...
.Man weiß nicht, oder will nicht wissen,
daß man doch nur alle Einzelnen beraubt,
wenn man vom Staate nimmt, was nicht
erworben ist durch eigene Gegenleistung
an die Anderen! ‒
.Schnell aber weiß man, daß da Unrecht
vorgeht, sieht man Andere auf gleiche
Weise handeln, weil man doch instinktiv
erfühlt, daß man als Staatsgenosse mitge
schädigt wird durch jeden Schaden, den
der Staat” erleidet.
.Freilich glaubt auch mancher, „Unrecht”
solcher Art am Werk zu sehen, den nur
der Neid plagt, daß vielleicht ein Anderer
das Staatsschaf scheren könne, dem die
Wolle auch gewachsen wäre für den Übel‐
75 Das Gespenst der Freiheit
tatenspäher, hätte er nur selbst an sie her‐
angekonnt ...
.Allzuviele Formen unachtsamer Schädi‐
gung der Staatsgenossen durch ein unbe‐
denkliches Verhalten gegen alles, was „der
Staat” verwaltet, ließen sich bezeugen, als
daß es praktisch wertvoll wäre, alle hier
nun aufzuzählen.
.Ich will ja meinen Lesern auch in meinen
Büchern stets nur neuen Hinweis geben
auf die Dinge, deren sie mit Nutzen achten
sollten, und denke nicht daran, den Ruhm
zu suchen, daß ich allerwärts „erschöpfe”,
was das jeweils aufgenommene Thema in
der Seele und im Denken allbereits schon
angesammelt findet!
.Nur schlecht wird lesen, was ich nieder‐
schreibe, wer nicht mitliest, was in jeder
Satzwendung mit Willen „eingeschlossen
ist, damit es jene Leser selber finden mögen,
76 Das Gespenst der Freiheit
die noch nicht im Drang der Alltagshast
verlernten, mitzudenken, wenn sie lesen ...
.So wird auch jeder, der mit wachen
Sinnen liest, was ich hier vorzubringen habe,
keiner Beispielansammlung bedürfen, um
zu wissen, wovon hier die Rede ist.
.Jeder Tag bringt da des üblen Beispiels
wahrlich schon zuviel, und man wird nicht
erst suchen müssen, was allerwege uner
wünschterweise uns begegnet ...
.Wo aber nicht beachtet, und vielleicht
noch nicht einmal begriffen wird, daß
alles, was „der Staat” verwaltet und ver‐
geben kann, nur dargeboten ist von denen,
die ihn selber formen, dort wird bald eine
arge Wirrnis der Begriffe alle Seelen‐
klarheit überwuchern.
.Als „staatserhaltend” gilt dann alles,
was die durch den Staat allein Erhaltenen
betreiben, um das stete Fließen ihrer Nah
rungsquelle sich zu sichern, ohne Rück‐
77 Das Gespenst der Freiheit
sicht auf die Staatsgenossen, die doch erst
zusammenströmen lassen, was den Staat
erhält. ‒ ‒
.Als „Anspruch” an den Staat wird dann
von Anderen wieder jede Forderung be‐
zeichnet, die Keiner, der noch sein Ge‐
wissen hört, an alle Einzelnen zu stellen
wagen würde, die mit ihm zusammen erst
den „Staat” ergeben. ‒ ‒
.Als „Staatspflicht” wird erklärt, wo‐
zu kein aus vernunftgezeugtem Denken
aufgebautes irdisches, und noch viel weni‐
ger ein geistiges Gesetz, je eine Korporation
von Einzelnen verpflichten könnte. ‒ ‒
.Und alles das nur, weil das „Staatsver‐
mögen” losgelöst empfunden wird von allen
Einzelnen, die es zu jeder Zeit erst bil
den durch den Einzelbeitrag, den sie sich
als Staatsgenossen, um des Ganzen willen, auf‐
erlegen lassen!
78 Das Gespenst der Freiheit
.Wahnwitziges Verkennen sieht dabei
die Staatsgenossen, die des Staates Gut ver
walten, als die unumschränkten Herren
dieses Gutes an, und wendet ihnen irre
Wut entgegen, wenn sie außerstande sind,
nach Willkür jedes Maß zu füllen, das nur
Erfüllung finden könnte, wäre diese Erde:
‒ ein „Schlaraffenland”, und nicht mehr
einbezogen dem Gefüge der Notwendig
keit ...
.So muß es denn auch aus Notwendig
keit zu Fehlwirtschaft verführen, wagen
die Staatsgenossen, denen zur Verwaltung
anvertraut ist, was aus ihrer und der anderen
Staatsvereinten ‒ vielfach schwer ent
behrtem ‒ Beitrag: „Staatsvermögen
wurde, dieses Staatsgut allem heischen
den Verlangen darzubieten, obgleich sich
eine neue Bei-Steuer, die das Vergebene
ersetzen könnte nur erlangen läßt, durch
zweckwidriges Abgraben der Zufluß
adern, die allein die Quelle aller Bei
79 Das Gespenst der Freiheit
Steuer bewahren vor endgültigem Ver
siegen. ‒ ‒
.In gleicher Weise muß es Fehlwirt
schaft ergeben, wenn der Staatshaushalt
Unzählige, als Helfer der Verwaltung, einer
produktiven Tätigkeit entzieht, der sie
sehr wohl gewachsen wären.
.Zugleich auch schafft es schwere Demo
ralisierung, wird dem Einzelnen der
Glaube anerzogen, als besitze er, durch Staats‐
verbundenheit, vor anderen ein Recht auf
staatliche Ernährung, ‒ sei es nun im
Amte eines leicht entbehrlichen Verwal‐
tungshelfers, oder nur, weil er den Staat
zu zwingen weiß, sich loszukaufen von verant‐
wortungsentäußertem Zerstörungswillen ...
.Es ist entwürdigend, ein Amt nur um
Erwerbes willen weiter zu verlangen, wenn
man nur allzuleicht erkennen kann, daß
intensive Arbeit einer weit geringeren
Verwalterzahl den Staatshaushalt bereits in
80 Das Gespenst der Freiheit
bester Ordnung halten könnte, ‒ und es
entwürdigt Jeden vor sich selbst, ver‐
läßt er sich auf seine Macht, das Staats‐
gedeihen zu verhindern, um seine Staats‐
genossen so zu zwingen, jeweils den Nicht
gebrauch der nur durch Massenübermaß
erlangten Über-Macht ihm abzukaufen,
um den Preis der immer weiter um sich
fressenden Verwüstung aller Arbeits
möglichkeiten, die dem in seinem Macht‐
rausch arg Betörten wieder Brot und aus‐
kömmlichen Wohlstand durch Bewertung
seiner eigenen Leistung darzubieten hätten,
würden sie nicht solcherweise durch ihn
selbst zerstört ...
.Allüberall verwirrt das gleißende Ge
spenst der Freiheit die Gehirne, und man
glaubt leicht die ‒ wahrlich nicht geringe
Not zu wenden, weil man ja die Ge‐
bote der Notwendigkeit straflos umgehbar
glaubt, die auch im Wirtschaftsleben nie
mals sich umgehen lassen, ohne in der Folge
weitaus drückendere Not zu zeugen! ‒ ‒
81 Das Gespenst der Freiheit
.Die gleiche Lockung trugerfüllter Spiege‐
lung verirrten Hoffens und Verlangens hat
auch längst in allen Landen alles Wirt
schaftsleben schwer durchseucht.
.Die wirtschaftliche Not ist allenthalben
derart angewachsen, daß die in ihr schon fast
Erstickenden nur allzusehr bereit sind, jedem
hirnverkrampft gezeugten Fehlschluß zu
vertrauen, und die letzte Fähigkeit zu ei‐
genem vernunftbedingten Denken eiligst
aufzugeben, scheint die heiß ersehnte Ret‐
tung nahe ...
.In fieberhafter Angst vor immer weiterer
Bedrückung durch die Sorgenlast des Da‐
seins, wird verkannt, daß nur „Fatamor
gana” ist, was allzu selbstgewisse Führung
als die längst erstrebte, alle Nöte stillende
Oase anzupreisen weiß ...
.Längst hat die wirtschaftliche Not, die
alles ringsumher verdunkelt, alle Unter
scheidungskraft gelähmt, so daß man gerne
82 Das Gespenst der Freiheit
sich betören läßt, auch wenn noch letzte
Regung richtiger Instinkte, immer wieder
an der Seele Pforte pocht, um schlafgebannte
Einsicht aufzuwecken, daß sie verhüte,
was sich noch verhüten läßt!
.Daß man auch selber wahrlich mitver
schuldet ist an solcher Not, wird nur den
Wenigsten bewußt ...
.Zu sehr entspricht es künstlich hochge‐
züchteter Kritiksucht, alle Schuld am selbst‐
gezeugten Übel nur bei Anderen zu suchen!
.Ist es nun dort der unpersönlich auf‐
gefaßte „Staat”, dem man die Folge eigener
Torheit überbürden möchte, so sind es im
internen Wirtschaftsleben kleinere, aus
Einzelmenschen sich gestaltende Gebilde,
die in gleicher Weise als der Wurzelboden
allen Unheils gelten, und, ‒ da der Fehl‐
schluß sich im Kreis zu drehen liebt, ‒
glaubt man der Nöte Wende schnell er‐
reichbar, würde nur der Staatsverwaltung
83 Das Gespenst der Freiheit
unterstellt, was zwar die Sicherheit be‐
nötigt, die ihm zweifellos der Staat ge‐
währen kann, doch, aller Eigenart und
Proportion nach, nur zu früchtetra
gendem Gedeihen kommt, wenn es, ‒
im Außenrahmen staatlicher Gesetze, ‒ sich
nach eigenem, notwendigkeitsbegründeten
Gesetz entfaltet ...
.So aber auch, wie man das „Staatsver‐
mögen” als ein Niemandsgut betrachtet,
läßt man sich hier verleiten, das im wirt‐
schaftlichen Leben produktiv gemachte Gut
der Einzelnen, von menschlicher Bezieh‐
ung losgelöst zu denken.
.Wie man sich gut entschuldigt glaubt,
vermag man, ohne wertgleich angesetzte
Gegenleistung, sich „auf Staatskosten
Bereicherung und unrechtmäßige Bevortei‐
lung zu sichern, ‒ so glaubt man sich zu
jeder Aus‐„Beutung” des Gutes Anderer
berechtigt, sobald der Einzelne zurücktritt
84 Das Gespenst der Freiheit
hinter einen Wirtschaftsorganismus, dem
er freiwillig zur Verwaltung anvertraut, was
nur steril und ohne Produktionskraft bleiben
müßte, wollte es der Einzelne bei sich ver‐
wahren.
.Es gibt gar viele, die nur solchem pro
duktiv gemachten Gut aus dem Besitze
Einzelner Ernährung und Erhaltung
danken, und gewiß auch niemals fähig wären,
widerrechtlich das bestimmte Gut des Ein
zelnen sich anzueignen, ‒ die aber kaum
noch ihr Gewissen hören wollen, gilt es,
Gut der Anderen zu schmälern, das in
einem wirtschaftlichen Organismus Arbeits
werkzeug wurde, um mit seinem Eigen‐
tümer, auch zugleich noch manche seiner
Nebenmenschen zu erhalten ...
.Die „Firma”, die „Gesellschaft” wird
als etwas Unpersönliches betrachtet, und
was persönliches Besitztum Einzelner
allein aus freien Stücken auferbaute, er‐
scheint so manchem, der in solchem Aufbau
85 Das Gespenst der Freiheit
seine Stellung fand, als Freigut, das er
unbedenklich eigener Nützung dargeboten
glaubt, soweit nur staatliches Gesetz ihn
nicht zu hindern weiß.
.Engstirniges Verkennen eigener Lei‐
stungswerte läßt dabei den Fehlenden noch
vor sich selbst Beschwichtigung des eigenen
Gewissens finden, in der Scheinbegründung
eines „Rechtes”, sich „bezahlt zu machen”,
wo vereinbarte Entlohnung der verlang‐
ten Tätigkeit, dem Arbeitleistenden nicht
auszureichen scheint als Gegenwert.
.Ob seine Arbeit aber auch dem wirt
schaftlichen Organismus, der allein sie
erst zu einem produktiven Faktor macht,
die Werte einbringt, die vonnöten sind,
um sich auf solcher Höhe zu erhalten, daß
er selbst die ehedem vereinbarte Ent
lohnung auf die Dauer darzubieten hat,
‒ danach wird selten einer fragen, obwohl
von der Beantwortung, die diese Frage findet,
alle Zukunft abhängt für die Unterneh‐
86 Das Gespenst der Freiheit
mung selbst, wie den, dem sie Erwerb ver‐
schafft ...
.Auch das private Wirtschaftsleben wird
zur Fehlwirtschaft, wenn nicht zum Aus
gleich kommt, was „aus-gegeben” und
was „ein-genommen” werden kann!
.Auch hier ist es entwürdigend für
jeden Einzelnen, sucht er die Stellung, die
er innehat, sich zu erhalten, nur um des
Erwerbes willen, obwohl er sieht, daß er
nicht nötig ist, und daß der wirtschaft‐
liche Organismus, der ihn nährt, zu Scha
den kommt, weil die vorhandenen Arbeits‐
kräfte überzählig sind, im Hinblick auf
die Arbeit, die zu leisten ist.
.Das bleibt gewiß im Einzelfall für den
Betroffenen schwer einzusehen, besonders,
wenn er Weib und Kind ernähren und den
eigenen Hausstand wirtschaftlich erhalten
soll, obgleich ihm anderer Erwerb nicht
dargeboten scheint.
87 Das Gespenst der Freiheit
.Jedoch: wo unbezweifelbarer Arbeits‐
Wille ist, dort findet sich zu jeder Zeit
auch bald ein Weg, um sich auf neue,
würdigere Art Erwerb zu sichern, auch
wenn die Form der Tätigkeit gewechselt
werden muß.
.Wenn früher viele nur in fernem,
fremden Lande über weitem Meere, sich
Erwerb zu schaffen wußten, weil sie lernten,
Arbeit, die man brauchte, auszuführen,
obwohl sie nicht der altgewohnten Tätig‐
keit entsprach, so ist die Zeit nun nicht
mehr ferne jetzt, in der man sich des glei‐
chen Strebens auch in seinem Heimat
lande keineswegs zu „schämen” haben wird!
.Wirklicher Arbeits-Wille schafft in
diesen Tagen schon an allen Orten auch
die neue Arbeits-Möglichkeit!
.Arbeit gebührt ihr Lohn, und auch
in dieser schweren Zeit wird echter Arbeits‐
Wille sich gebührende Entlohnung
88 Das Gespenst der Freiheit
sichern, versteht er nur sich freizumachen
von dem überlebten Zwang der Konvention,
der in der „alten” Welt Europas noch so
viele bindet, und sie festzubannen sucht
in ausgefahrenen Geleisen! ‒ ‒
.Wird Arbeit „schlecht bezahlt” so ist
das immer nur ein Zeichen, daß gerade
dieser Arbeit ein zu großes Angebot von
Arbeitswilligen verfügbar bleibt, und jeder,
der sich weiterhin darauf versteift, nur eben
diese Art der Arbeit weiterhin zu leisten,
obwohl sie längst genug der Köpfe oder
Hände fand, wird nur zum Schädling
für die hier bereits Beschäftigten, obgleich
er selbst dabei auch nicht das mindeste
gewinnt und sich nur selber seinen Weg
verbaut! ‒
.Es gilt, die Arbeit dort zu suchen, wo
sie sich finden läßt!
.Auch wenn es eine Arbeitsart ist, die
dir wenig „angepaßt” sein mag, und die
89 Das Gespenst der Freiheit
du ehedem ver-achtet hast, kann sie dich
doch zuletzt zu einem Ziele bringen, das dir
keineswegs zu unbedeutend wäre, könntest
du es heute, ‒ ohne Übergang, ‒ so
gleich erreichen! ‒
.Es fehlt auf dieser Erde nie an Arbeits‐
Möglichkeit, ‒ hingegen aber fehlt es
allzusehr an Menschen, die sich jeder Ar‐
beitsmöglichkeit bequemen wollen! ‒ ‒
.Gesunden” aber kann das Wirtschafts‐
leben nur, wenn alle Scheinbetätigung
fortan unmöglich wird, ‒ und auch der
Staatshaushalt in allen Landen wird nur
auf die gleiche Weise zur Gesundung
kommen!
.Wo heute noch mit abgebrauchtem Pa‐
thos von dem „Recht auf Arbeit” phra‐
senrauscherfüllt gesprochen wird, dort ist
zu fragen: ‒ ob man wirklich auch die
Arbeit meint, und nicht etwa nur die ver‐
meintliche Berechtigung, auf Grund der
90 Das Gespenst der Freiheit
Geste scheinbar dargebrachter Arbeitswillig‐
keit, Versorgung zu erhalten, die doch
nur durch Ertrag der Arbeit Anderer be‐
wirkbar werden könnte ...
.Das Recht auf Arbeit muß nicht erst
zu einer „Forderung” erniedrigt werden,
da die Pflicht zur Arbeit keinem Erd‐
geborenen erlassen werden kann! ‒ ‒
.Nur glauben Allzuviele dieser Pflicht
schon zu genügen, wenn sie nur dem bloßen
Schein zur Not genügeleisten ...
.Wahrer Arbeitswille aber sieht aus
gutem Recht nur mit Bedauern auf den
Scheinbeschäftigten hinab, der äußer‐
liche Geste darzubieten sucht, statt geistbe‐
dingter Selbstverwirklichung der Seele,
wie sie in jeder, auch der gröbsten Ar‐
beit sich zum Ausdruck bringt!
.Daß Arbeit auch ein Mittel ist, Erwerb
zu schaffen, ist nicht anders in der Geist
natur des Erdenmenschen eingegründet,
91 Das Gespenst der Freiheit
wie der tierischen Natur die Wollust
eingeboren ist, um aller Tiergestaltung Fort
pflanzung zu sichern. ‒ ‒
.Wer arbeits-fähig ist, und nicht die Ar
beit, als die Selbstdarstellungsweise seiner
Seele, liebt, der ist noch weit davon ent‐
fernt, sein übererdenhaft bedingtes Sein
in sich zu ahnen, ‒ auch wenn er eines
anerzogenen Seelenglaubens eifrigster Ver‐
fechter sein mag! ‒ ‒
.Auch das Wirtschaftsleben dieses
Erdendaseins ist in allen seinen Äußer‐
ungen streng bedingt durch die Notwen
digkeit!
.Was sich der Ordnung des Gefüges der
Notwendigkeit nicht einzuformen weiß,
das muß zugrundegehen, mag auch
Wissenschaft und kühnste Technik ihm zu
anderem Unterbau verhelfen wollen! ‒
.Alles Leben ist ein stetes Nehmen und
ein stetes Geben!
92 Das Gespenst der Freiheit
.Ewiggültiges Gesetz allein kann hier
bestimmen, ob der rechte Ausgleich sich
ergibt.
.Was Menschenwahnwitz aber sich er
klügelt, um sich dem Bereiche des Ge‐
setzes zu entwinden, schafft nur Schein
gebilde, so vergänglich, wie der Wolken
stets verwandlungsunterworfene Gestaltung.
.Bleibendes, das erst, nachdem es
Generationen Wohlfahrt kennen lehrte,
mählich und der Menschheit kaum ver
merkbar, neue Form aus sich erzeugt, ‒
kann nur erstehen, wo sich ewigkeitsgemäßer
Ausgleich einstellt, dem sich jeder Ein‐
zelne miteinbezogen weiß.
.Nur wenn der Einzelne erkennt, daß
er sich selber Schaden zufügt, wo er An
deren um seines Vorteils willen Nach
teil schafft, wird alle Fehlwirtschaft, die
heute ganze Völker zu entkräften droht,
verschwinden!
93 Das Gespenst der Freiheit
.Hier helfen aber keine wohlerdachten
Theorien, mögen sie auch in sich selber
gut gegründet scheinen!
.Hier kann nur praktisches Erproben
zur Erkenntnis führen, und Erfahrung
lehrt im Großen wie im Kleinen dann am
sichersten, wie zu vermeiden ist, was
Fehlwirtschaft ergeben müßte ...
94 Das Gespenst der Freiheit
KONKURRENZ
.Wo der Form nach gleiche Leistung
von verschiedenen Menschen dargeboten
wird, dort ist es keinem Menschen, der auf
solche Leistung Wert legt, zu verargen,
wenn er auch auf die Qualität der Leistung
achtet, und der besseren den Vorzug gibt.
.Es ist dabei ganz einerlei, ob es sich
nur um Arbeitsleistung handelt, oder
das Erzeugnis einer Arbeit, ‒ ob es um
niedere Dienste und geringen Klein
kram geht, oder um hohe Fähigkeiten
und erhaben großes Werk.
.Aller Zuwachs menschlichen Vermögens:
‒ geschickten Könnens, weisen Ordnens,
bis zu höchster, künstlerisch begründeter
Gestaltungsfähigkeit, ‒ ist stets in
hohem Maße mitbedingt durch den zu allen
97 Das Gespenst der Freiheit
Zeiten dem Vollkommenen gewährten Vor‐
rang vor dem Unvollkommenen.
.Dient Leistung, oder ihr Erzeugnis,
dem alltäglichen Gebrauch, so zwingt
schon eigener Schutz vor Schaden zur
Bevorzugung des Besten, und soll die Lei‐
stung höherem Bedürfen gelten, so wird
Kenntnis dessen, was schon Andere zu
leisten wußten, sich nicht mit Geringem
begnügen.
.Die Folge solcher steten Auswahl ist
der Wettbewerb der Leistung Bietenden
um Gunst und Wahl der Leistung Brau
chenden.
.Soweit ist Konkurrenz begründet in
Notwendigkeit, und Ausdruck wirklich‐
keitsgezeugter Freiheit!
.Es steht dir frei, zu wählen, was dir
dienen soll, und was du dir erwerben
willst durch Darbietung bestimmten Gegen
wertes, ‒ doch ebenso bleibt es dir frei‐
98 Das Gespenst der Freiheit
gestellt, die Leistung, die du selbst zum
Markte bringen willst, den Forderungen
anzupassen, die man dort an sie zu stel‐
len weiß.
.Du wirst kein Unrecht leiden, geht der
Wählende an deiner „Leistung”, ‒ deinem
Werk”, vorüber, weil er Besseres
finden kann!
.Auch du hast ja die Wahl, ob du be‐
quem bei minderer Leistung dich be‐
scheiden, oder dein Bestes bieten willst!
.Entscheidest du dich aber auch, aus
freien Stücken, oder durch Notwendigkeit
bestimmt, dein Bestes darzubieten, so wird
sich doch erst zeigen müssen, ob du auch
den Umfang deiner Leistungs-Fähigkeit er‐
kennst, ‒ ob du auch an dich selbst den
rechten Maßstab anzulegen weißt ...
.Du klagst mir über „Mißerfolg”, und
findest bittere Worte für das „Unrecht”,
99 Das Gespenst der Freiheit
das man, deiner Meinung nach, an dir
begeht, ‒ jedoch: du fragst dich nicht, ob
du dich selber nicht an dir vermessen
hast, und eine Leistung darzubieten suchst,
der du gewiß niemals „gewachsen” sein
wirst! ‒
.Vielleicht kannst du in kleinem Rah‐
men Allerbestes leisten, während du ver‐
geblich dich bemühst, im Wettbewerb mit
denen zu obsiegen, die von Natur aus
schon zu weitaus Größerem befähigt sind! ‒
.So glauben Ungezählte sich „vom Miß‐
geschick verfolgt”, und schielen neidvoll
auf die Anderen, die ihnen vorgezogen
werden, weil sie besser wußten, welcher
Forderungshöhe ihre höchste Leistung noch
entsprechen könne. ‒ ‒
.Unzählige erleiden Schiffbruch, weil sie
zwar ein gutes, aber allzukleines Boot
besitzen, um damit den Ozean zu über‐
queren, und doch dem Ehrgeiz nicht ge‐
100 Das Gespenst der Freiheit
bieten können, der sie verleitet, sich aufs
hohe Meer zu wagen. ‒
.Wer sich in einen Wettbewerb begeben
will, der muß vor allem seine Mitbe
werber kennen! Er darf sich nicht mit
denen messen wollen, die nach gänzlich
anderem Maß als er zu messen sind!
.Er darf nicht in den Mitbewerbern seine
Feinde” sehen, nur weil sie ihn zu über
flügeln fähig sind!
.Er darf nur dort für sich den Sieg er‐
hoffen, wo seine Kräfte wahrhaft den Ver
gleich ertragen, mit denen, die mit ihm
zugleich den Sieg erstreben.
.Besser ist es gewiß, im allerkleinsten
Rahmen das Vollkommene zu leisten, als
mit Unzulänglichem zu konkurrieren, wo
nur größtes Ausmaß eigener Kraft auf Sieg
ein Anrecht geben kann! ‒
101 Das Gespenst der Freiheit
.Jeder trägt in sich die Macht, auf irgend
einem Tätigkeitsgebiet, das ihm wahrhaft
entspricht, Vollkommenes zu leisten!
.Jeder kann erleben, daß sich seine
Kräfte steigern, wenn er sie sorglichst zu
entfalten strebt!
.Aber nur mit dem, was dir zu eigenem
„Besitz” gegeben ist, wirst du zu rechnen
haben!
.Du kannst zwar in beschränktem Maße
Anderes dazu erwerben, aber immer wer‐
den Art und Spannung deiner einge
borenen Kräfte streng bestimmen, was
dir zukommt, und was dir sicher uner‐
reichbar bleiben muß!
.So wirst du auch im Wettbewerb nur
dann zum Siege kommen, wenn du deine
Grenzen kennst, und fern dem Wahne
bleibst, als ließen sie sich je nach Willkür
weitern, nur weil du siegen möchtest!
102 Das Gespenst der Freiheit
.Bewerb um Vorrang vor den Mitbe‐
werbern muß aber keineswegs zum „Kampf”
erniedrigt werden!
.(Ich rede freilich nicht von jener Art
des Wettbewerbes, die nur in Kämpfen
ausgetragen werden kann, weil „Kämpfer
ihre Kräfte messen wollen.)
.Hier soll allein die Forderung der
Leistung uns bewegen, die der Alltag aller‐
wärts von allen heischt!
.Da aber ist der „Kampf” der Kon‐
kurrenz gewiß vermeidbar!
.Ich weiß zwar, daß ein solches Wort
bei Allen, die in eben diesem Kampfe stehen,
nur ein müdes Lächeln lösen wird, ‒ aber
ich weiß auch, daß sich vieles rascher
wandeln läßt, als viele glauben, wenn nur
der Wille sich zu wandeln weiß ...
.Kaum dürfte es gewagt sein, zu be‐
haupten, daß heute schon die Meisten,
103 Das Gespenst der Freiheit
die im „Konkurrenzkampf” bluten, wider
Willen kämpfen, weil sie längst erkannten,
daß die Kräfte, die der Kampf sie kostet,
besser anzuwenden wären. ‒
.Noch aber gilt auch hier das gleißende
Gespenst der Freiheit für die Freiheit
selbst, und lockt Unzählige in Zahlen‐
wüsten, allwo sie, seelisch ausgedörrt, zu
Mumien erstarren, denen aller Goldsand,
der sie überhäuft, der Seele freies Leben
nicht mehr rückerstatten kann ...
.Machtlos aber wird das Gespenst, so‐
bald erneut erkannt wird, daß nur dort,
wo man der Seele ihre Rechte läßt, wirk
liche Freiheit sich entfalten kann!
.Es ist erbärmlich, und gewiß nicht
eines Menschen würdig, läßt sich der Wer‐
ber um die Gunst des Käufers derart von
der Gier des Tieres in sich packen, daß
er den Mitbewerber wirtschaftlich zugrunde
104 Das Gespenst der Freiheit
richtet, oder doch nach solchem Endziel
schamlos strebt!
.Es ist erbärmlich, wird der Wettbe‐
werb in einer Art betrieben, die auch die
Lüge nicht mehr scheut, läßt sich ein
Strick aus ihren eklen Fäden drehen, um
den Mitbewerber zu erdrosseln!
.Unwürdig und zugleich auch töricht
ist es, eigenen Erfolg zu suchen, der nur
erlangbar wird, nachdem in Trümmer
fiel, was andere auferbauten!
.Man wird mir sagen wollen, daß doch
sehr erhebliche Erfolge sich durch solche
Handlungsweise möglich machen ließen,
und daß das so Bewirkte heute „fest ge‐
gründet” stehe.
.Auch das ist mir gewiß nicht fremd,
allein ich rechne hier mit anderen Zeit‐
begriffen, und weiß um sichere Gesetze,
deren Auswirkung es selten eilt ...
105 Das Gespenst der Freiheit
.Nicht nur der Einzelne, der sich um
solchen Preis Erfolg ergatterte, für sich und
seine Sippe, die ihn nutzt, kann dieser
Auswirkung sich nicht entziehen, sondern
auch den Wohlstand ganzer Länder,
ganzer Kontinente, bringt sein Handeln
in Gefahr! ‒ ‒
.Es ist noch lange nicht das Schlimmste,
wenn ein dunkler Börsentag zusammen‐
schlägt, was seelenlose Gier auf Trümmern
ehrsam auferbauter Speicher zu errichten
wußte! ‒
.Wo menschliche Gemeinschaft nicht zu
hemmen weiß, was Menschenseele schän
det, dort werden noch die Enkel und der
Enkel Söhne, teuer zu „bezahlen” haben,
was ein Einzelner, auch wenn er nicht
der so Betroffenen Ahne war, voreinst
verschuldet hat!
.Der aber, der sich solcher grauenvollen
Schuld nicht scheute, wird, auch wenn
106 Das Gespenst der Freiheit
er auf dem Totenbett sich noch als Sieger
fühlte, keinen finden in der Ewigkeit, der
seiner sich erbarmen dürfte, ehe alle Aus
wirkung der Schuld, auf Erden hier, er
loschen ist ...
.Gottgezeugte Liebe darf nur dort Ver
gebung schaffen, wo auch die Schuld,
der Liebe Folge war!
.Auch dort, wo tierbedingte „Liebe”
einen Menschen „schuldig” werden ließ,
wird „Gottesliebe” ihn ent-schulden,
sobald der Selbstbeschuldete entlastet
wurde durch den Mitverschuldeten der
gleichen Schuld! ‒
.Wo aber Eigennutz zur Schuld ver‐
führte, dort kann auch nur die eigene
Entlastung Schuld-Befreiung bringen!
.Nicht eher aber kann der, seiner
Selbstsucht Wahnverhaftete, sich seiner
Taten Folge frei entwinden, als bis er
107 Das Gespenst der Freiheit
schöpft ist, was er selbst erzeugte, um auf
Erden seinem Trieb zu dienen! ‒ ‒
.Es läßt sich nie und nimmer eine
Scheidewand errichten, zwischen den Im
pulsen, die der Erdenmensch in seinem
Alltag schafft, und ihren Folgen, die erst
Auswirkung erlangen, wenn er längst
schon aus dem Erdendasein ausgeschie‐
den ist! ‒
108 Das Gespenst der Freiheit
SCHLAGWORTWAHN
.Weniges hat noch im menschlichen
Gemeinschaftsleben so viel Schaden ange‐
richtet, wie das „Schlagwort”: ‒ diese
Mißgeburt aus Denkträgheit und Über‐
redungswillen!
.Opfer über Opfer fordert es in allen
Lebens- und Erlebnisreichen dieses Erden‐
daseins!
.Vor allem aber hindert jedes Schlag‐
wort die ihm Hörigen, zu eigener Denk
selbständigkeit zu kommen.
.Willig läßt sich jeder Denkbequeme
fangen, wird nur das rechte Schlagwort‐
lasso über seinen Hals geworfen, und ist
er einmal dieser Schlinge Beute, dann wird
frühere Freiheit schnell vergessen ...
111 Das Gespenst der Freiheit
.Es wandelt aller Widerstand sich schnell
zu ausgeprägt perverser Unterwürfigkeit,
und schließlich wird es wahre Wollust, stets
der Leine Zug zu folgen, bis ein Pferch
erreicht ist, den die Schlagwortmatadore
ihrem Fange vorbereitet halten. ‒
.Aus solchem Pferche gibt es selten ein
Entrinnen, und selten kommt auch nur
der Wunsch zur Flucht in den dort Ein‐
gepferchten zum Erwachen.
.Die Meisten fühlen sich in schöner
„Sicherheit”, und alle Denkselbständigkeit
kam ihnen längst abhanden.
.So werden sie auch denen, die noch
außerhalb des Pferches sind, zu ständiger
Gefahr, in gleicher Weise, wie gezähmte
Elefanten sich gebrauchen lassen, um die
noch freien Tiere ihrer Gattung einzu‐
fangen ...
.Vieles kann ein Schlagwort zu umfassen
scheinen, was keineswegs in seinem Sinn
112 Das Gespenst der Freiheit
enthalten ist, ‒ und was als „Schlag” emp‐
funden wird, dem man sich, innerlich ge‐
troffen, beugt, ist meist nur Übertölpe
lung der Denkbequemlichkeit. ‒
.So zweifellos gewiß das Denken auch
zum ärgsten Feind des Menschen werden
kann, so nötig ist es ihm als Waffe, überall,
wo Worte wehrlos machen wollen.
.Das Schlagwort aber ist nichts anderes,
als ein Wort, das wehrlos machen will durch
Lähmung sinngerechten Denkens!
.Es kann nur siegen, wo kein Wider
stand sich gegen seine „schlagende Gewalt”
zu wehren wagt!
.Weiß einer aber ihm mit wachen Sinnen
zu begegnen, und die Waffe konsequenten
Denkens wehrhaft zu gebrauchen, dann
ist dem Schlagwort schnell die Macht ent
wunden, und als wunderlicher Wechsel‐
balg fällt es in sich zusammen ...
113 Das Gespenst der Freiheit
.Was es bewirken wollte, zeigt sich dann
als leerer Wahn, ‒ und nur die Willig‐
keit, dem Wahn zu folgen, war wirklich
vordem drohende Gefahr ...
.Sie sind kaum alle aufzuzählen, die
solchem Wahn, der sich in mannigfache
Form zu wandeln weiß, getreu Gefolg‐
schaft leisten müssen, weil sie versäumten,
sich zu wehren, als ein Schlagwort sie zu
überrumpeln suchte! ‒
.Männer und Frauen, Weise und Un‐
weise, Alte und Junge, Dumme und ge‐
waltiglich Gescheite sind in diesem uner‐
meßlich langen Zuge der durch Schlagwort‐
wahn Genarrten aufzufinden, und immer
neuer Zustrom wendet sich dem Zuge zu,
weil nur die Allerwenigsten sich noch des
freien Denkens zu bedienen wagen, sobald
das rechte Schlagwort sie geschickt zu über‐
fallen weiß ...
114 Das Gespenst der Freiheit
.Unüberschätzbare Gefahr bringt diese
Willigkeit zur Folgeleistung, wo ein Schlag‐
wort einbricht, über alles Menschenleben!
.Es ist in vielen Fällen niemals wieder
gutzumachen, was solcherart in großen und
auch kleineren Verbänden, die sich mensch‐
liches Zusammenleben schuf, an Schaden
angerichtet wird!
.Und selbst im kleinsten der Verbände,
‒ der Verbindung zweier Menschen in der
Ehe, ‒ richtet oft genug der Schlagwort‐
wahn sein arges Unheil an. ‒ ‒
.In die Familie bringt der kleinste Knirps
schon, als Geschenk der Schulgenossen,
sein, ihm selbst noch unfaßbares Schlag‐
wort mit, ‒ Kinder und Eltern lassen
sich betören und zu kämpfenden Parteien
machen, deren jede einem anderen Schlag‐
wort folgt.
.Am schauerlichsten wird dann aber die
Gefahr, dort, wo das ganze öffentliche
115 Das Gespenst der Freiheit
Leben sich widerstandslos durch ein Schlag‐
wort gängeln läßt! ‒
.Durch alle Spalten dringt das Schlag‐
wort dann in jedes Haus, und hindert,
daß sich wache Gegenwehr zum Wider‐
stande rüste.
.Hilflos können ganze Völker solchem
Schlagwortwahn verfallen, zum Triumphe
derer, die ihr Denken nicht zuschanden
werden ließen, und keine Mühe, keinen
Hirnzwang scheuten, um zur Meisterschaft
als Schlagwortwerfer zu gelangen ...
.Was hilft es dann den schwer Ge
schädigten, wenn sie zuletzt sich doch noch
ihrer Knechtschaft zu erwehren suchen?!
.Allzulange hatten selbst sie sich der
Schlagworte bedient, um Andere zu gängeln,
bis sie nunmehr ihre Meister fanden, die
besser noch verstanden, Schlagworte zu
werfen ...
116 Das Gespenst der Freiheit
.Nur die bewußte, strengste Abkehr
von der Täuschungswelt des Schlagwort‐
wesens, kann hier Rettung bringen! ‒ ‒
.Es ist wahrhaftig an der Zeit!
.Zu lange war man dem Gespenst der
Freiheit nachgefolgt, ‒ zu lange war man
selbst in seinem Bann, und suchte Andere
durch manches Schlagwort zu betören, um
Gefolgschaft zu erhalten.
.Jetzt muß man endlich doch erkennen,
daß Schlagwortwahn niemals zu wahrer
Freiheit führen kann.
.Noch aber ist man seiner alten Schlag‐
wortweisheit so verhaftet, daß man unwill‐
kürlich, auch um anderem Schlagwort‐
wahn zu wehren, erneut den Schlagworten
verfällt, die man voreinst zu prägen wußte,
um sie Anderen zuzuschleudern ...
.Zu selbstgewisse Überheblichkeit ist noch
dabei der sehr naiven Meinung, daß der
117 Das Gespenst der Freiheit
Gegner es „nicht merken” würde, wenn
man seinem Schlagwort nur das eigene
entgegenwirft, weil man nicht anders sich
des Angriffs zu erwehren weiß.
.Die aber Meister ihrer Schlagwort‐
Kampfesweise wurden, weil sie Meister‐
schaft erlangen wollten, ‒ erkennen sehr
genau, daß ihnen nur mit Schlagworten
begegnet wird, die weniger schlagkräftig,
als die ihren wirken ...
.So sind sie ihres Sieges schon im vor‐
aus sicher, ‒ es sei denn, ihre Gegner
könnten sich doch noch entschließen, end
lich auf das Kampfesmittel zu verzichten,
das sie ja doch nur halb beherrschen, weil
sie ihr ‒ Gewissen nicht zu sehr be‐
schweren wollen, um der Schlagkraft ihres
Schlagworts willen. ‒ ‒
.Gewissen-los muß der sein, der das
Schlagwort meistern will, denn wer noch
ein Gewissen in sich trägt, der ist nicht
118 Das Gespenst der Freiheit
fähig, die Belastung zu ertragen, um deren
Preis allein im Schlagwortkampf der Sieg
erreichbar wird! ‒
.Denen, die erkannten, daß das Schlag‐
wort nie zur Freiheit führen kann, ist
heute nur zu helfen, wenn sie konsequent
das Schlagwort meiden!
.Andere Waffen müssen ihrer Abwehr
Wirkung sichern!
.Ihre Worte müssen fortan wohl „er
wogen” sein, und dürfen nur durch Wahr
heit wirken wollen!
.Nicht jede Wahrheit aber ist zur Ab
wehr wirksam, denn nicht jede Wahrheit
läßt sich von dem ungeübten Blick sofort
erkennen. ‒
.Nur dort, wo Wahrheit augenblick
lich sich empfinden läßt, kann sie dem
Irrwahn wirklich wehren, den das Schlag‐
wort zu verbreiten sucht!
119 Das Gespenst der Freiheit
.Wer endlich sich zu der Erkenntnis
durchgerungen hat, daß hinter allem Schlag‐
wortwahn sich nur die Wüste weitet, ‒
wer das Gespenst der Freiheit hier in
einer seiner fürchterlichsten Formen wüten
weiß, ‒ der wird wahrhaftig sich auch
gleicher Mühe, gleicher Anspannung zu
unterziehen wissen, um der Wahrheit
zweckgerechte Form zu finden, wie jene,
die das Schlagwort schleifen bis zur
schärfsten Schärfe, sie sich auferlegen ohne
Unterlaß. ‒ ‒
.Sein Wort darf nicht nur Selbstbe
rauschung wirken, ‒ darf nicht billige
Bestätigung der eigenen Meinung sein!
.Niemals darf er vergessen, daß er noch
zu „Feinden” spricht, die ihm erst durch
Erkenntnis Freunde werden sollen!
.Er wird vermeiden müssen, anzugrei
fen, und nur durch Abwehr wirken dürfen,
‒ durch eine Abwehr, die der Gegner
120 Das Gespenst der Freiheit
achten muß, selbst wenn er Gegner blei
ben sollte. ‒
.Man kann von denen, die in einem
Schlagwortwahn sich wohlgefallen, nicht
etwa erwarten, daß sie allsogleich der Wirk
lichkeit zurückgewinnbar wären!
.Gleichwie ein Arzt, der das umnachtete
Gehirn des Irren wieder heilen will, vor‐
erst gezwungen ist, dem Wahn des Kranken
sich zu fügen, soll der noch Gesundungs‐
fähige sich wiederfinden in der Wirklich‐
keit, ‒ so wird auch jeder, der die Seele
seines Nebenmenschen einem Schlagwort
wahn entreißen will, bedenken müssen,
daß dem Wahnbetörten noch als „Wahr
heitgilt, was er verlassen soll, um wieder
zu sich selbst zu kommen! ‒ ‒
.Noch ist der Arme, durch die Sugge
stionsgewalt des Schlagworts Eingefangene,
nicht fähig, sich aus den, ihn engum‐
schnürenden Gedankenfesseln, zu befreien!
121 Das Gespenst der Freiheit
.Noch wagt er nicht, nach eigener Er‐
kenntnisfähigkeit sich einzustellen!
.Das Schlagwort hält ihn allzufest im
Bann, und wenn er auch sich zu befreien
sucht, so fehlt ihm doch der Mut, der
Freiheit dort zu folgen, wo sie allzuweit von
dem geliebten Schlagwort sich entfernt. ‒ ‒
.Man wird den so Verirrten nicht mehr
anders retten können, als durch ein gütiges
Beachten seiner Torheit, und nur wenn
man ihm zeigt, daß man ihn gelten läßt,
wird er zuletzt doch auch die Kraft in
sich erwecken, die ihm Einsicht bringt,
daß nur ein Schlagwort ihn am Gängel‐
bande hielt, wo er vermeinte, wohlbe‐
gründeter Erkenntnis frei zu folgen.
122 Das Gespenst der Freiheit
SELBSTDARSTELLUNG
.Nicht die Schlechtesten sind es, die gerne
mehr” sein möchten, als sie vor ihren und
anderen Augen gelten.
.Dennoch aber schwebt den meisten dieser
Unzufriedenen mit sich selbst, eine „Fata‐
morgana” vor, ‒ dennoch läßt sich auch
hier so mancher von dem Gespenst der
Freiheit gerade dorthin verlocken, wo es
keine echte Freiheit für ihn gibt, so daß
er seine Erdentage in Verbitterung be‐
endet, weil seine Mitmenschheit ‒ nach
seiner Meinung ‒ ihm nicht zugestand,
was ihm gebührte ...
.Der eine haßt die Stellung, die er aus‐
füllt, um sich seinen Lebensunterhalt zu
sichern, weil er sein Wissen und sein Kön
nen höher einschätzt als die Forderung,
125 Das Gespenst der Freiheit
die seine Stellung an ihn stellt, ‒ der An‐
dere geht nur voll Überdruß an seine Ar‐
beit, weil sie ihm nicht entlohnt erscheint,
wie er sie selbst bewertet sehen möchte.
.Einer hadert Tag für Tag mit seinem
Schicksal, weil es ihm die Vorbildung ver‐
sagte, deren Ausweis er besitzen müßte,
wollte er den Wirkungskreis erobern, der
allein ihm angemessen scheint, ‒ ein an‐
derer flucht aller Menschheit, weil ihm nicht
die Erdengüter von Geburt an mitgegeben
wurden, die er sich selber zuzusprechen
wissen würde, hätte er die Macht dazu.
.Jeder glaubt ein anderes Ziel für sich
verloren, ‒ einig aber fühlen alle sich in
ihrer starken Überzeugung, daß sie „mehr
sein könnten, als sie sind, ‒ und diese Über‐
zeugung ist gewiß begründet, wenn auch in
anderer Weise als die Überzeugten meinen!
.Du willst „mehr” sein, als du bist?!
.Demnach „bist” du zu wenig! ‒
126 Das Gespenst der Freiheit
.Zu wenig an dir „ist”! ‒ ‒
.Du fühlst, daß du „mehr”, aber wohl
auch „weniger” sein kannst, als die Geltung
ausmacht, die du vor dir selbst und anderen
zu erlangen wußtest.
.Du fühlst, daß eine Vielheit sich in
dir empfindet, ‒ daß diese Vielheit „größer”
oder auch „geringer” werden kann. ‒
.Willst du also „mehr” sein, als du bist,
so werde mehr!
.Lass' es nicht dabei, so „wenig” zu sein,
wie du heute bist!
.Begnüge dich nicht mit Wünschen, son‐
dern werde „mehr”, weil du „mehr” sein
willst!
.Es ist noch viel mehr in dir als du auch
nur zu ahnen wagen würdest!
.Gar vieles ist aus Urzeittagen her auch
heute noch in dir, was du gewiß nicht mehr
127 Das Gespenst der Freiheit
zu sein verlangst, und du wirst ihm dein
Sein sogar mit aller Macht entziehen
müssen, willst du dich selbst nicht zer‐
stören, indem du Andere zerstörst ...
.Unnennbar vieles aber ist zugleich in
dir, was du bis heute noch nicht zu er‐
langen wußtest, und Vieles ist dabei, um
das du auch in deinen kühnsten Träumen
noch nicht weißt! ‒ ‒
.Zwischen dem, was du nun nicht mehr
sein sollst, und diesem anderen, das du noch
nicht bist, liegt jenes Wenige, das heute dir
mit Recht als „viel zu wenig” gilt, um
deine Selbstdarstellung zu bestimmen ...
.Es ist der Geistesfunke Gottes, der
sich in deinem eigenen „Ich” erlebt, und
wahrlich weiß, daß du viel „mehr” sein
könntest, als du bisher bist!
128 Das Gespenst der Freiheit
.Du nimmst nur in dein irdisches Bewußt‐
sein auf, was in den innersten Bereichen
deines Seins empfunden wird.
.Dort aber dürstet dein Sein nach Er‐
füllung mit allem, was es noch nicht ist!
.Darum willst du „mehr” sein in den
Formen der Vergänglichkeit, ‒ darum
strebst du „mehr” zu werden in deinem
Alltagsleben, allwo Notwendigkeit al‐
lein bestimmt, was dir erlangbar wird! ‒
.Hier aber wirst du nur „mehr” werden
können als du heute bist, wenn du in dir
„mehr” aufzunehmen weißt in deinem
Sein!
.Du mußt mehr von dir verlangen,
wenn du mehr erhalten willst!
.Klaren, selbstsicheren Willens mußt du
in dir selber das als Anspruch fordern,
was du „sein” willst, ‒ mit jenem Willen,
den jeder Sportsmann kennt, wenn er von
129 Das Gespenst der Freiheit
sich weiß, daß ihm sein Training ein ge‐
wisses Recht gibt, seine „Klasse” zu be‐
haupten!
.So, wie der Sportsmann, aber wirst du
auch alles aufbieten müssen, um stets „bei
Form” zu bleiben, ‒ was dir, wie ihm, nur
möglich ist, durch Verzicht auf so Manches,
das zwar Anderen erlaubt sein kann, nicht
aber dem, der „mehr” zu werden strebt,
‒ selbst wenn er schon vieles ist! ‒ ‒
.Hinter dem Wunsche, „mehr” zu sein
als „Andere”, versteckt sich nur der An‐
trieb, mehr zu sein, als du selber bist,
denn noch bist du, gleichwie die Anderen:
‒ nur zum geringsten Teil, was du zu
sein vermagst! ‒
.Es handelt sich um den Gebrauch von
Kräften, die allen Menschen dieser Erde,
ausnahmslos, in Freiheit stets erlangbar sind.
130 Das Gespenst der Freiheit
.Diese „Seelenkräfte” aber kann kein
Mensch „gebrauchen”, solange er noch nicht:
sie seinem eigenen Sein zu einen wußte.
.Man muß selbst zu der Seelenkraft
werden, die man gebrauchen, und durch
die man seine Selbstdarstellung bestimmt
sein lassen will!
.Auch über niedere Kräfte in dir kannst
du nur dann verfügen, wenn sie dein Sein
erfüllen und dadurch mit dir identisch
wurden.
.Nur was du selber „bist”, ist dir hörig:
‒ es „gehört” zu dir und „hört” auf
deinen Willen!
.So wenig du zu Gott gelangen kannst,
es sei denn, Er habe sich selbst deinem
eigenen Sein geeint, ‒ so wenig kannst
du auch aus einer Seelenkraft wirken,
die du aus dir selbst nicht geeinigt hast
in deinem Sein! ‒ ‒
131 Das Gespenst der Freiheit
.Doch darfst du hier gewiß nicht etwa
schematisch verfahren wollen, indem du
die Seelenkräfte gleichsam einzeln aufzu‐
rufen beginnst, die fortan dein Sein er‐
füllen sollen!
.Du darfst die auslösende Macht nicht
unterschätzen, die stets in dir zur Aus‐
wirkung erwacht, wenn du vor einem bloß
Erahnten stehst! ‒ ‒
.Achte in dir auch das, was sich dir
noch verhüllt! ‒
.Es ist nichts anderes dir vonnöten, willst
du hohe Seelenkräfte, die noch nicht in
deinem Sein lebendig wurden: ‒ die du
demnach noch nicht „bist” ‒ dir dereinst
einen, als daß du deine allgemeine Ziel
richtung zu wahren weißt!
.Auch unter Verbrechern gibt es solche,
die „mehr” als andere sind, ‒ aber ihr
Zielen geht nach der Abgrundstiefe tier‐
haften Vormenschentums auf dieser Erde,
132 Das Gespenst der Freiheit
während dein hohes Ziel der ewige
Geistmensch ist, in dem du dich dereinst,
nach dieses Erdenlebens stetem Ringen
mit dir selbst, geeinigt allen Geistgeborenen,
wiederfinden willst! ‒
.Hältst du dein Ziel stets im Auge, dann
kannst du sicher vorwärts schreiten, ohne
Besorgnis und ohne Ängstlichkeit!
.Du wirst dir während deines Erden‐
lebens dann immer mehr der Seelenkräfte
einen, deren du zu deinem höchsten Auf‐
stieg einst bedarfst!
.Je mehr du aber selbst in deinem Sein
dich zu erfüllen weißt mit hohen Seelen‐
kräften, desto leichter wird es dir gelingen,
zu erkennen, daß du dich in allen Gel‐
tungsstufen dieses Erdenlebens frei zur
Selbstdarstellung bringen kannst!
.Kein menschlicher Beruf ist so gering,
als daß er eines Menschen, der sich viel
133 Das Gespenst der Freiheit
zu einen wußte, wirkungsweite Selbst
darstellung nicht ertragen würde!
.In jeglichem Beruf, ‒ in jeder Stel‐
lung, die Notwendigkeit zur Zeit dir dar‐
zubieten hat, ‒ kannst du weit „mehr”
sein, als du scheinen magst!
.Du wirst dich aber auch nicht wundern
dürfen, wenn du bald bemerkst, daß auch
die Anderen dein reiches Sein erkennen,
und dich dann allein nach seiner Fülle
Strahlgewalt bewerten, wie immer auch
der Geltungswert der Stellung, die du hier
auf Erden einnimmst, sich bemessen las‐
sen mag! ‒ ‒
.Du bist dann wirklich „mehr” ge‐
worden als die Andern, und wirst Anderen
zum Antrieb dienen, „mehr” zu werden,
als sie vorerst sind, ‒ so wie ein Mensch,
der auszog, Gold zu graben, und reich zu‐
rückkam, Anderen den Willen wecken wird,
ein Gleiches zu beginnen.
134 Das Gespenst der Freiheit
.Irrend, weil du deine Unzufriedenheit
allein im Äußeren begründet glaubtest,
hast du bisher nur stets Vergebliches ver‐
sucht, um deinem Triebe, „mehr” zu sein
als was du bist, Befriedigung zu schaffen.
.Sie bleibt dir aber keinesfalls versagt,
wenn du nunmehr dein Streben in dein
Inneres verlegst!
.Hier, wo du selber eine Vielheit dar‐
stellst, die sich mehren oder mindern
kann, ‒ hier wird dir keine äußere Macht
die Freiheit schmälern, ‒ und bist du
wirklich „mehr” geworden, als du bis zu
diesem Tage werden konntest, dann wird
auch deine Selbstdarstellung in der
Außenwelt dich nur mit Glücksgefühl
und innerer Zufriedenheit erfüllen!
.Erst wenn du alles darzustellen weißt,
was du verborgen in dir trägst, damit es
sich in dir vollende, ‒ erst dann hast
du dich selbst erreicht und bist wahr‐
haftig nun zu dir gekommen! ‒
135 Das Gespenst der Freiheit
.In deiner Selbstdarstellung schaffst
du dir die ewig währende Bewußtseins‐
form, die du in deinen heimlichsten und
innerlichsten Bitten an dein Schicksal dir
ersehnst ...
.Nur du allein jedoch bist Bildner
deines Schicksals, ‒ und wie du hier auf
Erden auszukosten hast, was du dir vor
dem Fall ins irdische Bewußtsein zube‐
stimmtest, so wirst du auch nach deinem
letzten Atemzuge dich nur in der von
dir selbst gewirkten Form des Selbstbe‐
wußtseins: ‒ deiner Selbstdarstellung, ‒
dereinst wiederfinden. ‒ ‒
136 Das Gespenst der Freiheit
RELIGION
.In Asien, dem Mutterschoß Europas, und
dem Urquellgrunde aller großen Religionen,
fließt verborgen eine stille Quelle, die alles
speist, was in der Erdenmenschheit je an
echtem religiösen Fühlen keimte und
erwuchs, wie alles, was in diesen Tagen
noch die Kruste materiell gebundenen Den‐
kens zu durchstoßen weiß.
.Auch in der fernsten Zukunft wird aus
gleicher Quelle gleiches Fühlen Nahrung
nehmen!
.Wie nirgends wahrnehmbar wird, was
dem Leben seine Keimkraft gibt, und
Keimkraft dennoch sich bezeugt durch das,
was ihr entsprießt, so ist auch diese Quelle
allen echten religiösen Fühlens nur in
ihrer Auswirkung bezeugbar, und selten
nur wird Seltenen sie selber kund.
139 Das Gespenst der Freiheit
.Bis in die neuesten Tage zwar geht
lächerlichste Zaubermär durchs Land und
findet Gläubige, die ihrer wahrlich „wert”
sein müssen, allein die Wundermeister all‐
zukenntlichen Gewandes, die in solchen
Märchenbüchern für die Allzuvielen
sich ergehen, leben nur in den geschäfts‐
gewandten Köpfen ihrer, mit dem Zubehör
des Zaubers niemals geizenden, Erzeuger.
.Wirkliche Meisterschaft berufenen Er‐
kennens ist romanhaften Gebilden solcher
Spekulanten auf die Lesegier der Wunder‐
süchtigen so wenig ähnlich, daß jeder Maß‐
stab der Vergleichung fehlt, auch wenn die
rührigen Erfinder wundersamer Meister‐
mären sich aus allenthalben zugänglichen
fremden Schriften Material zu „borgen”
wußten, wo es galt, den allenfalls erregten
Argwohn harmlos gläubiger Gemüter zu
betäuben.
.Es ist wahrhaftig kein erfreulicher Ge‐
danke, daß sich zu dieser Zeit noch, ‒
140 Das Gespenst der Freiheit
mitten im Getriebe der modernen Welt,
‒ nicht wenig Menschen finden, deren
Hirne ohne jeden Widerstand die würde‐
lose Vorstellung ertragen, das Licht der
Ewigkeit bekunde sich in Fakirwundern
und geheimen Künsten, wie man sie allen‐
falls dem Magus einer alten Zauberoper
zugestehen kann! ‒
.Ich bin genötigt, diese peinlich wunder‐
lichen Blüten jahrmarktsmäßiger Romantik
zu zerpflücken, damit man das, was ich
nunmehr zu sagen haben werde, nicht miß
brauchen kann, indem man sich aus
meinen Worten Eideshelfer macht für irgend‐
welchen Wahn!
.Wir Menschen hier auf dieser Erde
leben keineswegs nur unser individuelles
Eigenleben, sondern sind mit allem denk‐
bewußten Dasein, ‒ nicht nur dem, was
dieser Erdball trägt, ‒ tiefinnerlich ver
bunden!
141 Das Gespenst der Freiheit
.Wirkt diese Allverbundenheit sich
schon bedeutsam in uns aus, so wird, was
sie bewirken kann, doch weitaus über
troffen durch die Wirkungskraft des erd
begrenzten Lebens denkbewußter Wesen,
dem wir hier irdisch einverwoben sind!
.Weit folgenreicher noch als All- und
Erdverbundenheit an sich ist für den
Einzelnen jedoch die durch Impulsver
wandtschaft scharf umgrenzte Gruppe,
der er seelisch zugehört! ‒
.Ihren unsichtbaren Einwirkungen ist er
ohne Unterbrechung ausgesetzt, wie alle,
die der gleichen Gruppe zugehören, ständig
auch durch seine Einwirkung beeinflußt
werden! ‒ ‒
.Zu solcher „Gruppe” können Menschen
eng verbunden sein, die nie in diesem
Erdendasein sich begegnen werden, nichts
hier im Außenleben voneinander wissen,
keine Sprachgemeinschaft haben, und in
142 Das Gespenst der Freiheit
gänzlich fremden Vorstellungsbereichen auf‐
gewachsen sind. ‒ ‒
.Alle Weiten werden in den Gruppen
der Impulsverwandten überbrückt!
.Entfernung bildet für die gegenseitige Be‐
eindruckung der Gruppenzugehörigen kein
Hindernis ...
.Wie elektrische Wellen heute den ganzen
Erdkreis umspannen, und doch nur von
Antennen aufgenommen werden können,
die für gleiche „Wellenlänge” eingerichtet
sind, so strahlen unsichtbare Kräfte auch
von jedem Erdenmenschen aus und bringen
jede Menschheitsgruppe der jeweils Impuls‐
verwandten in die sicherste Verbindung,
ohne anderen Gruppen wahrnehmbar zu
werden.
.Es ist ganz einerlei, an welchem Ort
der Erde du zu finden bist: ‒ du wirst
auf alle Fälle dort erreicht von allen Ein‐
wirkungen deiner Gruppe, mögen die dir
143 Das Gespenst der Freiheit
so Verbundenen in deinem, oder irgend
einem anderen Erdteil leben!
.Es liegt auch keineswegs in deiner Macht,
die so geschaffene Verbindung aufzuhe
ben, ‒ es sei denn, daß du die Impulse,
denen du zu folgen pflegst, zu wechseln
weißt, so daß du „automatisch” einer anderen
Gruppe dich verbindest. ‒
.Dem Umfang und der Art nach sehr
verschieden, durchsetzen viele Tausende
von solchen unsichtbar vereinten Seelen‐
gruppen alles Menschendasein auf der Erde,
verbinden räumlich weit Getrennte,
wie sie auch recht oft die räumlich Nächsten
voneinander scheiden ...
.An allem nimmst du, ohne es zu ahnen,
Anteil, was in jeder Seele vorgeht, die in
deiner Gruppe der Impulsverwandten sich
erlebt! ‒ ‒
.Du glaubst in dir nur eigene Seelen‐
regung zu vernehmen, und bist doch, mehr
144 Das Gespenst der Freiheit
als du vermuten könntest, bewegt durch
seelisches Geschehen, das in einem, deiner
Gruppe Zugehörigen zur Zeit erfahren
wird, so wie auch dein Erleben allen dir
Impulsverwandten fühlbar wird zu jeder
Zeit! ‒ ‒
.Was ich dir hier begreiflich nahe bringen
will, kann dir gar viel erklären, das oft,
und bis zu diesem Tage dir so manches
„Rätsel” aufzugeben hatte ...
.Du hast nun Einsicht in die innere
Struktur der Formen seelischer Verbun‐
denheit, und weißt zugleich, daß du be
stimmen kannst, was dich am stärksten
mitbestimmen soll in deinem seelischen Er‐
leben, ‒ denn: läßt du selber die Impulse
fahren, die dir unerwünscht erscheinen,
kommen sie zu dir als Einwirkung Im
pulsverwandter, so entschwindest du
der Gruppe, der du eben noch verbunden
warst, und findest allsogleich dich einer
145 Das Gespenst der Freiheit
anderen geeinigt, die dem entspricht, was
du in dir nun hegst. ‒ ‒
.Verantwortung für all dein Denken,
Reden, oder Handeln trägst nur du allein,
auch wenn die dich bestimmenden Impulse
dir von anderer Seite unsichtbar und un‐
vermerkt vermittelt wurden!
.Auch die Impulsverwandten deiner See‐
lengruppe, die von dir beeindruckt werden
ohne es zu ahnen, tragen in der gleichen
Weise die Verantwortung für ihr Ver‐
halten.
.Leicht kannst du dir nun aber sagen,
daß die tausendfältig unterschiedenen Seelen‐
gruppen sich in Tausenden verschiedener
Erlebnisstufen „übereinander” schichten,
und daß du nur zu einem höheren Er‐
leben deiner Seele kommen kannst, wenn
du dich unermüdlich selbst dazu bestimmst,
die niederen Impulse aufzugeben, und
stets höhere in dir zur Auswirkung zu
bringen! ‒
146 Das Gespenst der Freiheit
.Vielleicht wirst du auch jetzt verstehen,
was ich von der stillen „Quelle” sagte,
die heute noch, wie vor Jahrtausenden,
vom Urquellgrunde aller geistbelebten Reli‐
gionen her das echte religiöse Fühlen
in der Erdenmenschheit speist, ‒ aus
welcher Form der Vorstellung auch solches
Fühlen keimen mag! ‒ ‒
.Vielleicht wirst du nunmehr begreifen,
daß ich deutlichst warnen mußte vor den
Ausgeburten aberglaubenübersättigter Phan‐
tasterei! ‒
.Vielleicht erkennst du jetzt auch schon,
daß ich von einer „Quelle” spreche, deren
Wasser aus dem Innersten des Lebens
quellen, und daß hier von nichts anderem
die Rede ist, als von der höchsten und
zugleich auch kleinsten Seelengruppe irdi‐
scher Impulsverwandter, die hineinreicht
in den Lichtkreis urgewissen Seins, ‒
weil sie in ihm schon im Bewußtsein war,
147 Das Gespenst der Freiheit
längst ehe irdisches Bewußtsein sie er‐
reichte! ‒ ‒
.Du wirst wohl auch begreifen, daß ihr
Einfluß denen nur zustatten kommen kann,
die sich zum Lichte sehnen, ‒ auf welcher
Stufe auch die Gruppe der Impulsver‐
wandten stehen mag, der sie verbunden
sind. ‒
.Nicht durch die engere Impulsverwandt‐
schaft, die die Wenigen der Lichtvereinten
unter sich verbindet, können sie den
anderen Gruppen sich vernehmlich machen,
sondern nur allein kraft jener allgemeinen
inneren Verbindung, in die alle Erden‐
menschen einverwoben sind, ‒ und wohl‐
verstehbar wird es dir erscheinen, daß sie
auch da nur Seelen nahekommen können,
die bereits ihr ganzes Streben aufwärts
führt!
.Hier handelt es sich nur um Aller
innerstes, und keine Neugier, keine Art
148 Das Gespenst der Freiheit
des Wissenstriebes, keine Macht der Erde,
kann hier mehr erspähen, als was der
Seele zuströmt, die sich selbst bereitet, um
die geistgezeugten „Sendewellen” zu emp‐
fangen, die aus dieser Gruppe Lichtver‐
einter ohne Unterlaß zu allen ihren Mit‐
menschen auf Erden strömen! ‒
.Unzählige sind diesem Lichtkreis längst
verbunden, mögen sie auch das, was sie
erreicht, nach Weise ihrer angestammten
Glaubenslehren deuten!
.Die „Quelle”, die hier fließt, kann jede
Form erfüllen, die sich ein geistbelebter
Glaube schuf, ‒ und jedes würdige Ge‐
fäß wird wertgeachtet, aufzunehmen, was
es „fassen” kann ...
.Unfähig zu empfangen, sind nur die
mit Erdenschlamm gefüllten „Becher”, und
die „Siebe”, die nichts in sich selbst be
wahren können!
149 Das Gespenst der Freiheit
.Es werden deine Glaubenslehren aber
dich gewiß nicht hindern, und dein Be
kenntnis kann dir nur die Fassungs
fähigkeit erweitern für das Lebendige,
das es hier aufzunehmen gilt ...
.Nur wirst du mit dem Herzen zu be‐
kennen wissen müssen, und dein Glaube
darf nicht nur gehirnbegründetes Ver
messen sein!
.Gehe deinem Glauben auf den Grund
und prüfe, ob er auch in deiner Seele
Wurzel faßte!
.Siehst du ihn so begründet und im Leben
stehen, dann werden ihm gewiß die licht‐
durchströmten Wasser wachen Wissens nie‐
mals schaden, sondern ihn vielmehr erst
zum Erblühen bringen und alsdann zur
Frucht! ‒ ‒
.Allen Aberglauben wirst du freilich
sorgsam roden müssen, denn er raubt, um
150 Das Gespenst der Freiheit
sich zu nähren, deinem Glauben nur die
Kraft, aus der er sich entfalten soll! ‒
.Doch darfst du hier gewiß nicht bloßen
Scherz und alter Vätersitte harmlosen
Gebrauch mit wüstem Wahn verwechseln,
der die Seele überwuchern will! ‒
.Noch weniger sollst du die Formen
alten Glaubens zu vernichten suchen, die
dir nur „fremd” geworden sind, weil sie
Symbole in sich bergen, die du nicht mehr
deuten kannst!
.Torheit allein reißt alles, was sie nicht
erkennt, gleich aus dem Boden, und zer‐
trampelt wild, was sie nicht nützen kann!
.Auch Religion kann nur in wahrer
Freiheit sich entfalten, obgleich zumeist
die Bahnen vorgezeichnet sind seit alter
Zeit, in denen sich die unterschiedlichen
Gebilde religiöser Formgestaltungsfreudig‐
151 Das Gespenst der Freiheit
keit allein beweglich und als Lebens
überformer zu erweisen wissen.
.So kann auch Religion in ihrer Aus‐
wirkung gewiß zu wahrer Freiheit führen,
und dir deine Freiheit sichern! ‒
.Tief in Notwendigkeit begründet ist
die vielfache Verschiedenheit der Lehren
und der Kulte!
.Es ist nur Selbsttäuschung, glaubt
man Verschiedenheit des religiösen Füh
lens dadurch ausgetilgt, daß man die Formen
einer einzigen Lehre und die Formen
ihres Kultes über manches Land ver‐
breitet hat! ‒
.Worte können wohl an allen Orten
ihre „Diener” finden, und nur begriff
liches Erfassen heischende Symbole lassen
sich gewiß von allen Völkern in der
gleichen Weise deuten.
.Das religiöse Fühlen aber wird sich
immer ‒ trotz erzielter äußerlicher Gleich‐
152 Das Gespenst der Freiheit
heit in Bekenntnisform und Kult ‒ aus
Seelensicherheit heraus die eigenen Wege
bahnen, die seiner Sonderart entsprechen
in Notwendigkeit.
.Äußerlich scheint ja in vielerlei Lan‐
den gleiche Religion zu herrschen, weil
gleicher Kult sich auswirkt, und die
gleichen Worte überall erklingen, ‒
innerlich aber bleibt bestehen, was schon
vor Jahrtausenden bestand und niemals
auszutilgen ist, da es in tieferen Tiefen
wurzelfest gegründet steht, als die viel‐
leicht ihm „seelenfremde” Lehre und ihr
Kult. ‒ ‒
.Es war nicht, wie die Heutigen meinen,
törichter „Götzendienst”, wenn alte Völker
ihre Landesgötter zu ehren wußten! ‒
.Wirkliches wußten sie so erreichbar,
und dieses gleiche Wirkliche wird auch
in vielen Landen und an vielen Orten dieser
Erde heute noch erreicht, wenn auch die
153 Das Gespenst der Freiheit
Vorstellung sich andere Bilder schuf, um
es zu fassen, und das äußere Bekenntnis
neue Namen für die ihm verhüllten Mächte
fand! ‒ ‒
.Gar wenig kommt es darauf an, was von
dem sagenhaften „Helden” eines Volkes auf‐
gezeichnet steht, und was die Heiligenlegende
von dem „Heiligen des Ortes” weiß!
.Held, wie Heiliger sind „Wahrheit
nur: als Bild der Vorstellung, und hin
ter solchem Bilde steht die geistgezeugte
Wirklichkeit, für die es ganz belanglos
ist, ob sie den Irdischen in diesem oder
jenem Bilde faßbar wird, ‒ ob man dem
Göttlichen in ihr Altäre baut, oder den
Geistes-Menschen in ihr ehrt und ihm
als „Schutzpatron” des Landes Kirchen
weiht. ‒ ‒
.Es ist darum nicht immer richtig, Re‐
ligion von alledem zu „reinigen”, was
noch in ihr an Formgebilden lebt, die einer
Vorzeitreligion ihr Dasein danken! ‒
154 Das Gespenst der Freiheit
.So wie ein altes Bild, das unter Kerzen‐
ruß und Kirchenstaub kaum noch erkenn‐
bar ist, nur durch die Hand des Kundigen
gereinigt werden darf, soll es in seiner
alten Pracht erneut erkennbar werden, ‒
so ist auch mehr, als nur der Drang nach
rationeller Klarheit nötig, soll Religion
gereinigt” werden von der Trübnis, die
ihr klares Antlitz zu zerstören droht ...
.Zu teuer ist der Preis, um den die Lehre
Reinigung” erreicht, wenn allzugleich
dabei in törichter Verkennung „Zeichen
ausgewaschen werden, die man in späteren
Tagen dereinst wieder mühevoll dem Bild
der Lehre einzufügen haben wird, soll
sie auch noch zu denen sprechen, die als‐
dann erneut zu deuten wissen werden, was
einer Zwischenzeit nicht deutbar war! ‒ ‒
.Höher aber als die Lehre, steht das
Leben!
155 Das Gespenst der Freiheit
.In deinem Alltagsdasein kann sich erst
erweisen, ob die Lehre, der dein Herz er‐
geben ist, wirklicher Freiheit dich ent‐
gegenführt, oder ob du einer Lehre Knecht
bist, die dich blendet, damit du nicht
gewahrst, daß nur Gespenst ist, was sie
dir als „Freiheit” zeigt! ‒ ‒
.„Nicht um des Sabbaths willen lebt der
Mensch auf Erden, sondern der Sabbath
ist nur um des Menschen willen ein‐
gesetzt!”
.Erst wenn die Lehre eingeht in das
Leben, kann sie sich bewähren!
.Bekenntnis, das nur im Gehirnver
stande ankert, ist nicht viel mehr als
jedes „auswendige” Wissen, das nur Wert
besitzt, ‒ wenn man ihm Wert „ver
leiht”. ‒ ‒
.Solange noch dein Leben nicht „durch
drungen” ist mit Religion, solange weißt
du dein Bekenntnis nicht zu nützen! ‒
156 Das Gespenst der Freiheit
.Nur dann „lebt” Religion in dir, wenn
sie vom ersten Augenblicke deines Wieder‐
findens im Erwachen, bis zum letzten kla‐
ren Selbstempfinden, das der Schlaf als‐
dann verhüllt, dir ständig gegenwärtig
ist! ‒
.Nur dann, wenn jegliches Geschehen
deines Tages überstrahlt wird durch dein
religiöses Fühlen, ‒ gleichviel in wel‐
cher Form du es zu fassen suchst, ‒ darfst
du gewiß sein, daß du dem, was „ewig
ist in dir, entsprichst! ‒ ‒
.Vorher bist du nur selbst ein Hemm
schuh deiner Seele, weil du sie hinderst,
sich in diesem Erdenleben auszu‐
wirken! ‒
.Vorher bist du nur tierhaft deiner
selbst bewußt, auch wenn du glaubst, im
Geistigen dich zu erkennen! ‒
.Auch wenn dich alle Welt als einen
ihrer Großen ehren mag, so bist du doch
157 Das Gespenst der Freiheit
im Geiste dem Geringsten unterordnet, der
sein Tagewerk in krafterfüllte Strahlen ech
ten religiösen Fühlens einzutauchen weiß,
um so mit allem, was er tun mag, seiner
Seele neue Nahrung darzubieten! ‒ ‒
.Aus solcher innerer Durchdringung
allen Tagewerks mit Religion, ist hier auf
Erden jede der Kulturen vormaleinst ge‐
boren worden, die du heute hoch bewun‐
derst und kaum mehr erreichbar glaubst ...
.Auch unsere Zeit verlangt nach neuer
Weltkultur, ‒ doch sucht sie nur Kultur
zu „konstruieren”, wie man eine Eisen‐
brücke konstruiert ...
.Erst dann jedoch wird diese Zeit Kul
tur aus sich „gebären” können, wenn sie
wieder sich mit echtem religiösen Füh
len zu durchdringen weiß! ‒ ‒
.Du aber, der du selbst, als „Kind der
Zeit”, heute auf Erden hier im Dasein
stehst, ‒ beginne bei dir selbst! ‒
158 Das Gespenst der Freiheit
.Hast du erst selbst dein Dasein ein
getaucht in Religion, dann wirst du bald
auf Schritt und Tritt auch Anderen be‐
gegnen, die aus bloßen Erdentieren wieder
geistgeeinte Menschen werden wollen ...
.Ihnen wird alsdann dein Leben beste
Lehre sein, ‒ und wenig Worte wird
man brauchen, diese Lehre zu bekräf
tigen! ‒
.Wenn man auch deinen Worten Glauben
schenken mag, so glaubt man doch viel mehr
noch deinem Tun!
.So, wie du vorzuleben weißt, was dich
im Innersten erfüllt, so werden es die An‐
deren nacherleben können!
.Du sollst jedoch gewiß kein „Spielver‐
derber” sein, wo andere die kargen Freu
den ihres Erdenlebens irdisch auszukosten
suchen, ‒ und nicht als „Frömmler” sollst
du dich mit himmelwärts verdrehten Au‐
159 Das Gespenst der Freiheit
gen über jede harmlos-tolle Torheit Fröh‐
licher „entrüsten”!
.Ist all dein Alltagsdasein wirklich durch
die dir gemäße Religion bestimmt, dann
wirst du wahrlich auch zu lachen wissen,
wo sich sündlos lachen läßt!
.Bald wirst du dann entdecken, daß ein
heiteres Wort denn doch noch Besseres
vermag, als alle sauertöpfisch-überernste
Mahnung und Belehrung.
.Wahre Religion ist frohgemute Freiheit!
.Mißtraue darum allem, was als „religiöses”
Fühlen gelten möchte, ohne in der Heiter
keit des Herzens sich bestätigt zu er‐
weisen! ‒ ‒
160 Das Gespenst der Freiheit
WISSENSCHAFT
.Aller Erkenntnis weltweise Mutter
ist die Sprache!
.Weit aber wurde der Weg von dem
lallenden Lautegebell, das unseren tierhaften
Vorahnen voreinst Verständigungsmittel
kümmerlichsten Verstandes war, bis zum
ersten geistgezeugten Wort!
.Nicht eher konnte bloßer Stimmklang
Sprache” werden, als bis die Urmensch‐
tiergehirne sich soweit beeindruckbar ge‐
staltet hatten, um den Splitterregen körper
lichen Lichtes, der sie allenthalben über‐
sprühte, in sich umzuformen zu Erfas
sungskräften, die auch Ungreifbares zu
umschließen wissen.
.Es ist nicht etwa nur ein sprachlicher
Vergleich allein, wenn man vom „Lichte
163 Das Gespenst der Freiheit
des Verstandes, der Vernunft, des Den
kens, und vom „Licht” des Geistes
spricht! ‒
.Was uns als körperliches Licht der
Sonne und der Sterne durch das körper‐
liche Auge wahrnehmbar wird, ‒ was der
Mond an abgeschwächter Sonnenstrahlung
wiederspiegelt, ‒ das alles ist zugleich
auch geistige Substanz, die zwar dem un‐
erschlossenen Gehirn der anderen Tiere
unwahrnehmbar bleibt, jedoch im längst
dafür empfindlichen Gehirn des Erden‐
menschentieres aufgenommen und ver
wandelt wird zu einer Kraft, aus der die
Seele sich ihr inneres Erkenntnis-Reich
gestaltet. ‒ ‒
.Wir würden selbst im Außendasein
kaum viel mehr erfassen können als den
höchstentwickelten der bloßen Tiere dieser
Erde faßbar wird, wenn sich die Seele
nicht aus reiner, umgeformter Lichtkraft
denkfaßbare Bilder aller Außendinge schaf‐
fen könnte. ‒
164 Das Gespenst der Freiheit
.Mit Hilfe dieser „Bilder” äußerer Ge‐
staltung können wir uns erst „begreiflich
machen, was unsere Nebentiere, ‒ seien
sie auch auf der höchsten Stufe tierhafter
Entwicklung angelangt, ‒ niemals, den
sinnlich unerkennbaren Zusammenhängen
nach, begreifen.
.Denken” aber, dessen Gegenstände
nicht mehr Wiederspiegelungen außen
weltlicher Gestaltung, sondern unsere ei
gene innere Schöpfung sind, wäre erst
recht unmöglich, hätten wir die umgewandelte
Substanz des körperlichen Lichtes nicht in
unserem Gehirn in reicher Fülle zur Ver‐
fügung.
.Jegliche „Vorstellung”, die sich im
Innenleben eines Erdenmenschen bildet, ‒
jeglicher Gedanke, den ein Mensch erfassen
kann, ‒ ist nur ein Bild aus umgeformter
körperlicher Lichtsubstanz, und nur
in solcherart erzeugtem „Niederschlag” kann
seelische und geistsubstantielle Wirklich
keit uns hier auf Erden faßbar werden.
165 Das Gespenst der Freiheit
.Die lautgemäße Wiedergabe dieser
inneren Bilder aber ist die Sprache, deren
Sonderart bestimmt wird, durch den, jeder
Einzelvolksgestaltung eingeprägten Lebens‐
rhythmus.
.Nun lassen sich aus dieser in Gehirnen
umgeformten Lichtsubstanz, ‒ die immer‐
fort in Wellenwogen unerfaßlich kleiner
körperlicher Lichtkraftsplitter alles
Erdenkörperliche zu durchdringen weiß,
‒ die mannigfaltigsten Gebilde formen,
die keineswegs auch irgend einem Wirk
lichen entsprechen müssen, sei es ein nur
allgemeinem Sprachgebrauch nach „Wirk‐
liches” der Außenwelt, oder das abso
lute Wirkliche, das nur in seelischen und
geistsubstantiellen Formen seinsgewal‐
tig ist. ‒
.Erfahrung ließ daher den denkbewußten
Erdenmenschen schon in alter Zeit gewahren,
daß die innere Bildnerkraft in strenger
166 Das Gespenst der Freiheit
Zucht gehalten werden müsse, damit sie wahr‐
haft Wirkliches erkenntnisnahe bringe.
.Fehlschluß, oder falsches Urteil,
waren jederzeit die Folge unbesorgter Art
des inneren Gestaltens.
.Es bedurfte aber einer Selbstkontrolle un‐
gezählter Einzelner in langen Generationen‐
reihen, um endlich die Gewißheit zu er‐
langen, welche innerlichen Formbildungs‐
methoden dauernd auszuscheiden seien,
wenn das Resultat des Denkens und Er‐
schließens zum gesicherten Erkennen des
Geschehens im Bereiche einer Wirklich
keitsbezeugung führen solle.
.So erst entstand, was man zu Recht als
Wissenschaft” bezeichnen darf.
.Da aber solche strenge Selbstzucht,
wie man hier sie in Notwendigkeit be‐
gründet fand, gar manche liebgewordene
Illusion zerstörte, konnte es auch nicht
an Selbstbetörten fehlen, die nicht ge‐
167 Das Gespenst der Freiheit
sonnen waren, ihre Art des hemmungs
losen Bildgestaltens aufzugeben, und aller‐
orten kann man darum hohlem Wahn be‐
gegnen, der sich aller strengbedingten Wissen‐
schaftlichkeit enthoben glaubt ...
.Man fühlt die „Freiheit” seines Den‐
kens durch die Wissenschaft bedroht, und
merkt nicht, daß man dem Gespenst der
Freiheit folgt, weil man sich der Notwen
digkeit entwinden möchte, die auch alles
innere Gestalten ordnen muß, soll es ein
Bild der Wirklichkeit ergeben ...
.Gewiß sind manche Diener der „exakten”
Wissenschaft nur arme „Kärrner”, die
nicht über ihres kleinen Karrens Last hin
auszublicken wissen!
.Gewiß muß vorgebliche „Wissenschaft”
auch manchen Dünkel decken!
.Wenn aber auch ein Werkzeug schlecht
gehandhabt wird, so ist damit noch keines‐
168 Das Gespenst der Freiheit
wegs erwiesen, daß es nicht zu rechtem
Werke taugt!
.Es ist nur Torheit, glaubt man echtes
religiöses Fühlen durch die Denkgesetz‐
lichkeit der Wissenschaft bedroht, ‒ und
Torheit nur wähnt wahrer Wissenschaft
den Weg verbaut zu höchstem geistigen
Erkennen, nur weil die Vorsicht heute
noch den wissenschaftlich Denkenden ver‐
hindert, sich auch in Bereiche vorzuwagen,
die man „wissenschaftlich” erst durch‐
dringen kann, wenn man sie im Erlebnis
sich eröffnet hat. ‒ ‒
.Unwissenschaftlich wäre es, zu fol‐
gern, daß sich niemals wissenschaftlich
Wirkende dazu entschließen könnten, geistige
Erlebnismöglichkeiten in sich aufzu‐
suchen, nur weil heute noch den Meisten
alles, was sich nicht erdenken läßt, da
es erlebt sein will, im Anruch alten Aber
glaubens steht ...
169 Das Gespenst der Freiheit
.Wer freilich Wissenschaft in einer Weise
treibt, die ihn dem wachen Leben fremd
macht, dem allein das Denken dienen
sollte, der ist in gleicher Weise seiner
Träume Narr, wie irgend ein Besessener
der Ausgeburten wirrer Wahnideen!
.Alles menschliche Beginnen muß dem
Leben dienen, muß das Erdendasein zu
bereichern trachten, soll der Mensch nicht
selbst zum Sklaven werden, wo er Herr
schaft aufzurichten sucht!
.Da alle Wissenschaft sich aus der Sprache
nährt, die wiederum nur lautgerechte Dar
stellung der inneren Gestaltung umgeform‐
ter körperhafter Lichtkraft ist, so hängt
auch wissenschaftliche Entfaltung in
erheblich hohem Grade von der ihr gemäßen
Ausfragung der Sprache ab. ‒
.Viel zu wenig wird solche „Ausfragung”
betrieben, wo sie als zuverlässigstes Mittel,
170 Das Gespenst der Freiheit
neue Intuitionen zu erlangen, längst be‐
kannt sein sollte ...
.Nicht alle Erkenntnis ergibt sich aus
dem Verhalten der zu erprüfenden Stoffe
in Retorten und Gläsern, oder erschließt
sich allein nur der steten Beobachtung!
.Wichtigstes wurde entdeckt, weil ein
Wort den Gedanken weckte, der darum
wußte, wo die von Vielen gesuchte Er‐
kenntnis sich verborgen hielt. ‒
.So wird auch vieles noch zu finden sein,
zu dem die Sprache dem die Wege weisen
wird, der sie in rechter Weise „auszufra
gen” weiß!
.Es gibt in diesem Erdenleben schlecht‐
hin keinerlei Erkenntnis, deren rechter Zu‐
gangsweg nicht aus der Sprache zu er‐
fahren wäre!
.Auch wenn wir glauben, mit den
Dingen selbst zu tun zu haben, sind es
doch nur die aus umgeformter Lichtkraft
171 Das Gespenst der Freiheit
nachgeschaffenen Innenbilder, die uns als
Beobachtungsobjekte zur Verfügung stehen,
und ihre lautgerechte Darstellung besitzen
wir dann in der Sprache.
.Du meinst, dein äußerliches Auge sähe
doch die Dinge und gewahre noch die
feinsten Formenteilchen ihrer Oberfläche?! ‒
.Jedoch, dein „Sehen” ist nur eine kon
zentrierte Umwandlung der Lichtkraft‐
splitter in die Formsubstanz, aus der sich
deine ganze „Innenwelt” erbaut, ‒ in
der allein du wirklich lebst, auch wenn
du glaubst, nur in der Außenwelt zu leben.
.Die „Linse” deines Auges sammelt aus
der dich umgebenden Lichtsplitterstrahlen‐
masse stets ein unbezeichenbar Vielfaches
von dem ein, was stets auch ohne sie die
Aufnahmemembranen deines Hirnes er‐
reichen würde, ‒ sendet aber dieses Einge‐
sammelte dann konzentriert, sogleich der
„Netzhaut” zu, die ein System von „Rastern
172 Das Gespenst der Freiheit
ist, und gleichsam automatisch, jeden körper‐
lichen Lichtkraftsplitter, augenblicklich zu
gestaltungsbildender Substanz gewan‐
delt, dorthin weiterleitet, wo das innere
Bild der Außenform seiner bedarf. ‒ ‒
.So lebst du nur in einer unbegreiflich
reichen, wechselvollen Welt von inneren
Bildern”, und nur als Folge dieser stets
belebten Innenwelt empfängst du all dein
Fühlen, Denken und Empfinden! ‒ ‒
.Wissenschaft” ist nun nichts anderes,
als Aufnahmebereitsein für die aus Not
wendigkeit bestimmte Ordnung innerer
Bildgestaltung, bei gleichzeitiger Enthaltung
von der Aufnahme willkürlichkeitser
zeugter Bilder.
.Jeder, dem das Streben nach Erkenntnis
nicht nur Spiel bedeutet, treibt schon für
sich selber „Wissenschaft”, auch wenn
sein anerlerntes Wissen nur gering, und
nicht etwa die Frucht der hohen Schulen ist.
173 Das Gespenst der Freiheit
.Sich von wissenschaftlich strenggefügtem
Denken abzuwenden, wo es sich um das
Erkennen außenweltlicher Zusammen‐
hänge handelt, bedeutet selbstgewollte
Täuschung, selbstbereiteten Betrug des
eigenen Erkenntniswillens!
.Wo es sich aber um Erkenntnisresultate
handelt, die nur im Erlebnis zu gewinnen
sind, dort wird der wissenschaftlich streng
geregelte Prozeß des denkgerechten Prüfens
dem, der ihn auch als Erlebender des
Übererdenhaften zu beherrschen weiß,
nur stets willkommene Kontrolle eigener
Erlebens-Sicherheit verschaffen.
.Was nicht zuletzt auch noch dem folge‐
recht geschulten Denken standzuhalten weiß,
so wie es Wissenschaft von ihren Dienern
streng verlangt, das ist gewiß auch im Er
lebnis nicht begründet, und vermag nur
für begrenzte Zeit ein Scheinbild wirk‐
licher Erkenntnis denen vorzutäuschen, die
sich lieber täuschen lassen wollen, als der
174 Das Gespenst der Freiheit
ihnen un-heimlichen „Wissenschaft” die
hohe Stelle im Erkenntnisstreben dieser
Erdenmenschheit zuzubilligen, die solcher
schwer erzielten Zucht des Denkens hier
unweigerlich gebührt.
.Es ist nicht sehr erfreulich, daß man
diese Binsenwahrheit erst noch feierlich
bezeugen muß, wenn es auch leider bitter
nötig ist um jener Vielen willen, die am
Gängelbande wirrer Schwärmer laufen,
denen alle „Schulweisheit” gar sehr ver‐
dächtig scheint, weil sie auf Denkprämissen
fußt, die keine Selbsttäuschungen dulden.
.Kann man gewiß auch nicht behaupten,
daß sich Wissenschaft zu jeder Zeit von
allem Irrtum freigehalten habe, so wurde
doch noch jeder Trugschluß, dem sich wissen‐
schaftlich Forschende ergeben hatten, früher
oder später durch die gleiche Wissenschaft
als unzulässig aufgezeigt.
175 Das Gespenst der Freiheit
.Wie alles erdenmenschliche Erkennen,
ist auch Wissenschaft der Möglichkeit des
Irrens unterworfen.
.Aber dort, wo wirklich reine Wissen
schaft betrieben wird, ‒ und nicht nur
Götzendienst vor ihren Dienern, ‒ dort
ist noch immer weitaus mehr Gewähr für
sichere Erkenntnis dargeboten, als jemals
jene wilden Wüsten darzubieten haben wer‐
den, in die sich urteilslose Eigenbrötelei
durch das Gespenst der Freiheit allzuleicht
verlocken läßt.
176 Das Gespenst der Freiheit
WIRKLICHKEITSBEWUSSTSEIN
.Jeder, seines Denkvermögens und der
Sinne mächtige der Erdenmenschen, glaubt
auf seine Art sich seiner selbst bewußt,
da er um seinen Körper weiß, und um die
durch Organe dieses Körpers wahrnehm‐
baren Reaktionen aus der Außenwelt, die
ihn umgibt.
.Des weiteren weiß jeder um den Namen,
den ihm voreinst Andere gegeben haben,
und kennt bis zu bestimmten Graden die
Familienzweige, denen er, als Frucht der
Einigung, sein körperliches Dasein zu ver‐
danken hat, selbst wenn er eher denen
fluchen möchte, die es ihm gegeben haben ...
.Er weiß um seine Stellung in der Welt,
‒ weiß, was er tätig zu erwerben wußte,
179 Das Gespenst der Freiheit
und was noch an Erwünschtem ihm ver
sagt zu bleiben scheint.
.Ganz sicher weiß er auch um seine Titel
und Bevorrechtungen, falls ihm solche von
Geburt an, oder im Verlaufe seines Erden‐
wandels dargeboten wurden ...
.Mit alledem jedoch weiß er noch keines‐
wegs um seine Wirklichkeit, denn alles,
was er an sich kennt, ist nur zeitweilig An
genommenes, das mit ganz unbezweifel‐
barer Sicherheit dereinst ihm wieder ab
genommen werden wird. ‒ ‒
.Es gibt jedoch etwas, das keiner an
zunehmen, oder abzulegen braucht, da er
es ewig war und ist und sein wird, selbst
wenn er die Macht verwirkt, sich ewig mit
dem so Bestimmten als identisch zu emp‐
finden ...
.Es gibt etwas in uns, das nicht von
dieser Erde ist, auch wenn es sich in unserem
180 Das Gespenst der Freiheit
Erdendasein nur in erdenhaft bestimmter
Form erfassen läßt. ‒ ‒
.Dieses gilt es zu ergründen!
.Dieses, vor allem, gilt es an sich
wahrzunehmen!
.Wer dieses Eine nicht in sich ergründet
hat, der ist gleich einem Bettler, der durch
dunkle Gassen zwischen wohlverschlossenen
Häusern irrt, und in Verzweiflung aufspäht
zu den hellen Fenstern, die ihm zeigen, daß
die Anderen ihr Fest begehen, ‒ während
er zu seinem Feste längst noch nicht „ge‐
laden” ist ...
.Es gibt so viele, die gleich einem solchen
Bettler noch in „dunklen Gassen” irren,
und sich in jeder „Kellerkneipe” seelischer
Betäubungsgifte zu berauschen suchen, um
ihr Elend zu vergessen, während andere
sich seiner kaum noch schämen, und es brüsk
zur Schau zu tragen trachten. ‒
181 Das Gespenst der Freiheit
.Wenn Egoismus, guten Rechtes, als ver
werflich gilt, soweit er Selbstbetonung ist,
die neben sich nichts gelten lassen will,
so ist man doch versucht, nach ihm zu fragen,
sieht man, wie so viele Tausende sich selbst
vergessen”, und wahrlich nicht, um An‐
deren dadurch zu nützen ...
.Eingekeilt in eine Masse, deren Einzel‐
glieder, bis auf Wenige, die leicht zu zählen
wären, längst schon sichvergaßen”, und
statt dessen sich genannt zu haben glauben,
wenn sie ihre äußerlichen „Namen” sagen,
gewahrt der Mitgerissene nur selten, daß er
um sich selbst nicht weiß, und nur die
zeitlich zugefügten bunten Fetzen kennt, die
ihn „bezeichnen”. ‒
.Es liegt wahrhaftig allzuviel Genüg‐
samkeit in dieser Selbstaufgabe, nur um
jener Anderen willen, die in gleicher Weise
auch nicht um sich selber wissen!
.Hier könnte Egoismus „Tugend” heißen,
sofern der Einzelne, durch Sorge um sich
182 Das Gespenst der Freiheit
selbst zum Anlaß würde, daß auch Andere
Ermutigung empfingen, nach sich selbst zu
suchen ...
.Fast bleibt es unbegreiflich für den Nüch‐
ternen, daß sich in diesem Erdendasein
Millionen an dem Maskenkram berauschen,
den sie sich ersonnen haben, weil sie nicht
mehr wissen, wer sie sind!
.Wo aber Wirkliches dem bloßen An
schein weichen muß, dort triumphiert in
Sicherheit der Trug, ‒ und selbst betrügt
sich jeder, der nicht mehr weiß, wer
er von Ewigkeit her ist!
.Die höchste Ehrung, die das äußere Ge‐
meinschaftsleben zu vergeben hat, kann
immer nur wie eine Mantelhülle, oder wie
ein Schmuck getragen werden.
.Als was der Träger dann erscheint,
das „gilt” er denen, die auf seine Ehrung
Wert” zu „legen” trachten, doch was er
ist, wird keineswegs durch solchen Wert
verändert. ‒
183 Das Gespenst der Freiheit
.Fühlt er in dem ihm zugestandenen Ge‐
wande sich etwa erhabener, als in der
Nacktheit seiner Menschentiergestaltung,
dann lebt er nur in einer Traumwelt, als
das arme Opfer der Hypnose seiner Eitel‐
keit, und ist noch himmelweit davon ent‐
fernt, auch nur zu „ahnen”, wer er ist! ‒
.Aus längst vergessenem Bewußtsein seiner
selbst erreicht den Erdenmenschen noch die
leise Ahnung, daß alles, was ihn heute un
frei macht, ihm ungemäß, und nicht in
seinem wahren Sein beschlossen ist.
.So wird ein unbewußtes Streben zu sich
selbst, verwandelt in den wohlbewußten
Drang nach Freiheit.
.Durch diesen Drang jedoch weiß hier,
wie überall im Erdendasein, das Gespenst
der Freiheit alsobald sich aufgerufen, um
die Klarheit wachen Denkens zu umnebeln
durch die Truggebilde gleißender Verheis‐
sungen, die nie Erfüllung finden können.
184 Das Gespenst der Freiheit
.Nun sucht der Mensch auch hier nach
einer „Freiheit”, die nicht in Notwendig
keit begründet ist, ‒ und als die „Wirk
lichkeit” gilt ihm das Scheingebilde irgend‐
einer irren Theorie, das ihn von Tag zu
Tag nur immer weiter von der Wirklich‐
keit hinwegverlockt.
.Wenn nicht zuletzt noch schreckerfüllte
Einsicht doch zur Umkehr zu bewegen
weiß, dann ist das Ende eines solchen armen
Wüstenwanderers ein elendes Verschmach
ten seiner Seele, oder ihr Ersticken in
den sturmgepeitschten Glutsandschwaden
auferweckten Urzeitwahns ...
.Solchem Ende gilt es aber wahrlich doch
zuvorzukommen durch die aus vernunftge‐
mäßem Denken schon erschließbare Er‐
kenntnis, daß sich wirklichkeitsgezeugte
Freiheit nur erreichen läßt bei wacher
Nüchternheit, die alle unbegründete Ver‐
heißung, mag sie auch die farbenprächtigste
185 Das Gespenst der Freiheit
Gestaltung zeigen, allsogleich als leeren Trug
durchschaut.
.Wie sollte Freiheit eines Menschen
Fundgut werden, der sich selbst in Fesseln
legt, um seinen instinktiven Widerstand zu
überwinden, sobald ein wahngezeugter Spuk
erregten Eigendünkel zu betören sucht!?
.Wie sollte Freiheit zu erlangen sein für
einen Menschen, der sich selbst die Ketten
emsig schmiedet, denen er entfliehen
möchte!? ‒
.Alles Streben nach erahnter Freiheit
aber gilt ja hier doch nur dem Wieder
findenwollen seiner selbst! ‒
.Man wagt sich selbst nicht zu gestehen,
daß man sich „verloren” hat, und so ver
steckt man seine Not denn hinter bitter‐
licher Klage um die Freiheit, die nur in
Verlust geraten konnte, weil man in dem
Maskenwogen äußerlichsten Geltungstriebes
auch sich selbst verlor ...
186 Das Gespenst der Freiheit
.Zwar kennt man seine Maske noch, doch
weiß man nicht mehr, in dem Wirklichen
bewußt zu werden, dem diese Maske nur als
irdische Verhüllung dient! ‒
.Und längst hat man sich so in seine
Maske „eingelebt”, daß man sich selbst
mit ihr identisch fühlt.
.Man weiß nicht mehr, und will es nicht
mehr wissen, daß man doch noch An
deres als seine Maske „ist”. ‒ ‒
.Zuweilen freilich kommen doch die
Zweifel, ‒ aber ist man nur erst wieder
mitten in dem langgewohnten Mummen‐
schanz, dann ist auch jede Frage bald ver‐
flogen, jeder Zweifel bald zerteilt!
.Von Jugend auf daran gewohnt, sich
immerfort in seiner Maske zu bewegen,
fürchtet man, sie abzulegen.
.In allen Spiegeln sah man sich bisher,
wie man sich sehen wollte, und argwöhnt
187 Das Gespenst der Freiheit
nun, sich selbst nicht mehr zu kennen,
legte man die wohlvertraute Maske ab.
.Es ist jedoch auch ganz unsagbar schwer,
sich heute wieder unter seiner Maske zu
entdecken!
.Von allen Seiten stürmen auf den Suchen‐
den, der seiner Urnatur sich vergewissern
will, die wunderlichsten Lehren, ‒ meist
aus unberufener Lehrer Munde, ‒ ein,
und alle treten mit dem Anspruch auf, als
unbestreitbare, gewisse „Wahrheit” Aner‐
kennung zu verdienen.
.In allen diesen Lehren, ob sie nun die
Weisheit alter Zeiten neu beleben wollen,
oder den Gehirnen Heutiger erwachsen
sind, ‒ kann man gewiß auch manchen
Niederschlag bedingter Wahrheit finden.
.So manche Weisheitsworte sind da auf‐
gezeichnet ‒ neugestaltet, oder aus dem
Schatze alter Völker übernommen, ‒ die
von jedem ehrlich Suchenden gewiß „er
wogen” werden wollen.
188 Das Gespenst der Freiheit
.Wie wenig aber hat das alles dennoch
mit der Wirklichkeit zu tun, in der des
Erdenmenschen stärkste, tiefstreichende
Wurzeln gründen!? ‒
.Wir müssen dieser Wirklichkeit in uns
bewußt zu werden trachten, wollen wir
nach den Jahrtausenden der steten Raub
tierbalgereien um den Fraß, zuletzt denn
doch noch Lebensformen Ausdruck schaffen,
die uns zum wenigsten soweit erheben, daß
des Menschen Nebentiere dieser Erde, ‒
hätten sie des Menschen Urteils-Fähigkeit,
‒ sich seiner nicht für alle Zeit zu
schämen brauchten. ‒ ‒
.Um solches Wirklichkeitsbewußt
sein zu erlangen, bedarf es weder einer
Glaubenslehre, noch der philosophi
schen Systeme!
.Noch keine Glaubenslehre wußte zu
verhüten, daß die Menschen sich er
schlugen, oder noch viel grausamer zer‐
189 Das Gespenst der Freiheit
fetzten vor der endlichen Erlösung durch
den Tod, als je ein Tiger seine Nahrungs‐
beute hungergierberauscht zerriß! ‒
.Kein Denkergebnis aus der hochgemuten
Hirnarbeit der großen Philosophen war
imstande, Völker von der gegenseitigen Zer‐
fleischung abzuhalten, sobald durch Haß
und Neid und Herrschsucht in Drei‐
einigkeit, die Tierinstinkte überreizt, und
die Gedanken dem Vernichtungstrieb
verflochten wurden! ‒
.Wir müssen tiefer graben, wollen wir
die nährungsfrohe Erde in uns finden, in
der wir Alle allverwachsen sind!
.Wir müssen endlich tiefer denken,
wollen wir auch die Bewußtheit in den
Wurzeln unseres Seins erreichen, die erst
erkennen lehrt, wie wir uns selbst die
Lebensadern unterbinden, schnüren wir, im
Trieb uns hochzuranken, Anderen den
Lebenszustrom ab ...
190 Das Gespenst der Freiheit
.Voll Ehrfurcht müssen wir das Wirk
liche in uns ergründen, um den „Grund”
zu einer Willenswandlung zu erfühlen,
die aller Erdenmenschheit unerläßlich
bleibt, will sie nicht in rapider Rückbildung
zu einem Schuttgezücht des Tiergestaltungs‐
willens dieser Erde werden. ‒ ‒
.Der blutbesudelte, vom Schlammschleim
der Verwesung überspülte Weg zu solcher
Rückbildung in eine Tierart, der die Ur‐
waldaffen dermaleinst als hohe „Götter”
gelten müßten, ist leider heute schon von
Scharen selbstbetörter Erdenmenschen längst
beschritten, so daß es wahrlich an der
Zeit ist, laut vor der Gefahr zu warnen, die
durch kein Verlachen aus dem Munde tollen
Irrmuts aufzuhalten ist! ‒ ‒
.Willst du, der diese Worte liest, zu
Wirklichkeitsbewußtsein kommen, dann
mußt du jegliche Vermutung fahren lassen,
als sei das hier dem Streben deines Wil‐
191 Das Gespenst der Freiheit
lens dargezeigte Ziel etwa erreichbar durch
absonderliche Hirnverrenkung, oder irgend‐
welche Akrobatenkünste der Gedanken, bei
denen meistens der vermeintliche „Be
herrscher” des Gedankenlebens zum Be
herrschten wird: ‒ besessen von dem
Wunschgedanken nach geheimer Macht!
.Du mußt auch keineswegs ein Wissen
dir erwerben, wie es Wissenschaft verlangt!
.Wer das Bewußtsein seiner Wirklich
keit in sich zu suchen unternimmt, der
kann nur dann zu dem von ihm erstrebten
Ziele kommen, wenn er vom Anfang an
den Weg verfolgt, den ihm die Wirklichkeit
in seinem Erdendasein dargeboten hat.
.Hier gilt es nicht, in Parallele zu der
Frage des Pilatus, nun die Frage aufzu‐
werfen: „Was ist Wirklichkeit?” ‒
.Wir wollen das getrost den „Neunmal
weisen” überlassen, die beim zehnten
male stets zu Toren werden!
192 Das Gespenst der Freiheit
.Hier soll dir vorerst das als „wirklich”
gelten, was auch ein Kind als seine Wirk‐
lichkeit empfindet!
.Benenne ruhig diese „Wirklichkeit” mit
Worten, die dir deine Schulung an die Hand
gab um der Unterscheidung der im Denken
nötigen „Begriffe” willen!
.Auch wenn du solcher Unterscheidung
denkgeübter Meister bist, wirst du dein
intellektuelles Wissen wahrlich nicht zu
opfern brauchen, denn auch die Aus
wirkung der Wirklichkeit darf um des
hier erstrebten Zieles willen einmal hin‐
genommen werden als das erdensinnlich
faßbar „Wirkliche” ...
.Auch wenn du nicht mehr „wirklich”
nennen magst, was deine Körpersinne dich
erkennen lassen, so bleibt doch dieses körper‐
sinnenhaft Erkannte Ausgangspunkt für den
Begriff der Wirklichkeit, wie hoch du ihn
auch denkend überhöhen mochtest. ‒
193 Das Gespenst der Freiheit
.In gleicher Weise muß dir jetzt das
erdensinnlichWirkliche” zum Aus
gangspunkte deines Weges werden!
.Das allernächste erdensinnlich „Wirk‐
liche” ist dir dein eigener Erdenleib,
und nur von ihm aus wirst du sicheren,
geraden Weges weiterkommen, willst du
schließlich auch das absolute Wirkliche
erreichen. ‒ ‒
.Es ist ein ziemlich langer Weg, den du
bedachtsam und gemessenen Schrittes
nun erwandern mußt!
.Das Ziel jedoch, dem du auf solche Weise
immer näher kommst, wird dir auch Kraft
verleihen, auf dem Wege auszuharren. ‒
.Beginne mit der Sicherheit, die jedes
menschliche Bestreben fordert, wenn man
es erfolgreich einstens enden will!
.Auch hier gilt jene alte Sprichwort‐
weisheit, daß nichts schwerer, als der An
fang ist.
194 Das Gespenst der Freiheit
.Es steht dir aber frei, die Weise des
Beginnens selber zu bestimmen.
.Verlangt wird nichts von dir, als daß
du deinen ganzen Körper von den Füßen
bis zum Scheitel in dein Selbstbewußt
sein aufzunehmen suchst!
.Du wirst zwar meinen, das sei längst
geschehen und bedürfe keiner Mühe mehr,
‒ allein, du darfst mir dennoch glauben,
daß du sicherlich dich irrst!
.Wenn du den Weg der hier beschritten
werden soll, noch nicht betreten hast, dann
weißt du noch nicht, was er von dir fordert.
.Es ist ein Anderes, ob deine Körper
zellen dir gehirnbewußt sind, oder ob
dein ganzer Erdenleib durchströmt von
deinem Selbstbewußtsein ist!
.Was hier Notwendigkeit verlangt, er‐
fordert vieles Mühen, äußerste Beständig
keit und unermüdbare Geduld!
195 Das Gespenst der Freiheit
.Dann aber wirst du auch dein Ziel mit
aller Sicherheit erreichen, und endlich an‐
gelangt, wird all dein Mühen dir nur als
ein gar geringer Preis erscheinen für den un‐
verlierbaren Gewinn, den du errungen hast!
.Die höchste Form der Freiheit hast
du im gesicherten Bewußtsein deiner
ewigkeitsgezeugten Wirklichkeit er‐
reicht, und schaudernd nur wirst du der
Tage noch gedenken, die auch dich vor‐
einst inmitten der Betörten sahen, denen
ein Gespenst aus Grüften irrenden Ver‐
langens für die heißersehnte Freiheit galt ...
196 Das Gespenst der Freiheit
ENDE