BRIEFE
AN EINEN
UND VIELE
Verlagslogo
gegründet 1816
KOBER`SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG AG
BERN
2.Auflage
unveränderter Nachdruck
der 1935 erschienenen Ausgabe
©
1971 Kober`sche Verlagsbuchhandlung AG. Bern
alle Rechte vorbehalten, insbesondere die der Übersetzung
in fremde Sprachen und der Verbreitung in Rundfunk und
Fernsehen
Druck: Graphische Anstalt Schüler AG. Biel
UM DEN FORDERUNGEN DES URHEBERRECHTES
ZU ENTSPRECHEN, SEI HIER VERMERKT, DASS
ICH IM ZEITBEDINGTEN LEBEN DEN NAMEN
JOSEPH ANTON SCHNEIDERFRANKEN FÜHRE,
WIE ICH IN MEINEM EWIGEN GEISTIGEN SEIN
URBEDINGT BIN IN DEN DREI SILBEN:
BÔ YIN RÂ
INHALT Seite
Vorbemerkung 5
Erster Brief
   Vom Besitztum der Seele
17
Zweiter Brief
   Von unnötiger Ängstung
21
Dritter Brief
   Vom verlangten Vertrauen
27
Vierter Brief
   Über meine Schreibweise
33
Fünfter Brief
   Von meinem Selbstbekennen
39
Sechster Brief
   Womit man zu Ende sein muß
46
Siebenter Brief
   Vom Tempel der Ewigkeit
51
Achter Brief
   Über meine Geistnatur
60
Neunter Brief
   Wie geistige Hilfe bewirkt wird
66
Zehnter Brief
   Wie Gott fern ist vom Weltgeschehen
81
Elfter Brief
   Wie Gott Einzelnen dennoch hilft
87
Zwölfter Brief
   Von den Seelenkräften
94
Dreizehnter Brief
   Über Neudrucke meiner Bücher
103
Vierzehnter Brief
   Von Polytheismus und Heiligenkult
109
Fünfzehnter Brief
   Von der Weise des Lebens im Licht
118
Sechzehnter Brief
   Über die Milde wahrer Erweckung
126
Siebzehnter Brief
   Von Mystikern und Böhme
132
Achtzehnter Brief
   Von dem was Gott ist
138
Neunzehnter Brief
   Von Wesenheit und Wesen
147
Zwanzigster Brief
   Was ich nicht erfragt sein will
153
Einundzwanzigster Brief
   Von der Zwölfzahl und der Turmuhr
159
Zweiundzwanzigster Brief
   Von den Schuppen vor den Augen
168
Dreiundzwanzigster Brief
   Wie alle ungleich sind vor Gott
176
Vierundzwanzigster Brief
   Vom Bekennen vor den Menschen
184
Fünfundzwanzigster Brief
   Von gefallenen Meistern
193
Sechsundzwanzigster Brief
   Von strahlenden Steinen und Stoffen
201
Siebenundzwanzigster Brief
   Vom Entwerten des Leides
209
Achtundzwanzigster Brief
   Vom Segnen und vom Segen
220
Neunundzwanzigster Brief
   Von der Zeitfremdnis des Ewigen
229
Dreißigster Brief
   Von Hingabe und Wortverzicht
235
Schlußwort 241
Originalscan1  Originalscan2  Originalscan3  Originalscan4 
Die Vorbemerkung und das Schlußwort gehören OO
organisch zu diesem Buche und wollen nicht als OO
Nebensache betrachtet werden!
VORBEMERKUNG
Daß, und warum ich gegen Veröffentli‐
chungen der nur auf bestimmte Anlässe
gerichteten und daher als nur einmalig gül‐
tig gemeinten, nur nach genauester Kennt‐
nis ihrer Entstehungsumstände bewert‐
baren Briefe Verstorbener bin, habe ich in
einem Buche, das den Titel „Wegweiser”
führt, deutlich genug gesagt.
.Da mir aber jede Macht fehlt, nach mei‐
nem „Tode” eine Veröffentlichung von
Briefen zu verhüten, die auch ich nur im
Hinblick auf ehedem augenblickhaft ge‐
gebene datumsbeschränkte besondere Ver‐
anlassungen, und als nur in ihrem Geltungs‐
bereich einmalig gültig geschrieben ange‐
sehen wissen wollte, so wäre es recht tö‐
richt, wenn ich mich schon bei Lebzeiten
über solchen möglichen Mißbrauch des
Meinen grämen würde.
.Hingegen finde ich mich veranlaßt, das
5 Briefe an Einen und Viele
immer nur Ephemere, Eintagsgültige zeit
und sachbestimmter Gelegenheitsbriefe
unmißverstehbar erkennen zu lehren, in‐
dem ich hier ‒ als Gegenbeispiel ‒ Briefe
darbiete, die jederzeit wieder aufs neue
Einzelnen Hilfe bringen können, weil sie
wirklich nur meine auf alle Zeiten bezo‐
gene Lehre erkennen lehren.
.Ich habe solche Briefe voreinst vielmals
an Viele geschrieben, wenn auch jeweils
in gewissen Abwandlungen, so daß es viele
Leser geben wird, die in der Gestalt des
Adressaten sich selber wiedererkennen wer‐
den. Ich hoffe aber, daß keiner der hier Ge‐
meinten das voreinst ihm privatim Dar‐
gebotene nun etwa als durch die mir ja nur
allein zustehende Veröffentlichung des
Meinen für ihn „profaniert” empfinden
wird, denn auch jetzt wird das Gesagte doch
nur Seelen dienen können, die dafür in
sich selber vorbereitet sind.
6 Briefe an Einen und Viele
.Das, was ich ehedem vielen verschie
denen Menschen auf ihre Briefe und Fra‐
gen hin im Einzelfall zu antworten hatte,
ist nun hier zusammengefaßt, weil ich es
ja in jedem mit der ins Irdische gefesselten
Seele und ihren hier möglichen Erfahrun‐
gen, wie ihren immer gleichen „Fragen”
zu tun hatte. Jeder einzelne der hier dar‐
gebotenen Briefe bezieht sich jeweils ge‐
treulich auf bestimmte, vormals an mich
gelangte Anfragen, Mitteilungen und Be‐
richte. Der Anlaß, den meine hier im Buch
gegebene jeweilige Briefantwort erwähnt,
wurde also in keinem Falle etwa erst für
die Beantwortung von mir erfunden! Lange
schon sind jedoch die Zeiten vorbei, in
denen ich, außer aller nur mir bekannten
rigorosen Pflichterfüllung im ewigen Gei
stigen, vom Morgen bis zur Dunkelheit ‒
praktisch durch keine Pause unterbrochen
‒ produktiv arbeiten konnte, dann eine
7 Briefe an Einen und Viele
eilig genossene kleine Mahlzeit zu mir
nahm, und nachher bis zum neuen Morgen‐
grauen am Schreibtisch saß, um Briefe zu
beantworten, worauf ich nach einem kur‐
zen tiefen Schlaf wieder vor einer Maltafel
war oder Manuskripten die Form schuf, in
der sie den auf Licht Harrenden zugänglich
werden sollten. Ich will heute nicht fragen,
ob meine Hingabe zu unbeschränkt war,
soweit sie der Beantwortung von Briefen
galt, aber mein erdenkörperlicher Organis‐
mus hat schließlich diese ihm viele Jahre
hindurch, ununterbrochen widerfahrene
Behandlung recht übel beantwortet, so daß
ich definitiv ihr zu entsagen gezwungen
wurde.
Mögen nun die hier gegebenen Briefe
dafür allen der Lehre Würdigen dargebo‐
ten sein, die allein sich durch sie ange
sprochen wissen sollen!
.Daß ich den Inhalt, verglichen mit den
8 Briefe an Einen und Viele
ehedem so oft geschriebenen privaten Er‐
klärungs- und Beratungsbriefen, sehr we‐
sentlich zu bereichern vermochte, ergab
sich aus der Natur der mir von mir selbst
gestellten Aufgabe, hier ein Buch in Brie‐
fen zu geben: ‒ ein Buch, das, langher schon
vorbereitet, zuletzt nur in dieser Form zu
seiner Gestaltung kommen konnte.
.Die Briefe sind nicht etwa diktiert, son‐
dern trotz allen mein Schreiben zur Zeit stö‐
renden physischen Behinderungen mit der
Hand geschrieben, so, wie ich ehedem
ohne plagende Hemmung ihre Vorbilder zu
schreiben vermochte. Doch liegt hier keine
„Ausnahme” vor, denn ich habe bis auf den
heutigen Tag noch nichts veröffentlicht,
das anders als durch Handschrift mit der
Feder entstanden wäre. Das Manuskript für
den Setzer hat immer ein handgeschrie
benes erstes Manuskript zur Vorlage, das
freilich die physische Mühsal seines Zu‐
9 Briefe an Einen und Viele
standekommens meistens nicht zu verber‐
gen vermag und so wenig meinen Ansprü‐
chen an meine Handschrift entspricht, daß
ich die seltenen, unumgänglichen Briefe,
die ich mitunter noch zu schreiben ver‐
suche, notgedrungen nur zu nachfolgender
Abschrift ins Stenogramm diktieren kann.
Die Handschrift hingegen muß heute, so‐
weit sie mir möglich wird, allein der sie
unumgänglich verlangenden Gestaltung
meiner Lehrtexte vorbehalten bleiben, die
sich nun hier in diesem Buche in Brief
form darbieten, wobei jeder von mir ge‐
meinte, wirklich angesprochene Leser je‐
den Brief als an sich selbst gerichtet be‐
trachten darf, auch wenn ich niemals eine
Zuschrift von ihm empfing und auch gewiß
keine privatim beantworten könnte.
10 Briefe an Einen und Viele
Zurück! ‒ Zurück mit euch! ‒
Die ihr alles geflissentlich
Und beflissen umdrängt,
Was eurer leibesentstandenen
Unsauber riechenden Tierseelen
Lüstern leckender Gierde
Nicht zugemeint ist!
Ich bin nicht gekommen
Um euch: ‒ den einzigen,
Die ich nicht rufe ‒
Der „Eure” zu heißen!
Das, was ich bringe,
Ist nur den Lauteren,
Ewiger Seele Gewärtigen,
Sauberen, Herben, Verhaltenen,
Lange Zögernden dargeboten,
Die mit gereinigten Händen
Zu fassen wissen,
Was ihr nur ‒ befleckt!
*
11 Briefe an Einen und Viele
Sag' uns: ‒ Wer bist du?
Wir müssen dich kennen! ‒
Wie sollen wir wahr
Deine Art benennen?!”
Ich bin ein Strahl
Und sein ewiges Licht!
Ich bin ein Wort
Das sich selber spricht!
Ich bin ein Schwert
Und ein schützender Schild!
Ich bin ein Former
Und auch sein Bild!
Ich bin ein Ring
Und bin sein Stein!
Ich bin der Winzer
Und bin der Wein!
Ich bin ein Stamm
Und des Stammes Reis!
Ich bin ein Mensch,
12 Briefe an Einen und Viele
Der die Weise weiß:
Funken zu schlagen
Aus ewigem Eis!
*
Was ich bringen komme,
    bringt man erst
    dem eigenen Blute,
Bevor man weitergibt
    aus eigenem Gute
Auch fremden Stämmen,
    Was sie gültig fassen. ‒
Wollt ihr nicht haben,
    was ich euch
    als Ersten bot,
Dann werdet ihr, ‒ glaubt mir:
    ich kenne das Gebot! ‒
Das, was euch heute finden sollte,
13 Briefe an Einen und Viele
    später, fernher holen: ‒ ‒
Der Nacht Genossen ‒
    scheu, auf leisen Sohlen...
*
14 Briefe an Einen und Viele
DIE BRIEFE
ERSTER BRIEF
Sie sagen mir, daß Sie im „Buch vom le‐
bendigen Gott” vieles finden, das Ihnen
lange schon als eigenes Besitztum der
Seele gelte, obwohl Sie nicht dazu gelangt
seien, dem von Ihnen seelisch Empfunde‐
nen auch selbst „in Worten Ausdruck”
schaffen zu können.
.Da Sie sich nicht näher über die einzel‐
nen Stellen des Buches aussprechen, auf
die sich Ihr Gefühl des Wiedererkennens
eigener Empfindung bezieht, nehme ich
an, daß Sie in den einzelnen Kapiteln, die
Ihnen ja doch fraglos dem Gesamtinhalt wie
der Formung nach neu waren, dennoch zu‐
weilen an Sätze gelangten, die Sie wie wort‐
gemäße Darstellungen des bereits ohne
mein Buch in Ihnen Erfühlten anmuteten.
.Verstehe ich Sie damit recht, so liegt
dann wirklich ein „Wiedererkennen” des
17 Briefe an Einen und Viele
auch Ihnen Eigenen vor, da Ihre Seele ja
aus dem gleichen Urgrund stammt wie die
meine, und ich in meinen Büchern nach
nichts anderem trachte, als nach Darstel‐
lung der ewigen, von allem zeitlichen
Meinen und Glauben ganz unberührten
Wirklichkeit, die aller Seele Urbesitz ist,
auch wenn in diesem, von physisch Kör‐
perlichem laut übertönten Erdenleben das
Bewußtsein um solchen Besitz bis zu nur
traumhafter Fernschau einer verblaßten
Erinnerung abgedrängt wird. So betrach‐
tet, überrascht mich Ihre Behauptung nicht
im mindesten. Sie zeigt mir nur, daß ein‐
zelne meiner Worte das normalerweise wäh‐
rend dieses Erdenlebens kaum noch faß‐
bare Erinnerungsbild der Seele soweit in
Ihnen zu verstärken imstande waren, daß
es Ihnen in den berührten Punkten wort‐
geformt faßbar wurde. Was Sie über das
Glück sagen, nun gewisse, Ihnen wohlbe‐
18 Briefe an Einen und Viele
kannte seelische Empfindungen anhand
meiner Worte „nach Wunsch und Willen”
jederzeit aufs neue nacherleben zu können,
ist nur eine Bestätigung des hier Erklärten,
so daß Sie ganz unbesorgt sein dürfen hin‐
sichtlich des Ihnen „merkwürdigen, aber
eigentlich wohltätigen” Gefühls der erlang‐
ten Gewißheit über einen inneren Bezirk,
der Ihnen vordem als ganz unerkundbar
erschienen war.
.Sie sind aber auch durchaus in guter
Selbstberatung, wenn Sie mir gestehen,
selbst zu fühlen, wie sehr Sie noch meiner
Worte bedürfen, ja, wie Sie vorerst in
diesen Worten die einzigen brauchbaren
Schlüssel” zu den Schatzkammern Ihres
seelischen Besitzes erkennen.
.Gern höre ich weiterhin von Ihnen, wie
Sie sich dieser Schlüssel zu bedienen wissen.
.Sie werden zwar gewiß keinen regel‐
mäßigen Briefaustausch mit mir erwarten
19 Briefe an Einen und Viele
dürfen. Ich müßte mich selber vervielfachen
können, sollte ich auch nur den kleinsten
Teil der Wünsche erfüllen, die eine Be‐
antwortung an mich gerichteter Briefe er‐
hoffen. Nicht meine „kostbare Zeit”, die
ich leider bis zum Überdruß in vielen Zu‐
schriften erwähnt finde, versagt es mir, alle
die Antworten niederzuschreiben, die ich
von Herzen gerne geben möchte, sondern
die mir verfügbare irdische Kraft, die längst
über alles zulässige Maß hinaus überlastet ist.
.Sobald ich Sie jedoch in Ihren, hier aus‐
drücklich von mir erbetenen Berichten bei
einem störenden Irrtum gewahren sollte,
will ich dennoch tun, was mir möglich ist,
um Sie gut beraten zu wissen.
.Der Himmel segne Sie!
20 Briefe an Einen und Viele
ZWEITER BRIEF
Unsere Fähigkeit, Seelisches zu erleben,
ist durch gewisse Aufnahmehemmungen be‐
hindert, die man in Analogie zu dem Ver‐
halten unserer physischen Fähigkeiten:
„Ermüdungserscheinung” nennen darf.
Was Sie mir nun zu berichten haben, ist
deutlich als Schilderung einer solchen Er‐
müdungserscheinung zu erkennen.
.In Ihrer ersten Freude darüber, manches
Ihnen bekannte seelische Empfinden zum
erstenmal in Worten dargestellt zu sehen,
hatten Sie alles andere, was in meinem
Buche gesagt ist, offenbar vorläufig außer
acht gelassen und sich mit dem Ihnen nicht
Bekannten auch weiter nicht beschäftigt.
Ihre Erregung durch jene meiner Worte,
die Sie als „genaue Beschreibung” des
Ihnen bekannten seelischen Erlebens emp‐
fanden, war, wie Sie ja selbst sagen, „über‐
21 Briefe an Einen und Viele
aus stark und nachhaltig”. Kein Mensch
aber kann ein solches seelisches Erregtsein
dauernd in gleicher Stärke festhalten. Es
folgt naturnotwendig ‒ und zum Glück
für unseren physischen Organismus ‒ das
Abklingen auch der stärksten seelischen
Erregung. Sie aber wollten sich dem wider‐
setzen und glaubten, das immer erneute
Lesen der Sätze, die in Ihnen so lebendige
Wirkung hervorgebracht hatten, müsse zu
immer neuer Beglückung durch Bestäti‐
gung eigenen seelischen Erlebens führen.
Daß Sie sich aber dadurch nur immer mehr
übermüden mußten, kam Ihnen nicht in
den Sinn, und in diesem übermüdeten Zu‐
stande stiegen nun jene Worte plötzlich vor
Ihnen auf, die von Dingen handeln, die
Ihnen noch ganz unbekannt sind. Das ist
jedoch durchaus nicht „unheimlich” oder
„beängstigend”, wie Sie in Ihrem Briefe
an mich sagen!
22 Briefe an Einen und Viele
.Sie wurden nur gewahr, was Ihnen beim
ersten Versenken in Schilderungen des
Ihnen Bekannten, an noch nicht Bekann‐
tem entgangen war, weil Sie unwillkürlich
darüber hinweg gelesen hatten.
.Es wird Ihnen jedoch bei jedem erneu‐
ten Lesen eines meiner Bücher ähnlich
gehen, auch wenn Sie glauben sollten, den
Inhalt des Buches, das Sie gerade wieder
zur Hand nehmen, beinahe auswendig zu
wissen. Sie werden mit Erstaunen wahr‐
nehmen, daß Sie zwar des Inhalts kundig
zu sein glaubten, aber im Wiederlesen
immer wieder neuem Inhalt begegnen!
.Diese Bücher lassen sich nicht „auslesen”,
weil ihr Inhalt allen überhaupt möglichen
Konstellationen seelischen Bewußtwerdens
Darstellung gibt, und weil jedes erneute
Lesen den Leser in einer anderen seelischen
Aufnahmefähigkeit findet.
.Es ist daher für Sie gar kein Grund ge‐
23 Briefe an Einen und Viele
geben, an der Erweiterungs- und Vertie‐
fungsmöglichkeit Ihres seelischen Erleben‐
könnens zu zweifeln. Nur müssen Sie Ge‐
duld haben, wie man Geduld haben muß,
wenn man ein Musikinstrument spielen,
oder eine fremde Sprache frei gebrauchen
lernen will.
.Sie hatten vielleicht Ihre Vertrautheit
mit dem, was es für uns Menschen in der
Seele zu erleben gibt, überschätzt, und
müssen sich nun zu der Erkenntnis durch‐
arbeiten, daß es unvergleichlich mehr See‐
lisches zu erleben gibt, als Sie bis jetzt zu
erahnen vermochten.
.Wenn die gegenwärtigen Zweifel an Ihrer
Erlebensfähigkeit dem Seelischen gegen‐
über, Sie vor solchem, so verhängnisvollen
Überschätzen dessen, was Sie seelisch er‐
lebt zu haben glauben, in Zukunft bewah‐
ren werden, dann ist Ihre augenblickliche
Enttäuschung das beste Vorzeichen dafür,
24 Briefe an Einen und Viele
daß Sie sich dereinst ‒ wenn es auch länger
hingehen mag, als Ihnen erwünscht wäre ‒
im Reiche der Seele erwacht finden wer‐
den. Fassen Sie neuen Mut und bedenken
Sie, daß Ihr Ziel zu seiner Erreichung große
Hingabe erfordert!
Weil du dir selber
.dich zu weit entrücktest
Und träumend dich
.an Traumgebild entzücktest,
Ist dir das Band, das dich
.mit Gott verband, ‒ entglitten:
In Trug und Tand hast du
.dich, selbst erlitten.
In dich gezwängt,
.hast du dann Gott gerufen, ‒
Von dir bedrängt,
.liegst du nun vor den Stufen,
25 Briefe an Einen und Viele
Die ‒ in dir selber
.dich zu Gott erheben:
Aus Dunst und Dunkel,
.zu dir neuem Leben!
*
26 Briefe an Einen und Viele
DRITTER BRIEF
An allem dürfen Sie zweifeln ‒ auch an
mir ‒ nur nicht an der Möglichkeit, im
Lichte der Seele zum Erwachen kommen
zu können! Ihr letzter Brief enthält aber
keinen einzigen Satz, der nicht aus solchem,
alles Erleben der Seele hindernden Zwei‐
fel hervorgegangen wäre.
.Sie könnten ja recht haben, wenn Sie mir
nun schreiben, Sie sähen sich ‒ im Gegen‐
teil zu meiner letzten Äußerung ‒ von mir
„überschätzt”. Aber was ich Ihnen als ein
Ihnen Erreichbares in der Ferne zeige,
würde durch irgendwelche Überschätzung
Ihrer Person keineswegs für Sie weniger
sicher erreichbar!
.Wenn Sie einmal soweit sind, wie Sie
sein müssen, um das von mir aufgezeigte
Ziel erreicht zu haben, werde ich Sie ganz
gewiß nicht mehr „überschätzen”, gesetzt,
27 Briefe an Einen und Viele
daß heute wirklich Überschätzung bestün‐
de. Aber Ihr nun so lebhaft sich bekun‐
dendes Bestreben, sich selbst zu verklei
nern, ist ja nur die Reaktion auf Ihre vor‐
herige Überbetonung im Seelischen, Ihrem
eigenen Bewußtsein gegenüber. Pendel‐
ausschlag nach der anderen Seite!
.Sie müssen vor allem jetzt erst einmal zur
Ruhe kommen und Ihre eigene Mitte finden!
.Vielleicht beseitigt es Ihre Befürchtun‐
gen, daß ich Ihnen Hoffnung auf Erreichung
des erstrebten Zieles nur deshalb machen
könne, weil ich Sie wohl doch „über‐
schätze”, wenn ich Ihnen darauf antworte,
daß ich Sie nur in der allen seelisch Suchen‐
den zu Anfang eigentümlichen Verfassung
sehe, sich selbst zu wichtig zu nehmen. ‒
Sich selbst und das Urteil Anderer!
.Aber das ist, gleichnisweise gesagt, eine
Art psychophysischer Kinderkrankheit, die
nur dann zu Besorgnis Anlaß bieten könnte,
28 Briefe an Einen und Viele
wenn sie nicht in absehbarer Zeit zum Ver‐
schwinden gebracht würde.
.Sie stehen heute am allerersten Beginn
eines Weges, dessen Ziel Ihnen zwar ge‐
dankenmäßig vorstellbar, aber in seiner
Wirklichkeit nur ahnungsweise bekannt ist.
Ihr Weg ist in Ihnen selbst, und nur in
Ihnen selbst finden Sie dereinst sich auch
an dieses Weges seelischem Ziel. In Ihnen
selbst aber sind auch alle die Waldteiche,
Sümpfe und Pfützen, in denen Sie bisher
sich so gerne zu betrachten liebten.
.Sie werden wissen, was ich meine, auch
wenn ich die Art dieser Spiegelungsgelegen‐
heiten hier absichtlich nicht mit Fachaus‐
drücken der Psychologie benenne. Dieses
Selbstbetrachten und Sich-im-Bilde-sehen‐
Wollen werden Sie allmählich ganz auf
geben lernen müssen, wenn Sie auf Ihrem
Wege zu sich selbst das Ziel nicht aus den
Augen verlieren wollen.
29 Briefe an Einen und Viele
.Sie sind ganz der Gleiche, einerlei, ob
Sie sich bei Ihren Selbstbespiegelungen im
Bilde gefallen oder nicht! Jedes von Ihnen
im Innern aufgenommene Spiegelbild Ihres
jeweiligen Bewußtseinszustandes bewirkt
aber ein Festhaften an der Stelle, die Sie
durch Weiterschreiten ja gerade verlassen
lernen sollen. ‒
.Als was Sie sich selbst und Anderen hier
im Erdenleben gelten: ‒ welche Stellung
Sie einnehmen, welche Bedeutung dieser
Stellung zukommt, ‒ ob Sie zu befehlen
oder zu gehorchen haben, und tausend an‐
dere irdische Wichtigkeiten, an die Sie sich
hier gefesselt fühlen oder von denen Sie
gar nicht befreit sein möchten, ‒ das alles
sind Dinge zwischen Geburt und Grab. ‒
Was aber in Ihrer Seele von Ihnen erst ge‐
sucht und gefunden werden will, ist Ewi
ges, das von alledem unberührt bleibt, was
Ihnen hier auf Erden irdisch so wichtig ist.
30 Briefe an Einen und Viele
.Trachten Sie immerhin nach dem, was
Sie in Ihrem irdischen Dasein irdisch hoch
bewerten, aber versäumen Sie darüber Ihr
Ewiges nicht!
.Ihr Erdenkörper ist nur die Werkstatt,
in der Sie Ihrem Ewigen Gestaltung schaf‐
fen können. ‒ Er bietet Ihnen das Werk
zeug, das Sie zur Selbstformung brauchen,
aber Sie selbst nur schaffen sich damit ‒
die Form!
.Ohne sich selbst diese, Ihre geistige
„Form” aus Ihrem Ewigen gestaltet zu
haben, können Sie unmöglich in Bewußt‐
seinsidentität mit Ihrem persönlichen ir
dischen Bewußtsein, in Ihrem Ewigen be‐
wußt werden! ‒ Aus der Perspektive des
in seine tierorganbestimmten Sinne gefes‐
selten Erdenmenschen her gesehen, wäre
Ihr Ewiges auch ewig Ihr Fremdestes, denn
er weiß nichts von ihm und kann höch‐
stens, durch Überredung, in sehr fragwür‐
31 Briefe an Einen und Viele
diger Weise, daran zu „glauben” bewogen
werden. Ihr Ewiges wird Ihnen jedoch be‐
wußt werden als unverlierbarer Bewußt‐
seinsbesitz, sobald Sie ihm die Ihnen ge‐
mäße geistige Form gestaltet haben, die nur
Sie allein ihm gestalten können, durch die
Ihnen entsprechende, kontinuierlich bei‐
behaltene Willenshaltung.
32 Briefe an Einen und Viele
VIERTER BRIEF
Es würde mir wie ein Unrecht erscheinen,
wollte ich Sie nach diesem, Ihrem letzten
Brief, der eine so mannhaft klare Entschei‐
dung bringt, länger als unvermeidlich nö‐
tig, ohne Antwort lassen. So stelle ich vie‐
les, was von mir getan werden will, einst‐
weilen zurück, damit Sie gleich von mir
hören.
.Ich verstehe aber auch Ihre Sorge und
will gerne Ihrer, wie Sie sagen: „trockenen
und durch den Beruf schon vorwiegend
verstandesmäßig eingestellten” Natur alle
Brücken bauen, die sie etwa braucht.
.Zeigen Sie mir unbesorgt Ihre Schwie‐
rigkeiten auf!
.Es würde mich selbst belehren, sollte ich
entdecken, daß ich das in meinen Büchern
bereits auf die mir gemäße Art Gegebene
auch in Ihnen geläufigere Form umgießen
33 Briefe an Einen und Viele
könnte. Nicht minder lernbereit bin ich,
aus den Worten eines seriösen und nüch‐
tern urteilenden Mannes zu ersehen, wo
ich möglicherweise berechtigte Fragen
offengelassen oder aber dem Leser Auf‐
gaben dargeboten haben könnte, deren er
nicht mit der Zeit Herr zu werden ver‐
möchte.
.Was jedoch die von Ihnen erwähnte „un‐
gewohnte Schreibweise” betrifft, in der ich
jeweils in den Büchern das Darzustellende
behandelt habe, so darf ich in aller Sachlich‐
keit sagen, daß ich noch keine einzige Ab‐
handlung geschrieben habe, bei der es mei‐
ner Willkür freigestellt geblieben wäre, das
zu Sagende zur damals gegebenen Zeit auch
anders zu sagen, als es sich ausgedrückt
findet.
.Ich habe nie und nirgends nach einem
Rede- oder Schreibstil gesucht, sondern
immer alles so niedergeschrieben, wie es
34 Briefe an Einen und Viele
sich mir nach geistig bestehenden Lautwert‐
gesetzen formen mußte.
.Mit einer Spur literarischen Ehrgeizes
hätte ich mich im Ganzen gewiß ohne
Schwierigkeit einer der Zeit geläufigen
Schreibweise bedienen können. Aber es lag
und liegt mir nicht nur alles literarische
Streben fern, sondern ich bin auch viel zu
sehr mit meiner ganzen Liebe bei jedem
Wort, das ich gebrauche, ‒ bei jedem
Buchstaben, den ich niederschreibe, ‒ als
daß ich daneben noch Sorge tragen könnte
darum, wie sich das, was ich sagen muß,
dem allgemeinen Schrifttum meiner Erden‐
zeit einfügen lasse. Wo ich Worte vorfinde,
wie ich sie brauche, dort trage ich kein
Verlangen nach anderen, und wo ich mit
denen, die ich vorfinde, nicht auskomme,
schaffe ich mir selbst jeweils die Wortform,
die nötig ist.
.Ich kann überdies nichts schreiben, was
35 Briefe an Einen und Viele
ich nicht in betontester Weise als gespro
chen empfinde. Dieser Umstand erklärt
alles, was auf den ersten Blick vielleicht
an meiner Art, die Sätze zu sondern und
die Interpunktion anzuordnen, als gesuchte
Wunderlichkeit erscheinen könnte. Da Sie
ja jetzt im Besitz des im Laufe zweier Jahr‐
zehnte von mir Geschriebenen sind, wird
Ihnen auch in manchem der zuerst erschie‐
nenen Bücher eine freigebige Verwendung
der Gedankenstriche auffallen, die aus dem
Bedürfnis zu erklären ist, irgendwelche
Zeichen zu haben für die kürzeren oder
längeren Pausen zwischen den als gespro
chen empfundenen Wortfolgen. Das fatale
Mißverstehen der Absicht hat mich dann
später aber veranlaßt, den Gebrauch dieser
Zeichen aufs Allernötigste einzuschränken.
.Dessenungeachtet besteht für den Leser
die Notwendigkeit weiter, sich das Ge‐
schriebene lauthaft gesprochen vorzustel‐
36 Briefe an Einen und Viele
len, wenn er sich nicht selbst um recht
Wesentliches bringen will, was ihm die ge‐
lesenen Sätze an Innerstem zu geben haben.
.Damit wären wohl die ersten erbetenen
Erklärungen erschöpft, die ich Ihnen schul‐
dig zu sein glaube, nachdem ich jetzt Ihre
Entschließung kenne, Tag für Tag eine
ruhige Stunde dem eindringlichen, wenn
auch vorläufig erst mehr verstandesmäßigen
Studium meiner Lehrtexte zu widmen.
.In bezug auf die Reihenfolge dieses Stu‐
diums möchte ich Ihnen lieber alle Frei‐
heit lassen, obwohl ich manches gerne zu‐
erst gelesen wünschen würde, bevor man
an anderes geht, das gewisse Vorstellungen
schon in leidlicher Klarheit voraussetzt.
Ich rate Ihnen aber, immer wenn Sie eines
der Bücher beendet haben und nach einem
anderen greifen, nur eines zu wählen, was
Sie beim ersten Blättern sogleich stark an‐
spricht. Haben Sie aber Mühe, weiterzu‐
37 Briefe an Einen und Viele
kommen, dann legen Sie lieber ein solches
Buch für spätere Zeit zurück, und wählen
derweil ein anderes, mit dem Sie eher ver‐
traut zu werden glauben.
.Meine Segenswünsche sind mit Ihnen!
38 Briefe an Einen und Viele
FÜNFTER BRIEF
Daß Sie erst jetzt, nach vier Monaten,
wieder zum Schreiben an mich gelangen
konnten, erfordert wahrhaftig keine Ent‐
schuldigung.
.Abgesehen davon, daß ich ja um Ihre
stete intensive Berufstätigkeit weiß, durfte
ich doch wohl auch annehmen, daß Sie mir
nur dann Fragen vorzulegen haben wür‐
den, wenn alle Prüfung des Textes Ihnen
die Selbstbeantwortung unmöglich erschei‐
nen ließe, und zu solcher Prüfung gehört
Zeit! Wenn man ununterbrochen und
durch keine Maximalstundenzahl einge‐
schränkt, weit über seine verfügbaren
Kräftereserven hinausgreifen muß, um sei‐
ner Arbeitsverpflichtung auch nur im Drin‐
gendsten Herr zu bleiben ‒ wie das bei mir
der Fall ist, ‒ dann kann ein Zeitraum
von vier Monaten zuweilen so zusammen‐
39 Briefe an Einen und Viele
schrumpfen, daß er kaum wie die Zeit‐
spanne von vier Tagen empfunden wird.
.Ich verstehe, daß Sie sich erst einen „Ge‐
samtüberblick” über die Bücher und ihre
Einzelkapitel verschafft haben mußten, be‐
vor Sie an die Durcharbeitung der gegebe‐
nen Texte gehen konnten, aber ich muß
meiner Verwunderung darüber Ausdruck
geben, daß Ihnen eine solche Gesamtüber‐
schau immerhin in der doch relativ kurzen
Zeit von vier Monaten, in denen Sie auch
genug anderes zu tun hatten, gelungen ist.
Ihre bisherigen Beobachtungen bestätigen
dieses Gelingen!
.Es war ein recht glücklicher Gedanke,
die Bücher und Bändchen in der Reihen‐
folge ihrer Erscheinungszeit durchzusehen,
und es war mir sehr erwünscht, hören zu
dürfen, daß Ihnen durch die späteren Er‐
öffnungen sich so vieles ungezwungen er‐
schlossen hat, was Ihnen bereits im „Buch
40 Briefe an Einen und Viele
vom lebendigen Gott” nur auf solche Art
erschließbar erschienen war. Auch verrät
es mir ein sicheres und feines Empfinden,
daß Sie in diesem ersten und manchem
folgenden Buch, zwischen den Zeilen wie
im Text selbst, den Kampf gewahr gewor‐
den sind, den es mich immer wieder ge‐
kostet hat, mich vor aller Welt zu mir be
kennen zu müssen, und wie ich daher, nur
widerwillig, erst ganz allgemein gehaltene
Berichte gab, die immer noch mehr zu ver
bergen wußten als sie, gezwungen, enthüll
ten. Ich verberge aber auch heute noch
mehr, als mir ‒ solange es andere nicht
von sich aus eindeutig sicher gewahren ‒
zu bekennen möglich und erträglich wird.
.Sie werden übrigens, beraten durch Ihre
Feinfühligkeit, im Laufe der Zeit auch noch
auf manches eindeutige Bekenntnis zu mir
selbst innerhalb meiner Lehrtexte stoßen,
das ich zwar zu geben genötigt war, aber
41 Briefe an Einen und Viele
vor allen, die doch nichts damit anzufangen
wüßten, mit dichter Hülle bedeckte. Ich
gestehe, daß es mir zuweilen eine diebische
Freude bereitet hat, wenn es mir gelungen
war, meiner Bekenntnisverpflichtung so zu
genügen, daß nur recht wenige, wirklich
Berechtigte zu entdecken vermochten, was
unter der Verhüllung sich vor Unberechtig‐
ten verborgen hielt und verbirgt, obwohl
die Form der Hülle keineswegs wertlos ist,
oder gar seelischem Irren Veranlassung
werden könnte. Es ist das alles andere
eher, nur nicht etwa Geheimniskrämerei!
Es ist vielmehr ein Schutz, den ich mir
schaffen mußte: ein Schutz vor törichten
Unterstellungen und groteskem Mißver‐
stehen.
.Meine Motive werden Ihnen gewichtig
genug erscheinen, wenn Sie sich vor Augen
halten, daß mir mein ewiges, allem irdischen
Einfluß entrücktes Sein zwar in distinkte‐
42 Briefe an Einen und Viele
stem Erleben als über-zeitlich bekannt ist,
für mich aber gewiß nichts Über-natürliches
bedeutet, da ich ja seiner Geistesnatur aus
dem Ewigen her, als der meinen, immer
bewußt war. Ein zeitlich umgrenztes Pro‐
blem ergab sich erst ‒ nachdem mir ein
irdischer Menschenkörper geboren worden
war ‒ durch die in gewissem Sinne alles
menschliche Erlebenwollen überfordernde
Notwendigkeit, im irdischen Menschbe‐
wußtsein, meiner, als des Ewigen, innezu‐
werden. Daß diese Forderung lange Jahr‐
zehnte brauchte um sich im Irdischen end‐
lich ganz durchzusetzen, und daß sich immer
wieder der Widerstand menschlichen Er‐
lebenswillens dem unumschränkten Inne‐
werden können in den Weg stellte, ist ‒
nun im irdischen Sinne gemeint ‒ nur
natur-gemäß. Mit einer Art heftigen Trot‐
zes, der zuweilen in geradezu burleske Situa‐
tionen führen kann, wehrt sich menschlich‐
43 Briefe an Einen und Viele
irdischer Erlebenswille immer wieder ge‐
gen die Okkupation des ihn nährenden
Menschen durch ein Über-irdisches, von
dem er ja vorher nicht weiß, ob es ihm
nicht endgültig alle Erfüllung verweigern
wird.
.Ich dachte nicht, daß diese Dinge zwi‐
schen uns schon so bald zur Sprache kom‐
men würden, aber es ist wohl von Ihrer
Art, sich selber möglichst ohne besondere
Fragen weiterzuhelfen, gefordert, gleich
von Anfang an auch Tatsachen ins Auge zu
sehen, an deren Erscheinung sich andere
Suchende im Gang ihres seelischen Voran‐
schreitens zuweilen erst heftig stoßen.
.Ich habe das Gefühl, daß Sie weniger
„Hilfe” auf Ihrem Wege brauchen werden,
als Bestätigung, und daß Sie auch dieser
fast entraten könnten.
.Die innere, rein geistige Hilfe ist Ihnen
sichtbarlich nahe.
44 Briefe an Einen und Viele
Die noch des Eigendünkels
    Träume binden,
Die sind es wahrlich nicht,
    die das Gesuchte finden!
Nur, die sich selber
    in sich selbst begraben,
Erlangen in sich selbst
    die heiß ersehnten Gaben....
*
45 Briefe an Einen und Viele
SECHSTER BRIEF
Wenn Sie sich nun selbst darüber wundern,
daß Sie vormals glaubten, so viele, den
Text an sich betreffende „Fragen” stellen
zu müssen, während Ihnen jetzt die Worte
meiner Schriften „von Tag zu Tag eingän‐
giger” werden, so kann ich solches Ein‐
leben nur begrüßen. Nicht aber etwa des‐
wegen, weil Sie mich dadurch mancher be‐
mühender Erörterung entheben, sondern
in erster Linie um Ihretwillen. ‒
.Nur, was Sie sich selbst zu beantworten
vermögen, ist wirklich für Sie beantwortet!
Empfangen Sie aber eine Antwort von
außen her, so kann damit ‒ bestenfalls ‒
die Richtung gewiesen sein, in der die von
Ihnen gewünschte Lösung einer Frage liegt,
aber auch dann wird es Ihnen allein ob‐
liegen, sich die Beantwortung selbst zu
eigen zu machen. Jede Antwort von außen
46 Briefe an Einen und Viele
her, die Sie nicht bezwingen, schafft Be‐
drückung und preßt immer neue verwir‐
rende Nebenfragen hervor, die zu nichts
nütze sind.
.Sie werden immer deutlicher sehen, daß
in meinen Schriften wirklich alle, die ewige
Geistigkeit des Menschen angehenden Fra‐
gen soweit beantwortet sind, wie es das ge‐
hirnliche Begriffsvermögen zuläßt. Damit
aber ist auch nur die Richtung jeweils deut‐
lich gewiesen, nach der sich die Seele wen‐
den muß, wenn sie sich selber ihre jewei‐
ligen Fragen beantworten will. Wer ehrlich
vor sich selber ist, der wird sehr bald wis‐
sen, ob diese oder jene Stelle in meinen
Lehrtexten sich auf ihn und seine indivi‐
duelle Situation bezieht oder nicht, auch
wenn er gewiß nicht erwarten darf, jede
mögliche Schattierung des Erlebens, deren
Elemente ich erörtere, in meinen Worten
aufgezählt zu finden.
47 Briefe an Einen und Viele
.Mit aller Absicht aber enthalte ich mich
der üblichen, aus philosophischen und theo‐
logischen Meinungen abgeleiteten Defini‐
tionen, da es sich in meinem Lehrwerk um
das Erleben der Wirklichkeit handelt, die
ebendort anfängt, wo die Philosophien und
Theologien, die sich der suchende Men‐
schengeist auf Erden als gedankliche Wege
zum ewigen Geiste geschaffen hat, am Ende
sind. Wenn philosophisch oder theologisch
gebundene Menschen aus meinem Lehr‐
werk Nutzen ziehen wollen, so kann das
erst dann geschehen, wenn sie über sich
selbst und damit über ihren Glauben hinaus‐
gewachsen sind, daß sie in ihren Banden
im Besitz der „Wahrheit” über die Wirk‐
lichkeit seien.
.Das ist nicht etwa nur eine bloße Behaup‐
tung, die dann freilich erst der Beweise be‐
dürfte, sondern ich gebe Ihnen hier not‐
wendigerweise im voraus Kenntnis von
48 Briefe an Einen und Viele
einem gegebenen Tatbestand, auf den jeder
Suchende stoßen muß, der sich mit meinen
Schriften ernstlich beschäftigt. Man muß
mit seinen philosophischen und theologi‐
schen Findungen zu Ende gekommen sein,
bevor man den Weg in das ewige Wirkliche
findet, auf dem einer desto eher zum Ziel
gelangt, je weniger er mit Erdachtem be‐
packt ist.
.Sie werden wohl schon bei der ersten
Durchsicht meiner Schriften gewahr ge‐
worden sein, mit welcher Toleranz ich
jeglicher religiösen oder gedanklich gefun‐
denen menschlichen Meinung begegne,
wenn sie sich auch nur in einem übertra
genen Sinne als der ewigen Geisteswirk‐
lichkeit wahrhaft entsprechend erweist.
.Aber diese Toleranz soll wahrhaftig nicht
zu der falschen Annahme verleiten, daß ich
damit sagen wolle, auch philosophische und
theologische Gedankenarbeit könne jemals
49 Briefe an Einen und Viele
in die ewige Wirklichkeit führen! Ich bringe
solchem menschlichen Tun vielmehr nur
um seiner an sich lauteren Motive willen
verstehende Achtung entgegen, und ehre
die wenigen, auf seine Art zu findenden
oder schon gefundenen Teilwahrheiten
über das ewige Wirkliche.
.Der einzige Weg aber, der in die zu jeder
Zeit „ewige” Wirklichkeit führt, ist ein
Weg des Werdens, ‒ nicht bloß des Er‐
kennens, ‒ und um diesen Weg deutlichst
abzustecken, ist alles geschrieben worden,
was ich geschrieben habe.
.Seien Sie gesegnet auf Ihrer nun be‐
gonnenen Wanderung auf diesem Wege!
50 Briefe an Einen und Viele
SIEBENTER BRIEF
Ihre Frage: ob ich auch schon von ande
ren Lesern meiner Bücher Ähnliches ge‐
hört habe, wie das, was den Hauptinhalt
Ihres letzten, so bedeutsamen Briefes aus‐
macht, finden Sie bereits in dem gleichen
Kapitel beantwortet, das Sie zitieren. Aller‐
dings steht diese Antwort schon gleich auf
der zweiten Seite der von Ihnen erst in
ihrem weiteren Text herangezogenen Be‐
trachtung „Die Hütte Gottes bei den Men
schen”, im „Buch vom lebendigen Gott”.
.Wenn Sie jedoch Wert darauf legen, daß
Sie vom frühesten Jünglingsalter an „die
feste Gewißheit” vom Bestehen eines „der
Welt ganz unbekannten, tief verborgenen
Kreises segenverbreitender Männer” in
sich trugen, und sich mit ihnen „irgendwie
in Verbindung” fühlten, so muß ich frei‐
lich sagen, daß mir von solcher „Gewiß‐
51 Briefe an Einen und Viele
heit”, in verschiedenen Abstufungen, erst
berichtet wurde, als das „Buch vom leben‐
digen Gott” bereits erschienen war. Dann
aber überaus häufig, und von Leuten, die
recht ungenügende Anlagen zu phantasti‐
schen Wachträumen zeigten. Sie sind mit
dem Erleben solcher „Gewißheit” in er‐
freulicher und sehr ansehnlicher Gesell‐
schaft.
.Was aber nun den Ort auf der Erde an‐
langt, an dem Sie den Ihnen irgendwie ver‐
bundenen, segenverbreitenden Kreis ver‐
muteten, so haben Sie sich gewiß nicht so
weit von dem wirklich Gegebenen entfernt
wie andere, die mir gestanden, daß sie die‐
sem mit Gewißheit erfühlten Kreis den
Wohnsitz in einem „armenischen Kloster
im Kaukasus”, auf irgendeiner Insel im Stil‐
len Ozean, oder gar mitten in einer gewal‐
tigen Weltstadt zugewiesen glaubten. Ihre
„Burg” auf einem sehr hohen Berg und
52 Briefe an Einen und Viele
„inmitten von Schnee und Eis” ist eine
Vorstellung, die schon fast auf gedanklicher
Übertragung gewisser örtlicher Bilder be‐
ruhen könnte, die allen denen wohlbekannt
sind, die dem gemeinten Kreise angehö‐
ren, der an hochbedeutsamer Stätte auf
Erden ein Heiligtum verborgen weiß, das
nur den Seinen allein zugänglich ist...
Das Sanktuarium dieser Stätte kann aller‐
dings nur von Menschen wahrgenommen
werden, deren geistige Sinne klar und
wach Gebilde aus geistiger Substanz zu
erfassen vermögen. Soweit nur die irdi
schen Körpersinne in Betracht kommen,
ist an gleicher Stätte nur irdisch Materielles
und Täuschendes zu sehen ‒ ja, selbst der
besten Optik photographischer Apparate
würde es unmöglich sein, Anderes als ein
bloßes irdisches Täuschungsbild auf der
höchstempfindlich präparierten Platte fest‐
zuhalten. Was an dieser Stätte der Erde,
53 Briefe an Einen und Viele
örtlich fixiert, aus kristallklarer ewiger
geistiger Substanz errichtet ist, kann auch
selbst von den ihm örtlich zunächst Le‐
benden des kleinen Kreises, den Sie so
gewiß erfühlen, niemals mit dem irdisch
tierischen Körper aufgesucht werden. Je‐
der, der hier Zutritt hat, kommt in geist
räumlicher Selbstgestaltung, die ihm weit
mehr entspricht als sein irdischer Leib, und
keiner der Behinderungen unterordnet ist,
die äußere Materie hemmen. In diesem
wirklichen Tempel der Ewigkeit auf der
Erde wird auch keineswegs ein Kult zele‐
briert, und ebensowenig werden hier etwa
belehrende Homilien abgehalten. Die hier
sich vereinen als wahrhaftige, vom ewigen
Geiste gesetzte Priester, erheben sich viel‐
mehr an dieser Stätte in die vollkommene
‒ infolge geistig substantieller Verhältnisse
sonst an keiner Stätte der Erde jemals mög
liche ‒ Transsubstantiation zur absoluten
54 Briefe an Einen und Viele
Vereinung mit dem Vater: ‒ in eine ab‐
solute ‒ keinem „Mystiker” auch nur vor
stellbare ‒ „Unio mystica” ‒ und leiten
in diesem von ewiger Liebe durchlichteten
Zustand Ströme des Segens zu dafür emp‐
fangsfähigen Menschen über die ganze Erde
hin, die nur aus dieser Stätte her so er‐
reicht werden können, daß sie auch auf
zunehmen vermögen, wozu sie sich emp‐
fangsbereit machten.
.Da diese Stätte des wirklichen Tempels
der Ewigkeit auf Erden einer „Burg auf
hohem Berge, inmitten von Schnee und
Eis” nicht allzu unähnlich ist, so hat Sie
Ihr Vorstellungsvermögen recht nahe an
die Wirklichkeit hingeführt.
.Zu unterscheiden von der Stätte des gei‐
stigen Tempels ist eine irdischen Sinnen
wahrnehmbare Stätte gemeinsamen Le
bens einiger Weniger, die ihm in besonderer
Weise zugehören, aber sie liegt weder „auf
55 Briefe an Einen und Viele
hohem Berge” noch „inmitten von Schnee
und Eis”, hat aber auch für die dort irdisch
wie andere Menschen auf ihre Art Leben‐
den im Wesentlichen nur die Bedeutung
einer selbstgewählten Wohnstatt.
.Daß die hier Wohnenden sich gegen alle
Außenwelt sorgfältig abschließen und stets
abgeschlossen halten müssen, liegt in der
Natur ihrer geistigen Sonderberufung be‐
gründet. Es ist überdies auch von außen
her gut dafür gesorgt, daß sie niemals ihre
Verborgenheit aufzugeben genötigt sein
werden, auch wenn ihnen die flache „Zivili‐
sation” europäischen Ursprungs noch näher
rücken sollte, als das bis heute geschehen
konnte.
.Was Sie mir schreiben über eine gefühlte
Verbindung zwischen Ihnen und dem von
Ihnen so gewiß erfühlten geistigen Kreise,
ist keineswegs Selbsttäuschung. Nur müs‐
sen Sie sich klar darüber werden, wie diese
56 Briefe an Einen und Viele
„Verbindung” zustandekommt. Ich darf
wohl zwei Erfindungen aus dem Gebiet elek‐
trotechnischer Schallübertragungen hier
zum Vergleich heranziehen, denn es liegt
mir daran, daß Sie sich nicht an falsche Vor‐
stellungen hängen. Was Sie als „Verbin‐
dung” fühlen, ist nicht etwa einer Telephon
verbindung zu vergleichen, bei der ein
Sprechender mit einem Hörenden verbun‐
den ist, sondern eher einer durch bestimmte
Wellenschwingungen über die ganze Erde
geleiteten Radio-Botschaft.
.Es wird auf vielen Wellenlängen ganz
verschiedene Sendungen geben, Sie aber
empfangen nur, was Ihrer Einstellung ent‐
spricht.
.Jede Einflußnahme der Leuchtenden des
Urlichtes ist ‒ der Methode nach ‒ als ein
dem hier gegebenen Vergleich ähnlicher
Vorgang aufzufassen, ‒ auch dort, wo zu‐
weilen schon ganze Völker unter solchem
57 Briefe an Einen und Viele
Einfluß waren, der jedoch immer und unter
allen Umständen sich nur auf Dinge ewigen
Geistes beziehen konnte, ‒ niemals auf
Bestrebungen zur Erlangung materieller
Wohlfahrt, oder gar auf die Anerkennungs‐
kämpfe irgend einer Politik!
.Vom ewigen Geiste her kann kein ande‐
res menschliches Wollen und Handeln För‐
derung erfahren, als das wiederum in die
ewige geistige Wirklichkeit führende. Nur
die ins ewige Geistige weisende Schöpfer‐
kraft des Einzelnen, wie die durch rein
geistige Kraftäußerung bewirkte höchste
Machtentfaltung ganzer Völker und Natio‐
nen, können den geistigen Einfluß der vom
Tempel der Ewigkeit auf dieser Erde aus‐
geht, empfangen! Dies zu Ihrer Anspielung
auf meine Worte der zweiten Betrachtung
im „Buch vom lebendigen Gott”.
.Wollen Sie einstweilen alles heute von
mir Erörterte gut überdenken, bis ich dem‐
58 Briefe an Einen und Viele
nächst vielleicht den Faden wieder auf‐
nehmen kann. Möge der lichte Segen aus
dem Tempel der Ewigkeit Sie allzeit emp‐
fangsbereit finden!
59 Briefe an Einen und Viele
ACHTER BRIEF
Was ich zu Ihrem neuerdings erhaltenen
Bericht zu sagen habe, ist mir Veranlassung
zu den nachstehenden rhythmischen Ge‐
fügen geworden, die Ihnen in gedrängter
Form zeigen mögen, daß Sie die gegebenen
Zusammenhänge durch Ihr eigenes Er‐
fühlen richtig deuten. Ich spreche nun
aber hier unter der Bekundung „Wir”
nicht etwa im „Pluralis majestatis”, son‐
dern aus meinem ewigen geistigen Sein,
in dem ich immerdar in der vollkommen‐
sten Vereinung mit meinen geistgebore‐
nen Brüdern im ewigen Lichte bin. Na‐
türlich spreche ich in diesen Versen nur
aus der Gemeinsamkeit mit denen meiner
geistgeeinten Brüder, die ebenso wie ich,
irdisch-physischem Menschentum zur Voll‐
bringung ihrer Aufgabe verbunden sind,
wenn auch eines jeden Aufgabe, geistes‐
60 Briefe an Einen und Viele
bestimmt, von allen anderen verschie‐
den ist.
.Den Anlaß nützend, weise ich Sie zu‐
gleich aufs eindringlichste an, immer sehr
darauf zu achten, welcher Standort sich
aus dem Inhalt meiner Bekundungen je‐
weils ergibt, denn ich bin, wie ja der letzte
Vers der ersten Eröffnung besagt, als Er‐
denmensch meinem geistigen Sein ohne
Lösungsmöglichkeit verschmolzen.
Wir
Wir sind die berufenen Zeugen,
Denn wir leben im ewigen Licht!
Unser Zeugnis ist niemals zu beugen,
Denn es wägt mit erprüftem Gewicht.
Wir sind, was wir ewig gewesen,
Im „Vater”: ‒ im ewigen Sein! ‒
Doch wir fanden, uns geistig erlesen,
Auch zeitlichen, irdischen „Schrein”...
61 Briefe an Einen und Viele
Wir hatten ihn geistig gefunden
Lang ehe die Erde erstand,
Doch, was sich dann zeitlich gebunden,
Das verband schon urewiges Band.
Wir bleiben für immer vereinigt
Dem Irdischen, der uns hier „spricht”:
Im „Feuer” geglüht und gereinigt,
Ist er uns verschmolzen im Licht!
*
.Fand hier die meinen geistigen Brüdern
mit mir gemeinsame Ankerung im ewigen
Geiste eine Darstellung, so bringe ich nun
die Antwort auf Ihre, mich individuell
meinenden Fragen:
Ich
I
Ich bin nicht „ich”,
Wie einer, der Begrenzendes
Mit „Ich” benennt,
Da er nur erdenhaft Vergängliches
In sich erkennt.
62 Briefe an Einen und Viele
Ich bin mir „ich”
Im lichtgelösten Sein.
In irdischer Umgrenzung
West mein Bild und Schein,
Sich selbst zur Plage
Und zu zeitgeborener Pein!
II
Da, wo ich bin, ist Ewigkeit,
Weil ewigkeitsgezeugter „Raum”
Den Erdenraum erfüllt,
Den meine Tage in der Zeit erfüllen.
Mich selber gab ich
Diesem Leib der Erde ‒
Dem ich nun Leidesanlaß
Und Verzehrer werde ‒
Damit der „Raum” der Ewigkeit
Ihn ganz erfülle,
Und Ewiges dem Irdischen
In sich enthülle.
63 Briefe an Einen und Viele

III
Wenn ich aus hocherhaben hehrem Horte
Höchsten Gutes Gabe euch gewähre,
Beschenke ich nicht nur
Mit weisem Worte,
Wie wenn ich nur des Wortes
Wahrer wäre.
Was ich euch gebe,
Ist und bleibt mein Eigen,
Auch wenn ich es an Ungezählte gebe,
Und kann nur darum
Weg und Ziel euch zeigen,
Weil ich in jedem meiner Worte lebe!
*
.Ich nehme an, daß diese Aussagen Ihnen
keine neuen Fragen wecken werden, viel‐
mehr einiges auch mitbeantworten, was
ich zwischen Ihren lieben Zeilen als mög‐
licherweise kommende Frage auftauchen
sehe.
64 Briefe an Einen und Viele
.Aber auch hier sollen Sie nichts ohne
eigene Prüfung annehmen. Nur dann, wenn
Ihr urewiges eigenes Geistiges Ihnen willig
seine Zustimmung gewährt, sind Ihre ‒
vielleicht nur versteckten ‒ Zweifel wirk‐
lich aus dem Felde geschlagen und können
nun erst Ihren Weg nicht mehr gefährden!
.Ich hoffe, daß ich demnächst noch eini‐
ges zur Sprache bringen kann, was Sie in
Ihrem vorletzten Briefe berührt haben.
Wenn es aber bis dahin vielleicht noch ge‐
raume Zeit brauchen sollte, so bitte ich
Sie im voraus, nicht ungeduldig auf die
Post zu warten. Was ich Ihnen noch in be‐
zug auf die von den Leuchtenden des Ur‐
lichtes dargebotene geistige Leitung und
Hilfe zu sagen habe, käme auch nach vie‐
len Monaten immer noch zurecht.
.Ich segne Sie und sende Ihnen alle Hilfe
zu, deren Sie auf dem Wege zu Ihrem ewi‐
gen Geistigen bedürfen.
65 Briefe an Einen und Viele
NEUNTER BRIEF
Was ich Ihnen zuletzt schrieb und durch
Fügungen in rhythmischer Ordnung am
besten ausgedrückt sah, hat gewiß nach kei‐
ner Antwort verlangt, und dennoch freuen
mich Ihre so aus tiefster Seele kommenden
lieben Zeilen, weil sie mir zeigen, daß auch
diesmal wieder alles ganz in dem Sinne
aufgenommen wurde, in dem ich es ge‐
geben hatte.
.Kaum hätte ich freilich bei der Absen‐
dung vermutet, von Ihnen zu vernehmen,
was Sie mir jetzt zu schreiben haben.
.Ich bitte Sie, sich mit der Antwort be‐
gnügen zu wollen, daß Ihnen solche Ein‐
sicht und Erkenntnis „wahrlich nicht
Fleisch und Blut gegeben” hat, sondern
Ihr eigenes Ewiges, aus dem allein die
Wahrheit über die Wirklichkeit, in der es
selbst lebendig ist, erlangt werden kann.
66 Briefe an Einen und Viele
Die Erkenntnisse des Blutes ‒ was besagen
will: des an tierhaft enge Bedingtheiten
gebundenen, erdmenschlichen Fühlens und
gehirnlichen Erdenkens ‒ verhalten sich
zu dem, was nur das eigene Ewige zu ge‐
ben vermag, wie sich etwa das „Leben”
eines hartstarren Steines im nächstbesten
Bachbett zu den höchsten uns bekannten
Lebensäußerungen verhält. Nur aus dem
Ewigen kann Erkenntnis des Ewigen dem
Menschen zukommen! ‒
.Aber nun will ich diese Gelegenheit des
Schreibens an Sie zugleich dazu benutzen,
Ihnen endlich noch die Aufschlüsse zu ge‐
ben, die meine Antwort auf Ihre Bemer‐
kungen zu dem Buchkapitel „Die Hütte
Gottes bei den Menschen” schon hätte mit‐
umfassen sollen, wenn mich damals nicht
äußere Umstände gezwungen hätten, mei‐
nen Brief abzuschließen.
.Zwei allgemein bekannte und vielge‐
67 Briefe an Einen und Viele
brauchte Erfindungen hatten sich mir zum
Vergleich geboten, als ich Ihnen Aufschluß
gab über die Art und Weise, in der die „Ver‐
bindung” der Seelen auf Erden mit den
Leuchtenden des Urlichtes zustande kommt.
.Was hier noch zu sagen ist, habe ich zwar
in einem der letzten Kapitel des Buches
„vom lebendigen Gott” ‒ ich meine hier
den Lehrtext: „Im Osten wohnt das Licht
‒ so deutlich dargestellt, daß mir ein Falsch‐
deuten der dort gegebenen Aufschlüsse nur
durch überaus unaufmerksames Lesen halb‐
wegs erklärbar erscheint. Da ich aber immer
wieder Berichte erhielt, in denen mir im
Tone aufgeregtesten Wichtignehmens von
inneren Stimmen erzählt, und dabei an‐
genommen wurde, es müsse sich um die
„Stimme” eines leitenden „Meisters”, also
eines Leuchtenden des Urlichtes handeln,
so will ich Sie doch, der Vorsicht halber,
um Ihnen zwecklose Beunruhigungen zu
68 Briefe an Einen und Viele
ersparen, recht eindringlich auf das auf‐
merksam machen, was ich in dem obenge‐
nannten Abschnitt, sowie in dem Haupt‐
kapitel: „Der Weg” tatsächlich sage.
.Es bedarf wirklich schon eines sehr gro‐
ben Umdeutens meiner an diesen Stellen
wie auch besonders noch in dem Buche
Auferstehung” gebrauchten Worte, um
zu der allem Gesagten widersprechenden
Auffassung zu kommen, als meinte ich etwa
„innere Stimmen” wie sie nervenerregte
Ekstatiker, oder auch nur durch eigene, vor‐
stellungsmäßige Selbstübersteigerung auf‐
gepeitschte Geltungsbedürftige, ahnungs‐
los durch entweder zeitweilige, an be‐
stimmte äußere Einflüsse geknüpfte, oder
aber dauernde Spaltung ihrer Persönlich‐
keit sich erzeugen.
.Gerade vor solchenStimmen” wird ja
von mir mit jedem Worte gewarnt!
.Ich darf doch wahrhaftig erwarten, daß
69 Briefe an Einen und Viele
man die als Bilder gebrauchten Worte:
„Stimme” und „sprechen” nur in der Weise
aufnimmt, wie sie gegeben sind und stets
wieder und wieder erklärt werden! Deut‐
lich genug sage ich doch, daß dieses „Spre‐
chen” keinesfalls dem Gebrauch einer
menschlichen Sprache verglichen werden
darf, sondern ein inneres Klarwerden des
vordem der Vorstellung Unklaren ist, her‐
vorgerufen durch Influenzwirkung einer
Entelechie, die selbst in reinster Klarheit
ihres Erkennens lebt. Ich sage das auch mit
anderen, sich aus der gehobenen Sprach‐
form ergebenden Worten, aber schon der
Umstand, daß ich die Worte, die man hier
geflissentlich in einem geradezu entgegen‐
gesetzten Sinn für sich in Anspruch nehmen
zu dürfen glaubt, meistens hinweisend in An‐
führungszeichen setze, dürfte doch jedem
Vernünftigen klar genug zeigen, daß ich sie
in distanzierender Weise betont wissen will.
70 Briefe an Einen und Viele
Wörtlich aber sage ich ausdrücklich in dem
Kapitel „Im Osten wohnt das Licht”, daß
durch unmittelbares Erzeugen innerer
Klarheit” im Innern des Suchenden „ge‐
sprochen” wird, ‒ „ohne Worte der Sprache
des Mundes.”... „Nicht in irgend einer
Landessprache.” Das ist denn doch wohl
eindeutig genug gesagt.
.Wenn ich in dem Hauptkapitel „Der
Weg” nebenher auch die Möglichkeit
streife, die für den geistigen Lehrer unter
gewissen, im zu Belehrenden verankerten
Umständen besteht: ‒ sich dem Klärung
Empfangenden in „magischem Bilde” zu
zeigen, so geschieht das der Vollständig
keit halber, und ich lasse keinen Gedanken
daran aufkommen, daß dieses „Bild” etwa
der Meister selbst sein könne. Gleichzeitig
sage ich deutlich, daß es durchaus keine
Bevorzugung darstellt, wenn einer zu sol‐
cher Bildprojektion aus sich selbst hinaus
71 Briefe an Einen und Viele
veranlagt ist. Ich konnte nur die mir be‐
kannte Möglichkeit in einem Lehrbuch, das
von geistigen Dingen handelt, nicht einfach
unbesprochen lassen, auch wenn sie äußerst
selten eintritt, und durch Nebenumstände
bedingt ist, die kaum bei einem Europäer
gegeben sind.
.Das alles wird Sie selbst ja schwerlich als
eigene Frage angehen, da Sie sehr genau
auf jedes meiner Worte zu achten pflegen,
wie ich längst weiß.
.Es ist aber keineswegs unmöglich, daß
Ihnen andere Leser meiner Bücher begeg‐
nen, die Ihnen geheimnisvoll von ihren
„inneren Stimmen” erzählen, und diese, für
alle, nicht systematisch zu geistiger Unter‐
scheidungsfähigkeit Geschulten, ‒ immer
und unter allen Umständen ‒ bedroh‐
liche Erscheinung fälschlich in meinen
Worten gutgeheißen glauben. Solchen Leu‐
ten gegenüber, die zumeist fanatische Skla‐
72 Briefe an Einen und Viele
ven ihrer eitlen Seele sind, und wie be‐
sessen von ihrem Glaubenstraum an ihre
vermeintliche „hohe Führung”, müssen
Sie unbedingt Ihrer Sache sicher sein. An‐
derenfalls werden Sie solchen Berichten
Gewicht geben und gar womöglich sich ein‐
reden lassen, Sie seien noch nicht „soweit
vorangeschritten”, wie Jene, ‒ oder aber
Ihre, wie Sie meinen, so „trockene und
nüchterne Natur” sei wohl ein unüber‐
windliches Hindernis, ‒ und was derglei‐
chen Bedenklichkeiten selbstkritisch ver‐
anlagter und gegen sich selbst nicht allzu
nachsichtiger Naturen mehr sind.
.Damit Sie ganz klar sehen, sei hier nun
aber auch noch auf ein Fehlverstehen hin‐
gewiesen, dem ich wirklich nicht zu be‐
gegnen fürchtete, bevor ich zu meinem Er‐
staunen gewahr werden mußte, wie weit
es verbreitet ist. Man könnte versucht sein,
anzunehmen, daß Rede in Bildern und
73 Briefe an Einen und Viele
Gleichnissen, wie sie die Natur geistiger
Dinge nahelegt und oft genug geradezu
verlangt, von heutigen Menschen, die an
Zeitungsberichten sich sattzulesen gewohnt
sind, überhaupt nicht mehr verstanden
wird. Sonst wäre es doch nicht möglich,
daß Begriffe, wie „geistige Nähe”, „hohe
Hilfe” durch die dazu Verordneten, oder
„geistige Leitung”, „geistiger Schutz”
durch die dazu mächtigen hohen Helfer,
so oft die doch etwas gar zu plumpe Deu‐
tung fänden, als sei damit gemeint, daß
die Leuchtenden des Urlichts in einer un‐
sichtbaren Gestalt sich in die irdisch ört‐
liche Nähe eines Hilfs- oder Leitungsbe‐
dürftigen begeben müßten, um ihn ihre
segenspendende geistige Nähe erfahren zu
lassen.
.Was mit den obigen und ähnlichen Wor‐
ten meiner Schriften gemeint ist, spielt
sich selbstverständlich in einer wesentlich
74 Briefe an Einen und Viele
anderen Weise ab. Das Verstehen hierfür
sollte man aber bei denkfähigen Menschen
wirklich als erfüllte Forderung der Logik
voraussetzen dürfen, denn wie kann man
sich denn in die Annahme verlieren, die
so wenigen, zu geistiger Hilfeleistung im
weitesten Sinne fähigen Männer auf dieser
Erde, samt allen ihren rein geistigen, nicht
im Erdentiereskörper lebenden Brüdern,
seien im Verhältnis zu der Menschenzahl
der Erde ausreichend, um sich jedem in
unsichtbarer Körperlichkeit persönlich zu
nähern, den sie ihrer Hilfe dargeboten sehen
und der ihre Hilfe wirklich braucht?! Wäre
es denn nicht auch ein geradezu entsetz‐
licher Zustand, allenthalben von einem Un‐
sichtbaren beobachtet zu sein, gerade wenn
und weil man in ihm den gütigsten Helfer
auch unerbeten um sich wüßte? ‒ Glück‐
licherweise aber gibt es nichts Wirkliches,
das dem handfesten Glauben so mancher
75 Briefe an Einen und Viele
Leute ähnlich sähe, die sich derart wichtig
nehmen, daß es ihnen als ausgemachte Tat‐
sache erscheint, ihre kleinen und meistens
so trivialen Alltags-Sorgen müßten im Gei‐
stigen allgemein bis ins Intimste bekannt
und Gegenstand der Hilfeleistung sein.
.Gegenstand der Hilfeleistung ist für die
zur Hilfe Verordneten unter den Leuchten‐
den des Urlichts jederzeit nur auf das Gei
stige im Menschen bezogene Not, Schutzbe‐
dürftigkeit, oder Leitungsnotwendigkeit.
Den Menschen, der in einer solchen geisti‐
gen Situation ist, daß er für ihre Hilfelei‐
stung in Betracht kommt, finden sie mit
Sicherheit, ohne auch nur das Mindeste von
seinen irdischen Verhältnissen zu wissen,
oder auch nur eine vage Vorstellung von
seiner äußeren Gestalt und seinen Zügen
zu haben. Es ist ein rein geistiger Vorgang,
der ohne Unterlaß dieses absolut sichere
Finden bewirkt.
76 Briefe an Einen und Viele
.Wenn ich schon in meinem damaligen
Briefe vergleichsweise die Begriffe „Tele‐
phon” und „Radio” zu Hilfe nahm, so muß
ich Sie heute ‒ so sehr der Vergleich auch
auf beiden Seiten hinkt ‒ doch nun darum
bitten, sich jetzt ein Schaltbrett von im‐
menser Größe vorzustellen, auf dem uner‐
meßlicher Raum in fast mikroskopischer
Verkleinerung in die Fläche projiziert ist.
Stellen Sie sich weiter vor, jede auf Erden er‐
scheinende Seele sei, während ihres Erden‐
lebens, auf dieser Fläche durch zwei in
einem winzigen Punkt zutagetretende Pla‐
tinelektroden repräsentiert und sobald die
Seele geistige Leitung oder Hilfe nötig habe,
sprühe ununterbrochen bis zur Abstellung
ein heller Funke zwischen beiden Elektro‐
den. Und nun gelte Ihnen der zur Hilfe oder
zur Leitung verordnete Leuchtende des Ur‐
lichts in diesem Bilde wie ein Elektrotech‐
niker, der zugleich eine Schalttafel mit
77 Briefe an Einen und Viele
einer Unzahl von Hebeln vor sich hat, und
sofort weiß, welchen Strom er einschalten
muß, weil ihm durch die Farbe der Funken
und die Gehörseindrücke ihrer entweder
relativ langsameren oder aber gesteigert
schnellen Aufeinanderfolge genau kund
wird, welcher Strom oder welche Strom‐
kombination jeweils zur Hilfe, zum Schutz
oder aber zur geistigen Leitung vonnöten
ist. Alles Übrige aber geschähe ‒ um hier
im Bilde zu bleiben ‒ „automatisch”.
.Dieser Vergleich kann Ihnen dazu ver‐
helfen, eine richtige Vorstellung zu gewin‐
nen von der Art und Weise rein geistiger
Hilfeleistung, geistiger Leitung, und geisti‐
ger „Nähe”!
.Ich werde Ihnen nicht erst zu sagen brau‐
chen, daß gewiß keine geistsubstantielle
Apparatur dieser Art irgendwie und irgend‐
wo besteht, sondern daß dieses hier skiz‐
zierte Bild vielmehr den gegebenen Zu‐
78 Briefe an Einen und Viele
sammenhängen in der Struktur ewigen gei‐
stigen Lebens auf eine symbolische Weise
Darstellung zu geben sucht.
.Bleiben wir beim Bilde, so ist jedoch zu
sagen, daß niemals der hier geschilderte
Funke zwischen den Elektroden aufblitzen
wird, wenn der durch das Elektrodenpaar
repräsentierte Mensch nicht aus der In‐
brunst seines Herzens Leitung, Schutz oder
Hilfe aus der Region des wesenhaften sub‐
stantiellen Geistes erwartet oder verlangt,
‒ und ebenso niemals, wenn er sich nicht
selbst dazu bereitet hat, solcher Einwirkung
ein brauchbarer Empfänger zu sein. ‒
.Die Hilfe, wie die geistige Führung
durch einen Leuchtenden im Urlicht, und
somit durch unsere ewige Gemeinsamkeit,
bezieht sich niemals auf Dinge, die zwischen
Geburt und Grab ihre Erfüllung finden
müssen, wenn sie sich gestaltet sehen sollen,
sondern immer nur auf das Erwachen der
79 Briefe an Einen und Viele
Seele im geistigen ewigen Bereich, und
die dadurch ‒ möglichst schon während
des Erdendaseins ‒ zu erlangende Über‐
tragung des individuellen irdisch-seeli‐
schen Bewußtseins in das eigene Ewige
des Menschen. ‒
.Damit sei heute dieser recht umfänglich
geratene Brief aber denn doch nun abge‐
schlossen und Ihrem seelischen Aufnehmen
besonders empfohlen!
.Mein Segen, der Sie auf eben die Weise
erreicht, die Ihnen in diesem Briefe gleich‐
nishaft geschildert wurde, werde Ihnen zu
wirksamster Erhellung Ihrer Einsicht in
alles, was im Ewigen gründet!
80 Briefe an Einen und Viele
ZEHNTER BRIEF
Bei allem hocherfreulichen Verstehen der
letzthin von mir so ausführlich erläuterten
Form der Fernsendung geistiger Hilfe und
Führung durch die einzigen, die in solcher
Weise helfen und führen dürfen, weil sie
dazu vom ewigen Geiste verordnet sind
und helfen können, gewahre ich doch in
Ihrem neuen Briefe noch eine gewisse Un‐
sicherheit, die sich scheinbar immer wie‐
der durch mein Wort erzeugt, daß schon
„ganze Völker” zuweilen unter unserem:
‒ der Leuchtenden des Urlichtes ‒ gei‐
stigen Einfluß standen.
.Hier muß ich Sie wohl doch noch ein‐
mal darauf hinweisen, daß alle geistige
Hilfe, zu deren Spendung der ewige Vater
im Urlicht sich der durch ihn im Urlicht
Leuchtenden bedient ‒ und es gibt keine
andere ins Menschlich-Irdische wirkende
81 Briefe an Einen und Viele
geistige Hilfe oder Führung! ‒ stets nur
die Einzelseele zu erreichen vermag, so
daß ein geistiger Einfluß auf „ganze Völ‐
ker” naturnotwendig nur dort sich ereig‐
nen kann, wo unter den Einzelseelen, die
erst Völker zu bilden vermögen, viele Bild‐
ner sind, die sich selbst so zu formen wuß‐
ten, daß geistige Führung von ihnen auf
genommen und verstanden werden kann:
‒ daß geistige Hilfe „empfangsbereite Her
zen” findet.
.Wie geistig gesandter Ein-fluß sich immer
nur auf die Erreichung des Wiederbewußt
werdens der Menschenseele in ihrem in
dividuellen Ewigen bezieht, und die Dinge
zwischen Geburt und Grab dem Erdmen‐
schen selbst frei überläßt, habe ich bereits
in meinem letzten Briefe an Sie zum Aus‐
druck gebracht. Es scheint aber, als ob ver‐
steckte, vielleicht ererbte, vielleicht aner‐
zogene Wünsche in Ihnen Unruhe zu schaf‐
82 Briefe an Einen und Viele
fen suchten, so daß Sie gar zu gerne doch
auch einen geistigen Einfluß auf das Welt
geschehen gerettet sehen möchten.
.Es ist aber ein ebenso großer Irrtum,
den ewigen, göttlichen Vater irgendwo oder
in irgendwem ‒ sei es direkt oder durch
gesandte geistige Führung ‒ im Bereiche
innen- oder außenpolitischer Vorgänge ir‐
gendeines in der Weltgeschichte bekannt
gewordenen Volkes am Werke zu glauben,
wie es törichter Irrtum ist und die er‐
schreckende Geistesfremdheit der tier‐
menschlichen Seele verrät, wenn man in
den schweren Krisen der Politik, die man
„Kriege” und „Revolutionen” nennt, ewi‐
gen Willen des Geistes in der Auswirkung
zu erblicken meint.
.In allediesem Geschehen wirkt nur der
tiergebundene Mensch der Erde, und was
immer ihn zum Wirken drängt, ist ‒ ein‐
schließlich aller lemurischen Antreiber‐
83 Briefe an Einen und Viele
peitschenschläge aus dem unsichtbaren Teil
der physischen Welt ‒ bloß irdisch verur‐
sacht, ohne die geringste Mitwirkung gei
stiger Einflüsse und Kräfte!
Ihr sagt:
„Die Weltgeschichte
Ist das Weltgericht!”
Gewiß!
Doch ein Gericht,
In dem der Mensch allein
Sich selbst das Urteil spricht!
Hier hat sich „Allmacht”
Aller Macht begeben...
Hier spricht nur geist-getrenntes,
Tierversklavtes Leben!
.Was wirklich der Erdenmenschheit schon
in den Tagen zwischen Geburt und Grab ein
besseres Los zu schaffen vermag, ist nur das
Erwachen vieler Einzelseelen in ihrem
Ewigen. Es werden aber immer nur Teil
84 Briefe an Einen und Viele
gruppen der Menschheit sein, in denen
genügend Einzelseelen, ihres Ewigen be‐
wußt, des ewigen Menschen wahrhaft wür
dige Lebensgestaltungen zu schaffen ver‐
mögen, und nur durch ihr Beispiel werden
sie auch andere Teilgruppen allmählich der
Tieresübermacht entreißen können. Ein
Teil der Erdenmenschheit wird dereinst
dem ewigen Geiste bereits im Mutterleib
erschlossene Kinder gebären, während ein
anderer Teil, ‒ immer rettungslos tierver‐
haftet, ‒ zwar nicht, wie die Visionen des
Zarathustradichters meinten: den „Über‐
menschen”, wohl aber ‒ das Übertier zeu‐
gen wird, das aller Tiere Dumpfheit, Grau‐
samkeit und Krallenlust zuletzt bis zur
Selbstzerfleischung übersteigert...
.Das ist alles, was ich Ihnen heute sagen
will, und ich hoffe, Sie werden sich in Zu‐
kunft nicht mehr durch Ihre gefühlsbeton‐
ten wachen Wunschträume betören lassen,
85 Briefe an Einen und Viele
im äußeren Weltgeschehen „den Finger
Gottes” als Beweger am Werk zu glauben!
.Aller Segen des Lichtes sei immer mit
Ihnen!
86 Briefe an Einen und Viele
ELFTER BRIEF
Gerne glaube ich Ihnen, daß es Ihnen
nicht ganz leicht wurde, im Laufe der letz‐
ten Monate Ihr Weltbild im Sinne meines
zuletzt geschriebenen Briefes an Sie zu
korrigieren. Ich kann das gut nachfühlen,
denn auch mir ist es vor einigen Jahrzehn‐
ten durchaus nicht leicht gewesen, alles,
was ich von Jugend auf gehört und so gerne
geglaubt hatte, dahingeben zu müssen, als
ich der Wirklichkeit zum ersten Male an‐
sichtig geworden war.
.Um so mehr freue ich mich, von Ihnen
zu hören, daß Sie jetzt, nach der Verar‐
beitung meiner letzten Darlegungen, sich
„von einem schweren und lähmenden
Druck befreit” fühlen, der Sie vordem
„auch in den heitersten Stunden” niemals
verließ. Es ist ja wahrhaftig eine kaum er‐
trägliche Vorstellung, daß ewige Güte und
87 Briefe an Einen und Viele
Liebe in unbegrenzter Machtfülle diese
Erdenwelt regiere, und dennoch alles ruhig
geschehen lassen könne, was hier Tag
um Tag und Nacht um Nacht an Furchtba‐
rem, Schauerlichem und Entsetzlichem ge‐
schieht, obwohl es durch den bescheiden‐
sten Aufwand überweltlicher Macht so leicht
zu verhüten wäre. Eine solche Vorstellung
kann wohl als schwerster Seelendruck emp‐
funden werden, und es ist begreiflich, daß
man wie erlöst aufatmet, wenn man ein‐
sehen gelernt hat, daß hinter ihr nichts
Wirkliches steht, und sie nur die Folge
falscher Gottesbegriffe ist, die der gott‐
ferne Erdenmensch in seiner Not sich selbst
geschaffen hat.
.Fehlgehen aber würden Sie, wenn Sie
aus meinen Worten eine allgemeine Ge‐
ringschätzung aller Dinge zwischen Geburt
und Grab herauslesen wollten. Mir sind
diese Dinge schon darum bedeutsam, weil
88 Briefe an Einen und Viele
sie ja über ihre Zeit hinaus weiterwirkende
‒ wenn auch nicht gerade „ewige” ‒
Folgen auszulösen vermögen. Aber auch
in dem ihnen zubemessenen Bereich selbst
ist es von größter Bedeutsamkeit, wie wir
ihnen gegenüberstehen, sie zu nehmen
wissen, und ihnen schließlich gerecht wer‐
den.
.Ebenso würden Sie gewaltig irren, wenn
Sie aus meinen Worten die Lehre heraus‐
lesen wollten, daß es überhaupt keine
göttlich-geistige Einwirkung auf die Dinge,
die von unserer Lebensdauer irdisch um‐
schlossen werden, gäbe. Wohl sind solche
Einwirkungen nicht nur „möglich”, son‐
dern geradezu alltäglich und überaus häu‐
fig. Sie sind jedoch nur das Zeugnis des rein
gesetzmäßigen Reagierens ewiger, vom
Geiste ausgestrahlter Mächte und Kräfte,
deren Einflüsse der Erdenmensch ohne jede
Beihilfe auslöst, ‒ nur durch sein, den gei
89 Briefe an Einen und Viele
stigen Gesetzen entsprechendes Verhalten.
Eine große Anzahl religiöser Vorschriften,
‒ ja selbst manche Gebote des Aberglau‐
bens, ‒ gehen auf das erfahrungsmäßige
Beobachten des rechten oder falschen Ver‐
haltens gegenüber solcher geistigen Gesetz‐
mäßigkeit zurück, die auch in manchen reli‐
giösen Lehren der Vorzeit, ‒ auch sehr
deutlich in den „Psalmen Davids”, ‒ per
sonifiziert und dramatisiert, an Beispielen
zur Darstellung gelangen. Der, dem der
Gott solcher Darstellungen alle Huld ge‐
währt, ist stets einer, der den ewigen Ge‐
setzen entsprechend handelt und dadurch
manches Gute und Erfreuliche in seinem
Erdenleben sich auswirken sieht. Der aber,
der als den Gott verachtend: als „Lästerer”
und „Tor” dargestellt wird, ist einer, der
blind, seiner eigenen Unkenntnis wichti‐
ger, durch Erfahrung eruierbarer geistiger
Gesetze zum Opfer fällt. Wenn man ein‐
90 Briefe an Einen und Viele
mal diesen Zeugnissen menschlicher Ver‐
gangenheit auf die Spur gekommen ist,
staunt man über die Erfahrungsweisheit,
die sich Menschen einer uns noch halbbar‐
barisch erscheinenden Zeit zu verschaffen
wußten, und fragt sich mit gutem Recht,
ob nicht wir heutigen Europäer ärgere Bar‐
baren seien, als jemals ein früheres Ge‐
schlecht...
.Wohl kennen wir unzählige Dinge, die
diesen Alten fremd waren, aber ich be‐
zweifle mit lebendiger Einfühlung, daß die
zu jenen fernen Zeiten ihrer Volksweisheit
Kundigen das was sie kannten und aus Er‐
fahrung wußten, für unser zeitgebundenes
Allgemeinwissen eingetauscht haben wür‐
den. Man braucht nur die alttestament‐
lichen Psalmen zu lesen, frei von der
üblichen Benutzungspraxis die aus ihnen
Eideshelfer religionsbedingter Dogmatik
macht, um sehr eindringlich zu erfahren,
91 Briefe an Einen und Viele
wie tief ihre, den Namen des alten Königs
vorschützenden Verfasser in die Geheim‐
nisse geistiger, automatisch ihrer Auslösung
folgender Kräfte und Mächte eingedrungen
waren. Natürlich muß man bei solcher Er‐
fragung alles kultische Beiwerk, als dem
wesentlichen Inhalt gegenüber belanglos,
beiseite tun, und darf sich auch nicht da‐
durch beirren lassen, daß die geschilderte
Wirkungsweise geistiger Gesetze als Aus‐
wirkung göttlicher Affekte und Bevorzu‐
gungsakte ausgelegt wird. Möglicherweise
glaubten die Verfasser selbst noch an solche
Auslegung, aber wahrscheinlicher ist, daß
sie dergleichen für geboten hielten, um der
Gefahr zu begegnen, daß die unbemäntelte
Kenntnis der aufgezeigten Gesetzmäßig‐
keiten am Ende das Volk in einen wirren
Atheismus stürzen könne, da der Mensch
jener Tage nur durch seine Selbstprojek
tion in einen Traum von machtgesättigter
92 Briefe an Einen und Viele
Willkür zu seiner Gottesvorstellung zu ge‐
langen vermochte.
.Es gibt Vieles, was heute, durch jahr‐
hundertelange Benützung zugunsten einer
vorgefaßten Glaubensmeinung, ganz um
sein eigenes, wahres Gesicht gebracht ist,
und nur die schärfsten Augen sind imstande,
die ursprünglichen Züge zu erkennen, aus
denen sich noch zur Not herauslesen läßt,
was voreinst klar und eindeutig, mit schar‐
fen Konturen gegeben war.
.Wenn ich Sie durch meine Worte veran‐
lassen sollte, Ihre Augen zu üben, um sol‐
ches Verschliffene und Verwischte in den
Kunden aus der Vorzeit erkennen und rich‐
tig deuten zu lernen, dann stehen Ihnen
manche Entdeckerfreuden bevor.
.Segen aus dem ewigen Urlicht sei Ihnen
jederzeit zugesandt!
93 Briefe an Einen und Viele
ZWÖLFTER BRIEF
Daß auch Sie gegenüber dem, was ich
im Kapitel „Vom Tode” und an anderen
Stellen von den „Seelenkräften” sage,
das Empfinden haben, es müsse „ganz
unsagbar schwer” sein, diese Kräfte in sich
„zu einen”, ist mir nicht unerwartet ge‐
kommen. Keine andere Stelle in meinen
Büchern brachte mir im Laufe der Zeit eine
derartige Menge von Fragen und Bitten
um Erläuterung ins Haus.
.Aber die ganze Angst vor der ‒ zweifellos
auch wirklich vorhandenen ‒ Schwierig‐
keit der gegenüber den Seelenkräften be‐
stehenden Aufgabe, stellt sich immer wie‐
der als Folge einer falschen Vorstellung
von der Natur dieser Kräfte heraus. Anders
ist es auch bei Ihnen nicht.
.Bestimmt durch die vielen Anfragen,
habe ich alles, was ich über die geforderte
94 Briefe an Einen und Viele
Einung der Seelenkräfte an verschiedenen
Stellen darlegen mußte, seinerzeit noch‐
mals mit aller erdenklichen Selbstkritik
gegenüber der jeweils von mir gebrauch‐
ten Ausdrucksweise durchgesehen, konnte
aber, auch mit dem besten Willen, mir die
Schuld an der erzeugten irrigen Vorstellung
zuzuschreiben, kein Wort entdecken, das
ich hätte anders haben wollen.
.Ich war zwar genötigt, in meinen Erör‐
terungen darauf hinzuweisen, daß ein er‐
heblicher Grad von Selbstzucht dazu not‐
wendig ist, die Einung der Seelenkräfte
im eigenen Ich vorzunehmen, aber wenn
ich auch an der Ihnen ja bekannten Stelle
sagte, daß es leichter sei: „einen wütenden
Elefanten an einem dünnen Hanfseil durch
das Gedränge des Marktes zu führen, als
die vielen Willen der Seelen-Kräfte, die
eines Menschen Seele bilden, unter den
einen Willen dieses Menschen zu einen”,
95 Briefe an Einen und Viele
‒ wobei ich mich eines von meinem vor‐
maligen seelischen Erzieher, mir gegen‐
über oft gebrauchten, ihm anschaulich nahe‐
liegenden Bildes gern bediente, ‒ so zeigte
ich doch gerade an dieser Stelle, daß den
noch dieses „Wunder” geschehen kann, ja
geschehen muß, wenn eine Seele sich dazu
vorbereitet wissen will, ihren lebendigen
Gott in sich empfangen zu können.
.Es ist schwer, allein es ist nicht un
möglich!
.Es ist jedem normal empfindenden, wenn
auch nur recht primitiv gebildeten Men‐
schen möglich, die Schwierigkeiten dieser
Einung der Seelenkräfte in seinem Willen
zu überwinden, ‒ allein es ist so manchem
zweifellos hochgelehrten und allseitiger
Bildung frohen Menschen leider nicht mög‐
lich, in sich die zu solcher Einung unbe‐
dingt erforderliche Energie und Ausdauer
aufzubringen...
96 Briefe an Einen und Viele
.Vergessen Sie nicht, daß ich ja doch wahr‐
haftig nicht eine „Methode” lehre, ‒ son‐
dern daß es sich in meinem ganzen Schrift‐
werk um nüchterne Lehrbücher handelt,
die seelisch suchenden Menschen die Struk
tur des ewigen geistigen Lebens aufzeigen
und faßbar machen. Dazu mußte ich alles
zur Sprache bringen, was Erdenmenschen
innerhalb dieses geistig-substantiellen Le‐
bens jemals möglich wurde und so jeder‐
zeit möglich sein wird. Aber nicht jedes ist
jedem möglich! Jeder kann sich jedoch an‐
hand meiner Lehrtexte prüfen, was ihm
möglich ist. Gewiß sprechen dabei auch
psychophysische, angeborene Eignungen
mit, aber in erster Linie bestimmen Ener
gie und Ausdauer jedem, sein Ewiges Su‐
chenden, die ihm hier, während seines
Erdenlebens vorbehaltenen Möglichkeiten.
Wie man ein sehr erfolgreicher Kaufmann
werden kann, obwohl man von Natur aus
97 Briefe an Einen und Viele
keine besondere Begabung zum Rechnen
besaß, so kann man auch zu einem schon
sehr umfassenden Erleben seines Ewigen
in der Seele kommen, wenn man energisch
und ausdauernd auf dem zielbestimmten
Wege bleibt, auch wenn keinerlei angebo‐
rene Eignung das Voranschreiten auf diesem
Wege erleichtert. Allerdings wird man sein
ganzes ‒ inneres und äußeres ‒ Leben
dementsprechend einrichten müssen, wo‐
bei die Art, wie und wo ein Mensch seine
Freuden sucht, von größter Bedeutung ist,
weil nichts derart stark auf seine Seele zu‐
rückwirkt, wie der Charakter der Dinge,
Beschäftigungen und Geschehnisse, die ihm
Freude bereiten. ‒
.Nun aber endlich auch Einiges in bezug
auf die zu Anfang dieses Briefes erwähnte
falsche Vorstellung von der eigentlichen
Natur der Seelenkräfte.
.Ich gewahrte da im Laufe der Zeit eine
98 Briefe an Einen und Viele
seltsame Gleichförmigkeit in der Ausdeu‐
tung dieses Wortes. Immer wieder begeg‐
nete ich der Auffassung, als seien Seelen‐
kräfte etwas Ähnliches wie unsere erden‐
körperhaft gegebenen „Sinne” und etwa
so leicht und unmißverständlich zu unter‐
scheiden, wie der Gesichts-Sinn sich vom
Gehör- oder Geruchsinn unterscheidet. Das
ist aber dem tatsächlich Gegebenen keines‐
wegs entsprechend. Man kann zwar sagen,
daß unsere Eigenschaften durch unsere
Seelenkräfte hervorgerufen werden, ‒ also
die Arten unseres Empfindens mit Hilfe der
Sinne, und dieser selben Sinne Reaktions‐
bereitschaft, ‒ aber man kann die Seelen‐
kräfte leider nicht derart deutlich vonein‐
ander sondern, wie die Sinne. Eher dürfte
man schon die Seelenkräfte mit den Nerven
kräften des irdischen Körpers, ja mit dem
ganzen Nervensystem in Vergleich setzen,
denn so, wie jeder Nerv seine bestimmte
99 Briefe an Einen und Viele
Funktion hat und doch einer Unzahl anderer
Nerven nebengeordnet ist, so daß mannig‐
fache Wechselwirkungen entstehen, so hat
auch jede der Seelenkräfte ‒ auch wenn
wir sie nicht mit bestimmtem Einzelnamen
zu benennen wissen ‒ doch ihre geistig be‐
stimmte Funktion zu erfüllen und steht mit
allen anderen Seelenkräften, die zusammen
eine Seele ausmachen, in steter Wechsel‐
wirkung, ja wirkt unter gegebenen Sonder‐
umständen sogar weit über den Bereich der
sie umfassenden Seele hinaus.
.Die Einung der Seelenkräfte in einem,
sie alle bestimmenden Willen, wäre freilich
ein Ding der Unmöglichkeit, wenn als not‐
wendige Voraussetzung dazu die genaue
begriffliche Bestimmung jeder einzelnen
Seelenkraft gefordert werden müßte. Glück‐
licherweise aber stellt unser Ewiges nie
mals unerfüllbare Forderungen, und ge‐
rade hier würde ja auch die allergenaueste
100 Briefe an Einen und Viele
Kenntnis von der Besonderheit jeder ein‐
zelnen Seelenkraft nicht das mindeste im
Sinne des Notwendigen zuwege bringen,
denn die Einung der Seelenkräfte ist aus‐
schließlich eine Sache des Willens, der
ihnen allen, ohne Ausnahme, die Wirkungs‐
richtung gibt durch seine eigene klare Be‐
stimmtheit.
.Das Schwere dabei ist: ‒ den Willen selbst
unausgesetzt in der gleichen Richtung zu
erhalten, von der er auch nicht eine Se
kunde bewußterweise abweichen darf, was
immer in der Außenwelt ihm dazu Ver‐
suchung bieten möge.
.Es ist das Schwerste, was auf dem Wege
zu Gott bewältigt werden muß, aber man
kann dieses Schwere bewältigen, und Un‐
zähligen ist es im Verlaufe der irdischen
Menschheitsgeschichte gelungen. Mit die‐
ser Aufgabe identisch ist die Formung des
eigenen Ewigen, von der ich in einem
101 Briefe an Einen und Viele
früheren Briefe schrieb, daß ihr der ir‐
dische Körper Werkstatt sei... Man muß
solche Dinge aus verschiedenen Aspekten
heraus sehen lehren, wenn das Wirkliche,
das da in Worten Darstellung sucht, erkannt
werden soll.
.Hoffentlich wird Ihnen dieser Brief nun
Beruhigung bringen, und Ihre Besorgnisse
entkräften, daß mehr von Ihnen verlangt
werde, als Ihnen aus Ihren eigenen Kräf‐
ten möglich werden könne. Noch sind Sie
ja „in Ihrer Werkstatt” und mit Hilfe der
in ihr dargebotenen Werkzeuge imstande,
Ihre ewige Form selbst zu bestimmen! Nach‐
dem Sie diesen Erdenleib verlassen haben,
hört freilich jeder weitere von Ihnen selbst
bestimmte Einfluß auf Ihre Eigenform im
Ewigen auf. Aber wir wollen hoffen, daß
Sie sich bis dahin bereits gestaltet haben,
wie Sie gestaltet sein wollen!
.Seien Sie gesegnet aus ewigem Licht!
102 Briefe an Einen und Viele
DREIZEHNTER BRIEF
Als Goethe, nach dem Erscheinen der
Bühnenbearbeitung seines „Götz”, von be‐
freundeter Seite die wohlgemeinte Anre‐
gung erhielt, doch diese Umarbeitung sei‐
nes Werkes einem ihm bekannten älteren
adeligen Herrn zukommen zu lassen, der
schon am „Ur-Götz” seine helle Freude
bekundet, ja sich selbst gerne „in die Per‐
son des alten biedern Helden” ‒ wie Goe‐
the sagt ‒ „gewissermaßen... versetzt”
hatte, lehnte der Dichter diesen Wunsch
entschieden ab, mit der Begründung, daß
es dem Bewunderer der ersten Fassung
„gewiß nicht angenehm sein würde, nun‐
mehr manches ausgelassen, umgestellt, ver‐
ändert, ja in einem ganz andern Sinne be‐
handelt zu sehen.”
.An diese, in richtiger psychologisch be‐
stimmter Voraussicht erfolgte weise Wei‐
103 Briefe an Einen und Viele
gerung wurde ich unwillkürlich erinnert,
als ich jetzt Ihren mir so lieben Brief ge‐
lesen hatte. Ich wußte nicht, daß Ihnen
zuerst noch die frühere Ausgabe der ver‐
schiedenen von mir dann erweiterten und
dabei nochmals besonders überprüften Bü‐
cher in die Hand gekommen war, so daß
Sie erst neuerdings von den zuletzt ent‐
standenen endgültigen Ausgaben dieser
Lehrtexte hörten. Es läßt sich aber gut
nachfühlen, wie Sie sich „an Einzelnes in
den alten Fassungen derart gewöhnt”
hatten, daß Sie ihm „bei allem Einver‐
ständnis mit der nun um so vieles deut‐
licheren neuen Fassung”, doch sozusagen
nachtrauern. Auch mir war ja die erste Fas‐
sung lieb, sonst hätte ich sie doch niemals
in die Öffentlichkeit gegeben, obwohl der
ebenso liebenswürdige wie regsame Leiter
des großen Verlags, in dem diese ersten
Fassungen ehedem herauskamen, mir da‐
104 Briefe an Einen und Viele
mals die Manuskripte ‒ fast buchstäblich
zu verstehen: ‒ aus den Händen riß, so
daß mir meistens recht wenig Möglichkeit
zu letzter Kontrolle blieb. (Es war bei
einem der Bücher sogar das Kuriosum vor‐
gekommen, daß mir die Post das fertige
Buch ins Haus brachte, während ich kaum
den ersten Korrekturabzug erwartete!)
.Der Verzicht auf die vormalige Fassung
ist mir in jedem Einzelfall schon deshalb
schwer geworden, weil sie ja doch ebenso
wie das Verbleibende, der getreuen Befol‐
gung geistiger Lautwertgesetze zu danken
war. Wo ich trotzdem die alte Fassung zu‐
gunsten der nunmehr bestehenden einge‐
schmolzen habe, dort waren sehr triftige
Gründe bestimmend. Von vielen groben
Druckfehlern ganz abgesehen, ‒ die ja
durch die berichtete eilebestimmte Praxis
meinen Manuskripten gegenüber unver‐
meidlich waren, und an den bedeutsamsten
105 Briefe an Einen und Viele
Stellen den Text mitunter ins Gegenteil
verkehrten, ‒ war auch manche Sprach‐
form noch auszumerzen, die sich aus mei‐
ner stark durch mainfränkische Mundart be‐
stimmten Sprechweise zwar erklären ließ,
aber doch in einem Lehrbuch über geistige
Dinge störend wirken konnte, und weiter
war mir im Verlaufe brieflicher Mitteilun‐
gen, wie mündlicher Unterredungen auch
manche Textstelle bekannt geworden, die
im Interesse des gesicherten Verstehens
eine andere Fassung wünschbar erscheinen
ließ oder geradezu nach ihr verlangte.
.Daß derartiges Umarbeiten eines bereits
der Öffentlichkeit zugänglichen Buches
eine recht undankbare Sache ist, war mir
wahrhaftig bewußt, durfte mich aber von
dem was nötig war, nicht abhalten.
.Ich erlebte aber überraschenderweise die
Freude, eine große Menge dankerfüllter
Zuschriften zu erhalten, aus denen immer
106 Briefe an Einen und Viele
wieder aufs neue zu ersehen war, wie leb‐
haft und geradezu begeistert der Leserkreis
um diese Bücher die Neuformung begrüßte.
Da ich vorher die Schwierigkeit für den
Leser, sich an eine für ihn zuerst befrem‐
dend erscheinende Lesart zu gewöhnen,
wohl erwogen hatte, war mir solche Zu‐
stimmung sehr unverhofft gekommen. Sie
stehen mit Ihrer etwas elegischen Trauer
um gewisse, von mir nun formell anders
bearbeitete Textstellen, ziemlich allein,
denn ein einziger ähnlicher Hinweis den
ich erhielt, kam von einem Freunde, dessen
Muttersprache nicht das Deutsche ist, und
dem ich mit den Neubearbeitungen gewiß
keinen Dienst geleistet habe, da er nun not‐
wendigerweise an Worte gelangte, die das
von ihm ehedem in anderen Worten Erfaßte
offenbar zunächst eher störten.
.Ich hoffe aber, Sie werden sich dennoch
fortan nur an die Neubearbeitungen der hier
107 Briefe an Einen und Viele
in Betracht kommenden meiner Bücher hal‐
ten und dann immer deutlicher gewahren,
daß diese Bearbeitungen vorgenommen
werden mußten, und ganz gewiß nicht
Folge ästhetischer Laune oder aber nur der
Notwendigkeit des Neudrucks waren. Lehr‐
bücher wie ich sie schreibe, ändert man
wahrhaftig nicht, wenn die eigene Verant‐
wortung gegenüber den diese Bücher Ge‐
brauchenden eine neue Bearbeitung nicht
unerbittlich verlangt! Das Bessere ist frei‐
lich immer des Guten Feind. Sicher aber
darf uns das nicht verleiten, um des Guten
willen, das Bessere ungeschehen zu lassen.
.Der Himmel segne Sie!
108 Briefe an Einen und Viele
VIERZEHNTER BRIEF
Wenn Sie auf den Gedanken gekommen
sind, daß vielleicht manche Vorstellungen,
die in den alten polytheistischen Religionen
lebendig waren, ebenso aber auch die in
asiatischen Religionsformen und schließ‐
lich im byzantinischen und römischen
Christentum anzutreffenden Heiligenkulte
durch die Existenz der Leuchtenden des
Urlichtes „eine undiskutable Rechtferti‐
gung erfahren”, so sind Sie gewiß auf den
Spuren der Wahrheit.
.Um aber diese meine Zustimmung vor
möglicher Fehldeutung geschützt zu wis‐
sen, muß ich hier gleich sagen, daß Sie
freilich in argem Irrtum wären, wenn Sie
etwa annehmen wollten, alle die aus den
antiken Religionen wie aus den verschie‐
denen Heiligenkulten bekannten Gestalten
der Verehrung müßten in der Art, wie sie
109 Briefe an Einen und Viele
Legende und Andacht geformt haben und
fromme Vorstellung sie glaubt, auf be
stimmte Glieder der geistig gegebenen Ge‐
meinsamkeit der Leuchtenden des Urlich‐
tes zurückzuführen sein, ‒ oder die Hei‐
ligsprechungen der römischen Kirche seien
vielleicht in früherer Zeit aus geheimer
Kenntnis solcher Zusammenhänge er‐
folgt.
.Daß unter diesen Gestalten auch weib
lich gedachte sind, während sich der Leuch‐
tende des Urlichtes nur in einem männ‐
lichen Erdenkörper manifestieren kann,
bildet hingegen keinen Gegengrund zu
Ihrer Annahme, da ja jeder Leuchtende,
trotz ausgeprägter Männlichkeit seines ir‐
dischen, ihm nur für die kurze Lebens‐
epoche auf dieser Erde dienenden, verwes‐
lichen Körpers, im Geistigen doch auch
dem „Ewig Weiblichen” unlösbar vereint
ist, und daher seine Gestalt sowohl dem
110 Briefe an Einen und Viele
geistig Männlichen, wie dem geistig Weib‐
lichen Ausdruck geben könnte.
.Es gibt nun wohl im Vorstellungsschatz
alter polytheistischer Religionen ebenso
wie im Geltungsbereich der verschiedenen
Heiligenkulte gewiß Gestalten, die man
tatsächlich, und wenn sie auch die hiera‐
tische Auszeichnung einer Heiligsprechung
tragen mögen, auf Leuchtende des Urlich‐
tes zurückverfolgen dürfte, ohne dabei fehl‐
zugehen. Aber, wenn man eine solche „Ab‐
stammung” auch mit den besten Beweisen
sicher aufzeigen könnte, so wäre man doch
noch ziemlich weit von der Erkenntnis ent‐
fernt, zu der Ihre Vermutung hinweist: ‒ daß
nämlich jedem Anruf einer jeglichen aus
Legende und Verehrungsbedürfnis hervor‐
gegangenen Gestalt, mag sie als rein himm‐
lisch oder als vormaliger Erdenmensch
gedacht sein, die helfende geistige Kraft
und Segensbereitschaft der Leuchtenden
111 Briefe an Einen und Viele
des Urlichtes, als einzige hier in Betracht
kommende Wirklichkeit, antwortet.
.Wie die von dem Gläubigen um Hilfe an‐
gerufene Gestalt von ihm genannt wird,
und wie der Hilfesuchende die Befähigung
zur Hilfeleistung dabei sich erklären mag,
bleibt für den Vorgang der sich wirklich
abspielt, ganz belanglos. Dieser Vorgang
aber ist von dem das Ewige der seelisch
Suchenden erweckenden und ihre Seelen
leitenden Akt der Hilfe, den ich Ihnen vor
einiger Zeit unter gleichnismäßiger Erinne‐
rung an ein mit Elektroden übersätes Schalt‐
brett darstellte, nur sehr wenig verschieden,
und diese Verschiedenheit ist nur durch die
Aufnahmefähigkeit und Vorstellungswelt
der Anrufenden bestimmt.
.Man darf aber nicht außeracht lassen, daß
es in der seelischen Situation und bei dem
gegebenen Grade der Aufnahmefähigkeit
dieser Anrufenden, für viele, wenn nicht
112 Briefe an Einen und Viele
für alle, eine intensive Vertiefungsmög
lichkeit für ihren Anruf bedeutet, wenn sie
die Gestalt ihrer Verehrung mit möglichst
konkreten Zügen in ihrer Vorstellung aus‐
statten können. Wenn zum Beispiel von dem
großen Heiligen Paduas, den das Volk längst
„heiliggesprochen” hatte, bevor ihm diese
posthume Ehrung auch durch den Papst
zuteil wurde, gesagt wird:
        „Um was ihr fleht, gewähret euch
        Antonius, an Wundern reich.
        Not, Aussatz, und des Irrtums Nacht,
        Die Hölle selbst, weicht seiner Macht!
        Er stillt des Meers empörte Flut,
        Er schafft herbei verlornes Gut!
        Die harte Fessel bricht entzwei;
        Das kranke Glied wird schmerzenfrei!
        Wer zu ihm rufet, alt und jung,
        Fühlt Trost durch ihn und Linderung.”
‒ so liegt hier ein typisches Beispiel dafür
vor, wie kräftigend und sein Vertrauen för‐
113 Briefe an Einen und Viele
dernd die Vorstellung einer konkreten,
ihrem Verehrungskreis allgemein bekann‐
ten irdischen Persönlichkeit auf den An‐
rufenden zurückwirkt. (Sie werden viel‐
leicht wissen, daß der Paduaner Heilige
ein gewaltiger, hinreißender Prediger war,
‒ ein portugiesischer Mönch, der nach
vielen Predigtfahrten schließlich in Padua
starb, aber nichts zu tun hat mit dem viel
früheren Antonius dem Eremiten, mit dem
Wilhelm Busch, dem das Heiligenwesen
nicht gar zu vertraut gewesen war, in seiner
Satire ihn verwechselt hat.)
.Für den Anrufenden kommt es darauf an,
daß er auf seinen Anruf hin „Trost und
Linderung” empfindet, und wenn sein An‐
ruf ohne eine handfeste historisch geglaubte
Vorlage für die Vorstellung, die verlangte
Kraft nicht aufbringen würde, die ihn den
wirklich Helfenden „vernehmbar” machen
kann, dann muß man ihm wohl oder Übel
114 Briefe an Einen und Viele
den Gebrauch einer solchen Vorstellungs‐
krücke zugutehalten.
.Um sehr Ähnliches handelt es sich bei
den örtlich und zeitlich entstandenen
Abwandlungen einer Verehrungsgestalt.
Apollo, Aphrodite, Artemis, und so man‐
che andere, sehr plastisch gestaltet vorge‐
stellte „Gottheiten” der antiken Welt wur‐
den an verschiedenen Orten in nicht min‐
der verschiedener Auffassung verehrt, wie
heute noch die „Muttergottes”, an ihren
zahllosen Gnadenorten aus einem jeweils
anderen Aspekt gesehen, der Gläubigen
mannigfaches Vertrauen entzündet. Es ist
durchaus nicht so lächerlich, wie eine sich
hoch überlegen dünkende, aber nur das
Äußere und die Oberfläche beurteilende
Betrachtungsweise feststellen zu können
meint, wenn sie gewahrt, daß die Anrufen‐
den in verschiedenen Anliegen auch zu
verschiedenen Gnadenorten der Madonna
115 Briefe an Einen und Viele
wallfahren. Es handelt sich da nicht um
ein „götzendienerisches” plumpes Verviel
fältigen der geliebten und mit einer Über‐
fülle des Vertrauens bedachten Verehrungs‐
gestalt, ‒ die einst aus dem sublimen Kult
der „Hagia sophia”: der „Göttlichen Weis‐
heit”, als Inbegriff des „Ewig Weiblichen”
hervorgewachsen war und späterhin mit
Jesu Mutter identifiziert wurde, ‒ sondern
um ein psychologisch sehr differenziertes
Empfinden örtlicher, bildmäßiger und
legendärer Einflüsse auf die jeweils erreich‐
bare größte Intensität des Anrufs! ‒
.Auf diese Intensität aber kommt es
wesentlich an, wenn die Anrufung im ewi‐
gen substantiellen Geiste durch die „ver‐
nommen” werden soll, die hier zur Lenkung
der Kräfte geistiger Hilfe gesetzt sind, und
mit genügender Resonanz zu ihnen gelan‐
gende Anrufungen eines frommen Bud‐
dhisten des „großen Fahrzeuges” an eine
116 Briefe an Einen und Viele
seiner Verehrungsgestalten ebenso durch
Hilfe in dem jeweils geistesgesetzlich mög‐
lichen Grade beantworten, wie jeden aus
anderen religiösen Vorstellungsbereichen
an sie gelangenden Ruf.
.Ich bitte Sie inständig, diese hier heute
gegebenen Aufschlüsse sich ganz zu eigen
machen zu wollen. Aus eigenem Vermögen
werden Sie sich dann noch weit mehr er‐
schließen...
.Seien Sie gesegnet aus ewigem Licht!
117 Briefe an Einen und Viele
FÜNFZEHNTER BRIEF
Nicht zum erstenmal wird mir geschrie‐
ben, daß durch die von mir verkündeten
Lehren an sich schon so vieles, was früher
schwere Fragen hervorgerufen habe, plötz‐
lich klar und verständlich werde, oder, um
mit Ihren Worten zu reden, daß „alles ein
neues Gesicht” bekomme.
.Das ist jedoch kein Wunder, denn ich
erzähle ja nicht etwas, das ich mir lustig
ausgedacht habe oder in schwerem Nach‐
denken fand, sondern berichte von der ge‐
gebenen Struktur des Lebens im ewigen
Geiste, weil sie mir bekannt ist aus eigenem
lichten Erleben, und bekannter als alles,
was ich außer ihr jemals kennen lernte.
Da aber alles Leben aus dem ewigen, sub‐
stantiellen Geiste hervorgeht und das erden‐
menschliche Gehirnbewußtsein, bei aller
darüber verhängten Dunkelheit der Tier‐
118 Briefe an Einen und Viele
natur, dennoch Einflüsse aus dem ewigen
substantiellen Geiste fortwährend emp
fängt, ob es sie nun auffassen mag oder zu
dumpf ist dazu, so kann schon das bloße
Aufzeigen der Struktur ewigen Geistes‐
lebens zu einem ersten Erwachen führen,
wonach man die Welt freilich etwas anders
betrachten wird als früher.
.Ob einer damit schon alles hat, was er
sich vordem für seine Seele wünschte, oder
ob er sich nun erst recht veranlaßt sieht, in
die ihm von mir gezeigten weiteren Grade
des Erwachtseins vorzudringen, das wird
zwar von ihm allein abhängen ‒ aber
nicht überall von ihm abhängig sind die
irdischen Voraussetzungen zu solcher Ent‐
scheidung.
.Es mag bei manchen viel guter Wille vor‐
handen sein, seelisch wacher und wacher zu
werden, aber nicht die Kraft, alle irdischen
Hindernisse, die ein helleres Erwachen un‐
119 Briefe an Einen und Viele
möglich machen, aus dem Wege zu räumen.
Bei anderen mag diese Kraft schon da sein,
aber zugleich auch die Einsicht, daß an die
Beseitigung vorhandener Hindernisse nicht
gedacht werden darf, weil übernommene
Pflicht dadurch verletzt werden würde. Da
es aber nicht die Aufgabe des Menschen auf
der Erde ist, alles was er hier zu guter Er‐
füllung und zu einer wenigstens relativen
Vollendung zu bringen vermöchte, stehen
und liegen zu lassen um nur seiner Erkennt‐
nis zu leben, ‒ ja, da er, wenn er so han‐
deln wollte, sich ganz sicher um die Frucht
seines Mühens bringen würde, so fördert
sich der Suchende nur durch sein Genü
gen an dem, was ihm seine irdischen Um‐
stände gewähren. Alles Weiterverlangen,
über das hinaus, was die äußeren Um‐
stände zulassen, ist hingegen ein Daneben
langen und kann selbst das in äußerste
Gefahr bringen, was ganz gewiß erreichbar
120 Briefe an Einen und Viele
wäre, und Zuwachs geistigen Besitzes wer‐
den könnte.
.Es ist nicht viel anders, als mit den all‐
täglichen irdischen Dingen: ‒ Wer zuviel
verlangt, kommt zu nichts! Man soll nicht
zu algebraischen Aufgaben und zum Inte‐
gralrechnen aufsteigen wollen, wenn einem
das Einmaleins noch nicht gehört.
.Aber die Suchenden machen sich auch
viel zu phantastische Vorstellungen von
dem, was sie sich im Geistigen erreichbar
glauben, und keine Belehrung vermag sie
davon abzuhalten, statt dem Erleben gei
stigen Lebens, die wunderlichsten Sensa‐
tionen und Ausweitungen im erdenkörper
lich bedingten, mit all seinem Inhalt der‐
einst sein sicheres Ende findenden Erleben
zu suchen. Ein exaltiertes Übersteigern an
sich wertvoller, den Gehalt der Seele ge‐
wichtig bereichernder und auch im körper‐
lichen Sinne urgesunder Empfindungen zu
121 Briefe an Einen und Viele
bedenklichster Nervenerregung, bedeutet
den meisten schon „geistiges Erlebnis”.
Vielen gilt es noch immer als notwendiges
und darum höchst erstrebenswürdiges Ziel,
den Körper immer mehr zu „vergeistigen”,
was sie natürlich von einer Selbsttäuschung
zur anderen führen muß. Zur geistgesetz‐
lich geforderten Verkörperung des Geistes
gelangen die Allerwenigsten: ‒ jene allein,
die nur das Wirkliche wollen, aber keine
Sensationen.
Es kann der Wissensmensch
Im Irdischen nicht leicht begreifen:
Daß alles ewige Erleben
Selbst sich Inhalt ist, ‒
Daß der Erlebende im Ewigen
Kein „Anderes” erlebt,
Das ihm ‒ dem irdischen Erleben gleich ‒
Durch sein Erlebnis nahe käme.
122 Briefe an Einen und Viele
Im Ewigen
Bleibt irdische Erlebensweise
Schein und Schaum...
Erst ein sich selbst erschließendes Erleben
Öffnet ewigkeitsgezeugten „Raum”!
*
.Wenn Paulus, der Zeltmacher aus Tarsus,
‒ dieser von den Heutigen nur mit einer,
die größte Distanz schaffenden, scheuen
Ehrfurcht zu verstehende größte Gewalt
mensch unter jenen ersten Kleinasiaten,
die Jesu Lehre zu sich selber und zu eige‐
nem Erleben brachte, ‒ den Ausspruch
wagt: „Kein Auge hat es gesehen, kein
Ohr gehört, was Gott denen bereitet hat,
die ihn lieben!” ‒ so hat er damit aufs
deutlichste alles wirkliche geistige Erleben
umschrieben. Doch, man hat dieses Wort
eines Wissenden in der Ausdeutung ge‐
radezu umgekehrt, und ihm den törichten
Sinn unterlegt, als ob das den Gottliebenden
123 Briefe an Einen und Viele
Vorbehaltene ein wahrer Sinnenschmaus
wäre, von einer Art, die über alles der‐
gleichen im Irdischen Erlebbare weit hinauf
gesteigert sei. ‒ Aber: ‒
Im Lichte ist Erkenntnis und Erkanntes
Dem Erkennenden vereint,
Und was im Irdischen getrennt erscheint,
Ist nun nicht mehr entfernt
In Raum und Zeit,
Denn alles ist zugleich
Und gleichen Ortes,
In der Ewigkeit...
Wie diese Dinge sich geheim begeben,
Weiß keine Sprache faßbar darzustellen,
Denn niemals läßt in Worten sich erhellen,
Was nur erfahrbar wird als lichtes Leben!
*
.Ich brauche Ihnen wohl kaum zu sagen,
daß es mein, erdenmenschlich betrachtet,
124 Briefe an Einen und Viele
sehnlichster Wunsch wäre, Sie noch in Ihrem
Erdenleben zugleich in diesem lichten Le‐
ben des ewigen Geistes finden zu dürfen.
Meine immerdar segnende Hilfe wird Ihrem
Streben stets nahe sein!
125 Briefe an Einen und Viele
SECHZEHNTER BRIEF
Daß Ihnen die in meinem letzten Briefe
geschehene Erwähnung des Apostels Pau‐
lus ‒ der, wie Sie ja aus meinem Buche
„Das Geheimnis” wissen, als angenomme‐
ner, geistig dazu vorbestimmter Schüler
der Leuchtenden des Urlichtes, schließlich
zu Jesu wahrer Lehre gefunden hatte ‒
nun Anlaß zum Nachdenken über seine
vermeintlich ohne Vorbereitung erfolgte
„Bekehrung” werden könnte, hatte ich
nicht vermutet, da ich doch in dem ge‐
nannten Buche deutlich genug gezeigt zu
haben glaubte, wie die ganze Damaskus‐
erzählung nur als Symbol für ein weit we‐
niger effektvolles Geschehen aufgefaßt wer‐
den muß, wenn man den darin enthaltenen
Wahrheitskern herausschälen will.
.Ich muß Sie auf das dort Gesagte ver‐
weisen, wenn ich es nicht hier abschreiben
126 Briefe an Einen und Viele
soll. Um aber jedes Mißverstehen meiner
dort gegebenen Worte auszuschließen, sei
eindeutig gesagt, daß es sich bei jener an‐
scheinend so unvermittelt erfolgten Umge‐
staltung des fanatischen Feindes der Lehre
Jesu in ihren gewaltigsten Exegeten, um
eine, aus tiefstem Drang nach Wahrheit,
mit fast übermenschlicher Kraft seit langem
umkämpfte, und schließlich auch kontinu
ierlich, nach und nach erreichte Erwek‐
kung handelte, die freilich dann zu reso‐
lutem Erstreben einer Wiedergutmachung
des vordem ‒ wenn auch guten Glaubens ‒
Verschuldeten führen mußte.
.Wenn Ihnen jemand von urplötzlich er‐
folgten Erweckungen zu berichten hat, oder
wenn Sie in alten Erzählungen dergleichen
begegnen, tun Sie immer gut, vorsichtig zu
werden und sich zu fragen, ob es sich denn
da tatsächlich um ein Erleben geistiger
Wirklichkeit, oder nicht vielmehr um sehr
127 Briefe an Einen und Viele
Irdisches handle, wie etwa bei dem so viel‐
seitig gelehrten armen Swedenborg, der
gerne gut und viel aß, und dem, nach sei‐
nem eigenen Bericht, plötzlich beim Essen
ein an der Erde sitzender Mann erschien,
der ihm zurief: „Iß nicht so viel!” und
sich sodann in Nebel und Nichts auflöste,
aber leider Swedenborgs latente „mediale
Veranlagung „erweckt” hatte, die ihm
dann dazu dienen mußte, die seltsamsten,
mit krausen Wissenschaftstrümmern unter‐
mischten „himmlischen” Einsichten zu pro‐
duzieren und einen recht umfassenden ver‐
meintlichen „Geisterverkehr” zu pflegen.
.Die wirklichen Erweckungen zum Be‐
wußtwerden im ewigen substantiellen Gei‐
ste erfolgen niemals erschreckend, sondern
immer in sukzessiver Aufeinanderfolge
der Grade des Wachwerdens. Jeder Grad
muß sich aus dem vorhergehenden von
selbst ergeben. Sollte Ihnen jemals ‒ viel‐
128 Briefe an Einen und Viele
leicht infolge arger Überarbeitung oder
sonstiger Überlastungen Ihres Nervenhaus‐
haltes ‒ ein Geschehnis zustoßen, das Sie
bewegen könnte, es als „plötzliche Er‐
weckung” zu deuten, so gehen Sie baldigst
zum Arzt und möglichst zu einem, der
von gehirnlichen Dingen etwas versteht,
aber kein wissenschaftliches Steckenpferd
reitet!
.Die beste Sicherung gegen solchen Ge‐
hirnaufruhr, der durchaus nicht ungefähr‐
lich ist und zur schönsten Bewußtseinsspal
tung führen kann, ist das gelassene Abwei‐
sen jeglicher Ungeduld in bezug auf das
Erreichen der Erlebensfähigkeit für Gei‐
stiges. Wenn Sie dem nachleben, was in
meinen Lehrbüchern als generelle Anwei‐
sungen gegeben ist, und sich daneben auch
an das halten, was Ihnen als „besonders”
für Sie geschrieben erscheint, dann wird
Ihr allmähliches Erwachen von zentraler
129 Briefe an Einen und Viele
Stelle aus geleitet werden, und ganz so er‐
folgen, wie es für Sie am besten ist.
.Gehen Sie nur in aller Ruhe den Weg
weiter, den Sie in so erfreulicher Weise be‐
gonnen haben! Sie sind auf gut abgesteck‐
tem, sicher zum Ziele führenden Pfade und
kennen wahrhaftig durch meine Schriften
die Wegmarken auf die Sie von sich aus
zu achten haben. Überlassen Sie aber ganz
Ihrer inneren geistigen Führung, über
deren Wirkungsweise Sie ja nun gut unter‐
richtet sind, was Ihnen bei Ihrem zielge‐
wissen Voranschreiten bereits gezeigt wer‐
den kann, und was Sie erst späterhin er‐
warten dürfen! Und vergessen Sie nicht,
daß es sich ja auf Ihrem Pfade nicht etwa
um ein Erwerben irgendwelcher neuen
Wissensgüter handelt, sondern ‒ um ein
Werden, das in vielen Dingen des alltäg‐
lichen Lebens gewiß zu einem allmählich
immer deutlicher fühlbaren Anders-werden
130 Briefe an Einen und Viele
führt, aber gerade dadurch Sie nach und
nach so umwandelt, daß Sie schließlich
fähig werden, Ihr Ewiges bewußtseinsge‐
wiß in sich zu erleben.
.Alle hohe Hilfe sei mit Ihnen!
131 Briefe an Einen und Viele
SIEBZEHNTER BRIEF
Jakob Böhme war wahrhaftig nicht nur
„der Görlitzer Schuster”, wie ihn Leute
eines mehr als nur fragwürdigen Ge‐
schmacks zu bezeichnen lieben. Er war
auch nicht bloß „ein Schuhmacher, und
Poet dazu”. Alle diese platten Anspielun‐
gen auf sein, gewiß keine höhere Wissens‐
bildung voraussetzendes, brotbringendes
Gewerbe sind unzulässig. Was ich in der
kleinen Sammlung einzelner für sich be‐
stehender Abhandlungen, die ich unter
dem Titel „Wegweiser” herausgab, über
Jakob Böhme gesagt habe, will, wie Sie
richtig verstehen, darauf hinweisen, daß
Böhme angenommener, geistig berufener
Schüler der Leuchtenden des Urlichtes war.
Ihm selbst war dieser Umstand etwas so
Heiliges, daß er eine Wolke von Geheimnis
darüber zu legen wußte. So viel auch über
132 Briefe an Einen und Viele
Böhme geschrieben wurde, so war doch
niemand in der Lage, dieser geistigen Be‐
ziehung gerecht zu werden. Allerdings gibt
Jakob Böhme die Schilderungen seiner gei‐
stigen Erlebnisse und Einsichten auch in
so barocker und eigenwilliger Form, die
durch den falschen Gebrauch der ihm durch
seine gelehrten Freunde bekannt gewor‐
denen lateinischen und latinisierten Worte
nur noch krauser wird, daß man schon selbst
sehr genau um solches Erleben wissen muß,
um zu erkennen, was er jeweils darstellen
wollte.
.Anders aber steht es um die deutschen
Mystiker, wie den Frankfurter Deutsch‐
ordensherrn unbekannten Namens, der die
„Theologia deutsch” geschrieben hat, um
Tauler, Seuse, Meister Eckhart.
.Das waren grundgelehrte Männer, die
auf harten philosophischen Wegen zu ihren
Erkenntnissen kamen, die sie dann nur
133 Briefe an Einen und Viele
schwer vor der kirchlichen Verdammung
bewahren konnten.
.In der entgegengesetzten Situation war
der gelehrte Dichter Johann Scheffler (An‐
gelus Silesius), der sich als Protestant zu‐
letzt in den Katholizismus rettete, indem
er sich jegliche katholische Lehre in ein
poetisch gesehenes Symbol umdeutete.
.Eine für mein Gefühl ganz für sich zu
betrachtende Erscheinung ist der im tief‐
sten Sinne „fromme” Kanonikus Thomas
a Kempis, der die von so viel ruhegeben‐
der Gütigkeit erfüllten, freilich ganz ka‐
tholisch gemeinten vier Bücher von der
Nachfolge Christi geschrieben hat.
.Aber alle diese Männer standen keines‐
wegs in einem bewußten Verhältnis zu den
Leuchtenden des Urlichtes, wenn sich auch
bei ihnen allen einzelne Aussprüche finden
lassen, durch die man versucht werden
könnte, doch anzunehmen, daß wenigstens
134 Briefe an Einen und Viele
die verborgene Existenz der Leuchtenden
des Urlichtes in den Kreisen mittelalter‐
licher deutscher Mystiker geahnt wurde.
.Daß aber diese, ohne es zu wissen, so
manche geistige Hilfe und Leitung von der
vielleicht geahnten Quelle her empfingen,
ergibt sich schon aus dem, was ich Ihnen
seinerzeit über die Natur dieser Geisthilfe
mitteilte, ist aber auch aus den Predigten
und Schriften Taulers, Seuses und Meister
Eckharts deutlich zu ersehen, sobald man
gewissen Bekenntnissen und Lehrworten
das ihnen oft recht schlecht passende kirch‐
liche Gewand behutsam von den Schultern
nimmt, auf die es gelegt worden war, um die
also Lehrenden vor dem Scheiterhaufen zu
schützen. Auch bei Thomas a Kempis und
dem in erster Linie als mystisch empfinden‐
den Dichter zu betrachtenden Angelus Sile‐
sius zeigt sich der geistige Einfluß der Leuch‐
tenden des Urlichtes an vielen Stellen.
135 Briefe an Einen und Viele
.Bei aller Verehrung aber, die ich für diese
alten deutschen mystischen Theologen und
Philosophen hege, ‒ bei aller Liebe die ich
dem wundersam stillen und feinen Thomas
a Kempis entgegenbringe, und bei aller
Freude an dem prachtvoll knappen, auch
manchmal gar streitbaren Angelus Silesius,
muß ich Ihnen aber einstweilen doch raten,
vorläufig noch mit dem Studium irgend‐
welcher mystischen Schriften solange zuzu‐
warten, bis Sie fühlen, Ihres eigenen Weges
so sicher zu sein, daß auch gelegentliches
Begehen von Seitenwegen Sie nicht mehr
in der Richtung auf Ihr Ziel irremachen
kann.
.Dieser Rat soll Sie aber nur vor allzulan‐
gen Aufenthalten auf Ihrem Wege bewah‐
ren, denn während der Zeit, die Sie benö‐
tigen würden, sich ein Urteil zu bilden, das
Ihnen später ohnedies ganz von selbst zu‐
fällt, können Sie schon wieder ein gutes
136 Briefe an Einen und Viele
Stück näher zu Ihrem Ziele gelangt sein.
Vergessen Sie auch nicht, daß es sich bei den
Schriften aller der genannten Männer ‒
mit alleiniger Ausnahme Jakob Böhmes
um in hartem Ringen mit sich selbst er‐
dachte und erglaubte, wenn auch zuweilen
bis zum inbrünstigen Gefühls-Erlebnis ver‐
dichtete Ansichten über die Welten des
ewigen Geistes handelt, während Sie das
fast unbegreifliche Glück genießen, von An‐
fang an auf den Weg in die ewige Wirklich
keit geführt worden zu sein...
.Seien Sie mit allem Segen gesegnet, der
mir anvertraut ist als durch meinen Willen
lenksame, geistige reale Kraft!
137 Briefe an Einen und Viele
ACHTZEHNTER BRIEF
Menschen, die in ihrem besonderen Le‐
bensgebiet derart „daheim” sind, daß ihnen
alles Große und Kleine, was von diesem
Gebiet ihrer Verankerung umfaßt wird,
bis ins Letzte vertraut ist, werden zuweilen
plötzlich gewahr, daß sie unwillkürlich
gleiche Vertrautheit mit allem ihnen so
Verständlichen auch bei anderen Menschen
voraussetzen, denen dieses Lebensgebiet
entweder gänzlich fremd oder doch neu
ist. Recht ähnlich geht es auch mir, wenn
ich von den Dingen der Ewigkeit: ‒ den
Dingen des ewigen substantiellen Geistes,
‒ in Worten Darstellung formen soll. Es
bedarf da gar oft erst eines immer wie‐
derholten Wägens und Wertens der ge‐
brauchten Worte nach allen Seiten hin, bis
ich dann doch zuletzt bemerke, daß eine
Redewendung der Gefahr nahe ist, miß‐
138 Briefe an Einen und Viele
verständlich ausgelegt werden zu können,
oder daß Bezeichnungen, die ich synony
misch verwende, der Meinung Nahrung
geben, ich wolle sie in verschiedenem Sinne
aufgefaßt wissen. Da ich der Struktur des
Lebens im ewigen Geiste durch mein eige‐
nes ewiges Leben in ganz selbstverständ‐
licher Weise bewußt bin, kann mir meine
Darstellungsweise unmißdeutbar erschie‐
nen sein, bis ich dann eines Tages durch
eine an mich gerichtete Frage mit einigem
Entsetzen entdecken muß, daß man mich
dennoch mißzuverstehen verstand.
.Aber Ihre, den Begriff „Gott” betreffende
Frage in Ihrem kürzlich an mich gelangten
Briefe ist anders zu nehmen. Während mir
sonst, wie ich eben darlegte, die Neigung
begegnete, von mir synonym gebrauchte
Worte als Bezeichnungen für voneinander
verschiedene Begriffe aufzufassen, gewahre
ich Sie vielmehr bei der Meinung, von mir
139 Briefe an Einen und Viele
für zu unterscheidende Begriffe gebrauchte
Worte seien wohl als Synonyme anzuspre‐
chen. Das ist aber hier nicht richtig, wenn
ich auch gut begreife, was Sie zu Ihrer
Meinung bewogen hat.
.Es handelt sich hier um Gegebenheiten
innerhalb der Struktur geistigen Lebens,
die dem irdischen Verstande kaum faßbar
und in Worten fast nicht unmißverständlich
darzustellen sind, wobei nach dem Irrtum
geradezu gerufen wird durch das, was als
herkömmliche Gottesvorstellung in den
Gehirnen aufbewahrt, und sogleich als das
Gemeinte betrachtet wird, auch wenn in
einem davon recht verschiedenen Sinne von
„Gott” zu sprechen ist, ‒ nicht als einem
Postulat des Glaubens, sondern als dem
innersten Selbstbewußtsein aller ewigen
geistigen Wirklichkeit. ‒ Nur so will ich
das Wort „Gott” erfaßt wissen, wo immer
es von mir gebraucht wird. Aber es ist
140 Briefe an Einen und Viele
hier nicht etwa an ein verstandesmäßiges
Eigenbewußtsein zu denken, sondern die‐
ses innerste Bewußtsein, das sich immer‐
fort aus dem ewigen Geiste aufs neue er‐
zeugt, ‒ diese, dem unermeßlichen All des
einzigen Seienden entströmende sublimste
Selbstüberlichtung und innerste Essenz des
ewigen substantiellen Geistes, ‒ ist zu‐
gleich ewig wirkender Wille und uner‐
schöpfbare Kraft, in Maß und Milde allein
sich offenbarend, bewogen, einzig durch
eigenes innewohnendes Gesetz.
Suchet nicht Gottheit im Grauen der
        Gründe
Drohender Tiefe und schauriger Schründe!
Suchet nicht Gott im brüllenden Brausen
Brandender Meere, wenn Sturmwinde
        hausen!
Suchet nicht Gott in den Donnergewittern,
Denen die Felsen der Erde erzittern!
141 Briefe an Einen und Viele
Suchet ihn nicht über Welten und Sonnen, ‒
Nicht im Genießen von maßlosen Wonnen!
Wollt ihr einst Gott in euch selber finden,
Müßt ihr die Furcht wie die Gier über‐
        winden!
Träumt nicht von euch unerreichbaren
        Fernen: ‒
Gott ist euch näher als jeglichen Sternen!
*
Alles ist in Gott, und Gott ist in Allem!
Primär in seinen ihm eigenen Wurzelbe‐
zirken: „Ursein”, „Urlicht” und „Urwort”,
wie in seiner Selbstgestaltung, dem „Va‐
ter” ‒ sekundär in allem unsichtbaren,
wie in allem sichtbaren Leben.
.Das darf aber nicht etwa so verstanden
werden, als predigte ich da eine Art „Pan‐
theismus”, und ebensowenig ist es mein
Wille, das was Gott ist, als „Person” er‐
scheinen zu lassen. Auch „Ursein”, „Ur‐
142 Briefe an Einen und Viele
licht” und „Urwort” sind wahrhaftig nicht
„Personen”, wie etwa im christlichen Tri‐
nitätsdogma: Vater, Sohn und Geist! Und
was den Leuchtenden des Urlichtes „der
Vater” ist, darf hinwiederum nicht im
Sinne dieses Dogmas aufgefaßt werden.
.Wir kennen und lehren die Wirklichkeit,
nicht irgendeine Glaubenslehre!
.Im Wirklichen aber: ‒ in der Struktur
des geistigen Lebens, besteht ein Mono‐
theismus, der auch polytheistische Ausle‐
gungen verträgt, ohne dadurch zu sich selbst
in ein Mißverhältnis gebracht werden zu
können.
.Der Gott der Wirklichkeit ist nicht, wie
gesagt wird: „das höchste Wesen”! ‒ Das
ist vielmehr ‒ der Vater, der sich selbst
in die Formen der zwölf Väter ausstrahlt,
die seine Wirkungsaspekte sind. Gott aber
ist nicht „Wesen”, sondern: ‒ hier in be‐
sonderem, einmaligen Sinne gemeint, ‒
143 Briefe an Einen und Viele
die Wesenheit in allem, was wesenhaft
wirklich ist. So im „Ursein”, „Urlicht”
und „Urwort”! So im „Vater” in allen
seinen Aspekten!
.Der Vater aber ist ‒ „Mensch” im Ur‐
sein, im Urlicht, im Urwort: ‒ der sich
selber ewig zeugende Ur-Geistesmensch
und das Maß aller Dinge die aus ihm Ge‐
staltung erlangen, daher auch des Ewigen
im Erdenmenschen! ‒
.Gott ist ebenso absoluterweise Gott in
den „Vätern”: ‒ der Offenbarungsform
des Vaters, ‒ wie im Ursein, Urlicht und
Urwort. Für sich selber aber ist das, was
Gott ist, auch nur in sich selber „Gott”: ‒
die Wesenheit an sich selbst, ‒ aber von
allem anderen in ihm Seienden im ewigen,
substantiellen geistigen Leben aus „ge‐
sehen”, ist Gott Wesenheit allen Wesens!
‒ Und „Wesen” ist Wirklichkeit aus „We‐
senheit”!
144 Briefe an Einen und Viele
.Ich stelle aber hier kein „Nebeneinan‐
der” oder „Übereinander”, sondern das
„Ineinander” der Struktur ewigen, geistig‐
substantiellen Lebens dar, soweit ich es
durch Worte irdischer Sprache vermag.
.Man sage nicht, daß die Darbildung des
ewigen Wirklichen für den Menschen auf die‐
ser Erde praktisch zwecklos sei, da dieser
hier für ganz andere und ihn leiblich näher
angehende Fragen nach Lösung zu suchen
habe! Kein Mensch auf Erden kann vielmehr
die von jedem bewußt oder unbewußt er‐
sehnte innere Ruhe und Erlösung seiner
Seele finden, solange sein Vorstellungs‐
haushalt noch nicht gänzlich konform mit
der Struktur ewigen geistigen Lebens ge‐
ordnet ist.
.Sie sehen, daß Ihre Frage bei mir gewiß
nicht in die Gefahr geraten konnte, für
„unangebracht und überflüssig” gehalten
zu werden, wie Sie meinten, denn die ge‐
145 Briefe an Einen und Viele
ringste von der Wirklichkeit abweichende
Vorstellung von der Struktur des ewigen
geistigen Lebens läßt Sie nicht zu der Auf‐
nahmefähigkeit für Geistiges kommen, die
Sie doch zu erlangen suchen.
.Bleiben Sie im Segen des Lichtes!
146 Briefe an Einen und Viele
NEUNZEHNTER BRIEF
Sie irren, wenn Sie glauben, ich könnte
am Ende doch „ungeduldig” werden, weil
Sie nun „schon wieder zu einer Frage ge‐
zwungen” sind. Ich kann es vielmehr recht
gut nachfühlen, daß Sie den Gebrauch des
Wortes „Wesen” bisher von sich aus an‐
ders gewohnt waren, und darum beun‐
ruhigt sind, wenn Sie die bei mir an an‐
deren Orten auch synonymisch gemeinten
Worte „Wesen” und „Wesenheit” auch
als zwei verschiedener Begriffe Zeichen ge‐
braucht sehen.
.Nun will ich gewiß die Dinge, die ich
darstelle, möglichst konturklar zur Dar‐
stellung bringen, aber gerade hier sehe ich
mir sprachlich keine andere Möglichkeit
gegeben, das, was ich sagen will, zu sagen,
als indem ich verlange, daß man den Be‐
griff „Wesenheit” für das Wesen-Gebende
147 Briefe an Einen und Viele
gelten läßt. Das höchsteWesen” aber ist
dadurch „Wesen”, daß es in derWesen
heitist wie sie in ihm, und wenn ich
darstellen will, was ich darzustellen habe,
müssen mir beide Worte als Bestimmungen
zur Verfügung stehen. Nicht anders, als
wenn ich einem Menschen, der nach hun‐
dert Jahren wieder irdisch auferstanden
wäre, nun klarmachen sollte, daß ein Elek‐
tromotor sich nur dann bewegt, wenn er
unter Elektrizität steht. Auch da müßten
mir die Worte für Bewegtes und für das
Bewegende, zu Gebote stehen. Dieser Ver‐
gleich hinkt jedoch beträchtlich, denn mir
ist „Wesenheit” nicht bloß das Bewegende
des Wesens, sondern vielmehr in erster
Hinsicht des Wesens Allerinnerstes, ‒ ver‐
gleichend gesagt: sein lebendiger „Kern”!
.Aber ich bin weit davon entfernt, hier
ein Spiel mit Worten treiben, oder darum
streiten zu wollen, welche konventionelle
148 Briefe an Einen und Viele
begriffliche Bedeutung den hier in Rede
stehenden Worten zugemessen werden darf.
Ich gestehe Ihnen ohne weiteres das Recht
zu, für das, was ich die „Wesenheit” nenne,
durch die allein „Wesen” möglich ist, ein
anderes, zu Ihnen eindringlicher sprechen‐
des Wort zu setzen.
.Einzig „wesentlich” ist ja nur, daß Sie
nachfühlend erfassen, was ich meine, denn
das Gemeinte ist so ganz und gar allen Ge‐
dankenbereichen entrückt, daß es nie und
nimmer zu erdenken wäre, auch wenn die
scharflinigsten Gedankenbilder es zu ge‐
danklicher Gestalt zu bringen suchen woll‐
ten.
.Aber die Mühe, das von mir hier Ge‐
meinte im Nachfühlen fassen zu lernen,
kann ich Ihnen allerdings nicht ersparen,
wenn ich Sie geschützt sehen will vor Irr‐
tum gegenüber dem, was ich von der „Ge‐
burt” Ihres „lebendigen Gottes” in Ihrer
149 Briefe an Einen und Viele
ewigen Menschenseele sage, denn eben hier
handelt es sich um nichts anderes, als um
die von mir gemeinte „Wesenheit”, die
auch dem individuellen Erdenmenschen in
der, seiner Individualität auf das genaueste
entsprechenden Form bewußt werden kann
und durch die allein er wesenhaft zu wer‐
den vermag in Ewigkeit wie Zeit. ‒
.Der „Vaterist nur den Leuchtenden
des Urlichtes, die seine eigene Zeugung
durch seine Offenbarungsform: ‒ die
zwölf „Väter” ‒ darstellen, bewußtseins
zugänglich, und zwar jedem einzelnen
Leuchtenden in der Form dessen unter
den zwölf mit dem Vater alle identischen
Vätern, der diesen individuellen Leuchten‐
den individuell im Urwort „zeugte”. Der
lebendige Gott” aber, von dem ich als
von der einzigen, allen Erdenmenschen
praktisch erreichbaren Selbstoffenbarung
Gottes spreche, kann jedem Menschen auf
150 Briefe an Einen und Viele
Erden, ‒ soweit dieser selbst sich dazu
vorzubereiten weiß, ‒ seelisch erlebbar
werden, was ich mit einer „Geburt” Gottes
in der Seele vergleiche.
.Meine Bücher sind ja nur deshalb ge‐
schrieben, damit durch sie die hier er‐
wähnte unumgänglich notwendige Vor‐
bereitung in die rechte Bahn gelenkt
werde. Da aber fast alle Menschen ‒ mit
verschwindenden Ausnahmen ‒ so tief
in ihrem Verstandesbewußten versunken
sind, daß auch der Dumpfeste, der nur mit
ein paar kläglichen Gedanken sich beschei‐
det, dennoch sein Leben, statt in seiner
Wirklichkeit, nur „in Gedanken” lebt, und
dieses In-Gedanken-leben ebenso für sein
wirkliches Leben hält, wie der an Gedanken
Reichste, so war es nötig, aufzuzeigen, wo
die für das Erleben ihres lebendigen Gottes
der Seele gesetzte Vorbereitung innerhalb
der Struktur des ewigen substantiellen gei‐
151 Briefe an Einen und Viele
stigen Lebens ihren Platz hat. Das konnte
aber nicht anders geschehen, als nur durch
eine Darstellung alles dessen, was vom ewi‐
gen Leben des substantiellen Geistes um‐
faßt wird, und ich durfte nichts, was irgend‐
wie Klärung zu bringen geeignet war, nur
deshalb unerwähnt lassen, weil es nicht für
jeden erlebbar wird. Ich mußte sehr vieles
bringen, wenn ich bewirken wollte, daß
sich doch mancher zu dem Wenigen ent‐
schließen würde, was meine Bücher von
jedem, den sie erreichen, als Mindestes
erwarten.
.Empfangen Sie meinen Segen und ler‐
nen Sie immer mehr erkennen, daß jede
Bezeichnung geistiger Dinge mit der Un‐
möglichkeit rechnen muß, wirkliches gei‐
stiges Leben durch ein Wort der Sprache
zu umschließen!
152 Briefe an Einen und Viele
ZWANZIGSTER BRIEF
So fraglos bereit Sie mich immer finden
werden, wo ich Ihnen oder Anderen helfen
kann auf dem Wege zum Bewußtwerden
im ewigen Geiste, ‒ so freudig ich alles
aufbiete, um Ihnen und Anderen die Vor‐
bereitungen treffen zu helfen, die unum‐
gänglich von Ihnen getroffen werden müs‐
sen, wenn Ihr lebendiger Gott sich leibhaf‐
tig und Ihnen bewußt in Ihrer Seele „ge‐
bären” können soll, so sehr muß ich doch
darum bitten, daß man niemals versuche,
mich in Gebiete nötigen zu wollen, deren
‒ ach so sehr ‒ zeitbedingte Probleme ich
mir kategorisch fernzuhalten gezwungen
bin, wenn ich dem mir allein Möglichen
geistig gerecht werden soll.
Ich muß mir meine Zelle gut verwahren,
Vor all dem Lärm um nichtiges Geschehen,
Vor allem großgebärdigen Gebaren
153 Briefe an Einen und Viele
Um Dinge, die sich wandeln,
Wie der Winde Wehen.
Ich kann unmöglich allen Rede stehen,
Und allzugleich, in geistigem Geschehen,
Die Bande lösen, die doch alle binden,
Und die gelöst sein müssen,
Soll sich Irdisches
Im Lichte finden.
*
.Es ist wahrhaftig keine Gleichgültigkeit
gegenüber den alltäglichen Erdensorgen
meiner Mitmenschen, die zu diesem, streng
von mir geforderten, Abweisen aller dem
ewigen Geistigen fernen Fragen führt! Es
gibt Menschen genug, die sich der Lösung
solcher Fragen widmen, aber es gibt in der
Gegenwart und bis auf sehr ferne Erden‐
zukunft hin keinen einzigen Menschen
außer mir, der das Werk rein geistiger Se‐
gens-Hilfe an Allen, die sie zu empfangen
vermögen, zugleich mit der mir obliegenden
154 Briefe an Einen und Viele
wortgeformten Kündung aus einem irdi‐
schen Sprachbereich her, geistig gültig
durchzuführen vermöchte. So erfordert
schon eine bloße Ökonomie der Nutzung
erdmenschlicher Möglichkeiten, daß ich
mich nur da ausgebe, wo singuläre Leistung
für meine Mitmenschen hier auf Erden mir
allein ermöglicht ist, wo aber jeder andere
heutige Mensch seine Kräfte nutzlos ein‐
setzen würde, wollte er, etwa vom Irdischen
her, den törichten Versuch unternehmen,
den Dingen vorzustehen, die ich nur darum
zu leiten vermag, weil ich sie aus meinem
ewigen Sein beherrsche.
.Ich will nicht Worte gebrauchen, die im
Laufe zweier Jahrtausende den sie ver‐
ehrenden Menschen auf eine einmalige
Weise heilig wurden, aber ich muß hier
dennoch auf meine ewige geistige Her‐
kunft hinweisen, in der ich unlösbar im
Vater” und mit ihm Eines bin in dem
155 Briefe an Einen und Viele
individuell bestimmten, der zwölf „Väter”,
durch den mich der Vater geistig im Ur‐
licht „zeugte”. So sind es auch nur die
Dinge des Vaters, denen ich heute, ‒ hier
nun dem Irdischen in dem verbunden,
der sich mir, vordem die Erde ward, im
Geiste dargeboten hatte, ‒ Ausdruck zu
schaffen trachte. Mein irdisches Dasein be‐
sitzt seinen Sinn nur in dem vor Ewig‐
keiten zugeschworenen Dienste, den es
mir, dem Geistgezeugten, heute darzu‐
bieten hat in seiner ihm bestimmten Er‐
denzeit.
.Verwunderlich wäre wahrhaftig, wenn
es auch Anderem dienen könnte!
.Wie die Dinge zwischen Geburt und Grab
so gestaltet und gelebt werden können, daß
die durch sie entstehenden Wirkungen ins
Unsichtbare und bis in die Welten des ewi‐
gen Geistes hinein, der Seele zu kraftvoller
Förderung werden, habe ich an jeder Stelle
156 Briefe an Einen und Viele
meiner Schriften gezeigt, an der ich diese
Dinge erörtere.
.Wer sich Rat holen will, muß ihn darum
in diesen Schriften suchen, wo er ihn leicht
finden kann, wenn er das dort Gesagte auf
den besonderen Fall anwendet, der ihn be‐
ratungsbedürftig findet, auch wenn sein
Einzelfall dabei erst aus der Verstrickung
der zeitlichen Umstände gelöst werden
muß, sollen die auf ihn beziehbaren Worte
erkennbar werden.
.So kann ich auch Sie nur darum bitten,
das, was ich geschrieben habe, zu befragen,
denn es würde der Struktur des ewigen
geistigen Lebens, ‒ in die ich eingeordnet
bin und aus der ich zu wirken habe, was
meines Werkes ist, ‒ diametral entgegen
handeln heißen, wenn ich mich in die ir‐
disch gegebenen, wechselreichen Probleme
und Fragen einmischen wollte, die eines
jeden Einzelnen selbst zu verantwortende
157 Briefe an Einen und Viele
und nur von ihm allein zu entscheidende
Angelegenheiten sind.
.Sie werden verstehen, daß es mir, wenn
ich ohne entgegenstehende Verpflichtung
zu urteilen berechtigt wäre, wahrhaftig
leicht fallen würde, Ihnen eine Antwort zu
formulieren, der Sie auch dann genötigt
wären, zuzustimmen, wenn sie Ihrer eige‐
nen Meinung recht fern stünde. Aber ge‐
rade solche Nötigung, die unwillkürlich
entstünde und unvermeidbar wäre, ver‐
bietet mir verpflichtendes geistiges Ge‐
setz. ‒
.Mögen Sie im Segen des Lichtes das für
Sie Richtige in sich selber finden!
158 Briefe an Einen und Viele
EINUNDZWANZIGSTER BRIEF
Wenn Sie den „Vater”, ‒ der Ihnen ja
nicht bewußtseins-zugänglich ist, obwohl
auch Sie aus ihm leben, ‒ als „sich in zwölf
Selbstreflexionen erlebende Einheit” auf‐
fassen wollen, so entfernen Sie sich durch‐
aus nicht von der Wirklichkeit. Nur müssen
Sie dann die alle zwölf „Selbstreflexionen”
umfassende zwölfeigene Einheit als ein
Dreizehntes hinzufügen, wie es wohlweis‐
licher Gebrauch „Wissender” der Vorzeit
war. Es ist mit Sicherheit zu sagen, daß
die in den Evangelien berichtete Zwölfzahl
der Jünger, mit Jesus als dem sie alle gei‐
stig umfassenden Dreizehnten, hierher‐
gehört, während ich gerne der Archäologie
das Urteil darüber anheimstelle, ob nicht
auch die „Zwölf Götter” der Ägypter, der
Griechen und der frühesten Einwohner
Italiens, wie der späteren Römer, in glei‐
159 Briefe an Einen und Viele
chem Sinne aufzufassen sind, wobei es
durchaus belanglos ist ‒ wie ich ja schon
in einem früheren Briefe bei anderem An‐
laß erklärte ‒ daß unter diesen „Zwölf
Göttern” auch weiblich gedachte zu finden
sind. Wenn ich auch für manche, meinem
geistigen Erfahren bedeutsame äußere Be‐
richte der archäologischen Wissenschaft
dankvoll verpflichtet bin, so weiß ich doch
leider nicht, ob Anhaltspunkte gegeben
sind, eine alle „Zwölf Götter” umfassende
oder ihnen allen innewohnende Gottgestalt
in geglaubter Beziehung zu ihnen zu ver‐
muten. Auf diese dreizehnte Gestalt aber
käme es an, wenn man ebenso mit aller
Sicherheit den „Zwölf Götter”-Kultus auf
den ewigen „Vater” bezogen sehen sollte.
Was aber den Kreis der „Zwölf” um Jesus
angeht, von denen jeder Zugehörende in
den Berichten namentlich aufgeführt ist,
so taste ich nicht etwa die Geschichtlichkeit
160 Briefe an Einen und Viele
dieser Männer an. Man hätte nur auch we
niger oder ebenso mehr der Schüler Jesu
in so besonders betonter Weise nennen
können, wenn hier nicht eine Parallele zu
dem Vater-Mysterium hätte sichtbar wer‐
den sollen, das ja zu Jesu Zeit nicht nur
einzelnen „Wissenden”, sondern ganzen
Mysterienvereinen bekannt war, aus denen
später viele Anhänger der Lehre Jesu
kamen.
.Ihre Frage zeigt Sie mir aber in einer
gewissen Bereitschaft, sich unnützen Grü
beleien zu überlassen, was keinesfalls för‐
dernd für Sie wäre. ‒
.So bedeutungsvoll es auch für Sie ist,
zu klarer richtiger Gottesvorstellung zu ge‐
langen, so wenig kommt es darauf an, die
auf Ihrem Wege Ihnen erscheinenden neuen
Einsichten, und die sich aus ihnen ergeben‐
den Begriffe auf alle möglichen Auffassungs‐
arten hin zu untersuchen. Wenn die Turm‐
161 Briefe an Einen und Viele
uhr „Sieben” schlägt, so genügt es durch‐
aus, daß Ihnen diese Stundenzahl bewußt
wird, und dabei bleibt es sich gleich, ob
Sie nun dahinter gekommen sind, daß man
den in genau gleichen Intervallen ertönen‐
den Schlägen unwillkürlich einen von aller‐
lei Körperlichem bestimmten Rhythmus
unterlegt, der ebensogut:
1234567 lauten kann,
wie auch: 1234567,lauten kann,
oder: 1234567.lauten kann,
.Meldet sich in Ihrem Gehirn plötzlich
der Gedanke, daß man einer geistigen Tat‐
sache, von der Sie durch mich gehört ha‐
ben, auch auf irgendeine andere Art ge‐
dankliche Darstellung zu geben versuchen
könne, so folgen Sie ihm ruhig, aber neh‐
men Sie das Resultat als etwas ganz Selbst‐
verständliches hin, ohne sich in eine Art
Entdecker-Erregung bringen zu lassen, die
162 Briefe an Einen und Viele
Ihnen nur die Perspektive verdirbt, aus
der Sie das, was Ihnen bereits klar wurde,
sehen und fassen lernten. So viel Blick‐
punkte, so viel Auffassungen sind möglich,
und alle können richtig sein, wenn sie nur
alle das klare, unverzeichnete Bild dessen
ergeben, was aufgefaßt werden soll!
.Und das Resultat Ihres Mühens allein
gibt diesem Mühen die Rechtfertigung,
einerlei, ob Sie die Schranktüre öffnen,
indem Sie den Schlüssel krampfhaft in sei‐
ner Lage im Schloß erhalten und durch
zwei Männer den Schrank um die Schlüssel‐
achse drehen lassen, oder ob Sie die etwas
einfachere Methode wählen, den Schlüssel
ins Schloß zu stecken und umzudrehen,
während Sie den Schrank ruhig stehen
lassen, wo er steht. ‒
.So ist auch die gehirnliche Konzentration
auf ein bestimmtes, seelisch zu Erfassen‐
des, keine über die Kräfte des Einzelnen
163 Briefe an Einen und Viele
gehende Aufgabe. Man darf allerdings nicht
damit anfangen, allen anderen Gedanken
Krieg zu erklären, in der holden Illusion,
dann auf dem leeren Schlachtfeld sich so
recht ungestört mit dem gewünschten Ge‐
danken unterreden zu können! Eine richtig
eingeleitete gedankliche Konzentration ‒
die man ja auch im Alltagsleben oft recht
nötig haben kann ‒ läßt sich vergleichen
mit dem Suchen eines bestimmten Ortes
am Horizont, von einem Aussichtspunkte
her. Unzählige Formen überfliegt der Blick
auf der Suche nach dem Gesuchten. Diese
Formen verschwinden nicht etwa, noch
werden sie von dem sein bestimmtes Ob‐
jekt Suchenden als Belästigung empfunden.
Er trägt viel zu intensiv das Nahbild des
Gesuchten in sich. Aber es ist gerade dieses
Nah-Bild des Gesuchten, das zuerst am
Auffinden hindert, ‒ bis dann dem Sucher
zu Bewußtsein kommt, daß er ja jetzt das
164 Briefe an Einen und Viele
Fern-Bild allein zu erwarten hat, wonach
er dann bald das Gesuchte am Horizont ge‐
wahren wird. War das Nahbild vielleicht
ein mächtiger Turm, so ist allerdings viel‐
leicht jetzt nur eine aus den vielen an‐
deren Formen herausragende Silhouette
von der Größe einer Nadelspitze als Fern‐
bild gegeben, aber nun weiß der Sucher
dieses gesicherte Fernbild leicht festzu‐
halten oder sogleich wieder aufzufinden,
ohne sich im mindesten durch die vielen
anderen Formen am Horizont irgendwie
gestört zu fühlen.
.Die Nutzanwendung dieses Vergleiches
ist leicht zu finden.
.Will man zur wirklichen Konzentration
kommen, dann muß man sich vor allem
darüber klar werden, wie sich das Objekt,
auf das man sich zu konzentrieren beab‐
sichtigt, von dem eingenommenen eigenen
Standpunkt her erkennen lassen kann.
165 Briefe an Einen und Viele
Auch in der Gedankenwelt gelten Gesetze
einer Art „Perspektive”!
.Hat man sich dann vorgestellt, in welcher
Form das Objekt der Konzentration ver‐
nünftigerweise fixiert zu werden vermag,
dann ist es in dieser Form aufzusuchen und
gedanklich zu „betrachten”, wobei alle
anderen gegenwärtigen Gedanken nur zu
ignorieren sind, aber niemals bekämpft
werden dürfen, weil sie ja gerade dadurch ‒
zur Aktion aufgerufen ‒ das Ignorieren
unmöglich werden lassen müßten. Auch
der Wanderer, der von seinem Aussichts‐
punkt aus die von ihm gesuchte Kirchturm‐
spitze gefunden hat, sieht optisch zugleich
alles, was sich in seinem Gesichtsfeld be‐
findet, ‒ mag es sich um unbewegliche Ge‐
staltungen handeln, oder um das, was
kommt und geht. Alles das aber wird ihm
kaum bewußt, solange ihm das gefundene
Fernbild Anlaß bietet, sich mit der Wirk‐
166 Briefe an Einen und Viele
lichkeit, die ihm entspricht, innerlich zu
beschäftigen.
.Möchte Ihnen mein heutiger Brief wie‐
der über einige Schwierigkeiten hinüber‐
helfen!
.Empfangen Sie allen Segen!
167 Briefe an Einen und Viele
ZWEIUNDZWANZIGSTER BRIEF
Was Ihnen da jetzt klar geworden ist, kann
ich freudig begrüßen, und ich begreife, daß
Ihnen bei dieser „Entdeckung” zumute
war, als seien Ihnen endlich die Augen „ge‐
öffnet” worden. Ich weiß ja sehr wohl auch
heute noch die Gründe zu achten, die mich
damals, als ich „Das Buch vom lebendigen
Gott” schweren Herzens der Öffentlichkeit
übergab, bewogen hatten, mich zuweilen
schützender Verhüllung zu bedienen, aber
es ist mir auch möglich, nachzufühlen, wie
befreiend das Bewußtsein empfunden wer‐
den mag, nun mit aller Gewißheit zu wissen,
was unter der Hülle sich vor wenig erfreu‐
lichen Blicken verbirgt.
.Mit Willen hatte ich aber zugleich durch
solche Verhüllung dem Leser die Möglich‐
keit gelassen, sich die geistige Gemeinsam‐
keit der Leuchtenden des Urlichtes nach
168 Briefe an Einen und Viele
seiner eigenen Weise vorzustellen, damit
er nicht zurückscheue vor einem vermeint‐
lichen Glaubenspostulat. Daß der Wahrheit
aber nirgends Gewalt angetan wurde, wis‐
sen Sie jetzt ja am besten selbst zu beur‐
teilen, nachdem Sie nun erkannt haben,
daß das „Oberhaupt”, von dem ich sage,
es werde „nicht gewählt” und „nicht er
nannt”, aber dennoch sei niemals einer
aus der Vereinung der Leuchtenden im
Zweifel, wer es sei, ‒: der „Vater” ist, als
dessen geistgezeugte Söhne wir Leuchten‐
den des Urlichtes uns innerhalb der Struk‐
tur des geistigen Lebens an der uns ge‐
gebenen Stätte wissen. Daß ich die ge‐
brauchten Bilder und Gleichnisse mißver‐
standen sehen würde, bezweifelte ich nicht,
aber niemals hätte ich geglaubt, daß einer
von denen, für die meine Bücher wirk‐
lich geschrieben wurden, mich falsch ver‐
stehen könne, wenn ich es nicht bisher
169 Briefe an Einen und Viele
oft genug hätte erleben müssen. Sie selbst
sagen ja, daß es Ihnen erst jetzt endlich
„wie Schuppen von den Augen gefallen”
sei...
.Solche „Schuppen” scheinen aber noch
viele Augen zu bedecken, die ich wahrlich
von ihnen frei geglaubt hatte und nicht
erst befreiungsbedürftig.
.Ist denn so schwer, richtig seinem tie
feren Sinne nach, zu deuten, was ich nur
deshalb so behutsam umkleidet habe, da‐
mit es den unsauberen Blicken derer ent‐
gehen möge, für die es nicht erkennbar
sein soll?! Was mich betrifft, so bin ich ja
oft versucht, mich manchen Danebenver‐
stehens, das mir begegnet, erleichtert zu
freuen, weil es mir wirklich wenig ange‐
nehm wäre, von jedem verstanden zu wer‐
den. Allein um der zum Erwachen im
Geiste Fähigen willen muß ich mich offen‐
baren! Aber was hier zu offenbaren ist,
170 Briefe an Einen und Viele
macht diese Pflicht zu einer wahrlich nicht
begehrten Last. ‒
.Zahlreich sind daher auch die Stellen, be‐
sonders in den zuerst erschienenen meiner
Bücher, an denen ich ‒ kaum daß ich mich
im Irdischen überwunden und zu mir selbst
im ewigen Geiste bekannt hatte ‒ mich
sogleich wieder hinter meinem Nur-erden‐
haften zu verbergen suchte. ‒ Möglichkeit
zu solchem Mich-verschwindenlassen hin‐
ter meinem Zeitlichen bot diesem ja immer
der glückhafte Zustand, daß in meiner
Selbstbezeichnung „Ich” ebenso mein ir
disch Vergängliches wie mein urewiges
substantielles geistiges Sein sich ausspre‐
chen kann, da sie ja allem mich ewig Dar‐
bildenden wie allem mir nur auf Zeit
dauer Eigenen dient.
.Ich verrate Ihnen freilich hier kein Ge‐
heimnis, nachdem ich mich aus Gründen,
die mir wahrhaftig beträchtlich genug er‐
171 Briefe an Einen und Viele
schienen, entschloß, die drei nun neuer‐
dings veröffentlichten kleinen Bände dar‐
zubieten, die in rhythmisch geordneter
Form eine Folge von Bekenntnissen ent‐
halten, wie sie der irdische Mensch sich
nur schwer, und nur im Angesichte der
letzten Dinge allenfalls abringen läßt.
.Aber selbst hier betrachtet der Verkün‐
der immer wieder gerne sein Ewiges eben‐
so, wie mein mir von Ewigkeit her Be‐
wußtes auch aus der erdgemäßen Perspek‐
tive seiner zeitbedingten Vergänglichkeit,
und es wird also auch hier, wie schon an
anderen Orten, Ihnen überlassen bleiben
müssen, zu erfühlen, was jeweils spricht,
da ich durchaus nicht gesonnen war, die
Empfindungen des Zeitlichen, das die
Möglichkeit meiner Offenbarung schafft,
um meines ewigen Seins willen ohne Not‐
wendigkeit zu unterdrücken.
.Die Empfindungen des Ewigen sind aber
172 Briefe an Einen und Viele
in der Seele wesentlich verschieden, je
nachdem, ob ein Irdischer sich von seinem
Standort her in Meditation und seelischem
Ringen Einsicht in Geistiges erwarb, oder
ob er teilhat an seinem Ewigen durch ein
ihm geistig wie leiblich vereinigtes ewiges
Sein, dessen Werkwirker er ist für die
Erdenwelt.
.Ich wußte von Anfang an sehr wohl, wie
viel ich bei meinen Mitmenschen voraus‐
setzen müsse, wofür die Vorstellungsfähig‐
keit nur selten gefunden wird.
.Ein Träger ewigen Bewußtseins ‒ wie
man ihn auch benennen möge ‒ der sich
einem irdischen Menschen: dessen ewiger
Seele wie dessen zeitlich vergänglichem
Leibe, vereinigt, ja geradezu amalgamiert,
und das auf Grund freiwillig übernom‐
mener, um unvorstellbare Zeiträume zu‐
rückliegender Verpflichtung der ewigen
geistigen Individualität dieses Erdenmen‐
173 Briefe an Einen und Viele
schen, ‒ das ist für den modernen Euro‐
päer nichts als eine Reihe absurder Träume‐
reien, die er lediglich als Resultat einer
Gehirnerkrankung noch entschuldbar fin‐
det. Und man darf ihm bei seiner absoluten
Ahnungslosigkeit überzeitlichen Dingen
gegenüber, seine seelische Ignoranz nicht
einmal übelnehmen. Er kann nicht anders!
.Es ist nicht verwunderlich, daß es mich
desto mehr freut, wenn ich so viele unver‐
hoffte Ausnahmen gewahre, so daß mir auch
Ihr eingehender lieber Brief, der Sie mir
ja wahrhaftig wieder als erfreulichste Aus‐
nahme in dem hier gemeinten Sinne zeigt,
für mich eine ganz große Freude war und
bleiben wird.
.Wenn Sie sich entschließen können, alle
meine Bücher, die Sie bisher verstandes‐
mäßig durchzuarbeiten und seelisch sich
zu eigen zu machen suchten, nun an Hand
Ihrer neuen Erkenntnis sogleich nochmals
174 Briefe an Einen und Viele
im Ganzen vorzunehmen, werden Sie glau‐
hen, Sie hätten die Texte überhaupt noch
nicht gelesen. So anders wird sich Ihnen
der Sinn erschließen in vielem, was vorher
unerfaßt blieb.
.Aller Segen aus dem ewigen geistigen
Lichte, in dem ich lebe, sei mit Ihnen!
175 Briefe an Einen und Viele
DREIUNDZWANZIGSTER BRIEF
Die Grenzen zwischen dem, was der Seele
eines jeden Erdenmenschen im ewigen Gei‐
ste zu erleben möglich ist, und dem, was
nur der Leuchtende des Urlichtes zu er‐
fahren vermag, sind allerdings in meinen
Schriften nicht immer scharf gezogen. In‐
sofern sind Sie durchaus im Recht. Was Sie
aber unmöglich wissen konnten, ist, daß
diese scheinbar einen Mangel darstellende
unscharfe Scheidung durch das in der Wirk‐
lichkeit Gegebene gefordert und bestimmt
ist, so daß mir keineswegs die schärfere
Scheidung möglich gewesen wäre.
.Überlegen Sie, daß in jedem Erden‐
menschen, bei aller Tiergleichheit in bezug
auf den Leib und die wieder auflösbare
„Tierseele”, die Funktionsergebnis dieses
Leibes ist, auch ein Ewiges sich darlebt,
mag es auch bei vielen zeitlebens latent
176 Briefe an Einen und Viele
bleiben. Dieser ewige „Geistesfunke”, dem
die aus ewigen Seelenkräften sich gestal‐
tende und daher ewige Seele Darstellungs‐
bereich ist, erfüllt innerhalb der Struktur
ewigen geistigen Lebens ebenso seine ihm
allein vorbehaltene Stätte, wie der ewige
Leuchtende des Urlichtes die seine ein‐
nimmt. Dem Leuchtenden, der erdenkör
perlich wirkt, ist ein solcher Geistesfunke
seit unermeßlicher Zeit geistig vereinigt,
und mit ihm dessen ewige Seelenkräfte,
so daß zuletzt auch Tierseele und Leib die
Influenzwirkungen des ewigen Leuchten‐
den erfahren, dessen zeitliche Werkzeuge
sie sind, solange sie auf Erden im Physi‐
schen lebensbeständig bleiben können.
Während aber dem Leuchtenden des Ur‐
lichtes alle Erlebensmöglichkeit, die das
Leben des ewigen Geistes umschließt, bis
ins Innerste dieses Lebens gegeben sind,
da er ja von ihm aus bewußt ist, kann er
177 Briefe an Einen und Viele
doch nur dem ewigen Einzelmenschen‐
geiste, dem er sich im Ewigen vereinigte,
um durch ihn einst dann auf Erden die
Möglichkeit zu geistiger Hilfeleistung zu
haben, Anteil an seiner, alles geistige Le‐
ben in sich durchdringenden Erlebensweise
geben, indem er ihn, Jahrtausende vor der
ihn später tragenden „Tierwerdung” auf
Erden, in sich realiter „hineinnimmt” und
so ihn an allem teilnehmen läßt, was in
ihm selber Leben ist. Dieses „Hineinneh‐
men” ist geistesgesetzliche Folge der un‐
darstellbare Zeit vordem dargebotenen frei‐
willigen Verpflichtung, die der von nun an
geheimnisvollste Vorbereitung Genießende
eingegangen war. Allen anderen im Irdi‐
schen inkarnierten ewigen Geistesfunken
vermögen jedoch die Leuchtenden des Ur‐
lichtes nur dazu zu verhelfen, ihrer ewigen
Seelenkräfte habhaft und Herr zu werden,
um im Bewußtsein der Seele sich selbst
178 Briefe an Einen und Viele
zu finden und die ihnen gemäße Form der
Seele sich bilden und vereinigen zu können.
Da nun zwischen den ewigen Seelenkräften
und dem gehirnbedingten Erkennen, Emp‐
finden und Erlebenkönnen stete Influenz‐
wirkungen bestehen, so kann dieses see‐
lische Erwachen in entscheidender Weise
von den Vorstellungsbereichen des Erden‐
menschen her gefördert werden, wie an‐
dererseits auch die Einflüsse aus dem ewigen
Geiste über die Individualgestaltung des
Geistes, die in dem ewigen Geistesfunken
des Menschen gegeben ist, allmählich den
ganzen tiernahen Leib derart zu durch‐
dringen vermögen, daß er zur Verkörpe‐
rung des Geistes auf Erden zu werden ver‐
mag.
.Dem Geistigen eines jeden Erdenmen‐
schen entsprechen nun aber ganz be‐
stimmte, nur ihm allein zugängliche gei‐
stige Erlebensformen und die hier mög‐
179 Briefe an Einen und Viele
lichen Kombinationen sind der Zahl nach
unendlich, so daß es ganz unmöglich wäre,
sie alle jemals darzustellen, ja nur gruppen‐
weise zu charakterisieren. Da nun aber der
Erziehung des Vorstellungslebens so uner‐
meßliche Bedeutung zufällt, und der vom
Irdischen her nach dem Geistigen Suchende
möglichst von dem schon irdisch erfahren
haben sollte, was ihm geistiges Erleben
werden kann, so ist es besser, er weiß von
allem, was an diesen Dingen Menschen er‐
fahrbar zu werden vermag, als wenn ich
nur das Allgemeinste erörtern, alles Be‐
sondere aber verschweigen wollte. Ich sagte
Ihnen schon einmal, daß jeder, sich selbst
gegenüber ehrliche Suchende alsbald wissen
wird, was ihm in meinen Lehrtexten im
Besonderen gilt, wobei es ihm nur zu grö‐
ßerer und tieferer Einsicht in die Natur
alles Geistigen dienen kann, wenn er auch
von anderen Möglichkeiten erfährt, denen
180 Briefe an Einen und Viele
gegenüber er spontan fühlt, daß sie der
Art nach nicht für ihn in Frage kommen,
auch wenn Andere so zum gleichen Ziele
gelangen.
.Es sind dunkle triebdumpfe Atavismen
die durch unsere tierleibliche Herkunft
aus der Substanz des Planeten nur zu sehr
erklärlich werden, wenn immer wieder der
widergeistige Gedanke in den Köpfen auf‐
lebt, alle Menschen seien „gleich” vor
Gott. Tröstlich bleibt dabei nur, daß dieser
„Gott” der Langweile das Erzeugnis gleich
wertiger Ursache ist. ‒ Die Wirklichkeit
aber kennt in den Beziehungen zu Gott
innerhalb der Struktur des Lebens im ewi‐
gen Geiste nur unendlichfältige Verschie
denheit. Eine Gleichheit vor Gott darf le‐
diglich insofern zu Recht behauptet wer‐
den, als sie sich auf die allen Erdenmen‐
schen gemeinsame leibliche Tiernatur be‐
zieht, die von dem Planeten genommen
181 Briefe an Einen und Viele
ist und ihm wieder anheimfällt. Soweit aber
das Doppelwesen, das sich auf Erden be‐
scheidenerweise für den Inbegriff des „Men‐
schen” hält, geistiger Natur zugehört, sind
seine einzelnen Geistesfunken verschie
dener voneinander als alles Verschiedene,
was es auf Erden an irdischen Formen zu
unterscheiden gibt! Und zwar nicht nur
im Nebeneinander gesehen, sondern eben‐
so in bezug auf die hierarchisch unfaßbar
scharf bestimmte Stufe der Eigenkapazität
innerhalb des geistigen Lebens!
.Hier läßt sich nichts abhandeln durch
philosophische Begriffsbildungen, die in
der Sphäre der Wirklichkeit so wenig Hei‐
matrecht haben, daß man sie nicht einmal
als Schatten und Schemengebilde wahr‐
nimmt.
.Hier läßt sich aber auch nichts erkaufen,
denn alles was der Andere hat, ist in glei
cher Weise wie das Eigene, in der Struktur
182 Briefe an Einen und Viele
des geistigen Lebens gründender, ewig un‐
veräußerlicher Besitz.
.Sie sehen, daß sogar sehr scharfe Gren‐
zen zwischen den Erlebensmöglichkeiten
der einzelnen geistigen Individualitäten
bestehen, aber Sie werden auch bereits
entdeckt haben, daß die Oberfläche der
Erde nicht ausreichen dürfte, diese Gren‐
zen alle aufzuzeichnen, und daß die von
Ihnen vermißte „schärfere Scheidung”
dessen, was nur dem Leuchtenden des Ur‐
lichtes zu erleben möglich ist, und dessen,
was jeder Menschengeist nach dem Er‐
wachen seiner Seele aufzunehmen vermag,
schon dadurch ganz unmöglich würde, daß
es sich in dem einen Falle um eine, Un
endliches in sich fassende, im anderen um
die denkbar differenteste Erlebensfähig‐
keit des Selbstbegrenzten handelt! ‒
.Leben Sie im Segen des Lichtes!
183 Briefe an Einen und Viele
VIERUNDZWANZIGSTER BRIEF
Daß ich diese Frage eines Tages von Ihnen
hören würde, konnte ich als gewiß erwarten.
Ich wundere mich nur, daß ich sie nicht
längst vorgelegt erhielt. Ich staune auch
darüber, daß sie mir so selten von Suchen‐
den vorgelegt wurde. Es ist, als fürchte
man, ich könne sie so beantworten, wie
man sie eben doch nicht beantwortet sehen
möchte...
.Von Jesus wird erzählt, wie allen Christ‐
gläubigen bekannt ist, daß er einmal ge‐
sagt haben solle: „Wer mich vor den Men‐
schen verleugnet, den werde ich auch vor
meinem Vater verleugnen, der im Himmel
ist.” In dieser Fassung: ‒ als Drohung, ‒
ging dieses Wort gewiß nicht über Jesu
Lippen, aber diese Drohung war einer
heranwachsenden, eifersüchtig um ihren
zahlenmäßigen Vorrang vor anderen Kult‐
184 Briefe an Einen und Viele
vereinen damaliger Zeit ringenden My‐
steriengemeinschaft, die eben im Begriffe
war, sich aus dem Volksverband des antiken
Judentums zu lösen, der sie durch einen
der Seinen, wenn auch ungewollt, hervor‐
gebracht hatte, recht aus dem Herzen ge‐
kommen. So „mußte” der Gesalbte, dem
man nun, frei nach den umgebenden Vor‐
bildern, imMysterium” nahte, gespro‐
chen haben und darum „hatte” er so ge‐
sprochen! Die Berichte über sein Leben
und seine Lehre waren ja vorläufig nur kul‐
tisch verwendete Rezitationstexte, ‒ noch
nicht wie später: ‒ „Heilige Schrift”.
Aber ein belegbildender Anlaß, diese Dro‐
hung zu formulieren war für die Gestalter
der Texte dennoch gegeben, denn Jesus
hatte einst wirklich darauf hingewiesen,
daß der Mensch unmöglich „zwei Herren
dienen”, ‒ also im äußeren irdischen Leben
sich anders verhalten könne, als ihm seine
185 Briefe an Einen und Viele
seelische Einsicht vorschreibe, wenn er
nicht zum Verräter an sich selbst werden
wolle. Das hieß freilich nur, daß irdisches
Verhalten ewigem Gesetz entsprechen
müsse, und daß der Mensch nicht etwa nach
einem System sein irdisches Leben führen
könne und dabei nach einem anderen in
sein ewiges Heil zu kommen vermöge. Aber
daraus ließ sich mit Leichtigkeit die Dro‐
hung drechseln, die man brauchte, um die
allein der Tierseele entstammende Seelen
angst in den Dienst der Propaganda für
den neuen Mysterienkult zu zwingen. Man
ließ nicht Raum für Zweifel. Das war da‐
maliger Art nicht gemäß. Der Meister, der
Kyrios, der Gesalbte, hatte von nun an
„gesagt”, daß er jene vor seinem himm‐
lischen Vater nicht anerkennen werde, die
ihn ‒ was hier heißen will: den ihn in einem
neuen Mysterium kultisch erlebenden Ver‐
ein ‒ nicht als Erfüller ihres seelischen
186 Briefe an Einen und Viele
Vorahnens vor allen Andersdenkenden zu
propagieren bereit gewesen seien, während
ihres Erdenlebens. Daß die psychologische
Beurteilung ihrer Nebenmenschen von sei‐
ten der ersten Leiter des damaligen neuen
Mysterienkultes richtig war, wird man nicht
bezweifeln. Aber man wird auch nicht be‐
zweifeln dürfen, daß die nur gelegentliche
Befolgung geistiges Leben betreffender An‐
weisungen ‒ und um solche handelt es sich
wesentlich in Jesu Lehren ‒ nur frivole
Spielerei ist und vor dem ewigen Geiste
gegenstandslos, wenn sie nicht gar Abwehr‐
kräfte im Geistigen auslöst, deren unheim‐
liche Gerechtigkeit jedem, der sie schon
in ihrer Auswirkung an Anderen auf Erden
gewahrte, erschütternde Schauder der Seele
erregen mußte. In gewissem Sinne ist also
doch aus der nach Jesu Zeit formulierten
Drohung die harte Wahrheit herauslesbar,
daß alle Beschäftigung mit geistgegebenen
187 Briefe an Einen und Viele
Anweisungen nicht zum erstrebten Ziele
führt, wenn nicht der, diese Anweisungen
Kennende, die aus ihnen hervorgehenden
Konsequenzen zieht, aller Außenwelt
gegenüber. Auch Sie gewahren sich nun
vor der Notwendigkeit, im Außenleben,
Ihrer Mitwelt gegenüber, die Konsequen‐
zen aus den durch mich erhaltenen Lehren
zu ziehen und erklären sich bereit dazu,
kommen aber noch nicht recht mit sich
darüber ins reine, wie das geschehen müsse.
Ich habe allerdings in meinem Buche „Der
Weg meiner Schüler” schon gezeigt, wie
fehlwegig das „Bekehrenwollen” zu den in
meinen Büchern dargebotenen Lehren ist,
so daß ich Sie davor wohl kaum noch zu
warnen brauche. Aber man verkennt auch
von Grund aus den Sinn der Existenz dieser
Bücher und ihre in Wahrheit „einzig-artige”
Verankerung im Ewigen, wenn man voll
gutgemeintem Betätigungsdrang im Sinne
188 Briefe an Einen und Viele
ihrer Verbreitung glaubt, es müsse ihnen
eine „offizielle” Wirkungsbasis geschaffen
werden.
.Ihre Frage, wie Sie auf richtige Art die
Konsequenzen Ihres geistigen Voranschrei‐
tens nun auch in der Außenwelt ziehen
sollen, muß von den in diesem Zusammen‐
hang von Ihnen erwähnten Möglichkeiten
in bezug auf meine geistigen Lehrbücher
scharf getrennt werden.
.Gewiß will ich es durch meine Erörte‐
rungen in dem Buche „Der Weg meiner
Schüler” nicht etwa als unerwünscht an‐
gesehen wissen, wenn man eines meiner
Bücher ebenso weiter empfiehlt, wie einen
Romanband durch den man selbst künst‐
lerisch beeindruckt wurde. Ich warne in
meinem Buche lediglich vor einem sich
mehr oder weniger aufdrängenden „Missio‐
nieren”, ‒ vor der Selbstberufung zu
einem vermeintlich nötigen Apostolat.
189 Briefe an Einen und Viele
.Es ist auch eine Selbstverständlichkeit
und nur Erfüllung literarischer Anstands‐
pflicht, daß man die Quelle deutlich nennt,
wenn man Zitate aus meinen Büchern
bringt, oder durch ihre Wortbildungen sich
„anregen” läßt. Schließlich sind die Ver‐
kündungen meiner Bücher von mir in Form
gefaßt, und diese Form ist mein geistiges
Eigentum, das ich nicht unter dem köst‐
lichen Vorwand: es handle sich doch um
geistig gegebene Lehren, zur Freibeute
gemacht wissen will. Und nicht nur die
künstlerische Form ist mein ausschließ‐
liches geistiges Eigentum, sondern auch
die rein gedankliche Darlegung!
.Aber das alles geht Sie hier wohl kaum
an, denn es handelt sich bei den aus der
Aufnahme meiner Lehrtexte erwachsenden
„Konsequenzen” überhaupt nicht um die
Bücher, sondern um Ihr praktisches Ver
halten im äußeren Leben, und hier dürfte
190 Briefe an Einen und Viele
es doch wahrlich nicht gar zu fernliegend
sein, zu erkennen, daß alles allmählich aus
diesem Leben schwinden muß, was sich
mit einem Befolgen der Ratschläge und
Lehren in meinen Büchern nicht einwand‐
frei vereinigen läßt. Ebenso ist doch auch
leicht zu verstehen, daß es mit dem bloßen
Vermeiden des Unvereinbaren nicht ge‐
tan ist, sondern daß Sie nun auch die mo‐
ralische Pflicht haben, Ihr Leben mehr und
mehr durch bewußtes und gewolltes Ge‐
stalten des meinen Räten entsprechenden
Positiven, in Ihrem ganzen Tun, Reden
und Verhalten, zu bereichern! Mit dem
„Reden” meine ich aber beileibe nicht
etwa ein stetes Im-Munde-Tragen meiner
Worte! ‒ Ihr Reden soll sich vielmehr in
Ihnen selbst ‒ vor meinen Worten stets
verantwortbar erweisen! ‒
.Andererseits steht es Ihnen jederzeit frei,
sich, wo Sie es für angebracht halten, auch
191 Briefe an Einen und Viele
namentlich zu mir zu bekennen, ‒ nur
sollte das, wo es geschieht, in einer Art
geschehen, die einigermaßen der Würde
solchen Bekennens entspricht, ‒ also etwa
auf ähnliche Weise, wie sich wissenschaftlich
tätige Menschen mit Selbstverständlichkeit
zu den Begründern ihrer „Schulen”, ‒
ihrer auf Grund gewisser Erkenntnisse ge‐
einigt strebenden Gruppe, bekennen.
.Damit werde ich wohl heute meinen
Brief beenden dürfen, wobei ich hoffe, Ihre
Frage von allen Aspekten her beantwortet
zu haben.
.Je mehr Sie Sorge tragen, daß sich Ihre,
durch meine geistigen Lehrbücher in Ihnen
erweckten Erkenntnisse in Ihrem Leben
praktisch auswirken, desto mehr werden
Sie auch Ihrem Außenleben dienen.
.Seien Sie gesegnet in allem, was Sie,
geistigem Gesetz entsprechend, an Gutem
in die Außenwelt tragen!
192 Briefe an Einen und Viele
FÜNFUNDZWANZIGSTER BRIEF
Ihre Auffassung jener Stellen meiner Bü‐
cher, an denen davon die Rede ist, daß
auch ein Mensch, der zum Meister geistigen
Wirkens auf dieser Erde vollendet war,
durch eigene furchtbare Schuld aus dem
hohen Leuchten fallen könne, und daß es
von alter Zeit her solche durch eigenen
Frevel Gestürzte gibt, entspricht durchaus
dem, was von mir bei der Erwähnung die‐
ser Unseligen gemeint war. Da Sie aber
ausdrücklich um Antwort bitten, ob Ihre
Auffassung durch mich bestätigt werden
dürfe, so sei ihr hier die Bestätigung ebenso
ausdrücklich gegeben. Wohl wäre es ja prak‐
tisch für Sie kaum von Bedeutung gewesen,
wenn Sie möglicherweise zu Vorstellungen
geneigt hätten, die abweichend von dem
Gemeinten gewesen wären. Um Ihren eige‐
nen Weg zum Erlebenkönnen ewigen Gei‐
193 Briefe an Einen und Viele
stes zu finden, brauchen Sie wirklich den
hier herangezogenen Stellen meiner Bü‐
cher die ausführliche Deutung nicht geben
zu können, die Sie ihnen aus Ihrem pri‐
vaten Interesse heraus schließlich fanden.
Es ist aber gewiß besser, man duldet in
seiner Vorstellung auch nicht die kleinsten
vermeidbaren Unklarheiten, und darum
begrüße ich es doch, daß Sie sich nicht
eher Ruhe ließen, als bis Sie auch dieses
Schrecklichste, was sich auf der Erde zu‐
tragen kann, unbeirrbaren Blickes durch‐
drungen hatten.
.Als ich die betreffenden Stellen nieder‐
schrieb, dachte ich allerdings nicht, daß sich
irgendein Leser darüber Kopfzerbrechen
machen würde, sonst hätte ich dem, was
ich da nur um der Lückenlosigkeit meiner
Darstellungen willen zur Sprache brachte,
wahrhaftig noch weitere Erläuterungen bei‐
gegeben. Aber weshalb hätte ich sie für
194 Briefe an Einen und Viele
nötig erachten sollen? Ich konnte doch un‐
möglich annehmen, daß ein denkender
Mensch etwa zu der Meinung käme, ein
aus dem „Vater” in diese Erdenwelt ent‐
sandter geistgezeugter Leuchtender des
Urlichtes, als ewiges Wesen, könne unter
wie immer gearteten Umständen in grauen‐
voller, Äonen lang währender Umnach‐
tung seine geistige Auflösung erfahren, und
ebensowenig durfte ich nach allem, was
ich über den „ewigen Geistesfunken” im
Erdenmenschen an anderen Orten gesagt
hatte, vermuten, daß man am Ende diesen
ewigen geistigen Pol des Erdenmenschen
für auflösbar halten würde. Deutlich hatte
ich ja auch von der Seele gesprochen, die
zu einem „Reiche” der Ewigkeit geworden
sei, dessen „Krone und Zepter” dem „Auf
genommenen” in die Gemeinschaft der
Leuchtenden durch nichts verlierbar wer‐
den könne, außer durch ihn selbst. Ich habe
195 Briefe an Einen und Viele
allerdings auch, abgesehen von Ihrem letz‐
ten Briefe, niemals eine Zuschrift erhalten,
aus der zu entnehmen gewesen wäre, daß
meine Worte einem Leser Schwierigkeiten
bereitet hätten. Wie man sieht, ist es ja
auch Ihnen gelungen, sich auf alle Fragen,
die Sie sich selbst an den bewußten Stellen
vorlegten, die richtige Antwort zu geben.
.Da der Leuchtende des Urlichtes, der in
erdenmenschliches Wirken eintritt, sich
mit dem ihm seit unvorstellbaren Zeiten
aus freien Stücken verpflichteten Men‐
schengeiste und dessen dann gegebener
erdenmenschlicher Darstellung so ganz ver‐
bindet, daß während des Erdenlebens ge‐
radezu von einer Verschmelzung gespro‐
chen werden muß, so ergibt sich infolge
solcher Verbindung auch eine Form der
Seele, die alles hier Verbundene in sich
zu empfinden vermag und an allem hier
gegebenen Bewußtsein teilnimmt. Wo diese
196 Briefe an Einen und Viele
Seelenform nicht durch Willenswahn des
Irdischen zur Auflösung verurteilt wird,
dort geht sie nach der Beendung des erden‐
körperlichen Lebens nicht nur dem ewigen
Menschengeiste nicht verloren, sondern
bleibt mit ihm zugleich auch dem ewigen
Leuchtenden erhalten und sich selbst in
ihm. Aber auch dort, wo ihre Auflösung,
die allein durch die Willensüberheblich
keit des in dem geschilderten Verbande zu
findenden irdisch vergänglichen Teiles
möglich werden kann, unvermeidbar wird,
gehen natürlich keineswegs die ewigen
Urseinskräfte, die in ihrer hohen Form
als „Seelenkräfte” einst eine dem Leuch‐
tenden wie dem ihm verbundenen ewigen
Geistesmenschen gemeinsame Seelenform
gestaltet hatten, „verloren”, sondern wan
deln sich nur zurück in ihre eigene Aus
gangsform, nachdem sie sich, wie geschil‐
dert, aus dem voreinst so vollkommenen
197 Briefe an Einen und Viele
Seelengebilde lösten. Es ist eine Bewußt‐
seinsauflösung durch Verlust des ewigen
Ich, das selber jedoch ebenso unverletzlich
im Geiste bestehen bleibt wie der Leuch‐
tende, dem es sich voreinst verpflichtet
hatte.
.Für irdisches Vorstellungsvermögen ist
freilich das, was da von mir angedeutet
wurde, nur dann leidlich erfaßbar, wenn
man sich, wie Sie, bei dem Schluß be‐
scheidet: „Ewiges kann nicht zerstörbar
sein, folglich muß es sich da um eine Be‐
wußtseinsform handeln, die zwar dazu ge‐
staltet war, auch Ewigem zu dienen, sich
selbst aber zu groß geworden fand, um sich
ihres nur im Ewigen und für das Ewige
gegebenen Seins gegenwärtig zu bleiben”.
Im Kleinen ereignet sich solcher Seelen‐
verlust tagtäglich tausendfach unter Men‐
schen auf Erden, die gewiß nicht einem
Leuchtenden des Urlichtes vereinigt sind.
198 Briefe an Einen und Viele
Auch darüber habe ich ja genug geschrieben.
Ganz ähnlich erfährt auch hier der seelen‐
los Gewordene nach seinem leiblichen Tode
die qualvolle Bewußtseinsauflösung in ir‐
disch unvorstellbarer grauenvoller Nacht,
äonenlang noch dazu verdammt, um das
Unvermeidbare zu wissen, ohne ihm weh
ren zu können. ‒ Und auch alle diese vielen
Seelenzerstörungen berühren in keiner
Weise die ewige Natur der Seelenkräfte,
die bei der Formung der nun in Auflösung
endenden „verlorenen” Seelen beteiligt
waren. Verursacht aber wird all dieser Mord
an der eigenen Seele immer wieder durch
das überhebliche Verlassen der Bewußt
seinsgegenwart vor dem Ewigen.
Sich nur im Ewigen achten
Und nur in ihm sich zu leben,
Wahrlich, ist schwerer
Als jegliches irdische Streben! ‒
199 Briefe an Einen und Viele
Hart wird es Zeitlichem,
Hierfür sich selbst zu entsagen: ‒
Kaum vermag irdisches Trachten
Solchen Verzicht zu ertragen.
*
.Es ist die seit der Urzeit immer wieder‐
kehrende Tragik des Erdenmenschen, daß
er sich selbst gerade damit zerstört, womit
er sich zu erhalten und über das ihn Er‐
haltende emporzuschwingen meint...
.Möge Ihnen meine Antwort auf Ihren,
mich recht erfreuenden Brief in mancher
Hinsicht auch noch Ungefragtes beant‐
worten!
.Seien Sie stets im Segen des Lichtes!
200 Briefe an Einen und Viele
SECHSUNDZWANZIGSTER BRIEF
Tragen Sie nur ganz unbesorgt den mir
geschilderten kunstreich gestalteten Ring,
der Ihnen als kostbares Familienerbstück
zugefallen ist, auch wenn Ihr, auf astro‐
logische Ansichten eingeschworener Be‐
kannter Sie mit seiner törichten Warnung
ängstet: Aquamarin sei nicht „Ihr Stein”!
Die „überaus sympathischen Empfindun‐
gen”, die Sie dem Stein gegenüber er‐
füllen, sind weit sicherere Beweise dafür,
daß der Stein zu Ihrer Natur verwandte
Schwingungsbeziehungen hat, als alle heu‐
tigen astrologischen Berechnungen wären,
die ‒ notgedrungen ‒ unvollkommene
Resultate liefern müssen, wenn sie auch in
einzelnen Punkten gewiß zutreffend sein
mögen. Es ist zu viel von dem ‒ wirklichen
und auch nur vermuteten ‒ alten Erfah‐
rungswissen verlorengegangen, vielleicht
201 Briefe an Einen und Viele
nie vorhanden gewesen, oder aber heute
allem Fehldeuten ausgesetzt, und bis sich
hier ein neues Erfahrungswissen einwand‐
frei sichern läßt, wird man sich nur auf die
charakterologischen Vermutungen der Ho‐
roskope einigermaßen stützen dürfen, und
auch auf diese nur dann, wenn es möglich
war, ganz genaue und sichere Angaben über
die Geburtszeit des astrologisch zu Analy‐
sierenden zu erhalten. Daß im Massen‐
betrieb hergestellte sogenannte „Horo‐
skope”, wie sie im Annoncenteil der Tages‐
zeitungen permanent angeboten werden,
hier ganz außer Betracht bleiben müssen,
brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu be‐
kräftigen.
.Was aber die Zuteilung gewisser Steine
zu verschiedenen Menschen betrifft, so sind
dafür sehr viele Aussagen des astrologischen
Befundes in Wirklichkeit als bestimmend
zu werten, während die meisten ‒ wenn
202 Briefe an Einen und Viele
nicht alle ‒ heutigen Liebhaber und Kun‐
digen der Astrologie sich zu sehr durch
den jeweiligen Hauptbefund leiten lassen.
So kann es vorkommen, daß astrologische
Errechnung und traditionelle Horoskop‐
deutung Steine bestimmen für Leute, die
gerade diese Steine nur mit Widerwillen
ansehen können, was der beste Beweis da‐
für ist, daß die „verordneten” Kristalli‐
sationserscheinungen zu der betreffenden
menschlichen Natur und ihrem Lebens‐
rhythmus keinerlei, oder gar entgegen
wirkende Strahlungsbeziehungen haben.
Mir sind viele Fälle solcher Art bekannt
geworden. Ich habe immer geraten, sich
nur durch das eigene Gefühl leiten zu
lassen, das gerade Edelsteinen gegenüber
weit sicherer anspricht und entscheidet, als
das beste Horoskop, aus dessen Deutung man
„befreundete” Steine zu bestimmen sucht.
.Vergessen Sie aber auch nicht, daß es
203 Briefe an Einen und Viele
sich bei der Einwirkung der Edelsteine auf
ihre menschlichen Träger einzig und allein
nur um die Region der tierhaft gestalteten,
vergänglichen irdischen Erscheinung des
Menschen handelt, so daß naturnotwendig
nicht etwa ein günstiger oder ungünstiger
Einfluß auf die geistige Entwicklung er‐
wartet oder befürchtet werden darf! Allen‐
falls dürfte man von einem indirekten för‐
dernden oder hemmenden Einfluß insofern
sprechen, als der durch die Steine, die er
trägt, zu einer gewissen Harmonie in seinem
Tiermenschlichen angeregte Mensch bei
seinem Ringen um geistiges Bewußtwerden
weniger Störung aus seinem Nur-irdischen
heraus erfährt, während einer, der ihm
gleichgültige oder gar unsympathische
Steine ‒ vielleicht nur um ihrer Kostbar‐
keit willen ‒ in irgendeinem Schmuck‐
stück an sich duldet, bewußt oder unbe‐
wußt unter dem Einfluß solcher Dishar‐
204 Briefe an Einen und Viele
monie steht, also einer Unruhe, die der für
alles Streben zum Geiste so nötigen ‒ in
neren ‒ Ruhe entgegenwirkt.
.Ganz im allgemeinen ist festzuhalten,
daß die Steine ‒ mag es sich um Edelsteine
oder Bachkiesel handeln ‒ zahlbestimmte,
kosmisch begründete Beziehungen zu ih‐
rem Träger haben, durch die in erster Linie,
ihre günstige oder ungünstige irdische
Strahlungswirkung bestimmt wird. Diese
Wirkung kann fast unwahrnehmbar, aber
auch ganz unglaublich stark sein, wobei die
Stärke der Wirkung immer der Stärke der
Sympathie für den Stein parallel geht.
Allerdings meine ich hier nicht jene „Sym‐
pathie”, die man eher doch wohl nur Be‐
sitzgier nennen muß.
.Es handelt sich um wesentlich Anderes,
als um das wirkende Agens in Amuletten
und Talismanen, vorausgesetzt, daß diese
nicht auch zugleich Steine sind, wobei dann
205 Briefe an Einen und Viele
eine kombinierte Wirkung vorhanden sein
kann. Wo aber die Steinstrahlung ausschei
det, dort wirkt in einem Amulett oder
einem Talisman lediglich die Willens
ladung, mit der das Stück durchtränkt ist,
was immer auch für Zeichen darauf zu sehen
sein mögen, und was immer dieser Zeichen
oder bildhaften Darstellungen offener oder
geheimer Sinn sein mag. Alle Zeichen oder
Darstellungen besitzen nur Wert als „Ver‐
ankerungen” der Willensladung. Hier aber
kommt es lediglich auf die Kraft der „La‐
dung” an, und der unscheinbarste Gegen‐
stand, den eine Mutter glühenden Herzens
ihrem, Gefahren ausgesetzten Sohn mit‐
gibt, kann ein, durch nichts anderes zu er‐
setzender Talisman werden. Aber das alles
finden Sie ja hinreichend erörtert in dem
Kapitel „Glaube, Talisman und Götter
bild”, womit wir wieder beim „Buch vom
lebendigen Gott” angelangt sind.
206 Briefe an Einen und Viele
.Sie sehen, daß bei allen diesen Dingen
nichts Unheimliches im Spiele ist, und daß
man sich nicht erst, wie die ganz unglaub‐
lich wenigen echten Adepten auf diesen
Gebieten, geheimen Studien hinzugeben
braucht, wenn man sich die „planetarischen
Hilfskräfte”, die aus Steinen und Metallen,
Farben und Naturformen strahlen, nutz‐
bar machen, oder aber den Schutz wirk
licher Amulette und Talismane, soweit sie
solchen darzubieten haben, genießen will.
Auf keinen Fall jedoch dürfen Sie sich in‐
stinktunsicher machen lassen durch über‐
aus anfechtbare Errechnungen! Je deut‐
licher Sie Ihr Gefühl „sprechen” lassen,
ohne es durch gedankliche Einwände zu
verwirren, desto gewisser werden Sie bei
allem, was hier in Betracht kommen kann,
die rechte Wahl treffen und richtig ver‐
fahren.
.Empfangen Sie aber dazu noch außer‐
207 Briefe an Einen und Viele
dem den Segen des ewigen Lichtes, der
Ihnen dort die Kraft mehren möge, wo
Ihnen mit „planetarischen” Hilfskräften
nicht geholfen wäre!
Was planetarische Kraft
.dir hier zu geben vermag,
Kann nur dir Hilfe sein,
.hier im Planetentag!
Hast du einst dieses „Tages”
.trügendes „Licht” überwunden,
Hast du auch ewigen Tages
.Licht in dir selber gefunden!
*
208 Briefe an Einen und Viele
SIEBENUNDZWANZIGSTER BRIEF
Sie sind gewiß schon auf der Spur, allein
Ihre „bärenstarke” Konstitution, die Sie
„niemals so recht erfahren” ließ, „was
körperliches Leiden ist”, braucht kein
Hindernis zu sein, wenn Sie ganz erfassen
wollen, was unter meinen Worten von der
„Entwertung des Leides” verstanden wer‐
den soll. Aber vor allem bitte ich, daran
erinnern zu dürfen, daß durchaus nicht
nur das körperlich empfindbare Leid allein
gemeint ist, wenn ich von der Notwendig‐
keit spreche, das Leid zu „entwerten”.
Seelisches Leid kann aber auch Menschen
zustoßen, die praktisch vor allen Plagen
die den Körper zu peinigen vermögen, frei
sind, und das quälendste seelische Leid ist
Leid um Andere. ‒
.Mag man aber mehr an seelisches, oder
mehr an körperliches Leid denken bei
209 Briefe an Einen und Viele
meinen Worten, so bleibt doch die Forde‐
rung der „Entwertung” die gleiche. Diese
„Entwertung” besteht in erster Linie da‐
rin, daß man dem Leide das große Pathos
entzieht, das ihm durch viele Jahrhunderte
hindurch immer erneut zugestanden wur‐
de, so daß geradezu Ehrfurcht vor dem Leid,
an Stelle der Leid-Verachtung, und Leid‐
Bekämpfung trat. Es ist unumgänglich gei‐
stig notwendig, daß man die ebenso törich‐
ten wie: satanisch-frivolen Vorstellungen
in sich und anderen tilge, die das Leid als
ein von Gott verordnetes Erziehungs- oder
Strafmittel angesehen wissen wollen und
dabei nicht einmal soviel Raum zu höherer
Einsicht lassen, daß der Mensch gewahr
werden könnte, welche furchtbare Gottes‐
auffassung sie verraten. Es ist für den Gott‐
bewußten kaum zu ertragendes Leid um
Andere, sehen zu müssen, was man da
einem geglaubten „Gotte” an Scheußlich‐
210 Briefe an Einen und Viele
keit zuzutrauen wagt, und was gar noch
armen gequälten Menschen dabei als
„Trost” herhalten muß! Und noch schau‐
derhafter ist die so vielfach vor Augen lie‐
gende Tatsache, daß von den Leidenden
solcher Trostgrund angenommen wird,
denn hier zeigt sich erst der unglaubliche
Grad der Widerstandslosigkeit, mit dem
solche Glaubenszumutung rechnen darf...
.Demgegenüber ist es Bedingung für je‐
den Erdenmenschen, der im ewigen Geiste
bewußt werden und seinen lebendigen Gott
in sich selbst empfangen will, ‒ daß er
lerne, das Leid nach Möglichkeit zu igno
rieren, jedenfalls aber ihm alle und jede
moralische Bedeutsamkeit abzuerkennen!
Aber Sie dürfen diese Worte beileibe nicht
so verstehen, als werde bei der geforderten
Entwertung des Leides übersehen, daß see‐
lisches Leid ein dumpf und stur dahin‐
lebendes Gemüt zu neuer Willensbildung
211 Briefe an Einen und Viele
aufzurütteln vermag, und daß körperliche
Schmerzen Faktoren der Gesundung, ‒
Bedingungen der Heilung sein können.
Doch, das sind Folgen, für die das Leid die
Ursache gewesen sein kann, während es
nach wie vor „Lüge” bleibt, da es dem
Geistigen im Menschen eine Bindung vor‐
täuscht, die sich ihm nur hier im tiernatur‐
bedingten Irdischen vortäuschen läßt, bis
es ihre Ohnmacht erkennt.
.Alles Leid ist nur in der Tiernatur ge‐
geben, die uns hier auf Erden zeitweilige
Darstellungsform ist, und selbst das er‐
greifendste seelische Leid, das hier emp‐
funden wird, gründet lediglich in der Tier
seele, die Funktionsergebnis des vergäng‐
lichen irdischen Leibes ist. Gewiß dürfen
Sie sich die Tierseele des Erdenmenschen
nicht derart beengt vorstellen, wie die
Tierseelen anderer Erdentiere! Durch die
Verbundenheit mit den ewigen Seelen‐
212 Briefe an Einen und Viele
kräften der geistig nur dem Menschen ge‐
gebenen, vom Tode des Körpers nicht zu er‐
fassenden Seele und mit dem individuellen
ewigen Geistesmenschentum, empfängt die
menschliche Tierseele derart hohe In‐
fluenzwirkungen, daß fast alles, was der um
sich selbst am wenigsten wissende Erden‐
mensch „seelisches” Empfinden nennt, ‒
und dabei an ewig Seelisches oder an ein
dem Tierhaften doch weit übergeordnetes
Vergängliches denkt, ‒ nur innerhalb der
hochgezüchteten erdmenschlichen Tier
seele erlebt wird, die ebenso Funktions‐
ergebnis des vergänglichen Menschtierlei‐
bes ist, wie das gehirnbedingte Denken, das
gleichfalls im Erdenmenschen das Denken
der Tiere um Gewaltiges überstiegen hat.
.So aber, wie ich das gehirngebundene
Denken, dort wo es in seinem Bereich
bleibt, wahrhaftig zu schätzen weiß, aber
nachdrücklich auch von einer anderen Art
213 Briefe an Einen und Viele
des Gedankens spreche: ‒ von dem Ge‐
danken, der sich selber denkt und, gänzlich
unabhängig von den Funktionen des Ge‐
hirns, diese nur dort benützt, wo er sich er‐
denmenschlich mitteilbar gemacht wissen
will, ‒ so spreche ich, bei aller Bewunde‐
rung für das, was die Tierseele im Menschen‐
leib aus sich zu gestalten vermochte, doch an
den Stellen meiner Schriften, die von der
Seele handeln, fast ausschließlich nur von
der aus ewigen Seelenkräften gebildeten,
unter allen Tieren allein dem Menschen,
aus seinem Geistigen heraus gegebenen
Seele, während mir die Tierseele des Men‐
schen, als dem Vergänglichen an ihm zu‐
gehörend, keinen Anlaß zu besonderen
Ratschlägen für ihre weitere Entwicklung
bietet. Sie ist ja im Verlaufe der Jahrtau‐
sende allmählich zu solcher Entwicklung
gelangt, daß sie in den meisten Menschen
die Seele der Ewigkeit fast gänzlich über
214 Briefe an Einen und Viele
deckt, und es tut wahrlich not, erkennen
zu lernen, daß unsagbar vieles, was der
Erdenmensch zu seinem höchsten Vermö‐
gen rechnet, nur das Werk seiner Tierseele
ist, ‒ auch dort, wo sie sich mit dem ihr
unzugänglich bleibenden Ewigen auf ihre
Art zu befassen trachtet. ‒ Und noch inner‐
halb dieser Tierseele wird auch das emp‐
funden, was wir auf Erden „seelisches”
Leid zu nennen pflegen.
.Wenn ich sage: „Alles Leid ist Lüge”
‒ so verneine ich, als guter Kenner viel‐
fachen tierseelisch empfindbaren und erd‐
körperlich erlebbaren Leides, wahrhaftig
nicht die intensive und bis zu vermeint‐
licher Un-Ertragbarkeit reichende Pein
gewalt des Leides, ‒ wohl aber seine ihm
vom Erdenmenschen zuerkannte, pathe‐
tisch betonte Bedeutsamkeit, ‒ im Sinne
einer vom Ewigen her dirigierten Erzie‐
hungs-Maßnahme, ‒ durch deren perma‐
215 Briefe an Einen und Viele
nente Anerkennung er nur für sich und
andere dem Leide Zuwachs auf dieser Erde
schafft, statt alle irdischen Möglichkeiten
zu seiner Vermeidung aufzurufen...
.Die von einem Leuchtenden des Urlichtes
in seiner erdmenschlichen Darstellung dar‐
gebotene irdische Leidens-Bereitschaft ge‐
hört nicht hierher, denn sie gleicht ja frei
willig dargebotenem „Tribut” an den
„Fürsten der Finsternis”, in dessen Ge‐
biet der Leuchtende ‒ die Gesetze der
Finsternis verletzend ‒ vorgedrungen ist.
Jedes Leid aber muß entlarvt werden als
ein in der Tiernatur gründendes Übel,
dessen Erduldenmüssen einen rein gesetz
mäßig zu erklärenden Zwang darstellt,
unendlich fern aller „erzieherisch” ge‐
dachten, göttlichen „Fügung”, wohl aber
Aufruf aller Kräfte des Menschen, die Leid
zu lindern, Leid zu tilgen vermögen. ‒
.Der Glaubens-„Trost”, unter göttlicher
216 Briefe an Einen und Viele
Zuchtrute zu stehen, hat unter den Men‐
schen auf dieser Erde mehr verhütbares
Leid entstehen lassen als alle tiermensch‐
liche Bosheit! ‒ Und das lediglich durch
folgerichtigen Ablauf des durch solchen
Glauben zur Auswirkung angeregten Ge‐
schehens im unsichtbaren Teil der physi‐
schen Welt!
.Hier sind jene „Peiniger” am Werk, von
denen ich im „Buch der Königlichen
Kunst”, Neuausgabe, Seite 101, gespro‐
chen habe!
.Das sind organisch gestaltete Intelligen‐
zen der unsichtbaren physischen Welt, in
denen alles Leid, das in einem sichtbaren,
greifbaren physischen Körper und der als
seinem Funktionsergebnis während seiner
Lebenszeit bestehenden Tierseele erlebt
werden kann, unbändige Wollustempfin
dungen auslöst, so daß diese vampirhaften
Lemuren ihre ganze, keineswegs unbe‐
217 Briefe an Einen und Viele
trächtliche Kraft anwenden, um von ihrem
Bereiche her das Leid der Tiere und Men
schen, ‒ ja auch selbst das, was im Leben
der Pflanzen dem Leide entspricht, ‒ zu
veranlassen, zu erhalten, und auf den
höchsten Grad zu steigern.
.Durch die stete Anerkennung des Leides
als vermeintlicher „göttlicher” Schickung
wird aller Widerstand jener Abwehrkräfte
illusorisch, die, aus dem unsichtbaren Phy‐
sischen des Erdenmenschen her, den Über‐
wältigungsanstürmen dieser unsichtbaren
Peiniger begegnen könnten, ‒ ja der arme
ahnungslose Mensch öffnet ihnen selbst alle
Wege zur Vermehrung des Leides in sei‐
nem Lebensbereich, während das Tier doch
wenigstens noch durch instinktive Abwehr
dessen, was ihm Unlustgefühle bereitet,
dem drohenden Schmerz auszuweichen
sucht...
.Es ist wahrlich nötig, das Leid zu ent‐
218 Briefe an Einen und Viele
werten, und jeder soll dabei mithelfen, so‐
bald er in sich selbst zur Einsicht kam,
was die hier von ihm geforderte Wandlung
seiner Vorstellungen für ihn und seine Mit‐
menschen zu bedeuten hat.
.Auch Sie sind zu solcher Mithilfe auf‐
gerufen!
.Das Licht der Ewigkeit erleuchte Sie!
219 Briefe an Einen und Viele
ACHTUNDZWANZIGSTER BRIEF
Wenn ich auch ‒ obgleich um das zum
Ausdruck kommende Wirkliche wissend ‒
bis heute das Wort „Segenswunsch” oft
genug gebrauche, so muß ich Ihnen doch
bestätigen, daß Ihr Fühlen Sie richtig zu
leiten wußte, wenn es Sie zu der Erkennt‐
nis drängte, daß wirklicher Segen etwas
viel Konkreteres” sein müsse, als ein
wohlmeinender Wunsch. Das konventio‐
nell gegebene Wort „Segenswunsch” wurde
und wird denn auch von mir immer nur
als Bezeichnungsform für das wirkliche Ge‐
schehen gebraucht, das vorliegen muß,
wenn von einem echten und berechtigten
Segnen die Rede sein soll, und keineswegs
nur in seinem allgemeinen Sinn, der be‐
sagt, man wünsche, daß dem Angesproche‐
nen Segen zufließe. Wer wirklich zu segnen
vermag, ‒ wie es mir aus meinem inner‐
220 Briefe an Einen und Viele
sten Sein heraus irdisch möglich ist, ‒
der muß sich dieses Vermögens auch dann
aktiv erinnern, wenn ihm ein konventio‐
nelles Wunschwort gerade gelegen kommt,
um die innere hohe Feierlichkeit unter der
allein wahrhafter Segen erteilt werden
kann, nach außen hin lieber zu verbergen.
Grund dazu bietet in der westlichen Welt
zumeist schon das Nichtwissen des Geseg‐
neten um die Möglichkeit des geistig sub
stantiellen Segnenkönnens. ‒ Daneben
aber kamen für mich auch noch andere
Gründe in Betracht, die mich die längste
Zeit bewogen, nur in besonderen Fällen
ausdrücklich zu sagen, daß der Vorgang des
Segnens aus ewigem substantiellen geisti‐
gen Licht vollzogen sei. Mir könnte natür‐
lich niemals ein Satz der irgendwie vom
Segnen handelt, zu einer Redefloskel wer‐
den. Dazu weiß ich zu bewußt um die
„Natur” der mir anvertrauten ewigen Sub
221 Briefe an Einen und Viele
stanz des Segens und ihre Auswirkungen.
Wenn Sie also am Ende meiner Briefe je‐
weils ein Wort vom Segnen finden, so dür‐
fen Sie wahrhaftig überzeugt sein, daß da
jedesmal der Vorgang des Segnens in ewi‐
gem Geiste für den berechtigten Empfänger
des Briefes vollzogen wurde, und daß ihm
dieser Segen bei jedem neuen Lesen aufs
neue zufließen wird, auch wenn solches
Wiederlesen ‒ das allerdings ein leben‐
diges Aufnehmen meiner Worte ins eigene
Innerste sein muß ‒ erst nach Jahrzehnten
erfolgen würde. Da ich Sie zudem nicht
aus bestimmter, in Ihrer Persönlichkeit
begründeter Veranlassung gesegnet habe
und segne, sondern immer im Zusammen‐
hang mit meinen Worten, als den Ange
sprochenen, der diese Worte in sich auf
nimmt, so ist dieser vollzogene Segen zu‐
gleich jedem Anderen erteilt, den Sie etwa
an meinen Briefen teilhaben lassen werden,
222 Briefe an Einen und Viele
insofern er sich selbst derart entfaltet zeigt,
daß er Segen empfangen kann... Ich spre‐
che hier nur von nüchtern zu betrachten‐
den trockenen Tatsachen, damit Sie über
die Natur dieses wiederkehrenden Segens
soweit unterrichtet sind wie das immerhin
möglich ist.
.Wirklicher Segen ist, wie ich schon eben
sagte, eine geistige Substanz, von der eine
Kraft ausgeht, deren Wirkungsgrad auf das
Genaueste der inneren Haltung des Ge‐
segneten entspricht.
.Segen ist also weder Gebet, noch Wunsch,
noch an irgendeine Geste des Segnenden
geknüpft und von keinem ausgesproche‐
nen oder auch nur gedachten Worte ab‐
hängig, sondern willensbestimmte ewige
Geistsubstanz in zeitliche Auswirkung ge‐
leitet durch einen Geistigen, der in irdi‐
scher Verkörperung lebt. Solche Vereinung
mit einem erdentierhaften Körper ist un
223 Briefe an Einen und Viele
umgängliche Notwendigkeit, wenn Segen
sich auch im äußeren Irdischen des zu
Segnenden auswirken können soll.
.Ich sehe mit geistigem „Auge” den Se‐
gen, den ich erteile, wie eine helle, strah‐
lende Lohe, weißleuchtend, im Irdischen
nur vergleichbar dem unter einem Mikro‐
skop wahrnehmbaren Leuchten des Radi
ums in verdunkeltem Raum. Allerdings ist
das Leuchten ganz unvergleichlich stärker
und nur sein Charakter erinnert mich an
das Leuchten des irdischen Elements. Die
strahlende Helligkeit der geistigen Segens‐
Substanz ist derart intensiv, daß ich aus der
irdischen Gewohnheit heraus, das Auge vor
zu starken Lichteindrücken zu schützen,
oft unwillkürlich im Reizreflex momentan
die Augenlider schließe, obwohl doch nur
das geistige „Auge” hier wahrnimmt, das
allen geistigen Lichtgraden angepaßt ist. ‒
.Segnen als Tätigkeit ist für den, dem
224 Briefe an Einen und Viele
es möglich ist, eine Reihe von Willensak
ten, durch die sich die Segen-Substanz, die
geistig-sinnlich als leuchtende, vorerst noch
„ungeformte”, unregelmäßige „Lohe” er‐
scheint, in die, für den zu spendenden
Segen notwendigen geistigen Formen um‐
gestaltet, um sodann, gemäß der ihr ge‐
gebenen Bestimmtheit, in nächster Nähe,
oder über Länder und Meere hinweg sich
auszuwirken. Auch wiederholte Auswir‐
kung kann durch willentlich gegebene Be‐
stimmtheit veranlaßt werden.
.Sie haben mehrfach in Ihren Briefen an
mich besonders betont, daß Sie den Emp‐
fang meines Segens in einer alle Selbst‐
täuschung ausschließenden Weise „körper
lich” empfänden. Ich bin auf diese Berichte
absichtlich nicht eingegangen, weil ich ‒
ohne alle Prophetie ‒ voraussah, daß hier
eines Tages ja doch eine umfassendere Be‐
sprechung nötig werden würde. Aber Ihr
225 Briefe an Einen und Viele
Empfinden hat Sie keineswegs getäuscht.
Sie haben „Körperliches”, ‒ allerdings
geistsubstantiell Körperhaftes, ‒ das aber
erdenkörperlich empfindbar ist, erdenkör‐
perliche Erkraftung und Bereicherung be‐
wirkt, in meinem, von Ihnen angenomme‐
nen Segen tatsächlich empfangen. Hierbei
sei gleich vermerkt, daß Sie wirklichen Se‐
gen auch ablehnen können. Bewußten Wil‐
lens, oder ungewollt, nur durch Ihre inne‐
re Haltung! Er kehrt dann zurück, als wenn
er an einer Granitwand abgeprallt wäre,
zu dem, der ihn ausgesandt hatte.
.Für mich ist im Geistigen die lohende
Substanz des Segens, ihrer Konsistenz nach,
zugleich so greifbar „körperlich”, wie etwa
im irdischen Außenleben der Formsand
der Erzgießer, und ebenso formbar. Noch
niemals, seitdem ich zu segnen vermag,
habe ich gesegnet, ohne an den Gesegneten
des Segens Wirkung in gleicher Weise geistig
226 Briefe an Einen und Viele
„körperlich” zu gewahren, wenn der Se‐
gen angenommen worden war.
.Sie sehen, daß es sich wahrlich hier um
ein Anderes handelt, als um das, was man
so gemeinhin „Segen” nennt, wo auf Grund
geglaubter Amtsbefugnis unter Anwendung
feststehender Wortformeln und Ausfüh‐
rung erlernter Gesten eine Zeremonie dar‐
gestellt wird, die bestenfalls nur dann eini‐
gen wirklichen Wert erhalten kann, wenn
der sie Darstellende wenigstens entspre‐
chende Gedankenkräfte durch inbrünsti‐
gen Willen zugunsten des vermeintlich von
ihm „Gesegneten” anzuregen vermag, wie
das ja einem jeden Menschen bis zu ge‐
wissem Grade möglich ist. Der „Segen der
Eltern” ist hierzu das bekannteste Beispiel.
.Um jedoch wirklichen, aus dem leben‐
digen geistigen Lichte stammenden Segen
spenden zu können, muß man selbst in
diesem ewigen Lichte sein, und ‒ Segen
227 Briefe an Einen und Viele
besitzen. Nur sich selber darf einer, der
wirklichen, ewigem Lichte entstammenden
Segen in sich verwahrt, nicht segnen. Doch
leidet er dadurch auch keinen Mangel, da
er ununterbrochen im Segen anderer steht,
die zu segnen vermögen.
.Seien Sie mir heute als ein nunmehr um
das, was geschieht, einigermaßen durch
meine Worte Wissender, in feierlichster
Weise aus meinem Segen gesegnet!
228 Briefe an Einen und Viele
NEUNUNDZWANZIGSTER BRIEF
Waren mir schon Ihre letzten lieben Briefe
deutliche Anzeichen Ihrer ganz allmählich
wachsenden, aber unverkennbar immer
größeren Aufgeschlossenheit für geistige
Wahrnehmungen, ‒ selbst dort, wo Sie
noch mit Ihrem Irdischen zu ringen hatten
oder sich noch nicht mit Sicherheit ver‐
trauen zu können meinten, ‒ so brachte
mir nun Ihr neuester Bericht eine Gewiß‐
heit, die ich dennoch kaum jetzt schon zu
erwarten gewagt hätte. Aber nun ist ja nicht
mehr daran zu zweifeln, daß Ihr geistiges
Auge sehend wurde, und daß Sie im ersten
klar bewußten Erleben Ihres Ewigen stehen.
Es ist aber auch durchaus nicht verwun‐
derlich, daß Sie, bei aller seelischen Be‐
glückung, sich des Unvermögens bewußt
werden, dem Erlebten Ausdruck in der
Sprache zu schaffen, so daß Ihnen alles,
229 Briefe an Einen und Viele
was Sie mir berichten, nur „wie ein ganz
unzulängliches Stammeln” vorkommt. Das
ist noch jedem so gegangen, der zum ersten‐
mal Gleiches wie Sie in sich erlebte, und
meistens muß es auch bei diesem Unver‐
mögen, Ewiges in Worten darzustellen,
bleiben.
.Wir können uns im Bereiche irdischer
Dinge nur verständlich machen, indem wir
das, was wir sprachlich erkennbar darstellen
wollen, mit bereits Dargestelltem verglei
chen. Eine solche Vergleichsmöglichkeit
auf der selben Ebene fehlt uns, sowie wir
Ewiges schildern wollen, und doch drängt
unser Erleben auch hier zum Wort, auch
wenn wir das Erlebte nur für uns selber
im Worte aufzeichnen wollen, und nur in
unserem Gedächtnis. Aus solcher Not her‐
aus greifen wir dann doch nach Irdischem,
das uns bei aller Unzulänglichkeit dienen
muß, so gut es geht. Und es geht nur, wenn
230 Briefe an Einen und Viele
eben diese Unzulänglichkeit bewußt und
gewollt ignoriert wird: ‒ wenn man das
Inkommensurable der zum Vergleich her‐
angezogenen Erlebensmöglichkeiten ab‐
sichtlich übersieht.
.Alles Erleben des Ewigen ist eine dau‐
ernde Lotung der Tiefe des ewigen Augen
blicks, der kein Hintereinander, kein Vor‐
her und Nachher, sondern geistig-„räum‐
lich” gegebenes, irdisch ganz undarstell‐
bares In-einander ist, das nicht erst infolge
eines unermeßlichen Nacheinanderbeste‐
hens „ewig” wird, sondern in sich, anfang‐
los ‒ endlos, Unendlichkeit „bleibt”. Wer
den ewigen Augenblick: ‒ die ganze, in
ihrer Selbstbegrenzung dem Kreis ähn‐
liche, unendliche Ewigkeit nicht in sich zu
jeder Sekunde zu erleben vermag, dem
kann man sie nicht schildern, denn alle
Schilderung geschieht in der irdischen Zeit
und wird nur als Zeitliches erfaßt. So ist
231 Briefe an Einen und Viele
denen, die nie in der Ewigkeit waren,
„Ewigkeit” zur Vorstellung einer unend‐
lich langen Zeit geworden, und schließlich
kommt auch jeder, der von überzeitlichen
Dingen wirklich reden darf, in die Zwangs‐
lage, diese Zeitvorstellung durch das glei‐
che Wort zu bezeichnen, ja, das Unend‐
liche für die Vorstellung zuweilen gleich‐
sam „einzuteilen”, so daß aus der einen,
in Wirklichkeit selbstverständlich unteil‐
baren Ewigkeit gar „Ewigkeiten” werden
können, ‒ Aeonen, ‒ als Verbildlichungen
unermeßlich langen Zeit-Raumes. Und je‐
dem, der Ewiges noch nicht in sich selbst
erlebt, wird es unsagbar schwer, die irrige
Vorstellung in sich aufzugeben, als ob Ewig‐
keit stete Gegenwart aller Zeit sei und ihr
Inbegriff einfach „die Fülle aller Zeiten”
ausmache.
.Sie sehen jetzt selbst, wie Ewiges allen
in der Zeit gegebenen Vergleichen aus‐
232 Briefe an Einen und Viele
weicht, weil es ein wesentlich Anderes ist
und nur ewiger Anschauungsart zugänglich,
zu der Sie meine Bücher unvermerkt ge‐
leitet haben. Aber wie viel „Skizze” von
allen Seiten her war nötig, um nach und
nach das Gefühl für geistig Räumliches in
Ihnen zu erwecken! ‒ Fern von jedem Wert‐
vergleich, erinnern mich meine Abhand‐
lungen über geistige Dinge immer an ge‐
wisse Zeichnungen Rembrandts, auf denen
sich die gemeinte Darstellung erst aus un‐
zähligen Strichen, die der Vorstellung im‐
mer deutlicher zu folgen suchen, herausge‐
staltet. Es ist aber nicht nur mir anders un‐
möglich, Dinge der Ewigkeit für Andere in
den Bereich ahnenden Vorfühlens zu brin‐
gen, sondern jedem, der die ewige Wirk‐
lichkeit kennt! Denen, die sie kennen aber,
genügen die geringfügigsten Andeutungen
schon, um sich untereinander zu verstehen
und jeweils zu wissen, was gemeint ist. Sie
233 Briefe an Einen und Viele
haben mir aber weit mehr als nur „Andeu‐
tungen” hingezeichnet, und ich muß Sie
eher warnen, nicht allzu deutlich werden
zu wollen, als daß ich in Ihrer Darstellung
etwas vermissen könnte...
.Bleiben Sie im Licht und seien Sie alle‐
zeit gesegnet!
234 Briefe an Einen und Viele
DREISSIGSTER BRIEF
Ich „fordere” nicht! ‒ Ich bringe! Und
jeder kann aus dem, was ich gebracht habe,
das für ihn Willensbestimmende wählen.
Was Sie meine „Forderungen” nennen,
deren Erfüllung Sie jetzt so freudig Ihr
geistiges Erlebenkönnen danken, sind le‐
diglich von mir aufgezeigte Notwendig‐
keiten, die sich aus der Struktur des Lebens
im ewigen Geiste ergeben. So ist es uner‐
läßliche Notwendigkeit, und hoch jeder
auch nur scheinbaren Willkür einer „For‐
derung” entrückt, daß Sie erst dann zu
Gottes Wiege werden können: ‒ daß erst
dann Ihr lebendiger Gott sich in Ihnen
„gebären” kann, wenn Sie dahin gelangt
sein werden, nichts mehr aus sich selbst
bedeuten zu wollen. Jede Zubilligung, die
Sie sich selber noch machen zu dürfen glau‐
ben, verrammelt das Tor der Seele mit
235 Briefe an Einen und Viele
Palisaden! Nicht das Geringste dürfen Sie
vor Ihrem Selbstbewußtsein festhalten wol‐
len als ein Ihnen Gehörendes! Gott wohnt
nicht irgendwo zur Miete. ‒ Er geht nur
in Eigenes ein! ‒ So müssen Sie Ihrem le‐
bendigen Gott alles zu eigen lassen, was
Sie bisher noch sich selbst reservieren zu
können meinten. Selbst Ihr Bewußtsein
müssen Sie Gott geben, wenn Gott Ihnen
bewußt werden soll! ‒
.Hier wird nirgends und von keiner Stelle
her etwas „gefordert”, sondern nur gezeigt,
wie die Dinge liegen, damit nicht Unmög‐
liches erhofft und dann Enttäuschung ge‐
erntet werde. Auch im Irdischen halten Sie
sich, wenn Sie erfolgreich in Ihrem Tun
sein wollen, genau an die gegebenen Be‐
dingungen, unter denen ein Vorgang mög‐
lich ist. Hier wissen Sie um diese Be‐
dingungen durch Ihre und vieler anderen
stets bestätigte Erfahrung. Im Ewigen aber
236 Briefe an Einen und Viele
können Sie solche Erfahrung erst machen,
wenn Sie erreicht haben, was Sie erreichen
wollen, und deshalb muß man Ihnen vom
Ewigen her zeigen, was nötig ist, damit Sie
zu der von Ihnen ersehnten Erfahrung ge
langen. Sie sind ja jetzt auf dem besten
Wege dazu.
.Sehr schön sind Ihre Ausführungen über
die nun erlangte Erlebensgewißheit im
Ewigen, die Ihnen erst letzte Bestätigung
dafür gab, daß es schlechterdings keine
Möglichkeit geben kann, die Seele eines
der Erde Verstorbenen irdisch wahrzuneh‐
men, da, wie Sie bereits erkennen, alle
Lebens-Äußerungen der irdisch Entkör‐
perten außerhalb der Erfahrungsbereiche
erdkörperlicher Sinne liegen. Aber auch
Ihr nunmehr seine ersten Erfahrungen be‐
ginnendes Bewußtwerden im Ewigen liegt
weitab von allem, was die tiergemeinsame
Seele und was Körpersinne erfahren kön‐
237 Briefe an Einen und Viele
nen. Eben darum muß ich auf die leise
Warnung am Schluß meines letzten Briefes
doch noch einmal zurückkommen, und Sie
bitten, Ihren Drang, das geistig Erlebte um
der Deutlichkeit der Mitteilung willen in
irdische Erfahrungsreihen einzubeziehen,
nach Möglichkeit zu dämpfen. Ich weiß
auch dann, was Sie meinen, wenn Sie nur
die allernötigsten Andeutungen geben. Er‐
leben im Ewigen kann nicht in die nur für
das zeitliche Erleben ausreichende Sprache
„übersetzt” werden, auch wenn man eine
erdenmenschliche Sprache um Tausende
und Abertausende von Worten und Be‐
griffen vermehren wollte. Unsere irdischen
Sprachen sind in der Zeit entstanden um
Zeitliches zu bezeichnen, und können un‐
möglich der ihnen ganz inkommensurablen
Art sich gefügig erweisen, in der Ewiges zu
Bewußtsein kommt. Der wiederholte ei‐
genwillige Versuch, das Unmögliche „viel‐
238 Briefe an Einen und Viele
leicht doch” möglich zu machen, kann
aber zu einer Lähmung Ihrer geistigen
Aufnahmeorgane führen, noch bevor sie
hinreichend entwickelt sind, um Sie das
Gefährliche Ihres Drängens nach irdischer
Verdeutlichung erkennen zu lassen. So be‐
greiflich Ihr Wunsch ist, das innerlich nun
so stark zu Bewußtsein Gelangende in Wor‐
ten der gehirnbedingten Sprache auszu‐
drücken, so verhängnisvoll kann er für Sie
werden. Ich will Sie aber gewiß vor dem
was hier droht, bewahrt sehen.
.Führen Sie auch keine Selbstgespräche
in sich, in der Meinung, mit Gott zu reden!
Gott „spricht” erst dann in Ihnen, wenn
Sie in sich vollkommen still zu bleiben ver‐
mögen. Gott „hört” nur, was ihm Ihr
Stillesein sagt. ‒ Und niemals „spricht”
Gott in Ihnen in Worten einer irdischen
Sprache!
.Empfangen Sie allen Segen, den Sie
239 Briefe an Einen und Viele
brauchen, und gehen Sie freudig und
sicher, aber dennoch behutsam, den Ihnen
erst seit so kurzer Zeit nun geöffneten
Weg!
Gott kann nur soviel „geben
.wie er „nimmt”,
Denn aller Gabe Maß
.ist ihm bestimmt
Durch das, was der Begabte
.freudvoll gibt,
Der seines Gottes Gabe
.mehr als alle Habe
.liebt!
240 Briefe an Einen und Viele
SCHLUSSWORT
Strenge versage ich mir
.hier über Dinge zu richten,
Die meinem Rechtspruchrechte
.erdenhaft nicht unterstehen.
Allen Gewichtigen aber,
.wie allen windigen Wichten,
Weiß ich die Wägung sicher,
.der sie gewiß
.nicht entgehen...
Jeder muß selber dereinst sich
.auf unerbittlicher Waage,
Klar offenbaren vor Allen
.an seinem Selbstrichte-Tage!
*
242 Briefe an Einen und Viele
Es wäre gewiß möglich, diese Briefe um
viele andere zu vermehren, und es mag
nicht ausgeschlossen sein, daß ich eines
Tages dem vorliegenden Zyklus einen zwei‐
ten folgen lasse. Fürs erste aber ist genug
gegeben! Wenn das, was vorliegt, in dem
dafür ausersehenen Leser den Wunsch er‐
wecken kann, mehr in dieser Form Ge‐
staltetes zu eigener Förderung dargeboten
zu erhalten, so ist damit der Aufgabe die‐
ses Buches besser entsprochen, als wenn
ich den Inhalt so umfangreich hätte werden
lassen, daß notwendigerweise die leben‐
dige Übersicht über das Ganze erschwert
worden wäre. Das ganz kleine Schriftchen:
In eigener Sache” hat in zahlreichen
Beweisen wieder aufs deutlichste gezeigt,
wie die Klärung, die von Worten aus‐
gehen kann, nicht vom seitenmäßigen
Umfang einer Bekundung abhängig ist,
wohl aber von der Möglichkeit, das Ge‐
243 Briefe an Einen und Viele
gebene in einem Blick innerlich umfassen
zu können.
.Absichtlich unerwähnt ließ ich in den
Briefkapiteln des vorliegenden Buches die
durch mein ewiges Sein allein bedingte
sprachliche Selbstdarstellung in den drei
Silben „Bô Yin Râ”, die vielen an mei‐
nen Lehrschriften Vorübergehenden immer
noch „Pseudonym” heißt, und Gegenstand
beharrlichster Fehldeutung bleibt... Ich
hatte für die Reihenfolge der Briefe einen
Entwicklungsgang zur Richtschnur genom‐
men, der mir mit allen seinen Zwischen‐
spielen aus vielen Einzelfällen her bekannt
ist, wobei aber der Suchende jeweils schon
lange bevor er das erste Wort an mich rich‐
tete, sich den konventionellen Fesseln ent‐
wunden wußte, die andere an gewissen gar
zu niedrigen Blickpunkten festhalten, von
denen aus nur die grotesken Zerrgebilde
der „Froschperspektive” zu erlangen sind.
244 Briefe an Einen und Viele
Unmöglich konnte ich daher in dem von
mir gewählten Zusammenhang einen der
wenigen Briefe reproduzieren, die ich vor
vielen Jahren gelegentlich auch über die
mir äquivalenten drei Silben und ihre „tra‐
genden” Buchstaben zu schreiben genötigt
war. Hier aber das im Buchverlauf absicht‐
lich Unterlassene nicht zum Schluß doch
noch nachholen zu wollen, wäre kaum ver‐
antwortbare Versäumnis. Andererseits aber
liegt kein Grund vor, für das, was diesbe‐
züglich zu sagen ist, die Briefform beizu‐
behalten, obwohl nichts anderes zur Er‐
örterung gelangen kann, als was in den
oben erwähnten seltenen Briefen dargelegt
wurde.
Immer wieder muß ich gewahren, daß man
in bezug auf die Silbenformel, die meinem
ewigen Sein entspricht, das Ungewohnte
eines Buchstabenbildes und seines laut‐
245 Briefe an Einen und Viele
lichen Ausdrucks mit dem Begriff des
„Fremdländischen” verwechselt.
.Der angeblich „indische” Name, dem
man hier zu begegnen glaubt, würde aber,
‒ wenn die drei Silben so gemeint wären, ‒
in keiner Weise einem sprachlichen Kanon
indischer Namensgestaltung entsprechen.
Ebensowenig ist etwa hier Chinesisches
gemeint. Ich bitte Indologen und Orienta‐
listen, mir verzeihen zu wollen, daß ich
solche Selbstverständlichkeit überhaupt er‐
wähne. Ich bin leider genötigt dazu!
.Wenn ich mir ein „Pseudonym” hätte
schaffen wollen, dann wäre ja nur Wahn‐
sinn imstande gewesen, den Decknamen
aus Sprachbezirken herleiten zu wollen,
die zu meiner amtsnotorischen kurmain‐
zisch-fränkischen Abstammung von bäuer‐
lichen Winzern, Forstleuten und ländlichen
Handwerksmeistern, und meinen zu keiner
Zeit verdunkelten äußeren Lebenswegen,
246 Briefe an Einen und Viele
auch nicht die leiseste Beziehung haben!
Könnte aber auch eher ein abenteuerlicher,
kauziger Sonderling, der Jahr und Tag in
asiatischen Ländern den ihm von Hause aus
Nahen verschollen war, vielleicht auf die
romantische Idee kommen, sich hinter ein
exotisches Pseudonym zu verstecken, so
müßte er doch schon recht weltfremd ge‐
worden sein, wenn er etwa zu glauben ver‐
möchte, seine Maskerade werde heute in
Europa von einsichtigen Menschen noch
ernst genommen. Alles was ich je geschrie‐
ben habe, wendet sich einzig und allein an
Menschen, denen ein Europäer, der sich
hinter einem asiatischen Decknamen ver‐
birgt, nur an Stätten der Kurzweil: ‒ bei
Künstekundigen seltsamen Könnens oder
körperlicher Kraft und Kühnheit, ‒ noch
allenfalls erträglich ist. So geht es mir na‐
türlich auch selbst, und ich weiß von mir
auf Andere zu schließen. Zudem habe ich
247 Briefe an Einen und Viele
nicht eine einzige Zeile im Namen der
meinem Ewigen äquivalenten Silbenfor‐
mel ‒ oder auch nur ihrer „tragenden”
Buchstaben ‒ veröffentlicht, ohne eine
recht ansehnliche Zahl mir Nahestehender
genau über das geistig Gegebene orientiert
zu wissen, das mir die Pflicht auferlegte,
meinem bürgerlichen Familiennamen nicht
zuzuschreiben, was ihm nicht zukommt.
Es war jedoch nicht der mindeste Grund
vorhanden, der mich hätte veranlassen kön‐
nen, ein „Pseudonym” zu verwenden, und
überdies waren mir durch verschiedene
Fügungen meines Lebens, lange bevor ich
selbst Bücher zu veröffentlichen hatte, mehr
als hinreichende Einblicke in die Praxis
verlegerischer und redaktioneller Urteils‐
bildung zuteil geworden, als daß ich mich
‒ selbst wenn mir ein „Pseudonym” nötig
erschienen wäre ‒ auch nur der leisesten
Täuschung darüber hätte hingeben dürfen,
248 Briefe an Einen und Viele
daß nichts verkehrter sein könne, als es
von asiatischen Sprachen herzuholen.
.Mit Recht weigern sich in aller Welt alle
Urteilsfähigen, auf irgendeine törichte Mas‐
kierung einzugehen, die nur ein kläglich
Urteilsloser als Förderung der Aufmerksam‐
keit auf ihn und seine Sache werten könnte.
Über die drei Silben „Bô Yin Râ” äußerte
ich mich schon vor geraumer Zeit in einer
Verlags-Flugschrift dem Sinne nach dahin:
‒ daß es sich hier nicht etwa um drei
„Worte” handelt, aus deren „Bedeutung”
man irgend etwas herausgeheimnissen
könnte, trotzdem sie als Silben auch
Sprachwurzeln alter Sprachen entsprechen,
sondern, daß diese sieben Buchstaben den,
meinem substantiellen urgeistigen Sein
äquivalenten „Namen” bilden, weil ihre
Laut- und Zeichenwerte meiner ewigen gei
stigen Wesensart entsprechen, so, wie eine
249 Briefe an Einen und Viele
bestimmte, in Buchstaben bezeichenbare
Notengruppe einem bestimmten Akkord
entspricht. (Das „Y” in „Yin” ist als „Ü”‐
Laut zu sprechen, verwandt dem althoch‐
deutschen „Win”, und kann nicht durch
„J” ersetzt werden. Die Dachstriche über
„o” und „a” sind Dehnungsanweisungen.)
.War ich auch in meinem Ewigen immer
in dem bewußt, was die Formel der drei
Silben Bô Yin Râ meint, so mußte ich
dessen doch erst im Laufe der Zeit auch in
meinem Gehirnbewußtsein bewußt ge‐
macht werden. Hiervon handelten an der
genannten Stelle einige Worte, in denen
ich darlegte, wie mir meine geistige Schu‐
lung sehr entscheidend andere Begriffe
vom Wesen eines wahren „Namens” nahe‐
brachte, als sie landläufig hier auf Erden
zu finden sind. Ich berichtete kurz davon,
daß ich durch meine seelische Erziehung
zum Bewußtsein der geheimnisvollen Wege
250 Briefe an Einen und Viele
gelangt war, die von einem „Namen” zu
einem neuen „Namen” führen, wobei ge‐
wisse Buchstaben dieser „Namen” wie
geistige „Antennen” wirken, über die dem
auf solche Weise unsichtbar Geführten stets
neue geistige Hilfe zukommt. Und im wei‐
teren bekannte ich, daß ich während meiner
geistgeleiteten Schulung selbst manche
solche „Namen” getragen hatte, die ich
erst in stets erneuter Selbstüberwindung
wieder überwinden lernen mußte, bevor ich
meines urewigen Namens auch in meinem
vergänglichen Irdischen geistig wahrhaft
würdig werden konnte, soweit das äußere
natürliche Entwicklung sukzessive zuließ.
.Lange genug war ich bereits den mir vor‐
bezeichneten Weg der „Namen” entlang
geschritten und wußte wahrhaftig aus eige‐
ner Erfahrung um der geistgeformten Na‐
men kräfteweckende Natur, aber es schien
mir unmöglich, meinem mir damals seit
251 Briefe an Einen und Viele
Jahren schon auch irdisch in seiner Sub
stanz bewußten urewigen Namen ein
Äquivalent in Lauten und Buchstaben
zu schaffen, bis mir mein geistiger Erzieher
inmitten anderer, mir gleich ihm im Geiste
Vereinten, in einer gesegneten Nacht an
hellenischem Meer, Augen und Ohren da‐
für öffnete, wie dies dennoch möglich, ‒
ja notwendig sei... Von da an hatte ich
nun auch die irdische Lautformel und ihre
Zeichen für das, was im Ewigen substan
tiell mein „Name” ist: ‒ geistig in ewiger
Zeugung durch den Vater bestimmte Kraft
form und diese Form ewig nach einmalig
gesetztem Impuls aus dem Vater bewegen‐
der Wille.
.Das ist das wirkliche Geheimnis um den
angeblich „indischen” Namen, in dem man
aus gewohnter eigener Perspektive her ein
„fremdländisches” Pseudonym zu erken‐
nen glaubt!
252 Briefe an Einen und Viele
Da aber nichts im ewigen Sein, und daher
auch nichts im irdischen Dasein isoliert in
sich selbst ruht, so ist auch das, was ich in
meinem ewigen Namen bin, dem die For‐
mel: Bô Yin Râ ja nur irdischen Ausdruck
schafft, mit unendlich vielem in enger und
ferner Verbindung, wodurch denn auch in
mancher Deutung, die man dieser erden‐
sinnlich faßbaren Formel gibt, ‒ sei es auf
Grund von sprachlichen, laut- und tonmäßi‐
gen, oder aus den Buchstabenzeichen her‐
stammenden Assoziationen, ‒ mehr Wirk
lichkeitsentsprechung steckt, als die je‐
weiligen „Entdecker” und zu den merk‐
würdigsten Vergleichen greifenden „Deu‐
ter” ahnen können.
.Daß es mir wider den guten Geschmack
geht, die auf Grund gegebener Assozia‐
tionen möglichen Analysen der drei Silben
auch noch gar durch Hinweise selbst zu
fördern, ‒ wie es oft genug von mir ver‐
253 Briefe an Einen und Viele
langt wurde, ‒ wird man wohl verstehen
lernen müssen. Keinem einzigen, der meine
Lehrschriften Befragenden könnte sein Weg
leichter gangbar werden, wenn er auch ge‐
nauestens wüßte, welche Lande uralter re‐
ligiöser Kultur mir zur Zeit der Vorberei‐
tung auf mein irdisches Wirken seelisch‐
geistig schon heimliche Heimat waren, und
ebensowenig würde es einem Suchenden
auch nur das geringste nützen, wenn er
alle ‒ mir selbst sehr gleichgültigen ‒ ge‐
heimen Bedeutungen der Buchstaben in
den drei Silben, sowie ihre im Orient tra‐
ditionellen Zahlwerte entdeckt hätte. Man
darf nicht von mir Erörterungen über
Dinge erwarten, denen ich selbst in mei‐
ner eigenen Lebenssphäre bewußten Wil‐
lens alle besondere Beachtung versage, weil
sie in der mir dargebotenen Zeit, inner‐
halb der Welt, die mir Wirkungsbereich
ist, ohne Gegenwartsbedeutung sind.
254 Briefe an Einen und Viele
.Wer es nicht lassen kann, jeglichen Fähr‐
ten nachzuspüren, die seinen Pfad zum
Lichte auf allen Höhenlagen von irgend‐
einer Richtung her kreuzen, der wird
schwerlich in diesem Erdenleben dahin ge‐
langen, wohin besonnenes Weiterschreiten
ihn gelangen lassen könnte. Auch die edel‐
ste Wißbegier wird Verführung, wenn sie
vom eigenen Wege abziehen will, und ich
kann unmöglich dem Vorschub leisten, was
ich als den Suchenden hindernd erkenne.
Es gibt auch wirklich noch genug Aufgaben,
die mir näherliegen, als die Befriedigung
grübelnder Neugier!
.So schließe ich heute dieses Buch, wie
ich es geschrieben habe: ‒ seine, ihm von
mir geistig erlesenen, zubestimmten Le
ser segnend aus dem ewigen Licht, ‒ in
meinem ewigen Namen
Signatur
255 Briefe an Einen und Viele
ENDE