ÜBER
DEM
ALLTAG
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KOBER' SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
BASEL
UM DEN FORDERUNGEN DES URHEBERRECHTES
ZU ENTSPRECHEN, SEI HIER VERMERKT, DASS
ICH IM ZEITBEDINGTEN LEBEN DEN NAMEN
JOSEPH ANTON SCHNEIDERFRANKEN FÜHRE,
WIE ICH IN MEINEM EWIGEN GEISTIGEN SEIN
URBEDINGT BIN IN DEN DREI SILBEN:
BÔ YIN RÂ
BASLE 1931
COPYRIGHT BY KOBER'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
INHALT Seite
Über dem Alltag 5
Meereserinnern 9
Wort im „Wort” 13
Er 17
Bedingnis 21
Notwendige Erdschwere 25
Werk des Lenkers 29
Der Leuchtende 33
Wenn 37
Leicht zu finden 41
Um mich selber wissend 45
Verlangtes Opfer 49
Der Gruß des Erstandenen 53
Joh. XIV, 6 57
In meinem Namen 61
„Ich”! 65
Menschwerdung 69
Schwere Forderung 73
Verkörperung des Geistes 77
Unvermögen 81
Verpflichtung 85
Wert des Wartens 89
„Weltanschauung” 93
Zeitwandel 97
Klugheit 101
Ehrfurcht den Alten 105
Jugendlob 109
Erfahrungsweisheit 113
Üble Folge 117
Vorzeitiges Vermeinen 121
Jung und Alt 125
Berufung 129
Wert des schönen Scheins 133
Gnadenreiche Lenkung 137
Originalscan1  Originalscan2
ÜBER DEM ALLTAG
Über dem Alltag
Wollen wir wandeln!
Doch soll es hier sich um Dinge handeln,
Die auch dem Alltäglichen zugehören.
Wir wollen nicht Sinn und Herz betören,
Zu glauben, der Alltag sei uns fern,
Lebten wir auf einem fernen Stern.
Wir wollen hier nur so manches betrachten,
Was alle Alltäglichen allzeit verlachten.
Wir wollen den Alltag lieben und ehren
Und keinem seiner Rechte wehren.
Doch wollen wir Höhen und Firnen ersteigen
Die auch Alltagsfernes uns nahe zeigen.
Wir wollen den Alltag
Unter uns sehen
Und uns in ewigem Lichte ergehen.
Wir wollen uns aus dem Alltag erheben,
Um kraftvoll in ihm uns erneut zu erleben!
*
7 Über dem Alltag
MEERESERINNERN
Das war am Meer ‒
Das war an nächtlichem Gestade ‒
Als ich zum erstenmale aus geweihtem Mund
Mich selbst in meinem Namen nennen hörte, ‒
Als Wahrheit wurde zugesagte Gnade,
Und kein Ersehnen mehr
Die Stunde störte.
Nun fühlte ich,
Bewußt in meinem Namen,
Zum erstenmal die Schwere meiner Bürde.
Daß Hochgeheiligte aus fernen Zonen kamen,
War Folgeleistung ihrer eigenen Würde.
Das war am Meer ‒
An griechischem Gestade ‒
Als keine Bindung mehr
Der Weihe wehrte, ‒
Und unerfaßlich lichterfüllte Gnade
Ewiger Urkunft mich erinnern lehrte...
*
11 Über dem Alltag
WORT IM „WORT”
Da ich zum erstenmal die geistgeeinten
Und mir im Geiste brüderlich vereinten
      Menschen,
Die ich, bis auf einen,
Niemals im Irdischen vordem gesehen hatte,
Meinen Namen
In der Weise ihrer Zungen
Sprechen hörte,
Fühlte ich im Innersten mich so erschüttert,
daß ich kaum die Sprechenden: ‒
Die geistgeeinten Meister, ‒
Um mich her noch klar gewahren konnte
Durch den Schleier den das Auge sich er‐
      zeugte...
Es war für mich erschreckend und verwirrend,
Daß sie mich in meinem Namen kannten: ‒
In dem ewigkeitsgezeugten Namen,
Der ich ‒ bin,
So, wie die Quelle Wasser ist,
Und eines Wortes Inbegriff:
Sein Sinn!
15 Über dem Alltag
Wohl war ich, was sie lauthaft sprachen,
Wie es sich in Menschenlauten wiedergeben
      läßt,
Seit Ewigkeiten, ‒
Doch niemand hatte vordem je
In erdenhaften Zeiten
Den Namen mir genannt,
In dem ich selbst mich kannte,
So, wie der ewigliche Vater mich im „Wort”
Bei Namen nannte.
Nun „gaben” mir die hohen Meister
Und von da an meine Brüder,
Diesen gleichen Namen
Hier in Lauten dieser Erde, ‒
Auf daß Urewiges allhier aufs neue,
Neu geformt, in ihm verkündet werde.
*
16 Über dem Alltag
ER
Eh' ich Ihn kennen konnte,
War er lange schon mir geistig nah.
Doch viele Jahre mußten so vergehen,
Ehe ich Ihn leibhaft vor mir sah.
Er, der in sich mich kannte
Und stets um mich war,
Erschien mir vordem gar als ungebannte
Drohende Gefahr.
Erst mußte alle Furcht ich in mir über‐
      winden;
Nicht eher durfte ich Ihn leibhaft vor mir
      finden.
Als ich Ihn dann erkannte,
Kannte ich mich langhin selbst nicht mehr,
Und was ich irdisch vordem lebte, ‒
Schwand mir,
Ward mir schal,
Vergessenswürdig,
Wertelos
Und leer.
‒ ‒ ‒
19 Über dem Alltag
Nun sind wir lang schon
Ineinander Eines
Und doch Zwei, ‒
Und solcherart vereint
Zu geistigem Bewußtsein ‒ :
In Zweieinheit ‒ Drei.
Nie wirkt der Eine, nie der Andere allein,
Denn jeder tritt zugleich für Beide
Und sich selber ein.
*
20 Über dem Alltag
BEDINGNIS
Unzähligemale
Bin ich gefallen!
Gefallen auf meinem Wege zum Licht, ‒
Gefallen, wo ich weiterschreiten sollte, ‒
Gefallen, wo ich unbewegsam stehen wollte!
Sünde häufte ich auf Sünde,
Torheit auf Torheit,
Schuld auf Schuld, ‒ ‒
Unvermeidbar! ‒
Denn die mich formten,
Mußten mich in meinem eignen Staube
      schleifen,
Wie man den härtesten der Edelsteine
Nur in seinem Staube schleifen kann.
Niemals ward mir Sünde Genuß!
Niemals Torheit Freude!
Niemals Schuld Befriedigung!
*
23 Über dem Alltag
NOTWENDIGE ERDSCHWERE
Lichtgezeugt in ungezeugtem Lichte,
Nicht beschwert von niederziehendem Gewichte,
Würde jeder Leuchtende zunichte,
Wagte er sich in der Erde Dichte,
Wehrend, sich dem Dichten zu vereinen.
Denn im schwerefreien Lichten, Reinen,
Ist, was ist, gelöst von Schein und Meinen,
Urverschmolzen nur dem ewig Einen.
Um dem Vielen fördernd sich zu geben,
Braucht es dieser Vielheit Schein und Streben,
Braucht es zeitbedingtes Tun und Leben,
Braucht es Schweres, um es zu erheben.
Darum drängt der Leuchtende zur Erde,
Spähend wie der Adler über einer Herde,
Daß der Erdmensch ihm zu eigen werde,
Der im Willen ihm verbunden war,
Unberechenbare Zeiten eher,
Vordem den Verbundenen ein Weib der Erde
Sich zum Menschensohn gebar!
*
27 Über dem Alltag
WERK DES LENKERS
Wer weiß die Wege, die der Lenker weist, ‒
Einer der großen Vier im ungezeugten Geist, ‒
Wenn er den Leuchtenden zur Erde leitet,
Allda das Irdische zu finden,
Das er selbst dem Geist bereitet,
Auf daß in ihm das Licht der Ewigkeit
Zur Stätte komme, ‒
Erdenfarben, ‒
Zur gesetzten Zeit?
Hier kann nicht Menschenurteil sich erfüllen,
Denn weise weiß der Lenker zu verhüllen,
Wie er das Widersprechende bezwungen: ‒
Wie er den Erdenleib dem Leuchtenden er‐
      rungen,
Dem selbst im Geist nicht kund ward,
Wie der Weg verlief,
Weil, frei von Durst nach Wissen und Er‐
      kennen,
Er nur des Lenkers Stimme folgen mußte,
Die zur Erde rief.
*
31 Über dem Alltag
DER LEUCHTENDE
Zum Tode bereit stets ‒
Dem Leben geweiht ‒
In heiliger Inbrunst
Entbrannt ‒
Benedeit ‒
Dämonen verhaßt ‒
Erzengeln Erwählter ‒
Vorwurf den Nächtigen: ‒
Urlichtvermählter! ‒
Urlichtdurchleuchtet
Im Hohen und Tiefen ‒
Lichtbringer Allen,
Die nach ihm riefen. ‒
Allen gegeben: ‒
Sich selbst nur verwehrt,
Gleichwie das Wachs,
Das zu Licht
Sich verzehrt.
*
35 Über dem Alltag
WENN...
Wenn ich nicht wäre der ich bin: ‒
Ich wäre dennoch nicht der Tor,
Der ich wahrhaftig wäre,
Griffe der Toren Schätzung,
Die mich nur nach ihrer Elle Aichung
Messen können,
Nicht so in's Leere!
Wenn ich nicht wäre, der ich bin,
Dann wäre ich noch immer nicht
Für die zu fassen,
Die nur zu fassen wissen,
Was sie nicht mehr hassen,
Weil es ihnen gleicht
Und nur das ihnen noch Erreichbare
Erreicht!
*
39 Über dem Alltag
LEICHT ZU FINDEN
Was sie bei mir gelesen haben,
Verrät sich durch geheime Zeichen,
Die ich dem Meinen eingegraben,
Das sie als Eigenes weiterreichen.
Nur wurde leider auch daneben
Der Worte Sinn nur halb verstanden,
Und freies, lichtgezeugtes Leben
Schlug Unverstand in enge Banden.
*
43 Über dem Alltag
UM MICH
SELBER WISSEND
Nehmt es wie ihr wollt:
Ich bin lauteres Gold
Und Gold ist, was ich künde, ‒
Ja: Gold ‒ selbst meine Sünde.
Nehmt es, wie ihr es ertragt!
Nehmt es, wie es euch behagt!
Spottet, oder ehret!
Nichts sei euch verwehret!
Goldschmied hat sich sehr gemüht ‒
Mich gehämmert und geglüht ‒
Ausgeschieden fremde Erden, ‒
Streng mußt' ich geläutert werden!
Nehmt es wie ihr wollt:
Ich bin lauteres Gold!
Gold ist, was ich künde!
Gold: ‒ noch meine Sünde!
*
47 Über dem Alltag
VERLANGTES OPFER
Es brauchte viele, viele Jahre
Bis ich alle Widerstände menschlichen Emp‐
      pfindens
Die dem Erdenkörper erbhaft eigen,
Oder aber anerzogen worden waren,
So bezwungen hatte,
Daß ich mich selber, ‒
Mich, den ewigkeitsgezeugten Lichtgeeinten, ‒
Aus dem Menschlichen bekennen konnte,
Das mir Diener meiner Offenbarung ist.
Gar irrig aber wäre hier der Glaube:
Als ob mein Irdisches mich eher nicht emp‐
      funden
Und mich ‒ im Allerinnersten verbunden ‒
Nicht bis ins Tiefste im Erleben aufgenom‐
      men hätte!
Hier liegt keine „Entwicklung der Erkennt‐
      nis” vor
Denn: ‒ offen stand dem Irdischen durch
      mich das Tor
51 Über dem Alltag
Zu meinem ewigkeitsgezeugten Sein
Von jener Stunde an,
In der die Meinen den Bereiteten
Bereit zur Weihe fanden
Und ihn an seine mir gelobten Pflichten
      banden.
Besorgsam suchte nur die Seele
Mannigfaltig immer wieder zu verbergen,
Was Ereignis hier geworden war...
Und brachte sie auch mutvoll mir bedin‐
      gungslos
Sich selber dar,
So hatte doch sie noch sich selbst zu über‐
      winden, ‒
Nicht eher konnte sie die Kraft,
Mich zu bekennen, wie ich mich in ihr
      bekenne,
Endlich ‒ in der längsterlangten Einheit
Mit mir selber ‒ in sich finden!
*
52 Über dem Alltag
DER GRUSS
DES ERSTANDENEN
Fürchtet euch nicht!”
Ihr in mir Geweihten!
Fürchtet euch nicht:
Ich will euch geleiten!
Ich bin kein Schatten, euch zu erschrecken, ‒
Aus Angst und Traum will ich euch wecken.
Fürchtet euch nicht!”
So wird der Gruß
Des Meisters berichtet,
Wenn er, von himmlischer Lohe umlichtet,
Nach seinem Heimgang
Den Seinen sich zeigte,
Irdischer Inbrunst sich niederneigte.
Fürchtet euch nicht!”
Ich will bei euch bleiben, ‒
Jedem der Meinen mich einverleiben, ‒
Jedem, der sich in mir erkennt,
Wie ihn der Vater
Bei Namen nennt!
55 Über dem Alltag
Liebender Leiter im ewigen Licht ‒
Bleibe ich bei euch: ‒
Fürchtet euch nicht!”
*
56 Über dem Alltag
JOH. XIV, 6
Ich bin der Weg,
Die Wahrheit und das Leben!”
Zum Vater fanden, die ihn fanden,
Nur durch mich!
In mir nur
Kannst du dich zum Ewigen erheben!
In mir nur
Findest du dein wahres „Ich”! ‒ ‒
Ich bin das Wort
Das nur sich selber spricht!
Ich bin die Gnade,
Die Erlösung
Und das Licht!
*
59 Über dem Alltag
IN MEINEM NAMEN
Ihr kennt mich nur in einer
Meiner irdischen Gestalten,
Und sie allein nur habt ihr zeitlich festge‐
      halten...
Ihr wißt nur um den Lehrenden der dann am
      Kreuze starb,
Und der als Größter aller Liebenden,
Verwirktes, das nur Liebe lösen konnte,
Aller Erdenmenschheit wieder neu erwarb...
Ihr wißt noch nicht,
Daß ich auch anderen der Euren eingeboren
      war,
Und immer wieder hier den Sohn der Erde
      finde,
Den ein irdisch Weib dazu gebar,
Mir irdisches Gefäß zu sein aus körperhaftem
      Leben,
Dem ich mich einverleibe um in ihm zum
      Vater
Alle Erdenmenschheit zu erheben!
*
63 Über dem Alltag
„ICH”!
Ich” ist das Wort
Und ist die Stimme
Die es spricht!
„Ich” ist das Gold
Und ist der Hort: ‒
„Ich” ist der Leuchtende
Und ist das Licht!
Ich” bin sie Alle,
Die in mir ich bin!
„Ich” bin die Form,
Ihr Inhalt, ‒
Die Gestaltung
Und ihr Sinn!
„Ich” bin der Krug
Und bin der Töpfer: ‒
Der Mensch der Erde
Und sein Schöpfer!
*
67 Über dem Alltag
MENSCHWERDUNG
Tierverbunden mußt du sein,
Um den Menschen zu erleben. ‒
Geh' nur zu dir selber ein
Und bleib' nicht im Denken kleben
Auch nicht „Rückkehr zur Natur”
Bringt dir die ersehnte Klarheit!
Und du bist nicht auf der Spur,
Suchst du „forschend” nach der Wahrheit! ‒
Tiernatur und ihre Kräfte
Blut und alle Lebenssäfte
Dienen ewigen Gewalten,
Um in dir sich zu gestalten.
In das tiergebannte Leben
Ruft den Geist dein eigen Streben...
Nicht bedarf es hehrer Handlung! ‒
Nur der Wille wirkt die Wandlung!
*
71 Über dem Alltag
SCHWERE FORDERUNG
Belächelt nicht das Kind, geliebte Freunde,
Wenn es euch erzählt von Dingen,
Die ihm wirklich sind, ‒
Obwohl ihr dieser Dinge Wirklichkeit
Nicht mehr zu fassen wißt,
Wie ehemals, da ihr noch selbst
Das gleiche Wirkliche
Auf eure Art erfahren durftet!
Belächelt nicht,
Was euch der kleine Mund ‒
Kaum mächtig aller Worte
Die er formen möchte ‒
Erzählt von Wundern,
Die sich Nacht und Tag hindurch
In eures Kindes Welt ereignet haben!
Ihr werdet diese Welt des Kindes
Wieder in euch finden müssen,
Wenn ihr dorthin finden wollt,
Wohin das tiefste Sehnen eurer Seele
Finden will!
75 Über dem Alltag
Das hohe Meisterwort:
„So ihr nicht werdet wie die Kinder...”
Ist nicht als billiger „Vergleich” gemeint!
Es kündet die Bedingung,
Die erfüllt sein muß
Von jedem Erdenmenschen,
Der erlöst, im ewigkeitsgezeugten Geist
Sich selber wiederfinden will! ‒
*
76 Über dem Alltag
VERKÖRPERUNG
DES GEISTES
Den Geist der Ewigkeit
Kannst du nicht unvermittelt finden.
Um faßbar dir zu werden,
Muß er sich an Körperhaftes binden.
Die gröbsten, wie die allerfeinsten,
Der Organe deines Erdenleibes
Mußt du ganz dem Geiste geben,
Damit er sie erwecken und befruchten kann
Mit seinem Leben!
In jeglichem Organ des Körpers
Schafft der Geist dann, ‒
Bleibt dein Wille wach, ‒
Sich eine „Zunge”: ‒ einen „Mund”, ‒ ‒
Doch, erst, wenn ihm dein Körper
Resonanz zu bieten weiß, ‒
Wird dir des Geistes sanfte Sprache
Auch als menschliches Erfühlen
Und Gedanke kund!
„Vergeistigung des Körpers”
Könnte selbst ein Gott niemals erringen, ‒
Nur die Verkörperung des Geistes
Weiß dich in den Geist zu bringen!
*
79 Über dem Alltag
UNVERMÖGEN
Seid sicher,
Daß auch nicht die Enkelkinder eurer Enkel
Eine Zeit erleben werden,
Die auf Erden keinen Krieg mehr kennt!
Seid sicher,
Daß auch noch der fernste Nachfahr
Mordbedrohung um der Selbstsucht willen
Unter Menschen dieser Erde:
„Zwangesläufig” und „Naturbedingnis”
      nennt!
Der Mensch mag alle Kräfte der Natur
Bezwingen: ‒
Das Raubtier in sich selbst zu zähmen,
Wird auf dieser Erde aber
Nur den Höchstgearteten, ‒
Den Hörigen des Menschentieres
Nie gelingen!
*
83 Über dem Alltag
VERPFLICHTUNG
Sei zuerst des Wortes Sprecher!
Seine Form sei dir der Becher,
Sinn und Sage einzutrinken,
Sollen sie zu Herzen sinken. ‒
Doch, vergiß dich nicht! Und später
Werde dann des Wortes Täter!
Wirke ihm in weiser Waltung
Wahrhaft würdige Gestaltung!
Dann erst hast du abgetragen
Deine Schuld, gehörter Lehre,
Strebt dein Tun darnach, zu sagen,
Was der Lehre Ehre mehre!
*
87 Über dem Alltag
WERT DES WARTENS
Will dir heute nichts gelingen,
Höre auf, es zu erzwingen!
Kannst du heute nicht begreifen,
Laß' dich ruhig weiter reifen!
Was dir heute noch verborgen,
Wird dir klar ‒ vielleicht schon morgen!
*
91 Über dem Alltag
„WELTANSCHAUUNG”
Da, unbeschränkt an Zahl,
Die mannigfachsten Kombinationen
Des beschränkten, hirnbedingten
Erdenmenschlichen Erkennens
Möglich sind,
So sind auch jenen Konstruktionen
Seiner Vorstellung,
Die sich der Mensch auf Erden
Als sein „Weltbild”:
Seine „Weltanschauung”, schmiedet,
Keine anderen Hindernisse je im Wege,
Als die Mängel irdischer Erkenntnisfähigkeit,
Und nur durch sie wird jede Unvereinbarkeit
Des in der Vorstellung Geschaffenen
Mit dem, was wirklich ist, bestimmt.
Doch selbst bei aller Ähnlichkeit
Bleibt jede „Weltanschauung”
Nur ein Schattenbild von dem,
Wonach die menschliche Erkenntnisinbrunst
Tief im tiefsten Innern trachtet!
95 Über dem Alltag
Das Wirkliche
Läßt sich in kein gedankliches Gebilde
      pressen!
Da es das Sein in allem Seienden: ‒
Das Leben allen Lebens ist,
Kannst du es nur im eigenen Sein erleben
Sobald du, suchend in dir selbst,
Des Seins bewußt, das dich belebt,
Dir selbst lebendig wirst!
*
96 Über dem Alltag
ZEITWANDEL
Stets wird später hochgeehrt,
Was der Tag dem Tag verwehrt!
Was die Früheren verlachten,
Wissen Spätere zu achten! ‒
Nichts bleibt wie es ist auf Erden, ‒
Heute” muß stets „Gestern” werden!
*
99 Über dem Alltag
KLUGHEIT
Die Väter fuhren auf dem Meer
Und kannten Fährnis, Flut und Riffe,
Als euch, noch säugend, trug einher
Die Mutter, spähend nach dem Schiffe.
Wollt ihr nun selbst das Meer befahren,
So seid nicht töricht und vermessen: ‒
Fragt, wie ihr meidet die Gefahren,
Denn niemals solltet ihr vergessen,
Daß lang vor euren Erdentagen,
Die Segel schon in Stürmen lagen.
*
103 Über dem Alltag
EHRFURCHT DEN ALTEN
Wenn ihr „nicht werdet wie die Kinder”,
Wird eurer keiner je zum Finder!
Doch: ‒ birgt er ihn nicht bei den Alten,
Wird keiner seinen Fund behalten!
Jugend schafft Wertes nur im Warten!
Jugend ist keimbereiter Garten!
Nur bei den Alten reifen die Früchte!
Der Jugend verderben sie lüsterne Süchte!
Jugend kann niemals sich selbst gestalten,
Findet sie Former nicht bei den Alten!
Jegliches Volk wird sich selbst zum Vernichter,
Bleiben die Alten nicht seine Richter!
*
107 Über dem Alltag
JUGENDLOB
Jede Jugend ist nach Lob begehrlich,
Kann sich nie genug gewürdigt sehen.
Ob der Lober Schalk ist, oder ehrlich, ‒
Das zu scheiden, wird sie nie verstehen!
*
111 Über dem Alltag
ERFAHRUNGSWEISHEIT
Die Ältesten des Volkes
Müssen erneut zu Ehren kommen!
Törichte Schwätzer haben
Den Alten den Ruf genommen,
Haben zerschwätzt, was alle Zeiten wußten:
Daß alle Reiche untergehen mußten,
Die an den Rat der Alten
Sich nicht mehr kehrten,
Vorlauter Jugend Torheit
Nicht mehr wehrten.
Denn jeder neuen Jugend muß die Zeit
      verwahren,
Was sie ihr einst zu geben haben wird
In hohen Jahren!
*
115 Über dem Alltag
ÜBLE FOLGE
Die ihr eigen Nest beschmutzen,
Bringen sich mitnichten Nutzen.
Die jedoch den Stamm verderben,
Müssen mit dem Baume sterben.
Er, der einst ihr Nest getragen,
Wird sie selbst im Fall erschlagen. ‒
*
119 Über dem Alltag
VORZEITIGES VERMEINEN
So vieles glaubt man heute schon errungen,
Was auch Jahrtausende noch nicht errungen
      sehen werden.
So vieles glaubt man heute längst gelungen,
Was nie und nimmer uns gelingt auf Erden.
Nur voll Enttäuschung wird man einst er‐
      fahren,
Wie ferne man dem schon gewiß Vermeinten
      war, ‒
Und unerfreut wird man zuletzt gewahren:
Daß jede Zeit sich ihre Illusion gebar!
*
123 Über dem Alltag
JUNG UND ALT
Bei Kampf und Minne und Reigentanz
Gehört sich die Jugend in Kraft und Glanz.
Hier haben die Alten sich wegzuheben, ‒
Was sie einst lebten: hier will es jetzt leben. ‒
Hier will sich Leibes Anmut zeigen
Bei Trommel, Klarinett' und Geigen, ‒
Hier will sich Mut und Heldenkraft
Erweisen in hoher Leidenschaft. ‒
Was aber kämpfend zu erringen,
Zeigt meist der Alten Deuten und Singen,
Denn nur in Jahren und wieder Jahren
Sichert sich wissendes Erfahren. ‒
Die klar nun im Buche der Zukunft lesen,
Waren vor Zeiten auch Junge gewesen!
Soll sich das Volk den Enkeln erhalten,
Braucht es die Jungen wie die Alten!
*
127 Über dem Alltag
BERUFUNG
Nur bei den Alten sucht mir die Weiser,
Die, als ein Rat der heimlichen Kaiser,
Hoch über Herde und Weide thronen,
Keiner allmenschlichen Gier mehr fronen.
Doch nicht die Jahre nur, die der Denker
Müssend durchlitten, bestimmen den Lenker,
Weiß er nicht alles erfahrene Leben
Ewiger Seele zu eigen zu geben: ‒
Nur der sich selbst an die Seele verloren,
Ist als der Zukunft Former erkoren!
*
131 Über dem Alltag
WERT DES SCHÖNEN SCHEINS
Glaubt nicht, das Strahlende sei heute über‐
      flüssig!
Der Sonne Wärme ist von ihrem Lichte nicht
      zu trennen. ‒
Seid ihr auch heute eigenen Strahlens über‐
      drüssig,
So sollt ihr doch im Glanz die Kraft erkennen!
Wißt ihr auch euren Kindern nicht zu geben,
Was eurer Väter Väter einst den ihren gaben,
So ehret doch das Wenige im Leben,
Was wir an altem Glanz noch übrig haben!
*
135 Über dem Alltag
GNADENREICHE LENKUNG
Wir gehen einer neuen Welt entgegen, ‒
Wenige ahnen, wo wir alle schreiten!
Wahn weiß noch Träume zu erregen,
In denen Tausende sich selbst entgleiten...
Die ungezeugten Lenker aber geben nicht
      verloren
Was je ihr Fühlen schon als reif erfühlte, ‒
Auch wenn sich, was aus Geist zum Licht
      geboren,
In zähen, toten Erdenschlamm verwühlte.
Wer ihrer Hilfe sich nicht toll entzieht,
Erreicht das Ziel, ‒ auch wenn er es noch
      flieht!
*
139 Über dem Alltag
ENDE